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Betriebsräte gründenErste Schritte | Erfahrungen | Gute PraxisEine Publikation im Rahmen der Offensive Mitbestimmung


ImpressumHerausgeber/Copyright <strong>2015</strong>:Hans-Böckler-StiftungMitbestimmungs-, ForschungsundStudienförderungswerk des DGBHans-Böckler-Straße 3940476 Düsseldorfwww.boeckler.deVerantwortlich für den Inhalt:Hans-Böckler-StiftungDr. Melanie Frerichs,Melanie-Frerichs@boeckler.deDr. Stefan Lücking,Stefan-Luecking@boeckler.deRedaktion:Koordination, redaktionelles Konzept, Texte:Carmen Molitor, Journalistin, Kölnwww.carmen-molitor.deGrafisches Konzept:Designbüro Wanja Schnurpel, Kölnwww.wanjaschnurpel.deLayout:skdesign, Kölnwww.skdesign-koeln.deFotokonzept, Fotos:Matthias Jung, Fotograf, Kölnwww.jungfoto.deFotonachweis:alle Fotos (wo nicht anders genannt):Matthias JungSeite 3: Karsten SchöneTitelkonzept:Designbüro Wanja SchnurpelTitelgestaltung:skdesign, KölnTitelbild:Matthias JungDruck:Setzkasten GmbH, DüsseldorfBestellmöglichkeit:Die Broschüre kann unter Angabe derBestellnummer 30454 kostenlosbei der Firma Setzkasten GmbHper Fax 0211 408 00 90 40 oderE-Mail mail@setzkasten.debestellt werden.1. Auflage, Redaktionsschluss:März <strong>2015</strong>2GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


VORWORTMichael GuggemosSprecher der Geschäftsführungder Hans-Böckler-Stiftung.Betriebsräte – Stützpfeiler derMitbestimmungMitbestimmung ist das demokratische Gestaltungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft.Und Betriebsräte sind ein Stützpfeiler der Mitbestimmung. Arbeitnehmer im Betrieb sindnicht Bürger zweiter Klasse. Mit und über die Betriebsräte nehmen sie Einfluss auf dieEntscheidungen. In vielen Betrieben sind Betriebsräte längst eine Selbstverständlichkeit. So ist es vomGesetz auch gedacht: In Betrieben mit mehr als fünf wahlberechtigten Beschäftigten „werden Betriebsrätegewählt“, heißt es im Betriebsverfassungsgesetz.Die meisten Betriebsratsgründungen verlaufen reibungslosTrotzdem gibt es in erstaunlich vielen Betrieben keinen Betriebsrat. Oft liegt es daran, dass dieBeschäftigten den Konflikt mit dem Arbeitgeber scheuen, den die Gründung eines Betriebsrats möglicherweisebedeuten würde. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Presse von Betriebsratsgründungennur dann Notiz nimmt, wenn es zu Konflikten mit dem Arbeitgeber kommt. Tatsächlichaber sind die meisten Betriebsratsgründungen erfolgreich und laufen reibungslos und unbeachtet vonder Öffentlichkeit ab.Die Hans-Böckler-Stiftung hat in mehreren wissenschaftlichen Studien untersuchen lassen,wann Betriebsräte gegründet werden, wo die besonderen Herausforderungen liegen und was eineBetriebsratsgründung erfolgreich macht.Ein Leitfaden für die PraxisDiese Broschüre fasst die Ergebnisse zusammen und ergänzt sie um Berichte aus der Praxis. Kolleginnenund Kollegen aus ganz unterschiedlichen Betrieben und Branchen schildern, wie sie – oft auchgegen den Widerstand des Arbeitgebers – ihren Betriebsrat gegründet haben und wie sie die erstenSchritte gegangen sind, um ihn zu einem wirksamen Instrument demokratischer Beteiligung zu machen.Diese Broschüre kann als Leitfaden für all diejenigen dienen, die eine Betriebsratsgründung nochvor sich haben.Mehr Betriebsräte sind ein Beitrag für die „Offensive Mitbestimmung“, mit der die Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit dem DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften die Debatte überMitbestimmung, Demokratie und Beteiligung offensiv und selbstbewusst in die Öffentlichkeit tragenwill.Michael GuggemosGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG3


Langes Leiden oder akute Krise:warum Betriebsräte gegründet werdenEin Blick auf die Anfänge von drei Arbeitnehmer -ver tretungen und die Besonderheiten der Betriebsratsgründungin kleinen Firmen.08Zusammenstehen: OutgesourcteMitarbeiter von Griesson - de Beukelaerwehren sich gegen autoritäre Führung.08_ Gegen eine Führung nach GutsherrenartNach dem Outsourcing der Logistikabteilung wurde imWarenlager des Keksherstellers Griesson - de Beukelaerin Polch ein rüder Umgangston üblich. Die Mitarbeiterließen sich das nicht gefallen.13_ Mitsprache sichern im SauerlandDas kleine Kunststoffunternehmen Bond Laminates inBrilon wuchs rasant und wurde vom Global Player Lanxessübernommen. Mit einem Betriebsrat wollen dieBeschäftigten ihre Mitbestimmungsrechte durchsetzen.16_ »Jeder wägt Pro und Kontra für sich ab«Was dahintersteckt, wenn es in kleinen oder mittlerenUnternehmen zu einer Betriebsratsgründung kommt,haben Dr. Rosemarie Kay und Dr. Nadine Schlömer-Laufenuntersucht. Ein Interview.20Mitreden: Andreas Siegel vonTK Industries hofft auf mehr Gehörbeim neuen Besitzer in Japan.20_ Auf Augenhöhe mit der japanischen MutterAls der Konzern Mitsubishi Rayon aus Tokio den bayerischenKleinbetrieb TK Industries kaufte, blieben von derBelegschaft erhoffte Investitionen aus. Die Mitarbeiterorganisierten sich, um mehr Gehör zu finden.Von der ersten Idee bis zur Wahl:Phasen der Betriebsratsgründung26Durchblick behalten: Forscherteamaus Erlangen spricht über Anlässe undPhasen der Betriebsratsgründung.Wie man sich Schritt für Schritt an eine Betriebsratswahlherantastet und warum es gut ist, dabei eine Gewerkschaftan der Seite zu haben.26_ »Manchmal muss man sich warm anziehen!«Was die drei charakteristischen Phasen einer Betriebsratsgründungausmacht, beschreiben Prof. Dr. Ingrid Artus,Dr. Silke Röbenack und Clemens Kraetsch von der UniversitätErlangen-Nürnberg.32_ Gekündigt vor der WahlversammlungEinschüchterung, Drohszenarien – wie viele Steine einerBetriebsratswahl in den Weg gelegt werden können, zeigtdas Beispiel der Firma Leist Oberflächentechnik.4GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


INHALT36_ »Wir informieren, was geht und was nicht«Gewerkschaften sind die besten Partner für Betriebsräteund Motoren der Mitbestimmung. Ein Beispiel dafür istein Projekt der IG BCE zur Betriebsratsgründung in derKunststoffbranche. Koordinatorin Petra Adolph erklärt es.38_ Kein Metallbetrieb ohne BetriebsratDie Initiative „Betriebe ohne Betriebsrat“ (BoB) ist Teileiner umfassenden Organizingstrategie der IG Metall.40_ Kleiner Psychoterror im SägewerkDie Belegschaft des Großsägewerks Ilim Timber Bavariain Landsberg am Lech wählte 2014 erstmals einenBetriebsrat. Bis es so weit war, erlebten die Initiatorennervenauf reibende Zeiten.32Rückschläge wegstecken: Eine Betriebsratswahlvoller Hindernisse erleben dieMitarbeiter bei Leist Oberflächentechnik.Erfolgsfaktoren und Stolperfallen:so wird ein Betriebsrat erfolgreichWie man sich in seine Rolle als Betriebsrat einfindet,den Kontakt zur Basis hält und mit der neu gewonnenenVertretungsmacht umgehen lernt.46_ Schulterschluss mit der BelegschaftWenn ein Betriebsrat nachhaltig wirksam sein will, musser Ziele durchsetzen können, sagt Prof. Ingrid Artus.47_ Dem Spaltpilz keine ChanceAusgerechnet ein geschlossener Rücktritt sichertedie Macht des Betriebsrats eines GLS-Depots inRheinland-Pfalz48_ »Das war eine krasse Baustelle«Die Erfolgsbilanz der ersten Betriebsrätin im Ibis HotelSpandau zeigt, dass selbst ein „Einer-Betriebsrat“ vielbewegen kann.36Natürlicher Partner: Petra Adolpherklärt, warum Gewerkschaften Motorender Mitbestimmung sind.52_ Zusammenfassung: »So machen wir das!«Alle Tipps zur guten Praxis in der Zusammenschau54_ Blick ins GesetzbuchFundstellen, die in der Praxis helfen55_ Wer mehr wissen möchteLinks und Literaturtipps40Angst besiegt: Im Sägewerk von IlimTimber in Landsberg am Lech kamen Mitarbeitermit Mut und Strategie zum Ziel.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG5


Wut über Schikanen und den üblen Umgangston des Chefs. Ärger über chaotische Schichtpläne,die das Privatleben stets durcheinanderbringen. Unsicherheit, weil ein neuer Besitzer versprocheneInvestitionen verzögert. Arbeitsbedingungen, die auf die Knochen gehen. Der Wunsch nach Mitbestimmungin einem Großkonzern. All das bringt Beschäftigte dazu, einen Betriebsrat zu gründen.Ein Kapitel über Aufbrüche.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG6


LANGES LEIDEN ODEREIN BLICK AUF DIE ANFÄNGE VON DREIAKUTE KRISE:ARBEIT NEHMERVERTRETUNGEN UND DIEWARUM BETRIEBSRÄTEBESONDER HEITEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGGEGRÜNDET WERDENIN KLEINEN FIRMENGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG 7


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENZurück an dem Ort, an dem die ersten Betriebsratsplänegeschmiedet wurden: (von links) Vorsitzender Bernd Görres und dieBetriebsräte Hermann Ackermann, Frank Adams und Leo Bender.8GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


BLG betreibt das europäische Distributionszentrum von Griesson - de Beukelaer in Koblenz.Gegen eine Führungnach GutsherrenartÄrger nach Outsourcing: Als der Kekshersteller Griesson - de Beukelaer seine Logistik samt dendazugehörigen Mitarbeitern an einen neuen Dienstleister auslagerte, sahen sich die 14 Beschäftigteneines Warenlagers im rheinland-pfälzischen Polch mit dem autoritären Führungsstil und einemrüden Umgangston ihrer neuen Chefs konfrontiert. Das ließen sie sich nicht lange gefallen.Seit 1991 arbeitet Leo Bender im Warenumschlag der Griesson - de Beukelaer GmbH & Co. KGin Polch. Ein guter Job mit Tariflohn, ein eingespieltes 14-köpfiges Team, ein fairer Lagerleiter –Bender war zufrieden. 2008 bekam er einen neuen Arbeitgeber: Süß- und SalzgebäckherstellerGriesson lagerte die Logistik komplett an neue Dienstleister aus. Das Lager in Polch und das Zentrallagerim nahen Koblenz mit damals 51 Festangestellten übernahm die Bremer BLG HandelslogistikGmbH & Co. KG. Damit fing der Ärger an.Ein neuer Vorgesetzter führte einenStändig Angst um den Arbeitsplatz ertragenautoritären Umgangston ein, den Leo BenderUnter den neuen Chefs änderten sich in Polch zwar die Arbeitsbedingungen im und seine Kollegen als respektlos, teilweiseDreischichtbetrieb nicht sehr, der Führungsstil dagegen gewaltig. „Die obere beleidigend und unmenschlich empfanden.Mannschaft wurde von der unteren abgespalten“, erzählt Leo Bender, „der Lagerleiter,mit dem wir sehr zufrieden waren, wurde versetzt. So zerbrachen diese Herrschaften unseregewohnte Struktur langsam, damit sie immer mehr Druck auf uns ausüben konnten.“ Ein neuer Vorgesetzterführte einen autoritären Umgangston ein, den Leo Bender und seine Kollegen als respektlos,teilweise beleidigend und unmenschlich empfanden. „Es hieß ständig: Wenn ihr nicht genau das macht,was ich euch sage, schmeiße ich euch raus. Oder: Wenn euch etwas nicht passt, schmeiße ich euch raus.Oder: Wenn ihr Fehler macht, schmeiße ich euch raus“, berichtet Bender. Beschäftigte hätten Abmahnungenerhalten, obwohl sie für die angemahnten Fehler gar nicht verantwortlich waren. Es entstandgroße Unruhe, in jeder Pause machten die Kollegen ihrem Frust Luft. So ging das anderthalb Jahre.Das Fass zum Überlaufen brachte die Abmahnung des Schichtleiters Frank Adams für einen Vorfall,GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG9


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENbei dem er gar nicht im Dienst war. „Da habe ich gesagt: So kann das nicht weitergehen, was machenwir?“, erinnert sich Adams.Der Schichtleiter suchte Kontakt zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, um sich gegen die Abmahnungrechtlich zu wehren. Als die Gewerkschafter von den Verhältnissen in dem Betrieb hörten,schlugen sie vor, an den Standorten Koblenz und Polch, die nach dem Outsourcing eine wirtschaftlicheEinheit bildeten, einen gemeinsamen Betriebsrat zu gründen. Leo Bender lud alle 13 fest angestelltenKollegen in den großen Wintergarten seines Hauses ein, um den Vorschlag mit ver.di-GewerkschaftssekretärSigurd Holler zu diskutieren. Alle stimmten zu und traten in die Gewerkschaft ein. Holler triebdaraufhin den Gründungsprozess voran und organisierte im Februar 2012 eine gut besuchte gemeinsameBetriebsversammlung der beiden Belegschaften in Koblenz. Ein Wahlvorstand wurde gebildet,neun Kandidaten ließen sich aufstellen. „Es gab keinen Gegenwind für die Idee aus der Belegschaft undauch die BLG hat uns gewähren lassen“, sagt Bernd Görres, der zwei Wochen später zum Betriebsratsvorsitzendengewählt wurde. Außer ihm bestand der Fünfer-Betriebsrat aus zwei weiteren Kollegen ausKoblenz sowie Leo Bender und Frank Adams aus Polch.Erste unsichere Schritte auf unbekanntes Terrain„Für mich war das alles absolutes Neuland“, erzählt Bender. „Es war schon ein bisschen Sorge undUnsicherheit vorhanden.“ Je länger sie im Amt waren und je mehr Fortbildungsseminare sie besuchten,desto mehr gingen den Betriebsräten die Augen darüber auf, welche Rechte Beschäftigtehaben und welche Möglichkeiten der Mitbestimmung ihnen zustehen.Je länger sie im Amt waren und je mehrFortbildungsseminare sie besuchten, „Wir wussten vorher nichts über das Betriebsverfassungsgesetz“, gesteht Bernddesto mehr gingen den Betriebsräten die Augen Görres. Er war froh, dass der erfahrene ver.di-Mann Holler auch nach der Gründungeng an der Seite des Gremiums stand und ihm weiterhalf.darüber auf, welche Rechte Beschäftigtehaben und welche Möglichkeiten der Dringlichste Punkte auf der Agenda des neuen Betriebsrats: „Die RuheMitbestimmung ihnen zustehen. herzustellen, die Leute zu schützen und die Chefs so auszubremsen, dass sie nichtauf Gutsherrenart nach Gutdünken machen konnten, was sie wollten“, berichtetGörres. Andere Aufgaben traten erst mal in den Hintergrund: „Dass ein Betriebsrat mit der GeschäftsführungBetriebsvereinbarungen machen kann, das wussten wir ja erst, als wir die entsprechendenSeminare besucht hatten.“Betriebsratsgröße:Wie viele Mitglieder einBetriebsrat haben darf,hängt ab von der Zahl derwahlberechtigten, d. h.volljährigen Arbeitnehmerin einer Firma (§ 9 BetrVG).Wählen dürfen auchLeiharbeiter, die dort längerals drei Monate eingesetztwerden (§ 7 BetrVG).Langes Herantasten bei den MonatsgesprächenZwar gab es nun monatliche Gespräche zwischen der Arbeitnehmervertretung und der Geschäftsführung,aber diese verliefen konfrontativ. „Die Chefs wussten nicht, wie sie mit uns umzugehen hatten,und wir wussten nicht, wie wir auf sie reagieren sollten und was wir fordern konnten“, bilanziert derBetriebsratsvorsitzende. „Die Herren waren noch lange der Meinung, dass sie alleine das Sagen haben“,ergänzt Leo Bender. Bis zum Ende der ersten Legislaturperiode habe es gedauert, bis ein konstruktiverAustausch möglich war und sowohl Betriebsrat als auch Arbeitgeber auch außerhalb der Monatsgesprächeüber Probleme sprechen konnten. „Das hat sich eingespielt“, sagt Görres. „Der Umgangstonder Vorgesetzten gegenüber der Belegschaft änderte sich rapide. Da haben wir keine Probleme mehr.“Die Kollegen honorierten ihre Anstrengungen: Bei der Betriebsratswahl 2014 wurde der alteBetriebsrat wiedergewählt. Weil sich diesmal auch die 83 Leiharbeiter beteiligen durften, war dieZahl der Wahlberechtigten auf 144 gestiegen. Das Betriebsratsgremium wuchs auf sieben Personenund es wird professioneller: „Wir haben uns eine Geschäftsordnung gegeben und Ausschüsse fürArbeitssicherheit, Personalfragen und die Monatsgespräche gegründet“, berichtet der wiedergewählteVorsitzende Görres. Zu tun gibt es noch genug. „Aber die großen Schritte haben wir am Anfanginnerhalb von ein paar Monaten gemacht“, resümiert Leo Bender. „Jetzt kommt die Zeit der kleinenSchrittchen.“10GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENMutmacher in harten Zeiten der Betriebsratsgründung:Dem Betriebsrat Thomas Neuhaus dienten die Fotos seinerFamilie und seines Großvaters, der selbst Gewerkschafter undBetriebsrat war, immer wieder als kleine Kraftquellen.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG12


