HEINZ Magazin Essen 04-2016
HEINZ Magazin April 2016, Ausgabe für Essen
HEINZ Magazin April 2016, Ausgabe für Essen
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« Natalia LL, Consumer Art, 1972, black-and-white photographs, collection of the Lower Silesian Society for the<br />
Encouragement of the Fine Arts, photo by Małgorzata Kujda, © Lower Silesian Society for the Encouragement<br />
of the Fine Arts<br />
Rundgang richtig Spaß macht. Hoch über den Köpfen spannen sich<br />
quer durch den Raum Mega-Screens mit Performance- und Aktionsprojektionen,<br />
konzeptuelle Fotokunst hängt neben Doku-Material, es<br />
gibt eine Architektur-Koje mit Modellen und interaktiven Recherchestationen,<br />
Videoarbeiten und eine Rauminstallation aus bemalten Kartons<br />
und quietschbunten Plastikdingen, feministische Kunst, Body Art,<br />
Konzept Art, Collagen, Konzepte, Plakate an der Wand und in Vitrinen.<br />
Auch Spielfilmausschnitte kann man anschauen. Alles locker thematisch<br />
gruppiert. Auf die Wand applizierte Textbanner informieren kompakt<br />
über die jeweilige Kunstform. Wer sich Zeit nimmt, einliest und<br />
umschaut, wird neugierig auf die Stadt Breslau/Wrocław, die selbst in<br />
Zeiten des Kalten Krieges viel kreativen Freiraum bot.<br />
Im Fokus der Ausstellung stehen nicht so sehr einzelne Künstlerpersönlichkeiten,<br />
sondern das gesamte kulturelle Leben in der von Nationalsozialismus,<br />
Krieg, Vertreibung und Zerstörung schwer gebeutelten<br />
Metropole in Schlesien. Ein historischer Crashkurs: Wie sie wurde,<br />
was sie war – die Stadt und ihre Kunstszene. Ursprung ist eine wechselvolle<br />
Geschichte zwischen Polen und Deutschland: Schlesien war Teil<br />
des Dritten Reiches. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ein<br />
Großteil der in Breslau lebenden Deutschen vertrieben. Die Wehrmacht<br />
wollte die Stadt als nationalsozialistische Festung ausbauen – mit verheerenden<br />
Folgen: Rund zwei Drittel aller Bauwerke wurden zerstört.<br />
Das führte dazu, dass nach dem Krieg auch die verbliebenen Deutschen<br />
der Stadt verwiesen wurden. Aus Breslau wurde Wrocław und – die Ausstellung<br />
zeigt eine entsprechende Bilderserie – war ziemlich leer, die Bevölkerung<br />
auf ein Fünftel geschrumpft, mit Straßen ins Nichts, durch<br />
Brachen, wo einst Häuser standen. Die polnischen Behörden siedelten<br />
hier Neusiedler aus dem Osten an. Vertriebene aus der heutigen Ukraine,<br />
unter ihnen viele Akademiker, Architekten, Musiker, Künstler und<br />
Theaterleute, ein buntes Volk mit Ideen.<br />
Für sie war die Stadt Spielwiese, ein Raum zur freien Gestaltung und<br />
erfrischend weit weg von den kommunistischen Kontroll-Behörden in<br />
Warschau. Um etwa 1965 setzt die Ausstellung an mit der Vorstellung<br />
zweier Vorreiter der neuen Avantgarde, Jerzy Grotowski, Begründer des<br />
Teatr Laboratorium, und Jerzy Ludwiński, der ein Museum für Gegenwartskunst<br />
aufziehen wollte. Letzteres zwar erfolglos, aber nicht umsonst.<br />
Um beide Kommunikatoren bildete sich eine umtriebige Szene<br />
mit viel Gemeinschaftssinn. Man diskutierte, initiierte Film-, Jazz- und<br />
Theaterfestivals, Workshops, partizipatorische Aktionen, man filmte und<br />
machte Musik, experimentierte und lud international bekannte Künstler<br />
wie etwa die feministische Performerin Valie Export ein. Man profitierte<br />
und inspirierte sich wechselseitig, wie Arbeiten der polnischen<br />
Künstlerin Natalia LL belegen. In Wrocław hat der polnische Konzeptualismus<br />
seine Wurzeln, ebenso die konkrete Poesie, zum Beispiel von<br />
Stanisław Dróżdż. Neben dem Teatr Labor arbeiteten auch Helmut Kajzar<br />
und Kazimierz Braun an neuen dramatischen Formen. Das Architekturmuseum<br />
stellte in den 1970ern Arbeiten von heute weltberühmten<br />
Architekten wie Renzo Piano, Tadao Ando und Rem Koolhaas aus. Das<br />
Wrocławer Filmstudio, die Plakatschule und Musik-Performer prägten<br />
die Szene bis in die 1980er Jahre, dem Ende des Kommunismus in Polen.<br />
Diese Entwicklung beleuchtet die Ausstellung und präsentiert einen<br />
bislang hierzulande wenig bekannten „Mikrokosmos“ Breslau/Wrocław,<br />
in dem künstlerische Arbeit politisch war und man für die Gemeinschaft<br />
und nicht für Galerien und den Kunstmarkt produzierte. Die erfrischende<br />
Aufbruchsstimmung kann die Ausstellung gut transportieren.<br />
Es besteht Ansteckungsgefahr.<br />
Claudia Heinrich<br />
❚ WILDER WESTEN. Die Geschichte der Avantgarde Wrocław/Breslau Kunstmuseum Bochum, Kortumstr.<br />
147; Dauer: bis 8.5., Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr; www.kunstmuseumbochum.de<br />
FIDENA<br />
4. – 12.<br />
MAI <strong>2016</strong><br />
FIGURENTHEATER DER NATIONEN<br />
IN BOCHUM, ESSEN, HATTINGEN, HERNE<br />
www.fidena.de<br />
IST<br />
offen<br />
versoffen<br />
und schlimmer<br />
geht immer<br />
Fidena<br />
die Gute<br />
Fidena<br />
heißt Ute<br />
und schweigt<br />
geigt<br />
motzt<br />
protzt<br />
16. - 24. April <strong>2016</strong><br />
www.rüttenscheider-kunstmeile.de<br />
pietrassdesign.de