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UNTERNEHMEN / MÄRKTE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
44<br />
ALLES FÜR EIN SCHÖNES<br />
LÄCHELN<br />
Einmal rund um das ganze Gebiss in sieben Sekunden: Das kann das Röntgengerät „Vistapano“ von Dürr Dental.<br />
H<br />
öllenschmerz, Teufel<br />
auch! Frieda Dürr muss<br />
zum Zahnarzt, und zwar<br />
alsbald und stante pede.<br />
Der Bohrer schrillt und<br />
schreit und kreischt und fräst, die<br />
Zahnfäule weicht und schwindet.<br />
„Gleich han mir’s gschaffd“, murmelt<br />
der Zahnarzt, ein Schwabe – da knackt<br />
und bricht das Handstück des Geräts<br />
entzwei, jener Metallstift, in dem der<br />
Wie schaffen es so viele, vergleichsweise<br />
kleine deutsche Unternehmen,<br />
Weltmarktführer zu werden?<br />
Das Beispiel Dürr Dental zeigt: weniger<br />
durch Genie als durch elegante<br />
Übertragungen von Lösungen anderer<br />
Industrien.<br />
Bohrer selbst rotiert. Keine große Sache.<br />
Normalerweise: Schublade auf,<br />
neues Handstück aufs Gerät gefummelt,<br />
und ab geht die Post! Aber im<br />
Jahre 1946, denn dort befinden wir<br />
uns, war auf die Schnelle kein Ersatzteil<br />
zu beschaffen.<br />
Doch der Medikus liebte keine halben<br />
Sachen: eine Unmanier, so mittendrin<br />
aufzuhören … Da kam ihm plötzlich<br />
eine Idee: „Frau Dürr“, sagte er<br />
seiner schwitzenden, ebenso erleichterten<br />
wie konsternierten Patientin:<br />
„Frau Dürr, wisset Sie was, wenn Ihr<br />
Mo des Handschdügg rebariera kann,<br />
könnda mir die Sache zuendebringa.“<br />
Herr Dürr, Wilhelm mit Vornamen,<br />
dies erinnerte der Dentist genau, hatte<br />
doch anno ’41 mit seinem Bruder<br />
Karl in Stuttgart-Feuerbach eine Metallbauwerkstatt<br />
eröffnet. Und in der<br />
Tat, das Handstück kam bald darauf<br />
wie neu zurück – und so begann mit<br />
einem Höllenschmerz vor 70 Jahren<br />
der unaufhaltsame Aufstieg der Firma<br />
Dürr zum Weltmarktführer in der<br />
Fachrichtung Dentaltechnik, namentlich<br />
auf dem Gebiet der Spei cher fo lien<br />
fürs Rönt gen.<br />
Der Betrieb, inzwischen ins<br />
20 Kilometer entfernte Bietigheim-<br />
Bissingen umgesiedelt, erblühte zu<br />
einer Weltfirma mit heute mehr als<br />
1.000 Mitarbeitern und einem Umsatz<br />
von 240 Millionen Euro.<br />
Im Angebot führen die Schwaben<br />
feinste und filigranste Güter, von denen<br />
man in aller Regel gern Abstand<br />
hält: Druckluftgeräte („Tornado plus“)<br />
zum Zahntrocknen, Speichelsauger,<br />
Amalgamabscheider, Desinfektionsmittel,<br />
Spülungen und so weiter und<br />
natürlich Röntgengeräte, Sensoren,<br />
Kameras. Fabriziert wird an drei Orten<br />
in Ba den-Würt tem ber g und in einem<br />
Werk in der Nähe von New York.<br />
Die Betriebe („Das Beste hat System“)<br />
exportieren in die ganze Welt,<br />
nur noch ein Fünftel der Einnahmen<br />
wird in Deutschland erzielt, aber ein<br />
Drittel in Nordamerika. „Unsere Eigenkapitalquote<br />
liegt über 60 Prozent“,<br />
sagt Gründerenkel Martin Dürrstein<br />
(44, „Wir sind vom Stamm Karl“),<br />
der das Unternehmen seit zwölf Jahren<br />
führt und über 55 Prozent der Firmenanteile<br />
disponiert.<br />
Das Gedeihen und Gelingen der<br />
Firma ist auch, aber nicht ausschließlich<br />
und vielleicht nicht einmal zuvörderst<br />
schwäbisch-genieähnlichem<br />
Erfindergeist zu verdanken, sondern<br />
vielmehr einer aufs Äußerste getriebenen<br />
Akribie und Akkuratesse in der<br />
Herstellung und einem Zaubergespür<br />
dafür, was die Kund- bzw. Zahnärzteschaft<br />
benötigt. Kurzum, bei Dürr Dental<br />
wirken die Kräfte des Pragmatismus<br />
und herrschen die Pragmatisten.<br />
„Mein Großvater und Großonkel<br />
haben Ersatzteile für Bohrer produziert“,<br />
sagt Dürrstein, der aufgrund<br />
einer genealogischen Verwicklung tatsächlich<br />
Dürrstein heißt, eine Lehre bei<br />
Daimler und ein Wirtschaftsingenieur-<br />
Stu dium in Heil bronn absolviert hat.<br />
Bald hörten Karl und Wilhelm Dürr<br />
von den Zahnärzten, dass die Zähne<br />
beim Bohren häufig so erhitzt würden,<br />
