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PRIVAT<br />
DER LEIBARZT ALS LOTSE<br />
BILANZ / FEBRUAR / 2016<br />
Geschäftstüchtige Ärzte haben mal wieder eine neue Einnahmequelle<br />
entdeckt, diesmal die sogenannte Lifestyle-Medizin: Coaching bis zum Exitus.<br />
Text / MICHAEL GATERMANN<br />
82<br />
Möhren sind gesund, Laufen ist gut für<br />
dich, Stress und Strapaze aber sind des<br />
Teufels. Schon klar, aber auch nicht<br />
immer wahr: hängt alles auch vom<br />
Stoffwechsel ab.<br />
Die einen können Karotten nicht<br />
ordnungs- und vorschriftsgemäß abbauen<br />
– ein hoher Blutzuckerspiegel,<br />
Unwohlsein und gewisse Indispositionen<br />
sind die Folge. Die anderen laufen<br />
und laufen und laufen – und verbessern<br />
weder Form noch Verfassung, ja,<br />
nicht einmal ihr Aussehen. Und dass<br />
beruflicher oder privater Ärger den<br />
einen fertigmacht, den anderen aber<br />
aufputscht wie Doping, ist auch keine<br />
Neuentdeckung. Wie das Leben überhaupt<br />
nichts Neues ist.<br />
Damit man künftig aber rechtzeitig<br />
erfährt, was einem wirklich guttut,<br />
und damit die Ärzte ein wenig dazuverdienen,<br />
haben sie ein passendes<br />
Geschäftsmodell erfunden: „Lifestyle-<br />
Medizin“ nennen sie ihr Angebot, das<br />
natürlich aus Kalifornien stammt und<br />
mit der Hinwendung zum Quantified<br />
Self zusammenhängt, hierzulande als<br />
Selbstoptimierung en vogue.<br />
Sogenannte Health Consultants reisen<br />
bereits mit dem entsprechenden<br />
Vokabular durchs Land und predigen<br />
in Betrieben und Beratungsfirmen über<br />
Mood Tracking, Health Score und natürlich<br />
Digitalization; immer mehr Kliniken<br />
und Ärzte bieten Rund-um-sorglos-Pakete<br />
für die Gesundheit an, stellen<br />
Ist-Analysen an, erheben Risiken<br />
und entwickeln Programme zur Verbesserung<br />
von Wohlbefinden und -behagen.<br />
Selbstverständlich bleibt auch<br />
das geistige Gleichgewicht nicht von<br />
einer Einbeziehung verschont. Denn<br />
man denkt ganzheitlich.<br />
All das ist nicht neu. Wohl aber die angeschlossene<br />
Dauerbetreuung durch<br />
regelmäßige Besuche beim Vertrauensarzt,<br />
der seinen Patienten oder besser:<br />
Kunden durchs Leben manövrieren<br />
und im Fall der Fälle immer die Adresse<br />
des richtigen Spezialisten parat hält.<br />
Kurz, der Leibarzt als Lebenslotse.<br />
„Er muss etwas von Endokrinologie,<br />
der Lehre von den Hormonen,<br />
sowie von Genetik verstehen und außerdem<br />
breite Kenntnis der Medizin<br />
haben“, sagt Thomas Wendel (43), der<br />
in München eine Praxis für Lifestyle-<br />
Medizin betreibt.<br />
Zu seiner Kundschaft zählen Manager<br />
wie Johannes Huth (55), Europachef<br />
der Beteiligungsfirma KKR,<br />
und Alexander Dibelius (56), ehedem<br />
Deutschland-Chef von Goldman Sachs<br />
und heute des Fi nan zin ves tors CVC.<br />
Der geschäftstüchtige Wendel bietet<br />
einen sogenannten „Premium-Sensor“<br />
an, einen Test, der die Untersuchung<br />
von über 90 Gen-Variationen<br />
umfasst und eine Risikoeinschätzung<br />
für Brust- oder Prostatakrebs, Diabetes,<br />
Bluthochdruck oder die alters bedingte<br />
Makula-Degeneration des Auges liefert<br />
und dergleichen mehr. Kosten für den<br />
Selbstvermesser: um die 1.000 Euro.<br />
Für weniger als die Hälfte ist der<br />
„Nutrition-Sensor“ zu haben, der die<br />
genetische Disposition im Hinblick<br />
auf mehr als 1.000 Nahrungsmittel<br />
untersucht, den persönlichen Bedarf<br />
an Vitaminen und Mineralstoffen ermittelt<br />
und ähnliche Unbedingtheiten<br />
mehr. Außer der Rechnung erhält der<br />
zahlungskräftige Klient einen feinen<br />
Ernährungsplan.<br />
Fortan arbeiten Arzt und Kunde<br />
nur an einem Ziel: dass der Kunde lebendig<br />
bleibt, zumindest, bis er stirbt,<br />
jedenfalls so lange wie möglich. „In<br />
den USA ist Super Aging ein großes<br />
Thema“, sagt Lifestyle-Arzt Wendel.<br />
„Ziel ist es, auch jenseits der 80 Jahre<br />
noch vital und selbstständig zu leben.“<br />
Aus den vielen Gesundheitsdaten<br />
des Patienten „müssen sie so etwas<br />
wie eine Wetterkarte herstellen, die<br />
Ergebnisse vermitteln und dann als<br />
Coach das Befolgen der Ratschläge<br />
sicherstellen“, sagt Wendels Geschäftspartner<br />
Nicolas Zech (42), der<br />
im Hauptberuf eine Fruchtbarkeitsklinik<br />
in Bregenz mitunterhält.<br />
Auch Kliniken haben das lukrative<br />
Betreuungsgeschäft für sich entdeckt.<br />
Vorsorgezentren wie Beltz Medical in<br />
Ulm und Hamburg (Fleetinsel) erweitern<br />
ihr Diagnose-Sortiment derzeit<br />
um Coaching-Angebote, desgleichen<br />
die Helios-Hospitäler.<br />
Am weitesten gediehen sind die<br />
Dinge bei Bernard große Broermann<br />
(72, s. Interview Seite 85). Der Eigentümer<br />
der Asklepios-Kliniken tritt nun<br />
erstmals mit seinem eigenen Namen in<br />
Erscheinung: Die Marke „Broermann<br />
Health“ bietet Komplettbetreuung.<br />
Vor einem halben Jahr hat der<br />
Gesundheitskaufmann seinen ersten<br />
Stützpunkt in Hamburg eröffnet, und<br />
zwar in der Asklepios-Klinik im Stadtteil<br />
St. Georg: edle Hölzer, edle Sessel,<br />
edles Hochgeschwindigkeits-Internet<br />
– und das ohne Desinfektions- und<br />
Äthergeruch.<br />
Nichts soll hier an Krankenhaus<br />
und Krankheit, sondern möglichst<br />
an Kempinski erinnern. Kürzlich hat<br />
Broermann eine zweite Niederlassung<br />
auf Sylt eingeweiht, weitere sollen in<br />
allen deutschen Großstädten folgen.<br />
83<br />
Das ist endlich einmal ein gesundes Eis: Möhren und Erbsen am Stiel. Nun ja, jedem<br />
das Seine. Man muss aber auch nicht übertreiben. Manchmal tut’s schon ein Leibarzt.<br />
FOTO: GETTY<br />
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