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Urologie: Blasenrehabilitation - Karger

Urologie: Blasenrehabilitation - Karger

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<strong>Urologie</strong><br />

<strong>Blasenrehabilitation</strong><br />

Im spinalen Schock, unmittelbar nach einem akuten Lähmungsereignis,<br />

muss die Harnblase mittels Katheter entleert werden.<br />

Nach Differenzierung des Lähmungstyps in akontraktil oder hyperaktiv<br />

wird der Entleerungsmodus angepasst. Die Art der Blasenentleerung<br />

kann nicht allein die jeweiligen pathophysiologischen<br />

Veränderungen berücksichtigen, sondern muss auch an die funktionellen<br />

Fähigkeiten der Patienten und deren soziale Umgebung<br />

angepasst werden. Bei Berücksichtigung so vieler Faktoren kann die<br />

<strong>Blasenrehabilitation</strong> gelegentlich nur suboptimal gelöst werden.<br />

Ändernde Voraussetzungen fordern oft eine Umstellung des Entleerungsmodus,<br />

weshalb stets Ausweichstrategien zur Verfügung<br />

stehen müssen. Der Erhalt der Nierenfunktion ist das lebenslange<br />

Therapieziel. Neben dieser unabdingbaren Basis möchten aber viele<br />

Patienten ihre Vorstellungen von Unabhängigkeit und minimalem<br />

Aufwand für die Blasenfunktion berücksichtigt wissen.<br />

Harnableitung bei akuter<br />

Querschnittlähmung<br />

Mit Eintritt einer akuten Querschnittlähmung<br />

fallen die Leitungs- und Refl exfunktionen<br />

des Rückenmarks unterhalb des<br />

Schädigungsniveaus aus. Dies wird als spinaler<br />

Schock bezeichnet, und dieser Zustand<br />

kann wenige Wochen bis mehrere<br />

Monate andauern. Falls unterhalb des Lähmungsniveaus<br />

intakte Strukturen des Rückenmarks<br />

erhalten blieben, so entwickeln<br />

diese allmählich Refl exaktivitäten und<br />

Spastik, die entscheidende Einfl üsse auf<br />

die Blasenfunktion haben [1] . Im spinalen<br />

Schock ist die Harnblase schlaff gelähmt<br />

und kann ausschliesslich über Katheter<br />

entleert werden. Ist eine kontinuierliche<br />

Harnableitung erforderlich, so soll diese<br />

bevorzugt über einen suprapubischen Blasenfi<br />

stelkatheter durchgeführt werden.<br />

Ein transurethraler Dauerkatheter ist nur<br />

indiziert, falls ein suprapubischer Blasen-<br />

<strong>Blasenrehabilitation</strong><br />

fi stelkatheter nicht eingelegt werden kann.<br />

Sobald wie möglich soll die Harndauerableitung<br />

durch den intermittierenden Katheterismus<br />

(IK) ersetzt werden [2] .<br />

Intermittierender<br />

(Selbst-)Katheterismus<br />

Alle Patienten sollten, soweit es die Funktion<br />

der Hände erlaubt, den IK erlernen,<br />

unabhängig davon, ob diese Entleerungsart<br />

auf Dauer notwendig ist oder nicht. Bei<br />

einem unvorhergesehenen Harnverhalt<br />

sind sie dann in der Lage, die Blase selbst<br />

zu entleeren. Beim Training des IK muss<br />

berücksichtigt werden, dass den Patienten<br />

kurze Zeit nach Eintritt einer so massiven<br />

Körperveränderung wie der Querschnittlähmung<br />

eine vollständig ungewohnte Art<br />

der Blasenentleerung abverlangt wird.<br />

Dementsprechend müssen von der Pfl ege<br />

neben Sterilität und Sicherheit beim Ka-<br />

theterisieren Einfühlungsvermögen, Geduld<br />

und Wahrung der Intimsphäre gefordert<br />

werden.<br />

In der ersten Zeit wird der IK alle 4 h<br />

durchgeführt, um eine Überfüllung der<br />

Blase zu verhindern. Allmählich lernen die<br />

Patienten die Einfl üsse auf die Urinproduktion<br />

kennen und können die Blasenfüllung<br />

abschätzen. Die Blase wird dann<br />

nach Füllvolumen entleert. Füllmengen<br />

über 500 ml sollen vermieden werden. Absolute<br />

Sterilität ist eine Grundvoraussetzung<br />

bei der Durchführung des IK [3, 4] .<br />

Ist das untere Rückenmark von der<br />

Lähmung mitbetroffen, so bleibt die Blase<br />

schlaff und muss auf Dauer durch IK entleert<br />

werden.<br />

Urodynamische Untersuchung<br />

Liegt das Lähmungsniveau oberhalb des<br />

Sakralmarks, so wird sich allmählich eine<br />

Refl exaktivität der Blase entwickeln, was<br />

an unfreiwilligem Harnabgang erkennbar<br />

ist. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist eine<br />

urodynamische Untersuchung erforderlich.<br />

Hierbei wird unter Röntgen die Blase<br />

mit Kontrastmittel gefüllt und kontinuierlich<br />

der Blasendruck sowie die Muskelaktivität<br />

des Harnröhrenschliessmuskels<br />

bzw. des Beckenbodens gemessen. Dies erlaubt<br />

eine Beurteilung der Morphologie<br />

und der dynamischen Abläufe an Blase,<br />

Blasenhals und Harnröhrenschliessmuskel.<br />

Refl exmiktion<br />

Wenn bei dieser Untersuchung festgestellt<br />

wird, dass sich die Blase mit geringem Widerstand<br />

im Bereich Blasenhals und Harnröhrenschliessmuskel<br />

entleeren kann,<br />

185<br />

13


muss entschieden werden, ob eine Refl exmiktion<br />

auf Dauer beibehalten werden<br />

soll.<br />

Da die Refl exaktivität der Harnblase<br />

nicht nur zum Zeitpunkt der gewünschten<br />

Entleerung durch einen Triggerreiz (suprapubisches<br />

Klopfen) ausgelöst werden<br />

kann, sondern auch bei unspezifi schen<br />

Reizen (Erschütterung, Bewegung, Spastik,<br />

Kältereiz) eintritt, besteht die Gefahr<br />

der Inkontinenz. Beim Mann ist daher eine<br />

Harnableitung über ein Kondomurinal<br />

und bei Frauen das Tragen von Einlagen<br />

erforderlich.<br />