Initiator Sebastian Schell (links), Betriebsrat Manfred Rudel: Einer macht den Anstoß, die anderen machen das Spiel.Mitsprache sichernim SauerlandDas kleine Kunststoffunternehmen Bond Laminates in Brilon wächst rasant und wird vom Global PlayerLanxess übernommen. Für die Mitarbeiter ein Schreck: Wie wird es als Tochter eines Großkonzerns weitergehenin dem Betrieb, in dem der Umgang zwischen Geschäftsführung und Belegschaft immer kollegialund familiär war? Sie beschließen, ihre Mitbestimmungsrechte durch einen Betriebsrat abzusichern.Sozial engagierte Chefs mit kurzem Draht zu ihren Mitarbeitern, Sommerfeste, Weihnachtsfeiern– Arbeiten bei Bond Laminates hieß immer Arbeiten in einer familiären Atmosphäre, sagendie Mitarbeiter. Der Hersteller von thermoplastischen Faserverbundstoffen für die AutomobilundSportartikelindustrie wurde 1997 in Brilon gegründet und begann mit zwei Geschäftsführern undgerade mal 15 Beschäftigten in einer angemieteten Halle. Eine sauerländische Erfolgsgeschichte. DerAbsatz entwickelte sich prächtig, die Zahl der Mitarbeiter stieg auf heute 90, man zog in einen eigenenFirmenkomplex um.Doch mit dem schnellen Wachstum entstanden auch Probleme. Neue Abteilungenkamen hinzu, in der Produktion fuhr man statt einer Schicht bald zwei, Probleme. Neue Abteilungen kamen hinzu,Mit dem schnellen Wachstum entstandendann drei und zuletzt vier Schichten. „Die Arbeitsabläufe und Zuständigkeiten in der Produktion fuhr man statt einerwurden unklar, und das führte bei uns zu Reibereien“, erzählen Produktionsmitarbeiter.„Wir wussten nicht mehr, wer verantwortlich ist, wenn etwas schiefläuft. Schichten. Die Arbeitsabläufe undSchicht bald zwei, dann drei und zuletzt vierEs hatte den Anschein, die Produktionszahlen müssten vorangetrieben werden, Zuständigkeiten wurden unklar, es gababer ein paar andere Sachen bleiben auf der Strecke.“Reibereien.Angst um die ZukunftDie Unruhe wuchs, als Bond Laminates 2012 an den Kölner Spezialchemie-Konzern Lanxess verkauftworden war. „Wir haben damals einen schönen Schreck bekommen und fragten uns, was so ein Großkonzernfür eine Politik hat und wie die mit den Leuten umgehen“, erzählt Betriebsrätin Brigitte Funke.Ihr Kollege Manfred Rudel erinnert sich an die vielen Fragen, die die Belegschaft bei der EingliederungGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG13


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENin den Global Player mit weltweit 16.700 Mitarbeitern und 8,3 Milliarden Euro Umsatz hatte: „Wie tiefwird dieser Konzern in die bestehenden Strukturen eingreifen? Fallen Sparten weg, werden Teilbereicheverlagert? Behalten alle ihre Jobs?“Ob die Gründung eines Betriebsrats das richtige Mittel sein könnte, um Antworten zu bekommenund im Alltag mehr mitzubestimmen, diskutierte die Belegschaft bald intensiv. Initiator warSebastian Schell: „Wir haben uns im Herbst 2013 mit vier, fünf Leuten in der Mittagspause zusammengesetztund überlegt, wie man die ersten Schritte einleitet.“ Die Gruppe hielt ihre Pläne gegenüber derFirmenleitung geheim, aber es war ihr wichtig, zuerst die Stimmungslage der Belegschaft abzufragen.Sie gingen mit Unterschriftenlisten herum, auf denen jeder unterschreiben konnte, der einer Betriebsratsgründungzustimmte. „Natürlich war das ein Risiko. Wenn einer das nicht fürDer Gruppe hielt ihre Pläne gegenüber sich behalten hätte …“, sagt Schell. Nicht alle Mitarbeiter waren mit der Vorgehensweiseeinverstanden, manche empfanden sie als Vertrauensbruch gegenüberder Firmenleitung geheim, aber es war ihrwichtig, zuerst die Stimmungslage dem Arbeitgeber. Manfred Rudel, heute stellvertretender Betriebsratsvorsitzender,stärkt den damaligen Aktivisten jedoch den Rücken: „Es war der einzig rich-der Belegschaft abzufragen. Sie gingen mitUnterschriftenlisten herum. tige Weg. Man wusste ja nicht, wie die Arbeitgeber reagieren.“Betriebsleiter ermuntern zur WahlSebastian Schell streckte die Fühler in Richtung des Gesamtbetriebsrats von Lanxess aus, der ihn andie IG BCE verwies. Erste Tipps bekam er von seiner Mutter, die Betriebsrätin in einem anderen Unternehmenist. Essenziell war für ihn während der Gründungsphase aber die enge Begleitung durch KlausWeiß und Michael Nußbaum von der IG BCE. „Wir mussten alles von der Pike auf lernen“, erklärt er.Kurz bevor das Wahlausschreiben ausgehängt wurde, erfuhren die Betriebsleiter von der bevorstehendenBetriebsratswahl. „Sie wären gerne vorher in Kenntnis gesetzt worden, legten aber weder uns nochder Gewerkschaft Steine in den Weg“, erzählt Manfred Rudel. „Sie haben uns sogar aufgefordert, zurWahl zu gehen“, ergänzt Brigitte Funke, die im Wahlvorstand saß.Die Resonanz war beeindruckend: Es gab auf Anhieb zehn Kandidaten für den Wahlvorstand,zwölf ließen sich zur Wahl des fünfköpfigen Gremiums aufstellen und über 94 % gaben ihre Stimme amWahltag im Mai 2014 ab. Ein enger Kontakt zum Gesamtbetriebsrat von Lanxess sei seither entstanden,erzählt Manfred Rudel. Schon während der Wahl half ein Kollege des Gesamtbetriebsrats, inzwischennimmt Rudel an Konzern- und Gesamtbetriebsratssitzungen bei Lanxess teil und schätzt es, dort kundigeKontakte für alle Fragen zu finden.Betriebsvereinbarungen:Der Betriebsrat kann mitdem Arbeitgeber in allenFragen, die der gesetzlichenMitbestimmungunterliegen, Verträgeschließen, beispielsweiseRegelungen zur Kurzarbeitoder Urlaubsplanung(§ 87 BetrVG).Erste Bewährungsprobe: Kurzarbeit regelnDas neu gewählte Gremium setzte sich gleich nach der Stimmenauszählung zusammen, wählte denersten Vorsitzenden Adrian Kopytziok, den Vertreter Manfred Rudel und den Schriftführer ThomasNeuhaus. Sie fassten erste Beschlüsse, teilten untereinander die Zuständigkeiten auf. Jeden Monat trifftsich der komplette Betriebsrat jetzt mit dem Arbeitgeber.Sich ruhig einzuarbeiten war den Gewählten nicht vergönnt: Kaum ein paar Wochen im Amt,mussten sie eine Regelung für Kurzarbeit aushandeln. „Das war ein schweres Stück Arbeit“, betontManfred Rudel. „Wenn du als Neuling davorstehst, weißt du ja nicht, was du in eine Betriebsvereinbarungalles reinpacken sollst. Du willst ja deine Kollegen schützen und musst viele Punkte klären.Zum Glück haben uns der Gesamtbetriebsrat von Lanxess und die Gewerkschaft unterstützt und wirkonnten eine gute Vereinbarung treffen.“Initiator Sebastian Schell ist nicht in den Betriebsrat gewählt worden. Trotz der Enttäuschungdarüber zieht Schell ein positives Resümee seines Engagements: „Ich bin sehr zufrieden, dass es einenBetriebsrat gibt. Man kann keine Wunder erwarten, denn so ein Gremium muss sich erst mal einarbeiten.Aber für das, was sie bisher geleistet haben: Hut ab!“14GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Wollten die gute Arbeitsatmosphäre erhalten und mehr Mitbestimmung erreichen:(von links) Initiator Sebastian Schell, Olga Böhm (Betriebsrätin Soziales), Manfred Rudel (stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Arbeitsschutz/Entgeltfragen), Thomas Neuhaus (Betriebsrat Schriftführer, Sicherheitsbeauftragter), Brigitte Funke (Betriebsrätin Soziales).Was wir für die Betriebsratsgründung raten:1.2.3.Vor der Wahl Stimmungsbild in der Belegschaft abfragen. Aber nur, wenn man sich sichersein kann, dass die Geschäftsleitung nicht davon erfährt.Auch kollegiale und sozial agierende Geschäftsleitungen erst in die Pläne einweihen,wenn gesetzlicher Kündigungsschutz für die Initiatoren besteht.Bei Übernahme: engen Kontakt zu bereits bestehenden Betriebsräten der Konzernmutter halten,deren Erfahrung und Kompetenz vor allem zu Beginn bei eigenen Verhandlungen nutzen.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG15


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDEN»Erfolgreiche Initiatorenbei schwelenden Konflikten können jene sein,die im Betrieb etabliert sind undein Netzwerk in der Belegschaft haben.«16GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Dr. Rosemarie Kay und Dr. Nadine Schlömer-Laufen, Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn»Jeder wägt Pro undKontra für sich ab«Was dahintersteckt, wenn es in kleinen oder mittleren Unternehmen zu einer Betriebsrats gründungkommt, haben Dr. Rosemarie Kay und Dr. Nadine Schlömer-Laufen vom Bonner Institut fürMittelstandsforschung untersucht. Ein Gespräch über Gründe von Gründungen, Kosten und Nutzenund was die richtigen Personen am richtigen Platz zur richtigen Zeit bewirken können.In welchen Situationen entwickeln die Beschäftigten kleiner und mittlererBetriebe die Idee, eine Interessenvertretung zu wählen?Nadine Schlömer-Laufen: Auslöser sind häufig wesentliche Veränderungen und Konflikte, wie beispielsweiseStreit bei Lohnverhandlungen oder der Wunsch, im Falle von Entlassungen bei denSozialplänen mitreden zu können. Es kommt auf der anderen Seite auch vor, dass die überaus positive Entwicklungeines Unternehmens der Auslöser ist. Gerade wenn eine Firma sehr schnell expandiert, funktionierenhäufig die informellen Strukturen, die es anfangs in diesen Betrieben gab, nicht mehr. Wenn dannInformation und Beteiligung der Belegschaft durch die Geschäftsführung nur noch willkürlich erfolgen,entsteht schnell der Wunsch nach einem Betriebsrat.»In der Regel ging es um Meinungs -Welche charakteristischen Typen von Betriebsratsgründungen verschiedenheiten mit der Geschäftsführunghaben Sie in Ihrer Forschung herausarbeiten können?oder um das Handling von wirtschaftlichenSchlömer-Laufen: Wir fanden fünf Gruppen: Die häufigsten Gründungstypen Krisensituationen. Manchmal war auch dassind die Konflikt- und die Krisengründungen. Die anderen drei kommen seltener Gegenteil der Auslöser. In diesen Fällenvor. Zu diesen gehören die „Wende-Betriebsratsgründungen“ im Osten, die häufig lief die Firma sehr gut und expandierte schnell.auf Initiative der Gewerkschaften und in der Regel sogar mit Unterstützung der Aber dadurch funktionierten informelleGeschäftsführung initiiert wurden. Außerdem gibt es Wiederherstellungsgründungen,die infolge von Ausgründungen eines Betriebsteils entstehen. In diesemStrukturen nicht mehr.«Fall führen Geschäftsführung, Belegschaft und zuständige Gewerkschaften die gewohnte Mitbestimmungsstrukturfort. Schließlich gibt es noch die Egoistengründungen. Das sind Initiativen von einzelnenArbeitnehmern, die das Projekt Betriebsrat völlig alleine durchziehen wollen, egal, was der Rest derGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG17


