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Neue „Ökis“ gesucht - Rangsdorf - in der Gemeinde Rangsdorf

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18 <strong>Rangsdorf</strong><br />

Wie alt ist<br />

Kle<strong>in</strong> Kienitz?<br />

Gedanken aus<br />

<strong>der</strong> Geschichtswerkstatt<br />

Kle<strong>in</strong> Kienitz (K<strong>in</strong>itz parva,<br />

Parua Kynitz) besaß bei <strong>der</strong><br />

Ersterwähnung im Landbuch<br />

Kaiser Karl IV. 30 Hufen und 7<br />

Kossäten, ca. 130 – 160 E<strong>in</strong>wohner,<br />

e<strong>in</strong>e Kirche und e<strong>in</strong>en<br />

Krug. Im Landbuch wurden<br />

zahlreiche Besitzer ausgewiesen,<br />

die E<strong>in</strong>nahmen aus Kle<strong>in</strong><br />

Kienitz erzielten z. B. Frau<br />

Selstrank, e<strong>in</strong> Friedrich Direke,<br />

(Nicolaus)und Bartholomäus<br />

und auch Henn<strong>in</strong>g Rutcher und<br />

Henn<strong>in</strong>g Honow. Alles wurde,<br />

wie es damals so üblich war, aus<br />

dem Ort abgezogen und fe<strong>in</strong><br />

säuberlich im Landbuch notiert,<br />

die Pacht von den Hüfnern<br />

und Kossäten, die Bede,<br />

Hebungen, die E<strong>in</strong>wohner<br />

zahlten Schill<strong>in</strong>ge für die Pacht,<br />

mehrere Wispel (ca. 350 Liter)<br />

bzw. Schöffel Getreide,<br />

schockweise Eier und Hühner<br />

im Stück. Die Ersterwähnung<br />

im Landbuch von Kle<strong>in</strong> Kienitz<br />

geht auf das Jahr1375 zurück.<br />

Bei <strong>der</strong> Durcharbeitung <strong>der</strong> Dokumente<br />

tauchte e<strong>in</strong>e Bemerkung<br />

über e<strong>in</strong>en Ritter Falke voraussichtlich<br />

Nikolaus Falke<br />

auf, <strong>der</strong> früher Vogt <strong>in</strong> Mittenwalde<br />

war. Der hatte se<strong>in</strong>e Anteile<br />

schon vor 1375 an<br />

Selstrank verkauft. E<strong>in</strong>e Frau<br />

Selstrank ist ja auch ab 1375 <strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong> Kienitz als Eigentümer<strong>in</strong><br />

benannt, doch wann hat <strong>der</strong><br />

Verkauf an die Familie<br />

Selstrank stattgefunden? Ist<br />

e<strong>in</strong>e frühere Nennung des Ortes<br />

Kle<strong>in</strong> Kienitz heute noch<br />

nachweisbar? Kann die Ersterwähnung<br />

korrigiert werden?<br />

Diesen Fragen nachzugehen ist<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>teressanter Ansatz für die<br />

