Nicaragua Sommer 2010 - Jinotega
Nicaragua Sommer 2010 - Jinotega
Nicaragua Sommer 2010 - Jinotega
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<strong>Nicaragua</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2010</strong><br />
Zwei Kulturen in der einen Welt –<br />
Jugend in der Verantwortung für die Zukunft unserer Erde<br />
Teil 2<br />
Bericht über die Begegnungs- und Projektreise<br />
junger Solinger nach <strong>Jinotega</strong>, <strong>Nicaragua</strong><br />
vom 9. Juli bis zum 10. August <strong>2010</strong>
<strong>Jinotega</strong> /<br />
<strong>Nicaragua</strong><br />
Solingen /<br />
Deutschland<br />
Die Vision unseres Partners, des Vereins „La Cuculmeca“:<br />
Leben in einer intakten Umwelt, in der alle Zugang zu Bildung und Kultur haben,<br />
sich gesund ernähren können und in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind.<br />
Leben aus der Kraft der eigenen Wurzeln - Cuculmeca = Name einer alten indianischen<br />
Heilpflanze.
Inhalt<br />
Titel Autor(en) Seite<br />
Vorwort Sybille Arians 2<br />
Auszüge aus Erfahrungsberichten der Teilnehmer Reisegruppe 3<br />
Die Reisegruppe 7<br />
Mural <strong>2010</strong> <strong>Nicaragua</strong> Thora Tepper 8<br />
Liv Neundörfer<br />
Ökoturismus in <strong>Nicaragua</strong> Sybille Arians 12<br />
Ein „Nest für Kinder - Der Kindergarten SIC in <strong>Jinotega</strong> Jana Firouskhah 16<br />
Kevin Grimm<br />
Herr Soffel<br />
„Necesitas el cogedor?“ - Kommunikation in <strong>Nicaragua</strong> Linda Setzer 18<br />
Die Situation der Frauen in <strong>Nicaragua</strong> Hannah Schultes 20<br />
Thora Tepper<br />
Kriminalität und Armut in <strong>Nicaragua</strong> Sven Soffel 24<br />
Till Brockmann<br />
Die politische Situation in <strong>Nicaragua</strong> Christoph Rasemann 27<br />
Paul Klebert<br />
Los Pipitos Hannah Schultes 30<br />
Timo Becker<br />
Das Schulsystem in <strong>Nicaragua</strong> Anna Krieger 32<br />
Dorina Kästner<br />
Das Instituto La Cuculmeca Sybille Arians 34<br />
Von der Ecolodge zurück in die Zivilisation Kirstin Untrieser 36<br />
Joschka Setzer<br />
Programm 40<br />
Impressum 41<br />
Dank<br />
Wir verdanken die Finanzierung der Reisekosten dem Landesprogramm „Konkreter Friedensdienst“<br />
und der Stadt Solingen, Bereich Jugendförderung - internationale Jugendbegegnung.<br />
Die Kosten für das Mural (Wandgemälde) und die Arbeiten an der Öko-Herberge finanzierten die<br />
Stadtsparkasse Solingen und der Förderverein Städtefreundschaft mit <strong>Jinotega</strong>.<br />
1
Vorwort<br />
Zwei Kulturen in der einen Welt - Jugend in der<br />
Verantwortung für die Zukunft unserer Erde Teil 2<br />
Der Jugendaustausch Solingen - <strong>Jinotega</strong> <strong>2010</strong> war als<br />
Fortsetzung der Begegnung in Solingen 2008 geplant, teils<br />
mit neuen Akteuren, aber am selben gemeinsamen Auftrag<br />
für die Jugend aus allen Kulturen orientiert, unseren<br />
Planeten lebenswert zu erhalten. Für mich war es bereits die<br />
dritte Projektreise nach <strong>Jinotega</strong>. Es war gut, dort Freunde<br />
zu umarmen, Herzlichkeit und Dankbarkeit zu erleben<br />
und an die Arbeit der vorigen Begegnungen anknüpfen<br />
zu können.<br />
Begegnung mit Jugendlichen aus <strong>Jinotega</strong>-Stadt und<br />
gemeinsame Exkursionen mit den Projektpartnern aus dem<br />
Dorf La Fundadora ermöglichten in der ersten Woche ein<br />
sanftes ‚Eintauchen’ in das Leben <strong>Nicaragua</strong>s. Der Apanas-<br />
Stausee und das Ökotourismus-Projekt an der ‚Ruta del<br />
Café’ gaben Einblicke in die ökologischen Belange der<br />
Region. Bürgermeister Leonides Centeno empfing uns und<br />
fragte interessiert nach unseren Motiven für unsere Reise. Er Das Mural in Solingen aus 2008<br />
versprach - hurrah! - mehr Unterstützung für das Instituto<br />
La Cuculmeca. Die Organisation La Cuculmeca, die seit 20 Jahren unser Ansprechpartner für von<br />
Solingen aus geförderte Projekt ist, empfing uns und informierte über ihren Einsatz für die Bildung<br />
und Ausbildung der Menschen auf dem Land: Bildung als Grundlage dafür, die eigene Lebenssituation<br />
zu verbessern. Kenntnisse über die Rechte und Beteiligung an Entscheidungsprozessen werden vermittelt<br />
um der Landflucht Einhalt zu gebieten. Die jungen, engagierten Leute gilt es in <strong>Nicaragua</strong> zu<br />
halten anstatt sie als Tagelöhner nach Costa Rica oder als illegale Handlanger und Hausdienerinnen<br />
in die USA auswandern zu lassen.<br />
Unsere Projekte sollten einen kleinen Beitrag dazu leisten:<br />
Das Mural (Gemälde), das auf einer Wand von 28.Länge und 3m Höhe im Dorf La Fundadora entstehen<br />
sollte, knüpfte an an das Mural, das wir in Solingen 2008 auf die Wand gebracht haben, und in<br />
welchem die Bedrohung der Erde durch übermäßigen Konsum und Ressourcenverbrauch dargestellt<br />
wurde. Das Pendant dazu in <strong>Nicaragua</strong> sollte das Schützenswerte der Natur in den Vordergrund stellen.<br />
Es sollte den Menschen im Dorf signalisieren: „Hallo, hier gibt es etwas außerordentlich Schönes<br />
und Erhaltenswertes. Kümmert euch darum und präsentiert es euren Gästen.“ Für solche Gäste,<br />
die das Angebot für einen sanften, ökologischen Tourismus annehmen wollen, war gerade der<br />
Rohbau der Öko-Herberge fertig geworden. Wir<br />
halfen bei der Gestaltung der Außenanlagen mit,<br />
so dass schon bald die ersten Touristen kommen<br />
können. Die Freunde vom Instituto werden zum<br />
Teil in Kursen qualifiziert für die Dienstleistungen,<br />
die sie im Tourismusgewerbe zu erbringen haben.<br />
Hoffentlich können sie das eines Tages anwenden<br />
und tatsächlich einen Teil ihres Lebensunterhaltes<br />
dadurch verdienen.<br />
2<br />
Demo für Umweltschutz in Solingen 2008<br />
Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit als notwendige<br />
Aspekte aller Veränderungen unseres<br />
Lebensstils, zogen sich wie ein roter Faden durch<br />
unser Programm.<br />
Sybille Arians
Auszüge aus Erfahrungsberichten der Teilnehmer<br />
Hannah Schultes:<br />
„ ‚Nach <strong>Nicaragua</strong>? Du? Im Ernst?‘<br />
So oder so ähnlich waren die Reaktionen meiner<br />
Freunde und Familienmitglieder, als ich<br />
ihnen erzählt habe, dass ich nach <strong>Nicaragua</strong> in<br />
unsere Partnerstadt <strong>Jinotega</strong> fliege.<br />
Mit gemischten Gefühlen steige ich ins<br />
Flugzeug...was erwartet mich am anderen Ende<br />
der Welt?<br />
Ja, was erwartet einen am anderen Ende der<br />
Welt...<br />
Eine herzliche Umarmung und verdammt<br />
schwüle Luft erwartet einen bei der Ankunft<br />
am Flughafen Managuas.“<br />
„Welches für mich eine der schönsten<br />
Erfahrungen in dem gesamten Monat in<br />
<strong>Nicaragua</strong> ist, war das gemeinsame Spielen mit<br />
den Kindern und Jugendlichen aus dem Dorf.<br />
Wir haben mit ihnen nach der Schule Basketball<br />
gespielt ‚ „Nicas vs. Cheles‘‘. Auch die Kleinen<br />
hatten ihren Spaß mit dem Volleyball. Es war<br />
für mich eine willkommene Abwechslung, die<br />
auch den Teamgeist zwischen uns und den<br />
Nicas gestärkt hat. Denn später im Spiel waren<br />
es komplett gemischte Mannschaften bestehend<br />
aus den Schülern, uns, aber auch den<br />
älteren Jugendlichen.“<br />
„Als es für mich dann so weit war Bäumchen<br />
zu pflanzen oder die Betonmauer auf dem<br />
Grundstück der Ökoherberge zu bauen, hatte<br />
sich diese Arbeit für mich allerdings schnell<br />
erledigt, da mir während des Abtragens des<br />
Erdwalls ein geschätzter 70kg-Stein auf den<br />
Fuß gefallen war. Somit war ich bis zur Abreise<br />
von ‚La Fundadora‘ arbeitsunfähig und verbrachte<br />
die Stunden, während die anderen<br />
arbeiteten, im Bett oder auf der Sitzbank vor<br />
unserem Schlafsaal.“<br />
Christoph Rasemann:<br />
„Auf der Busfahrt nach <strong>Jinotega</strong> hatte ich<br />
eigentlich vor zu schlafen, da ich von der langen<br />
Reise ermüdet war. Als dann allerdings<br />
die Nicas die von uns mitgebrachten Gitarren<br />
schnappten und anfingen nicaraguanische<br />
Lieder zu singen war dies vergessen und ich<br />
wollte nur noch der schönen Musik lauschen.<br />
Ich war positiv überrascht wie musikalisch die<br />
einheimischen Jugendlichen waren und mit<br />
welch einer Leidenschaft und Freude sie sangen<br />
und Gitarre spielten. Außerdem unterhielt<br />
ich mich sehr nett mit einem Nica namens<br />
Rafael, dem ich während der Reise noch mehrfach<br />
begegnet bin und der mir besonders in<br />
Erinnerung geblieben ist.“<br />
„Die Arbeit begann recht chaotisch. Während<br />
die nicaraguanischen Jugendlichen schon<br />
anfingen Löcher zu graben und Bäume zu<br />
setzten, wussten wir noch gar nicht wirklich,<br />
was wir tun sollten und warteten noch auf<br />
eine Einweisung. Als diese erfolgt war fingen<br />
wir ebenfalls an zu arbeiten, allerdings<br />
zunächst ziemlich getrennt von den Nicas, später<br />
kam es dann zu näherem Kontakt und z.T.<br />
auch zur Vermischung zwischen den Gruppen,<br />
wobei die Kommunikation meist aufgrund der<br />
Sprachbarriere, dem Altersunterschied und<br />
der zu verrichtenden Arbeit etwas verhalten<br />
blieb.“<br />
„Das Bäume Pflanzen habe ich als eine recht<br />
eintönige und anstrengende Tätigkeit erlebt,<br />
zu der ich mich nach den ersten Tagen nur<br />
noch schwerlich motivieren konnte. Hinzu kam<br />
dass ich aufgrund der Durchfallerkrankung<br />
und nachher auch einer Erkältung körperlich<br />
geschwächt war. Trotzdem bin ich meiner<br />
Arbeit, bis auf einen Tag, an dem es mir besonders<br />
schlecht ging, nachgegangen und immerhin<br />
können wir nun auf das stolze Ergebnis<br />
blicken<br />
Anna Krieger:<br />
„Das in <strong>Nicaragua</strong> so verbreitete Gallo Pinto<br />
war, obwohl ich vorher dachte: „Ach die paar<br />
Wochen hälste Reis und Bohnen schon aus“,<br />
gar nichts für mich. Da ich es weder vertragen<br />
noch gemocht habe und mir Reis nach kurzer<br />
Zeit schon nicht mehr appetitlich erschien,<br />
habe ich mehrere Tage nur von Cola und ein<br />
paar Chips oder Keksen gelebt. Eigentlich ging<br />
das vom Hunger her ganz gut, nur von der<br />
Energie die ich zum Arbeiten gebraucht hätte<br />
war nicht so viel da wie gewünscht.“<br />
„Man hat ganz klar einen Unterschied in der<br />
Arbeitsweise zwischen den Nicas und uns<br />
Deutschen gemerkt. Die Nicas waren viel fitter<br />
was das grobe Arbeiten angeht, also die<br />
Gartenarbeit. Obwohl größtenteils wesentlich<br />
jünger als wir, konnten wir bei weitem nicht<br />
mit deren Tempo und der Ausdauer mithalten.“<br />
„Kaum als wir am Busbahnhof ankamen, sind<br />
die ganzen Busfahrer auf uns zu gerannt<br />
3
und haben rumgebrüllt wo sie hinfahren und<br />
wollten uns schon die Rucksäcke abnehmen<br />
und auf ihre Busse drauf packen. Es war gar<br />
nicht immer leicht sich nicht mitreißen zu lassen<br />
und den Busfahrern zu verklickern, dass<br />
man nicht mit ihnen fährt und sowieso erst mal<br />
darauf wartet dass die ganze Gruppe dabei ist<br />
und alle ihre Sachen noch haben. Man hat ganz<br />
klar gemerkt dass wir für die Busfahrer eine<br />
begehrte Geldquelle waren.“<br />
Liv Neundörfer:<br />
„Dennoch gab es auch Sachen die mir schwergefallen<br />
sind. Auf einmal war ich eine „Weiße-<br />
Reiche“. Oft wurden wir angestarrt und es<br />
wurden Bilder von uns gemacht und vor allem<br />
die Männer riefen uns hinterher und machten<br />
ihre Sprüche. Aber auch das hat mir geholfen<br />
weil auch sie mir gezeigt haben wie gut ich<br />
lebe und das ich mein Leben so wie es ist wertschätzen<br />
kann.“<br />
„Noch nie wurde ich so herzlich empfangen<br />
und, gerade von den Bewohnern der „La<br />
Fundadora“ so liebevoll in eine Gemeinschaft<br />
eingebracht. Das Land und deren Bewohner<br />
haben mich gefesselt und ich werde es auf<br />
jeden Fall wieder besuchen um noch ein Stück<br />
<strong>Nicaragua</strong> in mir zu tragen.“<br />
Jana Firouzkhah:<br />
„Armut kann schon darin bestehen, mit acht<br />
Geschwistern und den Eltern in einer Hütte<br />
zu wohnen, die nur ein paar Quadratmeter<br />
groß ist, wobei der Boden aus Erde besteht<br />
und das Dach aus Wellblech, welches bei<br />
Regen einen höllischen Krach verursacht. Oder<br />
in der nicht vorhandenen Möglichkeit, auf<br />
Klassenfahrt zu fahren. Eine Sache, auf die in<br />
Deutschland Wert gelegt wird und die sogar<br />
Kindern von Hartz IV-Empfängern ermöglicht<br />
wird. Oder der Tatsache, keine Bücher außer<br />
den Schulbüchern zu besitzen. Das bedeutet:<br />
kein Vorlesen vor dem Schlafengehen, keine<br />
Märchen, keine Sachgeschichten. Deswegen<br />
sind die Kinder umso mehr auf den Fernseher<br />
fixiert, der ihnen weder Lesen beibringt noch<br />
ihre Kreativität fördert oder ihren Horizont<br />
nennenswert erweitert.“<br />
„Es gibt so viele Sachen, die mich immer<br />
noch schocken. Dazu gehören zum Beispiel<br />
die Parallelwelten von Armen und Reichen.<br />
Vorzugsweise fallen mir diese in Granada auf<br />
- zwischen Touristenmeile und klimatisiertem<br />
4<br />
Internetcafe sind die Bettler zu sehen. Auch oft<br />
Kinder, die verdammt hungrig sind, so wie der<br />
Junge, den wir an unserem Tisch haben sitzen<br />
und essen lassen, und der nichts wahrnahm<br />
außer seinen Teller mit unseren Essensresten.<br />
Oder die Obdachlosen, die nachts neben dem<br />
Internetcafe am Parque Central schlafen:<br />
Letztens lag dort ein ca. 10-jähriger Junge ein<br />
paar Meter neben dem Eingang. Hier das Café<br />
mit Ventilator, europäischem Frühstück, W-Lan,<br />
Anrufen in alle Welt - und da der kleine Junge,<br />
der wohl niemals eine Schule besuchen wird,<br />
der wohl keine Eltern hat, die sich um ihn kümmern<br />
und der betteln gehen muss. Nur zwei<br />
Meter trennte diese Welten:.... der Junge, ein<br />
Behinderter, zwei andere Männer und die verwirrte<br />
Frau, die jeden Tag mit demselben Kleid<br />
durch Granada läuft und mit sich selbst redet.“<br />
„Denn während wir deutschen Schüler,<br />
geprägt vom Kunstunterricht., versuchten dem<br />
Gemalten möglichst viel an Plastizität zu verleihen,<br />
malten die Nicas alles im selben Farbton<br />
und taten dies mit Gemütlichkeit.“<br />
„Manchmal übermalten oder verbesserten wir<br />
das von den Nicas Gemalte, was mir einerseits<br />
sehr schwer fiel, weil sie sich so viel Mühe gegeben<br />
hatten, andererseits mussten wir auch ein<br />
bisschen an die Wirkung des Bildes denken.“<br />
„Als ich aus <strong>Nicaragua</strong> zurückkam, fühlte ich<br />
mich, als wäre ich in einer Seifenblase. Alles um<br />
mich herum tangierte mich nicht. Der Konsum,<br />
der überall im Vordergrund stand, die ständige<br />
Fixierung auf Materielles, nervte mich.<br />
Vor allem auf einer Zugfahrt, drei Tage nach<br />
meiner Ankunft, war ich ziemlich verwirrt. Der<br />
Zug war mir zu sauber, zu leise. Ich suchte nach<br />
den fliegenden Händlern, die schreiend ihre<br />
Ware anboten und ich vermisste die Musik auf<br />
den Strassen.“<br />
Ich bin jetzt wieder hier, in <strong>Nicaragua</strong>. Seit rund<br />
zwei Wochen leiste ich hier meinen neunmonatigen<br />
Freiwilligendienst in Granada ab. Dieses<br />
Land hat mich, seit ich vor drei Jahren das<br />
erste Mal hier war, nicht los gelassen und ich<br />
denke, ich werde nicht das letzte Mal hier sein.<br />
Ich fühle mich schon ein wenig zu Hause hier,<br />
in dem Chaos, in dieser Welt des Paradoxen,<br />
in der man in einer Einzimmerhütte mit zehn<br />
Personen lebt, kaum Stühle, aber dafür einen<br />
großen Fernseher besitzt, während der kleine<br />
Sohn in immer der gleichen Kleidung herumläuft.
