port01 Dresden | 09.2015
Die ganze Stadt in deiner Tasche!
Die ganze Stadt in deiner Tasche!
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96 KOLUMNE<br />
LIEBE GEMEINDE,<br />
wenn Ihr glaubt, Ihr liebt das Leben, fahrt sonntags<br />
mal in die Innenstadt. Geht nämlich nicht. Sackgasse.<br />
In den Monaten Mai bis September ist die<br />
Stadt sonntags ausschließlich exhibitionistischen<br />
Sportlern vorbehalten. Menschen, die es lieben,<br />
öffentlich zu schwitzen, anderen gern dabei zusehen,<br />
am liebsten aber sich selbst zeigen.<br />
Marathon, Halbmarathon, City-Lauf, Fahrradfest,<br />
Triathlon, Firmenlauf, Team-Staffel, Nachtlauf,<br />
Velorace, Sachsentour, Spendenlauf. Immer schön<br />
durch die Innenstadt. Straßen und Radwege werden<br />
extra gesperrt. Alle sollen schließlich mitbekommen,<br />
dass man sich verausgabt. Der Gesundheit<br />
willen? Unsinn. Weder Ausdauer noch Muskeln<br />
sollen aufgebaut werden. Das Ego, sonst nix.<br />
Man stellt sich selbst über die Stadt. Alles andere<br />
muss stillstehen. Die Stadt wird ihrer Funktion<br />
beraubt. Ja, das Ding wurde mal Stadt, weil hier<br />
eine Menge Menschen auf einem Haufen leben.<br />
Die sich trotzdem frei bewegen wollen. Von A nach<br />
B, auf Verkehrswegen, die extra dafür gebaut wurden.<br />
Auch Sonntags (für RTL-Gucker: das ist der<br />
Tag, an dem Primark zu hat).<br />
Die Geltungssucht schwappt aus dem Netz. Bisher<br />
wurden durch „runtastische Aktivitäten“ nur<br />
die digitalen Freunde mit Kilometern, Zeiten und<br />
verbrannten Kalorien genervt. Zeitweise posteten<br />
Leute so schlechte Werte, dass ich dachte, die<br />
wären in den Pilzen gewesen. Aber Hauptsache,<br />
alle bekommen mit, dass sie Sport machen. Jetzt<br />
wird das Spektakel einem breiteren Publikum vorgeführt:<br />
der ganzen Stadt. Seit diesem Jahr gibt es<br />
daher u.a. auch den Ladys-Run. Ja, die Stadt wird<br />
gesperrt, wegen einem Lauf nur für Frauen. Allen<br />
voran als Botschafterin die No-Angels-Locken-<br />
Lesbe Luci. Wie eine Made zieht sie sich schleppend<br />
mit tausenden Frauen durch Deutschlands<br />
Städte, um diese zu verstopfen.<br />
Lieber Schweißperlen als gar keinen Schmuck? Oder<br />
fühlen sich Frauen diskriminiert, mit Männern zu laufen?<br />
Ging der Emanzipation bei den Rennen davor die<br />
Puste aus? Als nächstes kommt der Kinderlauf. Ein<br />
Lauf für Schwarze, für Weiße, für Schwule. Wie wärs<br />
mit nem Lauf für Rentner (geht dann bis Dienstag), für<br />
Haustiere oder für Klingonen? Ein freier Sonntag lässt<br />
sich bestimmt noch finden. Nein! Denn die Stadt ist<br />
für alle da. Vor allem für die Bürger, die darin wohnen.<br />
So schön es sein mag, für Sport-Touristen aus aller<br />
Welt an berühmten Fassaden, Plätzen und Bauwerken<br />
vorbeizurennen. Die Menschen der Stadt werden<br />
dafür in Sippenhaft genommen. Und es reicht.<br />
Ich laufe übrigens auch gern. Nicht nur zum Kühlschrank.<br />
Ich mag es, Sport zu treiben. Wenn ich es<br />
schaffe, mehrmals die Woche. Zum Glück gibt es<br />
dafür Parks, die Heide, den großen Garten. Das hat<br />
tolle Effekte. Ruhe, Natur, kein harter Asphalt unter<br />
den Füßen. Und wenn man am Abend mit offenem<br />
Mund an der Elbe läuft, brauchst du dank der Mücken<br />
kein Abendbrot mehr. Die Stadt ist groß. Und Sport<br />
tut man vorrangig für sich. Wettkämpfe sollten wieder<br />
dort stattfinden, wo sie hingehören. In Stadien, auf<br />
Laufstrecken, in Wäldern, Parks. Dort kann man auch<br />
in Gruppen laufen, die man sich selbst nach Belieben<br />
zusammenstellt. Mit Frauen, Männern oder Klingonen.<br />
Die wichtigste Sportübung ist ohnehin, sich selbst<br />
auf den Arm zu nehmen. Sebastian hat nun eine faultastische<br />
Aktivität begonnen. Ab in den Biergarten.<br />
Shit. Es ist Sonntag...<br />
Eurer Sebastian »Agent Twist«<br />
w facebook.de/seb.guenth<br />
Dieser monatliche Beitrag spiegelt die persönliche Meinung des Autors wieder. Dabei handelt es sich nicht immer auch<br />
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