Da die Kontraktionen von Harnblase<br />

und Verschlussmechanismus nicht mehr<br />

durch zerebrale Zentren koordiniert werden,<br />

kommt es zu einer gleichzeitigen Aktivierung<br />

des Detrusors und des Harnröhrensphinkters.<br />

Dies wird als Detrusor-<br />

Sphinkter-Dyssynergie bezeichnet [5] .<br />

Hierdurch kann der Abfl uss aus der<br />

Blase erheblich behindert werden. Durch<br />

die unphysiologische Druckerhöhung in<br />

der hinteren Harnröhre kann es zu Schäden<br />

und zu Infektionen der inneren Sexualorgane<br />

beim Mann kommen. Darüber<br />

hinaus sind Druckschäden an der Harnblase<br />

und den oberen Harnwegen (Harnleiter<br />

und Nierenbecken) zu erwarten. Besteht<br />

beim Mann eine ausgeprägte Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie<br />

und soll die<br />

Refl exentleerung der Blase auf Dauer beibehalten<br />

werden, kann die behindernde<br />

Kontraktion des Harnröhrenschliessmuskels<br />

für gewisse Zeit durch die Injektion<br />

von Botulinumtoxin [6] oder defi nitiv<br />

durch eine Sphinkterotomie [7] reduziert<br />

werden.<br />

Therapie der<br />

Blasenhyperaktivität<br />

Da, wie erwähnt, die Refl exaktivität der<br />

Blase häufi g zur Inkontinenz führt, entscheiden<br />

sich viele Patienten für die Fortsetzung<br />

des IK. Dies erfordert, dass die refl<br />

ektorischen Blasenkontraktionen aufgehoben<br />

oder zumindest soweit reduziert<br />

werden müssen, dass keine spontanen<br />

Harnabgänge auftreten. Medikamentös<br />

gelingt dies mit so genannten Anticholi nergika,<br />

Medikamenten, welche die Impulsübertragung<br />

von den Sakralnerven auf die<br />

Blasenmuskulatur unterdrücken [8] . Eine<br />

ähnliche Wirkung hat das Botulinumtoxin,<br />

wenn es an vielen Stellen in die Blasen-<br />

muskulatur injiziert wird [9] . Die Wirkung<br />

des Toxins hält einige Monate bis zu 1 Jahr<br />

an, während Anticholinergika kontinuierlich<br />

eingenommen werden müssen. Weitere<br />

Massnahmen zur Ausschaltung der Detrusorhyperaktivität<br />

werden im Kapitel<br />

«Operative Behandlungsmöglichkeiten bei<br />

neurogenen Blasenfunktionsstörungen»<br />

beschrieben. Gelingt es, die Refl exaktivität<br />

der Blase ausreichend zu unterdrücken,<br />

kann der IK auf Dauer beibehalten werden<br />

[10] .<br />

Ziele der <strong>Blasenrehabilitation</strong><br />

Leider lassen sich die Fehlfunktionen der<br />

Blase nicht streng kategorisieren und einem<br />

bestimmten Entleerungsschema zuordnen.<br />

Im Einzelfall sind teils Therapiekombinationen<br />

und/oder aufwendige operative<br />

Verfahren erforderlich.<br />

Die Ziele der <strong>Blasenrehabilitation</strong> sind,<br />

die Funktion so weit als möglich zu normalisieren,<br />

genügende Kapazität und Kontinenz<br />

zu erreichen und Infekte sowie Organschäden<br />

zu vermeiden. Überlegungen,<br />

welche Technik der Blasenentleerung im<br />

jeweiligen Fall die beste ist, müssen die<br />

Form der Blasenlähmung, die erhaltenen<br />

Bewegungsfunktionen, die Persönlichkeit<br />

und die familiäre und soziale Umgebung<br />

des Patienten berücksichtigen.<br />

Weitere Aspekte sind ständige, spontane<br />

Änderungen der Funktionen, die durch<br />

die Fehlfunktionen der Organe selbst entstehen<br />

(z.B. Harnröhrenstrikturen, Blasendivertikel,<br />

Stau in der hinteren Harnröhre,<br />

Refl ux in die oberen Harnwege,<br />

Harnsteine). Auch Veränderungen am Rückenmark,<br />

die sich nach einer Verletzung<br />

einstellen können (z.B. Syringohydromye-<br />

Kernpunkte<br />

Die Harnableitung im spinalen Schock ist<br />

immer instrumentell.<br />

Der IK soll frühestmöglich erlernt werden.<br />

Kernpunkt der urologischen Diagnostik ist<br />

die Urodynamik.<br />

Bei hyperaktivem Detrusor muss die Entscheidung<br />

zwischen Ruhigstellung und IK oder<br />

Refl exmiktion unter Ausschaltung der Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie<br />

getroffen werden.<br />

Ziele der <strong>Blasenrehabilitation</strong> sind: normale<br />

Nierenfunktion, Harnkontinenz, Infektfreiheit<br />

und Entleerung im Rahmen sozialer Normen.<br />

lie, Vernarbungen, Atrophie) [11] nehmen<br />

Einfl uss auf die Blasenfunktion. Dies<br />

erfordert regelmässige Kontrolluntersuchungen<br />

des Harntraktes und eine ständige<br />

Anpassung der Strategie an die veränderten<br />

Voraussetzungen. Deshalb verbieten<br />

sich Behandlungskonzepte, die keine Alternativen<br />

mehr zulassen.<br />

Literatur<br />

1 1 Horton JA III, Chancellor MB, Labatia I: Bladder<br />

management for the evolving spinal cord injury: options<br />

and considerations. Top Spinal Cord Inj Rehabil<br />

2003; 9: 36–52.<br />

12 Bersch U: Monitoring und Follow-up in der Frühphase<br />

der Querschnittlähmung; in Stöhrer M, Madersbacher<br />

H, Palmtag H (Hrsg): Neurogene Blasenfunktionsstörung<br />

– Neurogene Sexualstörung. Berlin,<br />

Springer, 1997 .<br />

13 Wyndaele JJ: Intermittent catheterization: which is<br />

the optimal technique? Spinal Cord 2002; 40: 432–<br />

437.<br />

14 Moy MT, Amsters D: Urinary tract infection in clients<br />

with spinal cord injury who use intermittent clean self<br />

catheterisation. Aust J Adv Nurs 2004; 21: 35–40.<br />

15 Schurch B, Schmid DM, Karsenty G, Reitz A: Can neurologic<br />

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dyssynergia in patients with spinal cord injury?<br />