Kirstin Untrieser:<br />
„Ergebnisse der vielen Projekte und Angebote,<br />
die der Verein La Cuculmeca seit seiner Gründung<br />
auf die Beine gestellt hat, sind uns immer wieder<br />
begegnet und haben mir gezeigt, dass der<br />
Verein sinnvolle und nachhaltige Arbeit leistet.<br />
Auch der Stolz der Mitarbeiter mit dem sie<br />
über „ihren Verein“ berichten, bestärkt mich<br />
in der Überzeugung, dass eine Unterstützung<br />
dieses Vereins eine sinnvolle Angelegenheit ist<br />
und ich mich in Zukunft auch dafür einsetzen<br />
möchte.“<br />
„Gerade in der zweiwöchigen Projektphase<br />
musste ich feststellen, wie unterschiedlich<br />
doch die Grundeinstellungen von Nicas und<br />
Deutschen in einigen Beziehungen sind, zum<br />
Beispiel in organisatorischen Dingen. Der<br />
Termin unserer Ankunft im Dorf La Fundadora<br />
war seit Monaten bekannt und trotzdem wurde<br />
erst am Tag vor unserer Ankunft angefangen<br />
die Mauer, die wir bemalen wollten, zu verputzen,<br />
so dass wir Sorge hatten, dass sie noch<br />
rechtzeitig trocknen würde. Oder wenn für 15<br />
Leute nur zwei Pinsel zur Verfügung gestellt<br />
wurden. „<br />
„Solche Sachen haben mich sehr aufgeregt und<br />
viel Unverständnis bei mir hervorgerufen. Auf<br />
der anderen Seite habe ich mich gefragt, ob<br />
die entschleunigte Lebensweise, die die Nicas<br />
führen, in manchen Bereichen nicht auch ein<br />
positives Beispiel für mich sein kann. Denn<br />
unsere schnelllebige Gesellschaft, in der alles<br />
sofort getan werden muss, ist mit Sicherheit<br />
auch nicht der ideale Lebensweg.“<br />
„Abschließend möchte ich sagen, dass ich sehr<br />
dankbar bin an dieser Reise teilgenommen<br />
zu haben. Ich habe viele neue Leute kennen<br />
gelernt, ein Land entdecken können, das trotz<br />
seiner wirtschaftlichen Armut reich ist an Natur<br />
und liebenswerten Menschen und ich habe viele<br />
Dinge gesehen, die mir Anlass gegeben haben,<br />
mir Gedanken über etwas zu machen, was ich<br />
vorher gar nicht wahrgenommen habe.“<br />
„Außerdem weiß ich Dinge nun viel mehr zu<br />
schätzen, die wir in Deutschland haben und die<br />
wir als selbstverständlich hinnehmen. Sei es das<br />
abwechslungsreiche Essen, eine warme Dusche,<br />
aber auch eine sichere Stromversorgung (nach<br />
einem Blitzeinschlag in Granada ist dort die<br />
komplette Stromversorgung weggefallen).“<br />
Dorina Kästner:<br />
„Wenn wir zu einem anderen Ort mussten,<br />
wurden wir mit Camionetas transportiert, d.h.<br />
wir saßen auf der Ladefläche eines Pickups,<br />
was total viel Spaß machte. Einmal, nach einem<br />
Ausflug im Regenwald, saßen wir dort völlig<br />
durchnässt, aber der Regen hatte uns nichts<br />
mehr ausgemacht, da wir gemeinsam sangen,<br />
um die Kälte und Nässe zu durchstehen. Die<br />
Dusche danach war das schönste Geschenk, was<br />
man uns dort machen konnte.“<br />
„Vor allem in der letzten Woche haben wir<br />
einige Reisende getroffen, die wie wir nur mit<br />
einem Rucksack durch Mittelamerika reisten.<br />
Von neuem entdeckte ich, dass es für mich<br />
einen unermesslichen Reiz hat durch die Welt<br />
zu reisen, neue Kulturen kennen zu lernen,<br />
andere Sprachen zu sprechen und ohne viel<br />
Planung die Heimat zu verlassen.“<br />
Joschka Setzer:<br />
„Hier verbrachten wir also die nächsten zwei<br />
Wochen, reinigten uns und unsere Kleidung<br />
mit Flusswasser aus einem Schlauch. Wir bauten<br />
uns unsere Bleibe so schön es eben ging<br />
(Bank, Schaukel, Waschbrett, Wäscheleine ),<br />
und gewöhnten uns an die Klospülung per<br />
Eimer.“<br />
„Ein Moment der mir noch lange in Erinnerung<br />
bleiben wird, war aber der Beginn des Regens.<br />
Ein Mädchen hatte bemerkt dass die Decke<br />
undicht war und es auf den Boden tropfte,<br />
war nach vorne gegangen wo der Mülleimer<br />
stand. Sie nahm den Deckel ab und stellte den<br />
Eimer als Auffangbehälter unter die tropfende<br />
Stelle, wie selbstverständlich. Dann hörte man<br />
eine Zeit lang ein „Plopp, Plopp, Plopp“. Auch<br />
gingen Hunde während des Unterrichtes wie<br />
selbstverständlich ein und aus, um einen weiteren<br />
Unterschied zu unserem Schulunterricht<br />
zu nennen.“<br />
„Im Nachhinein kann ich nur sagen, jeder<br />
Dollar und jede investierte Sekunde hat sich<br />
gelohnt.“<br />
Kevin Grimm:<br />
„Die Arbeit in <strong>Jinotega</strong> im Kindergarten und<br />
auf der La Fundadora haben mir sehr viel Spaß<br />
gemacht. Auch wenn es schwierig war das richtige<br />
Werkzeug für die Arbeiten aufzutreiben,<br />
haben wir es trotzdem gut gemeistert. Die<br />
Schreinerei die ich dort gesehen habe war kein<br />
Vergleich zu einer Werkstatt in Deutschland.<br />
Der Schreiner dort hat in seiner Werkstatt<br />
nur eine Säge, einen Schleifstein und eine<br />
Handvoll Schraubenzieher und Stecheisen. Sein<br />
5
Bett steht mitten in der Werkstatt und ist voller<br />
Staub und Holzspäne. Hmmmmmm“<br />
Paul Klebert:<br />
„Insgesamt hat mir die Reise mitsamt Vor-<br />
und Nachbereitung (wozu ich auch diesen<br />
Bericht hier zähle) einen wertvollen Einblick<br />
in das Land <strong>Nicaragua</strong> und seine Menschen<br />
gewährt, wobei die in meinen Augen sinnvolle<br />
Organisation der Reise eine gewichtige Rolle<br />
spielte, sodass wir viele verschiedene Facetten<br />
<strong>Nicaragua</strong>s erfahren konnten, nicht zuletzt mit<br />
Schwerpunkt auf sozialen Aspekten und der<br />
direkten Veranschaulichung der Sinnhaftigkeit<br />
von zielgerichteter Entwicklungshilfe, welche<br />
im Rahmen der Städtefreundschaft ...einen<br />
wichtigen Beitrag zur Perspektive vieler<br />
Menschen in <strong>Nicaragua</strong> leistet.<br />
Sven Soffel:<br />
„Bemerkenswert fand ich die Kraft und<br />
Ausdauer mit der die Nicas an die Arbeit<br />
gegangen sind. Jugendliche im Alter von 15, 16<br />
Jahren trugen alleine Steine die fast so schwer<br />
waren wie sie selbst. Es entwickelte sich ein<br />
Wettstreit zwischen den Nicas und mir, wer<br />
mehr dieser 45Kg – Blöcke den matschigen<br />
Hügel rauf tragen konnte. Auf jeden Fall konnte<br />
ich kaum mithalten.“<br />
Thora Tepper:<br />
„‚Wo schlafen die denn alle?‘, war mein erster<br />
Gedanke. Ziemlich dämlich. Hätte ich ein<br />
wenig darüber nachgedacht wäre mir sicherlich<br />
schnell klargeworden, dass es genau diese<br />
Lebensumstände sind, die es für mich zu entdecken<br />
gab.<br />
Das war auf jeden Fall eine andere Welt. .........<br />
halten sie sich zwei Kühe im Vorgarten und<br />
sechs Hühner und ein Schwein teilen sich den<br />
Hinterhof. Alles hier, dass merkte ich schnell<br />
trägt zum Lebensunterhalt bei.“<br />
Till Brockmann:<br />
„Nun wechselten wir das Lager in die<br />
Fundadora. Jetzt hatte das Abenteuer endgültig<br />
begonnen, ohne fließend Wasser, nur<br />
bedingt Strom, sowie mit 15 Leuten unter einem<br />
Dach war Ärger eigentlich vorprogrammiert.<br />
6<br />
Allerdings gab es quasi keinen. Bis auf kleinere<br />
Meinungsverschiedenheiten, die aber auf rein<br />
sachlicher Ebene stattfanden, war das ganze<br />
relativ harmonisch. Mit Ausnahme von einem<br />
oder zwei Tagen, in welchen ich krank im Bett<br />
lag, waren die Tage interessant und abwechslungsreich,<br />
ob Straße ausbessern, Bäume pflanzen,<br />
mauern, Schaukel bauen, Dach reparieren,<br />
Türen ausbessern oder malen. Im Nachhinein<br />
betrachtet war es eine schöne Zeit.<br />
Die fehlenden Annehmlichkeiten der Zivilisation<br />
waren schnell vergessen. Wenn man nach<br />
einem Tag geprägt von schwerer körperlicher<br />
Arbeit und dem tropischen Klima ins Bett fiel,<br />
blieb keine Zeit beziehungsweise Kraft mehr<br />
sich über so etwas Gedanken zu machen und es<br />
ließ sich gut leben .“<br />
Timo Becker:<br />
„Die Einweihung des Murals und die Abreise<br />
fielen auf den selben Tag. Es war ein sehr<br />
schöner Abschluss und man hat noch einmal<br />
gesehen, wie sehr die Menschen zu schätzen<br />
wissen, dass wir da waren.<br />
Die Rundreise in der letzten Woche war die<br />
perfekte Abrundung des Aufenthaltes. Wir<br />
hatten super Wetter und konnten alles noch<br />
mehr genießen und die Erfahrungen der letzten<br />
Wochen ausklingen lassen.<br />
Ein sehr wichtiger Abend für mich war, als<br />
wir alle zusammen in einer Runde am Strand<br />
über unsere Eindrücke und Gefühle reden<br />
konnten.“<br />
Linda Setzer:<br />
„Was hat mir diese Reise also letzten Endes<br />
gebracht?<br />
Zum einen weiß ich nun, was ich alles habe und<br />
worüber ich mich glücklich schätzen sollte.<br />
Zum anderen kenne ich nun einige der<br />
Menschen, für die wir spenden persönlich und<br />
weiß, dass sie es brauchen. Vor allem aber habe<br />
ich gelernt, dass es wichtig ist, zusammen zu<br />
arbeiten, auch quer über den Globus und ich<br />
wünsche mir, dass noch viele andere diese wunderbare<br />
Erfahrung machen können.“
Die Reisegruppe<br />
ein Mix aus Schülerinnen und Schülern der Gesamtschule Solingen, der August-Dicke-Schule, des<br />
Humboldtgymnasiums, dazu zwei Handwerker und angehende StudentInnen in Begleitung von<br />
Hausmeister Rainer Soffel (GES) und den Lehrerinnen Sybille Arians und Kirstin Untrieser.<br />
Anna Krieger Dorina Kästner Hannah Schultes Rainer Soffel Jana Firouzkhah<br />
Kirstin Untrieser Liv Neundörfer Nora Mutz Paul Klebert Kevin Grimm<br />
Sven Soffel Sybille Arians Thora Tepper<br />
Till Brockmann Timo Becker<br />
Joschka Setzer Linda Setzer Christoph Rasemann<br />
7
Mural <strong>2010</strong> <strong>Nicaragua</strong><br />
8<br />
Don Soffel<br />
Das 2008 in Solingen begonnene Wandmalprojekt<br />
hat nun <strong>2010</strong> in <strong>Jinotega</strong> seine<br />
Ergänzung bekommen. In Solingen wurde mit<br />
einer deutsch-nicaraguanischen Gruppe gleich<br />
neben der städtischen Gesamtschule Solingen<br />
eine Häuserwand bemalt. Das Mural trägt<br />
den Titel: „ Wenn die Erde nicht mehr dein zu<br />
Hause ist, sag mir wo lebst du dann!“ Es zeigt<br />
einen großen goldenen Wasserhahn der unter<br />
der nur noch blass leuchtenden Sonne die<br />
Schätze und Güter der Welt aufsaugt und sie<br />
in Konsumgüter verwandelt, die als Strom von<br />
Luxus und Müll die Erde und das Leben auf ihr<br />
schließlich bedecken.<br />
Unsere Aufgabe in <strong>Nicaragua</strong> bestand nun<br />
darin ein Motiv zu entwickeln und auf eine<br />
Wand zu bringen, welches mit dem bereits<br />
bestehenden Wandgemälde zu verbinden ist<br />
und das im Gegensatz dazu steht. Es sollte<br />
positiv wirken.<br />
In der ersten Woche machten wir einen<br />
Workshop um Ideen zu sammeln und erste<br />
Kontakte zu unseren Helfern und späteren<br />
Unser Farbsortiment<br />
Blanca und Aureliano Dori, Thora und Anna<br />
Freunden zu knüpfen. Aureliano, ein Künstler<br />
aus <strong>Jinotega</strong> und unser Projektleiter, stellte<br />
seine Ideen für das neue Mural vor. Da es keine<br />
negativen Gedanken darstellen sollte, wollte er<br />
die Wand mit wunderschönen, vom Aussterben<br />
bedrohten Vögeln <strong>Nicaragua</strong>s bemalen. Kein<br />
Hinweis auf die Bedrohung war vorgesehen.<br />
Außerdem entwickelten wir Sprüche, welche<br />
