DAS MUSEUM FÜR ALLE – IMPERATIV ODER ILLUSION?
Bodenseesymposium2015_web
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REFERAT<br />
<strong>DAS</strong> INTERNATIONALE<br />
ROTKREUZ- UND ROTHALBMOND<strong>MUSEUM</strong> <strong>–</strong><br />
ERFAHRUNGEN MIT GEISTIG<br />
BEHINDERTEN MENSCHEN<br />
Lic. phil. Marie-<br />
Dominique de Preter ist<br />
Leiterin der Vermittlung<br />
und der Museumspädagogik,<br />
lic. phil. Catherine<br />
Burer ist Projektleiterin<br />
und Leiterin der Sammlungen<br />
im Internationalen<br />
Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum<br />
in Genf<br />
Ein Museum wirklich für alle zu gestalten, das war die Herausforderung bei der Renovation des<br />
Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseums im Hinblick auf seine Neueröffnung 2013.<br />
Die Geschichte, die im Museum erzählt wird, «Das humanitäre Abenteuer», ist ein universales<br />
Thema, ein Thema, das alle betrifft <strong>–</strong> und deswegen sollte das Museum auch für alle offen sein.<br />
Die Dauerausstellung ist thematisch in drei Hauptthemen gegliedert und zeigt drei zeitgenössische<br />
Problematiken, die alle angehen: Die Menschenwürde verteidigen, die Familienbande<br />
wiederherstellen, die Risiken von Naturgefahren begrenzen.<br />
Als das Museum renoviert wurde, stellte sich die Frage, welchen Beitrag ein Museum im Zeitalter<br />
der schnellen Information leisten könne?<br />
Wir haben drei Antworten vorgeschlagen.<br />
ERSTENS kommt die Emotion durch Bilder, durch visuelle Schocks oder durch sensorische<br />
Effekte <strong>–</strong> wie der riesige Fuss, der die Missachtung der Menschenwürde symbolisiert, oder wie<br />
beim Durchqueren von Ketten.<br />
ZWEITENS schlagen wir Interaktivität vor: Durch ein Lernspiel über die Prävention von Katastrophen,<br />
durch eine interaktive Wand, die man berühren kann, um selber etwas zu ändern, oder<br />
durch das Faksimile von Karteikarten der Internationalen Agentur für Kriegsgefangene mit Namen<br />
von Gefangenen, die jeder Besucher in die Hand nehmen kann.<br />
DRITTENS zeigen wir persönliche Erfahrungen: Das geschieht durch zwölf Zeugen, die dem<br />
Museumsbesucher ihre persönliche Geschichte erzählen. Ihre Geschichte voller Hoffnung regt<br />
jeden an, für eine menschlichere Welt zu kämpfen. (Abb. 1&2)<br />
Weil das Museum für alle offen sein sollte, sind alle Texte in der Ausstellung in drei Sprachen<br />
verfasst, in Französisch, Englisch und Deutsch. Den Audioguide gibt es gar in acht Sprachen. Die<br />
freiwilligen Museumsführerinnen und -führer, die aus 20 Ländern kommen, machen Führungen in<br />
zwölf Sprachen. Der Audioguide ist für den Besuch der Ausstellung nötig wie auch für das Zuhören<br />
der Zeugen, welche der rote Faden der Ausstellung sind. Dazu kommen spezielle Audioguides<br />
für Kinder und für Jugendliche.<br />
Als Museum, das in seiner Ausstellung Werte wie «Respekt» und «Menschenwürde» und Themen<br />
wie der Schutz der Geschwächten im Krieg oder in Katastrophensituationen hervorhebt, soll das<br />
Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum alle möglichen Publikumsgruppen ansprechen.<br />
Deswegen soll der Zugang für Menschen mit Behinderungen selbstverständlich sein.<br />
Um die Projekte, die wir vorstellen, zu verwirklichen, wurden folgende Massnahmen vorgenommen:<br />
■ Die Räumlichkeiten wurden für Personen mit beschränkter Mobilität angepasst.<br />
■ Die Vitrinen und die Beschriftungen wurden tiefer als normal gesetzt.<br />
■ Eine speziell für gehörlose und hörbehinderte Menschen ausgebildete Museumsvermittlerin<br />
ersetzt den Audioguide für dieses spezifische Publikum.<br />
■ Eine Audioguide-Führung mit Audiodeskription wurde für blinde und sehbehinderte Menschen<br />
realisiert.<br />
■ Das Heft «Pas à pas» und eine für Personen mit geistiger Behinderung angepasste Führung<br />
wurden initiiert und weiterentwickelt.<br />
Wir möchten im vorliegenden Beitrag auf zwei Erfahrungen eingehen: auf die Erfahrung mit Jugendlichen<br />
und auf die Erfahrung mit Menschen mit geistiger Behinderung. Die erste Erfahrung<br />
Abb. 1<br />
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