sehen und gesehen werden - KIR ROYAL - GENIESSERJOURNAL ...
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TAFELSPITZEN UND TOPFLAPPEN<br />
<strong>KIR</strong><strong>ROYAL</strong><br />
Genuss <strong>und</strong> Kult im „Gocklwirt“<br />
Der Grat zwischen Kitsch <strong>und</strong> Kult ist sehr schmal. Wie angenehm,<br />
wenn es gelungen ist, ihn zu überwinden. Denn unter dem<br />
Stichwort „Kult“ ist der Gocklwirt in Baierbach wohl einzustufen.<br />
Versteckt gelegen überrascht er durch unzählige Re-<br />
likte vergangener Epochen: Jagdtrophäen, Landarbeitsgeräte,<br />
alte Waffen, Spitzendecken <strong>und</strong> hier <strong>und</strong> da ein buntes Trockengesteck. All dies ist über<br />
viele kleine Nischen mit schweren Holzbalken <strong>und</strong> einem verputzten Kamin verteilt. Die<br />
Mischung ist zwar ungewöhnlich, kultig eben, <strong>und</strong> am besten mit dem Wort „urig“ zu beschreiben.<br />
Hierbei würde man wohl vermuten, dass die Karte ausschließlich die typisch bayerischen<br />
Schmankerl wie Obazda <strong>und</strong> Semmelknödel mit Schwammerl aufweist. Doch weit gefehlt.<br />
Neben interessant klingenden Kreationen wie den gebratenen Garnelenspießen auf pikantem<br />
Curry-Gemüse-Reis mit Cashew-Nüssen <strong>und</strong> gebackenen Bananen wird das Augenmerk<br />
sehr stark auf saisonale Produkte gelegt <strong>und</strong> so entscheide ich mich nach dem Aperitif —<br />
einem herbsüßem Roséchampagner mit Erdbeeren — für eine kleine Spargelreise.<br />
Den Beginn macht ein schaumiges Orangen-Spargelsüppchen mit Nocken vom Label Rouge<br />
Lachs. Sanft durchdringt die Spitze meines Löffels die zarte Fischfarce <strong>und</strong> verbindet<br />
sich mit der cremigen Üppigkeit der Suppe. Zusammen mit dem zurückhaltenden, aber natürlichen<br />
Geschmack des Frühlingsgemüses harmonieren die drei Komponenten des Gerichts<br />
perfekt mit der Weinempfehlung, einem trockenen Rosé aus Baden.<br />
Zum Hauptgang preist die sehr fre<strong>und</strong>liche Bedienung in ihrem Dirndl einen weißen Silvaner<br />
aus dem warmen Sizilien an. Er wird zu gebratenen Riesengarnelen <strong>und</strong> Jakobsmuscheln<br />
auf Vanille-Mango-Chutney mit glasiertem Spargel, Zuckerschoten <strong>und</strong> Tagliatelle gereicht.<br />
Wieder ist die Weinauswahl treffsicher. Die milde Säure vereint sich perfekt mit<br />
der Süße des Chutneys. Die Jakobsmuschel ist auf den Punkt gebraten <strong>und</strong> hat noch den<br />
von Kennern <strong>und</strong> Genießern geschätzten feucht-glasigen Kern. In der Kombination mit dem<br />
knackigen Gemüse <strong>und</strong> den leicht mit Rahm geb<strong>und</strong>enen Nudeln ist es ein durchweg gelungenes<br />
Gericht.<br />
Zum Abschluss folgt meine Schwäche – das Dessert. Die Variationen der Erdbeere könnten<br />
allein schon als Hauptmahlzeit gelten. Auf einem Teller tummeln sich ein Erdbeer-Quarkknödel,<br />
Mousse au Chocolat, eine Joghurt- sowie eine Vanillecreme mit Erdbeeren, einen<br />
Schnaps mit kleinen Walderdbeeren <strong>und</strong> hausgemachtes Erdbeereis <strong>und</strong> -sorbet, die einem<br />
schon beim probieren das Gefühl vermitteln, inmitten eines Erdbeerfeldes zu stehen.<br />
Die Vernunft sollte mir zu diesem Zeitpunkt sagen, dass ich das Menü nun beenden<br />
sollte. Dennoch kann ich dem verlockenden Millirahmstrudel auf der Karte nicht widerstehen.<br />
Dampfend wird er im Eisenpfandl serviert. Im warmen Teig verbinden sich saftige<br />
Äpfel mit einer Quarkmasse. Der Strudel liegt in einer frischen Vanillesauce, die mit<br />
einem schmelzenden Sahnetupfer garniert ist, der über dem gesamten Geschmackskunstwerk<br />
zerläuft. Mir fällt dazu nur ein Wort ein: himmlisch!<br />
Als Fazit bleibt zu sagen: Das einzige Manko sind die Papierservietten, die man leicht<br />
durch schwere <strong>und</strong> stilechte Stoffservietten ersetzen könnte. Der Service im Gocklwirt<br />
ist ausgesprochen fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> kompetent, das Essen frisch <strong>und</strong> überaus geschmackvoll<br />
zubereitet. Doch wenn man jenseits der Hausmannskost seine Wahl trifft, sollte man sich<br />
vorher bewusst sein, dass der Besuch ein wenig teurer wird. Allerdings wurde auch hier<br />
eine Lösung zugunsten des Gastes geschaffen: Die meisten Gerichte können als halbe Portion<br />
bestellt <strong>werden</strong>. Das schmälert den Preis ein wenig <strong>und</strong> bietet die Möglichkeit, sich<br />
für mehrere Gänge auf der reichhaltigen <strong>und</strong> abwechslungsreichen Karte zu entscheiden.<br />
Restaurant Gocklwirt, Weinbergstr.9, 83071 Baierbach/Stephanskirchen, Fon: 08036/1215<br />
Ihre A. HA.