auf die drei Türen geschrieben werden sollten,<br />
die in der vorgesehenen Häuserwand von 28m<br />
Länge und 3m Höhe das Gemälde unterbre-
Tür mit Namen aller Projektteilnehmer<br />
chen.<br />
Nach dem Workshop gingen einige von uns mit<br />
gemischten Gefühlen zum Abendessen. Der<br />
Entwurf war zwar schön, aber die Probleme<br />
die es zeigen sollte, wurden uns nicht deutlich<br />
genug. Nachdem wir unsere Zweifel geäußert<br />
hatten, bekamen wir die Möglichkeit einen<br />
eigenen Entwurf zu entwickeln. Dazu nahmen<br />
wir die vorhandene Idee auf und fügten links an<br />
den Anfang des Gemäldes die zerstörte Natur<br />
wie sie im Moment ist. Rechts anschließend<br />
Einweihungsfeier<br />
Aureliano zerschneidet das rote Band<br />
steht ein Mann mit einem großen Stoppschild,<br />
hinter ihm hegen und pflegen zwei Kindern<br />
die Natur und es folgt eine Frau, die mit Hilfe<br />
einer Leiter über eine der Türen zu den Vögeln<br />
in den Urwald klettert. Die kleine Geschichte<br />
zeigt, dass WIR etwas ändern können wenn wir<br />
unser Verhalten der Natur gegenüber ändern.<br />
Das Positive steht, wie angedacht, deutlich im<br />
Vordergrund des Gemäldes.<br />
In der zweiten Woche ging es dann nach<br />
einem zweiten Workshop, in dem unsere Idee<br />
akzeptiert wurde, endlich an die Arbeit. Unser<br />
Ziel für das Ende der 2 Wochen war es an die<br />
lange, graue Wand ein Gemälde zu bringen<br />
welches die Dorfbewohner beglückt und eine<br />
bleibende Botschaft hinterlässt.<br />
Die Arbeit begann mit der schweren Aufgabe<br />
mit 2 ausgetrockneten Farbrollen und 2 Pinseln<br />
zu mehr als 10 Personen die Wand zu grundieren<br />
und ein Raster zur Orientierung darauf zu<br />
malen. Als darauf die Umrisse vorgezeichnet<br />
waren, konnten wir uns endlich an den Farben<br />
bedienen und unserem Gemälde Farbe und<br />
Leben einhauchen.<br />
Während wir deutschen Schüler, geprägt vom<br />
Kunstunterricht, versuchten dem Gemalten<br />
möglichst viel an Plastizität zu verleihen, mal-<br />
9
ten die Nicas alles im selben Farbton und taten<br />
dies mit viel Freude. Darüber zu diskutieren,<br />
fiel uns einerseits schwer weil sie sich so viel<br />
Mühe gegeben hatten, andererseits mussten<br />
wir auch ein bisschen an die Wirkung des<br />
Bildes denken. Und es sollte wirklich lebendig<br />
sein! Manchmal übermalten oder verbesserten<br />
wir das von den Nicas Gemalte, aber sie nahmen<br />
es nicht übel.<br />
Mit der Farbe an der Wand wuchsen auch<br />
die Freundschaften, die mit so vielen Un-<br />
sicherheiten wie zum Beispiel der Sprache<br />
begonnen hatten. Bei lauter Musik, Tanz und<br />
Gesang hauchten wir Natur, Tier und Mensch<br />
auf unserem Gemälde Leben ein und gaben<br />
unserer Botschaft so ein Gesicht.<br />
Dazu reparierten wir auch die Türen des Murals<br />
10<br />
und reinigten und begradigten den Platz davor,<br />
damit auch die Umgebung des Bildes schön<br />
wirkte und neugierige Betrachter nicht in Müll<br />
und Matsch stehen sollten.<br />
Zwar hatten wir es anfangs schwer uns an die<br />
Arbeitsmoral in <strong>Nicaragua</strong> zu gewöhnen, es<br />
gehörte zum Beispiel zu spät kommen dazu;<br />
uns lag es vor allem am Herzen, das Bild rechtzeitig<br />
fertig zu bekommen! Und so freuten wir<br />
uns sehr als wir am allerletzten Tag die vorbereiteten<br />
Sprüche auf die Türen malen und unsere<br />
Namen in Form einer Blume auf dem Bild<br />
verewigen konnten. Konserviert haben wir das<br />
Ganze dann mit Klarlack um es zu schützen.<br />
Während unserer Arbeit lernten wir viele<br />
Dorfbewohner kennen, die unsere Arbeit mit
neugierigen Blicken verfolgten. Mit den teilweise<br />
aufdringlichen Blicken einiger Männer,<br />
die anscheinend keine Arbeit hatten, taten wir<br />
uns schwer, aber mit den Kindern war es schön.<br />
Sie hatten großen Spaß daran uns über die<br />
Schulter zu schauen und auch mal den Pinsel in<br />
die Hand zu nehmen.<br />
Tags nach der Fertigstellung war die große<br />
Einweihung und gleichzeitig auch unser<br />
Abschied. Wir saßen auf dem Ehrenplatz vor<br />
allen 320 Schülern des Institutos, hinter einem<br />
roten Band. Dieses wurde von Aureliano durchtrennt<br />
und das Mural mit etlichen<br />
Ansprachen und Liedern eingeweiht.<br />
Wir waren sehr<br />
erleichtert, als wir bemerkten wie gut das<br />
Gemälde den Dorfbewohnern und auch uns<br />
gefällt. Es ist eine Botschaft für alle die das Dorf<br />
besuchen werden und durch das Gegenstück<br />
in Solingen ein weiterer Ausdruck für unsere<br />
Freundschaft und die Dankbarkeit über die Zeit<br />
in <strong>Nicaragua</strong>.<br />
Thora Tepper<br />
und Liv Neundörfer<br />
11
Öko-Tourismus in <strong>Nicaragua</strong><br />
Unser Einsatz bei der Gestaltung der<br />
Außenanlagen an der Ökoherberge im Dörfchen<br />
La Fundadora kam auf Initiative unserer nicaraguanischen<br />
Partner zustande. Schulleiter<br />
Antonio sah es als wichtig an, dass seine<br />
Schüler den Tourismus als ein Zukunftsprojekt<br />
betrachten, für das sie sich selbst stark machen<br />
müssen, damit sie später die Früchte der Arbeit<br />
ernten können.<br />
Mehrere SchülerInnen und AbsolventInnen<br />
des Instituto werden zur Zeit als<br />
Touristenführer ausgebildet und es gibt im<br />
Dorf eine Gruppe von Mitgliedern der ehemaligen<br />
Kaffeegenossenschaft „La Reforma“,<br />
die zumindest den Tourismus als Ge-<br />
meinschaftsprojekt führen wollen, auch wenn<br />
der Kaffeeanbau inzwischen von den ehemaligen<br />
Genossenschaftsmitgliedern individuell<br />
auf ihren Parzellen betrieben wird. Der Bau<br />
und der Betrieb der „Eco-Albergue“ wird von<br />
ihnen voran gebracht.<br />
12<br />
Das Straßendesaster ...<br />
Wir waren – im Rohbau, noch ohne Wasser- und<br />
Stromanschluss – die ersten Gäste. Gekocht<br />
wurde von Doña Hilda auf einem riesigen<br />
Gasherd. Wasser gab es per Schlauch aus dem<br />
Bach oberhalb des Geländes, und abends hatten<br />
wir wahlweise Kerzenlicht oder für zwei<br />
Stunden Strom aus einem Dieselgenerator<br />
Wir waren stark material- und wetterabhängig:<br />
Die geplante Aufforstung eines größeren<br />
Teils des Grundstücks, welches im Zuge des<br />
Raubbaus an der Natur der Region für Brenn-<br />
und Nutzholz komplett entwaldet wurde, muss<br />
in der trockeneren Jahreszeit geschehen. Somit<br />
konnte nur die Einfriedung gemacht werden,<br />
und das hieß dass knapp 2000 Zypressen-<br />
Setzlinge entlang der Grundstücksgrenzen eingepflanzt<br />
wurden, damit eine dichte Hecke<br />
daraus wachsen kann. Den jungen Zypressen<br />
schaden die reichlichen Niederschläge in der<br />
Regenzeit nicht.<br />
... wird behoben<br />
Unsere Straßenbaukolonne Gut, dass das die Polizei nicht sieht
Die „Eco-Albergue“ - Cabañas, Schlafsaal und Speisesaal (v. links n. rechts)<br />
Mit der gepflegten Hecke soll sich das Gelände<br />
von benachbarten landwirtschaftlichen Flächen<br />
unterscheiden und sie soll frei herumlaufendes<br />
Vieh, vor allem die Kühe, davon abhalten ins<br />
Gelände einzubrechen und abzufressen, was<br />
auf den geplanten Gemüse- und Blumenbeeten<br />
gedeiht.<br />
Dummerweise war es unseren Partnern,<br />
Mitarbeitern der Cuculmeca, welche die<br />
Cooperative bei der Entwicklung des<br />
Tourismusangebotes beraten und ausbilden sollen,<br />
nicht in den Sinn gekommen, die Zypressen<br />
frühzeitig in ausreichender Zahl zu ordern<br />
und liefern zu lassen, so dass es immer wieder<br />
zu Stillstand und Leerläufen kam. An zwei<br />
Tagen wandten wir uns daher dem Straßenbau<br />
zu und reparierten mit bescheidenen Mitteln<br />
die tief zerfurchte Straße, die vom Dorf aus<br />
zum Gelände der Ökoherberge führt und weiter<br />
nach Las Latas. Die Schäden waren so<br />
groß, dass bei Regen selbst die geländegängigen<br />
Camionetas kaum noch passieren konnten.<br />
Also gruben wir Gräben an den Seiten,<br />
Die Arbeit mit der Machete<br />
füllten mit dem Material die schlimmsten<br />
Vertiefungen und bewirkten eine Initiative der<br />
Vorsitzenden des Dorfkomitees (Poder ciudadana)<br />
zur Beschaffung eines LKW, mit dem<br />
wir gemeinsam mit Dorfjugendlichen rund 10<br />
m 3 an Schutt und Steinen holten um eine dauerhaftere<br />
Befestigung zu erreichen. Das war<br />
echte Hilfe zur Selbsthilfe.<br />
Das Gelände wurde parallel zu den<br />
Pflanzarbeiten mit Macheten von Gras und<br />
kleineren Sträuchern ‚sauber’ geschlagen. Das<br />
war allerdings sehr anstrengend und wir ungeübten<br />
Deutschen gaben bald auf. Auf den<br />
gesäuberten Flächen wurden für die spätere<br />
Aufforstung und Bepflanzung mit selbstgebauten,<br />
einfachsten Geräten die Höhenlinien<br />
ausgemessen und mit Stecken markiert. Das<br />
Anlegen der Beete entlang der Höhenlinien<br />
bietet Erosionsschutz und das Erlernen solcher<br />
praktischer Dinge ist Bestandteil des Unterrichts<br />
am Instituto La Cuculmeca. Für unsere deutschen<br />
Jugendlichen war es völlig neu und ein<br />
2000 Zypressensetzlinge werden gepflanzt<br />
13
Vorbereitung zum Bau der Stützmauer<br />
gutes Beispiel für das Voneinander-Lernen im<br />
Rahmen unseres Austausches.<br />
Der Bau einer Stützmauer aus Betonquadern<br />
entlang des Speiseraums stand unter der Regie<br />
von Herrn Soffel . Der Hang wurde um einen halben<br />
Meter rückverlegt und mit Betonquadern<br />
befestigt. Damit wird verhindert, dass bei den<br />
häufig heftigen Regenfälle weiterer Boden<br />
abgespült und der Vorplatz vor dem Speisesaal<br />
ständig verschmutzt wird. Das Schleppen der<br />
Quader und Zementsäcke, das Herankarren von<br />
Sand und Kies, das Betonmischen von Hand –<br />
all das stellte eine schöne Herausforderung für<br />
unsere Schüler und StudentInnen dar, der sich<br />
einige mit großer Freude und im fröhlichen<br />
Wetteifern mit den Nicas stellten.<br />
Wir begannen morgens um 6 zu arbeiten. Um 8<br />
gab es Frühstück, meist mir „Gallo pinto“, das ist<br />
Reis mit Bohnen. Danach wurde bis gegen 12:30<br />
weiter gearbeitet, dann mit den Nicas zusammen<br />
zu Mittag gegessen und anschließend<br />
14<br />
„Betonmischmaschine“<br />
Dori beim Korbwurf Kleine Erfrischung<br />
mit ihnen eine Weile Volleyball oder Fußball<br />
gespielt. Bis zum Dunkelwerden war dann noch<br />
genügend Zeit um die Wäsche zu waschen, sich<br />
zu duschen, ins etwa 10 Minuten entfernte Dorf<br />
zu gehen, dort nicaraguanische Jugendliche zu<br />
Hause zu besuchen, unter dem Wasserfall zu<br />
baden oder schlicht im Kramladen etwas einzukaufen<br />
oder den „Cerro de los numeros“<br />
zu besteigen. Dieser Aussichtsberg wurde von<br />
der ersten Austauschgruppe 2004 mit aufgeforstet.<br />
Die Kiefern sind inzwischen zu einem<br />
Wäldchen herangewachsen, durch den sich der<br />
Wanderweg zieht den die Austauschgruppe<br />
2007 mit angelegt hat.<br />
Wir erfuhren, dass die Bemühungen um den<br />
Ausbau der „Ruta del Café“ und der „Ruta<br />
Sandino“ intensiv voran gebracht werden.<br />
Sowohl nationaler als auch internationaler<br />
Tourismus soll angezogen und bedient werden.<br />
Das setzt eine positive Wirtschaftsentwicklung<br />
