Mathilde 4 - von Orten und Nicht-Orten - Infraspezifische Kunst an der E40/BAB 4
Masterthesis von Hannes Neubauer im Studiengang MfA "Public Art and New Artistic Strategies", Bauhaus-Universität Weimar, 2014
Masterthesis von Hannes Neubauer im Studiengang MfA "Public Art and New Artistic Strategies", Bauhaus-Universität Weimar, 2014
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3.1 Der historischen Tr<strong>an</strong>sit<br />
„Die L<strong>an</strong>dstraße, die ich jetzt betrete <strong>und</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> aus<br />
ich Umschau halte, ich glaube, du bist nicht alles, was<br />
hier ist; Ich glaube dass auch viel unsichtbares hier ist.<br />
Hier ist die tiefe Lehre <strong>der</strong> Aufnahme, die we<strong>der</strong><br />
Vorrecht noch Abweisung kennt…“ 39<br />
3.1.1 Historische Verkehrswege<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Altwegeforschung lassen sich<br />
zwar einige Gemeinsamkeiten, aber auch<br />
deutliche Unterschiede zu unserer heutigen<br />
Vorstellung <strong>von</strong> Verkehrswegen feststellen.<br />
Eines <strong>der</strong> größten Unterschiede ist vor allem,<br />
dass es sich bei historischen Wegen eher um<br />
„Routen o<strong>der</strong> Straßenbündel“ 40 h<strong>an</strong>delt als um<br />
Straßen o<strong>der</strong> gar Trassen. Wege wurden im<br />
seltensten Fall pl<strong>an</strong>voll durch die L<strong>an</strong>dschaft<br />
gezogen son<strong>der</strong>n waren stetigen Entwicklungs<strong>und</strong><br />
Än<strong>der</strong>ungsprozessen unterworfen.<br />
Eine Ausnahme bieten dabei allerdings die<br />
wohl bek<strong>an</strong>ntesten historischen Straßenbauer -<br />
die Römer. Das auf 80 000 km geschätzte<br />
Straßennetz umsp<strong>an</strong>nte ihr gesamtes<br />
Imperium. Oft gelten sie als Erfin<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Straßen, dass ist aber nur bedingt richtig. Denn<br />
sie übernahmen die Straßenbautechnik vor<br />
allem <strong>von</strong> den zuvor eroberten Etruskern <strong>und</strong><br />
verfeinerten sie lediglich. 41 Ihre strukturelle<br />
Unterteilung <strong>der</strong> Straßen auf Basis <strong>der</strong> Baulast<br />
(d. h., welche Institution die Straßen erbaut<br />
<strong>und</strong> unterhält) erinnern sogar <strong>an</strong> unser<br />
<strong>der</strong>zeitigen Fernstraßengesetzte in <strong>der</strong><br />
fö<strong>der</strong>alistischen B<strong>und</strong>esrepublik. Denn genau<br />
so wie heutzutage die Straßen in B<strong>und</strong>es-,<br />
L<strong>an</strong>des <strong>und</strong> Gemeindestraßen unterteilt<br />
werden, so kategorisierten auch die Römer ihre<br />
Straßen, beispielsweise in Staats– <strong>und</strong><br />
Provinzstraßen.<br />
39 aus dem Volkslied „Ges<strong>an</strong>g <strong>von</strong> <strong>der</strong> Freien Straße“ <strong>von</strong><br />
Walt Whitm<strong>an</strong>, ca. 1856<br />
40 Schmidt 2010, S. 72<br />
41 Vgl. Zirkler 2003, S. 126f<br />
Das wirklich Innovative <strong>an</strong> den römischen<br />
Straßen war allerdings, dass sie mit mehreren<br />
Unterschichten stark befestigten, <strong>und</strong> daher im<br />
Gegensatz zu den herkömmlichen Altstraßen<br />
<strong>der</strong> damaligen Zeit unabhängiger vom<br />
Untergr<strong>und</strong> trassiert werden konnten.<br />
Mit dem Zerfall des römischen Imperiums<br />
zerfiel auch das immense Straßennetz <strong>und</strong> bis<br />
ins 18. Jhd. waren selbst bedeutende Fernh<strong>an</strong>delswege<br />
streckenweise unbefestigt.<br />
Ihre Trassierung (so m<strong>an</strong> überhaupt <strong>von</strong> einer<br />
sprechen konnte) musste daher aus natürlichen<br />
Gründen stetig geän<strong>der</strong>t werden, da die<br />
Umwelteinflüsse wie Regen o<strong>der</strong> Erdbewegungen<br />
den ursprünglichen Weg häufig<br />
unpassierbar machten.<br />
Hinzu kam, dass es l<strong>an</strong>ge Zeit überhaupt keine<br />
öffentliche Verwaltung für Wege gab. Je<strong>der</strong><br />
Nutzer / Eigentümer, also beispielsweise<br />
Feudalherren, Pfalzgrafen usw. musste sich<br />
selbst um die Pflege <strong>und</strong> Sicherheit <strong>der</strong> Wege<br />
kümmern. Dies führte in den damals sehr<br />
kleinteiligen politisch-territorialen Zusammenhängen<br />
<strong>und</strong> kriegerischen Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzungen<br />
einzelner Feudalgebiete im<br />
seltensten Fall zum Ausbau. Eher war das<br />
Gegenteil <strong>der</strong> Fall: Durch die im Mittelalter<br />
eingeführte Gr<strong>und</strong>ruhr, also dem Gesetz,<br />
welches dem Gr<strong>und</strong>besitzer die Beschlagnahmung<br />
heruntergefallener Ware (o<strong>der</strong> im<br />
Falle eines Achsbruches sogar den g<strong>an</strong>zen<br />
Wagen) erlaubte, hatten die wenigsten<br />
Gr<strong>und</strong>herren ernsthaftes Interesse <strong>an</strong> einer<br />
befestigten Wegeführung durch ihr L<strong>an</strong>d. 42<br />
Seit dem Mittelalter galt zudem das „Stapelrecht“,<br />
welches die H<strong>an</strong>delsreisenden in vielen<br />
Städten verpflichtete, ihre Waren <strong>an</strong>zubieten,<br />
was den H<strong>an</strong>del <strong>von</strong> ver<strong>der</strong>blichen Waren auf<br />
längeren Strecken natürlich immens erschwerte.<br />
Gleichzeitig brachte aber gerade<br />
dieses System die mittelalterlichen Städte zum<br />
Erblühen. Die Grün<strong>der</strong>geschichte <strong>der</strong> Stadt<br />
Erfurt basierte beispielsweise darauf, dass sie<br />
als ursprünglichen „Stapelplatz“ diente. 43<br />
42 Vgl. Zirkler 2003, S. 173<br />
43 Vgl. Hassenpflug 2004, S. 3f<br />
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