Geschichtsforschung <strong>in</strong> unserem<br />

Ort und für die Arbeit <strong>der</strong><br />

Geschichtswerkstatt.<br />

Zielsicher<br />

Wer das Ziel kennt,<br />

kann entscheiden.<br />

Wer entscheidet, f<strong>in</strong>det Ruhe,<br />

wer Ruhe f<strong>in</strong>det, ist sicher,<br />

wer sicher ist, kann überlegen,<br />

wer überlegt,<br />

kann verbesserrn.<br />

Konfuzius<br />

S. Rothen<br />

Alle <strong>Rangsdorf</strong>er s<strong>in</strong>d herzlich<br />

e<strong>in</strong>geladen zur Teilnahme an <strong>der</strong><br />

feierlichen Enthüllung <strong>der</strong><br />

Informationstafel vor dem ehemaligen<br />

Haus <strong>der</strong> Familie<br />

Ludomer am Sonntag, den 15.<br />

Mai, ab 15 Uhr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Straße<br />

Unter den Eichen 6.<br />

Es ist schon e<strong>in</strong>e große und emotionale<br />

Geste, welche die Geme<strong>in</strong>de<br />

<strong>Rangsdorf</strong> und die Nachfahren<br />

<strong>der</strong> Familie Ludomer wagen.<br />

Die Geme<strong>in</strong>de bekennt sich<br />

zu ihrer Geschichte, auch zum<br />

dunkelsten Kapitel. Wir heutigen<br />

<strong>Rangsdorf</strong>er, zumeist geboren<br />

nach 1945, tragen ke<strong>in</strong>e persönliche<br />

Schuld, aber wir<br />

übernehmen aus unserer<br />

Geschichte die Verantwortung<br />

für e<strong>in</strong>e<br />

Gesellschaft ohne Rassismus<br />

und Antisemitismus.<br />

Wir empf<strong>in</strong>den<br />

Trauer über das s<strong>in</strong>nlose<br />

Leid, das über so viele<br />

Menschen, auch über<br />

<strong>Rangsdorf</strong>er Bürger,<br />

gebracht wurde. Die<br />

Nachfahren im Ausland<br />

haben Vertrauen zu uns<br />

gefasst. Sie überw<strong>in</strong>den<br />

ihre Bedenken und<br />

nehmen e<strong>in</strong>e weite Reise<br />

auf sich. Sie möchten<br />

uns kennen lernen und<br />

sehen, wie die Geme<strong>in</strong>de<br />

<strong>Rangsdorf</strong> heute das<br />

Andenken an das<br />

Schicksal ihrer Vorfahren<br />

bewahrt.<br />

1931 zogen die<br />

Ludomers von Berl<strong>in</strong><br />

nach <strong>Rangsdorf</strong>. Ihr Haus gehörte<br />

zu den ersten Gebäuden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

gerade erschlossenen Waldsiedlung.<br />

Es steht noch heute<br />

dort. Das Foto von 1935 zeigt<br />

Henriette und Arnold Ludomer<br />

mit <strong>der</strong> zehnjährigen Tochter<br />

Hilma vor ihrem Haus. Die Familie<br />

war glücklich <strong>in</strong> <strong>Rangsdorf</strong>.<br />

Hilma g<strong>in</strong>g gern <strong>in</strong> die<br />

<strong>Rangsdorf</strong>er Grundschule. Sie<br />

war beliebt bei Freund<strong>in</strong>nen und<br />

Nachbarn. Ihre Mutter engagierte<br />

sich mit an<strong>der</strong>en Eltern für die<br />

Schule. Der Vater war Steuerberater<br />

und hielt Vorträge über<br />

Steuerfragen im Vere<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Rangsdorf</strong>er Unternehmer. Es<br />

spielte ke<strong>in</strong>e Rolle, dass die Familie<br />

jüdischen Glaubens war. Nach<br />

1933 än<strong>der</strong>te sich das wegen <strong>der</strong><br />

9.4.2011<br />

E<strong>in</strong>ladung zum 15. Mai Unter den Eichen<br />

Gedenkfeier mit den Nachfahren <strong>der</strong> Familie Ludomer<br />

antijüdischen Hetze <strong>der</strong> Nationalsozialisten.<br />

Ängstliche Nachbarn<br />

stellten den Umgang mit<br />

<strong>der</strong> Familie Ludomer allmählich<br />

e<strong>in</strong>. Hilma schrieb e<strong>in</strong> Tagebuch,<br />

das uns ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> vor zwei Jahren<br />

übergeben haben und das wir<br />

bald veröffentlichen werden.<br />

Dar<strong>in</strong> beschrieb sie die glücklichen<br />

und die traurigen Erlebnisse<br />

<strong>in</strong> <strong>Rangsdorf</strong>.<br />

1938, e<strong>in</strong>e Nacht nach dem Novemberpogrom(„Kristallnacht“),<br />

drangen <strong>Rangsdorf</strong>er<br />

SA-Männer gewaltsam <strong>in</strong> das<br />

Haus e<strong>in</strong> und verwüsteten es.<br />

Jetzt wollte die Familie nur noch<br />

fort aus <strong>Rangsdorf</strong>. Sie hoffte, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Anonymität <strong>der</strong> Großstadt<br />