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1 6 Wheeler JS Jr, Walter JS, Chintam RS, Rao S: Botulinum<br />

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17 Reynard JM, Vass J, Sullivan ME, Mamas M: Sphincterotomy<br />

and the treatment of detrusor-sphincter<br />

dyssynergia: current status, future prospects. Spinal<br />

Cord 2003; 41: 1–11.<br />

1 8 Herbison P, Hay-Smith J, Ellis G, Moore K: Effectiveness<br />

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19 Sahai A, Khan M, Fowler CJ, Dasgupta P: Botulinum<br />

toxin for the treatment of lower urinary tract symptoms:<br />

a review. Neurourol Urodyn 2005; 24: 1–11.<br />

10 Perrouin-Verbe B, Labat JJ, Richard I, de la Greve IM,<br />

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Long term evaluation of urethral and genital<br />

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11 Vannemreddy SS, Rowed DW, Bharatwal N: Posttraumatic<br />

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2002; 16: 276–283.<br />

Weiterführende Literatur<br />

Stöhrer M, Madersbacher H, Palmtag H (Hrsg): Neurogene<br />

Blasenfunktionsstörung – Neurogene Sexualstörung.<br />

Berlin, Springer, 1997 .<br />

Fowler CJ (Hrsg): Neurology of Bladder, Bowel, and<br />

Sexual Dysfunction. Boston, Butterworth-Heinemann,<br />

1999.<br />

186 <strong>Urologie</strong>


<strong>Urologie</strong><br />

Urologische Komplikationen<br />

bei Querschnittlähmung<br />

Notsituationen entstehen im Bereich der <strong>Urologie</strong> durch akute<br />

