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StattBlatt Verlag, sb092, Mai 2013

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<strong>StattBlatt</strong> | <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong> | Ausgabe 92 | 11<br />

alte Wanduhr aus dem Vertrieb der Grönland hat Werner Schneider<br />

bis heute aufbewahrt. Auf ihrem Ziffernblatt steht geschrieben<br />

‚Grönland Tiefkühlkost – Das »Tischlein deck dich« unserer Zeit’:<br />

„Die ist mein Schmuckstück!“<br />

ÜBRIGENS ...<br />

Von Paletten keine Spur: Rohware, wie z.B. Erbsen, wurde beim Bauern<br />

vor Ort in kleine Kisten gefüllt. Dort wurden diese mit den betriebseigenen<br />

Fahrzeugen der Grönland abgeholt und jede einzelne<br />

Kiste musste noch von Hand aufgeladen werden.<br />

CLEMENS<br />

SCHELHAAS<br />

„Die Grönland“,<br />

ein Stück Elsen<br />

Von einem Tag zum anderen wurden unsere „Arbeitsverhältnisse“<br />

beendet. Irgendwo schnappte ich den Begriff „verbotene Kinderarbeit“<br />

auf. Das sauer verdiente Geld wurde gut angelegt. Unsere Familie<br />

stand wirtschaftlich vor einem Neuanfang. Wir waren im Krieg<br />

in Elsen ausgebombt. Einige Zeit hatten wir mit geliehenen Möbeln<br />

gelebt, die wir aber zurückgeben mussten. Voller Stolz kauften wir<br />

von unserem selbstverdienten Geld bei dem Farben- und Teppichgeschäft<br />

Hans Paulussen auf der Königstraße einen Bodenbelag aus<br />

„Balatum“. Balatum wurde noch lange Zeit in Bedburg hergestellt.<br />

ÜBRIGENS ...<br />

In der Regel mussten sich die Mitarbeiter selbst um ihre Verpflegung<br />

kümmern und ihr eigenes Küchengeschirr mitbringen. Zum Kochen<br />

nutzen sie die Wohnheimküchen. Wer wollte, konnte auch ein warmes<br />

Mittagessen für 2,00 DM in der Kantine einnehmen.<br />

„Die Grönland“ war über Jahrzehnte ein Begriff und gehörte zu Elsen<br />

wie „Die Quäker“ und „Die Kappesfabrik“. Indirekt ist meine<br />

Familiengeschichte mit „Grönland“ verbunden. Die Konservenfabrik<br />

stand auf dem Gelände der Elsener Zuckerfabrik. Mein Großvater<br />

lebte in Holzminden und kam als Saisonarbeiter, er war Zuckerkoch,<br />

zur Zuckerrübenkampagne nach Elsen. Im Jahre 1900 kaufte er auf<br />

der Rheydter Straße in Elsen ein Haus und eröffnete eine „Kolonialwarenhandlung“.<br />

Direkten Kontakt mit „Grönland“ bekam ich 1948 nach der Währungsreform.<br />

Ich war damals zehn Jahre alt. In den Ferien beschäftigte<br />

„Grönland“ Kinder. So wurde es für mich das erste Arbeitsverhältnis.<br />

Mein Bruder, zwei Jahre älter, war mit von der Partie.<br />

Unsere Aufgabe bestand darin, Erbsen und Dicke Bohnen zu „kiffelen“,<br />

d.h. wir mussten die Erbsen und Bohnen aus den Schalen pulen.<br />

Wir arbeiteten morgens vier Stunden und nachmittags vier Stunden.<br />

Der Stundenlohn betrug 0,25 DM. Unser Tagesverdienst belief sich<br />

also auf 2,00 DM. Unsere „Produktion“ wurde gewogen. Wer über<br />

ein bestimmtes Gewicht hinauskam, bekam eine kleine Prämie. Ich<br />

war einmal sehr enttäuscht, dass man mir diese Prämie vorenthielt,<br />

traute mich aber nicht zu protestieren.<br />

5 kg Dosen-Verschlussmaschinen für Nasskonserven © Werner Schneider<br />

Gearbeitet wurde in einem 2-Schicht-System, jeweils von 6.00 bis<br />

14.30 Uhr bzw. von 14.30 – 23.00 Uhr. Überstunden wurden mit Mehrarbeitszuschlägen<br />

vergütet: Für die ersten beiden Stunden gab es<br />

z.B. einen Zuschlag von 25 %, ab der dritten Stunde 30 %. Für Arbeitsstunden<br />

nach 23.00 Uhr gab es 50 % Nachtzuschlag, an Sonntagen<br />

60 % Zuschlag.<br />

Erbsenanlieferung vor Ort beim Bauern (Obermaschinenführer am Einschalthebel) © Werner Schneider<br />

Eine Tante von mir arbeitete bei „Grönland“. Dort lernte sie auch<br />

ihren Mann kennen. Sie bezogen ein kleines Häuschen auf dem Grönlandgelände.<br />

In der folgenden Zeit ging ich bei Grönland ein und aus.<br />

In besonderer Erinnerung habe ich noch ein altes Emailleschild am<br />

Pförtnerhäuschen: „Essenträger warten hier!“<br />

In späteren Jahren trat dann noch einmal Grönland für uns in den<br />

Blickpunkt. Es war die Zeit, wo sich unser Interesse für Mädchen<br />

erheblich verstärkte. Deutschland erlebte das Wirtschaftswunder<br />

und benötigte Arbeitskräfte, so auch Grönland. Es wurden auf dem<br />

Grönlandgelände Baracken gebaut. In diese Baracken zogen junge<br />

Spanierinnen ein. Die Kirche hatte damals noch Autorität. Der damalige<br />

Oberpfarrer Thomas, den man ja heute durchaus als legendäre<br />

Gestalt bezeichnen darf, nahm sich in einer Sonntagspredigt<br />

der jungen Spanierinnen an. Er drohte den Elsener Burschen mit<br />

den schlimmsten Höllenqualen, wenn sich einer den jungen Spanierinnen<br />

in verführerischer Weise nähern sollte. Die Predigt hatte<br />

offensichtlich Erfolg – es ist nie etwas bekannt geworden.<br />

Ich muss heute noch schmunzeln, wenn ich im ehemaligen Grönlandgelände<br />

das Straßenschild „Konrad-Thomas-Straße“ sehe.

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