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Weindorfzeitung Speisen & Getränke

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Der Bären – Vier Jahrhunderte Kirchheimer Geschichte und Geschichten<br />

Eine „BÄra“ geht zu Ende. Einer der ältesten<br />

Gastronomiebetriebe Kirchheims steht zum<br />

Jahresende wieder einmal vor einem Wirtwechsel.<br />

Dem 23. oder 24. in seiner ca. 350-<br />

jährigen Geschichte (je nach Zählart).<br />

Wie wohl die meisten „Bärenwirte“ vor ihm,<br />

geht auch Micha Holz nicht leichten Herzens.<br />

Mit 20 Jahren ,Wirtszeit' ist er einer der<br />

langjährigen Betreiber des „Bären“. Freilich<br />

kann er mit der Gründerfamilie Kreuser, die<br />

bereits vor dem großen Stadtbrand von 1690<br />

„Bärenwirte“ waren und es bis zum Tod<br />

Johann Kreusers 1742 blieben, nicht<br />

mithalten. Auch die Familie Sigel/Barth,<br />

Eigentümer und Wirtsleut des „Bären“ von<br />

1762 bis 1825, oder die Familie Raff, welche die<br />

Traditionsgaststätte von 1884 bis 1955 selbst<br />

betrieb und seither verpachtet, sind nicht zu<br />

schlagen. Es gab aber auch Eigentümer wie<br />

Hans Jörg Müller, der 1762 bereits nach zwei<br />

Monaten wieder verkaufte.<br />

Seit 1955 sind die „Bärenwirte“ allesamt<br />

Pächter. Ab 1965 ist der Hauptpächter die<br />

Brauerei Leicht, heute Dinkelacker-Schwaben<br />

Bräu, die ihrerseits weiterverpachtet. Von<br />

allen Pächter-Wirten ist Michael Holz der<br />

langjährigste. Zum Jahresende läuft nun sein<br />

Pachtvertrag nach 20 Jahren aus. Der<br />

Investitionsstau, die neuen Vertragsbedingungen<br />

der Brauerei und persönliche<br />

Gründe haben verhindert, dass die Holz GmbH<br />

und die Brauerei sich auf eine weitere<br />

Zusammenarbeit hätten einigen können.<br />

Aber der „Bären“, das ist mehr als seine<br />

Besitzer, Betreiber und Pächter. Der „Bären“,<br />

das sind seine Gäste, seine Geschichte und<br />

seine Geschichten. Er hat viel gesehen und<br />

Vieles überstanden. Viel Prominenz ist in den<br />

Jahrhunderten zu Gast in seinen Mauern<br />

gewesen.<br />

Als einen der ganz frühen Gäste dürfen wir den<br />

Kommandant des 30-jährigen Krieges (1618 –<br />

48), siegreichen Verteidiger am Hohenwiel und<br />

späteren Obervogt Kirchheims, Konrad<br />

Widerholt annehmen. Denn die Gründerfamilie<br />

Kreuser betrieb bereits in den 1620er<br />

Jahren die Kreuser´sche Herberge, aus der bald<br />

die Schildwirtschaft „Bären“ wurde. Die<br />

ersetzte auch schon vor dem Stadtbrand den<br />

andernorts üblichen Ratskeller, sodass sich die<br />

hohen Herren im „Bären“ zum Schoppen Wein<br />

niederließen. Bier wurde zu Widerholts Zeit so<br />

gut wie nicht ausgeschenkt. (Siehe auch<br />

„Geschichte des Weinbaus“.)<br />

Für den Wiederaufbau nach dem großen Brand<br />

wurde die Kirchheimer Innenstadt völlig neu<br />

geplant, Straßen wurden verbreitert,<br />

Hofstätten zusammengelegt. Auch Johannes<br />

Kreuser konnte die Nachbarhofstatt erwerben<br />

und die Schildwirtschaft bereits 1695 in der<br />

heutigen Größe wiederaufbauen. Von diesem<br />

letzten Kreuser auf dem „Bären“ ist überliefert,<br />

dass er seinen Gästen neben gutem Essen und<br />

Trinken und einer Herberge für Mann und<br />

Ross noch eine weitere Attraktion zu bieten<br />

hatte; seine sechs Töchter. Es spricht für den<br />

Reichtum des Wirtes, dass er sie trotz<br />

Wiederaufbaus allesamt großzügig ausstatten<br />

und so sehr gut verheirateten konnte.<br />

Der „Bären“ ernährte seine Wirte auch in den<br />

nächsten Jahrhunderten wohl sehr ordentlich.<br />

Einige der „Bärenwirte“ zählten zu den<br />

