Jahresbericht - Behinderten-Werk Main-Kinzig eV

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4 Individualisierung der Angebote für behinderte Menschen Individualisierung bedeutet, den behinderten Menschen als Einzelwesen mit seinen „individuellen“ Merkmalen wahrzunehmen. Bei der Gestaltung von Angeboten sind also seine Besonderheiten zu berücksichtigen. Sie werden bislang unter dem Begriff „Hilfebedarf“ gefasst. Der Hilfebedarf ist die Richtschnur für die Zuerkennung von Leistungen. Zukünftig sollen aber diesem von außen festgestellten individuellen Bedarf die persönlichen Bedürfnisse gleichgestellt werden. Elisabeth Wacker, Professorin an der Universität Dortmund, spricht von Bedarfsgerechtigkeit und Bedürfnisorientierung als Entscheidungsgrundlage für die anzubietenden Maßnahmen. Damit ist allerdings eine erweiterte Form der Individualisierung verbunden. Die Individualisierung der Angebote kann sich nicht mehr an bestimmten Theorien wie z.B. Normalisierung orientieren. Vielmehr sollen behinderte Menschen direkt in die Entwicklung der Aktivitäten einbezogen werden, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Individualisierung bedeutet also, dass die Einrichtungen von „Reha all inclusive“ (Elisabeth Wacker) Abschied nehmen müssen und sich an „Reha by participation“ orientieren sollen. Partizipation erfordert in der Praxis nicht nur die Beteiligung an der Durchführung von Hilfeprozessen, sondern auch an deren Planung und an der Bewertung ihrer Ergebnisse. Individualisierung erfordert von den Einrichtungen als Anbieter bedarfsgerechter und bedürfnisorientierter Leistungen die Partizipation bzw. Einbeziehung der behinderten Menschen. Die Praxis der Partizipation findet in Form von Beteiligung statt – ein Begriff, der „Partizipation“ eher gerecht wird als die im SGB IX verwendete Übersetzung „Teilhabe“. Wenn Beteiligung die Praxis der Partizipation darstellt, bedeutet das, dass die Individualisierung der Leistungen für behinderte Menschen in ein Beteiligungsmanagement und ein beteiligendes Management eingebunden werden muss. Beteiligungsmanagement hat Beteiligung zum Ziel und nutzt sie in der Form des beteiligenden Managements auch als Methode, und dies unter mehreren Gesichtspunkten: • In einer ersten Perspektive ist Beteiligung insofern ein Ziel, als es den gesetzlichen Auftrag gibt, durch die Angebote an die leistungsberechtigten behinderten Menschen deren Selbstbestimmung und Teilhabe zu fördern. Methode ist Beteiligung insofern, als die für Selbstbestimmung und Teilhabe nötigen Kompetenzen und Qualifikationen nur in einer beteiligenden Praxis entwickelt werden können. • Die zweite Perspektive orientiert sich daran, das Personal dazu zu befähigen, die Beteiligung der behinderten Menschen zu praktizieren. Ziel ist hier die Entwicklung der Beteiligungsbereitschaft und der Beteiligungsfähigkeit der MitarbeiterInnen als Voraussetzung dafür, dass die Beteiligung der behinderten Menschen im Sinne der Individualisierung der Angebote auch verwirklicht wird. In dieser Perspektive ist Beteiligung des Personals im Sinne durch ein beteiligendes Management die Methode, mit der die entsprechenden Kenntnisse, Fertigkeiten und Einstellungen „erzeugt“ und entwickelt werden. • Die dritte Perspektive von Beteiligung bezieht sich auf das Engagement des Personals zur Sicherung und Entwicklung der individuellen, bedarfs- und bedürfnisorientierten Leistungen. Beteiligendes Management dient hier als Methode zur Aktivierung der Ressourcen der MitarbeiterInnen. Ziel ist hier die Beteiligung an der nachhaltigen Gestaltung und Weiterentwicklung der Angebote und damit an der Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Qualifikationen und Kompetenzen der behinderten Menschen und auch an der Sicherung der eigenen Zukunft und der Zukunft des Unternehmens.
Individualisierung der Angebote – auch unter dem Aspekt der Einführung des persönlichen Budgets – hat Selbstbestimmung und Teilhabe nicht nur zum proklamierten Ziel, sondern erfordert Teilhabe in Form der Beteiligung auch als Methode. So bietet sich die Chance, die Notwendigkeit der Individualisierung der Angebote für behinderte Menschen zu nutzen, um auch die Strukturen und Prozesse der Hilfe zu individualisieren. Die Verwirklichung dieser Chance erfordert allerdings in der Praxis eine umfassende Beteiligung aller davon berührten Personen an der Planung, Durchführung und Bewertung von Strukturen und Prozessen – keine leichte, aber eine spannende und zukunftssichernde Aufgabe. Verfasser Prof. Dr. Gerd Grampp, Fachhochschule Jena, Fachbereich Sozialwesen gerd.grampp@fh-jena.de 5
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