in <strong>Nicaragua</strong> voraus, denn bislang haben nur<br />
wenige Geld um Reisen zu machen. Allerdings
Unter Anleitung von Herrn Soffel ...<br />
ist zu sehen, dass seit 2004, als ich zum ersten<br />
Mal in <strong>Nicaragua</strong> war, ein deutlicher Trend zu<br />
mehr Konsum und bescheidenem Wohlstand<br />
zu verzeichnen ist. Es gibt mehr Fahrräder und<br />
Motorräder auf den Straßen und Wegen, mehr<br />
Fernseher und Musikanlagen in den ansonsten<br />
immer noch extrem bescheiden ausgestatteten<br />
Hütten, ein besser ausgebautes Mobilfunknetz<br />
und entsprechend zahlreiche, vor allem junge<br />
Menschen, die ihr Mobiltelefon bei sich tragen.<br />
In <strong>Jinotega</strong> hat die Zahl und Größe<br />
der Geschäfte zugenommen, darunter auch<br />
Cybercafés, die Geschäfte präsentieren ihre<br />
Waren in mehr und größeren Schaufenstern.<br />
All das werte ich als einen deutlichen Indikator<br />
für vermehrten materiellen Wohlstand, der<br />
auch die Grundlage ist für die Entwicklung<br />
eines nationalen Tourismus sein kann.<br />
Damit dieser Tourismus in Richtung auf nachhaltige<br />
Entwicklung gelenkt werden kann,<br />
setzt die regionale „Alianza Turistica“ auf<br />
‚sanften’und Ökotourismus. Die Angebote,<br />
... wird die Stützmauer errichtet.<br />
die zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen,<br />
werden über die Mesoamerikanische<br />
Tourismusallianz gemeinsam vermarktet und<br />
auch auf Tourismusmessen in den Vereinigten<br />
Staaten und in Europa bekannt gemacht.<br />
TourismusstudentInnen aus <strong>Jinotega</strong> machen<br />
gerade eine Bestandsaufnahme der landschaftlichen<br />
und historischen Sehenswürdigkeiten,<br />
der Naturschutzgebiete, der Beherbergungs-,<br />
Bewirtungs- und Verkehrsinfrastruktur, leisten<br />
also regelrechte Pionierarbeit. Auf der<br />
Grundlage ihrer Erhebungen soll der im Entwurf<br />
bereits bestehende Flyer für das Projekt auf<br />
der Fundadora ergänzt und überarbeitet werden,<br />
ehe er gedruckt wird. Das zeigt, dass<br />
die Entwicklung noch in den Kinderschuhen<br />
steckt. Es ist ein wichtiger Schritt fort von<br />
der allein auf Kaffeeanbau ausgerichteten<br />
Wirtschaftsstruktur der Region , deren Reichtum<br />
die Schönheit der Natur ist.<br />
Der Gruppenschlafsaal der Ökoherberge Eine der Cabañas von innen<br />
15
Ein „Nest“ für Kinder - Der Kindergarten SIC in <strong>Jinotega</strong><br />
Während unserer Zeit in <strong>Nicaragua</strong> haben wir<br />
den Kindergarten S.I.C. besucht. Er wird seit Jahren<br />
von seinem Solinger „Partnerkindergarten“<br />
St. Josef Krahenhöhe mitfinanziert. Vom Staat<br />
bekommt der Kindergarten leider keinerlei<br />
finanzielle Hilfe.<br />
Es ist einer von zwei Kindergärten in der<br />
60.000-Einwohner-Stadt <strong>Jinotega</strong>, in der mehr<br />
als 10.000 Kinder unter 6 Jahren leben. Viele<br />
Alleinerziehende haben keine Möglichkeit,<br />
ihren Nachwuchs während der Arbeitszeit un-<br />
terzubringen. Kinder, die nicht von Verwandten,<br />
Nachbarinnen oder älteren Geschwistern betreut<br />
werden können, sind oft sich selbst über-<br />
lassen. In ihrer Not schließen manche Mütter die<br />
Kleinen sogar ein, während sie arbeiten gehen.<br />
Die bescheiden eingerichteten und gestalteten<br />
Räume bieten Platz für rund 120 Kinder, die<br />
zum größten Teil aus den ärmsten Schichten von<br />
<strong>Jinotega</strong> kommen. Geleitet wird die Einrichtung<br />
(für Kinder von 1 bis 6 Jahren) seit 18<br />
16<br />
Kevin und Dorina vor dem Kindergarten<br />
Die ganz Kleinen<br />
Jahren von Jasmina Jarquin. Sie arbeitet ehren-<br />
amtlich im Kindergarten aus Liebe zu den<br />
Kindern. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen,<br />
arbeitet Doña Jarquin vormittags<br />
hauptberuflich als Lehrerin. Im Kindergarten<br />
wird sie von drei Mitarbeiterinnen unterstützt.<br />
Diese haben leider keine erzieherische<br />
Ausbildung. Sie wurden zu Beginn ihrer Arbeit<br />
von Doña Jarquin eingewiesen und ständig<br />
beratend begleitet. Ein Problem ist die<br />
fehlende Krankenversicherung der Erzieherinnen.<br />
Bei einem Arbeitsunfall müssten sie die<br />
Kosten selber übernehmen. Aber immerhin be-<br />
kommen sie einen bescheidenen Lohn für ihre<br />
Arbeit.<br />
Das Programm für die Kinder besteht aus Tan-<br />
zen, Singen und Spielen, wie bei uns in Deutschland.<br />
So werden die Kinder gut betreut und<br />
durch Programme der Vorschulbildung gefördert.<br />
Allerdings stehen dem Kindergarten in Jino-<br />
tega dafür wenig Mittel zur Verfügung und die<br />
Stolz tanzen sie für uns Sven schloss die Kleine gleich ins Herz
Dorina im Interview mit Jasmina Jarquin Die Kinder beim Mittagsschlaf<br />
Ausstattung mit didaktischem Material und<br />
Spielen lässt sehr zu wünschen übrig. Die<br />
Erzieherinnen wüschen sich, dass die Eltern sich<br />
mehr Zeit nehmen mit ihren Kindern und mehr<br />
mitarbeiten, um den Kindergarten weiterhin<br />
instand zu halten.<br />
Nach diesen Aussagen von der Kindergartenleiterin<br />
haben wir uns gedacht, wir müssen<br />
dem Kindergarten helfen. Wir haben dort ei-<br />
nige Stunden gearbeitet, anstatt an den Unter-<br />
nehmungen der Gruppe teilzunehmen.<br />
Wir haben uns zuerst einen Eindruck von<br />
den Sachen gemacht, die wir ohne zu große<br />
Mühen und Kosten reparieren können.<br />
Anschließend haben wir die nötigen Materialien<br />
und Werkzeuge aufgebracht, die wir<br />
brauchten, um dort die Türen, Schlösser, Sitz-<br />
bänke und sogar das Dach zu reparieren.<br />
Das war ziemlich abenteuerlich ohne gute<br />
Sprachkenntnisse, völlig durchnässt von heftigen<br />
Regengüssen (es war mitten in der Re-<br />
genzeit) und ohne einen Schimmer von den<br />
ortsüblichen Preisen für handwerkliche Arbeiten.<br />
Aber wir fanden einen Schreiner, der uns<br />
Ein morscher Dachbalken wird ersetzt<br />
Werkzeug lieh und für unsere Verhältnisse spott-<br />
billig Material verkaufte und einige Arbeiten<br />
erledigte. Als wir mit den Arbeiten fertig waren,<br />
haben die Betreuer uns als Dank kleine<br />
Geschenke zukommen lassen.<br />
Im Dorf „La Fundadora“, gleich neben unserer<br />
Partnerschule, steht das völlig heruntergekommene<br />
Gebäude des 2009 wegen fehlender Fördermittel<br />
geschlossenen Kindergartens S.I.R.<br />
Außergewöhnlich genug war es, dass dort auf<br />
dem Land überhaupt ein Kindergarten existierte.<br />
Er war mit Solinger Unterstützung von<br />
der Genossenschaft der Kaffeebauern gegründet<br />
worden, musste aber wegen interner<br />
Schwierigkeiten und wegen fehlender Mittel<br />
schließlich aufgeben werden.<br />
Durch undichte Stellen im Wellblechdach tropft<br />
es. Außer ein paar defekten Tischen und Stühlen<br />
ist nichts vorhanden, keine Spielgeräte, nichts.<br />
Dennoch nutzt die ehemalige Kindergärtnerin<br />
auf La Fundadora zusammen mit einer jungen<br />
Frau das Gebäude für zwei Gruppen, die sie<br />
ehrenamtlich leiten. Die erste Gruppe umfasst<br />
25 Kinder und wird von morgens bis mittags<br />
betreut. Die zweite Gruppe besteht aus 12<br />
Kindern im Alter von 3-4 Jahren und ist erst<br />
nachmittags von 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr dort. So<br />
bekommen wenigstens eine Handvoll Kinder im<br />
750-Seelen-Dorf eine kleine Förderung. Und ein<br />
paar Familien erfahren, wie wichtig die Bildung<br />
schon für die Kleinen ist und sind vielleicht der<br />
Schule gegenüber besser eingestellt als die Fa-<br />
milien, in denen die Kinder schon sehr früh in<br />
die Arbeit auf den Feldern und im Haushalt<br />
komplett eingespannt werden.<br />
Für weitergehende Informationen schauen Sie sich bitte das<br />
Berichtsheft von 2007 (S. 16 - S. 18) an.<br />
Jana Firouskhah, Kevin Grimm und Herr Soffel<br />
17
„Necesitas el cogedor?“ - Kommunikation in <strong>Nicaragua</strong><br />
„Necesitas el cogedor?“, fragt mich Julio.<br />
Cogedor? Cogedor?<br />
Wie war das noch mal, wenn man etwas nicht<br />
versteht? Einfach lächeln und nicken.<br />
Und schwups habe ich eine Schaufel in der<br />
Hand.<br />
Was lernt man daraus? Cogedor significa<br />
(bedeutet) Schaufel und wird als neues Wort<br />
abgespeichert.<br />
Zwei Minuten später: „Necesito el cojedor.“<br />
Ich verstehe diesmal sofort und gebe Julio die<br />
Schaufel.<br />
Beispiele wie diese gab es zahlreiche bei unserer<br />
Reise nach <strong>Nicaragua</strong>, denn schließlich waren<br />
die allermeisten von uns kaum bewandert im<br />
Spanischen und beherrschten zum Großteil nur<br />
die gängigen Höflichkeitsfloskeln.<br />
Unsere nicaraguanischen Freunde auf der anderen<br />
Seite beherrschten kaum Englisch und erst<br />
recht kein Deutsch, so dass andere Wege der<br />
Kommunikation gefunden werden mussten.<br />
Doch wenn Kommunikation so einfach ist,<br />
wofür brauchten wir dann noch Spanisch?<br />
Kommuniziert wurde von dem Großteil von uns<br />
mit Mimik und Gestik, und das meist ziemlich<br />
erfolgreich, denn oftmals reichte schließlich ein<br />
Lächeln, um beispielsweise „nett von dir“ zu<br />
sagen, wenn einem das davor gesagte „gracias“<br />
nicht reichte.<br />
Aber ob es nun um Schaufeln ging oder ums<br />
Essen, blieb doch die Tatsache, dass es nicht<br />
unbedingt um die richtigen Worte oder die<br />
richtige Grammatik ging. Vielmehr beruhte die<br />
Kommunikation auf einer von beiden Seiten<br />
kommenden Offenheit und Herzlichkeit.<br />
18<br />
Kommuniziert werden musste normalerweise<br />
den ganzen Tag, denn wir begannen die Arbeit<br />
gemeinsam mit unseren nicaraguanischen<br />
Freunden, aßen dann zusammen zu Mittag und<br />
arbeiteten anschließend weiter, sodass man<br />
früher oder später darauf angewiesen war,<br />
miteinander in Kontakt zu kommen.<br />
Hierbei taten sich anfangs beide Seiten schwer,<br />
denn schließlich kam man aus unterschiedlichen<br />
Kulturen und die Angst unsererseits<br />
nicht gut genug Spanisch zu sprechen hemmte.<br />
Auf der anderen Seite jedoch waren auch die<br />
meisten Nicas schüchtern, wenn es darum ging<br />
mit uns ins Gespräch zu kommen.<br />
So bestanden die ersten Annährungsversuche<br />
lediglich aus Zulächeln und Kopfnicken und<br />
einem gelegentlichen „si“ oder „gracias“.<br />
Nur einige Mutige von uns trauten sich, ganze<br />
Dialoge von sich aus zu beginnen.<br />
Mit den kleineren Kindern, die nicht zu<br />
unserer Gruppe gehörten, verlief dagegen die<br />
Kommunikation erstaunlich gut.<br />
Da sie direkt und mit ihrer kindlichen Art auf<br />
uns zukamen, waren unsere Hemmungen kleiner<br />
als bei den älteren, die ebenso schüchtern<br />
waren wie wir.<br />
Doch spätestens nach unseren ersten gemeinsamen<br />
Arbeitstagen brach auch in unserer<br />
Gruppe bei vielen das Eis und so wurden an die<br />
„si“s und „gracias“s zaghaft weitere Fragen<br />
und Sätze angeknüpft. Mit der Zeit entstanden<br />
richtige Gespräche und wenn dem Einen oder<br />
Anderen irgendwann der Gesprächsstoff ausging,<br />
konnte man immer noch lächeln.<br />
Doch außerhalb der Alltagsgespräche verlief<br />
Anfangs noch schüchtern ... ...vermischten sich die Gruppen schon bald.
