Mathilde 4 - von Orten und Nicht-Orten - Infraspezifische Kunst an der E40/BAB 4
Masterthesis von Hannes Neubauer im Studiengang MfA "Public Art and New Artistic Strategies", Bauhaus-Universität Weimar, 2014
Masterthesis von Hannes Neubauer im Studiengang MfA "Public Art and New Artistic Strategies", Bauhaus-Universität Weimar, 2014
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2.1 <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum <strong>und</strong><br />
Ortsspezifität<br />
Seit <strong>der</strong> Nachkriegszeit ging die Demokratisierung<br />
des Westens auch mit einer<br />
Demokratisierung <strong>der</strong> Künste einher. Mit<br />
Leitsätzen wie „Kultur für alle“ (Hilmar<br />
Hoffm<strong>an</strong>n) o<strong>der</strong> “Je<strong>der</strong> ist ein Künstler” (nach<br />
Joseph Beuys) sollte die <strong>Kunst</strong> seit den 1960<br />
Jahren stärker <strong>der</strong> Öffentlichkeit zugänglich<br />
gemacht werden. So entst<strong>an</strong>den beispielsweise<br />
die Ideen für Skulpturenparks <strong>und</strong> -meilen.<br />
Viele Beispiele <strong>der</strong> damaligen Zeit waren<br />
geprägt <strong>von</strong> scharfen Diskussionen, beispielsweise<br />
die Aufstellung <strong>der</strong> N<strong>an</strong>as <strong>von</strong> Nikki de<br />
St.Phalle in H<strong>an</strong>nover, gegen die mit ca.<br />
20.000 Unterschriften im Rahmen einer<br />
Bürgerbewegung demonstriert wurde.<br />
Trotzdem entst<strong>an</strong>d dadurch die bis heute<br />
berühmte „Skulpturenmeile H<strong>an</strong>nover“.<br />
Die <strong>Kunst</strong> war jedoch nur zufällig <strong>an</strong> dem Ort<br />
<strong>und</strong> ursprünglich nicht für ihn bestimmt. Das<br />
heißt, sie platzierte sich zwar in <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit, hatte diese aber nicht zur<br />
Bedingung. Viele dieser Skulpturen vermittelten<br />
<strong>von</strong> daher das Gefühl, als wäre ein<br />
Hubschrauber über das L<strong>an</strong>d geflogen <strong>und</strong><br />
hätte sie zufällig fallen gelassen. M<strong>an</strong> spricht<br />
daher <strong>von</strong> so gen<strong>an</strong>nten drop sculptures.<br />
Jedoch bildeten sie zusammen mit <strong>an</strong><strong>der</strong>en<br />
künstlerischen Bewegungen, beispielsweise<br />
<strong>der</strong> L<strong>an</strong>d-Art o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Happenings eine<br />
spezifische Vorstellung für künstlerische<br />
H<strong>an</strong>dlungsweisen im öffentlichen Raum seit<br />
den 1970er Jahren heraus:<br />
Es entst<strong>an</strong>d <strong>der</strong> bis heute gr<strong>und</strong>legende <strong>der</strong><br />
Begriff <strong>der</strong> Ortsspezifität. Die <strong>Kunst</strong> im<br />
öffentlichen Raum sollte mit dem jeweiligen<br />
Ort in direkter Verbindung stehen, bestenfalls<br />
sogar ausschließlich für ihn gepl<strong>an</strong>t sein.<br />
In den letzten Jahrzehnten än<strong>der</strong>ten sich jedoch<br />
auch die Begriffsvorstellungen zur Ortsspezifität.<br />
St<strong>an</strong>d <strong>der</strong> Begriff am Anf<strong>an</strong>g vorwiegend<br />
in Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem materiellästhetischen<br />
<strong>und</strong> erlebbaren Raum, also<br />
beispielsweise <strong>der</strong> umgebenden Architektur<br />
(z. B. durch die bereits <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten regionalen<br />
<strong>Kunst</strong>-am-Bau-Regelungen), so beschrieb er<br />
später vor allem die Bezugnahme auf den<br />
sozialen Raum <strong>und</strong> die sozialpolitischen<br />
Strukturen. 2 Dies eröffnete auch neue<br />
H<strong>an</strong>dlungsräume für die <strong>Kunst</strong> im öffentlichen<br />
Raum. Denn sie wurde mehr als eine „<strong>Kunst</strong><br />
im öffentlichen Interesse“ 3 verst<strong>an</strong>den <strong>und</strong> ließ<br />
sich <strong>von</strong> gesellschaftlichen Zusammenhängen<br />
(z. B. politischen Machtverhältnissen, Aus<strong>und</strong><br />
Eingrenzung <strong>von</strong> Bevölkerungsgruppen)<br />
inspirieren. Dazu bürgerte sich auch <strong>der</strong><br />
Begriff <strong>Kunst</strong> im Kontext ein.<br />
Diese <strong>Kunst</strong> f<strong>an</strong>d auch passende neuartige<br />
Strategien wie Interaktion <strong>und</strong> Partizipation<br />
mit <strong>der</strong> Bevölkerung o<strong>der</strong> direkte Interventionen<br />
in politische o<strong>der</strong> ökonomische<br />
Machtstrukturen durch die Nutzung<br />
öffentlicher Medien. Das <strong>von</strong> Suz<strong>an</strong>ne Lacy<br />
editierte Buch „Mapping the Terrain - New<br />
Genre Public Art“ 4 , versammelt einige Texte<br />
<strong>und</strong> Projektbeispiele jener Artivisten <strong>und</strong> k<strong>an</strong>n<br />
als Gr<strong>und</strong>lagenlektüre des Genres verst<strong>an</strong>den<br />
werden.<br />
Die neuen gesellschaftlich-künstlerischen<br />
Strategien könnten jedoch kaum unterschiedlicher<br />
sein: Die lokale Ausg<strong>an</strong>gssituation als<br />
Inspirationsquelle sowie <strong>der</strong> Wille zu<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozessen durch künstlerische<br />
Interventionen k<strong>an</strong>n beispielsweise <strong>von</strong><br />
Initiatoren aus <strong>der</strong> lokalen Subkultur o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Lokalpolitik kommen.<br />
Jene lokalen Akteure kennen die Fragestellungen<br />
ihrer Umgebung sowie <strong>der</strong>en<br />
gesellschaftlichen Strukturen <strong>und</strong> können<br />
somit ihre Konzepte auf <strong>der</strong> Basis <strong>von</strong><br />
tatsächlicher Ortskenntnis sowie ihre zumeist<br />
hohen Vernetzungsgrade die Ch<strong>an</strong>cen <strong>und</strong><br />
Risiken auch bei sehr experimentellen<br />
Projekten gut abwägen. Als Paradebeispiele<br />
könnte <strong>der</strong> Bürgerpark „Park Fiction“ in<br />
2 Vgl. Lewitzky 2005, S. 74ff<br />
3 Lewitzky 2005, S. 84<br />
4 Vgl. Lacy 1995<br />
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