Belegschaft davon hält. Es schließen sich also drei Menschen zusammen, die laut Betriebsverfassungsgesetzfür die Gründung notwendig sind. Dabei informieren sie zunächst weder ihren Kollegen überihre Initiative noch die Geschäftsführung. Stattdessen versuchen sie, die Wahl alleine durchzusetzen.Häufig sind neue Mitarbeiter die treibenden Kräfte.Sie vermuten, dass es vor jeder Betriebsratsgründung eine Kosten-Nutzen-Analyse der Mitarbeiter gibt. Wie ist das gemeint? Was sind in diesem Sinne dieKosten, was ist der Nutzen?Schlömer-Laufen: Letztendlich muss sich jeder entscheiden, ob er sich für eine Betriebsratsgründungeinsetzt oder nicht. Er wägt Pro und Kontra dafür ab: Wenn ich einen Betriebsrat initiiere, muss ichmich eigentlich auch zur Wahl aufstellen lassen. Das kostet mich Freizeit. Unter Umständen muss ichmich vor meinen Kollegen und der Geschäftsführung für diese Initiative rechtfertigen und gerate inKonflikt mit diesen. Schließlich muss ich in der Belegschaft Werbung für meine Idee machen. Nichtjeder hat dazu Lust.Rosemarie Kay: Man muss sich vorher auch gut überlegen, was das Engagement im Betriebsrat für dieeigene berufliche Karriere bedeutet. Dies gilt nicht unbedingt nur im Hinblick darauf, dass ein Arbeitgeberjemanden später wegen des Engagements diskriminieren könnte. Wenn man jedoch längere Zeitfür die Betriebsratsarbeit freigestellt war und seinen eigentlichen Job nicht mehr gemacht hat, verliertman den Anschluss. Gerade in großen Unternehmen wird die Arbeit im Betriebsratzum Beruf. In kleineren Betrieben sieht das anders aus, weil es hier keine frei-»Wenn ich jeden Tag mit Bauchgrummeln zurArbeit gehe, weil im Betrieb jeder genervt oder gestellten Betriebsräte gibt. Stattdessen wird man sich die Frage stellen: Wie kriegeunglücklich ist, ist das schwerwiegend. ich das alles unter einen Hut, ohne dass meine eigentliche Arbeit darunter leidet?Das Gefühl nimmt man ja mit nach Hause,trägt daran auch in seiner Freizeit. Endlich eine Was schlägt denn besonders auf der Nutzen-Seite zu Buche?Möglichkeit zu sehen, das zu verändern, Schlömer-Laufen: Besonders sicherlich die Chance, eine störende Situation zuist ein starkes Argument für den Betriebsrat.« überwinden: Wenn ich jeden Tag mit Bauchgrummeln zur Arbeit gehe, weil imBetrieb schlechte Stimmung herrscht oder viele Kollegen unglücklich sind, ist dasbelastend. Das Gefühl nimmt man ja mit nach Hause, trägt daran auch in seiner Freizeit. In der Betriebsratsgründungsehen daher viele eine Möglichkeit, einen solchen Zustand zu verändern.Ist es entscheidend für eine erfolgreiche Gründung, dass die richtigen Leute zurrichtigen Zeit am richtigen Ort sind?Schlömer-Laufen: Ich denke schon. Die Initiatoren sollten auch Erfahrung mit der Betriebsratsarbeithaben. In jedem Betrieb, den wir analysiert haben, gab es unter ihnen mindestens einen, der Gewerk-18GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENschaftsmitglied oder ehemaliger Betriebsrat war – oder die Betriebsratsarbeit zumindest durch die Familie,Freunde, den Partner schon kannte.Kay: Ich denke, bei Konfliktgründungen wird es diese zentralen Personen brauchen – generell hingegennicht. Wenn der Auslöser eine wirtschaftliche Krise ist, gibt es so viel Druck, dass auch ohne einesolche zentrale Person etwas passiert. Erfolgreiche Initiatoren bei schwelenden Konflikten können jenesein, die im Betrieb etabliert sind und ein Netzwerk in der Belegschaft haben. Jemandem, der am Randesteht, wird es dagegen nicht gelingen, die ausreichende Anzahl von Mitstreitern für die Wahl zu gewinnenund so den nötigen Rückhalt zu bekommen. Die Massen folgen nicht den Außenseitern. Es mussschon jemand sein, dem Kollegen und Kolleginnen Vertrauen entgegenbringen. Außerdem müssen sieihm zutrauen, dass er die Wahl umsetzt und später einen guten Job als Betriebsratmacht.»Jemandem, der am Rande steht,wird es nicht gelingen, die ausreichendeOft ist das Management wenig begeistert, wenn Betriebsräte Anzahl von Mitstreitern für die Wahlgegründet werden. Welche positiven Effekte für eine Geschäftsführunggibt es denn, wenn ein Betriebsrat sich etabliert? bekommen. Die Massen folgen nichtzu gewinnen und den nötigen Rückhalt zuSchlömer-Laufen: Ein wesentlicher positiver Effekt ist, dass Informationen dadurchgebündelt werden: Wenn ich beispielsweise Kurzarbeit einführen möchte,den Außenseitern.«kann ich mit einem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung darüber treffen. Gibt es dieses Organ nicht,muss ich mit jedem einzelnen Arbeitnehmer darüber verhandeln. Auf der anderen Seite profitiert dieGeschäftsführung auch, da sie durch das Gremium gebündelt über all das informiert wird, was dieMitarbeiter beschäftigt.Kay: Auch bei schwierigen Entscheidungen ist es schön, einen Betriebsrat zu haben. Mit ihm verhandeltman eine Lösung, die er wiederum der Belegschaft verkauft. Das hilft, Konflikte nicht hochkochen zulassen. Außerdem fällt es der Geschäftsführung leichter, neue Mitarbeiter zu finden, denn viele Bewerbersehen es als ein gutes Zeichen an, wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt. Vielleicht wissen sieauch, dass Betriebe mit einem Betriebsrat tendenziell besser zahlen als andere Unternehmen. Außerdemist dort nachweislich die Anzahl der arbeitgeber- und arbeitnehmerseitigen Kündigungen geringer.Expertinnen für KMUDie Rolle der Belegschaften bei „Betriebsratsgründungen in kleinen und mittlerenUnternehmen (KMU)“ untersuchtenDr. Nadine Schlömer-Laufen und Dr. RosemarieKay vom Institut für Mittelstandsforschung(IfM) Bonn. Hintergrund der vonder Hans-Böckler-Stiftung gefördertenForschungsarbeit war die Tatsache, dassBetriebsräte in KMU stark unterrepräsentiertsind, obwohl das Betriebsverfassungsgesetzin Betrieben ab fünf BeschäftigtenBetriebsräte möglich macht. Neu war dieHerangehensweise an die Problematik ausArbeit nehmersicht. An der Fallstudie haben22 mittelständische Unternehmen teilgenommen,neben den Managern standen Beschäftigteund Betriebsräte den ForscherinnenRede und Antwort. Dr. Rosemarie Kay iststellvertretende Leiterin des IfM Bonn,Dr. Nadine Schlömer-Laufen Projektleiterin.(Bezugsdaten der Studie: Siehe Seite 55)GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG19


Warten auf Investitionen: (von links) Tarik Demirci,Andreas Siegel, Thorsten und Jeannine Burger.20GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENSpezialist aus Nordbayern: TK Industries stellt Flächentextile aus Karbonfasern her.Auf Augenhöhe mit derjapanischen MutterAls der Konzern Mitsubishi Rayon aus Tokio den bayerischen Kleinbetrieb TK Industries kaufte,einen Spezialisten für die Herstellung von Kohlestofffasergelegen, keimte in der Belegschaft dieHoffnung auf Investitionen, bessere Arbeitsbedingungen und sichere Jobs. Aber der erhoffte Schubblieb aus, ebenso wie Informationen über Zukunftspläne. Die Belegschaft beschloss, sich bei derschweigsamen Konzernmutter durch einen Betriebsrat vertreten zu lassen.Andreas Siegel steht in einer gähnend leeren Industriehalle im nordbayerischen Selbitzund macht eine ausladende Bewegung mit dem Arm: „Das hier ist der Grund dafür, warumwir einen Betriebsrat gewählt haben“, sagt er verärgert. Die riesige verwaiste Halleist für ihn das Symbol für den Investitionsstillstand, den die TK Industries GmbH erlebt, seit derKonzern Mitsubishi Rayon Co. Ltd aus Tokio sie Ende 2012 gekauft hat. „Seitdem versprechenuns die Japaner, dass sie hier investieren – aber das tun sie nicht“, berichtetSiegel. Bis heute arbeiten er und die anderen sieben Mitarbeiter der Spezialfirmafür die Herstellung von Kohlenstofffasergelegen unter beengten Be-Siegel steht in einer leeren Halle undmacht eine ausladende Bewegung:dingungen in einer kleinen Halle auf der gegenüberliegenden Straßenseite.»Das hier ist der Grund dafür, warum wireinen Betriebsrat gewählt haben«, sagt er.Das Geschäft läuft super – und das ist das ProblemDabei läuft das Geschäft prächtig, erzählt Siegel. „Wir müssen sogar Aufträgeablehnen, weil wir in der alten Halle nur eine Maschine für die Produktion haben und diese ausgelastetist.“ Die Firma hat zwar seit gut einem Jahr die modern ausgestattete große Halle, aber dorthinumziehen kann sie nicht. Zu zeitaufwendig wäre es, die einzige Maschine ab- und wieder aufzubauen,zu lange müsste man die Produktion für Stammkunden unterbrechen. „Deshalb ist unsere Idee,eine zweite Maschine zu kaufen und sie zuerst in der neuen Halle zu installieren“, beschreibt Siegel.So liefe die Produktion ohne Unterbrechung weiter, und man könnte die alte Maschine in aller Ruheab- und am neuen Standort wieder aufbauen. Aber der neue Besitzer aus Japan – 9.000 Beschäftigte,GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG21


Andreas Siegel: kennt dieBetriebsratsarbeit auch von der anderenSeite des Schreibtischs.5,4 Milliarden Jahresumsatz – hat zwar die Räume angemietet, aber seit 2013 die Investition ineine neue Maschine gescheut.TK Industries wurde 2008 gegründet. Andreas Siegel stieß als Buchhalter und Controllerdazu, nachdem der Gründer seine Firma 2012 an Mitsubishi Rayon verkaufte. Die Übernahme sahSiegel als Chance: „Es macht ja Sinn: Mitsubishi stellt das Rohkarbon her, wir verarbeiten es zu einemFlächentextil weiter und liefern in die deutsche Wirtschaft.“ Aber als nach ein paar Monaten nochimmer keine Investitionen erfolgt waren, wurden die Mitarbeiter unruhig. Sie fürchteten um ihreArbeitsplätze und sie monierten die extrem beengten Arbeitsbedingungen. In der Produktion fehlenAbzugsanlagen für den Karbonstaub, rückenschonende Hebehilfen, ordentliche WC-Anlagen undein angemessener Aufenthaltsraum.Organisationsgrad: 100 %Einer-Betriebsrat: Die Mitarbeiter diskutierten und entschieden sich dafür, einen Betriebsrat zu gründen, der ihreIn Firmen mit fünf bis Interessen gebündelt gegenüber der japanischen Geschäftsführung vertritt. Andreas Siegel wurde20 wahlberechtigtenWortführer und suchte als Erstes den Kontakt zur IG BCE, um mit ihrer Hilfe die Wahl vorzubereiten.„Zuvor war niemand von uns in der Gewerkschaft, aber wir sind vor der Wahl alle eingetreten“,Beschäftigten bestehtder Betriebsrat in der Regelnur aus einer Person, ab erzählt der gebürtige Sachse, der viele Jahre in Unternehmen in England und Asien gearbeitet hatte.21 steigt die Zahl auf drei Betriebsratsarbeit kannte der ehemalige Prokurist und Geschäftsführer bis dahin nur von der anderenSeite des Schreibtischs: „Ich wusste, dass es dort ein schönes Arbeiten ist, wo es Betriebsräte gibtBetriebsratsmitglieder usw.Je größer die Belegschaft,desto größer das Gremium und Betriebsvereinbarungen vorliegen. Die Beschäftigten sind besser informiert, haben mehr Einflussmöglichkeiten.“(§ 9 BetrVG).Bei der Wahl im Juli 2014 wurde Andreas Siegel zum Betriebsrat gewählt, das Gremium bestehtaufgrund der Betriebsgröße von unter 21 Mitarbeitern bei TK Industries nur aus einer Person. Kurznach der Wahl traf er sich mit der Schützenhilfe von zwei Gewerkschaftern zur ersten Sitzung mitden beiden Geschäftsführern für technische und administrative Fragen. Dem aus Japan nach Düsseldorfentsandten Geschäftsführer für Administratives, der einmal im Monat inDie Mitarbeiter diskutierten und entschiedenSelbitz vorbeischaut, seien die Mitbestimmungsrechte und die Rolle der Industriegewerkschaftenin Deutschland unbekannt gewesen, erzählt Siegel. „In Japansich dafür, einen Betriebsrat zu gründen,der ihre Interessen gebündelt gegenüber der werden die Vereinbarungen nur zwischen einem Betriebsrat und der Geschäftsleitunggemacht.“ Der Manager habe sich zuerst dagegen gewehrt, mit der Ge-japanischen Geschäftsführung vertritt.werkschaft zusammenzuarbeiten und deren Unterstützung für den werdendenBetriebsrat zuzulassen, und brachte eine Anwältin zu den ersten Gesprächen mit. „Wir haben ihm aberklargemacht, dass das hier üblich ist und ich diese Hilfe brauche, um etwas als Betriebsrat auf die Beinezu stellen. Inzwischen haben wir ein arbeitsfähiges Verhältnis, was besser wird.“GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG22


WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENMit der Kultur der langen Entscheidungswege umgehenAndreas Siegel kämpft seither für die Punkte, die der Belegschaft am Herzen liegen: Er forderte Hebehilfen,Absauganlagen, Erleichterungen für die Verpackung durch die Anschaffung von Kränen undinsgesamt mehr Platz für die Arbeit, teilweise bereits mit Erfolg. Bald will er auch über Tariflöhneverhandeln. Besonders dringlich bleibt die Forderung nach Investitionen, damit der Umzug endlichgeschehen kann. Aber Andreas Siegel weiß um die Kultur in japanischen Unternehmen: „Die JapanerSymbole des Stillstands: Die neueHalle von TK Industries ist reich an Stillleben,aber gearbeitet wird dort noch nicht.Der Betriebsrat hofft, das bald zu ändern.sind in ihren Entscheidungen sehr zurückhaltend, Informations- oder Entscheidungsprozessedauern lange. Es ist für uns als kleine Firma hier in DeutschlandDer Manager hatte sich zuerst dagegen gewehrt,nicht immer zu verstehen, was in einer Administration mit 400 Leuten und vielenmit der Gewerkschaft zusammenzuarbeitenHierarchieebenen in Tokio passiert.“und deren Unterstützung für den werdendenDie beste Möglichkeit, seine Interessen gegenüber einer ausländischen Geschäftsleitungwahrzunehmen, sei jedenfalls ein Betriebsrat, findet Siegel. „DannBetriebsrat zuzulassen.kann man als gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe sagen, wir möchten gerne wissen, was geplantist und wie es weitergehen soll. Ohne den Betriebsrat haben die Beschäftigten keine Chance, irgendwasdarüber zu erfahren.“ Siegel hat sich vorgenommen, immer im Blick zu behalten, was die Interessen,Ängste und Bedürfnisse der Belegschaft sind: „Was möchten sie gerne über den Betrieb wissen, was sollsich verbessern? Daraus ergibt sich, was man als Betriebsrat zu tun hat.“Was wir für die Betriebsratsgründung raten:1.2.3.Als Betriebsrat immer die Ängste, Interessen und Bedürfnisse der Belegschaft im Blickbehalten und die eigene To-do-Liste danach ausrichten.Ausländische Geschäftsleitungen über die deutsche Mitbestimmungskultur und die Rolle undRechte von Betriebsräten und Gewerkschaften aufklären.Wenn es an wesentliche Verhandlungsthemen geht: auf einen Dolmetscher bestehen und nichtversuchen, mit möglicherweise beiderseitig bescheidenen Englischkenntnissen zu verhandeln.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG23


Von der Idee bis zum Wahltag durchläuft eine Betriebsratsgründung typische Phasen, von deneneinige extreme Verschwiegenheit und andere hohe Kommunikationsbereitschaft erfordern.Vor allem, wenn Arbeitgeber den Wunsch ihrer Mitarbeiter nach Mitbestimmung bekämpfen,müssen Initiatoren sehr besonnen vorgehen, um deren Jobs nicht zu gefährden.Ein Kapitel über kluge Strategien und wichtige Bündnisse.24GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


VON DER ERSTEN IDEEWIE MAN SICH SCHRITT FÜR SCHRITTBIS ZUR WAHL:AN EINE BETRIEBSRATSWAHL HERANTASTETPHASEN DER BETRIEBS-UND WARUM ES GUT IST, DABEIRATS GRÜNDUNGGEWERKSCHAFTEN AN DER SEITE ZU HABENGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG25