Großer Bahnhof bei unserem Empfang Zusammen in der Kaffeeplantage<br />
die Kommunikation teilweise nicht sehr gut.<br />
So gab es beispielsweise bei unserer Ankunft im<br />
Dorf „La Fundadora“ noch kaum Materialien<br />
und genauen Pläne für die Arbeit im Projekt.<br />
Da dies zuvor anders besprochen worden war,<br />
kam das Gefühl auf, aneinander vorbei kommuniziert<br />
zu haben.<br />
Eine ähnliche Situation entstand, als wir unsere<br />
Arbeitsgruppe kennenlernten und sich<br />
herausstellte, dass die meisten Jugendlichen<br />
um einiges jünger waren als wir, obwohl zuvor<br />
besprochen worden war, dass die Jugendlichen<br />
am besten gleich alt oder etwas älter hätten<br />
sein sollen. Dass die meisten der Jugendlichen<br />
2-3 Jahre jünger waren als wir, machte die<br />
Kommunikation oftmals noch etwas schwieriger,<br />
weil wir einfach an unterschiedlichen<br />
Themen interessiert waren.<br />
Auch in dieser Situation hatten wir das Gefühl,<br />
zuvor nicht richtig verstanden worden zu sein.<br />
– Andererseits waren die gleichaltrigen manchmal<br />
schon verheiratet und hatten Kinder und<br />
von daher hatten sie auch andere Themen im<br />
Vordergrund als wir.<br />
Ein 20jähriger zeigte uns stolz seine kleine<br />
Ziegenherde und schwärmte davon, wie gut<br />
das Fleisch dieser Tiere sei. Da wären wir mit<br />
Berichten von unserem letzten Discobesuch<br />
wahrscheinlich auf schieres Nicht-Verstehen<br />
gestoßen.<br />
Letzten Endes hatte ich mir erhofft, etwas<br />
mehr mit den Nicas in Kontakt zu kommen,<br />
denn die wenigen Gespräche, die ich führte,<br />
waren für mich persönlich sehr interessant und<br />
aufschlussreich.<br />
Linda Setzer<br />
Mit Kindern hat man immer schnell Spaß Universalsprache: Musik<br />
19
Die Situation der Frauen in <strong>Nicaragua</strong><br />
Im Jahr 2009 wurden in <strong>Nicaragua</strong> 11.000<br />
Frauen Opfer von Gewalt. Diese Zahl wurde<br />
am 8. März, dem Internationalen Frauentag,<br />
bei einem vom Netzwerk von Frauen gegen<br />
Gewalt und dem <strong>Nicaragua</strong>nischen Zentrum<br />
für Menschenrechte (CENIDH) organisierten<br />
Protestmarsch genannt.<br />
Die nicaraguanische Frauen produzieren einen<br />
Anteil von 60% am Bruttoinlandsprodukt,<br />
erhalten aber eine um 20% niedrigere<br />
Bezahlung als Männer. Frauen machen 50%<br />
der erwerbstätigen Bevölkerung aus, ohne<br />
dabei ihre Hausarbeit und Leistungen für die<br />
Gemeinschaft zu zählen. Die „Kultur“ des<br />
Machismo verweigert ihnen den Zugang zu<br />
Krediten, Immobilien, technischer Hilfe und<br />
Ausbildung in neuen Technologien.<br />
Einige Erscheinungsformen der Globalisierung,<br />
wie Maquiladoras (Ausbeutungsbetriebe) und<br />
Drogenhandel, sind mit für die Erhöhung der<br />
Gewalt gegen Frauen verantwortlich.<br />
Im Jahr 2009 sind 69 nicaraguanische Frauen<br />
ermordet worden und viele, die häusliche und<br />
sexuelle Gewalt überlebt haben, stehen einem<br />
korrupten Justizsystem gegenüber, das von<br />
Männern dominiert ist.<br />
Umso wichtiger sind die Bemühungen der<br />
Regierung Ortega, Frauen Eigentums-Titel zu<br />
geben und sie überproportional (70%) an den<br />
Programmen wie „zero hambre“ (Null Hunger)<br />
und Null Wucher zu beteiligen. Das kommt vor<br />
allem den zahllosen Frauen zugute, die allein<br />
ihre Kinder groß ziehen.<br />
(Informationen vom <strong>Nicaragua</strong>-Forum Heidelberg)<br />
20<br />
Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen<br />
in <strong>Nicaragua</strong> interessierte uns von Anfang<br />
an sehr, da sie sich offenbar wesentlich von<br />
dem von uns Gewohnten unterschieden. Wir<br />
nutzten die Möglichkeit ein Interview mit einer<br />
jungen US-Amerikanerin zu führen, die schon<br />
eigene Erfahrungen mit einer Beziehung in<br />
<strong>Nicaragua</strong> hat. Natürlich steht sie als selbstbewusste<br />
und gebildete ‚Chele’ anders da als das<br />
Gros der Normalbürgerinnen in <strong>Nicaragua</strong>.<br />
Interview mit Jade Gagnon – von Hannah<br />
Schultes & Thora Tepper<br />
Jade, wir wissen bisher nicht viel über dich.<br />
Kannst du uns vielleicht erst etwas zu deiner<br />
Person erzählen und dann erklären, warum du<br />
hier in <strong>Nicaragua</strong> bist?<br />
Mein Name ist Jade Gagnon und ich bin aus<br />
den Vereinigten Staaten. Vor zwei Jahren bin<br />
ich hier nach „La Fundadora“ gekommen, um<br />
mit den Menschen an verschiedenen Projekten<br />
bezüglich Nachhaltigkeit zu arbeiten.<br />
Was waren denn deine ersten Eindrücke<br />
bezüglich der Beziehung zwischen Männern<br />
und Frauen hier auf der Fundadora?<br />
Ich wollte erst gar nicht glauben, was ich zu<br />
Anfang sah. Die Männer bekommen alles, was<br />
sie wollen und die Frauen akzeptieren das<br />
einfach so, weil sie es nicht anders kennen.<br />
Sie haben es seit Generationen so vorgelebt<br />
bekommen und jetzt etwas zu ändern kommt<br />
ihnen nicht in den Sinn.<br />
Tüchtige Frauen managen das Dorf Jade Gagnon lebt seit 2 Jahren in <strong>Nicaragua</strong>
Marktfrauen Brennholz macht die Familie kaum satt<br />
Du hast uns ja bereits außerhalb unseres<br />
Interviews erzählt, dass du selbst einen nicaraguanischen<br />
Freund hast. Kannst du uns erzählen,<br />
wie es dazu gekommen ist?<br />
Na ja, ich habe zu dem Zeitpunkt, wo das<br />
alles mit der Beziehung begonnen hat, schon<br />
acht Monate bei meiner Gastfamilie auf der<br />
Fundadora gelebt. Ihr müsst wissen, er ist<br />
mein Gastbruder. Auf jeden Fall fing das mit<br />
der Beziehung ungefähr zu dem Zeitpunkt an,<br />
wo ich schon sechs Monate unter ihnen gelebt<br />
habe. Es fing ganz harmlos mit einem Kuss an<br />
und von da an haben wir wochenlang bis spät<br />
in die Nacht geredet.<br />
Ungefähr nach zwei Monaten, die wir unsere<br />
Beziehung im Hintergrund hielten, ist er zu<br />
seiner Mutter gegangen, um sie nach ihrer<br />
Meinung zu fragen, da ich für sie ja auch so<br />
etwas wie eine Tochter war.<br />
Du hast doch erzählt, dass es dich stört, dass<br />
die Männer so bestimmend sind. Wie kommt<br />
es, dass du jetzt so einen Mann willst?<br />
So pauschal lässt sich das nicht sagen, weil wir<br />
viel Zeit hatten, um uns kennen zu lernen. Ich<br />
hatte viel Zeit zu erfahren, wie er ist und er<br />
hatte viel Zeit mich kennen zu lernen. Ich habe<br />
ihm von Anfang an gesagt, wie ich bin und wie<br />
ich mit vielen Dingen aufgrund meiner anderen<br />
Kultur umgehe und auch, dass ich ihn nicht so<br />
bedienen werde. Er hat es bisher noch nie von<br />
mir verlangt. Streiten tun wir uns natürlich<br />
trotzdem. Meistens über ganz kleine Dinge,<br />
die für mich ganz natürlich sind, ihn jedoch<br />
aufregen.<br />
Wieso machst du dann nicht Schluss, wenn ihr<br />
euch so oft streitet?<br />
Das habe ich mal versucht. So ungefähr für<br />
eine Woche waren wir auseinander. Eine gute<br />
Idee war das nicht, weil es zum einen nicht<br />
genug Arbeit gibt, um dich abzulenken und<br />
zum anderen leben wir in einem kleinen Dorf,<br />
Dienstmädchen Die Mutter ist der Mittelpunkt der Familie<br />
21
Ob die Mädchen eine Altersvorsorge haben? Selten, dass Väter die Kinder mit großziehen<br />
in dem jeder jeden kennt und schnell Gerüchte<br />
aufkommen können. Es ist auch unmöglich sich<br />
nie wieder über den Weg zu laufen. Gerade als<br />
meinen Gastbruder habe ich ihn oft gesehen.<br />
Na ja, irgendwann wurde mir dann klar, dass<br />
ich die gemeinsame Zeit doch mehr vermisste<br />
als ich dachte.<br />
Vergleiche mal deine früheren Beziehungen<br />
mit deiner jetzigen. Was machen für dich denn<br />
so die Unterschiede in deiner Beziehung hier<br />
aus?<br />
Das ist total klar: Die Nähe. Meine Beziehung<br />
zu Luca* ist sehr eng und wir kennen uns<br />
sehr gut. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass<br />
ich ihn besser kenne, als ich je einen anderen<br />
Jungen gekannt habe. Wenn wir uns treffen,<br />
gibt es nicht viel anderes zu tun als zu reden<br />
und genau das macht den Unterschied für mich<br />
aus. Früher bin ich öfter mit meinen Freunden<br />
trinken gegangen, um Spaß zu haben oder wir<br />
sind ins Kino gegangen. Diese Möglichkeiten<br />
22<br />
Schülerinnen vom Instituto: Meykeling, ...<br />
sind hier zwar beschränkter, aber andernfalls<br />
könnte man so eine tiefe, vertraute Beziehung<br />
nicht aufbauen.<br />
Ich werde ihn sehr vermissen, wenn ich nach<br />
Amerika zurückgehe. So eine vertraute<br />
Beziehung hatte ich noch nie. Mit einem Mann<br />
so zu reden werde ich ganz sicher vermissen.<br />
Siehst du denn in der Zeit deines Aufenthaltes<br />
eine Entwicklung in den Beziehungen zwischen<br />
Männern und Frauen?<br />
Es ist ein Teufelskreis. Ich zum Beispiel lebe in<br />
einer großen Familie und ich habe anfangs versucht<br />
die Situation zu verändern, aber vor allem<br />
die Frauen wurden total wütend auf mich.<br />
Beispielsweise wollte Luca gebackene Bananen<br />
haben. Als seine Mutter im Begriff war aufzustehen,<br />
fragte seine kleine Schwester, warum<br />
ich sie ihm nicht machen würde. Ich versuchte<br />
ihr zu erklären, dass es nicht zu meiner Kultur<br />
gehört, den Männern alles recht zu machen.<br />
Doch die kleine Schwester wollte nicht hören<br />
... Rosa mit Töchterchen, ...
Oft ziehen die Großmütter ihre Enkel groß Wie sieht wohl Carinas Zukunft aus?<br />
und sagte ich wäre keine gute Freundin für<br />
ihren Bruder. Auch auf Luca wollte die kleine<br />
Schwester nicht hören.<br />
Luca versteht meine Kultur, aber die Frauen<br />
wollen sie nicht verstehen.<br />
Jade, kannst du uns jetzt etwas zu den Kindern<br />
sagen? Wenn sich ein Paar trennt, das Kinder<br />
hat. Wo bleiben dann die Kinder?<br />
Das ist keine schwere Frage. Die Kinder bleiben<br />
bei der Mutter und der Vater kann sich eine<br />
neue Frau suchen.<br />
Dass ein Mann mehrere Frauen hat, ist nichts<br />
Unnormales. Zumindest auf dem Land habe ich<br />
festgestellt, dass es häufig vorkommt, dass es<br />
viele Familien gibt, die miteinander vermischt<br />
sind. *<br />
Noch eine abschließende Frage. Wenn du die<br />
Zeit noch mal zurückdrehen könntest und<br />
wüsstest, was du jetzt weißt, würdest du dann<br />
noch mal herkommen?<br />
... Eloisa ... ... und Dary<br />
Wenn ich die Möglichkeit hätte noch mal von<br />
Anfang anzufangen und hierher zu kommen,<br />
würde ich sie auf jeden Fall nutzen. Wenn<br />
ich wüsste, was ich jetzt weiß, würde mir der<br />
Einstieg auch nicht so schwer fallen. Ich musste<br />
mich echt durchbeißen, aber jetzt ist es fast<br />
schon wieder schade, dass ich schon so bald<br />
gehe.<br />
* Jades Gastmutter hat drei Kinder von drei verschiedenen<br />
Vätern; einer davon ist der Mann einer Nachbarin, die selbst<br />
auch ein Kind mit ihm hat usw. usw. usw.....<br />
Hannah Schultes & Thora Tepper<br />
23
Kriminalität und Armut in <strong>Nicaragua</strong><br />
„In Taxis kommt es derzeit häufig zu<br />
Raubüberfällen, auch mit Schusswaffen.<br />
Es wird entschieden davon abgeraten, Taxis<br />
am Straßenrand heranzuwinken. Auch bei<br />
Tageslicht oder für Gruppenreisende sind solche<br />
Taxis kein sicheres Verkehrsmittel. [...] Von<br />
Spaziergängen nach Einbruch der Dunkelheit<br />
sollte in jedem Fall abgesehen werden.“<br />
So berichtet das Auswärtige Amt auf seiner<br />
Internetseite. Forscht man weiter, so stößt man<br />
auf eine geteilte Meinung zur Kriminalität in<br />
<strong>Nicaragua</strong>. So findet man neben Warnungen,<br />
welche durchaus abschreckend wirken, auch<br />
Berichte in denen <strong>Nicaragua</strong> als sehr freundliches<br />
Land mit niedriger Kriminalität beschrieben<br />
wird.<br />
Aus unseren Erfahrungen mit Taxifahrten und<br />
Spaziergängen im Dunkeln lässt sich schließen,<br />
dass die Aussagen des auswärtigen Amtens<br />
nur bedingt zutreffen. Trotzdem haben wir<br />
uns in der Hauptstadt Managua lieber in einen<br />
vollen Linienbus gequetscht als zu riskieren,<br />
dass am Ende doch ein paar Leute aus unserer<br />
Gruppe einem räuberischen Taxifahrer in die<br />
Hände gerieten. - Wer sich wirklich eine eigene<br />
Meinung bilden will, der wird um eine Reise in<br />
dieses Land nicht herum kommen.<br />
Für das Oben stehende Zitat spricht zweifelsohne<br />
die Tatsache dass <strong>Nicaragua</strong> eines der<br />
ärmsten Länder der Welt ist. Hinzu kommt, dass<br />
„Cheles“ (Weiße von „leche“ - die Milch) leicht<br />
erkennbar sind und generell als wohlhabend<br />
gelten. Was sie zum leichten und beliebten Ziel<br />
für Raubüberfälle macht.<br />
Vor härteren Übergriffen schützt einen meistens<br />
die Tatsache, dass überfallene und verletzte<br />
„Cheles“ ein äußerst negatives Licht auf<br />
24<br />
<strong>Nicaragua</strong> werfen und die Polizei stärker an<br />
einer Aufklärung interessiert ist.<br />
Laut Interpol ist die Kriminalitätsrate des<br />
Jahres 2001 in <strong>Nicaragua</strong> weit geringer als<br />
in Deutschland und England. So liegt sie<br />
in <strong>Nicaragua</strong> bei 1,750 von 100.000 und in<br />
Deutschland bei 7,736 von 100.000.<br />
„Die weltweite Statistik von Morden wird auf<br />
8,86 von 100.000 geschätzt. In Lateinamerika<br />
sind diese Statistiken mit durchschnittlich 22,9<br />
von 100.000 etwas härter. <strong>Nicaragua</strong> leidet<br />
nur unter 3,4 von 100.000, was das Land<br />
zu dem Land mit der niedrigsten Rate von<br />
Gewaltverbrechen in ganz Mittelamerika macht<br />
und eines der sichersten in der Hemisphäre.“<br />
(Quelle: www.tropicaldiscovery.com/country_<br />
info/nicaragua_safety/urlaub.php)<br />
Leider lässt sich diesen Statistiken nicht entnehmen,<br />
wie viele Verbrechen nicht angezeigt<br />
wurden. Allerdings lassen diese Aussagen hoffen.<br />
Allgemeine Dinge, wie dass man in<br />
Menschenmengen auf Taschendiebe achten<br />
sollte und seine Wertsachen eng am Körper tragen<br />
sollte, gelten natürlich auch für <strong>Nicaragua</strong>,<br />
wobei dies ein globales Problem ist und somit<br />
in dieser Hinsicht kaum gefährlicher ist als zum<br />
Beispiel Köln.<br />
Ein Ereignis, mit dem in Deutschland wohl<br />
eher weniger zu rechnen ist, ist uns auf<br />
dem Weg zu einer Kaffeefinca passiert. Wir<br />
entgingen möglicherweise nur knapp einem<br />
Raubüberfall: Ein Mann welcher zuvor von<br />
zwei Strauchdieben seines Arbeitslohnes und<br />
seiner Uhr beraubt wurde, kam uns entgegengerannt<br />
und warnte uns, so dass unsere Fahrer<br />
mit den beiden Camionetas (Pickups) sofort<br />
Hoffentlich ist der Rucksack später noch da Wasserverkäufer am Bus
Bettler in Granada Dieser Junge stürzte sich auf unsere Reste<br />
umdrehen konnten und einen anderen Weg<br />
genommen haben. Aufgrund dessen waren an<br />
unserem Abfahrtstag von der Fundadora zwei<br />
Polizisten an den Eingängen vom Dorf stationiert<br />
und haben uns auch auf unserem Weg<br />
nach <strong>Jinotega</strong> begleitet.<br />
Doch klingt das ganze viel gefährlicher als<br />
wir es in dieser Situation empfunden haben.<br />
Auch Tommy, der seinen Zivildienst bei der<br />
Cuculmeca gemacht hat und den wir dort kennen<br />
gelernt haben, versicherte uns dass ihm in<br />
seinem ganzen Aufenthalt von 11 Monaten,<br />
nichts dergleichen passiert ist und er auch<br />
sonst keine gefährlichen Situationen erlebt<br />
oder davon gehört hat.<br />
Trotz seines großen Natur- und Rohstoffreichtums<br />
gehört <strong>Nicaragua</strong> zu den ärmsten<br />
Ländern Amerikas und wird in Lateinamerika<br />
nur von Haiti übertroffen.<br />
Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen<br />
beträgt ca. 1000 US-Dollar im Jahr. In Deutschland<br />
sind es mehr als 40.000 US-Dollar.<br />
Von den fast sechs Millionen Einwohnern<br />
<strong>Nicaragua</strong>s lebten im vergangenen Jahr fast 80 %<br />
der Bevölkerung arbeitslos oder von weni-<br />
ger als 2 US-Dollar am Tag, davon wiederum 45 %<br />
von einem Dollar und weniger.<br />
Die extreme Armut in <strong>Nicaragua</strong> ist im Zeitraum<br />
von 2005 bis 2009 um 7,5 Prozent zurückgegangen.<br />
Kritiker bemängeln jedoch, dass der<br />
Fortschritt vor allem mit öffentlichen Geldern<br />
und zu Lasten der Umwelt erzielt wurde. So<br />
werden im Norden <strong>Nicaragua</strong>s Woche für<br />
Woche 2 km 2 Wald abgeholzt.<br />
Die wichtigsten Exportprodukte wie Kaffee,<br />
Rindfleisch, Zucker, Erdnüsse, Langusten und<br />
Krabben können die Wirtschaft nicht ankurbeln,<br />
da durch die schlechte Infrastruktur zu<br />
viele Verluste entstehen.<br />
Die wichtigste Einnahmequelle des Landes<br />
ist heute der Export seiner Arbeitskräfte: Die<br />
Geldüberweisungen der über einer Millionen<br />
<strong>Nicaragua</strong>ner in Costa Rica und den USA in ihr<br />
Heimatland erreichen den Wert des gesamten<br />
Warenexports.<br />
Ein verbreitetes Problem - Alkoholismus Der informelle Sektor der Wirtschaft<br />
25
Die Menschen in <strong>Nicaragua</strong> haben allerdings<br />
ganz andere Probleme als darüber nachzudenken,<br />
weshalb ihre Infrastruktur nicht funktioniert<br />
oder ihre Wälder immer weiter schrumpfen.<br />
Die meisten Familien sind arm, jedoch reich<br />
an Kindern.<br />
Morgens stehen die Menschen auf und wissen,<br />
dass sie ihre Familien für den kommenden Tag<br />
gerade<br />
ausreichend ernähren können. Abends legen sie<br />
sich in ihre Wellblechhütten und hoffen, dass<br />
diese genügend Schutz für die Nacht bringen.<br />
Ein weiteres Problem ist die Müllentsorgung.<br />
Der Müll wird einfach auf die Straße geschmissen,<br />
da nicht genügend Mülltonnen vorhanden<br />
sind. Es kommt auch vor, dass die Menschen<br />
ihren Müll im Boden vergraben oder verbrennen,<br />
was zur Folge hat, dass das Grundwasser<br />
verseucht wird.<br />
Die meisten Erlebnisse mit Armut habe ich<br />
während unserem dreitägigen Ausflug in<br />
die kolonialzeitlich geprägte Stadt Granada<br />
(Weltkulturerbe) gemacht.<br />
26<br />
Billige menschliche Arbeitskraft Romantik? Nee, Stromausfall!<br />
Wie lang reicht der Verkaufserlös wohl?<br />
Kinder, die im Müll nach Brauchbarem suchen<br />
oder in Lokalitäten um Geld und Essen betteln,<br />
sind dort alltägliche Bilder.<br />
Einmal haben wir einen Stromausfall miterlebt,<br />
woraufhin auch die Wasserversorgung einen<br />
halben Tag lang zum Stillstand kam.<br />
Die Einwohner mussten dies in diesem Jahr<br />
schon zum dritten Mal in in Kauf nehmen.<br />
Geht man abends durch die Straßen, kann man<br />
gut erkennen wo die Reicheren wohnen, da<br />
diese mit ihren Notstromgeneratoren die Stadt<br />
vor der totalen Finsternis bewahren.<br />
Natürlich leben in <strong>Nicaragua</strong> nicht nur Arme,<br />
sondern auch Menschen, die ein weitaus besseres<br />
Leben führen. Sie bewohnen solide Häuser,<br />
haben feste Einkommen, fahren Autos und können<br />
sich vielfältiger ernähren. Doch das Bild von<br />
<strong>Nicaragua</strong> wird von den ärmlichen<br />
Verhältnissen geprägt.<br />
Diese Erkenntnis zwingt einen unaufhörlich<br />
zum Nachdenken über Arm und Reich.
