De:Bug 174
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Text Claude Speeed<br />
Die leiernden<br />
Highlands<br />
Schottische<br />
Folk Musik<br />
Ist das Melancholische der Boards of Canada<br />
die musikalische Entsprechung ihrer schottischen<br />
Heimat? <strong>De</strong>r Highlands, des Nebels und<br />
der Küsten mit verlassenen Horchposten des<br />
Militärs? DE:BUG fragt einen, der es wissen<br />
muss. Claude Speeed wuchs gleich nebenan<br />
auf und kennt sich aus in der Musikszene rund<br />
um Edinburgh.<br />
Ich lernte die Boards of Canada kennen, als ich noch in<br />
Edinburgh zur Schule ging. Zum Release von "Music Has<br />
The Right To Children" hatte der NME "Roygbiv" auf die<br />
Heft-CD genommen. Ich fand den Track so gut, dass ich mir<br />
sofort das Album gekauft habe. Was für eine Enttäuschung:<br />
mir war es teilweise zu schräg und ich habe es einfach<br />
nicht verstanden. Zum Glück hatte ich es meinem besten<br />
Freund ausgeliehen und er hat gleich den ganzen Tag damit<br />
verbracht, das Album auf Repeat zu hören. Als wir uns<br />
am nächsten Tag in der Schule beim Mittagessen trafen,<br />
sagte er: "Was auch immer du noch auf dem Stundenplan<br />
hast, das fällt aus - komm mit, du musst dir das anhören."<br />
Das haben wir dann gemacht, auch am nächsten Tag, und<br />
eigentlich für den Rest unserer Schulzeit. Wir haben uns im<br />
Musikgebäude der Schule eingeschlossen und die Platte<br />
rauf und runter gehört.<br />
Dieser Moment im Nebel<br />
Boards Of Canada waren wirklich sehr zurückgezogene<br />
Typen. Ich glaube, dass ihre Musik so gesichtslos und auf<br />
eine Art unpersönlich ist, weil das eine Erweiterung dessen<br />
ist, wie sie auch wirklich sind. Erst neulich hat mir ein<br />
Freund erzählt, dass sie mit ihm zur Schule gingen - ich<br />
hatte keine Ahnung! Ich wüsste nicht, Teil welcher Szene<br />
sie gewesen sein sollten. Hier in Edinburgh hatten sie nach<br />
dem ersten Album auch keine Gigs mehr gespielt. Vielleicht<br />
hingen sie öfters in einem Plattenladen rum, aber so viele<br />
davon gibt es hier nun wieder auch nicht. Niemand, den<br />
ich kenne, hat sie jemals an einem Vinyl-Regal gesehen.<br />
Sie haben ihr kleines musikalisches Universum wirklich<br />
von allem und jedem getrennt.<br />
Eines Nachts - ich war fast 18 und gerade mit der<br />
Schule fertig -, nach einer Party der Kunsthochschule in<br />
Edinburgh, gingen ich und ein Freund zu einem Bekannten,<br />
der in den Pentland Hills lebte, wo sich auch das Studio der<br />
Boards befindet. Wir sind durch die hügelige Landschaft<br />
gelaufen, und da war so ein merkwürdiges Gebäude, hoch<br />
umzäunt, mit einem Schild: "Military zone, trespassers will<br />
be shot". Das klang ziemlich ernst, aber es sah eher nach<br />
einem Labor aus, als nach einer Militäreinrichtung. Wir<br />
waren natürlich vollkommen betrunken und dann kam da<br />
plötzlich noch dieser Typ, der erzählte, dass hier regelmäßig<br />
eigenartige Transporter mit bewaffneten Leuten vorbeikämen.<br />
Wie crazy ist das denn bitte!? Ich kann mich noch sehr<br />
gut an diesen Moment erinnern. Es war kalt und nebelig<br />
und der Sound von BoC ergab plötzlich viel mehr Sinn.<br />
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<strong>De</strong>nn die Musik hat nichts mit Edinburgh zu tun, nichts mit<br />
Mittelklasse, Urbanität und House Music bei Cocktails. Die<br />