Blutungen, Infektionen und Abfl ussbehinderungen. Die Ursachen<br />

sind jeweils vielfältig, zeigen aber bei Querschnittlähmung eine<br />

spezifi sche Häufung durch lähmungsbedingte Veränderungen an<br />

Morphologie und Funktion des Harntraktes. So sind beispielsweise<br />

Nebenhodenentzündungen allgemein selten, werden aber bei Paraplegikern<br />

oft beobachtet. Eingeklemmte Harnsteine können wegen<br />

der fehlenden Sensibilität lange symptomlos bleiben, bis plötzlich<br />

Zeichen einer Urosepsis auftreten. Eine besondere, bis lebensbedrohliche<br />

Komplikation stellt die autonome Hyperrefl exie dar, bei der es<br />

zu massivem Anstieg des Blutdrucks und zu Pulsabfall kommt.<br />

Zerebrale Blutungen sind dabei beschrieben.<br />

Urosepsis<br />

Bei diesem schweren Krankheitsbild<br />

kommt es zum Übertritt von Bakterien aus<br />

gestauten Abschnitten des Harntraktes ins<br />

Blut. Voraussetzung ist also eine Keimbesiedelung<br />

des Urins, die bei einer Vielzahl<br />

von Patienten mit Querschnittlähmung<br />

nachzuweisen ist. Kommt es zusätzlich zu<br />

einer Harnabfl ussbehinderung, wie z.B.<br />

durch eine lähmungsunabhängige Steno -<br />

se des Harnleiterabganges aus dem Nierenbecken<br />

(Harnleiter-Abgangs-Steno se)<br />

oder durch einen eingeklemmten Kelch-<br />

oder Harnleiterstein, so können Bakterien<br />

in die Blutbahn gelangen. Auch eine neurogen<br />

bedingte Abfl ussbehinderung der<br />

Harnblase kann bei bestehendem Refl ux<br />

in die Harnleiter eine schwere Entzündung<br />

verursachen.<br />

Die erste therapeutische Massnahme<br />

muss die Druckentlastung im gestauten<br />

Abschnitt sein. Hierzu dient die Katheterdrainage<br />

der Blase und im Bedarfsfall die<br />

Einlage eines Harnleiterkatheters, um den<br />

Abfl uss aus den oberen Harnwegen zu ermöglichen.<br />

Hierdurch können binnen kürzester<br />

Zeit die Symptome reduziert und<br />

ein Fortschreiten der Sepsis gestoppt werden.<br />

Gleichzeitig muss eine meist intravenöse<br />

antibiotische Therapie mit einem<br />

Breitband-Antibiotikum einsetzen. Ist aus<br />

vorangegangen Urinuntersuchungen der<br />

verursachende Keim bekannt, kann gezielt<br />

ein Antibiotikum eingesetzt werden. Nachdem<br />

die akuten Symptome überwunden<br />

sind, muss die Harnabfl ussbehinderung<br />

beseitigt werden [1] .<br />

Akute Pyelonephritis<br />

Eine weitere, durch Infektion hervorgerufene,<br />

schwere Erkrankung ist die akute<br />

Pyelonephritis, bei der es durch Keimaufstieg<br />

aus der Blase in das Nierenbecken<br />

und Nierengewebe zu einer Entzündung<br />

des Nierenparenchyms kommt [2] . Auch<br />

hier stehen schweres Krankheitsgefühl,<br />

Fieber und Schüttelfrost im Vordergrund<br />

der Beschwerden. Eine sofortige antibiotische<br />

Behandlung ist zwingend notwendig.<br />

Diagnostisch sind Stauungszustände in<br />

den oberen Harnwegen, wie sie für die<br />

Urosepsis verantwortlich sind, auszuschliessen,<br />

ebenso ein vesikoureteraler Refl<br />

ux. Neben der akuten Gefährdung durch<br />

die Entzündung entsteht ein Langzeitschaden,<br />

da bei jedem pyelonephritischen<br />

Schub Urin produzierendes Gewebe untergeht<br />

und durch Narbengewebe ersetzt<br />

wird.<br />

Akuter Steinverschluss<br />

Die Häufi gkeit von Harnsteinen ist nach<br />

einer Querschnittlähmung erhöht, da zum<br />

einen die Kalksalzausscheidung über die<br />

Nieren durch Abbau der Knochensubstanz<br />

erhöht ist und zum anderen die Bakterienbesiedlung<br />

des Harntraktes eine Steinbildung<br />

begünstigt oder verursacht [3] .<br />

Kommt es zur Einklemmung und damit<br />

Abfl ussbehinderung bei infi ziertem Urin,<br />

entstehen die beschriebenen Symptome<br />

der Urosepsis. Die Leitsymptome bei nicht<br />

infi ziertem Urin sind Schmerz und Kolik.<br />

Da nach Querschnittlähmung die Sensibilität<br />

ausgefallen ist, stehen vegetative Reaktionen<br />

wie Blutdruckkrisen, Schweissausbrüche,<br />

Übelkeit und Erbrechen im<br />

Vordergrund.<br />

Diagnostisch ist meist sonographisch<br />

die Erweiterung des Nierenbeckens festzustellen.<br />

Die Röntgenübersicht des Abdomens<br />

zeigt die Lage des verschliessenden<br />

Konkrementes. Sollte es sich um einen<br />

nicht Schatten gebenden Stein handeln,<br />

lässt sich durch eine Computertomographie<br />

die Höhe des Abfl usshindernisses<br />

200 <strong>Urologie</strong>


Abb. 30. CT-Bild eines massiv erweiterten Nierenbeckens links bei verschliessendem<br />

Harnleiterstein.<br />

feststellen. Auf eine intravenöse Kontrastmittelgabe<br />

sollte bei vorliegender Stauung<br />

verzichtet werden.<br />

Der erste Schritt der Behandlung ist<br />

auch hier die Sicherung des Abfl usses<br />

durch Einlage eines Ureterenkatheters.<br />

Sollte der Stein nicht spontan abgangsfähig<br />

sein, kann er durch extrakorporale<br />

Stosswellenbehandlung zerkleinert und<br />

anschliessend ausgeschwemmt werden.<br />

Nur in seltenen Fällen ist eine direkte endoskopische<br />

Steinentfernung durch Ureterorenoskopie<br />

oder bei perkutanem Zugang<br />

durch Nephrolitholapaxie erforderlich<br />

( Abb. 30 ).<br />

Akute Prostatitis<br />

Die akute bakterielle Entzündung der<br />

Prostata geht wie die bakterielle Entzündung<br />

anderer parenchymatöser Organe<br />

mit hohem Fieber und Schüttelfrost einher.<br />

Ursache ist eine Keimeinwanderung<br />

über die Ausführungskanäle der Drüse [4,<br />

5] . Falls diese verkleben und ein Stau des<br />

infi zierten Sekretes entsteht, kommt es zur<br />

Gewebseinschmelzung, dem Prostataabszess.<br />

Auch hier ist therapeutisch die erste<br />

Massnahme die Gabe eines Antibiotikums.<br />

Im Falle eines grösseren Prostataabszesses<br />

wird dieser transrektal punktiert. Oft werden<br />

nicht alle Bakterien im Kanalsystem<br />

der Prostata mit dem Antibiotikum ausge-<br />

Urologische Komplikationen bei Querschnittlähmung<br />

rottet, so dass eine chronische Prostatitis<br />

entstehen kann, die wiederum eine Keimquelle<br />

für rezidivierende Harnwegsinfekte<br />

darstellt. Allfällige Abfl ussbehinderungen<br />

durch den Sphincter externus müssen behoben<br />

werden.<br />

Akute Epididymitis<br />

Die akute Nebenhodenentzündung hat die<br />

gleichen Allgemeinsymptome, wie Schüttelfrost<br />

und Fieber, lässt sich jedoch durch<br />

die akute Schwellung des Nebenhodens<br />

leicht identifi zieren. Da sich hinter einer<br />

akuten Schwellung von Hoden/Nebenhoden<br />

auch eine Hodentorsion verbergen<br />

kann, ist eine rasche Diagnostik und im<br />

Falle einer Hodentorsion auch eine operative<br />

Revision innerhalb von 6 h notwendig.<br />

Die akute Nebenhodenentzündung bedarf<br />

zunächst keiner operativen, jedoch einer<br />

intensiven antibiotischen und entzündungshemmenden<br />

Behandlung. Ursache<br />

ist immer eine absteigende Infektion über<br />

die Samenwege, ausgelöst durch erhöhten<br />

Druck in der hinteren Harnröhre während<br />

der Miktion oder durch intermittierenden<br />

Katheterismus. Eine Epididymitis hinterlässt<br />

nach Abheilung meist einen narbigen<br />

Verschluss des Samenkanälchens, wodurch<br />

der Spermientransport unterbrochen<br />

wird. Bildet sich nach Abszedierung<br />

eine Fistel durch die Skrotalhaut, muss<br />

diese exzidiert, der Nebenhoden reseziert<br />

und der Ductus deferens ligiert werden.<br />

Auch bei rezidivierenden Epididymitiden<br />

ist eine Vasoligatur indiziert ( Abb. 31 ).<br />

Akuter Harnverhalt<br />

Der akute Harnverhalt bei neurogener Blasenfunktionsstörung<br />

wird bei Schädigungen<br />

des oberen motorischen Neurons<br />

durch Abfl ussbehinderung im Bereich des<br />

Blasenhalses und häufi ger durch Spastik<br />

des Harnröhrenschliessmuskels verursacht.<br />

Durch diese Abfl ussbehinderung<br />

nimmt der Restharn allmählich zu, bis die<br />

Blasenmuskulatur überdehnt und nicht<br />

mehr in der Lage ist, den Urin zu entleeren.<br />

Die Harnableitung über den suprapubischen<br />

Katheter ist hier die Methode der<br />

Wahl, um für sicheren Abfl uss zu sorgen.<br />

Durch eine urodynamische Untersuchung<br />

muss anschliessend die Ursache des Harnstopps<br />

ermittelt und medikamentös oder<br />

operativ beseitigt werden.<br />

Auch bei intermittierendem Katheterismus<br />

kann es zum Harnverhalt kommen,<br />

falls der Katheter wegen Striktur oder Via<br />

falsa nicht in die Blase eingeführt werden<br />

kann [6] . In diesen Fällen ist ebenfalls die<br />

vorübergehende Harnableitung über einen<br />

suprapubischen Katheter sinnvoll.<br />

Autonome Dysrefl exie<br />

Akute entzündliche Ereignisse am Harntrakt,<br />

insbesondere aber die Refl exaktivität<br />

der Blase bei subvesikaler Abfl ussbe-<br />

Abb. 31. Akute Epididymitis mit zentraler<br />

Gewebseinschmelzung.<br />

201<br />

13


Abb. 32. Autonome Dysrefl exie mit massivem Blutdruckanstieg, Kopfschmerzen und Flush im<br />

