DAS MUSEUM FÜR ALLE – IMPERATIV ODER ILLUSION?
Bodenseesymposium2015_web
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Museum der industriellen Arbeitswelt in dem Moment, in dem alle benötigten Exponate gefunden<br />
waren und die Informationen übermittelt waren.“ 10 Die Enttäuschung der Beteiligten war aufgrund<br />
dieser Entwicklung entsprechend gross. Man hatte zwar „ein Museum mit neuen Inhalten,<br />
aber alten Organisationsstrukturen“ 11 geschaffen. „Die politische Dimension, die der Aufbau des<br />
Museums mit sich gebracht hatte, schlug in Resignation um.“ 12<br />
Seit 1987 wurde das Museum Arbeitswelt mit 27 Ausstellungen <strong>–</strong> Eigenproduktionen und Leihausstellungen<br />
<strong>–</strong> bespielt. Themen wie Automatisierungstechnik, Computer- und Netzwerktechnik<br />
ebenso wie sozialhistorische und gesellschaftspolitische Themen wie katholische Soziallehre,<br />
Frauenarbeit, europäische Migrationsgeschichte u.v.m. prägten das Ausstellungsgeschehen des<br />
Museums und sind Beleg für das gesellschaftspolitische Engagement des Hauses, um ein offenes<br />
Museum für alle zu sein.<br />
Seit 2006 präsentiert das Museum Arbeitswelt die Dauerausstellung «working_world.net <strong>–</strong><br />
Arbeiten und Leben in der Globalisierung». Der Fokus der Auseinandersetzung lag nun auf der<br />
Gegenwart und Zukunft. Die historische Vergangenheit wurde in diesem Konzept nur mehr herangezogen,<br />
um „an der einen oder anderen Stelle Blick und Urteilsvermögen stärken“ 13 zu können.<br />
„Diesmal gilt das Interesse nicht mehr der Geschichte, sondern vielmehr der Frage, welche<br />
Auswirkungen die immer dichter werdende internationale Verflechtung der Produktion auf die<br />
Arbeitssituation haben wird und in welche Richtung die Arbeitsgesellschaft geht. Im Zentrum<br />
steht nicht mehr das Woher, sondern das Wohin.“ 14 An die Stelle der Inklusion von Partizipierenden<br />
in Recherche und Gestaltung traten Expertinnen und Experten sowie Künstler und Künstlerinnen.<br />
Wissenschaftliche Aufbereitung und künstlerische Interventionen ersetzten Laienforschergruppen<br />
und das Lernen an lebensnahen Themen. Ausserdem versuchte man als provokante Idee,<br />
keine Exponate in Vitrinen zu zeigen. Die neue Art der Gestaltung sollte einen Blick auf dynamische<br />
Prozesse ermöglichen und Begriffe wie Globalisierung sichtbar und erlebbar machen. 15 „Es<br />
gibt nicht ‚die’ Exponate, die gezeigt werden <strong>–</strong> es sind abstrakte Themen und aktuelle Begriffe<br />
aus der Arbeitswelt wie Flexibilität, Netzwerke und Globalisierung etc. (...) Der Ansatz ist eher die<br />
‚Nicht-Gestaltung’ <strong>–</strong> das heisst, Folien zu entwickeln, auf denen die komplexen Inhalte visualisiert<br />
werden können.“ 16 Ohne gezielte Wegführung versuchte die Ausstellung „ein dichtes (Sinn-) Gewebe<br />
zu schaffen, innerhalb dessen sich die Besucher und Besucherinnen <strong>–</strong> individuell, für sich<br />
<strong>–</strong> die Bedeutung des gegenwärtigen Wandels erschliessen können.“ 17<br />
möchten wir in Zukunft mehr denn je in Richtung Frage nach der Menschenwürde in den Arbeitsund<br />
Lebensbedingungen weiter entwickeln. Zumal der Fokus auf die Würde des Menschen für uns<br />
vor allem die Auseinandersetzung mit Handlungsspielräumen und Entscheidungsoptionen jeder<br />
einzelnen Person in der Arbeits- und Lebenswelt beinhaltet.<br />
Inspiriert von Oskar Negt ist es uns ein Anliegen, nachhaltiges demokratisches Lernen durch<br />
Erkennen der Handlungsspielräume in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu fördern. Um sich<br />
als Museum aktiv in der Bildungsarbeit zu engagieren und als offener Diskurs- und Lernort zur<br />
Verfügung zu stehen, ist es entscheidend, sich bewusst zu machen, wer man ist, wo man ist und<br />
was die historische Identität prägt. Das Museum Arbeitswelt Steyr ist (wer:) ein Spezialmuseum<br />
(wo:) in einer mittelgrossen österreichischen Stadt. Bis 1945 wurde die Geschichte und Gesellschaft<br />
der Stadt wirtschaftlich, sozial und politisch stark (was:) von der industriellen Monokultur<br />
der Metall- und Waffenproduktion geprägt. Wirtschaftskrisen und Hochkonjunkturen hatten jeweils<br />
starke soziale, ökonomische und politische Auswirkungen. Extreme Armut in der Zwischenkriegszeit,<br />
die Kämpfe im Februar 1934, Austrofaschismus und Nationalsozialismus (inkl. eines<br />
KZ-Nebenlagers in Steyr) haben ihre Spuren hinterlassen. Unsere Hypothese lautet daher: Um<br />
in Österreich Demokratie nachhaltig zu erlernen, zu fördern und zu leben, ist es notwendig, die<br />
Lehren aus der eigenen faschistischen Vergangenheit zu ziehen. Mit Oskar Negt verstehen wir<br />
darum Austrofaschismus, Nationalsozialismus und den 2. Weltkrieg als «Lernprovokation», bei<br />
der wir uns die Frage stellen: „Wie kommt es, dass eine ganze Gesellschaft verrückt wird und<br />
einen hochzivilisierten Rückfall in die Barbarei erleidet?“ 18<br />
Der Vergleich der Ausstellung «Arbeit Mensch Maschine» und «working_world.net» erlaubt es<br />
der heute im Museum Arbeitswelt tätigen Generation, Schlüsse daraus zu ziehen, wie die Zukunft<br />
der Ausstellungsarbeit aussehen kann und muss. Basierend auf den Wurzeln von «Grabe wo du<br />
stehst» und den Ansprüchen, ein „offenes Museum“ zu sein, aber auch um neue Wege, Methoden<br />
und Formate zu beschreiten. Welche Anforderungen stellt das Museum Arbeitswelt heute an die<br />
Gestaltung und Vermittlung für morgen?<br />
Das Museum Arbeitswelt war und ist kein Science Center und kein technisches Museum. Es<br />
wird weiterhin den Menschen in der (industriellen) Arbeitswelt ins Zentrum seiner Darstellung<br />
stellen. Als sozialhistorisches Spezialmuseum ergibt sich zudem der Auftrag, einen zusätzlichen<br />
Schwerpunkt auf demokratisches Lernen und emanzipatorische Themen zu legen. Diesen Auftrag<br />
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