HEINZ Magazin Essen 04-2016
HEINZ Magazin April 2016, Ausgabe für Essen
HEINZ Magazin April 2016, Ausgabe für Essen
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AUSSTELLUNGEN<br />
ÜBERSICHT<br />
<strong>HEINZ</strong>-AUTORIN<br />
LYNN HERSHMAN LEESON, SLG. FALCKENBERG<br />
IDENTITÄTEN IM 21. JAHRHUNDERT<br />
Liquid Identities<br />
■ Roberta Breitmore machte den Führerschein,<br />
mietete eine Wohnung, eröffnete ein<br />
eigenes Bankkonto und ging zum Psychiater.<br />
Sie schrieb Tagebuch und Briefe, machte<br />
Fotos, schminkte und kleidete sich sorgfältig.<br />
Die Frau lebte und bewegte sich in der<br />
wirklichen Welt, tatsächlich aber existierte<br />
sie lediglich als Performance, als simulierte<br />
Identität. Die Kunstfigur Roberta Breitmore<br />
(1973-1978) ist die bekannteste Werkreihe der<br />
Künstlerin Lynn Hershman Leeson (* 1941),<br />
der das Duisburger Lehmbruck Museum eine<br />
konzentrierte Werkschau widmet. Breitmore<br />
allerdings ist nicht der einzige Klon, der hier<br />
auftaucht, denn die Konstruktion von Identität,<br />
das Schwinden der Privatsphäre und die<br />
Überwachung unseres Lebens sind immer<br />
wiederkehrende Themen im Werk der einflussreichen<br />
amerikanischen Medien-, Film-,<br />
und Installationskünstlerin.<br />
kb<br />
❚ LYNN HERSHMAN LEESON. Liquid Identities Lehmbruck<br />
Museum, Duisburg; Dauer: bis 5.6., Di-Fr 12-17 Uhr,<br />
Sa, So 11-17 Uhr; www.lehmbruckmuseum.de<br />
JULIA STOSCHEK COLLECTION<br />
Hello Boys<br />
■ 1968 hatte die Künstlerin Valie Export mit<br />
ihrem „Tapp- und Tastkino“ für öffentliches<br />
Aufsehen gesorgt, einer Pappbox, durch die<br />
hindurch Passanten auf der Straße in Wien<br />
ihre blanken Brüste befühlen konnten. Der<br />
Videofilm dieser Aktion, der neben anderen<br />
Filmen feministischer Avantgardekünstlerinnen<br />
in der Julia Stoschek Collection gezeigt<br />
wird, ist ein Dokument der frechen kritischen<br />
Reflexionen zur Präsentation weiblicher<br />
Nacktheit, war aber auch gedacht als Zeichen<br />
„gegen den Betrug des Voyeurismus“. In den<br />
1970er Jahren hatten immer mehr Künstlerinnen<br />
begonnen, mit den Medien Fotografie<br />
und Videokunst zu experimentieren, hatten<br />
überkommene Darstellungskonventionen<br />
und -strategien zur Disposition gestellt, den<br />
eigenen Körper zum Gegenstand der Kunst<br />
gemacht oder die Rolle der Künstlerin in Institutionen<br />
und Kunstbetrieb befragt. kb<br />
❚ NUMBER TWELVE. HELLO BOYS Julia Stoschek Collection,<br />
Düsseldorf; Dauer: bis 31.7., Sa, So 11-18 Uhr;<br />
www.julia-stoschek-collection.net<br />
GWENN THOMAS<br />
CLAUDIA HEINRICH<br />
Museum Morsbroich<br />
in Gefahr<br />
Geplant war, an dieser<br />
Stelle die Eröffnung eines<br />
neuen Museums in Recklinghausen<br />
zu begrüßen.<br />
Doch eine empörende<br />
Meldung grätschte dazwischen:<br />
Ein bestehendes<br />
erstklassiges Haus ist in<br />
Not: Museum Morsboich.<br />
Die KPMG-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />
empfiehlt<br />
der Stadt Leverkusen die<br />
Schließung. „Optimierung<br />
des Museumsbetriebs“<br />
nennt sie das. Gut, es ist<br />
erst mal nur ein Vorschlag,<br />
vermutlich von Beratern,<br />
die noch nie ein Museum<br />
von innen gesehen haben.<br />
Pikant ist dagegen, dass<br />
die KPMG sich andernorts,<br />
z.B. in Düsseldorf und Köln,<br />
selbst als Kunstmäzenin<br />
positioniert. Dieser Ruf ist<br />
jetzt verspielt. Zum Glück<br />
braust dem KPMG-Bericht<br />
ein Entrüstungssturm<br />
entgegen – heftige Proteste<br />
aus der Kunstwelt, u.a. von<br />
Gerhard Richter, und aus<br />
der Öffentlichkeit, vereint<br />
gegen den drohenden<br />
kulturellen Kahlschlag. Eine<br />
offene Petition gegen die<br />
Schließung des „Museums<br />
des Jahres 2009“ steht<br />
unter www.openpetition.de,<br />