Hautbereich oberhalb des Lähmungsniveaus während einer Blasendruckmessung.<br />

Kernpunkte<br />

Die Urosepsis ist der gravierendste aller Notfälle<br />

im urologischen Bereich bei Querschnittlähmung.<br />

Sie entsteht durch Stau infi zierten<br />

Urins im Harnsystem und erfordert sofortiges<br />

Handeln.<br />

Aufsteigende Infekte können zur akuten<br />

Pyelonephritis führen. Rasche antibiotische<br />

Behandlung ist bei diesem schweren Krankheitsbild<br />

indiziert.<br />

Akute Abfl ussstörungen aus dem oberen<br />

Harntrakt, verursacht durch Steine, können<br />

neben einem septischen Krankheitsbild auch<br />

autonome Dysregulationen mit massiven<br />

Blutdruckkrisen auslösen.<br />

Bakterielle Entzündungen des männlichen<br />

Genitaltraktes (Prostatitis, Epididymo-Orchitis)<br />

entstehen durch Ausbreitung von Bakterien<br />

über die Samenwege. Die Behandlung ist<br />

langwierig, und Rezidive treten häufi g auf.<br />

Der akute Harnverhalt durch Abfl ussbehinderung<br />

aus der Blase muss durch Einlage eines<br />

transurethralen suprapubischen Katheters<br />

beseitigt werden.<br />

Die autonome Dysrefl exie, meist ausgelöst<br />

durch Druckerhöhungen im Harntrakt, kann<br />

zu massiven, teils lebensbedrohlichen Blutdruckkrisen<br />

führen. Sofortige Druckentlastung<br />

der Blase, rasch wirkende medikamentöse<br />

Blutdrucksenkung und gegebenenfalls<br />

eine Sakralanästhesie können den Blutdruck<br />

senken.<br />

Blasenkarzinome treten als Plattenepithelkarzinome<br />

gehäuft bei langjährigen Dauerkatheterträgern<br />

auf.<br />

hinderung, können zu belastenden und<br />

teils bedrohlichen Dysregulationen des<br />

Blutdrucks führen. Diese Symptome treten<br />

bei Lähmungen im Thorakalmark auf und<br />

nehmen an Intensität mit zunehmender<br />

Lähmungshöhe zu [7] . Durch die Druckerhöhung<br />

an Blase und Blasenhals kommt es<br />

zur Aktivierung des Sympathikus und damit<br />

zur Vasokonstriktion und zum Blutdruckanstieg.<br />

Die Gegenregulation, die<br />

von Barorezeptoren in der Arteria carotis<br />

ausgelöst wird, versucht durch Gefässerweiterung<br />

den Blutdruck zu normalisieren.<br />

Allerdings werden durch diese parasympathischen<br />

Impulse nur die Blutgefässe<br />

im nicht gelähmten Bereich erreicht,<br />

was insbesondere am Kopf und im Gehirn<br />

zur Weitstellung der Blutgefässe führt, den<br />

Blutdruck im gesamten Kreislauf jedoch<br />

nicht absenken kann. Der hohe Blutdruck<br />

zusammen mit den weiten Blutgefässen<br />

im Gehirn kann zu massiven Kopfschmerzen<br />

und in seltenen Fällen auch zu Blutungen<br />

führen ( Abb. 32 ). Die erste Massnahme<br />

muss die sofortige Blasenentleerung<br />

durch Einmalkatheterismus sein, kombiniert<br />

mit medikamentöser Blutdrucksenkung<br />

(Nitroglyzerin). Führt dies nicht innerhalb<br />

weniger Minuten zur Besserung<br />

der Symptome, kann eine Sakralanästhesie<br />

rasche Abhilfe schaffen. Auch durch unblutigen<br />

Aderlass mit venöser Blutstauung<br />

in allen vier Extremitäten kann der Blutdruck<br />

abgesenkt werden.<br />

Oft führt auch der mechanische Reiz<br />

eines suprapubischen oder Dauerkatheters<br />

zur refl ektorischen Blasenkontraktion<br />

und zur Dysrefl exie, so dass trotz freiem<br />

Harnabfl uss ein Anticholinergikum eingesetzt<br />

werden muss.<br />

Blasenkarzinom<br />

Besonders bei langjähriger Lage eines<br />

Dauerkatheters in der Blase und dem damit<br />

verbundenen chronischen Infekt kann<br />

es zu Veränderungen der Blasenschleimhaut<br />

(Plattenepithelmetaplasie) bis hin<br />

zum Plattenepithelkarzinom kommen [8] .<br />

Vermutlich ist diese sonst eher seltene Art<br />

des Blasenkarzinoms auf den chronischen<br />

mechanischen und chemischen Reiz zurückzuführen.<br />

Das übrige Karzinomrisiko<br />

betreffend den Harntrakt unterscheidet<br />

sich nicht von dem Nichtgelähmter.<br />

Literatur<br />

1 Yoshimura K, Utsunomiya N, Ichioka K, Ueda N, Matsui<br />

Y, Terai A: Emergency drainage for urosepsis associated<br />

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3 DeVivo MJ, Fine PR, Cutter GR, Maetz HM: The risk<br />

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4 Lummus WE, Thompson I: Prostatitis. Emerg Med<br />

Clin North Am 2001; 19: 691–707.<br />

5 Criste G, Gray D, Gallo B: Prostatitis: a review of diagnosis<br />

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37–38.<br />

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Med 2003; 26: 335–338.<br />