dass ihre Wurzeln schaden nähmen.<br />
„Bei der Metallbearbeitung kühlen wir<br />
unsere Werkstücke doch mit Wasser,<br />
warum soll das beim Zähnebohren<br />
nicht gehen?“, sagten sich die beiden<br />
und bauten eine Wasserkühlung für<br />
das Gerät, und damit das Wasser nicht<br />
überall herumspritzte und -troff, bastelten<br />
die trickreichen Schwabenbrüder<br />
gleich noch die Absauganlage dazu.<br />
Auch über damals gängige Druckluftgeräte<br />
zum Trocknen der Zähne<br />
konnten die Dürrs nur lachen: Die bis<br />
dato ölgeschmierten Kompressoren<br />
der Dentisten mussten aufwendig das<br />
Restöl aus der komprimierten Luft filtern,<br />
denn sonst konnten weder Amalgam<br />
noch Krone haften.<br />
Im Metallgewerbe hatten die<br />
Dürrs schon Besseres gesehen: ölfreie<br />
Drucklufterzeuger. Auch die stehen<br />
heute weltweit in den Praxen, verziert<br />
mit den zwei blauen Streifen des<br />
Dürr’schen Firmenzeichens.<br />
Das einträglichste Geschäftsfeld<br />
der Schwaben ist heute jedoch die<br />
Röntgentechnik. In den 60er-Jahren<br />
hatten die Tüftler die Methoden der<br />
Entwicklungslabors von Fotofilmen<br />
auf die Belichtung von Röntgenauf-<br />
DER MENSCH LEBT NICHT<br />
VOM BIER ALLEIN<br />
Die Bitburger Holding der Eigentümerfamilie<br />
der Eifeler Brauerei<br />
diversi fiziert das Vermögen der<br />
verzweigten Sippschaft. Schließlich<br />
geht der Bierkonsum in Deutschland<br />
kontinuierlich zurück, da beruhigen<br />
Investments in zukunftsträchtige<br />
Gewerbe. Angeführt vom Stammesoberhaupt<br />
Matthäus Niewodniczanski<br />
verwaltet die Holding die Geschäfte<br />
des Mineralwasserab füllers Gerolsteiner<br />
Brunnen, des 2010 gekauften<br />
Spielzeug- und Kinder klamottenhändlers<br />
Sterntaler und seit 2011 auch eine<br />
Minderheitsbeteiligung an Dürr Dental.<br />
nahmen übertragen, was ihre Güte<br />
entscheidend verbesserte.<br />
Ob es nun um Kühlung und Kompressoren<br />
oder das Röntgenwesen<br />
ging, stets waren die Dürr’schen Ingenieure<br />
sowohl auf dem Quivive als<br />
auch auf neue Anwendungstechniken<br />
fixiert und dergestalt meist die Ersten<br />
auf dem Markt. Was durchaus einigen<br />
Mut erforderte, denn stets wagte man<br />
sich in neue Techniken vor. „Wir haben<br />
unsere Mitarbeiter immer aufgefordert,<br />
nach technischen Entwicklungen<br />
Ausschau zu halten“, sagt Dürrstein.<br />
Dies gilt auch und zumal für die Digitalfotografie,<br />
die seine Leute als Erste<br />
für das zahnärztliche Röntgen nutzbar<br />
machten. Die Markteinführung<br />
glich einem Freudenfest: „Das ging ab<br />
wie Schmidts Katze“, sagt Dürrstein.<br />
Im Digital-Röntgen auf Speicherfolien<br />
kommt kein Unternehmen den<br />
Bietigheim-Bissingenern gleich: „Inzwischen<br />
gibt es 25 Wettbewerber,<br />
jetzt sind wir die Gejagten.“<br />
Dürrstein, der seit 2003 die Geschäfte<br />
führt, treibt die Digitalisierung<br />
seines Sortiments voran. Großes<br />
Thema: die Vernetzung der einzelnen<br />
Geräte. „Ohne Software geht gar<br />
nichts mehr“, sagt Dürrstein. Folgerichtig<br />
ist die Programme-Entwicklung<br />
inzwischen die größte Abteilung<br />
im Hause.<br />
Die Erfolge im Digital-Geschäft<br />
und die Tatsache, dass die Nachfahren<br />
vom Stamme „Wilhelm“ von der Medizintechnik<br />
genug hatten, ermunterten<br />
die Erben der Bitburger-Brauerei im<br />
Jahr 2011, mit 35 Prozent bei Dürr Dental<br />
einzusteigen. „Ein idealer Partner“,<br />
sagt Dürrstein, denn „als Familienunternehmen<br />
sind sie auch langfristig<br />
ausgerichtet.“<br />
Die Firma rangiert an erster Stelle:<br />
„Wir gehören nicht zu denen, die<br />
50 Prozent vom Gewinn ausschütten.“<br />
Viel lieber steckt Dürrstein das Geld<br />
in die Produktentwicklung. Sie ben bis<br />
acht Pro zent der jährlichen Einnahmen<br />
sind der Erforschung des Fortschritts<br />
vorbehalten. Denn „wir wollen<br />
stets schneller wachsen als unsere<br />
Industrie“.<br />
U<br />
45<br />
Text / MICHAEL GATERMANN<br />
FOTO: DÜRR DENTAL<br />
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