Suchbegriff „Morsbroich“.<br />
Zur Unterschrift, bitte!<br />
Claudia Heinrich<br />
STIFTUNG DKM, FOTO: MICK VINCENZ, ESSEN<br />
MILES COOLIDGE<br />
GENERATIONSÜBERGREIFEND<br />
Polnische Kunst in Marl<br />
■ Kunst aus Polen ist zurzeit ein großes Thema<br />
der Region: in Bochum, Recklinghausen<br />
und nun Marl. Das Museum Glaskasten stellt<br />
13 polnische Künstler aus drei Generationen<br />
vor. Ausgangspunkt der Schau sind Skulpturen<br />
aus der Sammlung Jerke, u.a. von Katarzyna<br />
Kobro und Körperabgüsse von Alina<br />
Szapocznikow, die zusammen mit dem Maler<br />
und Kunsttheoretiker Wladyslaw Strzeminski<br />
die ältere (Vorkriegs-)Generation stellen.<br />
DOPPELAUSSTELLUNG IN DUISBURG<br />
Johannes Brus<br />
MUSEUM JERKE RECKLINGHAUSEN<br />
FARBE, STRUKTUR, KOHLE<br />
Miles Coolidge<br />
■ Einen überraschenden Blick auf die sich<br />
ändernde Identität des Ruhrgebiets zeigt der<br />
amerikanische Fotograf Miles Coolidge im<br />
Museum Quadrat. Die vier großen Fotografien<br />
zählt Museumsleiter Heinz Liesbrock zu einer<br />
Reihe, die „unbeabsichtigte Folgen der industriellen<br />
Revolution“ hinterfragt. Hier zeigt<br />
Coolidge, der unter anderem bei Bernd und<br />
Hilla Becher in Düsseldorf studierte, Geröll-<br />
Strukturen der Kohleflöze von Prosper-Haniel<br />
in Bottrop, dem letzten aktiven Bergwerk im<br />
Ruhrgebiet. Er erinnert an die umgreifende<br />
Veränderung, die in den 1950ern einsetzte,<br />
als die Kohle vom Öl abgelöst wurde. Symbolisch<br />
nutzt Coolidge für das Druckverfahren<br />
Ruß, industrielles Nebenprodukt der Steinkohleverbrennung.<br />
In einer weiteren Reihe,<br />
den „Chemical Pictures“, entstehen durch<br />
chemische Prozesse künstlicher Farben „Bilder,<br />
die sich selber malen“.<br />
bws<br />
❚ MILES COOLIDGE. Fotografien und Chemical<br />
Pictures Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, Im<br />
Stadtgarten 20; Dauer: bis 8.5., Di-Sa 11-17, So 10-17 Uhr;<br />
www.quadrat-bottrop.de<br />
■ Johannes Brus ist in zwei Duisburger<br />
Museen zu Gast – eine Kooperation beider<br />
Häuser: Im Lehmbruck Museum präsentiert<br />
der <strong>Essen</strong>er Bildhauer im Rahmen der Reihe<br />
„Sculpture 21st“ erstmalig seine neueste<br />
Skulpturengruppe „Tanzen für Brancusi“, eine<br />
persönliche Hommage an den bedeutenden<br />
rumänisch-russischen Bildhauer. Brus’ Tänzerinnen<br />
umgarnen in der Glashalle eines der<br />
Hauptwerke Constantin Brâncușis, „La Négresse<br />
Blonde“, aus der Museumssammlung.<br />
Eine umfangreichere Schau zeigt das DKM<br />
Museum mit 17 Werken aus 1985-2000, arrangiert<br />
von den Sammlern und Museumsgründern<br />
Dirk Krämer, Klaus Maas. Zwei Zeichnungen<br />
und 7 Fotoarbeiten wählten sie aus.<br />
Im Zentrum stehen die plastischen Werke, 8<br />
mitunter mehrteilige Skulpturen(-Gruppen):<br />
Pferde, Bildhauer, Nashörner.<br />
ch<br />
❚ JOHANNES BRUS Museum DKM Duisburg; bis 4.9., Sa/<br />
So 12-18, jeden 1. Fr i. M. 12-18 Uhr; www.museum-dkm.<br />
de / Lehmbruck Museum Duisburg; bis 16.5., Mi-Sa 12-<br />
18, Do 12-21 Uhr, So 11-18; www.lehmbruckmuseum.de<br />
Die mittlere Generation experimentierte seit<br />
den 1960er Jahren mit Film (Ryszard Wasko,<br />
Józef Robakowski) oder Performance wie<br />
Teresa Murak, die in ihren „lebenden“ Kresse-<br />
Gewändern durch die Stadt flanierte. Ihnen<br />
gegenüber stehen sechs junge Künstler, die<br />
konzeptionelle oder konstruktive Findungen<br />
wiederaufgreifen und mit aktuellen Mitteln<br />
und Medien umsetzen. Polens Szene lebt –<br />
und ist immer für Entdeckungen gut. ch<br />
❚ POLNISCHE KUNST IN MARL Skulpturenmuseum<br />
Glaskasten, Marl; Dauer: bis 12.6., Di-So 11-17 Uhr, Do 11-<br />
20 Uhr; www.skulpturenmuseum-glaskasten-marl.de<br />
54 | <strong>HEINZ</strong> | <strong>04</strong>.<strong>2016</strong>