Neue Szene Augsburg 2016-04

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32 Zoom Alle reden vom Erstarken der Rechten. Wir haben zur Abwechslung mal mit jemanden von ganz links über Revolution, Gewalt und Ausbeutung gesprochen. Dabei haben wir den Wunsch des Interviewpartners, der sich als Mitglied der Antifa bezeichnet, auf Anonymität respektiert und ihm einen fiktiven Namen gegeben: Adam. Von Marcus Ertle anz Links Adam, was ist überhaupt links? Für mich ist links ganz klar antirassistisch, antisexistisch, antikapitalistisch und für eine Welt, in der alle Menschen gleich sind. Bei den Themen Antirassismus, Antisexismus und Gleichheit dürften die meisten Menschen zustimmen, aber was wäre die Alternative zum Kapitalismus? Das ist eine sehr gute Frage, die Planwirtschaft schon mal nicht, aber das Geld muss einfach den Menschen dienen, wir brauchen so eine Art Gemeinwohlökonomie. Klar, das kapitalistische System hat sich festgefressen, ich kenne ehrlich gesagt auch keine Alternative. Nehmen wir mal an, es gibt eine Alternative, die das aktuelle kapitalistische System abschaffen oder stürzen würde, ginge das überhaupt friedlich? Ich glaube, dass man das friedlich schaffen kann. Man kann das System ja durch jede Kaufentscheidung angreifen, weil jede Kaufentscheidung auch eine total politische Entscheidung ist. Wenn ich die großen Konzerne nicht unterstützen will, muss ich eben in die kleinen Läden gehen, wo die Kleidung fair angefertigt wurde, wo es regionales Gemüse gibt. Dann schalte ich die Kleidungs- und Nahrungsmittelindustrie schon mal aus. Wenn das die Mehrheit macht, ändert sich auch das System. Diese Mehrheit ist aber einstweilen sehr utopisch. Klar, am Anfang sind solche Entwicklungen immer utopisch, jede Revolution war am Anfang utopisch. Gut, ich glaube nicht, dass eine friedliche Revolution heute klappen würde, aber es ist möglich. Wäre auch das Gegenteil möglich, eine Revolution von rechts? Es gibt einen starken Rechtsruck gerade, es gibt Staaten, die in eine konservative Richtung abdriften, so wie Ungarn oder Polen, das ist auch so eine Art Revolution, nur eben eine schleichende von oben und von der falschen Seite. Und was ist mit der linken Revolution? Unsere Projekte finden eher im Kleinen statt, wo es kein Herrschaftsdenken gibt, wo man Utopien ausprobiert. Aber in der BRD sehe ich gerade keine linke Dynamik, die den Umsturz will, das ist erschreckend und schade, aber es ist eben so. Wieso ist die Linke so in der Defensive? Weil unser Feindbild schwieriger ist. Bei den Rechten ist es einfach und primitiv, die treten nach unten,
Zoom 33 Info: Der Begriff Antifa bezeichnet linke, linksradikale und autonome Gruppen, die sich in ihrem Verständnis von Antifaschismus das Ziel gesetzt haben, Nationalismus, Neonazismus und Rassismus zu bekämpfen. die haben immer die Schwachen und Fremden als Feindbild, aber sie haben keine Analyse des Systems, sie durchschauen es nicht. Deswegen gibt es ja so wenige intellektuelle Rechte. Vielleicht ist das System so komplex, dass man es nicht einfach stürzen kann, weil wir alle in diesem System funktionieren, aber auch davon profitieren? Wir profitieren davon? Natürlich nicht in dem Sinn, dass wir reich werden, oder wirkliche Macht ausüben, aber das kapitalistische System lässt uns nicht verhungern, es bietet uns eine funktionierende Infrastruktur, es gibt