Die politische Situation in <strong>Nicaragua</strong><br />
<strong>Nicaragua</strong>s Staatsoberhaupt Daniel Ortega Sandino und wir<br />
„Christiana, Socialista, Solidaria!“, diese<br />
Schlagwörter sprangen uns auf Plakaten in<br />
<strong>Nicaragua</strong> immer wieder entgegen. Daneben<br />
hatte sich Staatsoberhaupt Daniel Ortega in<br />
kämpferischer Pose ablichten lassen. Der ehemalige<br />
sandinistische Guerilla-Führer und erste<br />
Präsident des nachrevolutionären <strong>Nicaragua</strong><br />
(1985-1990) ist seit 2006 erneut amtierender<br />
Regierungschef.<br />
Damit sind seit der Wahl 2006 nach 16<br />
Jahren verschiedener liberal-konservativer<br />
Regierungen die Sandinisten mit ihrer Partei<br />
Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN)<br />
zum ersten Mal wieder an der Macht, nachdem<br />
die Revolutionsregierung im Jahre 1990 abgewählt<br />
worden war.<br />
In diesen 16 Jahren ist eine klassische neoliberale<br />
Politik in <strong>Nicaragua</strong> betrieben worden<br />
und die Regierungen Chamorro, Alemán und<br />
Bolaños haben zusammen mit den weltwirtschaftlichen<br />
Institutionen, dem IWF und der<br />
Weltbank, entsprechende Reformen auf die<br />
Wege gebracht, die im zweitärmsten Land<br />
Lateinamerikas für mehr Wirtschaftswachstum<br />
sorgen sollten. Das Programm enthielt u.a.<br />
Privatisierungen in den verschiedensten<br />
Bereichen, Kürzung der Sozialausgaben und<br />
die Erhebung von Gebühren beispielsweise im<br />
Bildungs- und Gesundheitssystem.<br />
Dennoch konnte das geplante Ziel nicht erreicht<br />
werden, die Auslandsverschuldung stieg weiter<br />
an, während sich die soziale Situation im Land<br />
Präsident Ortega - allgegenwärtig<br />
27
28<br />
Mit FSLN-Fahnen startet der Bus von der Fundadora zum Jahrestag der Revolution nach Managua<br />
verschlechterte. Nur ein kleiner Kreis um den<br />
mittlerweile wegen Korruption verurteilten<br />
damaligen Präsidenten Arnoldo Alemán, der<br />
aber auch ehemalige Sandinisten umfasste, profitierte<br />
enorm von der Privatisierungspolitik.<br />
Nach ihrer Regierungsübernahme 2006 machte<br />
die FSLN einige dieser Reformen rückgängig.<br />
So brachte sie beispielsweise der Bevölkerung<br />
den kostenlosen Zugang zu Schulbildung und<br />
einer Basis-Gesundheitsversorgung zurück.<br />
Außerdem hat die Regierung damit begonnen,<br />
mit Geldern aus der „Bolivarischen Allianz für<br />
die Völker unseres Amerika“ (ALBA) die Energieversorgung<br />
und das Straßensystem auszubessern,<br />
sowie mit einem „Null-Hunger-Paket“<br />
die Armut der Landbevölkerung zu bekämpfen.<br />
Die ALBA ist ein Zusammenschluss von neun<br />
lateinamerikanischen Staaten, die als Alternative<br />
zu der von den USA geplanten gesamtamerikanischen<br />
Freihandelszone (ALCA) ihre<br />
Wahlkampf auf nicaraguanisch Erinnerung an die Revolution 1979
„Auf zu mehr Siegen“ steht auf den T-Shirts Passanten mit Fahnen<br />
wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit<br />
intensivieren wollen. Die aktuelle sandinistische<br />
Regierung trat diesem Bündnis im März 2007<br />
bei.<br />
Dennoch sollte die politische Entwicklung in<br />
<strong>Nicaragua</strong> nicht unkritisch betrachtet werden.<br />
Präsident Ortega gilt als recht autoritär und vor<br />
allem von seiner eigenen Machtsicherung be-<br />
sessen. An der Spitze des Staates und der Par-<br />
tei steht ein enger Führungszirkel um ihn und<br />
seine Frau Rosario Murillo, der seinen Einfluss<br />
im Land auszubauen versucht. So wurden<br />
z.B. hohe Posten bei Polizei und Militär von<br />
Parteifunktionären besetzt und auf lokaler<br />
Ebene FSLN-kontrollierte Bürgerräte (Poder<br />
Ciudadana) installiert, die oftmals an die Stelle<br />
von parteiunabhängigen zivilgesellschaftlichen<br />
Institutionen getreten sind.<br />
Der Bruch der Zivilgesellschaft mit Ortega<br />
erfolgte schon Mitte der 90er-Jahre, als dieser<br />
mit dem korrupten Liberalen-Führer Alemán<br />
paktierte. Mittlerweile setzen große Teile der<br />
ehemaligen Solidaritätsbewegung für das nachrevolutionäre<br />
<strong>Nicaragua</strong> kaum noch Hoffnung<br />
Wahl-Mobilisierung<br />
in die FSLN. Viele sehen in ihr kein „gesellschaftlich<br />
emanzipatorisches Projekt“ mehr, man-<br />
che sogar nur noch einen „Wahlverein zur<br />
Durchsetzung der Präsidenschaft Ortegas“.*<br />
Dazu passend durften wir während unseres<br />
<strong>Nicaragua</strong>-Aufenthaltes ebenfalls Plakate erblicken,<br />
auf denen sich Ortega bereits in einer<br />
Reihe mit mehreren nicaraguanischen Nationalhelden<br />
wie Augusto C. Sandino abbilden ließ.<br />
Mit dem Slogan „Vamos por más Victorias“<br />
arbeitet er auf seine Wiederwahl 2011 hin –<br />
obwohl dazu erst noch das Wahlgesetz geändert<br />
werden müsste, das eine Wiederwahl nicht<br />
erlaubt.<br />
So sehr man die Bemühungen der Regierung,<br />
die soziale Situation im Land zu verbessern,<br />
auch begrüßen mag, darf man auf keinen Fall<br />
über vorhandene autoritäre und undemokratische<br />
Tendenzen hinwegsehen.<br />
* aus dem Artikel „Die Partei, die Partei, die hat immer<br />
recht“ von Klaus Heß und Kristofer Lengert, erschienen in der<br />
„Analyse&Kritik“ vom 21.8.09<br />
Christoph Rasemann und Paul Klebert<br />
Fahrrad- und Motorradkorso<br />
29
Los Pipitos<br />
Der Verein „Los Pipitos“, welcher im Jahre 1987<br />
aus der Initiative von Eltern, Angehörigen und<br />
Freunden von Menschen mit Behinderungen<br />
entstanden ist, unterstützt Familienangehörige<br />
von behinderten Kindern und Jugendlichen in<br />
<strong>Nicaragua</strong>.<br />
In diesen 23 Jahren gründeten sich in vielen<br />
größeren Städten Zweigstellen, so auch in<br />
unserer Partnerstadt <strong>Jinotega</strong>, in welcher wir<br />
den Alltag kennenlernen durften.<br />
In unserer ersten Woche in <strong>Jinotega</strong> besuchten<br />
einige von uns die örtliche Einrichtung.<br />
Wir wurden von den Mitarbeiterinnen<br />
freundlich begrüßt, woraufhin uns die deutsche<br />
Freiwilligenhelferin Sofie durch die<br />
Räumlichkeiten führte und uns die Organisation<br />
näher brachte.<br />
So berichtete sie uns zunächst allgemein von<br />
der Stellung der behinderten Menschen in<br />
<strong>Nicaragua</strong>. Oftmals werden sie ausgegrenzt<br />
und von ihrer Familie versteckt, sowie an<br />
Ketten gehalten, da sich die Angehörigen in<br />
30<br />
der Öffentlichkeit für sie schämen.<br />
Obwohl mehr als 200 Betroffene im Verein<br />
„Los Pipitos“ aus dem Departamento<br />
Jintotega angemeldet sind und Zuschüsse<br />
erhalten, nehmen nur etwa 30 Mitglieder das<br />
Angebot der Einrichtung regelmäßig wahr.<br />
Dieses besteht aus Sprachtherapie, Sport,<br />
Computerunterricht, sowie kreativem Gestalten<br />
und Handarbeit. Zudem gilt „Los Pipitos“ auch<br />
als Aufklärungsstätte für Familienmitglieder,<br />
um den Umgang und das Verständnis zu stärken.<br />
Wir konnten deutlich spüren, dass<br />
den MitarbeiterInnen in <strong>Jinotega</strong> die<br />
Aufklärungsarbeit und das Wohl der<br />
Behinderten am Herzen liegen und dieses<br />
Bewusstsein auch der restlichen Gesellschaft<br />
nahe gebracht werden muss. Besonders in<br />
finanzieller Hinsicht bedarf es noch großer<br />
Unterstützung, da die Organisation komplett<br />
ohne staatliche Zuschüsse ihre Fördermittel<br />
auftreiben muss. Somit sind sie allein auf sozi-<br />
Behinderten-Meisterschaft 2009 in Managua - Los Pipitos-Mannschaft mit Betreuer Rune Rossius
Bastelstunde<br />
ale Organisationen und die Eltern angewiesen.<br />
Dass dies nicht ausreicht, haben wir mit eigenen<br />
Augen in den Aufenthaltsräumen feststellen<br />
müssen.<br />
So fehlt es an den einfachsten Dingen, die<br />
zur angemessenen und hilfreichen Betreuung<br />
nötig sind (undichtes Dach, Mangel an<br />
Arbeitsmaterial, …).<br />
Wir hoffen, dass sich die Organisation „Los<br />
Pipitos“ zukünftig ausbauen kann und mit Hilfe<br />
Sophie, Freiwillige aus Deutschland, hilft<br />
von Spenden die Förderung der Behinderten<br />
weiterhin gesichert ist.<br />
Es war ein wertvoller Einblick in das Leben der<br />
Behinderten in <strong>Nicaragua</strong>.<br />
Hannah und Timo<br />
Fatma, die Leiterin von „Los Pipitos“<br />
31
Das Schulsystem in <strong>Nicaragua</strong><br />
Anknüpfend an das Berichtsheft aus dem Jahr<br />
2004 möchten wir neben neuen Eindrücken<br />
und Informationen nur einige Aspekte vertiefen<br />
oder aufgreifen.<br />
Das Bildungswesen <strong>Nicaragua</strong>s weist einige<br />
Probleme auf.<br />
Mit der Machtübernahme der FSLN am 10.<br />
Januar 2007 nahm der Staat die nach 1990 in<br />
private Hände gelegte Schulautonomie zurück.<br />
Die Einschulungsgebühr wurde verboten und<br />
die Uniformpflicht abgeschafft. Der Besuch<br />
öffentlicher Schulen wurde also wieder kostenlos.<br />
Diese Maßnahmen erhielten im ganzen<br />
Land viel Zuspruch, da sie mehr Kindern den<br />
Schulbesuch ermöglichten. Die wie zu erwarten<br />
höhere Einschulungsrate führte an vielen<br />
Schulen jedoch zu erheblichen zusätzlichen<br />
Raumproblemen, da die nötige Infrastruktur<br />
für die größere Schülerzahl erst noch geschaffen<br />
werden muss. Zudem muss der Staat nun<br />
Ausgaben übernehmen, die vorher von den<br />
Familien getragen wurden. Im Haushalt des<br />
Bildungsministeriums sind dafür allerdings nur<br />
7,8 Millionen US- Dollar vorgesehen.<br />
Das nicaraguanische Schulsystem gliedert sich<br />
in die Vorschule (Preescolar), die sechsjährige<br />
Grundschule (Primaria) und eine fünfjährige<br />
Sekundarstufenschule (Secundaría), die zum<br />
Abitur führt. Neun Schulbesuchsjahre berechtigen<br />
zu einer Reihe staatlich anerkannter<br />
Ausbildungen, zum Beispiel an handwerklich<br />
oder kaufmännisch orientierten Schulen. In<br />
ländlichen Gebieten werden wegen der geringen<br />
Schülerzahl häufig Kinder verschiedener<br />
Jahrgangsstufen in so genannten „Multigrados“<br />
unterrichtet.<br />
Auf dem Land sind die Abstände zwischen<br />
Christoph im Stuhlkreis<br />
32<br />
den Dörfern und den Schulen oft so groß, dass<br />
Schüler Fußwege von über drei Stunden auf<br />
sich nehmen müssen. Fahrtkosten zu bezahlen<br />
- sofern es überhaupt Busse gibt - fällt den<br />
meisten Familien sehr schwer, da sie einfach<br />
nicht genug Geld zur Verfügung haben. Hier<br />
gibt es ganz klar einen Widerspruch: Der Staat<br />
verspricht „kostenfreie“ Bildung, doch ist der<br />
Zugang zur Schule nicht für alle garantiert.<br />
Da in <strong>Nicaragua</strong> Lehrermangel herrscht,<br />
werden auch Lehrer ohne die notwendigen<br />
Qualifikationen eingestellt. Einige Menschen<br />
haben trotz fehlender Bildung den Beruf<br />
gewählt, um ihre Arbeitslosigkeit zu überbrücken.<br />
Somit haben manche in ihrer<br />
Unterrichtsweise wenig Abwechslung der<br />
Lehrmethoden und können kein fundiertes<br />
Wissen vermitteln. Desweiteren sind durch den<br />
Lehrermangel die Klassen viel zu groß, was<br />
den Lernerfolg weiter einschränkt. Auch haben<br />
etwa 40% der Schüler die Altersgrenze für die<br />
jeweilige Klasse überschritten, was daran liegt,<br />
dass manche erst spät zur Schule gehen können,<br />
aufgrund Geldmangels ein oder mehrere<br />
Jahre aussetzen müssen oder einfach die Klasse<br />
wiederholen müssen.<br />
Wir haben sowohl in <strong>Jinotega</strong> als auch auf der<br />
Fundadora die Schule besucht und konnten uns<br />
selber einen Eindruck verschaffen.<br />
In <strong>Jinotega</strong> haben wir das „Instituto Nacional<br />
Augusto Cesar Sandino“ besucht. Dort wurden<br />
wir freundlich empfangen und haben<br />
die Lehrer der Tag- und Nachtschicht kennen<br />
gelernt. Da die Schule sehr viele Schüler hat<br />
und die Kapazität der Räume nicht ausreicht<br />
um alle gleichzeitig zu unterrichten, werden<br />
Im Klassenraum
Die Schulband am INACS in <strong>Jinotega</strong><br />
die Schüler und die Lehrer, wie in vielen Schulen<br />
in <strong>Nicaragua</strong>, in eine Tagschicht und eine<br />
Nachtschicht aufgeteilt, wobei die Nachtschicht<br />
auf dem späten Nachmittag liegt.<br />
Dann haben für uns eine Trommelgruppe und<br />
eine Tanzgruppe etwas vorgeführt, woran<br />
sehr viele SchülerInnen beteiligt waren. Diese<br />
