De:Bug 174
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<strong>174</strong> — film text Christian Blumberg<br />
Staunen<br />
und Sterben<br />
in Rom<br />
Paolo<br />
Sorrentinos<br />
"La Grande<br />
Bellezza"<br />
In diesem Sommer sollte man nach Rom fahren,<br />
um von einer jener schönen Brücken zu<br />
springen. Das könnte jedenfalls meinen, wer<br />
diesen Film sieht, die nicht gerade erbauliche<br />
Bestandsaufnahme eines Lebens. Paolo "Il<br />
Divo" Sorrentino nimmt mit Fellini Anlauf um<br />
mit Schwung in opulenter Leere zu landen. Eine<br />
Zukunft gibt es für uns alle nicht.<br />
Die "Bellezza Grande", die gewaltige Schönheit, das ist<br />
natürlich Rom. Rom ist bekanntlich so schön, dass selbst<br />
Thomas Bernhard sich dort ganz OK fühlte, obwohl der<br />
sich doch stets als rigoroser Alles-Verächter gefiel. In der<br />
wirklich wahnsinnig prätentiösen Eröffnungssequenz dieses<br />
Films fängt die Kamera beiläufig einen Touristen ein,<br />
der seinem Reisebus entsteigt und gerade noch ein Foto<br />
schießen kann, bevor er angesichts der Schönheit Roms<br />
einfach tot umkippt. Die Kamera kann daran überhaupt<br />
nichts Besonderes finden, sie fährt einfach weiter. Es folgt<br />
ein Schnitt auf einen Mann (gespielt von Toni Servillo), der<br />
gegen ein solch unspektakuläres Ableben wohl nicht viel<br />
einzuwenden hätte. Da er aber Römer ist, ist es ihm nicht<br />
vergönnt. Also feiert er, das kann er nämlich ganz gut. Dieser<br />
Mann heißt Jep Gambardella. Nennen wir ihn Jep, so<br />
wie es alle tun auf dieser Party, deren heimlicher König Jep<br />
ist. Die Party ist wie sein Leben: Alles wartet auf den Drop,<br />
doch der kommt einfach nicht – sie ist also nicht eigentlich<br />
gut. Eine eigentümliche Festgesellschaft aus Schauspielerinnen,<br />
Romanciers, Hipstern und reichen alten Typen<br />
tanzt hier Polonaise. Zu sehr lausigen Sommerbeats<br />
("Yolanda Be Cool: We No Speak Americano"), auf einer<br />
Terrasse nahe der Via Veneto. Unter einem Nachthimmel,<br />
an dem kein Mond prangt, sondern das Martini-Logo in<br />
Form einer Leuchtreklame.<br />
Die Leere des süßen Lebens<br />
Ihr Licht fällt also auf jene Straße, an der einst Marcello<br />
Mastroianni Zerstreuung suchte, nur ein paar Schritte<br />
weiter sah er Anita Ekberg beim Baden in der Fontana di<br />
Trevi zu. Das war 1960 in Federico Fellinis "La Dolce Vita".<br />
Mastroianni gab den galanten Journalisten inmitten<br />
einer mondänen Society, deren süßes Leben lediglich ein<br />
selbstverordnetes Narkotikum war, mit dem sich die Sinnlosigkeit<br />
des eigenen Daseins übertünchen ließ. Auch Jep<br />
Gambardella ist Journalist. Die bizarr inszenierte Welt, in<br />
der er sich bewegt, hätte sich ebenso gut Fellini ausdenken<br />
können. Das reicht von den Kostümen über die (oft ins<br />
Fantastische kippenden) Szenerien bis zu den kontrastreichen<br />
Bildkompositionen. Vom (späteren) Fellini hat Sorrentino<br />
außerdem gelernt, dass sich die Leere des Lebens am<br />
besten eben nicht mit tristem Realismus darstellen lässt,<br />
sondern mit ausschweifender Artifizialität. Tatsächlich<br />
wirkt "La Grande Bellezza" oft wie ein Gegenschuss zu "La<br />
Dolce Vita" aus einer anderen Zeit. Seine Erzählstruktur<br />
(eher ein Mosaik als eine Erzählung) bedient sich bei Fellinis<br />
"8 1/2", und die Nähe zu "Roma", Fellinis filmischem<br />
<strong>De</strong>nkmal der ewigen Stadt, ist auch nicht zu übersehen.<br />
<strong>De</strong>r aus Cannes vernehmbare Vorwurf des Rip-Off's trifft<br />
dennoch knapp daneben, schließlich weiß Sorrentino sehr<br />
genau, dass der existentialistische Kern seiner filmischen<br />
Vorbilder niemanden mehr aus dem Kinosessel reißt. Er<br />
lässt ihn einfach weg. Sorrentino hat keine Message, er will<br />
die große Leere weder sezieren noch beklagen. Allein eine<br />
schöne Form will er ihr beibringen. Die wirkt dann ganz<br />
von alleine. Vom Gelingen dieses Vorhabens zeugen die<br />
theaterhafte Beleuchtung, eindrückliche Panoramen und<br />
barocke Kamerafahrten. Und hatte Fellini vielleicht eine<br />
Steadycam? Eben.<br />
Stadium der Vergletscherung<br />
Die visuelle Fulminanz bleibt jedoch ästhetischer Selbstzweck.<br />
Während die Kamera in steter Bewegung ist und offensichtlich<br />
dem vollkommenen Leinwandbild nachspürt,<br />
befindet sich Sorrentinos Protagonist längst in einem Stadium<br />
der Vergletscherung. <strong>De</strong>r 65-jährige Jep ist Zyniker<br />
durch und durch. Er lebt noch immer von dem Ruf eines<br />
in jungen Jahren veröffentlichten Romans, ein Sturm-und-<br />
Drang-Text, an dessen Inbrunst Jep nun beim besten Willen<br />
nicht mehr anknüpfen kann. Dann wäre da noch eine<br />
nicht verwundene Jugendliebe. Doch gleich zu Beginn<br />
des Films erhält er die Nachricht ihres Ablebens. Es bleibt<br />
also nichts, was seinen Zynismus überhaupt noch einmal<br />
herausfordern könnte. Es liegt daher auch eine gewisse<br />
Kälte im Blick des Films auf seinen Protagonisten. Auch<br />
das Drehbuch hält für Jep nur wenig Überraschendes parat.<br />
Er ist eben eine postklassische Figur, die in erster Linie<br />
das eigene Nichterleben erlebt. Man sieht ihn tagsüber in<br />
seiner Hängematte liegen, in direkter Nachbarschaft des<br />
Kolosseums erwartet er den Abend, die nächste Party, ein<br />
angenehm folgenloses Tête-à-tête. Manchmal flaniert er<br />
durch die schöne Stadt, die in diesem Film meist zu einem<br />
menschenleeren Museum verkommen ist. Oder Jep beklatscht<br />
mit größtmöglicher Verachtung anachronistisch<br />
anmutende Performancekunst bzw. deren befremdliches<br />
Bemühen um den möglichst authentischen Ausdruck.<br />
Eine bis auf eine Augenbinde entblößte Frau, die sich die<br />
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La Grande Bellezza (IT, 2013)<br />
Regie: Paolo Sorrentino<br />
dt. Kinostart: 25.07.2013