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG»Man muss Verschwiegenheit wahren. WennBetriebsratsgründungen scheitern, dann oftdeshalb, weil die Pläne zu früh bekanntwurden, noch keinerlei Kündigungsschutzfür die Initiatoren existierte und dieGeschäftsleitung die Leute bedrängt hat.«26GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Prof. Dr. Ingrid Artus, Clemens Kraetsch: Vertrauenswürdige Mitstreiter suchen.»Manchmal muss mansich warm anziehen!«Eine Betriebsratsgründung hat drei charakteristische Phasen: In der Latenzphaseschmieden Aktivisten im Geheimen ihren Plan. Nach dem Wahlausschreiben folgt die anstrengendeFormierungsphase. Die Lehr- und Wanderjahre des neu gewählten Gremiums markiert dieKonstituierungsphase. Prof. Dr. Ingrid Artus, Dr. Silke Röbenack und Clemens Kraetsch von derUni Erlangen-Nürnberg erklären, worauf man in den verschiedenen Phasen achten sollte.Sie haben sich in einer Studie intensiv mit den Ursachen und Spielarten vonBetriebsratsgründungen befasst. Wann geht eine Betriebsratsgründung schnellund was kann dazu führen, dass sie sich sehr lange hinzieht?Ingrid Artus: Wichtig ist, ob es eine Ereignisgründung ist oder eine Gründung, die aufgrund von einemlangfristigen Leiden entsteht. Am schnellsten gründen sich Betriebsräte, wenn ein einschneidendesEreignis eintritt, das eine gute betriebliche Sozialordnung stark verändert. Wenn es den Beschäftigtensofort einleuchtet, dass sie dem etwas entgegensetzen müssen. Das sind häufig wirtschaftliche Krisen,der Verkauf des Unternehmens oder ein Managementwechsel. Wenn dann die bisherigen informellenInteressenvertreter, etwa Vertrauensleute, den Betriebsrat in die Wege leiten, steht die Belegschaft mitgroßer Wahrscheinlichkeit hinter ihnen. Das ist eine Konstellation, die relativ schnell klappt.Als besonders schwierig beschreiben Sie dagegen die Gründung in Betriebenmit chronischen Problemlagen und prekär bezahlten Jobs – in Callcentern, in derAltenpflege, in Hotels oder im Catering.Artus: Ja, da haben wir die Fälle des längsten Leidens, wenn man so will. In »Am schnellsten gründen sich Betriebsräte,diesen Bereichen gibt es teilweise ganz niedrige Löhne, oft furchtbare Arbeitsbedingungen,und die Arbeitszeit wird willkürlich angeordnet. Man erhält keinen das eine gute betriebliche Sozialordnung starkwenn ein einschneidendes Ereignis eintritt,Respekt, keine Anerkennung als Person. Eine Betriebsratsgründung liegt nahe. verändert. Wenn es den Beschäftigten sofortDer Hauptgrund, warum sie trotzdem nicht passiert, ist Angst. Manchmal stoßeneinleuchtet, dass sie dem etwas entgegensetzenmüssen.«GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG27


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGDr. Silke Röbenack: Lösungsorientiert denken.Initiativen für eine Betriebsratsgründung auf massive Repression oder es gibt Entlassungen. Dann hältman eben lieber den Mund. Das geht oft jahrelang und jeder weiß, dass es im Grunde einen Betriebsratbräuchte. Aber abgesehen von der Angst sind die Beschäftigten auch oft ziemlich vereinzelt, weil siesehr flexible Arbeitszeiten haben, es eine hohe Fluktuation gibt und man nicht dauerhaft miteinanderarbeitet. Oft ist auch die Randbelegschaft mit Aushilfskräften und Leiharbeitern größer als die Stammbelegschaft.Es ist schwierig, sich da kollektiv zu finden und zu sagen: Gemeinsam sind wir stark undjetzt gründen wir einen Betriebsrat.Welche Voraussetzungen müssen denn erfüllt sein, damit die dauerndeUnzufriedenheit zu einer Betriebsratsgründung führt?Silke Röbenack: Im Grunde muss es eine kleine Gruppe von Personen geben, die erkennt: Etwas istnicht in Ordnung, aber wir können uns dagegen wehren. Manchmal braucht es auch eine Person, dieneu in das Unternehmen hineinkommt und sagt: Was lasst ihr euch eigentlich alles gefallen? Es mussdas Bewusstsein vorherrschen, dass es eine Lösung gibt. Die Leute machen etwas»Man darf sich nicht verraten,lange mit, wenn sie das Gefühl haben, dass sie sowieso nichts ändern können. Erstnicht durch Äußerungen auffallen und muss wenn jemand aufzeigt, dass ein Betriebsrat die Lösung ist, kann das eine Initialzündungsein. Es braucht dafür Personen aus der Mitte der Belegschaft, die mutiggleichzeitig möglichst breit im UnternehmenKontakt zu anderen Personen aufnehmen, und kompetent genug sind, das zu erkennen und zu initiieren.zu denen man Vertrauen hat. Man fragtsich ständig, ob eine Person vertrauenswürdig Sie haben bei Ihren Forschungen die einzelnen Phasen einerist und man sie einbeziehen kann.« Betriebsratsgründung ausgearbeitet. Was ist charakteristischfür die erste Zeit, die sogenannte Latenzphase?Artus: Da bildet sich der Kern der Initiatoren und arbeitet die Idee einer Betriebsratsgründung aus.Man klärt erst mal untereinander, was man eigentlich will, ob man sich das wirklich traut und was dasfür Konsequenzen haben kann. Das ist ein diskursiver Schonraum, den man unbedingt wahren muss.Auch, damit die Geschäftsleitung nicht schon früh reagieren kann. Man spricht darüber hinaus dieGewerkschaft und zuverlässige Leute im Betrieb an, um Mitstreiter zu finden.Was ist in dieser ersten Zeit besonders wichtig für den späteren Erfolg?Artus: Dass die Latenzphase auch latent bleibt. Man muss echte Verschwiegenheit wahren. WennBetriebsratsgründungen scheitern, dann oft deshalb, weil die Pläne zu früh bekannt wurden, nochkeinerlei Kündigungsschutz für die Initiatoren existierte und die Geschäftsleitung die Leute bedrängtoder entlassen hat. Es ist auch nicht gut, wenn es zu früh betriebsöffentlich wird und die falschenLeute fangen an, mitzudiskutieren. Also zum Beispiel der direkte Vorgesetzte. Der kann die Diskus-28GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


sionen in einem frühen Stadium massiv beeinflussenund sogar abtöten. Auf der anderen Seite fangen gradeim Industriebereich die Aktivisten schon in dieserPhase auch an, Gewerkschaftsmitglieder zu sammelnund sich zu organisieren. Das kann eine Form sein, sicheiner wechselseitigen Solidarität zu versichern und zuwissen, wer hinterher dabei sein wird.Röbenack: Uns wurde von einer großen Anspannungin dieser Zeit berichtet: Man darf sich nicht verraten, Clemens Kraetsch: Unbedingt ins Wahlvolk gehen.nicht durch Äußerungen auffallen und muss gleichzeitigmöglichst breit im Unternehmen Kontakt zu anderen Personen aufnehmen, zu denen manVertrauen hat. Man fragt sich ständig, ob eine Person vertrauenswürdig ist und man sie einbeziehenkann. Oder hat Bedenken, dass man an die falschen Leute gerät, die möglicherweise dem Managementetwas zutragen.Die zweite Phase dauert von dem Moment, in dem die Idee im Betrieb öffentlichwird, bis zur Betriebsratswahl. In dieser „Formierungsphase“ entbrenntim Betrieb die Diskussion um einen Betriebsrat und die Kandidaten führenWahlkampf. Was gilt es da zu beachten?»In der Belegschaft fängt spätestens die Diskussionan, wenn zur Wahl des WahlvorstandesArtus: Eine interessante Frage ist, wer zu der Betriebsversammlung einlädt,die den Wahlvorstand wählt – und das ist ganz unterschiedlich. Mehrheitlichist es die Gewerkschaft, also niemand aus dem Betrieb. Aber wir hatten auch eingeladen wird. Die Aktivisten müssennicht wenige Fälle, wo die Beschäftigten oder manchmal auch ein Gesamtbetriebsratsich getraut haben, zur Wahl einzuladen. Es zeigt größeres Selbstbe-Gesprächen am Arbeitsplatz. Man kann nichtsich dem stellen, auch in Tür-und-Angelwusstsein,wenn man es selber macht – und eine geringere Bedrohungssituation.In den prekären Dienstleistungsbereichen ist es oft die Gewerkschaft, und dann nicht mehr kommunizieren.«sagen, wir möchten einen Betriebsrat gründen,die einlädt.Röbenack: Es geht in dieser Phase eine innerbetriebliche Diskussion um die Betriebsratswahl los, dieganz unterschiedlich verläuft. Wenn einem Betrieb etwa eine Insolvenz droht, sind in der Regel sofortalle dafür und ziehen gemeinsam die Betriebsratswahl durch. Aber dort, wo die Belegschaft nichtunmittelbar einsieht, was ein Betriebsrat bringt, fragen die Beschäftigten kritisch nach: Brauchen wirdas überhaupt? Was kostet das? Was nimmt uns das an individuellen Verhandlungsmöglichkeitenweg? Da müssen die Initiatoren und Initiatorinnen ganz deutlich machen, was das Plus des Betriebsratesist und was er leisten kann.Clemens Kraetsch: Diejenigen, die sich in der Latenzphase am besten strategisch vorbereitet haben,machen in der zweiten Phase richtigen Wahlkampf. Sie sind strategisch aktiv, besetzen außerhalb desBetriebs einen Infostand, sorgen für eine Beratung durch den Gewerkschafts sekretär, sprechen Teileder Belegschaft an, die sie noch kaum kennen. In der Belegschaft fängt spätestens die Diskussion überdie Notwendigkeit eines Betriebsrats an, wenn zur Wahl des Wahlvorstandes eingeladen wird. DieAktivisten müssen sich dem stellen, auch in Tür-und-Angel-Gesprächen am Arbeitsplatz. Sie solltenauf alle Fälle ins Wahlvolk gehen. Man kann nicht sagen, wir möchten einen»Es kommen öfters Desinformations kampagnenBetriebsrat gründen, und dann nicht mehr kommunizieren. Das würde in denmeisten Fällen die Gründungsinitiative abwürgen, weil dann das Managementvor. Da erzählt die Geschäftsleitung Dingeagieren und Sachen behaupten kann, ohne dass die Initiatoren Paroli bieten. über die Betriebsratsgründung, die gelinde gesagtAußerdem müssen diejenigen, die sich öffentlich dazu bekannt haben, einen Betriebsratgründen zu wollen, es aushalten, dass sie in dieser Zeit zu persönlichen Phase mit Verleumdungen rechnen und sichnicht objektiv sind. Man muss in dieserGesprächen zum Vorgesetzten oder Betriebsleiter geholt werden.warm anziehen.«GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG29


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGHaben Sie erfahren, wie diese Gespräche ablaufen? Bietet das Management daden Initiatoren etwas an, damit sie ihre Pläne begraben?Artus: Das versuchen die Vorgesetzten in der Latenzphase, aber in der Formierungsphase nichtmehr. Wenn die Wahlversammlung stattgefunden hat, ist es dafür zu spät. Aber man wird schonnoch unter Druck gesetzt, oft in Gesprächen mit mehreren Vorgesetzten gleichzeitig. Für manche,gerade in repressiven Betrieben, ist die Zeit vor der Betriebsratswahl eine enorme Belastung.Es sind ja mindestens die drei Menschen bekannt, die den Wahlvorstand»Oft wird vergessen, dass für den Erfolg auchbilden. Dann warten die Vorgesetzten auch, dass ein oder zwei davon in Urlaubsind, um dann Dritte fertigzumachen. Auch das muss man als Aktivistein stabiles privates Umfeld nötig ist.Man braucht Freunde und Familie, die einen durchstehen.unterstützen. Man hat über Wochen Kraetsch: Wenn sie merken, dass man die Gründung als solche nicht mehr aufhaltenkann, wird nicht mehr mit Kündigung gedroht, sondern man wird persön-hin eine hohe psychische Belastung und da istes wichtig, dass man einfach ein Umfeld lich. Sie fragen: Warum hast du das überhaupt nötig? Oder sie sagen: Passt schon,findet, das einen stützt.« aber lasst die Gewerkschaft draußen! Das Spektrum der Versuche, noch irgendwieEinfluss zu nehmen, ist weit.Was ist der wichtigste Rat für die Formierungsphase?Artus: Viel reden.Kraetsch: Ja, und zwar sollten das auch die Aktivisten miteinander tun. Denn es ist klar, dass es immerwieder Versuche der Desinformation geben kann und vielleicht Misstrauen in der Gruppe aufkommt.Man sieht, dass einer aus der Gruppe mit jemandem unter vier Augen spricht, und fragt sich womöglich:Was hat er mit dem zu reden? Fällt der von uns ab?Artus: Es kommen öfters Desinformationskampagnen vor. Da erzählt die Geschäftsleitung Dinge überdie Betriebsratsgründung, die gelinde gesagt nicht objektiv sind. Man muss in dieser Phase mit Verleumdungenrechnen und sich warm anziehen. Es geht darum, durchzuhalten, ruhig zu bleiben, vieluntereinander und auch mit Beschäftigten zu kommunizieren. Die eigene Informationspolitik ist indieser Zeit ganz, ganz wichtig.Forscherteam aus ErlangenProjektleiterin Prof. Dr. Ingrid Artus und ihreMitarbeiter Clemens Kraetsch undDr. Silke Röbenack (von links) haben für das vonder Hans-Böckler-Stiftung geförderteForschungs projekt „Sicherung der betrieblichenMitbestimmung durch Betriebsratsgründung“die Gründe für Betriebsratsgründungensystematisch erforscht.Die Forschergruppe vom Institut für Soziologieder Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg analysierte die Ursachen undDynamiken von 79 Betriebsratsgründungen imganzen Bundesgebiet. Dafür befragten dieWissenschaftler Betriebsrats mitglieder,Gründungsaktivisten, Gesamt- und Konzernbetriebsratsmitgliederund das Management derFirmen. Die Projektstudie erscheint <strong>2015</strong>.(Bibliografische Angaben undBezugsmöglichkeit auf Seite 55)30GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Ingrid Artus: Durchhalten und ruhig bleiben.Röbenack: Oft wird vergessen, dass für den Erfolg auch ein stabiles privates Umfeld nötig ist. Manbraucht Freunde und Familie, die einen unterstützen. Man ist über Wochen hin einer hohen psychischenBelastung ausgesetzt und da ist es wichtig, dass man einfach ein Umfeld hat, das einen stützt.Die Zeit nach der Wahl, von Ihnen Konstituierungsphase genannt,haben sie als „das verflixte erste Jahr“ beschrieben. Wie kann sich das neueGremium auf Stolperfallen vorbereiten?»Nach der Wahl denkt man: So, jetzt habenArtus: Wichtig ist, dass man sich überhaupt bewusst ist, dass dieses verflixte erstewir gewonnen, wir haben es erreicht.Jahr kommt. Die Formierungsphase ist unheimlich anstrengend und das großeDass man dann aber weitermachen muss, dassZiel ist die Betriebsratsgründung. Nach der Wahl denkt man: So, jetzt haben wirgewonnen, wir haben es erreicht. Dass man dann aber weitermachen muss, dassdie Arbeit eigentlich erst anfängt, der Druck vondie Arbeit eigentlich erst anfängt, der Druck von der Geschäftsleitung nicht unbedingtnachlässt und die Belegschaft hohe Erwartungen hat, darauf muss man und die Belegschaft hohe Erwartungen hat,der Geschäftsleitung nicht unbedingt nachlässtgefasst sein.darauf muss man gefasst sein.«Kraetsch: Ich würde sagen: sofort zur Betriebsratsschulung, weil man sich dadurchdie Kompetenzen aneignen kann, mit der Geschäftsleitung über Themen zu reden. Sonst wirdman nicht ernst genommen, macht Fehler. Man muss sich mit den wichtigsten Sachen im Betriebsverfassungsgesetzauskennen, um sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen.Röbenack: Wichtig ist in dieser Phase auch Ziele definieren und priorisieren. Oftmals hat das neu gebildeteGremium zu hohe Erwartungen an sich selbst und verzettelt sich. Man muss überlegen, was dasWichtigste ist und womit man am schnellsten punkten kann. Letzteres ist wichtig, weil man sich so gegenüberder Belegschaft legitimiert. Manchmal ist die ernüchtert darüber, was der Betriebsrat wirklichkann und darf. Es dauert beispielsweise ewig, bis man eine Betriebsvereinbarung auf den Weg gebrachthat, weil es rechtlich kompliziert ist. Oder die Belegschaft ist sauer, weil es nach ‚drei Wochen‘ mit demneu gegründeten Betriebsrat immer noch nicht mehr Geld gibt – bis sie feststellt, dass der Betriebsratüberhaupt nicht für Entgeltfragen zuständig ist.Artus: Kontinuierlich Kontakt zur Belegschaft zu halten ist für das Gremium deshalb auch sehr wichtig.Nach der Wahl lässt man den Kontakt ja oft erst mal wieder schleifen, weil man mit allem anderen ehschon überfordert ist. Aber man sollte darauf achten, das, was der Betriebsrat tut, kontinuierlich zukommunizieren – sei es am Schwarzen Brett oder indem man Betriebsversammlungen anberaumt. Vorder Belegschaft zu stehen ist etwas, wovor viele Neugewählte Angst haben. Aber die kontinuierliche Informationgegenüber der Belegschaft ist ganz wichtig, weil die ja Erwartungen haben, die wahrscheinlicherst mal enttäuscht werden. Es ist wichtig, die Gründe zu kommunizieren, warum manches jetztnicht so schnell geht wie vorher erhofft.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG31


