2016-06 Pfarrblatt Freiburg
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Editorial Editorial<br />
Nichts ist selbstverständlich<br />
Man muss sich ein wenig Zeit nehmen,<br />
um sich die Frage des Philosophen<br />
Gottfried Wilhelm Leibniz<br />
(1646–1716) einmal auf der Zunge<br />
zergehen zu lassen: „Warum ist überhaupt<br />
etwas und nicht vielmehr<br />
nichts?“ Sie ist seitdem von vielen<br />
anderen Philosophinnen und Philosophen<br />
auf ganz unterschiedliche<br />
Art und Weise gestellt worden. Hinter<br />
allen diesen Fragen aber schimmert<br />
eine Haltung, an die wir uns<br />
manchmal bewusst erinnern müssen:<br />
das Wundern über das Sein,<br />
das Wundern darüber, dass wir sind,<br />
dass die Welt um uns herum ist, dass<br />
die Menschen, mit denen wir leben,<br />
sind. Ja, warum ist das alles, und<br />
nicht vielmehr nichts?<br />
Was ist selbstverständlich?<br />
An der Frage gefällt mir, dass sie<br />
nach scheinbar Selbstverständlichem<br />
fragt. Es geht nicht um Aussergewöhnliches:<br />
Warum geschieht<br />
dieses unglaubliche Wunder? Warum<br />
dieses unendliche Glück? Sondern:<br />
warum überhaupt etwas, und<br />
nicht vielmehr nichts? Offenbar ist<br />
dieses scheinbar Selbstverständliche<br />
doch nicht selbstverständlich.<br />
Um die Antworten der grossen Denkerinnen<br />
und Denker auf diese Frage<br />
hier wiederzugeben, würde der Platz<br />
nicht reichen. Deshalb hier nur eine<br />
bescheidene Antwort eines evangelischen<br />
Pfarrers und Zeitgenossen<br />
Leibniz, Paul Gerhardt (1607–1676).<br />
Für ihn war wenig selbstverständlich.<br />
Eine grosse Zeit seines Lebens<br />
verbrachte er im Schatten des Dreissigjährigen<br />
Krieges. Vier seiner fünf<br />
Kinder überlebten ihn nicht. Er wurde<br />
aufgerieben in den konfessionellen<br />
Spannungen zwischen Lutheranern<br />
und Reformierten in Berlin und<br />
verlor dort sogar sein Pfarramt.<br />
Die Antwort<br />
Paul Gerhardts<br />
In dieser ganzen Zeit aber schrieb<br />
er Lieder, von denen viele noch<br />
heute in den verschiedenen Kirchengesangbüchern<br />
zu finden sind.<br />
Eines davon ist ein wunderschönes<br />
Morgenlied „Lobet den Herren, alle<br />
die ihn ehren“. Es lohnt sich, dieses<br />
Lied einmal im KG unter der Nummer<br />
674 oder im Internet zu suchen.<br />
Denn dieses Lied kann wie eine<br />
Antwort auf die Frage des Philosophen<br />
Leibniz gelesen oder besser<br />
noch gesungen werden. Denn der<br />
Morgen, der Neuanfang nach der<br />
dunklen Nacht, jetzt im Frühsommer<br />
mit dem Vogelgezwitscher und<br />
den warmen Sonnenstrahlen, der<br />
ist einerseits selbstverständlich und<br />
andererseits doch auch ein Wunder.<br />
Besonders die dritte Strophe hat es<br />
mir angetan:<br />
„Dass unsre Sinnen<br />
wir noch brauchen können<br />
und Händ und Füsse,<br />
Zung und Lippen regen,<br />
das haben wir zu danken<br />
seinem Segen.<br />
Lobet den Herren.“<br />
Jeder Morgen<br />
ist ein Wunder<br />
Vergegenwärtigen Sie sich die Situation<br />
am frühen Morgen nach dem<br />
Wecken. Sie sind vielleicht noch<br />
müde, oder sie springen voll Freude<br />
über das, was Sie an diesem Tag erwartet,<br />
aus dem Bett. Aber machen<br />
Sie sich auch bewusst, dass dieser<br />
Tagesanfang mit Ihnen als Hauptperson<br />
nicht selbstverständlich<br />
ist? Stellen Sie sich die Frage, warum<br />
sie sich jetzt überhaupt freuen<br />
können? Denken können? Sehen,<br />
greifen, laufen, sprechen können?<br />
Warum nicht einfach nichts ist an<br />
diesem Morgen? Für Paul Gerhardt<br />
ist die Antwort klar. Sie ist für mich<br />
sehr plausibel und vielleicht auch<br />
für Sie: „Das haben wir zu danken<br />
seinem Segen.“ Der Segen Gottes,<br />
Foto: zVg<br />
Martin Conrad ist Theologe und arbeitet<br />
seit September 2015 für das<br />
Liturgische Institut in <strong>Freiburg</strong>.<br />
sein Wirken, ist nicht unbedingt im<br />
Grossen und Aussergewöhnlichen<br />
zu suchen, auch nicht unbedingt<br />
im Verschontsein von Unglück und<br />
Leid, sondern zuerst einmal darin,<br />
dass wir überhaupt sind und denken<br />
und uns regen können.<br />
Und wenn das auch für Sie einsichtig<br />
ist, dann können auch Sie Ihren<br />
Tag mit den Worten beginnen, mit<br />
denen Paul Gerhardt jede der Strophen<br />
seines Morgenlieds beendet:<br />
„Lobet den Herren!“<br />
Inhalt <strong>Pfarrblatt</strong> Juni <strong>2016</strong><br />
Kontakt | Regelmässiges | Soziales 2<br />
Editorial3<br />
Hinweise zu einigen Anlässen 4<br />
Agenda für alle 5<br />
Aus dem Pfarreileben 6<br />
Gut zu wissen 7<br />
Jugend8<br />
Regionale Agenda 10<br />
Regionalseite 11<br />
Zäme stah – vorwärts gah! 12<br />
Gottesdienste in und um <strong>Freiburg</strong> 14<br />
Unsere Gottesdienste 15<br />
Verschiedenes16<br />
Juni <strong>2016</strong> | Kath. Pfarreiseelsorge <strong>Freiburg</strong> Stadt und Umgebung 3<br />
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