KUNSTINVESTOR Heft Nr. 4 [AUSGABE APRIL 2015]
Kunst als Kapitalanlage Chefredakteur: Michael R. Minassian
Kunst als Kapitalanlage
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67 | KUNST.INVESTOR Egon Schiele Art Centrum Český Krumlov<br />
alltägliche, scheinbar einfache und somit besonders<br />
typische Dinge des Lebens in diesem Landschaftsraum<br />
festgehalten. Die Motive aus dem Alltag im<br />
Böhmerwald zählen daher zur wichtigsten<br />
Hinterlassenschaft des Fotoateliers Seidel. Um<br />
außerordentliche Exponate handelt es sich desgleichen<br />
bei František Seidels edlen Autochromen – eine<br />
Aufnahmetechnik, die 1903 von den Brüdern Lumière in<br />
Frankreich erfunden wurde. Seidel hat als einer der<br />
ersten professionellen Fotografen in Böhmen<br />
begonnen, diese Technik für die Erzeugung von<br />
Postkarten zu nutzen. Er fotografierte in dieser Technik<br />
ganze Serien von Krumau und dem Boubín-Urwald,<br />
und die Besucher der Ausstellung können zum ersten<br />
Mal diese 100 Jahre alten Originale, die bislang nicht<br />
öffentlich zugänglich waren, sehen. Drei parallele<br />
Einzelausstellungen präsentieren dazu je eine<br />
zeitgenössische, von der Natur des Böhmerwaldes<br />
inspirierte Künstler-Position: Ölmalerei, Gouachen, eine<br />
Installation und eine Video-Animation der<br />
österreichischen Künstlerin Karin Pliem, Ölmalerei der<br />
deutschen Künstlerin Katharina Dietlinger und Malerei<br />
des tschechischen Künstlers Ondřej Maleček. Diese<br />
Arbeiten beziehen sich auf das gemeinsame Thema<br />
Natur, allerdings mit unterschiedlichen<br />
Herangehensweisen: von der einfachen Linie der<br />
Zeichnung über monumentale, pastose Malerei bis zu<br />
dynamischen Bildern mit fast kinetischen Illusionen. Zu<br />
ihren teils großformatigen Ölbildern sagt Karin Pliem:<br />
„Auf meinen Leinwänden erörtere ich potenzielle<br />
Übereinkünfte von Natur und Zivilisation, indem ich<br />
bildlich transformierte Darstellungen verschiedenartiger<br />
Lebewesen aus unterschiedlichen Ökosystemen und<br />
Weltregionen in jeweils differente Konstellationen<br />
bringe. Die Organismen in meinen Bildern mutieren,<br />
konkurrieren und interagieren, bilden neue Formen und<br />
Konstellationen und finden im Gesamten – im Bild und<br />
als Bild – letztlich immer zu einem Verbund. Der<br />
Mensch tritt in meinen Bildern nicht sichtbar auf, aber<br />
ich lade ihn ein, visuell, gedanklich und emotional in<br />
diese Szenarien einzusteigen, auch, um sich<br />
womöglich irgendwo darin zu finden.“ „Wiese und Wald<br />
liegen vor meiner Haustür“, sagt Katharina Dietlinger,<br />
wenn sie über ihre in grünen Farbtönen pastos<br />
gemalten Waldlandschaften spricht. Ihre Haustür<br />
befindet sich im oberpfälzischen Wildeppenried, ihre<br />
Landschaftsbilder geben aber weniger einen konkret<br />
bestimmbaren Naturabschnitt wieder als aus<br />
distanzierter Sicht ein Bild von Natur zu liefern, die in<br />
ihrer geregelten Strukturierung den Blick des Menschen<br />
reflektiert, der sich ihr längst entfremdet hat. „Als<br />
Malerin bin ich immer auf der Suche nach guten<br />
Bildern. In meiner Malerei verarbeite ich das, was ich<br />
gesehen und erlebt habe: entweder Eindrücke aus der<br />
Umwelt oder Details aus vorangegangenen Bildern. Ein<br />
Bild ist für mich gelungen, wenn ich das Gefühl habe,<br />
den Wind im Wald rauschen oder die Fangeräusche im<br />
Stadion zu hören. Wir simulieren die Utopie und lenken<br />
uns ab in unseren Spielen.“ Ondřej Maleček<br />
thematisiert in seiner Malerei den Böhmerwald als eine<br />
Metapher der Geschichte des aus der Natur geborenen<br />
Menschen: „Von Anbeginn an lebt und bewegt sich der<br />
Mensch in seiner ihm eigenen Umgebung. War es am<br />
Anfang die Natur, in der er hauste, schuf er sich im<br />
Laufe der Entwicklung der Zivilisation die Stadt als<br />
seine kulturell und industriell gefertigte Höhle. Ab und<br />
zu aber blitzen auch hier noch Erinnerungen an das<br />
frühere Zuhause durch seinen Kopf – an die Natur, an<br />
die Urlandschaft, aus der wir entstanden sind. Es ist ein<br />
nebulöses Bild, das jedoch schärfere Konturen<br />
annimmt, sobald wir alleine und ziellos durch Regionen<br />
weitgehend unberührter Natur streifen. Da spüren wir<br />
Harmonie, ein altes bekanntes Gefühl – es kommt uns<br />
der Gedanke, dass es um ein Zurückkehren,<br />
Verschmelzen und auch Zerfließen geht, es kommt die<br />
Sehnsucht auf, sich in den Blättern einzugraben oder in<br />
den abgeworfenen Nadeln der Bäume unterzutauchen<br />
und einzuschlafen, um eine Weile nicht präsent zu sein.<br />
Ich möchte über meine Arbeit den Betrachter auf einen<br />
imaginären Spaziergang mitnehmen – nicht nur durch<br />
die Natur, sondern auch durch sich selbst.“ Das Thema<br />
Natur, vor allem die weltberühmte Region<br />
Šumava/Böhmerwald, ist in einer Zeit, in der sich die<br />
Medien ununterbrochen mit Krieg und Terror<br />
beschäftigen, in höchstem Maße geeignet, uns an die<br />
Schönheit dieser Region und ihrer Geschichte als<br />
ewige Inspiration für Kunst und Alltag zu erinnern.<br />
Ausstellungsdauer: bis 1. November <strong>2015</strong> (Foto: Egon<br />
Schiele Art Centrum Český Krumlov)