Boards klingen wie dieser Moment im Nebel in der Einöde<br />
der schottischen Landschaft. Das Gute ist, dass man in<br />
Edinburgh nicht weit fahren muss, um diesen Gegensatz<br />
zu spüren.<br />
Trotz der schottischen Wurzeln habe auch ich das<br />
Gefühl, dass sich die Band vor allem auf Nordamerika<br />
bezieht. Vor allem auch auf ihre eigene Erfahrung als<br />
Außenseiter dort. Und das filtern sie dann durch ihr bizarres<br />
Objektiv - es gibt ja nichts Amerikanisches<br />
oder Kanadisches, was so klingt wie BoC. Es ist ihre<br />
Interpretation dieser Andersartigkeit. Was ihre Einflüsse angeht,<br />
reden sie immer von der Incredible String Band, einer<br />
schottischen Folk-Gruppe. Auch bei der Instrumentierung<br />
gibt es Parallelen. Irgendwie wollen sie Folk machen, der<br />
sich dann mit dieser nostalgischen Dokumentar- und<br />
Public-Information-Film-Ästhetik mischt. Sie fabrizieren<br />
also eine eigene, seltsame Geschichte. Dieses ländliche<br />
und Natur-Element verbinden sie mit sehr unnatürlichen<br />
Dingen. Das ist im Kern sehr schottisch. Ein Gefühl, dass<br />
etwas Böses hinter der nächsten Ecke lauern könnte. Das<br />
Amerika-Stereotyp wäre ja, dass man sehr optimistisch in<br />
die Zukunft blickt.<br />
Am meisten beeinflusst hat mich bei BoC der Klang der<br />
Synthesizer. <strong>De</strong>r Sound ist immer leicht unkenntlich und<br />
verstimmt. Sie spielen die Melodie oft mit dem Bass, oder<br />
auch einen Haufen verschiedener Melodien gleichzeitig -<br />
da startet ein Keyboard eine Melodie, oder deutet sie nur<br />
an, und dann steigt irgendwann ein anderes Keyboard ein<br />
und ergänzt sie bzw. führt die Melodie zu Ende. Fast wie<br />
ein Call & Response.<br />
Sounds like Scotland<br />
Ich weiß nicht, ob BoC so einflussreich waren, dass sie -<br />
besonders in UK - quasi definieren konnten, was es bedeutet,<br />
ein schottischer Electronica-Act zu sein. Versuch<br />
mal, drei andere solche Gruppen aus Schottland Mitte der<br />
90er zu finden - schwierig. Mir fällt nur Christ ein, und der<br />
hat angeblich selbst einmal bei BoC mitgemacht. Christ<br />
hat ein Label, Benbecula, und alles, was dort erschienen<br />
ist, klingt zumindest ein bisschen nach Boards of Canada.<br />
Sie haben damals eben einen Sound definiert. Aber mittlerweile<br />
liegen die Einflüsse anders. Bei Rustie, Hudson<br />
Mohawke, und auch bei meiner Band (American Men) und<br />
meiner eigenen Musik erkennt man das: die extrem langen<br />
Melodien, die Sounds, die wirklich nach Hörnern und<br />
Flöten oder sogar nach einem Dudelsack klingen, nach etwas<br />
Dröhnendem, das lange klingt. Wenn ich dann sage,<br />
dass ich etwas als Schottisch empfinde, meine ich nicht direkt,<br />
dass die Schotten das erfunden hätten, sondern dass<br />
es idyllisch ist und nach freier Natur klingt. Nach Bergen,<br />
episch und schwermütig zugleich, wie Folk Musik.<br />
Claude Speeed wurde 1981 geboren und wuchs in Edinburgh auf.<br />
Er ist Teil der LuckyMe-Crew um Rustie, Hudson Mohawke, Lunice<br />
und Machinedrum. Ebendort erschien auch die erste EP seiner<br />
Band American Men. Nach Remixen für Kuedo, Kid606 und Martyn<br />
steht nun das <strong>De</strong>bütalbum des seit einer Weile in Berlin lebende<br />
Produzent in den Startlöchern. Im kommenden Herbst erscheint<br />
außerdem eine EP von Claude Speeed auf Planet Mu.<br />
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