Kolpingmagazin 01-02 2015
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NACHRICHTEN<br />
Haseloff: „1989 war ein Jahr des Wunders“<br />
Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt,<br />
Reiner Haseloff, hat dazu<br />
aufgerufen, die friedliche Revolution mit<br />
dem Fall der innerdeutschen Mauer aus<br />
heilsgeschichtlicher Sicht zu betrachten.<br />
In einer Gedenkstunde bei der Tagung des<br />
Kolping-Bundeshauptausschusses in Wittenberg<br />
erinnerte er vor 150 Delegierten aus<br />
allen Teilen Deutschlands sowie weiteren<br />
Gästen an den Einfluss von Papst Johannes<br />
Paul II. auf die polnische Arbeiter- und Freiheitsbewegung<br />
„Solidarnosc“, an den evangelischen<br />
Kirchentag in Wittenberg 1983 mit<br />
Ramona Krämer (l.) moderierte das Gespräch mit Barbara Breher,<br />
Ministerpräsident Reiner Haseloff und Annette Müller.<br />
dem Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“,<br />
an die Weigerung der katholischen Kirche,<br />
ihre gesamtdeutschen Bistumsgrenzen den<br />
politischen Gegebenheiten anzupassen und<br />
an die christlichen Wurzeln des sowjetischen<br />
Regierungschefs Michael Gorbatschow,<br />
der Raum gab für Freiheitsentwicklungen.<br />
„1989 war ein Jahr des Wunders“, betonte<br />
Haseloff. „Wenn es die christlichen Strukturen<br />
in unserem Land nicht gegeben hätte,<br />
wäre das nicht denkbar gewesen.“ Er erinnerte<br />
an den Auszug des Volkes Israel aus der<br />
Knechtschaft und an das Murren der Menschen<br />
bei der anschließenden langen Wanderung<br />
durch die Wüste. „Wir haben Ähnliches<br />
erlebt. Zeitweise hatten wir örtlich<br />
eine Arbeitslosigkeit von etwa 50 Prozent“,<br />
sagte Haseloff, der auch das alttestamentliche<br />
Bibelwort ins Gedächtnis rief, dass sich<br />
die Sünden der Väter auf viele Generationen<br />
auswirken.<br />
In einem von Ramona Krämer moderierten<br />
Gespräch berichteten neben Haseloff<br />
zwei Mitglieder aus Ost und West über ihre<br />
Eindrücke vor, während und nach dem<br />
Fall des Eisernen Vorhangs. Annette Müller,<br />
aufgewachsen im östlichen Eichsfeld,<br />
sagte, hinter der Mauer habe es für sie eine<br />
unbekannte Welt gegeben. Sie habe damit<br />
gerechnet, bis zum 65. Lebensjahr daran<br />
nichts ändern zu können. Selbst in der Phase<br />
der Demonstrationen habe sie mit keiner<br />
kurzfristigen Änderung gerechnet. Barbara<br />
Breher, stellvertretende Bundesvorsitzende<br />
des Kolpingwerkes, berichtete von der Emotionalität<br />
des Augenblicks, als die Menschen<br />
vom Osten in den Westen strömen konnten.<br />
Tränen der Freude habe sie sich damals<br />
nicht verkneifen können.<br />
Bundespräses Josef Holtkotte warnte bei<br />
der Gedenkveranstaltung vor Geschichtsvergessenheit.<br />
Schreckliche Ereignisse weltweit<br />
machten deutlich, wohin geschichtsloses<br />
Denken führe. „Durch den Fall der<br />
Mauer wurde in mir der Glaube an die Menschen<br />
und an Gott gestärkt“, bekannte der<br />
Bundespräses.<br />
Diktaturen mahnen zur Mitgestaltung<br />
Der grenzenlose Mut von Menschen, die die<br />
Unterdrückung durch die Diktatur nicht<br />
mehr hinnehmen wollten, ist der Ausgangspunkt<br />
für den Umsturz des SED-Regimes<br />
gewesen. Daran hat der Bundesvorstand anlässlich<br />
der diesjährigen Tagung des Bundeshauptausschusses<br />
in der Lutherstadt<br />
Wittenberg erinnert. Das DDR-Regime hat<br />
geglaubt, mit seiner Ideologie jeden Verstoß<br />
gegen Menschenrechte rechtfertigen zu<br />
können. Die getöteten und leidenden Menschen<br />
an der Mauer und in den Stasigefängnissen<br />
sind Ausdruck für diese menschenverachtende<br />
Grundhaltung gewesen, so der<br />
Bundesvorstand. „Auch heute sind wir nicht<br />
gefeit vor Entwicklungen und Denkhaltungen,<br />
die zur Unterdrückung oder zum politisch<br />
motivierten Mord führen. Weltweit<br />
wirken menschenverachtende Prozesse und<br />
vergleichbare ideologische Allmachtsphantasien.<br />
Wer Menschen mordet, wer Menschen<br />
ausgrenzt, wer Menschen überwacht<br />
darf keinen Platz in einer demokratischen<br />
und freiheitlichen Gesellschaft haben.“<br />
Diktaturen – so bekräftigt der Bundesvorstand<br />
– werden möglich, wenn sich zu viele<br />
Menschen aus der Zivilgesellschaft zurückziehen.<br />
Eine lebendige Demokratie hingegen<br />
begrüße und fördere die Beteiligung der<br />
Bürgerinnen und Bürger. Politische Apathie<br />
und die Verhöhnung des Politischen hingegen<br />
sind alarmierende Warnhinweise. Wir<br />
sind aufgerufen, uns der Bedeutung der<br />
Möglichkeit zur politischen Selbstbestimmung<br />
immer wieder bewusst zu werden.<br />
Der Bundesvorstand erinnert an dieses<br />
wichtige Ereignis unserer deutschen Geschichte,<br />
welches wesentlich mit den Friedensgebeten<br />
in den christlichen Kirchen<br />
begonnen hat. Er dankt allen Bürgerinnen<br />
und Bürgern, die eine menschenverachtende<br />
Diktatur durch ihren Mut, mit bloßem<br />
Willen und ohne Gewalt gestürzt haben!<br />
Überzeugung und Glaube an die Würde<br />
und Freiheit des Menschen sind stärker als<br />
Gewalt und Waffen. Der Mauerfall mahnt<br />
alle Bürgerinnen und Bürger, sich engagiert<br />
für unsere Zivilgesellschaft einzusetzen und<br />
diese mitzugestalten. – Den vollen Wortlaut<br />
findet man auf der Homepage des Kolpingwerkes<br />
Deutschland.“<br />
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