zumindest die Möglichkeit des Wohlstands und eine Demokratie. Ja, klar, wir sind Sklaven, Nutznießer, Komplizen und Erfüllungsgehilfen, wir werden nicht so offensichtlich ausgebeutet. Aber es gibt trotzdem Ausbeutung, auch hier in Deutschland gibt es arme Menschen, Menschen, die ausgeschlossen werden, die planmäßig in die Armut gedrängt werden, um den Rest zu disziplinieren. Der Arbeitslose wird so sehr drangsaliert, weil man will, dass die, die noch Arbeit haben, niedrige Löhne akzeptieren, nur damit sie nicht zu staatlich gegängelten Almosenempfängern werden. Weißt du, was das Perfideste an der Ausbeutung ist? Das hat schon Marx erkannt. Was genau ist perfide? Dass sie mit der Lüge verbunden ist, mit der Täuschung. Die Menschen können nur ausgebeutet werden, wenn sie sich ihrer Ausbeutung bewusst sind. Offene Ausbeutung ertragen Menschen nicht. Wenn sie merken, dass man sie verachtet, und Ausbeutung ist immer menschenverachtend, dann müssen sie aufbegehren, weil sie verzweifeln. Oder sie verzweifeln und bleiben ein Leben lang das, was Marx auch sagte: Ein Heer armer Teufel ohne jede Aussicht auf Hoffnung. Ja, stimmt, das hat Marx gesagt. Er meinte damit: Wenn ihr euch nicht organisiert, dann bleibt ihr arme Teufel. Das stimmt ja auch, diese Analyse ist heute noch genauso aktuell wie damals. Aber wie soll diese Organisation zustande kommen? Das ist die Frage, das ist das Problem. Bei Marx war alles noch einfach. Damals gab es die Arbeiterklasse, die Proletarier, die haben in Fabriken oder Minen gearbeitet, oder waren Tagelöhner, aber die hatten im Idealfall ein Klassenbewusstsein. Die wussten, dass sie arme Teufel sind und die gingen jeden Tag zur Arbeit und kannten sich und abgesehen von Streikbrechern waren sie keine gegenseitigen Konkurrenten. Und heute? Ja, heute, also, es gibt heute auch Arbeiter, aber erstens viel weniger und zweitens immer mehr Menschen, die zwar arbeiten und ausgebeutet werden, aber sie haben nicht das Klassenbewusstsein. Sie haben es nicht, weil sie in keine festen Strukturen eingebunden sind, die arbeiten ein halbes Jahr da, dann da, sie sind nicht organisiert, das ist natürlich ein Vorteil für das System. Und sie werden ruhiggestellt. Opium fürs Volk? Ja, das war früher die Religion. Das heutige Opium ist Medienkonsum, Konsum an sich. Das, was die Menschen da an Medien konsumieren, ist natürlich nicht das, was man Bildungsfernsehen nennt, es geht darum, die Leute einzulullen und natürlich, na ja, auf gewisse Art doch zu erziehen. In welcher Hinsicht? Diese ganzen Castingshows folgen einem ganz simplen, aber radikalen kapitalistischen System. Es geht um Wettbewerb. Du bist ein Produkt, das sich präsentiert und hofft, im Wettbewerb mit anderen Produkten zu gewinnen. Und um zu gewinnen, musst du dich dem anpassen, was die Jury, also das System, will. Heidi Klum will, dass man sich als Sexobjekt darstellt, um Erfolg zu haben, also tut man es. Dieter Bohlen will, dass man sich zum Deppen macht, also tut man es. Das ist die schlechteste Art der Erziehung, die man sich vorstellen kann und wenn jemand heute wirklich revolutionär denkt, müsste er eigentlich Sendeanlagen und Internetkabel angreifen. Womit ich keineswegs sage, dass ich das gutheißen würde, ich sage lediglich, dass ich die Logik, die hinter dieser möglichen Handlung stehen würde, nicht unschlüssig finde. Wie stehst du zu