202 <strong>Urologie</strong>


<strong>Urologie</strong><br />

Sexualfunktion und Fertilität<br />

bei Querschnittlähmung<br />

Symptombezogene Übersicht zu Erektionsstörungen und<br />

Infertilität, Genese, Diagnostik und Therapie inklusive eigener<br />

Therapieresultate bei Paraplegie.<br />

Sexualität (lat.) ist die «Gesamtheit der<br />

auf Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichteten<br />

Lebensäusserungen» [1] .<br />

Nach Paeslack [2] ist nach Eintritt einer<br />

Querschnittlähmung der/die betroffene<br />

Patient/in keinesfalls ein sexuelles Neutrum,<br />

sondern biologisch weiterhin als<br />

Mann bzw. Frau existent.<br />

Aktuelle Zahlen zum Sexualverhalten<br />

aus den USA belegen, dass die Frequenz<br />

sexueller Aktivitäten verheirateter oder in<br />

fester Partnerschaft lebender Paraplegiker<br />

sich der von Paaren ohne neurologische<br />

Defekte (USA 124/Jahr) annähert [3]<br />

( Abb. 33 ) .<br />

Jedoch resultieren als Folge partieller<br />

oder vollständiger Schädigungen des Nervensystems<br />

besonders für den Mann erhebliche<br />

Störungen der Sexualfunktion,<br />

die sich in unvollständiger oder fehlender<br />

Erektionsfähigkeit, fehlendem Samenerguss<br />

und verminderter Spermaqualität<br />

äussern.<br />

Die Ursachen der erektilen Dysfunktion<br />

(ED) konnten weitgehend aufgeklärt<br />

werden. Die partiell oder vollständig ausgefallene<br />

Koordination im autonomen<br />

Nervensystem lässt nur eine ungenügende<br />

Freisetzung der Transmittersubstanz<br />

Stickstoffmonoxid zu, die durch die Relaxation<br />

der glatten Muskulatur der Corpora<br />

cavernosa im Penis eine ausreichende<br />

Erektion ermöglicht.<br />

Zusätzlich können auch durch Stoffwechselkrankheiten<br />

wie Diabetes mellitus,<br />

Sexualfunktion und Fertilität bei Querschnittlähmung<br />

Atherosklerose u.ä. Veränderungen an den<br />

Nerven bzw. Blutgefässen im Penis auftreten,<br />

die die Erektion beeinträchtigen. Ergänzend<br />

sind auch «normale» Alterungsprozesse<br />

auf zellulärem Niveau zu erwarten<br />

und führen wie bei vielen älteren<br />

Männern zu ED [5] .<br />

Die Störungen der Ejakulation dagegen<br />

sind durch unzureichende neurogene Stimulationsmöglichkeit<br />

(autonomes Nervensystem)<br />

und teilweise durch Nebenwir-<br />

Abb. 33. Sexualverhalten bei Paraplegie [4].<br />

kungen von Medikamenten zu erklären<br />

(Medikamente, die die Blasenmuskulatur,<br />

aber auch die Muskulatur der Samenleiter<br />

lähmen, wie z.B. Oxybutynin, Tolteridin).<br />

Die verminderte Spermaproduktion<br />

sowie weitere Qualitätsmängel im Ejakulat<br />

sind bis heute ursächlich unklar geblieben.<br />

Somit können zum aktuellen Zeitpunkt<br />

sowohl die ED als auch Kinderlosigkeit bei<br />

Para-/Tetraplegie nur symptomatisch behandelt<br />

werden.<br />

Die Inzidenz der ED bei Paraplegie wird<br />

von Stone [6] mit 75% angegeben, bei inkompletter<br />

Lähmung sind Erektionen<br />

leichter auslösbar, gleichfalls ist nach Kaplan<br />

et al. [7] eine höhere Erektionsfrequenz<br />

bei supranukleärer Neuronläsion im Vergleich<br />

zur infranukleären Neuronläsion<br />

bekannt.<br />

Bors und Comarr [8] berichten bereits<br />

1960 über Erektionen bei 44% kompletter<br />

und 56% inkompletter Paraplegiker. Ejakulationen<br />

waren möglich bei 5% kompletter<br />

und 18% inkompletter Paraplegiker.<br />

Die American Society for Reproductive<br />

Medicine gibt 1998 an, dass 60% der Paraplegiker<br />

ausreichende Erektionen haben,<br />

aber nur 10% Ejakulationen [9] .<br />

Derry et al. [10] berichten von 50% der<br />

Paraplegiker, die zum Geschlechtsverkehr<br />

ausreichende Erektionen hatten.<br />

Zhu et al. [11] nennen 1999 eine Inzidenz<br />

von 50% für die ED bei Paraplegie in<br />

China.<br />

Die zahllosen Berichte über die letzten<br />

4 Jahrzehnte lassen eine Zahl von etwa<br />

50% für die ED und etwa 90–95% für die<br />

Anejakulation als realistisch erscheinen.<br />

203<br />

13


Physiologie<br />

Im Nervus pudendus werden afferente somatisch<br />

sensible Fasern vom äusseren Genitale<br />

zu den Rückenmarksegmenten S 2 –<br />

S 4 geführt. Gleichfalls über den N. pudendus<br />

ziehen efferente motorische Fasern<br />

von S 2 bis S 4 zur ischio- und bulbokavernösen<br />

Muskulatur, die durch Kompression<br />

der proximalen Corpora cavernosa die<br />

Erektion stabilisiert.<br />

Bedeutende Zentren des vegetativen<br />

Nervensystems für die Erektion befi nden<br />

sich in Höhe der Segmente Th 11 –L 2 (sympathisch)<br />

und S 2 –S 4 (parasympathisch).<br />

Parasympathisch wird die Erektion<br />

über die Nn. erigentes und den Plexus hypogastricus<br />

inferior beeinfl usst.<br />

Sympathische Fasern gelangen über die<br />

Plexus hypogastricus superior und inferior<br />

und über die Nn. cavernosi zum äusseren<br />

Genitale.<br />

Die parasympathische Stimulation des<br />

äusseren Genitales löst die Erektion aus, es<br />

resultiert ein vermehrter arterieller Einstrom<br />

in die Corpora cavernosa, die glatte<br />

Muskulatur der Corpora cavernosa wird<br />

relaxiert und es kommt gleichzeitig zur<br />

Kompression des venösen Abstromes aus<br />

