Auf eiN Wort Als mein Großvater verstarb, war er 74 Jahre alt. Im Jahre 1896 geboren, hatte er zwei Weltkriege miterlebt. Reste eines Granatsplitters im Kopf bereiteten ihm seit dem 1. Weltkrieg gelegentlich Schmerzen. Das sei nicht so schlimm, sagte er, man dürfe an der betreffenden Stelle nur keinen Schlag abbekommen. Was ihn viel mehr beschäftigte als die Verletzung, war eine Enttäuschung. Bis ins hohe Alter ärgerte er sich darüber, dass ihm vor dem 1. Weltkrieg der Zugang zu einer Eliteeinheit des Kaisers verwehrt wurde. Als einfacher Soldat musste er in den Krieg ziehen, doch dies tat er mit Begeisterung. Mit 18 Jahren wurde er in die Schlacht geschickt – und überlebte. Mit Hochachtung sprach er bis zuletzt vom Kaiser und erzählte ausführlich und gerne aus jener „guten alten Zeit“. Er hatte drei seiner zehn Brüder verloren in jenem Krieg, er hatte den Tod gesehen, doch all dies machte seiner Begeisterung kein Ende. Im Gegenteil: Nach dem Krieg war für ihn vor dem Krieg. Er wurde Berufssoldat und zog 1939 erneut an die Front. Nun war er in Russland. Wieder verlor er einige seiner Brüder. Seine Familie musste aus der Sicherheit eines geordneten Lebens in eine ungewisse Zukunft nach Westen fliehen. Er selbst überlebte die Gefangenschaft nur, weil er ein begnadeter Musiker war und als Gefangener für die neuen Herren musizieren durfte. er in eine neue, ihm fremde Heimat um zwei verlorene Kriege. Er misstraute der Demokratie, er weigerte sich, mit Engländern, Franzosen oder Amerikanern auch nur zu sprechen. Als 1966 Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft im Halbfinale gegen die UdSSR spielte (Großvater sagte immer „Russland“), verbot er uns, das Spiel im Fernsehen anzuschauen. Statt dessen legte er eine Schallplatte mit Marschmusik auf. Er war ein großzügiger, sehr freundlicher, gottgläubiger, uns Kindern stets mit Milde zugewendeter Großvater, unser „Opi“ eben – aber das Leben hatte ihn unversöhnlich gemacht. er das Titelbild unseres Gemein- Hätte debriefes in der Hand gehalten, hätte er sich abgewandt. Eine Welt ohne Waffen? Eine Welt ohne Krieg? Eine Welt ohne Soldaten? Für ihn undenkbar, unglaublich, unmöglich. Dem Schmied Stefan Nau, der 1983 ein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedete, hätte er nichts Gutes gesagt. Vielleicht hätte er der Stasi Beifall gezollt, die den Schmied ruinierte und zur Ausreise aus der DDR trieb. Dass eines Tages gar die Mauer wieder fallen würde, hätte er, wie die Stasi, nicht für möglich gehalten. Frieden weltweit ein unvorstellbarer Erfolg wäre. Aber ein einziges umgeschmiedetes Schwert ist eine Waffe weniger und ein kurzes versöhnendes Wort ist die Vorbereitung eines Friedensgrußes. „Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander“, schreibt Paulus an die Römer. Das wünscht 25 JAHRE MAUERFALL Ohne die Maueröffnung vor 25 Jahren und die damit eingeleitete „Wende“ wären wir nie nach Langen gekommen. Als Kantorkatechetin (Kantorin, Organistin und Katechetin = Religionslehrerin) und als Pastor in drei Gemeinden am Stadtrand von Erfurt (Landeshauptstadt von Thüringen) waren wir fest eingebunden in die kirchliche Arbeit, die sich auf Verkündigung und Seelsorge konzentrierte. Schwierigkeiten durch staatliche Repression und die bekannte Mangelwirtschaft prägten vor der Wende unseren Alltag. Davon könnte ich viele Geschichten erzählen. Unsere Kinder konnten nicht studieren, was sie wollten. Wir konnten unsere Geschwister „im Westen“ 23 Jahre lang überhaupt nicht und ab 1984 nur in Ausnahmefällen besuchen – und dann nur allein, ohne den Ehepartner uns in diesem Jahr voller tödlicher Konflikte, <strong>10</strong>0 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkrieges und dankbar für eine lange Friedenszeit in unserem Lande prozentuale Verringerung (natürlich auch des Gehalts) erreicht wurde. Der Religionsunterricht in den Schulen konnte eingeführt werden – nur durch den Einsatz vieler Katechetinnen und Pastoren war das möglich, denn natürlich gab es noch keine Religionslehrer. Längst überfällige Sanierungen von Kirchen, Gemeinde- und Pfarrhäusern konnten nun geplant und in Angriff genommen werden, brachten aber auch viel Verwaltungsaufwand mit sich. Die alten Feindbilder standen fest – und es wird deutlich, wie wertvoll die Friedensworte und Friedenshoffnungen der und die Kinder. A D ls Bibel sind. Sie rufen uns auf zur Umkehr ie Wende eröffnete uns viele neue heimkehrte, fand er seine Ehefrau, auf festgefahrenen Wegen. Sie rufen uns Möglichkeiten in der Gemeindearbeit, seine beiden Töchter und zwei seiner auf zum Umdenken und zur Versöhnung. machte aber auch viele Umstruktu- Brüder im Ruhrgebiet wieder. Doch das Sie rufen uns auf zur Friedfertigkeit und rierungen nötig, die viel Kraft und Zeit Leben wurde nie wieder, wie es war. Er auch zum Handeln gegen jede Form des kosteten. Z.B. mußten die Pfarrstellen im trauerte seiner Jugend nach, er trauerte um Unfriedens. Das ist im Kleinen schon nicht Kirchenkreis von 35 auf 22 Stellen reduziert acht Brüder, um die verlassene Heimat - und leicht, und wir wissen, dass dauerhafter werden – was vielfach nur durch Fortsetzung nä. Seite 2 3