06.06.2016 Aufrufe

De:Bug 174

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Text Claude Speeed<br />

Die leiernden<br />

Highlands<br />

Schottische<br />

Folk Musik<br />

Ist das Melancholische der Boards of Canada<br />

die musikalische Entsprechung ihrer schottischen<br />

Heimat? <strong>De</strong>r Highlands, des Nebels und<br />

der Küsten mit verlassenen Horchposten des<br />

Militärs? DE:BUG fragt einen, der es wissen<br />

muss. Claude Speeed wuchs gleich nebenan<br />

auf und kennt sich aus in der Musikszene rund<br />

um Edinburgh.<br />

Ich lernte die Boards of Canada kennen, als ich noch in<br />

Edinburgh zur Schule ging. Zum Release von "Music Has<br />

The Right To Children" hatte der NME "Roygbiv" auf die<br />

Heft-CD genommen. Ich fand den Track so gut, dass ich mir<br />

sofort das Album gekauft habe. Was für eine Enttäuschung:<br />

mir war es teilweise zu schräg und ich habe es einfach<br />

nicht verstanden. Zum Glück hatte ich es meinem besten<br />

Freund ausgeliehen und er hat gleich den ganzen Tag damit<br />

verbracht, das Album auf Repeat zu hören. Als wir uns<br />

am nächsten Tag in der Schule beim Mittagessen trafen,<br />

sagte er: "Was auch immer du noch auf dem Stundenplan<br />

hast, das fällt aus - komm mit, du musst dir das anhören."<br />

Das haben wir dann gemacht, auch am nächsten Tag, und<br />

eigentlich für den Rest unserer Schulzeit. Wir haben uns im<br />

Musikgebäude der Schule eingeschlossen und die Platte<br />

rauf und runter gehört.<br />

Dieser Moment im Nebel<br />

Boards Of Canada waren wirklich sehr zurückgezogene<br />

Typen. Ich glaube, dass ihre Musik so gesichtslos und auf<br />

eine Art unpersönlich ist, weil das eine Erweiterung dessen<br />

ist, wie sie auch wirklich sind. Erst neulich hat mir ein<br />

Freund erzählt, dass sie mit ihm zur Schule gingen - ich<br />

hatte keine Ahnung! Ich wüsste nicht, Teil welcher Szene<br />

sie gewesen sein sollten. Hier in Edinburgh hatten sie nach<br />

dem ersten Album auch keine Gigs mehr gespielt. Vielleicht<br />

hingen sie öfters in einem Plattenladen rum, aber so viele<br />

davon gibt es hier nun wieder auch nicht. Niemand, den<br />

ich kenne, hat sie jemals an einem Vinyl-Regal gesehen.<br />

Sie haben ihr kleines musikalisches Universum wirklich<br />

von allem und jedem getrennt.<br />

Eines Nachts - ich war fast 18 und gerade mit der<br />

Schule fertig -, nach einer Party der Kunsthochschule in<br />

Edinburgh, gingen ich und ein Freund zu einem Bekannten,<br />

der in den Pentland Hills lebte, wo sich auch das Studio der<br />

Boards befindet. Wir sind durch die hügelige Landschaft<br />

gelaufen, und da war so ein merkwürdiges Gebäude, hoch<br />

umzäunt, mit einem Schild: "Military zone, trespassers will<br />

be shot". Das klang ziemlich ernst, aber es sah eher nach<br />

einem Labor aus, als nach einer Militäreinrichtung. Wir<br />

waren natürlich vollkommen betrunken und dann kam da<br />

plötzlich noch dieser Typ, der erzählte, dass hier regelmäßig<br />

eigenartige Transporter mit bewaffneten Leuten vorbeikämen.<br />

Wie crazy ist das denn bitte!? Ich kann mich noch sehr<br />

gut an diesen Moment erinnern. Es war kalt und nebelig<br />

und der Sound von BoC ergab plötzlich viel mehr Sinn.<br />

<strong>174</strong><br />

<strong>De</strong>nn die Musik hat nichts mit Edinburgh zu tun, nichts mit<br />