den Corpora cavernosa während der parasympathischen<br />

Stimulation ( Abb. 34 ).<br />

Die Qualität der erreichbaren Erektion<br />

kann durch Verwendung eines Klassifi kationsschemas<br />

verglichen werden [12] .<br />

Klassifi kation der<br />

Erektionsstörungen<br />

EO = Keine Erektion<br />

E1 = Geringe Tumeszenz, keine<br />

Rigidität<br />

E2 = Mittlere Tumeszenz,<br />

keine Rigidität<br />

E3 = Volle Tumeszenz, keine<br />

Rigidität<br />

E4 = Volle Tumeszenz, mittlere<br />

Rigidität<br />

E5 = Volle Tumeszenz, volle Rigidität<br />

E4/E5 wird z.T. zusammengefasst.<br />

Bei Paraplegikern fi nden sich nach Derry<br />

et al. [10] Erektionen bis Grad E2, die<br />

durch die medikamentöse Behandlung<br />

mit Sildenafi l auf Grad E3–4 verbessert<br />

werden konnten.<br />

Besonders deutlich wird die koordinierte<br />

autonome Nervenfunktion beim<br />

Abb. 34. Erektion (schematisch).<br />

Vorgang der Ejakulation, die in eine sympathisch<br />

gesteuerte Emission und eine somatisch<br />

verursachte Erektion unterteilt<br />

wird.<br />

Hier überschneiden sich die oben<br />

genannten Funktionen des vegetativen<br />

Nervensystems (Sympathikus, Parasympathikus)<br />

mit der Funktion somatisch innervierter<br />

Organsysteme (Beckenbodenmuskulatur).<br />

Die sympathische Stimulation (Th 11 –<br />

L 3 ) löst den Beginn der Ejakulation aus, es<br />

kommt zu rhythmischen Kontraktionen<br />

der glatten Muskulatur der Ductus deferentes,<br />

der Samenblasen und der Prostata.<br />

Dieser Vorgang wird als Emission bezeichnet.<br />

Durch rhythmische Kontraktionen der<br />

Beckenbodenmuskulatur (M. bulbocavernosus,<br />

M. ischiocavernosus und übrige Beckenbodenmuskeln)<br />

kommt es zur antegraden<br />

Ejakulation, die somatisch über<br />

den N. pudendus (S 2 –S 4 ) ausgelöst wird.<br />

Gleichzeitig erfolgt ein suffi zienter Verschluss<br />

des Blasenhalses nach Bohlen et al.<br />

[13] ; hier fi ndet sich häufi g ein Defekt bei<br />

Paraplegie durch fehlenden Sympathikotonus<br />

bzw. urologische Voroperationen,<br />

wodurch eine retrograde Ejakulation möglich<br />

wird.<br />

Eine Behandlung der ED ist heute überwiegend<br />

medikamentös möglich, seltener<br />

noch chirurgisch nötig.<br />

Erste Wahl sind aktuell die Medikamente<br />

aus der Gruppe der Phosphodieste-<br />

rase-5-Hemmer. Sildenafi l ist seit 1998<br />

verfügbar und hat in zahlreichen Studien<br />

auch bei Paraplegikern eine ausgezeichnete<br />

Wirkung gezeigt [14–16] .<br />

Im SPZ Nottwil konnten bei 200 Paraplegikern<br />

76% Responder und 24% Nonresponder<br />

bei der Behandlung der ED mit<br />

Sildenafi l beobachtet werden. Gleiche Effekte<br />

werden für Vardenafi l und Tadalafi l<br />

erwartet.<br />

Apomorphin hat nur marginale Bedeutung<br />

bei hochgradig inkompletten Paraplegien<br />

[17] .<br />

Zweite Wahl ist die intrakorporale<br />

Schwellkörperinjektion (SKAT = Schwellkörperautoinjektion<br />

oder SKIT = Schwellkörper<br />

injektion durch Partnerin z.B. bei<br />

Tetraplegie), aktuell mit Prostaglandin E 1<br />

(Abb. 35). Historisch wurden Papaverin<br />

[18] sowie Phentolamin [19] , später zum<br />

Teil auch in verschiedenen Kombinationen<br />

ei ngesetzt.<br />

Prostaglandin E 1 intraurethral appliziert<br />

sowie Vakuumerektionshilfen haben<br />

die Hoffnungen für einen ausreichenden<br />

therapeutischen Effekt bei Paraplegie nicht<br />

erfüllen können.<br />

Dritte Wahl bleibt die Implantation von<br />

hydraulischen Penisprothesen. Sie hat<br />

nach wie vor ihren Wert bei Nonrespondern<br />

der erstgenannten Therapieverfahren.<br />

In jedem Falle muss jedoch auf ausschliesslich<br />

hydraulischen Implantaten<br />

bestanden werden, da durch Verwendung<br />

204 <strong>Urologie</strong>


von semirigiden Implantaten die Behandlungsmethode<br />

durch Perforation und Infektion<br />

bei Paraplegie in Verruf kam [20] .<br />

Nach einer mehrjährigen ständigen Zunahme<br />

in der Verwendung von Phosphodiesterase-5-Hemmern<br />

zeigt sich trotz guter<br />

Wirkung und nur geringen Nebenwirkungen<br />

bei Paraplegikern in der Schweiz<br />

wieder eine Verschiebung zur SKAT, überwiegend<br />

mit Prostaglandin E 1 . Die Ursache<br />

ist rein ökonomischer Art, da die Kosten<br />

der oralen Therapeutika im Gegensatz zur<br />

SKAT von den Krankenkassen nicht, von<br />

den Unfallversicherungen nur teilweise<br />

und limitiert erstattet werden («Lifestylemedikament»).<br />

Zum Ausblick bleiben der Einsatz neuer<br />

Phosphodiesterase-5-Hemmer [21] , Prostaglandin<br />

E 1 als topisch wirksames Gel,<br />

Melanokortinrezeptoragonisten und Kaliumkanalöffner<br />

[22] .<br />

Spermaentnahme<br />

Bei Kinderwunsch und der oben genannten<br />

Tatsache, dass nur etwa 10% der Paraplegiker<br />

Sperma durch Ejakulation bereitstellen<br />

können, kommt der sicheren und<br />

ausreichenden Spermaentnahme (assistierte<br />

Ejakulation) für die meist nötigen<br />

Verfahren der assistierten Reproduktion<br />

grosse Bedeutung zu.<br />

In der Reihenfolge geringster Invasivität<br />

steht die penile Vibratorstimulation<br />

(PVS) an erster Stelle, Erstbeschreibungen<br />