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGFür Mitbestimmung sieht es finster aus:Bei der Firma Leist Oberflächentechnikim thüringischen Fambach behindert dieGeschäftsführung mit allen Mitteln vonder Einschüchterung bis hin zur fristlosenKündigung die Gründung eines Betriebsrats.Eine Gruppe von Aktivisten hältmithilfe der Gewerkschaft dagegen.32GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Verschwiegene Treffpunkte, kundige Helfer: wichtige Pfeiler einer Gründung.Gekündigt vor derWahlversammlungManche Arbeitgeber versuchen ihre Beschäftigten mit allen juristischen und psychologischen Mittelndaran zu hindern, ihr Recht auf einen Betriebsrat einzufordern. Der Fall der Firma Leist Oberflächentechnikin Thüringen zeigt, auf welch aggressive Reaktion einer Geschäftsführung man sich inallen Phasen einer Betriebsratsgründung einstellen muss – und wie man klug darauf reagieren kann.Dass Arbeitgeber sich gegen eine Betriebsratsgründung heftig wehren, hat Daniel Heisch, Projektsekretärder IG BCE, schon oft erlebt. Aber dass eine Geschäftsführung ihren Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern so viele Steine in den Weg legt wie die der Leist OberflächentechnikGmbH, hat auch für Heisch Seltenheitswert. Seit fast zwei Jahren begleitet der Gewerkschafter eineGruppe von Beschäftigten der Firma dabei, einen Betriebsrat zu gründen. Erst ganz im Stillen, aber injüngster Zeit überschlugen sich die Ereignisse: Eine von der IG BCE angesetzte Wahlversammlung imOktober 2014 brach Heisch wegen massiver Einschüchterungsversuche durch denArbeitgeber ab. Die Gewerkschaft zog vor das Arbeitsgericht. Im Februar 2014Es heißt, Mitarbeiter würden immerfand die zweite Wahlversammlung statt – aber zehn Minuten vor Beginn kündigteder Arbeitgeber dem vorgesehenen Vorsitzenden des Wahlvorstands, einem am Wochenende. Einer sei sogar vonwieder willkürlich zur Arbeit gerufen, auchlangjährig Beschäftigten, fristlos.seiner eigenen Hochzeit zur Spätschichtzitiert worden.Das Menschliche blieb auf der StreckeVorläufiger Höhepunkt eines Dramas, das schon lange brodelt. Viele Beschäftigte seien wütend überden zunehmend rüden Umgang mit dem Personal. „Das Menschliche ist auf der Strecke geblieben. Alsdie Firma noch kleiner war, war das noch anders“, sagt Mitarbeiter Jürgen Volk. Es sei üblich geworden,Arbeitern mit Zeitverträgen erst am letzten Tag zu sagen, dass ihr Vertrag nicht verlängert wird, oderauf erkrankte Mitarbeiter telefonischen Druck auszuüben, damit sie arbeiten kommen. Auch den Arbeits-und Gesundheitsschutz im Werk halten Beschäftigte für nicht mehr ausreichend. Großer Frustherrsche aber vor allem über die sich ständig kurzfristig ändernden Schichtpläne, berichten sie. ObGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG33


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGWahlvorstand:Es braucht drei wahlberechtigteArbeitnehmer oder eineim Betrieb vertreteneGewerkschaft, um zu einerBetriebsversammlungeinzuladen und Vorschlägefür die Zusammensetzungdes Wahlvorstands zumachen. Findet trotzEinladung keine Betriebsversammlungstatt oder wähltdie Betriebsversammlungkeinen Wahlvorstand, sobestellt ihn das Arbeitsgerichtauf Antrag von mindestensdrei wahlberechtigtenArbeitnehmern oder einer imBetrieb vertretenen Gewerkschaft(§ 17 BetrVG).bereits genehmigter Urlaub oder nicht: Mitarbeiter würden immer wieder willkürlich zur Arbeit gerufen,auch am Wochenende. Einer sei sogar von seiner eigenen Hochzeit zur Spätschicht zitiert worden.Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Urlaubsregelungen – das sind Bereiche, in denen ein Betriebsrat dieInteressen der Mitarbeiter einbringen könnte, aber den gibt es nicht. „Wir haben schon seit langer Zeitdavon gesprochen, aber keiner hat den Mut dazu gefasst“, erzählt Mitarbeiter Matthias Scharr. 2013fand sich erstmals ein harter Kern zusammen, der den Kontakt zu Andreas Schmidt und Daniel Heischvon der IG BCE suchte. Die Gewerkschafter bissen bei der Geschäftsführung mit ihrem Angebot aufGranit, eine Betriebsratswahl einvernehmlich einzuleiten. Ihr Zugangsrecht mussten sie per einstweiligeVerfügung einklagen. Am 16. Oktober 2014 hatte die IG BCE eine Wahlversammlung angesetzt, dieHeisch leitete. Als der Termin feststand, machte sich die Geschäftsführung auf die Suche nach den Initiatorenin der Belegschaft, lud „Verdächtige“ zum Gespräch, bohrte nach, drohte. Sie hätten bei diesenGesprächen zwar zu ihrer Meinung gestanden, dass sich im Betrieb etwas ändern müsse, erzählen dieAktivisten. Über ihre Betriebsratspläne aber hätten sie geschwiegen.Immer wieder mit Kündigung gedrohtDie erste Wahlversammlung geriet zum Fiasko. „Mitglieder teilten uns kurz vor der Sitzung mit, dassdie Geschäftsführung einen großen Anteil der Beschäftigten angesprochen hatte mit dem Hinweis,nicht an der Wahlversammlung teilzunehmen“, beschreibt Projektsekretär Heisch. Andernfalls droheihnen die Kündigung. Auch eine Liste hatte der Arbeitgeber ausgehangen, in der sich all jene eintragensollten, die kein Interesse an der Veranstaltung hätten, sondern lieber „die Produktion aufrechterhalten“wollten. Die IG BCE forderte genaue Informationen darüber, wie viele Beschäftigte denn zumErhalt einer Notproduktion nötig sind, bekam sie aber nicht. Ein Klima der Angst wurde erzeugt: EinAbteilungsleiter habe seine Mitarbeiter durch Drohungen und in einem Fall auch handgreiflich davonabgehalten, zur Wahlversammlung zu gehen, und zwei vom Arbeitgeber bestellte Beschäftigte hättensich vor dem Versammlungsraum postiert und ankommenden Arbeitnehmern geraten, nicht an derVeranstaltung teilzunehmen, berichtet Daniel Heisch. Nur 28 von gut 200 Beschäftigten kamen, derWerksleiter agierte in der Versammlung gegen die Wahl. „Es blieb uns bei dieser massiven Wahlbehinderungnur noch der Weg, die Veranstaltung abzusagen“, erzählt Daniel Heisch.Im April wird gewähltEr schaltete das Arbeitsgericht ein, um einen Wahlvorstand gerichtlich bestellen zu lassen. Aber das Gerichtbefand nicht, dass es einen von außen bestimmten Wahlvorstand geben solle, und sah auch keinewesentliche Behinderung der ersten Wahlversammlung. Den nächsten Versuch starteten die Beschäftigtendann selbst – unterstützt durch die IG BCE. Drei Kollegen luden am 5. Februar <strong>2015</strong> zur Wahlversammlungein, darunter auch Sven Funkstein und Jürgen Volk. Kurz vor der Veranstaltung überreichteein Anwalt Funkstein die fristlose Kündigung. Eine reguläre Kündigung hätte der Arbeitgeberzu dem Zeitpunkt, als Funkstein für den Wahlvorstand kandidierte, nicht mehr aussprechen können.„Ich wurde von vier Leuten des Grundstücks verwiesen“, sagt der langjährige Leist-Mitarbeiter. „Mitso was habe ich zu dem Zeitpunkt nicht mehr gerechnet.“ Als Grund für die fristlose Kündigung wirdihm rufschädigendes Verhalten vorgeworfen. Funkstein hatte in einem Interview mit dem MDR aufdie Behinderung der Betriebsratsgründung hingewiesen. Er wird sich juristisch gegen die Kündigungwehren: „Wo kommen wir denn hin, wenn man gekündigt wird, weil man die Wahrheit sagt?“Trotz des Schrecks führte Daniel Heisch die Wahlversammlung durch. Die 50 anwesenden Beschäftigtenbestimmten einen Wahlvorstand, wählten unter anderem Jürgen Volk und Matthias Scharrhinein. Der Anfang ist damit trotz aller Fallstricke gemacht: Im April soll die Betriebsratswahl stattfinden.Bis dahin will Funkstein seinen Job zurückhaben und kandidieren. „Dass wir kämpfen müssen,war abzusehen“, sagt Jürgen Volk. „Jetzt setzen wir den Betriebsrat durch, wir gehen nicht zurück.“34GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Rückschläge weggesteckt: (von links) Matthias Scharr, Sven Funkstein und Jürgen Volk habenmithilfe des Projektsekretärs der IG BCE, Daniel Heisch, erfolgreich eine Betriebsratsgründungin die Wege geleitet, obwohl die erste Wahlversammlung gescheitert war.Was wir für die Betriebsratsgründung raten:1.2.3.Genaue Ziele setzen, was man erreichen will: Besonders bei heftigem Gegenwind durch die Geschäftsführungsollte man sich darauf fokussieren, gegen welche Missstände man kämpfen will.Bis zur letzten Minute mit juristischen Tricks des Arbeitgebers rechnen: vor allem wennAnwaltskanzleien beteiligt sind, deren Spezialität die Zerstörung von Betriebsräten ist.Auch nach einer gescheiterten ersten Wahlversammlung nicht aufgeben: Mit juristischer Hilfeder Gewerkschaft beharrlich weitere Wege suchen, um eine Betriebsratsgründung einzuleiten.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG35


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG»Unsere Projektsekretärinnen undProjektsekretäre sind authentisch undüberzeugen durch ihre eigenePersönlichkeit und ihre Kompetenzen.So kann sich Vertrauen entwickeln.«36GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Petra Adolph leitet ein IG-BCE-Projekt für Betriebsratsgründungen.»Wir informieren, wasgeht und was nicht«Gewerkschaften sind die besten Partner bei der Betriebsratsgründung. Sie kennen die Rechtslage,haben Erfahrung mit der Situation, schützen und unterstützen die Aktivisten. Mit vielenInitiativen sind sie Motoren der Mitbestimmung. Ein Beispiel dafür ist ein Projekt, mit dem dieIndustrie gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Betriebsratsgründungen in der Kunststoffbranchevorantreibt. Koordinatorin Petra Adolph erklärt es.2014 begann die IG BCE ein zweijähriges Projekt, um in Betrieben derKunststoffindustrie Betriebsratsgründungen anzuregen und neue Mitglieder zugewinnen. Was ist das Besondere an dem Konzept?Wir warten nicht darauf, dass Beschäftigte aus kleinen und mittleren Betrieben zu uns kommen, sonderngehen aktiv auf sie zu und informieren sie über die Möglichkeiten einer Betriebsratsgründung.Wir möchten den Mitbestimmungsgedanken ganz offen in die Betriebe tragen.Das ist ein Bestandteil unserer „Offensive Mitbestimmung“.»Die Zugangswege in die Betriebe sindsehr unterschiedlich. Manchmal stehen wirDas tun in diesem „Kunststoffprojekt“ acht Projektsekretäre in aktiv vor dem Werkstor, manchmal trifftausgewählten Regionen. Wie gehen sie vor?man sich mit Beschäftigten konspirativ beimDie Zugangswege in die Betriebe sind sehr unterschiedlich. Manchmal stehen wirBäcker um die Ecke oder abends imaktiv vor dem Werkstor, manchmal trifft man sich mit Beschäftigten konspirativHinterzimmer einer Kneipe.«beim Bäcker um die Ecke oder abends im Hinterzimmer einer Kneipe. Die Projektsekretärinnenund Projektsekretäre erklären, wie Mitbestimmung und Betriebsratsarbeit funktionieren,und sprechen über ganz praktische Fragen. Beispielsweise darüber, ab wann der Kündigungsschutzfür Initiatoren von Betriebsratswahlen greift, wann er seine Kandidatur bekannt geben mussund was ein Wahlvorstand zu tun hat. Ein anderer Weg ist, Arbeitgeber direkt anzuschreiben, sich alsdie zuständige Gewerkschaft vorzustellen und ihnen anzubieten, sie über den Aufbau von Mitbestimmungsstrukturenzu informieren.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG37