politischer Korrektheit? Kommt drauf an. Ein Beispiel: Jemand wurde als rassistisch kritisiert, weil er eine dunkelhäutige Frau Südländerin nannte. Denn, so die Logik, wer sagt, dass Dunkelhäutige aus dem Süden kommen, der spricht beispielsweise dunkelhäutigen Schwedinnen ab, dass sie aus Schweden kommen können. (lacht): Okay, da hat sich jemand sehr grundlegende Gedanken gemacht, aber die Absicht war sicher redlich. Wir sieht es mit Gewalt aus? Ich lehne Gewalt ab, kann aber nur für mich sprechen und nicht für alle Menschen aus dem linken Spektrum. Was für eine Art Gewalt: gegen Menschen oder gegen Sachen? Ich lehne beides ab. Auch Gewalt gegen Bundeswehrfahrzeuge, oder Luxusautos? Bei den Luxusautos hat man oft herausgefunden, dass das gar keine Linken waren, manchmal waren das sogar die Besitzer selbst, die die Versicherung betrügen wollten. Bei den Bundeswehrfahrzeugen dürfte das als Grund wohl entfallen. Da kann ich es mir nur so erklären, dass die Täter diese Fahrzeuge als Kriegswerkzeuge sahen und ihre Tat dadurch legitimiert, dass sie diese Kriegswerkzeuge eben zerstört haben. Ich persönlich finde es nicht gut, ich bin ein friedlicher Typ, mein Ding ist das nicht, ich halte mich da raus. Hier in <strong>Augsburg</strong> ist die Antifa sehr friedliebend, in Berlin, Leipzig oder Hamburg sind die Leute viel radikaler und haben eine andere Einstellung zu Gewalt. Gewalt gegen Nazis? Nur zur Selbstverteidigung. Muss die Demokratie eine rechte Partei aushalten? Die AfD ist jedenfalls eine Partei, die rassistisch und fremdenfeindlich und kleinbürgerlich ist, aber das gärt ja schon lange im Land. Diese Leute sind einfach da, ob auf der Straße oder im Parlament, der braune Bodensatz ist jetzt halt nach oben gekommen, insoweit hat sich nur etwas in der Hinsicht geändert, dass sich die Rechten offen zeigen. Sie sind also schon ein Gegner, aber keiner, den man mit militanten Mitteln bekämpfen sollte, das wäre kontraproduktiv. Wieso haben Linke oft ein Problem mit dem Begriff Volk? Weil dahinter oft eine völkische Ideologie steht, Blut und Boden, weil der Begriff Volk immer andere Menschen ausschließt, die nicht dazugehören, daraus entstehen Nationalismus und Hass. Das, was man Familie nennt, schließt auch andere Menschen aus. (überlegt) Ja, gut, das stimmt, aber Familien sind kleine Strukturen, die sich nicht erst durch eine Flagge, eine Grenze, eine nationale Identität definieren. So utopisch, dass man alle Grenzen auflösen will und alle Identitäten, sind nicht mal die Leute von der Antifa. Es gibt auch diese Form von Lokalpatriotismus, dass Leute sich über ihre Stadt oder ihren Fußballverein definieren, aber die Konflikte, die daraus entstehen können, sind völlig andere als die zwischen sogenannten Völkern. Man muss nicht bis aufs Kleinste herunterbrechen, wichtig ist eben, dass man aus ıIn der BRD sehe ich gerade keine linke Dynamik, die den Umsturz will, das ist erschreckend und schade!„ einem übersteigerten Wir-Gefühl heraus nicht in Feindschaft zu den anderen, sogenannten Völkern, Städten, Fußballvereinen oder Familien, lebt. Nationalstolz ist für mich überhaupt etwas Unsinniges, weil man selbst nichts dazu beigetragen hat, zufällig in einem bestimmten Land geboren worden zu sein. Also kein Volk. Nein, Menschen statt Volk, das schließt niemanden aus.
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