Berl<strong>in</strong> überleben zu können.<br />

Haus und Grundstück wurden<br />

im Dezember 1938 unter Wert<br />

verkauft. Der Erlös musste auf<br />

e<strong>in</strong> Sperrkonto e<strong>in</strong>gezahlt werden,<br />

von dem monatlich nur e<strong>in</strong>e<br />

genehmigte Summe für den<br />

dr<strong>in</strong>gendsten Lebensbedarf abgehoben<br />

werden durfte. Im Krieg<br />

mussten Hilma und ihr Vater harte<br />

Zwangsarbeit leisten. Im Januar<br />

1942 wurden die Verwandten<br />

aus <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Wohnung<br />

deportiert. In ihrem Tagebuch<br />

beschreibt Hilma <strong>in</strong> ergreifen<strong>der</strong><br />

Weise Beobachtungen und Gefühle<br />

beim Begleiten von Familienangehörigen<br />

und Freunden<br />

zu den Sammelstellen vor den<br />

Deportationen. Sie ahnt, dass<br />

diese Menschen ke<strong>in</strong>e Überlebenschancen<br />

haben. Ihre Eltern<br />

wurden im Oktober 1942<br />

nach Riga deportiert und gleich<br />

nach <strong>der</strong> Ankunft erschossen.<br />

Nur Hilma überlebte. Als die<br />

Gestapo überraschend kam, um<br />

die Familie aus <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Wohnung<br />

abzuholen, gelang es <strong>der</strong><br />

17jährigen Hilma zu fliehen.<br />

Freunde <strong>der</strong> Familie und Nazi-<br />

Gegner versteckten Hilma unter<br />

eigener Lebensgefahr bis zum<br />

Kriegsende 1945. Zu den Helfern<br />

gehörten vor allem die Familie<br />

e<strong>in</strong>es ehemaligen<br />

<strong>Rangsdorf</strong>er Spielkameraden<br />

sowie <strong>der</strong><br />

<strong>Rangsdorf</strong>er Amtsvorsteher<br />

bis 1933, Georg<br />

Rapp.<br />

1947 wan<strong>der</strong>te Hilma<br />

<strong>in</strong> die USA aus, heiratete<br />

dort und bekam zwei<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Sie starb 1993<br />

im Alter von 67 Jahren.<br />

Ihrer Tochter Audrey<br />

und ihrem Sohn Bruce<br />

hat Hilma nicht viel von<br />

den schrecklichen Erlebnissen<br />

erzählt, um<br />

sie nicht damit zu belasten.<br />

Mit Hilfe <strong>der</strong> Fotos<br />

und <strong>der</strong> Dokumente <strong>der</strong><br />

Familie und mit <strong>der</strong> Auswertung<br />

vieler Akten <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>er und Brandenburger<br />

Archiven durch<br />

Frau Dr. Carola Gerlach<br />

rekonstruieren wir geme<strong>in</strong>sam<br />

diese Geschichte.<br />

Beide K<strong>in</strong><strong>der</strong> von Hilma<br />

Ludomer kommen aus<br />

Michigan/USA und aus Norwegen<br />

zu unserer Feier – vielleicht<br />

auch zwei Enkelk<strong>in</strong><strong>der</strong> aus Großbritannien;<br />

e<strong>in</strong>e Nichte von<br />

Arnold Ludomer und ihr Sohn<br />

kommen aus Berl<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Kus<strong>in</strong>e<br />

reist aus New York an.<br />

Hoffentlich s<strong>in</strong>d wir am 15. Mai<br />

mehr als nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Grüppchen<br />

aus Bürgermeister, Kulturvere<strong>in</strong><br />

und Geme<strong>in</strong>devertretern.<br />

Nachbarn des Ludomer Hauses<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Waldsiedlung,<br />

<strong>Rangsdorf</strong>er: Bitte kommt und<br />

zeigt Euer Interesse und Eure Anteilnahme!<br />

Dr. Norbert Kampe,<br />

Geschichtswerkstatt<br />

im Kulturvere<strong>in</strong> <strong>Rangsdorf</strong>

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