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGMit welchen Strategien versuchen die Projektsekretäre, das Vertrauen derBelegschaften zu gewinnen?Die eine „Strategie“ dafür gibt es nicht. Sie sind authentisch mit ihrer eigenen Persönlichkeit und ihrenKompetenzen. So kann sich Vertrauen entwickeln. Die Leute ärgern sich zwar über schlechte Arbeitsbedingungen,aber sich zu organisieren ist für viele ein großer Schritt. Wir legen in dem Projekt sehrviel Wert darauf, Mitbestimmungsstrukturen behutsam und immer in Begleitung der zuständigen IG-BCE-Bezirke aufzubauen. Es ist uns wichtig, den Leuten von Anfang an ehrlich zu sagen, was ihr Engagementals Wahlvorstand oder Betriebsrat bedeuten kann. Nämlich, dass sie womöglich Repressalienvon ihren Meistern, von leitenden Angestellten oder vom Geschäftsführer ausgesetzt sind und dieseBelastungen aushalten müssen. Die Projektsekretärinnen und Projektsekretäre»Wir haben eine Faustregel für den Erfolg: sind dann phasenweise rund um die Uhr für ihre Fragen da und unterstützen sie.Es braucht in der Anfangszeit in derBelegschaft mindestens die doppelte Anzahl Wie verläuft die Hilfe in der Anfangsphase?von Gewerkschaftsmitgliedern, Wir geben vor allem acht, die handelnden Personen so lange wie möglich zuwie für den Betriebsrat nötig sind.« schützen. Denn sobald klar wird, wer sich engagiert, beginnt der Druck der Arbeitgeber.Ein möglicher Wahlvorstand hat ja erst ab dem Moment, wo er seinAmt antritt, Kündigungsschutz. Oft müssen inzwischen die Wahlvorstände gerichtlich bestellt werden,weil die Arbeitgeber es verhindern, dass die Leute zu einer Wahlversammlung kommen und denWahlvorstand wählen. Das können wir in die Wege leiten. Wir helfen dem Wahlvorstand auch dabei,Kunststoffprojekt: sehr genau darauf zu achten, dass er Formen und Fristen wahrt und das Verfahren korrekt durchführt,Drei Beispiele, wie die damit hinterher die Wahl oder ihr Ergebnis nicht anfechtbar ist.IG-BCE-GewerkschaftssekretäreBeschäftigte beider Betriebsratsgründung Was ist schwieriger: Mitglieder zu werben oder Leute zu finden,unterstützen, fi nden die sich im Betriebsrat engagieren wollen?sich auf den Seiten 12 ff., Das eine bedingt das andere. Kaum jemand sagt, dass er zwar Betriebsrat werden will, aber nicht Gewerkschaftsmitglied.Wir haben eine Faustregel für den Erfolg: Es braucht in der Anfangszeit in der20 ff. und 32 ff.Belegschaft mindestens die doppelte Anzahl von Gewerkschaftsmitgliedern, wie für den BetriebsratKEIN METALLBETRIEB OHNE BETRIEBSRATEinen umfassenden Service für Beschäftigtezu bieten, die einen Betriebsratgründen möchten, und nochoffener und gezielter für Mitbestimmungin Betrieben ohne Betriebsratzu werben hat sich auch die IndustriegewerkschaftMetall (IG Metall) seitJahren auf die Fahnen geschrieben.Den Stein ins Rollen brachte 2007 derheutige Vorsitzende Detlef Wetzelmit seinen Überlegungen zu einemKonzept für eine offensive und systematischeOrganisierung und Erschließungvon Metallbetrieben. Ziel ist es,mit viel gewerkschaft licher Manpowerbetriebliche Mitbestimmung inbisher noch wenig erschlossenenBranchen zu stärken und um IG-Metall-Mitgliedschaftenzu werben. Esgehört inzwischen zu den zentralenProjekten der IG Metall. Die Initiative„Betriebe ohne Betriebsrat“ (BoB) istTeil dieser umfassenden Organizing-Strategie. Beschäftigte, die einenBetriebsrat gründen wollen, findenkundige Ansprechpartnerinnen undAnsprechpartner für ihre Idee in den155 Verwaltungsstellen der IG Me-38GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGnötig sind. Wenn also ein Fünfer-Betriebsrat gewählt wird, braucht man mindestenszehn Gewerkschaftsmitglieder, bevor wir richtig aktiv werden können. Dennwir kommen wirklich ins kurze Gras, wenn Kandidaten während des Prozessesabspringen und wir nicht genügend Interessierte für beispielsweise einen Fünfer-Betriebsrat haben.Wie unterstützt die Gewerkschaft den neuen Betriebsratnach der Wahl?Es ist wichtig, den Leuten Informationen darüber zu geben, was geht und wasnicht. Das hat viel mit der Kenntnis von Arbeits- und Betriebsverfassungsrechtzu tun. Aber nicht nur. Es geht auch um scheinbar banale Geschichten wie daskorrekte Schreiben einer Tagesordnung für eine Betriebsratssitzung, damit dieBeschlüsse, die dort gefasst werden, auch rechtswirksam sind. Die erste Phase derAmtszeit kann wirklich hart sein, deshalb sorgen wir dafür, dass die neuen Betriebsrätevon unseren Bezirken gut und intensiv betreut werden. Denn wenn derBetriebsrat gewählt und die erste Qualifizierung organisiert ist, ist die Aufgabevon unseren Projektsekretären beendet.Wie wichtig sind die von der Gewerkschaft angebotenenSchulungen für den Erfolg?Sehr wichtig. Die neu gewählten Betriebsräte lernen in den BR-1- bis BR-5-Schulungensystematisch die Grundlagen von Betriebsratsarbeit. Aber es gibt leidernicht immer gleich einen passenden Termin dafür. Damit sie schnell eine gewisseSicherheit bekommen, was sie dürfen und wie sie auftreten müssen, erhaltensie ein maßgeschneidertes Angebot unserer Bildungsgesellschaft BWS. Danachkönnen sie die normalen Schulungen besuchen. Da lernen sie andere Betriebsrätekennen und erfahren, wie es in anderen Unternehmen läuft.Mehr Mitbestimmung im BlickPetra Adolph leitet das Projekt zur Erschließung vonBetrieben ohne Betriebsrat in der Kunststoffindustriefür den geschäftsführenden Bundesvorstand derIndustriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie inHannover. Die Mitbestimmungsinitiative ist in vierregionale Cluster aufgeteilt: Westfalen, Thüringen/Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Je zweiProjektsekretärinnen und -sekretäre sprechen indiesen Regionen systematisch klein- und mittelständischeBetriebe an, in denen es noch keine Betriebsrätegibt, unterstützen Beschäftigte bei der Betriebsratsgründungund werben für die Mitgliedschaft inder Gewerkschaft. Ihre Einsätze sind organisatorischangebunden an die jeweiligen Landesbezirke, dieProjektsteuerung liegt beim Bundesvorstand. PetraAdolph zieht eine positive Halbzeitbilanz für dasProjekt, das noch bis Ende <strong>2015</strong> läuft. Sie ärgert sichdarüber, dass die Arbeit von Betriebsräten in derÖffentlichkeit kein besseres Image hat.tall. (Welcher Standort einer Verwaltungsstelleder eigenen Adressenah liegt, lässt sich ermitteln unterwww.igmetall.de/view_ogs_suche.htm).Allein in Berlin hat die BoB-Initiative seit Beginn bereits zurGründung von über 40 Betriebsrätengeführt. Besonders aktiv ist dieIG Metall auch in der Windkraftbranche,wo es wenige mitbestimmteUnternehmen gibt. So sorgte einmehrköpfiges Organizing-Team dafür,Betriebsratsgründungen bei demWindkraftunternehmen Enercon undihren Servicegesellschaften, wo Mitbestimmungnicht gern gesehen istund Aktivisten mit starkem Druckder Unternehmensseite rechnenmüssen, systematisch zu unterstützen.„Unser langfristiges Ziel ist: keinBetrieb ohne Betriebsrat!“, betontder Zweite Vorsitzende der IG MetallJörg Hofmann.Wie viele andere Gewerkschaftenist die IG Metall für Beschäftigte, dieeinen Betriebsrat gründen wollen,ein Wegweiser im Dschungel derVerordnungen, Gesetze und Urteilezur Mitbestimmung. Sie hilft dabei,eine Wahl vorzubereiten und rechtssicherdurchzuführen. Vernetzungmit anderen Interessenvertretungenund Rechtsschutz für Mitgliedergehören ebenfalls zum Service. Sievermittelt Expertinnen und Experten,die in Rechtsfragen beraten, bietetFortbildungsseminare an und machtBetriebsräte fit in Rechts- und Wirtschaftsthemenund in Fragen desArbeits- und Gesundheitsschutzes.Mehr Informationen im Internet unterwww.igmetall.de/betriebsrat.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG39


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGHaben gemeinsam bei der Gründung viel durchgestanden: (von links)Betriebsrat Friedhelm „Fritz“ Petri, Wahlvorstand Friedhelm Klilian,Betriebsratsvorsitzender Manfred Mack und sein ehemaliger StellvertreterChristian Zadow, dessen befristeter Vertrag nicht verlängert wurde.40GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGIlim Timber ist ein weltweit führender Produzent von Nadelschnittholz.Kleiner Psychoterrorim SägewerkDie Belegschaft des Großsägewerks Ilim Timber Bavaria in Landsberg am Lech wählte 2014 erstmalseinen Betriebsrat. Bis es so weit war, erlebten die Initiatoren nervenaufreibende Zeiten und hatten oftAngst um ihre Jobs. Die IG Metall half ihnen, die Wahl der Arbeitnehmervertretung einzuleiten undihre Identität geheim zu halten, bis der Kündigungsschutz für Wahlvorstand und Wahlbewerber griff.Autoritäre Führung, unzuverlässige Dienstpläne, viele Überstunden – es gab viele gute Gründe,warum sich Arbeiter im Großsägewerk im Frauenwald bei Landsberg am Lech viele Jahre langeinen Betriebsrat wünschten. Aber es empfahl sich, das nicht laut zu sagen. Weder unter derÄgide des ersten Sägewerkbetreibers Klausner Holz Bayern noch nach der Übernahme im Jahr 2010durch den russischen Holz-Multi Ilim Timber war Mitbestimmung willkommen. Im Gegenteil: „Werhier das Wort Betriebsrat in den Mund genommen hat, wurde entlassen“, sagt Manfred Mack. BesondereVorsicht, eine gute Strategie und eine starke Partnerin waren nötig, damit Mackund seine Mitstreiter 2014 den ersten Betriebsrat gründen konnten. Er wurde zum »Wer hier das Wort Betriebsrat in denersten Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Im Herbst 2013 waren mal wieder Diskussionendarüber aufgeflammt, dass nur ein Betriebsrat die Arbeitsbedingungen sagt Manfred Mack.Mund genommen hat, wurde entlassen«,im Werk verbessern könnte. Eine Handvoll Aktivisten entwickelte sich zur geheimenKeimzelle. Mit dabei: Manfred Mack. Er befürwortete die Idee – wollte allerdings auch seinen Jobbehalten und deshalb sehr geplant vorgehen. „Ich habe gesagt, dass wir feste Pflöcke in verschiedenenAbteilungen brauchen, um die Belegschaft insgesamt mitzureißen. Die, die zuvor nur im kleinen Kreiseetwas angeschoben haben, sind alle gescheitert.“Massiven Gegenwind vom Arbeitgeber erwartetDie Aktiven streckten die Fühler nach vertrauenswürdigen Mitstreitern im Werk aus und suchten frühden Rat der IG-Metall-Zweigstelle Weilheim. Nach stundenlangen Gesprächen, in denen sie viel überdie Missstände und die Entlassungen früherer Betriebsratsaktivisten erfahren hat, war für die Gewerk-GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG41


PHASEN DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNGMentale Unterstützerin: Gewerkschaftssekretärin Sonja Straub.schaftssekretärin Sonja Straub eines deutlich: „Es ist für die Leute ein dringendes Anliegen, aber auchganz gefährlich, eine Betriebsratswahl einzuleiten. Aus der Geschichte der Vorgänger ist zu erwarten,dass es massive Probleme seitens der Geschäftsführung geben wird.“Die Gewerkschafterin schaltete sich in das Verfahren ein, um die Initiatoren so lange aus derSchusslinie zu halten, bis der gesetzliche Kündigungsschutz einsetzte. Das geschieht für Mitglieder desWahlvorstands zum Zeitpunkt ihrer Bestellung und für Wahlbewerber, wenn sie aufgestellt sind. SonjaStraub schrieb einen Brief an die Geschäftsführung, um im Namen der IG Metall eine Betriebsversammlunganzukündigen, die die Betriebsratswahl einleitet und auf der die Belegschaft den Wahlvorstandwählt. „Wir waren für die Wahlversammlung auf das Schlimmste gefasst“, erzählt sie. Wie würdedie Geschäftsleitung reagieren? Wie würden sich die zahlreichen Leiharbeiter verhalten? „Wir warensogar darauf gefasst, dass diese durch ihre massive Angst vor einem Jobverlust vielleicht umschwenkenund sogar gegen einen Wahlvorstand stimmen würden.“ All diese Szenarien spielte Straub mit demharten Kern der Betriebsratsaktivisten offen durch.Wahlversammlung bringt Rückhalt der BelegschaftDie Wahlversammlung war überraschend entspannt, gut besucht und die Mehrheit der Kollegen befürwortetedie Einleitung der Wahl, erzählt Manfred Mack. Als die Geschäftsführung die Einladungder IG Metall ausgehangen hatte, war im Betrieb sofort die Diskussion darüber losgegangen, welcheKollegen dahintersteckten. „Wir haben uns aber alle bedeckt gehalten“, erzählt Mack. „Erst auf derWahlversammlung hat Sonja die Namen des Wahlvorstandes aufgerufen. Aber es»Wir waren für die Wahlversammlung auf blieb geheim, wer das alles initiiert hat.“das Schlimmste gefasst«, erzählt Sonja Straub. Für Manfred Mack und die anderen Kollegen aus dem Wahlvorstand,Wie würde die Geschäftsleitung reagieren? deren Namen nun bekannt waren, begann eine nervenaufreibende Zeit bis zumWie würden sich die Leiharbeiter verhalten? Wahltermin. „Wir wurden teilweise von Abteilungsleitern und von Kollegen angepiekst,was wir denn überhaupt verändern wollen“, erzählt er. „Es begann einkleiner Psychoterror. Uns wurde das Arbeiten im normalen Arbeitsablauf erschwert und wir wurdenfür Kleinigkeiten, die in der Schicht nicht gut gelaufen waren, beschuldigt.“ Die Kollegen gingen mitdem Druck sehr unterschiedlich um. „Den Schwächeren schlug es auf den Magen und auf die Psyche“,erzählt der Betriebsratsvorsitzende. „Für mich war die Phase bis zur Wahl fast zu lang, ich hätte wirklichgern drei Wochen früher gewählt.“Arbeitgeber ruft alle zur Wahl auf – sogar die LeiharbeiterIm Gegensatz zum örtlichen Werksleiter stand die deutsche Ilim-Timber-Geschäftsleitung, die nebendem Werk in Landsberg auch ein Werk in Wismar führt, der Betriebsratsarbeit und der Gewerkschaft42GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


Manfred Mack: wollte eine breite Unterstützung in der Belegschaft.Die Kollegen gingen mit dem Druck sehrrelativ offen gegenüber. Kurz vor der Wahl erlebten Sonja Straub und die Initiatoreneine Überraschung: „Der Arbeitgeber hat die Belegschaft aufgefordert, zur es auf den Magen und auf die Psyche«, erzähltunterschiedlich um. »Den Schwächeren schlugBetriebsratswahl gehen – sogar alle Leiharbeiter“, erzählt die Gewerkschafterin. der Betriebsratsvorsitzende. »Für mich war dieSie vermutete dahinter die Strategie der Werksleitung, Leute nach ihrem Gusto Phase bis zur Wahl fast zu lang, ich hättein das Gremium wählen zu lassen. „Tatsächlich ist zuerst auch ein Schichtleiter wirklich gern drei Wochen früher gewählt.«zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden. Der hat ganz massiv fürden Arbeitgeber und gegen uns als Gewerkschaft gesprochen, ist aber inzwischen zurückgetreten“,berichtet Straub.Der Wahltag verlief gut, erinnert sich Manfred Mack. Über 60 % der Belegschaft warf die Stimmein die Urne. Trotzdem hatte der Wahlvorstand bis zum Schluss Bedenken, dass der Werksleiteretwas planen könnte: „Wir hatten Angst, dass es viele ungültige Stimmen geben würde.“ Es kam nichtdazu. Auch die konstituierende Sitzung des neu gewählten neunköpfigen Gremiums, das Arbeitnehmeraus den unterschiedlichsten Abteilungen umfasst, lief glatt. Ein „Paradebeispiel für Perfektion“ habeder Wahlvorstand abgegeben, lobt Sonja Straub. „Der war sehr mutig, eigenständig und hat einen außergewöhnlichguten Job gemacht.“Zur Ruhe kam der neue Betriebsrat nicht lange: Die befristeten Verträge von zwei Betriebsrätenwurden nicht verlängert, ein weiterer kündigte. Deshalb gibt es am 14. April eine Neuwahl. ManfredMack und die verbliebenen Betriebsräte wollen wieder antreten. Sie wissen jetzt, wie es geht.Was wir für die Betriebsratsgründung raten:1.2.3.Wenn Beschäftigte bei ihrem Einsatz um ihren Job fürchten müssen, Gewerkschaft mit insBoot holen: Auch diese kann eine Betriebsratswahl offiziell einleiten.Sich einer möglichst breiten Zustimmung in der Belegschaft versichern; versuchen,in so vielen Abteilungen wie möglich Mitstreiter zu gewinnen.Wenn Gegenwehr durch den Arbeitgeber droht: vor Wahlversammlung und Betriebsratswahlalle möglichen Störszenarien durchsprechen und darauf vorbereitet sein.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG43


44GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


ERFOLGSFAKTOREN UNDWIE MAN SICH IN SEINE ROLLE ALS BETRIEBSRATSTOLPERFALLEN: SOEINFINDET, DEN KONTAKT ZUR BASIS HÄLT UNDWIRD EIN BETRIEBSRATMIT DER NEU GEWONNENEN VERTRETUNGSMACHTERFOLGREICHUMGEHEN LERNTDie Betriebsratswahl ist nur der erste Etappensieg: Bis sie wirksam arbeiten können, gibt es für dieneu gewählten Arbeitnehmervertreter viel über Mitbestimmung zu lernen. Oft bleibt ihnen wenigEingewöhnungszeit, bevor sie gewichtige Entscheidungen fällen müssen, die die Kollegenunmittelbar betreffen – von der Abzeichnung oder Neuentwicklung eines Schichtplans bis hin zumAushandeln von Regeln zur Kurzarbeit. Ein Kapitel über Wege zum nachhaltigen Erfolg.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG45