Veranstaltung war groß aufgezogen, weil sie<br />
auf einem sehr hohen Niveau stattfand und<br />
uns sehr begeistert hat. Teilweise brachte sie<br />
auch Beschämung mit sich, da nur für uns eine<br />
so große Sache inszeniert wurde. Allerdings<br />
trainieren die Gruppen intensiv für einen<br />
Wettbewerb zum Unabhängigkeitstag, der auf<br />
lokaler und überregionaler Ebene ausgetragen<br />
wird. Die Leute vom INACS waren so richtig<br />
gut!<br />
An der Schule herrscht Ordnung. Alle Schüler<br />
tragen Uniform. Überraschenderweise gab es<br />
einen Computerraum mit modernen Geräten.<br />
Insgesamt hatten wir von der Schule einen<br />
sehr positiven Eindruck, doch konnten wir den<br />
Unterricht selber leider nicht besuchen.<br />
In der Schule „La Cuculmeca“ auf dem Land<br />
haben wir den Unterricht besucht und einige<br />
der am Anfang geschilderten Probleme haben<br />
sich traurigerweise bestätigt.<br />
In den einzelnen Klassen gibt es viel zu viele<br />
Schüler. 80 sind es in der Eingangsklasse. Wir in<br />
einer höheren Klasse 48 Jugendliche gezählt,<br />
und auch die großen Altersunterschiede sind<br />
deutlich sichtbar. Bei den Lehrern gibt es große<br />
Qualitätsunterschiede. Einige stellen mit dem<br />
wenigen was sie zur Verfügung haben guten<br />
Unterricht auf die Beine. Doch haben wir auch<br />
den katastrophalen Englischunterricht besucht,<br />
der uns leider überhaupt nicht überzeugt hat.<br />
Bestätigt hat sich leider auch, dass dem<br />
Bildungssystem zu wenig Geld zur Verfügung<br />
gestellt wird. So wurde beim Austeilen der<br />
Kids auf der Fundadora mit Hannah<br />
Arbeitsblätter Geld für die Kopien eingesammelt,<br />
Schulbücher gibt es nur als Klassensatz<br />
zum Ausleihen, und die SchülerInnen bringen<br />
nur Papier und Stifte mit. Das Schulgebäude<br />
selber ist auch nicht in bestem Zustand.<br />
Der Unterricht findet am Instituto nur samstags<br />
statt, da die Schüler oft an den anderen Tagen<br />
arbeiten. Dies triff nicht auf alle zu, sondern<br />
manche sind arbeitslos und es sind die restlichen<br />
Wochentage für manche sinnlose Zeit,<br />
die es „totzuschlagen“ gilt.<br />
An einem Tag verabredeten wir uns mit den<br />
Schülern zum Basketball Spielen, was allen<br />
großen Spaß machte und die Stimmung zwischen<br />
den „Nicas“ und uns Deutschen auflockerte.<br />
Das Bildungswesen in <strong>Nicaragua</strong> ist nach wie vor<br />
defizitär. Es begünstigt die Jugendlichen in den<br />
Städten und die Kinder der Wohlhabenden und<br />
Reichen – die oftmals auf besser ausgestattete<br />
Privatschulen gehen. Die Entscheidungsträger<br />
in Politik und Wirtschaft schicken selbst ihre<br />
Kinder in diese Schulen, was wundert es, dass<br />
sie wenig Interesse daran haben, die staatlichen<br />
Schulen zu fördern. - Dabei vergessen<br />
sie anscheinend, dass die Bildung aller jungen<br />
Menschen im Land eine unerlässliche<br />
Investition in eine gute Zukunft ist.<br />
Anna Krieger und Dorina Kästner<br />
33
Das Instituto La Cuculmeca<br />
Zeigen wir wieder Solidarität mit den<br />
Menschen in unserer Partnerstadt <strong>Jinotega</strong> in<br />
<strong>Nicaragua</strong>, dem - nach Haiti - zweitärmsten<br />
Land Lateinamerikas! Dort unterstützt die<br />
Gesamtschule Solingen gemeinsam mit der<br />
GEW, der Firma WALBUSCH und 2009 mit der<br />
Stiftung CHILDREN for a better world die weiterführende<br />
Schule „Instituto La Cuculmeca“.<br />
Die Existenz des Instituto hängt seit Jahren an<br />
einem seidenen Faden, weil aus eigener Kraft<br />
das nötige Geld nicht aufgebracht werden<br />
kann. Da geht es nicht um Beamer und neue<br />
Bälle, sondern um das absolute Minimum für<br />
den Schulbetrieb: Um den Unterricht für die<br />
320 Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten<br />
brauchen sie rund 20.000 Euro im Jahr.<br />
Das ist ein Betrag, mit dem die Gesamtschule<br />
Solingen nicht einmal die Hälfte der Stromkosten<br />
bezahlen könnte, von allen anderen Kosten<br />
ganz zu schweigen. Trotzdem ist dieser Betrag<br />
in so einem armen Land ungeheuer viel Geld,<br />
zumal der nicaraguanische Staat nur gut 3000<br />
US$ dazu tut:<br />
34<br />
Grundschulen gibt es in ganz <strong>Nicaragua</strong>. Aber<br />
weiterführende Schulen nur in den Städten.<br />
Das Instituto La Cuculmeca wurde in dem Dorf<br />
La Fundadora, etwa 20 Kilometer von <strong>Jinotega</strong><br />
entfernt, gegründet, um den Jugendlichen auf<br />
dem Land einen vollwertigen Schulabschluss zu<br />
ermöglichen.<br />
Vor der Gründung des Instituto im Jahr 1997<br />
gab es diese Chance nicht, denn es gibt keine<br />
geeignete Verkehrsanbindung mit öffentlichen<br />
Bussen zu den Schulen in <strong>Jinotega</strong>-<br />
Stadt. Und so blieb für die Jugendlichen keine<br />
Alternative dazu, spätestens nach der 6-jährigen<br />
Grundschule gleich im elterlichen Betrieb<br />
mitzuhelfen und zu arbeiten. Mädchen halfen<br />
zumeist ihren Müttern im Haushalt und bei<br />
der Betreuung der Geschwister. Viele brachen<br />
schon nach zwei, drei Jahren den Schulbesuch<br />
ab, und so sind alle anderen Berufe als die<br />
des Landarbeiters oder Kaffeebauern ihnen<br />
verschlossen.<br />
Um diese Situation zu beenden, gründete ist<br />
der gemeinnützige Verein La Cuculmeca mit<br />
Während die Jungs vom INACS trommeln, tanzen die Mädels nach ihren Tönen ...
Die Gruppe und „Banda“<br />
Sitz in <strong>Jinotega</strong> das Instituto. Erwachsene, die<br />
das Versäumte nachholen wollen, sitzen dort<br />
zwischen 14-jährigen, die soeben die Primaria<br />
genannte Grundschule beendet haben.<br />
Neben den allgemeinbildenden Schulabschlüssen<br />
bietet das Instituto Ausbildungsgänge<br />
für Agrartechniker und weitere Zusatzqualifikationen<br />
an. Nur so kann der Landflucht<br />
und der Migration in Nachbarstaaten Einhalt<br />
geboten und eine lebenswerte Zukunft für die<br />
Viel zu volle Klassen ...<br />
ländliche Bevölkerung in <strong>Nicaragua</strong> geschaffen<br />
werden.<br />
Trotz aller Beschränkungen durch Geldmangel<br />
leistet das Instituto eine revolutionäre Arbeit<br />
für die verarmte Landbevölkerung!<br />
Sybille Arians<br />
Mädchen in der Klasse<br />
35
Von der Ecolodge zurück in die Zivilisation<br />
Nach zwei Wochen Projektarbeit in dem Dorf<br />
La Fundadora ohne Komfort (Wasser aus<br />
dem Bach, keine Elektrizität, Straßen voller<br />
Schlaglöcher, Toilettenspülung mit Hilfe von<br />
Wassereimern …), starteten wir in der letzen<br />
Woche zu unserer wohlverdienten Rundreise<br />
durch den Süd-Westen <strong>Nicaragua</strong>s.<br />
Bepackt mit einem eher kleinen Rucksack und<br />
voller Vorfreude auf ein paar Tage Erholung,<br />
machten wir uns von <strong>Jinotega</strong> aus mit öffentlichen<br />
Bussen (alte ausrangierte amerikanische<br />
Schulbusse) auf den Weg nach Granada. Dabei<br />
mussten wir in der Hauptstadt Managua umsteigen,<br />
was sich als nicht ganz so einfach herausstellte,<br />
da wir mit einem Linienbus erst zu einem<br />
anderen innerstädtischen Busbahnhof gelangen<br />
mussten. Obwohl Managua die Hauptstadt<br />
ist, bietet sie keinen sehr schönen Anblick und<br />
zeugt von großer Armut der Bevölkerung, was<br />
sich unter anderem in heruntergekommenen<br />
36<br />
Frischer Wind auf der Busfahrt<br />
In der Pazifikbrandung<br />
Häusern widerspiegelt. Uns fiel auch auf, dass<br />
viele Männer bewusstlos auf den Bürgersteigen<br />
lagen und dort ihren Rausch ausschliefen. Dies<br />
und der Gestank, der in Managua allgegenwärtig<br />
ist, riefen bei uns den Wunsch hervor, die<br />
Stadt schnell wieder zu verlassen.<br />
Auch die Erfahrung, wie viele Menschen bei<br />
ca. 30°C in einen einzigen Bus passen, wird uns<br />
sicherlich noch länger in Erinnerung bleiben<br />
(Leute mit Sitzplatz waren klar im Vorteil).<br />
Danach waren wir froh endlich in dem Bus nach<br />
Granada zu sitzen. Alle waren froh? Alle außer<br />
Joschka, dem auf der Fahrt von <strong>Jinotega</strong> nach<br />
Managua das Portmonee entwendet wurde<br />
und der daraufhin niedergeschlagen im Bus saß<br />
und sich nicht an unserer kleinen Choreinlage<br />
beteiligt hat.<br />
In Granada angekommen, fanden wir schnell<br />
ein schönes Hostel und fühlten uns in dieser<br />
touristisch sehr erschlossenen Stadt direkt<br />
Tierischer Besuch während der Bootstour<br />
Blick auf die „Isletas“
Blick über den Kratersee „Laguna de Apoyo“<br />
wohl, da wir nicht mehr die einzigen „weißen<br />
Exoten“ (Cheles) waren und somit nicht mehr<br />
angestarrt worden sind.<br />
Beim Abendessen kam sogar eine gewisse<br />
Urlaubsstimmung auf, was sicherlich auch am<br />
angenehmen Klima und an der imposanten<br />
Darbietung einer Breakdance-Truppe lag.<br />
Am nächsten Tag stand eine Stadtrundfahrt<br />
mit Pferdekutschen auf dem Programm. Dabei<br />
erfuhren wir auch einiges über die Geschichte<br />
Granadas: Die Stadt wurde am 8. Dezember<br />
1524 vom spanischen Eroberer Francisco<br />
Hernándes de Córdoba gegründet und nahm<br />
mit ihrem Hafen während der Kolonialzeit eine<br />
sehr bedeutsame Stellung in Zentralamerika<br />
ein. In dieser Zeit entbrannte ein ständiger<br />
Zweikampf zwischen Grananda und León um<br />
die Vormachtstellung in <strong>Nicaragua</strong>, der schließlich<br />
1850 beendet wurde, indem als Kompromiss<br />
Managua zur Hauptstadt bestimmt wurde.<br />
Zahlreiche kolonial geprägte Gebäude mit dem<br />
typischen Patio (Innenhof) bestimmen noch<br />
heute das Stadtbild (UNESCO-Weltkulturerbe).<br />
Generell lässt sich sagen, dass Granada eine<br />
sehr saubere und sichere Stadt ist, die mit<br />
ihrer außergewöhnlichen Lage (direkt am<br />
<strong>Nicaragua</strong>see und am Vulkan Mombacho<br />
gelegen) viele Touristen anzieht.<br />
Stationen unserer Kutschfahrt waren der alte<br />
Bahnhof, das ehemalige Gefängnis, der Friedhof,<br />
eine Zigarrenfabrik (die die Möglichkeit bot,<br />
sich eine Zigarre selbst zu drehen) und die<br />
Kirche La Merced, von deren Glockenturm man<br />
einen schönen Ausblick auf die Stadt bis hin<br />
zum <strong>Nicaragua</strong>see und dem Vulkan hatte.<br />
Auf dem Friedhof liegen neben vielen nationalen<br />
Größen wie ehemaligen Präsidenten<br />
von <strong>Nicaragua</strong> auch einfache Bürger. Die<br />
Spannbreite der Gestaltung der Ruhestätten<br />
reicht dabei von imposanten Mausoleen und<br />
Abends im Strandrestaurant<br />
Grüften bis hin zu einfachen Holzkreuzen, was<br />
die soziale Schere zwischen arm und reich eindrucksvoll<br />
verdeutlicht.<br />
Am Nachmittag erholten wir uns in der Lagune<br />
de Apoyo, einem kleinen See, der in einem<br />
inaktivem Vulkankrater gelegen ist.<br />
Der Morgen des darauf folgenden Tages<br />
begann relativ früh mit einem Gang zum lokalen<br />
Markt.<br />
Die meisten von uns verließen diesen jedoch<br />
sehr schnell wieder, da der Anblick und vor<br />
allem der Geruch von dargebotenem Fleisch<br />
und Fisch ohne jegliche Kühlung (bei tropischen<br />
Außentemperaturen) abschreckend wirkten.<br />
Einige Hartgesottene ließen es sich dennoch<br />
nicht nehmen, einige Kleinigkeiten zu kaufen.<br />
Ein angenehmerer Zeitvertreib folgte am<br />
Nachmittag mit einer Bootstour zu den<br />
„Isletas“, einer der Stadt Granada vorgelagerten<br />
Inselgruppe, mit über 300 sehr kleinen<br />
Inseln, die bei einem Ausbruch des Mombacho<br />
entstanden sind.<br />
Einige der Inseln sind im Privatbesitz reicher<br />
<strong>Nicaragua</strong>ner, andere werden als Anlaufstelle<br />
für Touristen genutzt. Ein besonderes Highlight<br />
bieten die Inselaffen, die auf einigen wenigen<br />
Inseln beheimatet sind und von den Touristen<br />
von den Booten aus gefüttert werden können.<br />
Während wir auf einer der Inseln zu Mittag<br />
aßen, machte sich die Regenzeit mit einem heftigen<br />
Gewitter bemerkbar. Als wir in Granada<br />
wieder festen Boden unter den Füßen hatten,<br />
war die Überraschung groß, denn ein Blitz war<br />
während des Gewitters in Granada eingeschlagen,<br />
woraufhin die gesamte Stromversorgung<br />
der Stadt zusammengebrochen war.<br />
Der Luxus der Zivilisation, auf den wir uns<br />
schon die ganze Zeit gefreut hatten, wurde<br />
uns damit auf einen Schlag wieder genommen.<br />
