WARUM BETRIEBSRÄTE GEGRÜNDET WERDENin den Global Player mit weltweit 16.700 Mitarbeitern und 8,3 Milliarden Euro Umsatz hatte: „Wie tiefwird dieser Konzern in die bestehenden Strukturen eingreifen? Fallen Sparten weg, werden Teilbereicheverlagert? Behalten alle ihre Jobs?“Ob die Gründung eines Betriebsrats das richtige Mittel sein könnte, um Antworten zu bekommenund im Alltag mehr mitzubestimmen, diskutierte die Belegschaft bald intensiv. Initiator warSebastian Schell: „Wir haben uns im Herbst 2013 mit vier, fünf Leuten in der Mittagspause zusammengesetztund überlegt, wie man die ersten Schritte einleitet.“ Die Gruppe hielt ihre Pläne gegenüber derFirmenleitung geheim, aber es war ihr wichtig, zuerst die Stimmungslage der Belegschaft abzufragen.Sie gingen mit Unterschriftenlisten herum, auf denen jeder unterschreiben konnte, der einer Betriebsratsgründungzustimmte. „Natürlich war das ein Risiko. Wenn einer das nicht fürDer Gruppe hielt ihre Pläne gegenüber sich behalten hätte …“, sagt Schell. Nicht alle Mitarbeiter waren mit der Vorgehensweiseeinverstanden, manche empfanden sie als Vertrauensbruch gegenüberder Firmenleitung geheim, aber es war ihrwichtig, zuerst die Stimmungslage dem Arbeitgeber. Manfred Rudel, heute stellvertretender Betriebsratsvorsitzender,stärkt den damaligen Aktivisten jedoch den Rücken: „Es war der einzig rich-der Belegschaft abzufragen. Sie gingen mitUnterschriftenlisten herum. tige Weg. Man wusste ja nicht, wie die Arbeitgeber reagieren.“Betriebsleiter ermuntern zur WahlSebastian Schell streckte die Fühler in Richtung des Gesamtbetriebsrats von Lanxess aus, der ihn andie IG BCE verwies. Erste Tipps bekam er von seiner Mutter, die Betriebsrätin in einem anderen Unternehmenist. Essenziell war für ihn während der Gründungsphase aber die enge Begleitung durch KlausWeiß und Michael Nußbaum von der IG BCE. „Wir mussten alles von der Pike auf lernen“, erklärt er.Kurz bevor das Wahlausschreiben ausgehängt wurde, erfuhren die Betriebsleiter von der bevorstehendenBetriebsratswahl. „Sie wären gerne vorher in Kenntnis gesetzt worden, legten aber weder uns nochder Gewerkschaft Steine in den Weg“, erzählt Manfred Rudel. „Sie haben uns sogar aufgefordert, zurWahl zu gehen“, ergänzt Brigitte Funke, die im Wahlvorstand saß.Die Resonanz war beeindruckend: Es gab auf Anhieb zehn Kandidaten für den Wahlvorstand,zwölf ließen sich zur Wahl des fünfköpfigen Gremiums aufstellen und über 94 % gaben ihre Stimme amWahltag im Mai 2014 ab. Ein enger Kontakt zum Gesamtbetriebsrat von Lanxess sei seither entstanden,erzählt Manfred Rudel. Schon während der Wahl half ein Kollege des Gesamtbetriebsrats, inzwischennimmt Rudel an Konzern- und Gesamtbetriebsratssitzungen bei Lanxess teil und schätzt es, dort kundigeKontakte für alle Fragen zu finden.Betriebsvereinbarungen:Der Betriebsrat kann mitdem Arbeitgeber in allenFragen, die der gesetzlichenMitbestimmungunterliegen, Verträgeschließen, beispielsweiseRegelungen zur Kurzarbeitoder Urlaubsplanung(§ 87 BetrVG).Erste Bewährungsprobe: Kurzarbeit regelnDas neu gewählte Gremium setzte sich gleich nach der Stimmenauszählung zusammen, wählte denersten Vorsitzenden Adrian Kopytziok, den Vertreter Manfred Rudel und den Schriftführer ThomasNeuhaus. Sie fassten erste Beschlüsse, teilten untereinander die Zuständigkeiten auf. Jeden Monat trifftsich der komplette Betriebsrat jetzt mit dem Arbeitgeber.Sich ruhig einzuarbeiten war den Gewählten nicht vergönnt: Kaum ein paar Wochen im Amt,mussten sie eine Regelung für Kurzarbeit aushandeln. „Das war ein schweres Stück Arbeit“, betontManfred Rudel. „Wenn du als Neuling davorstehst, weißt du ja nicht, was du in eine Betriebsvereinbarungalles reinpacken sollst. Du willst ja deine Kollegen schützen und musst viele Punkte klären.Zum Glück haben uns der Gesamtbetriebsrat von Lanxess und die Gewerkschaft unterstützt und wirkonnten eine gute Vereinbarung treffen.“Initiator Sebastian Schell ist nicht in den Betriebsrat gewählt worden. Trotz der Enttäuschungdarüber zieht Schell ein positives Resümee seines Engagements: „Ich bin sehr zufrieden, dass es einenBetriebsrat gibt. Man kann keine Wunder erwarten, denn so ein Gremium muss sich erst mal einarbeiten.Aber für das, was sie bisher geleistet haben: Hut ab!“14GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG
Wollten die gute Arbeitsatmosphäre erhalten und mehr Mitbestimmung erreichen:(von links) Initiator Sebastian Schell, Olga Böhm (Betriebsrätin Soziales), Manfred Rudel (stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Arbeitsschutz/Entgeltfragen), Thomas Neuhaus (Betriebsrat Schriftführer, Sicherheitsbeauftragter), Brigitte Funke (Betriebsrätin Soziales).Was wir für die Betriebsratsgründung raten:1.2.3.Vor der Wahl Stimmungsbild in der Belegschaft abfragen. Aber nur, wenn man sich sichersein kann, dass die Geschäftsleitung nicht davon erfährt.Auch kollegiale und sozial agierende Geschäftsleitungen erst in die Pläne einweihen,wenn gesetzlicher Kündigungsschutz für die Initiatoren besteht.Bei Übernahme: engen Kontakt zu bereits bestehenden Betriebsräten der Konzernmutter halten,deren Erfahrung und Kompetenz vor allem zu Beginn bei eigenen Verhandlungen nutzen.GUTE PRAXIS BEI DER BETRIEBSRATSGRÜNDUNG15