Prof. Dr. Ingrid Artusrät dazu, politisch zu denken.Schulterschlussmit der BelegschaftWenn ein Betriebsrat nachhaltig wirksam sein will, muss er Ziele durchsetzenkönnen. Um das zu erreichen, sollte er der Geschäftsleitung zeigen, dass er Sprachrohraller Beschäftigten ist, sagt Ingrid Artus, Professorin an der Uni Erlangen-Nürnberg.Wo ein gewählter Betriebsrat eine Vertretungswirksamkeit hat, ändert sich – auch unabhängigvon formalen Vereinbarungen – der Umgang der Vorgesetzten mit den Beschäftigten.Er wird weniger autoritär und weniger willkürlich. Die Beschäftigten trauen sich,sich an den Betriebsrat zu wenden, wenn sie Probleme haben. Das heißt: Das Betriebsklima insgesamtbessert sich.Ob der Betriebsrat von den Beschäftigten als vertretungswirksam angesehen wird, hat letztendlichetwas mit Durchsetzungsmacht zu tun. Mit der Fähigkeit, bestimmte Ziele umzusetzen. VertretungswirksameBetriebsräte setzen etwas durch. Sie haben die Schichten besser»Wo ein gewählter Betriebsrat eineorganisiert, die Urlaubsplanungen geregelt. Sie können sofort an drei, vier Punktenbenennen, was sie verändert haben. Die Durchsetzungsmacht ist entscheidendVertretungswirksamkeit hat, ändert sich – auchunabhängig von formalen Vereinbarungen – für ihre Wirksamkeit.der Umgang der Vorgesetzten mit den Wie man sie gewinnt, kann von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich aussehen:Wenn man eine kooperative Geschäftsführung hat, erreicht man vielleichtBeschäftigten. Er wird weniger autoritär undweniger willkürlich. Das Betriebsklima schnell etwas, aber wenn man eine autoritäre repressive Geschäftsführung hat, gelingtdas nur in ganz kleinen Schritten. Man schafft es beispielsweise zumindest,insgesamt bessert sich.«dass Überstunden über den Betriebsrat angeordnet werden müssen und nicht einfachbeliebig von jedem Vorgesetzten.Betriebsräte müssen Strategien erarbeiten und politisch denken, wenn sie wirksam handelnwollen. So ist der permanente Kontakt zur Belegschaft sehr wichtig für das eigene Auftreten gegenüberder Geschäftsleitung. Die Geschäftsleitung muss sehen, dass hinter dem Betriebsrat die Belegschaftsteht. Das heißt, das kontinuierliche Gespräch zwischen Betriebsrat und Belegschaft bleibt dauerhaftwichtig und muss richtig initiiert werden. Der Betriebsrat sollte eine Routine implementieren, damit ermit den Beschäftigten regelmäßig zusammenkommt.Es muss immer klar sein, dass das, was der Betriebsrat fordert, Ausdruck des Belegschaftswillensist. Das hat eine symbolische Komponente, die möglicherweise auch auf Betriebsversammlungen zelebriertwerden muss. So ein Signal stärkt die Durchsetzungsmacht und damit die Vertretungswirksamkeit.«46GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


ERFOLGREICHE ARBEITNEHMERVERTRETUNGDem Spaltpilz keine ChanceEine unerwartete Offensive vor der ersten Betriebsratswahl und ein überraschender Rücktritt vorder zweiten: wie ein Betriebsrat des Logistikunternehmens GLS zusammen mit ver.di zwei klugetaktische Schachzüge ersann und dank der Geschlossenheit der Belegschaft seine Ziele erreichte.Als der siebenköpfige Betriebsrat des GLS-Paketdepots in Polch bei Koblenz 2010 sein Amtantreten konnte, lagen schwierige Monate hinter ihm. Der Unmut über den autoritärenFührungsstil war in der Filiale des Logistikkonzerns über Jahre gewachsen, bis sich einigeder 30 Stammbeschäftigten mithilfe von ver.di dazu entschlossen, eine Betriebsratswahl durchzusetzen.Alles lief im Geheimen ab, bis Gewerkschaftssekretär Sigurd Holler den Depotleiter überdie anstehende Wahl informierte. Das GLS-Management reagierte unerwartet: Man schlug vor, dassder Gesamtbetriebsrat (GBR) des Konzerns – von dem die örtlichen Beschäftigten bis dahin nichts Reguläre Kündigungwussten – den Wahlvorstand einsetzen könne. Ver.di akzeptierte, aber der so entstandene Wahlvorstandzögerte das Ausschreiben der Wahl hinaus. Das gab der Geschäftsleitung Zeit, nach den nochverboten: Die Kündigungeines Wahl bewerbers ist vomZeitpunkt der Aufstellunganonymen Initiatoren im Betrieb zu suchen, die sie fälschlicherweise unter den 120 geringfügig Beschäftigtenvermutete, und um gegen sie und ver.di zu agitieren. Holler beschloss, in die Offensive zu jeweils bis zur Bekanntgabedes Wahl vorschlags angehen. Er veröffentlichte die Liste der ver.di-Kandidaten für die Betriebsratswahl, für die damit der des Wahl ergebnissesunzulässig. FristloseKündigungsschutz einsetzte. „Von dem Moment an konnten sie für die Betriebsratswahl offen agierenKündigungen aus wichtigemund aufpassen, dass die anderen nicht gegen sie Stimmung machen“, beschreibt der Gewerkschaftssekretär.Eine mögliche Spaltung zwischen den Initiatoren aus der Stammbelegschaft und den geringfü-(§ 15,3 KSchG).Grund bleiben erlaubtgig Beschäftigten war abgewendet.Auch eine arbeitgebernahe Liste trat zur Wahl an, aber die ver.di-Kandidaten gewannen underreichten schnell viel. Seine Stärke zog der Betriebsrat aus seiner Geschlossenheit, dem starken Rückhaltbei den Beschäftigten und der engen Zusammenarbeit mit ver.di. Weil es den Betriebsrat gab,sorgte der Arbeitgeber für angemessenere Arbeitsbedingungen, gewährte dengeringfügig Beschäftigten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Seine Stärke zog der Betriebsrat ausUrlaub. Er stellte Sicherheitsschuhe und Winterkleidung bereit und nahm eine seiner Geschlossenheit, dem starken Rückhaltbisher stets kalt gebliebene Bodenheizung in Betrieb. Als sich Tarifverhandlungenankündigten, erhöhte er plötzlich von selbst die Löhne. All diese Fortschritte Zusammenarbeit mit ver.di.bei den Beschäftigten und der engenverschafften dem Betriebsrat die nötige Unterstützung bei den geringfügig Beschäftigtenund damit die Durchsetzungskraft für weitere Anliegen. Zweite Säule der Vertretungswirksamkeit:eine enge Anbindung an die lokale Gewerkschaftsstelle. Sigurd Holler stand ihnen zurSeite, und die Betriebsräte erreichten im Betrieb einen ver.di-Organisationsgrad von 80 %.Als gleichberechtigter Partner akzeptiert wird der Betriebsrat aber auch nach Jahren nicht,um alles muss er kämpfen. Eine Betriebsvereinbarung über Urlaubsregelungen kam nur durch einArbeitsgerichtsverfahren zustande. Auch für die turnusgemäße Neuwahl 2014 rechnete man mit Schikanen.Als das Management obendrein 2013 den Abzug von fast einem Viertel der angelieferten Tourenaus dem Paketdepot ankündigte und der Verlust von Jobs drohte, dachte sich der Betriebsrat mitUnterstützung von ver.di einen klugen Schachzug aus: Er trat geschlossen zurück und leitete vorzeitigNeuwahlen ein. Der Clou: Alle befristet Beschäftigten kandidierten für diese Wahl und genossen soeinen besonderen Kündigungsschutz.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG47


ERFOLGREICHE ARBEITNEHMERVERTRETUNGZur Veränderung entschlossen:Savas Özmen, Dannie Brownund Frauke Herrmann (von links)machten sich für die Gründungeines Betriebsrats stark.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG48


2002 neu eröffnet: das Ibis Hotel am DB-Bahnhof Spandau.»Das war eine krasseBaustelle«Zuverlässige Dienstpläne, faire Arbeitszeit- und Überstundenregelungen und ein neuer Projekttagfür Azubis – die Erfolgsbilanz von Frauke Herrmann, erste Betriebsrätin im Ibis Hotel Spandau, kannsich sehen lassen. Ihr Beispiel zeigt, dass selbst ein „Einer-Betriebsrat“ viel bewegen kann, wenn erdie Belegschaft hinter sich weiß, Konflikte nicht persönlich nimmt und beharrlich seine Ziele verfolgt.Die erste Betriebsratswahl im Ibis Hotel in Spandau war eine knappe Sache: „Ich hatte nur dreiStimmen mehr“, erzählt Frauke Herrmann. Das reichte der Berlinerin, um sich gegen einevon der Direktorin favorisierte Konkurrentin durchzusetzen und kurz vor Weihnachten 2012die erste Betriebsrätin zu werden, die das tarifgebundene Hotel am Spandauer DB-Bahnhof je hatte.Nervenzehrende Monate waren damit vorüber, in denen Frauke Herrmann und zwei Mitstreiter dieBetriebsratswahl in die Wege geleitet und vorbereitet hatten. „Ich fühlte mich am Ziel“, erinnert sichHerrmann.Enge Zusammenarbeit mit Gewerkschaft und GesamtbetriebsratDienstpläne hingen erst wenige Tage vorWenn Frauke Herrmann sagt: „Der Betriebsrat, das bin ich“, ist das keine Arroganz.In Unternehmen, die unter 21 wahlberechtigte Beschäftigte haben, besteht wurden nicht erfasst. Als die DirektorinBeginn ihrer Gültigkeit aus, Überstundender Betriebsrat lediglich aus einer Person. Mit damals 16 und heute 18 Mitarbeiternfällt das Hotel der Accor Hospitality Germany GmbH in diese Kategorie. ihren Trinkgeldern für Kassendifferenzenverlangte, dass die Beschäftigten mitHerrmann, gelernte Restaurantfachfrau und Frühstücksleiterin, hatte mit NachtportierDannie Brown und Rezeptionsfacharbeiter Savaz Özmen beschlossen, sichgeradestehen, war das Maß voll.gegen die von ihnen als schikanös empfundenen Arbeitsbedingungen zu wehren. Dienstpläne hingendamals erst wenige Tage vor Beginn ihrer Gültigkeit aus, Überstunden wurden nicht erfasst, vorgeschriebeneRuhezeiten nicht eingehalten. Als die damalige Direktorin auch noch von den Beschäftigtenverlangte, dass sie mit ihren Trinkgeldern für Kassendifferenzen an der Rezeption geradestehen, warfür Herrmann, Brown und Özmen das Maß voll. Sie suchten Hilfe beim Gesamtbetriebsrat der Accor-GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG49


Frauke Herrmann:stolz auf die Arbeitszeitvereinbarung,die sie aushandeln konnte.Gruppe und initiierten eine Betriebsratswahl. Das Trio trat in die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ein und ließ sich vom zuständigen NGG-Gewerkschaftssekretär eng beraten. FraukeHerrmann stellte sich zur Wahl – und setzte sich gegen eine Kandidatin durch, die sich überraschendnoch zwei Tage vor Ende der Frist aufstellen ließ.Freigabe Dienstplan:Der Betriebsrat hat mitzubestimmen,wann die täglicheArbeitszeit beginnt und endet– einschließlich der Pausensowie der Verteilung derArbeitszeit auf die einzelnenWochentage (§ 87 BetrVG).Frauke Herrmann gewann, aber „am Ziel“ war sie nicht. Der Stress begann nach der Wahl erst sorichtig. Die damalige Direktorin setzte sie unmittelbar nach der Wahl unter Druck, ihre Dienstplänefreizugeben, erzählt sie. Herrmann fühlte sich überrumpelt und lehnte das ab. Sie erinnerte sichdaran, was der NGG-Gewerkschaftssekretär ihr geraten hatte: „Fang nicht an, dir zwischen Tür undAngel etwas anzusehen oder etwas zu unterschreiben!“ Das beherzigte sie. „Ich habe ihr gesagt, heutebin ich Facharbeiterin am Empfang. Wenn Sie mit mir über Betriebsratsarbeit sprechen wollen, dannmüsste ich mich jetzt freistellen lassen.“ Mit dieser Souveränität verschaffte sie sich die nötige Zeit,sich die Kenntnisse für die korrekte Dienstplangestaltung anzueignen, und pochte danach darauf,ihr Mitbestimmungsrecht auch ausüben zu dürfen. „Es war eine krasse Baustelle, bis die begriffen haben,was Mitbestimmung heißt und dass kein Dienstplan zu hängen hat, bis er durch den Betriebsratfreigegeben wird“, erinnert sie sich.Ein Lagerraum ohne Tageslicht war das erste BüroHeute hat Herrmann ein kleines Büro, aber anfangs waren die Arbeitsbedingungen nicht rosig: LautGesetz steht einem Einer-Betriebsrat kein eigener Raum zu. „Sie müssen dir nur einen Platz zum Arbeitengeben und einen abschließbaren Schrank“, berichtet Herrmann. Sie arbeitete zunächst auf einemfreien Platz im Reservierungsbüro, später bot man ihr eine Art Mini-LagerraumDie Betriebsrätin erinnerte sich daran, was der ohne Fenster an. „Nicht optimal, aber ich war froh darüber, denn ich hatte dortNGG-Gewerkschaftssekretär ihr geraten hatte: meine Ruhe, und keiner konnte sehen, wer mich besucht.“ Accor stellte ihr Laptop»Fang nicht an, dir zwischen Tür und Angel und Dockingstation zur Verfügung, der Gewerkschaftssekretär beriet sie, welcheetwas anzusehen oder etwas zu unterschreiben!« Sachmittel ihr sonst noch zustanden. Um vieles musste sie kämpfen, beispielsweiseum ein Telefon, auf dem man Anrufe führen kann, ohne dass die DirektorinDas beherzigte sie.sieht, mit wem man spricht. Einen Anrufbeantworter hat sie nicht, ein Diensthandyebenso wenig. „Aber mailen geht ja auch.“ Erst ließ sie sich einen kompletten Tag pro Woche für dieBetriebsratsarbeit freistellen, inzwischen sind es zwei.Die Agenda für ihre Arbeit diskutierte sie mit den Mitarbeitern. Oberste Priorität hatte es für alle,den Dienstplan so zu gestalten, wie es im Manteltarifvertrag vorgeschrieben ist, und damit Schluss zumachen, dass das allgemeine Trinkgeld für Buchungsfehler herangezogen wurde. Gewerkschaft undGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG50


ERFOLGREICHE ARBEITNEHMERVERTRETUNGTarifgebunden: Von 18 Mitarbeiternsind inzwischen 10 in der NGG.Gesamtbetriebsrat rieten ihr, sich die Ziele nicht zu groß zu setzen. „Kleine Erfolge bringen dich ja auchweiter, du kannst nicht alles innerhalb eines halben Jahres ändern“, sagten sie. Und rieten: „Mach dieWeiterbildungskurse für Betriebsräte!“Sechs Betriebsvereinbarungen in zwei Jahren geschafftFrauke Herrmann hat als Betriebsrätin harte Zeiten erlebt und brauchte oft ein dickes Fell, um Anfeindungenund Konflikte nicht persönlich zu nehmen. Sie musste lernen, die Arbeit nicht ständig mitnach Hause zu nehmen. Aber sie verfolgte konsequent ihre Ziele: „Seit 2012 habeich sechs Betriebsvereinbarungen geschlossen“, sagt sie. Dienstpläne, die Anrechnungvon Übergabezeit und Anlegen der Dienstuniform auf die Arbeitszeit, Ur-nach Hause zu nehmen. Aber sie verfolgteSie musste lernen, die Arbeit nicht ständig mitlaubsplanung, den Schutz der Mitarbeiter bei Videoaufnahmen im Betrieb, ein konsequent ihre Ziele: »Seit 2012 habe ich sechsneuer Projekttag für die Azubis, die Reinigung der Uniformen durch den Arbeitgeber– all das konnte sie im Sinne der Beschäftigten besser regeln. Das Betriebs-Betriebsvereinbarungen geschlossen.«klima hat sich verbessert, auch weil eine neue Direktorin, die der Betriebsratsarbeit positiv gegenübersteht,den Dienst aufnahm. Zehn der 18 Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder geworden. FraukeHerrmann freut sich über den Erfolg. „Du brauchst dafür ein gutes privates Umfeld“, sagt die zweifacheMutter. „Und man muss sich auch mal was Gutes gönnen!“ 2014 wurde sie einstimmig wiedergewählt.Was wir für die Betriebsratsgründung raten:1.2.3.Vor allem als Anfänger nicht von der Geschäftsleitung zu Entscheidungen drängen lassen.Das Recht wahrnehmen, neue Sachverhalte erst verstehen zu lernen und dann im Sinne derBelegschaft zu entscheiden.Von Anfang an beharrlich auf Rechte des Betriebsrats (wie die Mitbestimmung über Dienstpläne)pochen und sich kundig machen, welche Sachmittel dem Betriebsrat für die Arbeitzustehen.Geduld bewahren: Ein Betriebsrat braucht Zeit und Fortbildung, um nachhaltig zu wirken.Er sollte auf ein stabiles privates Umfeld achten und sich regelmäßig Pausen gönnen.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG51