Mittelklasse, Urbanität und House Music bei Cocktails. Die<br />

Boards klingen wie dieser Moment im Nebel in der Einöde<br />

der schottischen Landschaft. Das Gute ist, dass man in<br />

Edinburgh nicht weit fahren muss, um diesen Gegensatz<br />

zu spüren.<br />

Trotz der schottischen Wurzeln habe auch ich das<br />

Gefühl, dass sich die Band vor allem auf Nordamerika<br />

bezieht. Vor allem auch auf ihre eigene Erfahrung als<br />

Außenseiter dort. Und das filtern sie dann durch ihr bizarres<br />

Objektiv - es gibt ja nichts Amerikanisches<br />

oder Kanadisches, was so klingt wie BoC. Es ist ihre<br />

Interpretation dieser Andersartigkeit. Was ihre Einflüsse angeht,<br />

reden sie immer von der Incredible String Band, einer<br />

schottischen Folk-Gruppe. Auch bei der Instrumentierung<br />

gibt es Parallelen. Irgendwie wollen sie Folk machen, der<br />

sich dann mit dieser nostalgischen Dokumentar- und<br />

Public-Information-Film-Ästhetik mischt. Sie fabrizieren<br />

also eine eigene, seltsame Geschichte. Dieses ländliche<br />

und Natur-Element verbinden sie mit sehr unnatürlichen<br />

Dingen. Das ist im Kern sehr schottisch. Ein Gefühl, dass<br />

etwas Böses hinter der nächsten Ecke lauern könnte. Das<br />

Amerika-Stereotyp wäre ja, dass man sehr optimistisch in<br />

die Zukunft blickt.<br />

Am meisten beeinflusst hat mich bei BoC der Klang der<br />

Synthesizer. <strong>De</strong>r Sound ist immer leicht unkenntlich und<br />

verstimmt. Sie spielen die Melodie oft mit dem Bass, oder<br />

auch einen Haufen verschiedener Melodien gleichzeitig -<br />

da startet ein Keyboard eine Melodie, oder deutet sie nur<br />

an, und dann steigt irgendwann ein anderes Keyboard ein<br />

und ergänzt sie bzw. führt die Melodie zu Ende. Fast wie<br />

ein Call & Response.<br />

Sounds like Scotland<br />

Ich weiß nicht, ob BoC so einflussreich waren, dass sie -<br />

besonders in UK - quasi definieren konnten, was es bedeutet,<br />

ein schottischer Electronica-Act zu sein. Versuch<br />

mal, drei andere solche Gruppen aus Schottland Mitte der<br />

90er zu finden - schwierig. Mir fällt nur Christ ein, und der<br />

hat angeblich selbst einmal bei BoC mitgemacht. Christ<br />

hat ein Label, Benbecula, und alles, was dort erschienen<br />

ist, klingt zumindest ein bisschen nach Boards of Canada.<br />

Sie haben damals eben einen Sound definiert. Aber mittlerweile<br />

liegen die Einflüsse anders. Bei Rustie, Hudson<br />

Mohawke, und auch bei meiner Band (American Men) und<br />

meiner eigenen Musik erkennt man das: die extrem langen<br />

Melodien, die Sounds, die wirklich nach Hörnern und<br />

Flöten oder sogar nach einem Dudelsack klingen, nach etwas<br />

Dröhnendem, das lange klingt. Wenn ich dann sage,<br />

dass ich etwas als Schottisch empfinde, meine ich nicht direkt,<br />

dass die Schotten das erfunden hätten, sondern dass<br />

es idyllisch ist und nach freier Natur klingt. Nach Bergen,<br />

episch und schwermütig zugleich, wie Folk Musik.<br />

Claude Speeed wurde 1981 geboren und wuchs in Edinburgh auf.<br />

Er ist Teil der LuckyMe-Crew um Rustie, Hudson Mohawke, Lunice<br />

und Machinedrum. Ebendort erschien auch die erste EP seiner<br />

Band American Men. Nach Remixen für Kuedo, Kid606 und Martyn<br />

steht nun das <strong>De</strong>bütalbum des seit einer Weile in Berlin lebende<br />

Produzent in den Startlöchern. Im kommenden Herbst erscheint<br />

außerdem eine EP von Claude Speeed auf Planet Mu.<br />

15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!