Solche Situationen machen einem bewusst,<br />
37
dass die sichere Versorgung in Deutschland als<br />
großes Privileg angesehen werden kann.<br />
Nichts desto trotz konnten wir ein exzellentes<br />
Abendessen bei Kerzenschein genießen, da in<br />
<strong>Nicaragua</strong> fast überall mit Gas gekocht wird.<br />
Der fehlende Strom, der auch am nächsten Tag<br />
noch nicht vorhanden war, stellte allerdings<br />
das kleinere Übel dar (zwar vermissten wir in<br />
der Nacht die kühlende Luft des Ventilators,<br />
aber dies war auszuhalten). Schlimmer war,<br />
dass wir kein Wasser hatten und somit bei<br />
dieser Hitze auch auf das Duschen verzichten<br />
mussten. Lediglich einige Eimer Wasser zum<br />
Abspülen der Toiletten und Waschen wurde<br />
vom Hostel aufgetrieben.<br />
Da auch die Kanalisation langsam anfing zu<br />
stinken, waren wir froh, gegen Vormittag<br />
Granada zu verlassen und den nächsten Ort<br />
unser Rundreise, San Juan del Sur anzusteuern.<br />
San Juan del Sur, ehemals ein beschauliches<br />
Fischerdörfchen an der Pazifikküste, hat sich<br />
durch seine Nähe zu schönen Stränden mit<br />
gutem Wellengang zu einer Hochburg für<br />
Surfer und Touristen entwickelt. Die vielen<br />
Hotels, Bars und Diskotheken haben das<br />
Stadtbild sehr verändert und San Juan zu einer<br />
regelrechten Partyhochburg gemacht.<br />
Schnell fand sich eine geeignete Bleibe, was<br />
nach der Busfahrt nur gut war.<br />
Das im Reiseführer angepriesene Hostel mit<br />
einer Bar auf dem Dach bot nicht genug Platz<br />
für alle, weshalb wir die Gruppe auf zwei<br />
Wohnorte aufspalteten. Einige von uns fanden<br />
ein paar Meter weiter in einer familiären<br />
Unterkunft Platz, die mit einem treuherzigen<br />
„Wachhund“ und freundlichem Personal die<br />
fehlende rooftop-bar wettmachte.<br />
Am Abend gönnten wir uns ein leckeres<br />
Essen in einem Strandlokal, direkt am<br />
38<br />
Liv und Papagei<br />
Pazifikstrand und erlebten endlich unseren<br />
ersten Sonnenuntergang am Meer. Leider verhinderten<br />
Wolken eine perfekte Sicht.<br />
Am nächsten Tag stand ein Strandausflug auf<br />
dem Programm. Zwar hat San Juan einen<br />
eigenen Strand, dieser war jedoch durch Boote<br />
und den Fischereihafen nicht sehr ansprechend,<br />
weshalb wir nach einer alternativen<br />
Bademöglichkeit Ausschau hielten. Wir fuhren<br />
mit einem Busshuttle über holprige Straßen<br />
an einen Bilderbuchstrand - hier ließ es sich<br />
leben - zumal wir fast alleine in der kleinen<br />
Bucht waren.<br />
Als wir am Nachmittag zu Fuß in die nächste<br />
Bucht aufbrechen wollten, wo uns der Busshuttle<br />
abholen sollte, erlebten wir wieder einmal die<br />
Tücken der nicaraguanischen Regenzeit. Eben<br />
noch strahlender Sonnenschein, rollte nun eine<br />
dunkelgraue Regenfront unaufhaltsam auf uns<br />
zu. Trotz unseres schnellen Aufbruchs, wurden<br />
wir ordentlich nass. Einige von uns waren so<br />
clever und hatten gar nicht erst ihre Kleidung<br />
gewechselt, sondern sind in Badesachen dem<br />
Unwetter entgegen getreten. Wer keine<br />
Plastiktüte dabei hatte, in der er seine Sachen<br />
retten konnte, musste leider nach dem großen<br />
Regen feststellen, dass Kamera, MP3-Player<br />
etc. nicht mehr funktionierten. Wenn es in<br />
<strong>Nicaragua</strong> regnet, dann aber so richtig :-)<br />
Am nächsten Tag machten wir uns diesmal auf<br />
dem Seeweg auf zu unserer Traum-Bucht. Kurz<br />
nach dem Ablegen machte uns der Bootsführer<br />
auf ein graues, steinartiges Etwas im Wasser aufmerksam.<br />
„Tortuga, tortuga“ war sein Ausruf<br />
und wir hatten die einmalige Gelegenheit, sich<br />
paarende Schildkröten in freier Wildbahn zu<br />
beobachten, ein faszinierendes Erlebnis.<br />
Wie am Vortag beschlossen, blieben wir<br />
über Nacht in „unserer Bucht“ und nächtigten<br />
zum Teil in kleinen Zelten aus Stein.<br />
Erfrischung am Pazifikstrand
Wir hatten gehofft, vom Strand aus einen<br />
Sonnenuntergang erleben zu können, leider<br />
machten uns die Wolken wieder einen Strich<br />
durch die Rechnung, so dass wir das Farbenspiel<br />
nur erahnen konnten.<br />
Die Ruhe außerhalb von San Juan nutzen wir<br />
auch dazu, eine abschließende Reflexion der<br />
gesamten Reise durchzuführen. Drei Stunden<br />
lang ließen wir die erlebnisreichen Wochen<br />
Revue passieren und kamen einstimmig zu<br />
dem Ergebnis, dass die Fahrt für uns ein voller<br />
Erfolg war und wir auch als Gruppe sehr zusammen<br />
gewachsen waren. Abgerundet wurde der<br />
Abend mit einem nette<br />
n Beisammensitzen im feinsandigen Strand,<br />
bei dem sich auch der ein oder andere Stern<br />
sehen ließ.<br />
Die letzte Station unserer Rundreise war die<br />
Stadt Masaya, die wir Sonntagnachmittag<br />
erreichten und dazu nutzten einige Souvenirs<br />
einzukaufen. Dort zeigte sich wieder einmal,<br />
dass es sich lohnt, abseits der touristischen<br />
Märkte seine Einkäufe zu erledigen. Unsere<br />
Mitbringsel wie Hängematten, Taschen, T-Shirts<br />
etc. bekamen wir auf dem einheimischen Markt<br />
im Vergleich zum Touristenmarkt zum halben<br />
Preis.<br />
Nach einer kurzen Nacht fuhren wir gegen 4<br />
Uhr morgens mit vier Taxen zum Flughafen in<br />
Managua. Kurz nachdem wir dort ankamen,<br />
traf auch der Bus aus <strong>Jinotega</strong> mit Antonio<br />
und unserem restlichen Gepäck ein, das wir<br />
in <strong>Jinotega</strong> zurück gelassen hatten, damit<br />
wir auf der Rundreise weniger schleppen<br />
mussten. Somit waren auch unsere letzten<br />
Befürchtungen, ohne Gepäck nach Deutschland<br />
reisen zu müssen, aus dem Weg geräumt und<br />
wir konnten erleichtert, aber auch traurig,<br />
dieses Land nun verlassen zu müssen, in den<br />
Flieger steigen.<br />
Markt in Granada<br />
Wir sehen die Rundreise nicht nur als kleine<br />
Belohnung und Erholungszeit nach der Arbeit<br />
in dem Projekt an, sondern finden, dass sie<br />
ein wichtiger Teil der kompletten Projektreise<br />
war.<br />
Denn sie zeigte uns ein anderes Gesicht von<br />
<strong>Nicaragua</strong> als wir es in den ersten drei Wochen<br />
im Norden des Landes kennen gelernt haben,<br />
der touristisch noch gar nicht erschlossen ist.<br />
Der Südwesten von <strong>Nicaragua</strong> lebt zu einem<br />
großen Anteil vom Tourismus und bietet somit<br />
auch wesentlich mehr Komfort nach europäischem<br />
Standard. Touristen sind hier ein alltäglicher<br />
Anblick und somit entfällt das Anstarren<br />
von „Cheles“ (Weißen), wie wir es im Norden<br />
erlebt und als störend empfunden haben.<br />
Schattenseiten des Tourismus sind die vielen<br />
kleinen Kinder, die bei den Touristen betteln<br />
und zum Teil extrem aufdringlich waren.<br />
Wir sprechen sicher für die gesamte Gruppen<br />
wenn wir sagen, dass die Reise nach <strong>Nicaragua</strong><br />
für uns ein eindrucksvolles Erlebnis war und<br />
wir ein Land kennen lernen durften, das viele<br />
Gesichter hat und uns mit seiner natürlichen<br />
Schönheit begeistert hat, aber in dem wir auch<br />
das einfache Leben kennen und zum Teil schätzen<br />
gelernt haben.<br />
Dies war für viele von uns bestimmt nicht die<br />
letzte Reise nach <strong>Nicaragua</strong>.<br />
Kirstin Untrieser und Joschka Setzer<br />
Hasta la vista, <strong>Nicaragua</strong><br />
39
Programmablauf der Begegnungsreise <strong>2010</strong><br />
Zwei Kulturen in der einen Welt –<br />
Jugend in der Verantwortung für die Zukunft unserer Erde Teil 2<br />
Freitag, den 9. Juli<br />
Samstag, den 10. Juli<br />
Sonntag, den 11. Juli<br />
Montag, den 12. Juli<br />
Dienstag, den 13. Juli<br />
Mittwoch, den 14. Juli<br />
Donnerstag, den 15. Juli<br />
Freitag, den 16. Juli<br />
Samstag, den 17. Juli<br />
Sonntag, den 18. Juli<br />
Montag, den 19. Juli<br />
Dienstag, den 20. Juli<br />
bis<br />
Freitag, den 23. Juli<br />
Mittwoch, den 21. Juli<br />
Donnerstag, den 22. Juli<br />
Samstag, den 24. Juli<br />
Sonntag, den 25. Juli<br />
Montag, den 26. Juli<br />
bis<br />
Freitag, den 30. Juli<br />
Donnerstag, den 29. Juli<br />
Freitag, den 30. Juli<br />
40<br />
Reisetag - Ankunft in <strong>Jinotega</strong> gegen 22:00 Uhr.<br />
Orientieren in <strong>Jinotega</strong>: Gang durchs Zentrum, über den Markt,<br />
zum Bildungszentrum La Cuculmeca.<br />
Exkursion nach San Rafael del Norte mit Schülern des Instituto<br />
La Cuculmeca: Sandino-Museum, Kathedrale, Wallfahrtskirche<br />
Empfang bei La Cuculmeca, Vorstellung d. Organisation. Ideenwerkstatt<br />
für das Mural mit Aureliano, Iouri und 15 Jugendlichen.<br />
Exkursion zum Apanas-Stausee mit Information über den Kampf<br />
gegen die Privatisierung der Wasserrechte.<br />
Kindergarten im Barrio Daniel Teller, Besuch des INACS, (Schule)<br />
Empfang beim Bürgermeister, dann Teilgruppe bei „Los Pepitos“<br />
Nachmittags: Haus der Jugend - Thema: Zukunftsängste und -träume<br />
Besteigen des Peña de la Cruz mit Jugendlichen aus <strong>Jinotega</strong>. Eine<br />
Teilgruppe machte Reparaturarbeiten im Kindergarten. Die übrigen:<br />
Fahrt zur Fundadora und –einrichten dort.<br />
Eintreffen der Handwerksgruppe, dann Empfang am Instituto und<br />
Kennen Lernen der PartnerschülerInnen mit Ideenwerkstatt für das<br />
Mural.<br />
Exkursion zum Naturreservat „Cerro Dantanlí“. Führung durch die<br />
frisch ausgebildeten Parkranger. Gespräch über das Projekt „sanfter<br />
Tourismus.<br />
Nationalfeiertag - Nach Ausbleiben des künstler. Leiters Straßenreparaturarbeiten<br />
gemeinsam mit nicaraguan. Jugendlichen; Kontakt zur<br />
‚Poder ciudadana’ wegen LKW.<br />
Arbeit in zwei Gruppen, jeweils mit Jugendlichen aus dem Dorf<br />
1. Gruppe: Mural (Wandmal-Projekt)<br />
2. Gruppe: Erstellen der Außenanlagen der Ökolodge<br />
Gespräch mit Tourismus-StudentInnen<br />
Straßenbauarbeiten<br />
Teilnahme am Unterricht im Instituto La Cuculmeca. Gemeinsames<br />
Volleyballspiel am Nachmittag.<br />
Exkursion zur Kaffeeplantage Los Papales. Einkäufe in <strong>Jinotega</strong>.<br />
Arbeit in zwei Gruppen, jeweils mit Jugendlichen aus dem Dorf.<br />
1. Gruppe: Mural (Wandmal-Projekt)<br />
2. Gruppe: Erstellen der Außenanlagen der Ökolodge<br />
Wanderung Cerro de los Numeros<br />
Abendessen: Einladung der Tourismus-Cooperative.
Samstag, den 31. Juli<br />
Sonntag, den 1. August<br />
Montag, den 2. August<br />
Dienstag, den 3. August<br />
Mittwoch, den 4. August<br />
Donnerstag, den 5. August<br />
Freitag und Samstag,<br />
den 6. und 7. August<br />
Sonntag, den 8. August<br />
Montag, den 9. August<br />
Impressum<br />
Herausgeber: Förderverein Städtefreundschaft Solingen - <strong>Jinotega</strong><br />
in Kooperation mit der Städtischen Gesamtschule Solingen<br />
mit freundlicher Unterstützung der Jugendförderung Solingen<br />
Gestaltung und Satz: deus werbung<br />
Druck: Hausdruckerei der Stadt Solingen<br />
Bildquellen-Nachweis: Fotos der ReiseteilnehmerInnen, S. 27-30; Rune Rossius, Dominik Reinartz,<br />
Fidel Frosch und Josef Dabernig (S. 29 o. li.), als Zivildienstleistende in <strong>Nicaragua</strong>.<br />
Kontakt:<br />
Förderverein Solingen-<strong>Jinotega</strong><br />
c/o Sybille Arians<br />
Gasstr. 28<br />
42657 Solingen<br />
Telefon 0212 - 81 26 85<br />
E-Mail vanjira@gmx.de<br />
Konto-Nr. 858 159<br />
Stadt-Sparkasse Solingen<br />
BLZ 342 500 00<br />
www.solingen-jinotega.de<br />
Teilnahme am Unterricht, Einweihung des Murals, Abschiedsfeierlichkeiten,<br />
Rückfahrt nach <strong>Jinotega</strong> und Feedback-Runde mit Frau<br />
Muckenhirn.<br />
Abschied von <strong>Jinotega</strong> und Busfahrt nach Granada<br />
Stadtrundfahrt: „UNESCO - Weltkulturerbe Granada“. Exkursion zur<br />
Laguna de Apoyo (Kratersee)<br />
Markt und Schiffstour Isletas<br />
Fahrt nach San Juan del Sur via Rivas<br />
Strandaufenthalt in Playa Majagual<br />
Strandaufenthalt und Übernachtung in Playa Majagual;<br />
Erste Rückbetrachtung und Feedback zur Reise.<br />
Fahrt nach Masaya und Stadtrundgang „Spuren der Kolonialzeit“<br />
4:00 Uhr Fahrt zum Flughafen Managua und Rückreise;<br />
Ankunft in D am 10. August<br />
Einige von uns haben mit einer Spende an die Organisation „Atmosfair“ die Emissionen unserer<br />
Flugreise ausgeglichen. Wie das geht? Schaut nach bei: www.atmosfair.de<br />
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