ZUSAMMENFASSUNG»So machen wir das!«Alle Tipps zur guten Praxis bei Betriebsratsgründung in der ZusammenschauGute Praxis vor der Wahlversammlung• Möglichst früh die Beratung einer zuständigen Gewerkschaftin Anspruch nehmen und ihr Mitglied werden. Sich währendder ganzen Betriebsratsgründung intensiv begleiten undrechtlich beraten lassen.• Im familiären Umfeld sowie im Bekannten- und FreundeskreisPersonen ansprechen, die schon Erfahrung mit Betriebsratsarbeitgesammelt haben.• Unbedingte Verschwiegenheit über die Pläne zur Betriebsratsgründungbewahren, bis der Kündigungsschutz greift.Nur vertrauenswürdige Mitstreiter in der Belegschaft ansprechen,um einen harten Kern von Aktivisten zu bilden, die sichaufeinander verlassen können – beispielsweise unter denGewerkschaftsmitgliedern im Betrieb.• Für die ersten Besprechungen Treffpunkte außerhalb desOrtes vereinbaren, wo der Betrieb steht, z. B. in Cafés oderKneipen benachbarter Ortschaften – am besten allerdings inPrivaträumen. Darauf achten, dass man bei der Besprechungmöglichst nicht von unbeteiligten Kollegen oder Vorgesetztengesehen wird und zu Spekulationen anregt.• Empfehlenswert vor allem für jene, die noch keine Betriebsratserfahrunghaben: Das Betriebsverfassungsgesetz zulesen bringt auf Ideen! Es motiviert und bestärkt bei derBetriebsratsarbeit, die zahlreichen Mitbestimmungsrechteder Arbeitnehmer zu kennen.• Von Anfang an kluge Koalitionen anstreben: Ein größererBetriebsrat, der beispielsweise mehrere Standorte umfasst,kann mehr Schlagkraft entwickeln als ein kleiner.• Vor der Wahl Stimmungsbild in der Belegschaft abfragen.Aber nur, wenn man sich sicher sein kann, dass die Geschäftsleitungnicht davon erfährt.• Auch kollegiale und sozial agierende Geschäftsleitungen erstin die Pläne einweihen, wenn gesetzlicher Kündigungsschutzfür die Initiatoren besteht.• Genaue Ziele setzen, was man erreichen will: Besondersbei heftigem Gegenwind durch die Geschäftsführung sollteman sich darauf konzentrieren, gegen welche Missständeman kämpfen will und was man erreichen könnte, wennman durchhält. Das motiviert, auch in harten Zeiten dranzubleiben.• Wenn Beschäftigte bei ihrem Einsatz für mehr Mitbestimmungum ihren Job fürchten müssen, besser die zuständigeGewerkschaft die Wahl einleiten und den Wahlvorstandbilden lassen.• Sich einer breiten Zustimmung in der Belegschaft versichern;versuchen, in so vielen Abteilungen wie möglich Mitstreiter zugewinnen. Mitarbeiter in übergreifenden Ressorts (Instandsetzung,IT) können dabei eine wichtige Rolle spielen.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG52


ZUSAMMENFASSUNGGute Praxis zwischen Wahlversammlung und Betriebsratswahl• Peinlichst genau auf alle Fristen und sonstige Formalia (werist wahlberechtigt, wer nicht? etc.) achten, um eine Wahlanfechtungdurch den Arbeitgeber zu vermeiden.• Bis zur letzten Minute mit juristischen Finessen des Arbeitgebersrechnen: vor allem wenn Anwaltskanzleien beteiligtsind, deren Spezialität die Zerstörung von Betriebsräten ist.• Als Wahlvorstand oder Betriebsratsbewerber nicht auf Vier-Augen-Gespräche mit dem Arbeitgeber einlassen. ImmerZeugen mitnehmen.• Leiharbeiter über ihr Recht zur Teilnahme an der Wahl informierenund sie motivieren, sich zu beteiligen.• Darauf gefasst sein, dass die Geschäftsführer oder direkteVorgesetzte Mitarbeiter mobben, die als Befürworter einerBetriebsratsgründung in dieser Phase namentlich bekanntsind. Deshalb ein stabiles privates Umfeld aufbauen, daseinen in solchen Fällen auffängt.• Sich auf interessierte und kritische Nachfragen aus demKollegenkreis einstellen, was ein Betriebsrat bringt und warumman sich dafür engagiert. Als Betriebsratsbewerber aufKollegen zugehen, die persönlichen Ziele eines Engagementsim Falle der Wahl und die realistischen Möglichkeiten der Mitbestimmungkommunizieren (z. B. klarmachen, dass man alsBetriebsrat nicht für höhere Löhne streiten kann, sondern nurdie Gewerkschaft in dieser Frage aktiv wird).• Ausländische Geschäftsleitungen über die besondere deutscheMitbestimmungskultur und die Rolle und Rechte vonBetriebsräten und Gewerkschaften aufklären.• Davon ausgehen, dass der Arbeitgeber Desinformationskampagnenstartet, um dem Betriebsrat zu schaden, oderGegenkandidaten aufstellt.• Auch nach einer gescheiterten ersten Wahlversammlungnicht aufgeben: mit juristischer und moralischer Hilfe derGewerkschaft beharrlich weitere Wege suchen, um eineBetriebsratsgründung einzuleiten.Gute Praxis für neu konstituierte Betriebsräte• Ausschüsse bilden, um die Arbeit zu professionalisieren,auf mehrere Schultern zu verteilen und Fachkenntnisse derBetriebsräte nutzen zu können. Nicht alles nur auf den Vorsitzendenoder die Vorsitzende fokussieren.• Von Anfang an beharrlich auf Rechte des Betriebsrats (wiedie Mitbestimmung über Dienstpläne) pochen und sichkundig machen, welche Sachmittel dem Betriebsrat für dieArbeit zustehen.• Möglichst schnell Betriebsratsschulungen machen, auch umsich mit Betriebsräten anderer Firmen auszutauschen.• Bei Übernahme: engen Kontakt zu bereits bestehendenBetriebsräten (Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat) derKonzernmutter halten, deren Erfahrung und Kompetenz vorallem zu Beginn bei eigenen Verhandlungen nutzen.• Wenn es in Firmen mit ausländischer Geschäftsführung umwesentliche Verhandlungsthemen geht: auf einen Dolmetscherbestehen und nicht versuchen, mit möglicherweise beiderseitigbescheidenen Fremdsprachenkenntnissen zu verhandeln.• Vor allem als Anfänger nicht von der Geschäftsleitung zuschnellen Entscheidungen drängen lassen. Das Recht wahrnehmen,neue Sachverhalte erst verstehen zu lernen unddann im Sinne der Belegschaft zu entscheiden.• Geduld bewahren: Ein Betriebsrat braucht Zeit und Fortbildung,um nachhaltig zu wirken. Er sollte auf ein stabilesprivates Umfeld achten und sich regelmäßig Pausen gönnen.• Ein Betriebsrat kann nicht alle wesentlichen Missständeinnerhalb kurzer Frist bessern. Deshalb realistische Zielesetzen und bei großen Problemen (z. B. die Rückführung vonoutgesourcten Beschäftigten ins Stammunternehmen) aufeine langfristige Strategie bauen.• Als Betriebsrat immer die Ängste, Interessen und Bedürfnisseder Belegschaft im Blick behalten und die eigeneTo-do-Liste danach ausrichten. Die Belegschaft über dieeigene Arbeit und das, was bisher erreicht wurde, informieren(Schwarzes Brett, regelmäßige Betriebsversammlungen).• Dem Arbeitgeber stets klarmachen, dass man für die Belegschaftspricht. Das erhöht die eigene Durchsetzungsmacht.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG 53


PRAXISHILFEBlick ins GesetzbuchFundstellen im Betriebsverfassungsgesetz und im Kündigungsschutzgesetz, die bei derBetriebsratsgründung in der Praxis helfenI. Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)§ 1 Errichtung von Betriebsräten(1) In Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständigenwahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbarsind, werden Betriebsräte gewählt. Dies gilt auch für gemeinsameBetriebe mehrerer Unternehmen.§ 7 WahlberechtigungWahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das18. Lebensjahr vollendet haben. Werden Arbeitnehmer einesanderen Arbeitgebers zur Arbeitsleistung überlassen, so sinddiese wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate im Betriebeingesetzt werden.§ 8 Wählbarkeit(1) Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die sechs Monatedem Betrieb angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigtein der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben. (…)§ 14 Wahlvorschriften(3) Zur Wahl des Betriebsrats können die wahlberechtigtenArbeitnehmer und die im Betrieb vertretenen GewerkschaftenWahlvorschläge machen.§ 17 Bestellung des Wahlvorstands in Betriebenohne Betriebsrat(2) Besteht weder ein Gesamtbetriebsrat noch ein Konzernbetriebsrat,so wird in einer Betriebsversammlung von derMehrheit der anwesenden Arbeitnehmer ein Wahlvorstandgewählt. (…)(3) Zu dieser Betriebsversammlung können drei wahlberechtigteArbeitnehmer des Betriebs oder eine im Betrieb vertreteneGewerkschaft einladen und Vorschläge für die Zusammensetzungdes Wahlvorstands machen.(2) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zufügungoder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oderVersprechen von Vorteilen beeinflussen.(3) Die Kosten der Wahl trägt der Arbeitgeber. Versäumnisvon Arbeitszeit, die zur Ausübung des Wahlrechts, zur Betätigungim Wahlvorstand oder zur Tätigkeit als Vermittler (§ 18 a)erforderlich ist, berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Minderungdes Arbeitsentgelts.II. Kündigungsschutzgesetz (KschG)§ 15 Unzulässigkeit der Kündigung(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands istvom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung einesWahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlagsan, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnissesunzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die denArbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltungeiner Kündigungsfrist berechtigen (…).(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-,Wahl- oder Bordversammlung (…) einlädt oder die Bestellungeines Wahlvorstands (…) beantragt, ist vom Zeitpunktder Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe desWahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachenvorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigemGrund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; derKündigungsschutz gilt für die ersten drei in der Einladung oderAntragstellung aufgeführten Arbeitnehmer (...).Die ungekürzten Gesetzestexte stehen im Internet unterwww.gesetze-im-internet.de.(4) Findet trotz Einladung keine Betriebsversammlung stattoder wählt die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand,so bestellt ihn das Arbeitsgericht auf Antrag von mindestensdrei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betriebvertretenen Gewerkschaft. (…)§ 20 Wahlschutz und Wahlkosten(1) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats behindern. Insbesonderedarf kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktivenund passiven Wahlrechts beschränkt werden.54GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG


PRAXISHILFEWer mehr wissen möchteLiteraturtipps und Links zu praktischen Fragen der BetriebsratsgründungIngrid Artus, Clemens Kraetsch, Silke Röbenack: „Sicherungder betrieblichen Mitbestimmung durch Betriebsratsgründungen.“Erscheint voraussichtlich <strong>2015</strong> als Buch. Dasvon der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojektan der Uni Erlangen hat die Ursachen und Dynamiken vonBetriebsratsgründungen untersucht. Befragt wurden Betriebsratsmitglieder,Gründungsaktivisten, Gesamt- und Konzernbetriebsratsmitgliedersowie Vertreter der Geschäfts- bzw.Personalleitungen.www.boeckler.de/11145.htm?projekt=2011-463-2Martin Behrens, Heiner Dribbusch: „Arbeitgebermaßnahmengegen Betriebsräte: Angriffe auf die betrieblicheMitbestimmung.“ In: WSI-Mitteilungen 2/2014. MancheUnternehmer versuchen massiv und hartnäckig, ihre Beschäftigtenan der Gründung eines Betriebsrats zu hindern. Besondershäufig ist dies in inhabergeführten Firmen, ergab dieseStudie des WSI.media.boeckler.de/Sites/A/Online-Archiv/13013Bundesministerium für Arbeit und Soziales: „Mitbestimmung– Eine gute Sache.“ Stand: Januar 2012. Kostenloserhältlich beim BMAS unter der Art.-Nr.: A741. Zurzeit alsPrintversion vergriffen, wird im ersten Halbjahr <strong>2015</strong> neu aufgelegt.Als PDF online weiterhin abrufbar. Das Buch blickt kurzauf die Geschichte der Mitbestimmung zurück und informiertüber das Betriebsverfassungsgesetz inklusive der Reform von2001. Erklärt werden außerdem der rechtliche Rahmen derMitbestimmung und die europäische Mitbestimmung.www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a741-mitbestimmung-ein-gutes-unternehmen.htmlHans-Böckler-Stiftung: „Grundausstattung. Darauf hat jederBetriebsrat Anspruch.“ Linkstipps: Wie darf das Büroausgestattet sein, welches Büromaterial und welche Literaturbrauchen Betriebsräte?www.boeckler.de/3869.htmHans-Böckler-Stiftung: „Links zur Gestaltung von Betriebsvereinbarungen.“Nützliche Anleitungen zu den Themen undder Vorgehensweise von Betriebsvereinbarungen zwischenBetriebsrat und Arbeitgeber.www.boeckler.de/11472.htmNadine Schlömer-Laufen, RosemarieKay: „Betriebsratsgründungen inkleinen und mittleren Unternehmen.Die Rolle der Belegschaften.“Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 140. ISBN 978-3-8360-8740-7. Bonn, 2012, 147 S. Eine Typologievon Betriebsratsgründungen inkleinen und mittleren Unternehmenaus der Arbeitnehmerperspektive.Was fördert, was hemmt eine Betriebsratsgründungin KMU?www.boeckler.de/6299.htm?produkt=HBS-005136Hans-Böckler-Stiftung: „Gewerkschaftliche Online-Angebotefür Betriebsräte: Praxishilfen, spezielle Webseiten,gewerkschaftliche Videos, Smartphone-Apps. Broschüren,Checklisten, Werkzeuge.“ Links zu vielen praktischenInformationsangeboten von Gewerkschaften für die Betriebsratsarbeit.www.boeckler.de/23059.htmHans-Böckler-Stiftung: „Mit System zum Erfolg: NachhaltigeBetriebsratsarbeit.“ 19 S., Düsseldorf, 2010. Tippsfür ein dauerhaft erfolgreiches Arbeiten von Betriebsräten fürBetriebsräte.www.boeckler.de/pdf/p_<strong>mbf</strong>_nachhaltige_betriebsarbeit.pdfDetlef Wetzel (Hrsg.): „Organizing. Die Veränderung dergewerkschaftlichen Praxis durch das Prinzip Beteiligung.Mit Praxistipps aus dem Methodenhandbuch derIG Metall auf CD.“ 320 S., Hamburg: VSA, 2013. ISBN 978-3-89965-580-3. Theoretischer und praktischer Einblick in dasOrganizing-Prinzip der IG Metall.ver.di: „Betriebsrat? Wähl dir einen!“ Zeichentrickfilm:erklärt in 8 Minuten alle wichtigen Fragen zur Betriebsratsgründung.www.verdi.de/themen/arbeit/++co++e3e60560-f04c-11e1-5aa7-0019b9e321e1IG Metall: „IG Metall erklärt: Was ist ein Betriebsrat?“Kurzfilm über Grundlagen der Betriebsratsarbeit.https://www.youtube.com/watch?v=aPiJ-byyQyUGUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG55

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