reichsten und damit auch ein ussreichsten<br />

Bürgern der Stadt. Viele „Bärenwirte“ haben<br />

im Laufe Zeit auch das Geschick der Stadt<br />

politisch mitbestimmt, ob als Schultheiß,<br />

Magistratsmitglied, Bürgermeister oder<br />

Stadtrat. So reiht sich auch hier Michael Holz<br />

in eine Tradition ein, die schon mit dem<br />

Gründer und Bürgermeister Valentin Kreuser<br />

in den 1620er Jahren begann.<br />

In seiner Zeit als Kirchheimer Stadtrat war es<br />

für Michael Holz aber nicht immer ganz<br />

einfach Ehrenamt und Erwerbsarbeit<br />

reibungslos miteinander zu verbinden. „Da<br />

wird einem schon mal von der einen oder<br />

anderen Interessengemeinschaft eine<br />

Zechverweigerung in größerem Umfang in<br />

Aussicht gestellt, wenn das Abstimmverhalten<br />

nicht passt“, erzählt er. Aber letztendlich<br />

saßen sie dann doch wieder alle im „Bären“. Die<br />

Großen wie die Kleinen. Gern erinnert sich<br />

Holz an Rezzo Schlauch, der öfter kam und den<br />

er als angenehmen Gesprächspartner in<br />

Erinnerung behielt. Aber auch Wolfgang<br />

Schäuble, Peer Steinbrück, Winfried<br />

Kretschmann und viele andere haben sich im<br />

„Bären“ ein Stelldichein gegeben.<br />

Mancher„Bärenwirt“hatteaberauchÄrger<br />

mit der Obrigkeit. War in einer fürstlichen<br />

Resolution von 1782 noch festgeschrieben<br />

worden, dass keine weiteren Wirtschaften in<br />

Kirchheim mehr zugelassen werden, sah sich<br />

der „Bärenwirt“ Johann Jakob Barth Ende des<br />

18. Jh. mit einem neuen Konkurrenten<br />

konfrontiert, der nicht nur ein Kaffeehaus<br />

eröffnen durfte, sondern 1804 auch noch eine<br />

Billardgenehmigung beantragte und bekam,<br />

während diese dem „Bären“ später verwehrt<br />

wurde. Barth fürchtete um seine spielfreudige<br />

Stammkundschaft, klagte und verlor. Beim<br />

nächsten Besitzerwechsel 1825 fand sich dann<br />

aber doch ein Billardtisch in der Inventarliste<br />

und das blieb so bis weit ins 20. Jh. hinein. Der<br />

heutige „Bärenwirt“ Micha Holz kann sich aus<br />

seiner Zeit als Gast in den frühen 1980er<br />

Jahren noch gut daran erinnern, dass auch der<br />

damalige Wirt wieder auf die Anziehungskraft<br />

von Spielmöglichkeiten setzte, wenn auch auf<br />

Dart, Flipper und Geldspielautomaten.<br />

1861 zog der „Bären“ für sechs Jahre in den 1.<br />

Stock des Gebäudes, weil der neue Eigentümer<br />

Jakob Müller aus Dornstetten im Erdgeschoss<br />

ein Ellenwarengeschäft eröffnet hatte und die<br />

Wirtschaft nebenher nur verpachtete. Nach<br />

drei weiteren Eigentümerwechsel erwarb 1884<br />

CarlRaffHausundWirtschaft.Erwaresauch,<br />

der im Jahr 1900 den noch heute strahlenden,<br />

vergoldeten Bären über dem Eingang<br />

anbringen ließ.<br />

Die Schildwirtschaft war über die Jahrhunderte<br />

immer ein vom bürgerlichen Kirchheim gut<br />

und gern besuchtes Esslokal. Erst in der<br />

zweiten Hälfte des 20. Jh., vor allem unter dem<br />

Tonstudiobetreiber Ernst Friedrich Wahl,<br />

wurde der „Bären“ mehr Kneipe als Speiselokal.<br />

Mit der Übernahme durch die Holz GmbH<br />

1995 wurde diese Entwicklung aber wieder<br />

korrigiert.<br />

Weihnachten 2015 geht nun die Ära Holz im<br />

„Bären“ zu Ende. Zum Abschluss wird es ab<br />

Oktober noch einmal jeden Donnerstag<br />

Livemusik geben, aber mit dem inzwischen<br />

schon traditionellen „Heiligmorgen“ ist dann<br />

unwiderru ich Schluss.<br />

Wir wünschen dem „Bären“ – und Micha Holz<br />

eine positive Zukunft.<br />

Text: Angelika Kröninger<br />

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