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Weihnachten 2010 - St. Martin und Severin

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November <strong>2010</strong> Südkurier 23<br />

Die Kirchen subventionieren den <strong>St</strong>aat<br />

Auszug aus der Rede von Dechant Dr. Wolfgang Picken vor dem 68. Deutschen Juristentag in Berlin<br />

Im Folgenden geben wir einen<br />

Auszug aus einer wichtigen Rede unseres<br />

Dechanten wieder, die wir unserer<br />

Leserschaft nicht vorenthalten<br />

wollen. Die Redaktion<br />

Von Dr. Wolfgang Picken<br />

Der demokratische <strong>und</strong> soziale<br />

Verfassungsstaat kennt unter anderem<br />

zwei Gr<strong>und</strong>voraussetzungen: Er<br />

beruht auf (Gr<strong>und</strong>-)Werten <strong>und</strong> lebt<br />

von funktionsfähigen sozialen Vernetzungen<br />

<strong>und</strong> Bindungen innerhalb<br />

der Gesellschaft. Beide Voraussetzungen<br />

kann der <strong>St</strong>aat nicht schaffen,<br />

erzwingen oder gar ersetzen. Er<br />

muss sie in der Gesellschaft vorfinden.<br />

Hier kommen unter anderem die<br />

Kirchen in den Blick: Sie generieren<br />

<strong>und</strong> tradieren solche Werte, auf die<br />

der <strong>St</strong>aat angewiesen ist. Überdies<br />

stellen die Kirchen gesellschaftliche<br />

Subsysteme dar, die über eine<br />

weit gefächerte <strong>und</strong> flächendeckende<br />

soziale Vernetzung verfügen. Sie<br />

stellen einen großen Teil der sozialstaatlichen<br />

Infrastruktur sicher. Daraus<br />

ergibt sich für die Kirchen die<br />

Verpflichtung, auch in schwieriger<br />

Situation ihre Aufgaben als gesellschaftliche<br />

Subsysteme nicht wie einen<br />

lästigen Ballast abzuwerfen <strong>und</strong><br />

durch eine vermehrte Konzentration<br />

auf sich selbst den Eindruck zu vermitteln,<br />

als ginge sie die soziale Entwicklung<br />

von <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

nichts an.<br />

Auch den <strong>St</strong>aat verpflichtet die<br />

Partnerschaft mit den Kirchen. <strong>St</strong>att<br />

Wertschätzung sind Kirchen vielerorts<br />

Angriffen <strong>und</strong> Infragestellungen<br />

auch staatlicherseits ausgesetzt.<br />

In diesem Kontext steht die immer<br />

wieder aufkommende Forderung<br />

nach einer radikalen Trennung<br />

von <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Kirche. Hier geht es<br />

