Mach mal langsam - Bund Naturschutz in Bayern eV
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Gegen den Beschleunigungswahn<br />
im Verkehr<br />
Zeit lassen<br />
Verme<strong>in</strong>tliche Zeitgew<strong>in</strong>ne durch höhere<br />
Geschw<strong>in</strong>digkeiten dienen Politikern<br />
als Argument, um Großprojekte wie etwa<br />
»Stuttgart 21« durchzusetzen.<br />
Zeit gew<strong>in</strong>nen, Zeit verbummeln, »verlorene« Zeit<br />
wieder aufholen – <strong>in</strong> der Mobilität spielt das unterschiedliche<br />
Erleben der Zeit e<strong>in</strong>e so große Rolle wie <strong>in</strong><br />
kaum e<strong>in</strong>em anderen Lebensbereich. Die Wunschvorstellung,<br />
schneller voranzukommen, f<strong>in</strong>det sich schon<br />
im Märchen mit den Siebenmeilenstiefeln und endet<br />
längst nicht bei der Diskussion um neue Autobahnen,<br />
Hochgeschw<strong>in</strong>digkeitstrassen der Bahn, den Transrapid<br />
oder den für viele <strong>in</strong>zwischen nor<strong>mal</strong>en Flug <strong>in</strong> den<br />
Urlaub.<br />
Doch welche Folgen hat die Beschleunigung, e<strong>in</strong><strong>mal</strong><br />
abgesehen von Klimawandel, Flächenverbrauch und<br />
anderen Schäden für die Umwelt? Je schneller wir unterwegs<br />
s<strong>in</strong>d, desto ger<strong>in</strong>ger ist unser Kontakt zur umgebenden<br />
Landschaft, die wir durchmessen, umso gröber<br />
die Wahrnehmung und umso weniger haben wir<br />
die Möglichkeit, mit Mensch und Natur <strong>in</strong> Kontakt zu<br />
treten. Für die Fragen der Gestaltung unserer MobilitätsInfrastruktur,<br />
unserer Städte und Dörfer und für<br />
die Zuordnung beispielsweise von Wohn, Freizeitund<br />
Gewerbegebieten s<strong>in</strong>d diese Zusammenhänge von<br />
größter Bedeutung.<br />
Auch Wissenschaftler irren<br />
Der Wiener Verkehrswissenschaftler Prof. Hermann<br />
Knoflacher weist völlig zu Recht auf die falsche Annahme<br />
vieler Verkehrswissenschaftler und Politiker h<strong>in</strong>,<br />
Geschw<strong>in</strong>digkeitserhöhung müsse mit Zeitersparnis<br />
verbunden se<strong>in</strong>. »Diese These bildet die Grundlage vieler<br />
Wirtschaftlichkeitsberechnungen <strong>in</strong> der Verkehrsplanung.<br />
Tatsächlich gibt es ke<strong>in</strong>e Zeite<strong>in</strong>sparung<br />
durch höhere Geschw<strong>in</strong>digkeiten. Es steigen nur die<br />
Entfernungen bei gleicher Wegzeit«, so Knoflacher. Die<br />
Idee des Mobilitätswachstums beruhe auf e<strong>in</strong>er unvollständigen<br />
Betrachtung des Systems. Man nahm an,<br />
Foto: Jan Haas / Fotolia<br />
dass mit zunehmender Motorisierung die Mobilität<br />
steige. Man weiß heute aber, dass nur die Anzahl der<br />
Autofahrten steigt, die Summe der getätigten Wege<br />
aber gleich bleibt, weil die Fahrten mit öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln und die Fußwege gleichzeitig abnehmen.<br />
Gerade bei KostenNutzenBerechnungen, um den<br />
»Bedarf« neuer Straßen, Fliegerstartbahnen, ICETrassen<br />
wie die Strecke Nürnberg – Erfurt oder die mit dem<br />
Prestigeprojekt »Stuttgart 21« zusammenhängende<br />
Neubaustrecke Stuttgart – Ulm politisch zu rechtfertigen,<br />
hat der verme<strong>in</strong>tliche Nutzen durch die E<strong>in</strong>rechnung<br />
von »Zeitvorteilen« den größten E<strong>in</strong>fluss. Der<br />
<strong>Bund</strong> <strong>Naturschutz</strong> fordert daher die Korrektur dieser<br />
Berechnungen und die Neubewertung aller Projekte.<br />
Nur so schnell wie nötig<br />
E<strong>in</strong> Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf deutschen<br />
Autobahnen und e<strong>in</strong>e Diskussion für e<strong>in</strong> Tempolimit<br />
im Flugverkehr hätten auch unter dem Klimaschutzaspekt<br />
e<strong>in</strong>e gesellschaftspolitische Signalfunktion.<br />
Ebenso sollten wir den Grundsatz der Schweizer<br />
Bahnpolitik »so schnell wie nötig statt so schnell wie<br />
möglich« übernehmen und auf Höchstgeschw<strong>in</strong>digkeit<br />
im Bahnverkehr auf e<strong>in</strong>igen wenigen Strecken verzichten<br />
– zugunsten der opti<strong>mal</strong>en Reisegeschw<strong>in</strong>digkeit<br />
und der Anschlussverb<strong>in</strong>dungen.<br />
Insgesamt brauchen wir e<strong>in</strong>e neue Mobilitätskultur,<br />
die der Ideologie des grenzenlosen Verkehrswachstums<br />
und den soziokulturellen Leitbildern des »flüssigen Autoverkehrs«<br />
oder des weltweiten Billigfliegens e<strong>in</strong>e andere<br />
Moderne mit Elementen der Nähe, der Entschleunigung<br />
und der Mobilitätsverantwortung entgegensetzt.<br />
Damit ergeben sich völlig neue Chancen für die<br />
Wiederentdeckung der Wohn und Aufenthaltsqualität<br />
<strong>in</strong> Städten und Geme<strong>in</strong>den, für die Wiedergew<strong>in</strong>nung<br />
von Raum zum Flanieren, Spielen und Feiern und für<br />
die Verr<strong>in</strong>gerung von Lärm und Abgasbelastungen.<br />
Und es lässt sich entspannter darüber nachdenken,<br />
womit wir uns die Zeit am liebsten vertreiben.<br />
Richard Mergner<br />
[4-10] Natur + Umwelt BN-Magaz<strong>in</strong> 15<br />
Foto: Allianz pro Schiene<br />
Foto: iStockphoto / Graham Heywood<br />
Flächenbahn<br />
<strong>Bayern</strong> braucht<br />
gute Bahnverb<strong>in</strong>dungen<br />
für alle<br />
Menschen (hier der<br />
Bahnhof Oberstdorf)<br />
statt e<strong>in</strong>zelner<br />
Groß projekte<br />
wie die ICE<br />
Hochgeschw<strong>in</strong>digkeitsstrecke<br />
Nürnberg – Erfurt.<br />
Der Autor<br />
Richard Mergner<br />
ist Landesbeauftrager<br />
des BN und<br />
verkehrspolitischer<br />
Sprecher des<br />
BUND.