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De:Bug 174

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interview Michael Döringer & Thaddeus herrmann <strong>174</strong><br />

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Warum hat es so lange gedauert mit dem neuen Album?<br />

War die Produktion von "Tomorrow's Harvest" ein konzentrierter,<br />

geschlossener Prozess, oder habt ihr über<br />

all die Jahre ständig aufgenommen und irgendwann gemerkt,<br />

dass sich alles langsam zu einem neuen Album<br />

geformt hat?<br />

Mike: Eher letzteres. Wir sind immer an neuen Tracks<br />

dran, hatten aber gleichzeitig eine sehr genaue Vorstellung<br />

davon, wie das neue Album klingen soll. Nach unserer letzten<br />

EP ("Trans Canada Highway", 2006, Anm. d. Red.), haben<br />

wir uns eine kleine Auszeit genommen, um uns eine<br />

Weile auch auf andere Projekte konzentrieren zu können, die<br />

nichts mit Musik zu tun haben. Später haben wir noch unser<br />

Studio ausgebaut und erweitert. Das hat das Fertigstellen<br />

des Albums immer wieder unterbrochen und etwas langwierig<br />

gemacht.<br />

Das Album macht klanglich und visuell viele klare<br />

Ansagen. Was das Cover angeht: Da ist die Silhouette<br />

einer Stadt am Horizont im 8mm-Look, farbenfroh und<br />

doch merkwürdig distanziert. Im Sound des Albums findet<br />

man dieselbe interessante Unentschiedenheit. Die<br />

Tracks wurzeln in tiefer Darkness, versprühen gleichzeitig<br />

aber eine Art abstrakter Wärme. Das ist alles schwer<br />

greifbar und wirkt dennoch sehr vertraut. Kurz gefragt:<br />

Vertont ihr eine Utopie oder eine Dystopie?<br />

Marcus: Es geht darum, die in der Trostlosigkeit verborgene<br />

Schönheit zu entdecken. Wir fühlen uns von der<br />

Atmosphäre von zerstörten, verlassenen Orten stark angezogen.<br />

Dieses bittersüße Element wollten wir von Anfang an<br />

in unserer Musik umsetzen. Musik zu machen, die einfach<br />

nur finster ist, erscheint uns als zu einfach und naiv. <strong>De</strong>shalb<br />

suchen wir ständig nach der perfekten Balance zwischen<br />

Licht und Dunkelheit. Wenn man es schafft, einen doppelten<br />

Boden in seine Musik einzuflechten, dann sind die Hörer<br />

auf einmal gefordert: Die "emotionale Arbeit" muss selbst<br />

übernommen und Entscheidungen getroffen werden, die wir<br />

Musiker offen lassen. Und das gibt uns die Möglichkeit, die<br />

Musik mit subversiven Dingen anzureichern, die sich nicht<br />

zwangsläufig und sofort von selbst erklären oder sichtbar<br />

werden.<br />

Warum habt ihr diesen Weg gewählt?<br />

Mike: Ich glaube, dass wir uns wie die meisten Menschen<br />

stark zu dystopischen Bildern hingezogen fühlen. Das ist<br />

ganz natürlich. Und ganz besonders postzivilisatorische<br />

Welten - das könnte mit der unterbewussten Erkenntnis zu<br />

tun haben, dass unser tagtägliches Leben viel zu überladen,<br />

hektisch und unnatürlich geworden ist.<br />

Schaut man sich alle eure Veröffentlichungen an, dann<br />

erscheint einem "Tomorrow's Harvest" wie eine Art<br />

BoC-Grundkurs - eine extrem klar definierte Erkundung<br />

von musikalischen Bereichen, die ihr früher schon bearbeitet<br />

habt. Stimmt das so?<br />

Marcus: Wir sind nicht bewusst zu unserer Frühphase<br />

zurückgekehrt, haben aber Instrumente und vor allem<br />

Methoden verwendet, die man von unseren sehr frühen<br />

Aufnahmen kennt. Besonders die Synthesizer, die Arpeggios<br />

und unser Sampling. Das liegt daran, dass wir uns für jedes<br />

Album bestimmte Motive und Themen überlegen. Wir einigen<br />

uns dann auf eine beschränkte Palette von Sounds; wie<br />

es klingen sollte, hatten wir dadurch grob vor Augen. Aber<br />

was man auf unseren Platten hört, ist ja nur ein winziger<br />

Teil dessen, was wir schreiben und produzieren. <strong>De</strong>r Großteil<br />

unseres Archiv-Materials war zu keinem Zeitpunkt für eine<br />

Platte vorgesehen.<br />

Wie sieht die Idee von "Tomorrow's Harvest" konkret aus?<br />

Worauf wolltet ihr hinaus?<br />

Marcus: Es soll dazu ermuntern, innezuhalten und sich<br />

darüber Gedanken zu machen, wo wir uns gerade befinden<br />

und wohin uns unser Weg führt. Ich würde sagen, dass es<br />

im Grunde ein politisches Album geworden ist. Aber wir wollen<br />

das nicht zu detailliert ausbreiten. Es ist wichtig, dass die<br />

Hörer ihre eigene Bedeutung darin finden.<br />

Man hat das Gefühl, dass ihr ein bisschen das Interesse<br />

an lädierten, unperfekten Sounds verloren habt. Viele<br />

der neuen Tracks klingen fast schon poliert, auf jeden<br />

Fall sehr präzise und makelloser als vieles, was man bisher<br />

von euch kennt. Wie zum Beispiel bei "Cold Earth"<br />

oder "Come To Dust".<br />

Mike: Im Studio verbringen wir zwar immer noch viel Zeit<br />

damit, den Klang unserer Musik Schritt für Schritt zu zerstören,<br />

aber der Eindruck täuscht nicht: Wir wollten einige relativ<br />

alte elektronische Instrumente genau so benutzen, wie<br />

das bestimmte Komponisten von Filmmusik in den späten<br />

70er- und den 80er-Jahren gemacht hatten. Das war meist<br />

sehr gut produziert und sehr präzise instrumentiert.<br />

Welche Komponisten sind wichtig für "Tomorrow's<br />

Harvest"?<br />

Mike: Was zeitgenössische Komponisten angeht auf jeden<br />

Fall Reinhold Heil und Johnny Klimek. Aber auch Mark<br />

Isham, Thomas Newman oder Clint Mansell.<br />

Marcus: Aktuelle Musik haben wir nicht so im Fokus,<br />

obwohl es genug neue Produktionen gibt, die irgendwie besonders<br />

sind und die wir im Blick haben. Bei mir waren das<br />

in den letzten Jahren vor allem Soundtracks, Mike hingegen<br />

schottet sich lieber so gut es geht ab, wenn er Musik macht.<br />

Sind abgesehen von Musik noch andere Dinge als<br />

Inspiration in das neue Album eingeflossen?<br />

Marcus: Die größte Inspiration für "Tomorrow's Harvest"<br />

haben wir aus Literatur gezogen. <strong>De</strong>nker wie James Howard<br />

Kunstler und Dmitri Orlow beispielsweise. Solche Autoren<br />

sind wie moderne Propheten, und ihre Arbeit ist für uns eine<br />

viel fruchtbarere Inspirationsquelle als sich nur irgendwelche<br />

Musik von anderen Leuten anzuhören.<br />

"The Campfire Headphase" gilt als eine Art musikalisches<br />

Roadmovie und und auch die Geschichte von "Tomorrow's<br />

Harvest" scheint ihren Ursprung in Nordamerika zu haben.<br />

Die Skyline von San Francisco auf dem Cover,<br />

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