Guru Yoga - Manjughosha Edition

Schüler: Ich wollte schon immer den Unterschied zwischen dem westlichen und dem
östlichen Geist kennen lernen. Da alles die eigene Wahrnehmung ist, sehen Westler die
gleichen zornvollen Gottheiten im Bardo? Oder sehen wir etwas, das wir erschreckend finden,
so wie in einem Horror-Film?
Rinpoche: Westler sehen das, was sie als erschreckend interpretieren. Tibeter haben eigentlich
niemals richtig gelernt, Horror zu malen. Auch wenn die tibetischen Beschreibungen der
Herukas ziemlich Furcht einflößend sind, bleibt das doch nur ein begrenzter Aspekt der
Thangkas. Dennoch wird, was immer dargestellt wird, besonders schön gemalt. Ganz ehrlich,
stellt euch mal einen Heruka vor, mit einer Kette von 51 blutenden Menschenköpfen und
einer Kette von 100 trockenen Menschenköpfen. Das ist wirklich erschreckend. Selbst
Hollywood hat so etwas noch nicht dargestellt. Bilder wie Dracula sind nicht so Angst
erregend. Sie haben nur vier Reißzähne, wohingegen wir in den tibetischen Beschreibungen
über zornvolle Gottheiten von einem Mund im Magen und anderen Dingen hören.
Schüler: Wenn ein Westler eine Vision hat, ist das auch nur eine Wahrnehmung?
Rinpoche: Ja. Wir müssen nicht über die Unterschiede zwischen Westlern und Ostlern reden,
denn selbst was uns beide hier betrifft, gibt es ja Unterschiede. Deswegen sprechen wir über
Prana, Nadi und Bindu. Es hängt von der Wahrnehmung der individuellen Person ab. Aber
unsere Ausstattung ist die gleiche. Ihr habt fünf Emotionen, zwei davon sind Aggression und
Eifersucht, und ich habe die auch. Alle Emotionen können in diese fünf aufgeteilt werden. Es
ist nicht der Fall, dass manche Leute mehr oder extra Emotionen hätten, wie z.B. eine ganz
andere Emotionen-Gruppe, über die man nicht wirklich sprechen könnte. Deswegen haben
wir diese fünf Buddha-Familien. Um das weiter auszuführen, gibt es die 58 zornvollen und
die 42 friedvollen Gottheiten. Das bezieht sich auf den Ausdruck der inneren Emotionen und
hat nichts mit irgendeiner tibetischen Zählweise zu tun. Alles basiert auf dem eigenen Prana,
Nadi und Bindu.
Schüler: Ich bin überrascht über die fünf Emotionen. Da fehlt die Angst, und Angst ist doch
so ein Hindernis.
Rinpoche: Angst ist mit Sicherheit in den fünf Emotionen beinhaltet. Aber natürlich müssen
wir verallgemeinern. Wenn du so genau klassifizieren willst, dann sind fünf nicht genug. Fünf
Millionen wären nicht genug.
Schüler: Aber Angst ist ein stetes Hindernis, von Geburt bis zum Tod.
Rinpoche: Innerhalb dieser fünf Emotionen gibt es etwas, was Unwissenheit genannt wird. In
Unwissenheit sind alle Emotionen beinhaltet, selbst die anderen vier Emotionen. Natürlich
sprechen die Buddhisten auch dauernd über Hoffnung und Furcht. Aber Hoffnung und Furcht
sind Aspekte der Unwissenheit. Wir müssen so verallgemeinernd reden, sonst wäre es endlos.
Ansonsten müssten wir ganze Reihen buddhistischer Werke für jede einzelne Person
schreiben, für all die verschiedenen Arten der Angst. Manche Leute haben „Angst-Angst“,
manche „Hoffnungs-Angst“ und andere haben „Angst-Hoffnung“. Andere haben eine
Eifersucht-orientierte Angst, eine Aggression-orientierte Angst, und manche haben Stolzorientierte
Angst. Es gibt so viele verschiedene Versionen von Angst und Hoffnung, aber man
kann sie alle unter Unwissenheit betrachten. Warum existiert Angst? Auf Grund von
Unwissenheit; weil wir nicht wissen, was da ist. Deswegen haben wir Angst. Stolz ist auch
eine Art Angst. Eifersucht ist auch Angst. Leidenschaft ist Angst. Aggression ist auch Angst.
Alle sind miteinander verbunden. Es ist nicht so, dass wir nur die eine Emotion hätten, aber
nicht die anderen. Wir müssen ein bisschen verallgemeinern. Es ist so, als ob wir eine
Richtung messen und fragen „Wo ist Osten?“ Man findet heraus, wo es ist, aber wenn man in
die Richtung geht, findet man dort dennoch auch Süden und Westen. Es ist ja nicht so, dass
du, wenn du in Richtung Osten gehst, dort nur noch Osten findest. Man findet dort auch alle
anderen Richtungen vor.
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