nicht um die erforderliche Unterscheidbarkeit<br />

von <strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Kirche,<br />

die ist vollkommen unstrittig <strong>und</strong><br />

gegeben, wie ich meine, sondern um<br />

eine Separierung <strong>und</strong> ein Abdrängen<br />

der Kirchen an den Rand der Gesellschaft.<br />

Der <strong>St</strong>aat muss sich zwar von<br />

den Kirchen unterscheiden, trennen<br />

– im Sinne von Ausgrenzen <strong>und</strong><br />

Separieren – kann <strong>und</strong> darf er sich<br />

nicht von ihnen.<br />

Viele Subsysteme werden schwächer<br />

oder fallen ganz aus. Die nüchterne<br />

Analyse des <strong>St</strong>atus quo von<br />

<strong>St</strong>aat <strong>und</strong> Gesellschaft müsste zu<br />

der Einsicht zurückführen, dass die<br />

großen Aufgaben <strong>und</strong> Probleme im<br />

<strong>St</strong>aat nur im Miteinander aller gesellschaftlichen<br />

Subsysteme gelöst<br />

werden können. Der <strong>St</strong>aat kann also<br />

an einer Schwächung der gesellschaftlichen<br />

Subsysteme nicht interessiert<br />

sein. Vielmehr muss er sie,<br />

insbesondere die freien Träger sozialer<br />

Dienstleistungen, damit auch die<br />

Kirchen, zusätzlich fördern <strong>und</strong> unterstützen.<br />

Manche staatliche <strong>St</strong>ellen halten<br />

kirchliche Angebote nicht für kompatibel<br />

mit der multikulturellen<br />

Gesellschaft. Konfessionelle Träger<br />

werden nicht selten per se für unwillig<br />

<strong>und</strong> unfähig angesehen, einen<br />

Beitrag zur Integration von Migranten<br />

zu leisten. Die Faktenlage aber<br />

ist eine gänzlich andere: In der <strong>St</strong>adt<br />

Bonn werden beispielsweise 40 Prozent<br />

aller Kindergartenplätze von<br />

katholischen Trägern zur Verfügung<br />

gestellt. Mehr als 45 Prozent der Kindergartenplätze<br />

in diesen Einrichtungen<br />

sind an nicht katholische<br />

Kinder, davon etwa ein Viertel an<br />

Kinder mit Migrationshintergr<strong>und</strong>,<br />

vergeben. Auch islamische Familien<br />

bewerten kirchliche Einrichtungen<br />

offenbar positiv. Sie schätzen die<br />

wertorientierte Ausrichtung <strong>und</strong> die<br />

Qualität der Pädagogik sowie die<br />

Integrationskraft des Trägers <strong>und</strong><br />

zweifeln nach eigenen Aussagen gerade<br />

in diesen Punkten oft an den<br />

staatlichen Institutionen.<br />

Ein anderer Vorwurf lautet, dass<br />

die kirchlichen Einrichtungen in hohem<br />

Umfang durch staatliche Zuschüsse<br />

finanziert werden. Der Vorwurf<br />

lautet: Die Einflussnahme der<br />

Träger auf Aufnahmekriterien <strong>und</strong><br />

Inhalte stünden in keiner Relation zu<br />

ihrer finanziellen Eigenbeteiligung.<br />

Die vorgetragene Argumentation<br />

verkehrt allerdings die Faktenlage.<br />

Der <strong>St</strong>aat unterstützt mit seinen Finanzmitteln<br />

nicht in erster Linie die<br />

Interessen der Kirchen. Vielmehr er-<br />

Foto: <strong>St</strong>efan Walbröl<br />

möglichen die Kirchen durch den Betrieb<br />

von Kindergärten <strong>und</strong> Schulen,<br />

dass der <strong>St</strong>aat seiner gesetzlichen<br />

Verpflichtung nachkommen kann,<br />

Kindergarten- <strong>und</strong> Schulplätze in<br />

hinreichender Zahl <strong>und</strong> gebotener<br />

Vielfalt zur Verfügung zu stellen. Die<br />

Kirchen erfüllen also eine Aufgabe,<br />

die der <strong>St</strong>aat zu garantieren hat, die<br />

aber nach dem Sozialgesetzbuch in<br />

der Umsetzung ausdrücklich zuerst<br />

der Gesellschaft zugewiesen wird.<br />

Die Kirchen entlasten den <strong>St</strong>aat von<br />

Aufgaben <strong>und</strong> erhalten deshalb einen<br />

Ausgleich für die dadurch entstehenden<br />

finanziellen Belastungen.<br />

Der Trägeranteil, den die Kirchen<br />

aufbringen, muss als ihre zusätzliche<br />

Beteiligung an den Aufgaben des<br />

<strong>St</strong>aates <strong>und</strong> damit als eine kirchliche<br />

Subvention der Kommunen angesehen<br />

werden, nicht umgekehrt.<br />

Für die <strong>St</strong>adt Bonn ergibt sich<br />

zum Beispiel allein bei den katholischen<br />

Kindergärten so ein direktes<br />

Sparvolumen von 1,7 Millionen Euro<br />

pro Jahr. Hinzu kommen weitere<br />

Einsparungen, weil staatliche Verwaltungsaufgaben<br />

<strong>und</strong> Investitionskosten<br />

entfallen <strong>und</strong> viele Aufgaben<br />

ehrenamtlich ausgefüllt werden.<br />

Um den <strong>St</strong>aat zu entlasten <strong>und</strong><br />

die Gesellschaft zu stärken, braucht<br />

es zukünftig eine Vergesellschaftung<br />

des <strong>St</strong>aates. Damit ist nicht<br />

eine Privatisierung oder Kommerzialisierung,<br />

sondern ausdrücklich die<br />

Übertragungen staatlicher Funktionen<br />

<strong>und</strong> Institutionen an gemeinnützige<br />

Subsysteme gemeint.

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