der Methode bei Paraplegie fi nden sich bei<br />

Bors und Comarr [8] .<br />

Brindley [23] entwickelte einen eigenen<br />

Vibrostimulator, den auch wir mehrere<br />

Jahre benutzten.<br />

Durch Vibratorstimulation des N. pudendus<br />

(S 2 –S 4 ) an der Glans penis kommt<br />

es bei intaktem sakralem Refl exbogen zur<br />

Ejakulation. Häufi gste Frequenzen liegen<br />

um 100 Hz, gelegentlich auch niedriger, die<br />

Amplitude schwankt von 2,5 bis 3 mm.<br />

Aktuell verwenden wir die Vibratoren<br />

Ferti Care ® personal der Firma Multicept<br />

A/S (Dänemark).<br />

Eine medikamentöse Unterstützung<br />

der PVS durch Parasympathikomimetika<br />

wurde wegen der aufgetretenen Nebenwirkungen<br />

wieder aufgegeben.<br />

Bei durch PVS nicht auslösbarer ante-<br />

oder retrograder Ejakulation kann unmittelbar<br />

zur transrektalen Elektrostimulation<br />

(TES) übergegangen werden.<br />

Sexualfunktion und Fertilität bei Querschnittlähmung<br />

Abb. 35. SPZ Nottwil: Erektionsgrad (E2–E5)<br />

nach SKAT mit Prostaglandin E 1 (n = 305).<br />

Die Erstbeschreibung der aus der Veterinärmedizin<br />

stammenden Methode bei<br />

Paraplegie erfolgte bereits 1948 durch<br />

Horne et al. [24] .<br />

Aktuell verwenden wir die Elektrostimulation<br />

Power Unit Seager Model 14<br />

[25] .<br />

Über eine transrektal eingeführte Elektrode<br />

werden sympathische Fasern des<br />

Plexus hypogastricus stimuliert, es resultiert<br />

eine Emission mit Ausfl iessen des<br />

Spermas.<br />

Die Methode ist nicht an den intakten<br />

sakralen Refl exbogen gebunden und kann<br />

daher auch bei Paraplegie unter L 3 und bei<br />

Bedarf auch bereits im spinalen Schock<br />

eingesetzt werden.<br />

Im Allgemeinen sind pro Seite 3–5<br />

sinusförmige Stimulationen mit den Parametern<br />

10–15 V und 1–5 A ausreichend<br />

zur antegraden Spermaemission.<br />

Zu beachten ist bei PVS und TES, dass<br />

durch die Stimulation eine autonome Dysrefl<br />

exie bei Tetraplegie und Paraplegie<br />

oberhalb von Th 4–6 ausgelöst werden<br />

kann.<br />

Durch prophylaktische Nifedipingabe,<br />

Blutdruckmonitoring und Reduktion des<br />

Blutvolumens durch Anlegen von Manschetten<br />

an den Extremitäten lassen sich<br />

die typischen Symptome der autonomen<br />

Dysrefl exie beherrschen.<br />

Bei inkompletter Paraplegie ist für die<br />

TES eine kurzdauernde Anästhesie (z.B.<br />

Propofol) notwendig.<br />

Selten ist bei Obliteration der Samenwege<br />

nach Infektionen oder vorausgegangener<br />

früherer Vasoresektion eine operative<br />

Intervention durch mikrochirurgische<br />

epididymale Spermienaspiration oder testikuläre<br />

Spermienextraktion notwendig,<br />

sie werden jedoch dort primär eingesetzt,<br />

wo die vorgenannten Verfahren zur Nervenstimulation<br />

nicht verfügbar sind.<br />

Im SPZ Nottwil war durch assistierte<br />

Ejakulation bei 482 Paraplegikern – bei<br />

45% durch PVS, bei 55% durch TES – eine<br />

antegrade Spermaentnahme möglich.<br />

Spermauntersuchung<br />

Zur Beurteilung und Klassifi zierung der<br />

nach Brackett et al. [26] fast immer verminderten<br />

Spermaqualität erfolgen nach<br />

längerer, oft mehrjähriger Anejakulation<br />

mehrere Spermiographien in kurzen Abständen.<br />

Häufi g fi ndet sich initial eine Hyperspermie,<br />

erst nach mehrfachen Spermaentnahmen<br />

kann die Qualität sicher<br />

klassifi ziert werden ( Tab. 1 , Abb. 36 ).<br />

Über die Ursachen der meist schweren<br />

Fertilitätsstörung bei Paraplegie liegen<br />

über 4 Jahrzehnte hinweg umfangreiche<br />

Studienergebnisse vor, die man zurzeit wie<br />

folgt zusammenfassen kann:<br />

Trotz unterschiedlicher Läsionshöhe<br />

und Vollständigkeit der Paraplegie sind die<br />

Spermabefunde im Vergleich zu neurologisch<br />

gesunden Männern überwiegend<br />

schlecht.<br />

Einfl üsse von so genannten Lifestylefaktoren<br />

wie erhöhte Skrotaltemperatur,<br />

seltene Ejakulationen, verschiedene Methoden<br />

der Blasenentleerung, Harnwegsinfektionen,<br />

Antibiotika, Spermaantikörper,<br />

teilweise leichte Störungen in der<br />

Synthese der Sexualhormone und ihrer<br />

Vorstufen, Veränderungen in der Histolo-<br />

Abb. 36. SPZ Nottwil: Oligoasthenoteratozoospermiebefunde<br />

bei Paraplegie (n = 205).<br />

205<br />

13


Tabelle 1. Gradeinteilung der Oligoasthenoteratozoospermie (OAT) [27]<br />

OAT I OAT II OAT III<br />

Konzentration, ! 106 /ml � 20–10 � 10–5 � 5<br />

Motilität, % � 50–30 � 30–20 � 20–0<br />

Morphologie, % � 30–10 � 10 � 10–0<br />

gie des Hodengewebes sowie Lähmungsdauer<br />

können nicht als ursächlich angenommen<br />

werden.<br />

Dagegen sind neuere Studienergebnisse<br />

zum Einfl uss des Seminalplasmas interessant:<br />

Wichtige biochemische Parameter wie<br />

Fruktose, Albumin u.a. sind nach Hirsch et<br />

al. [28] bei Paraplegikern im Seminalplasma<br />

signifi kant geringer nachweisbar, und<br />

Brackett et al. [29] konnten die Spermamotilität<br />

neurologisch gesunder Männer<br />

mit Seminalplasma von Paraplegikern<br />

hemmen.<br />

Brackett et al. [29] resümieren daher,<br />

dass alle Organe, die die Spermaqualität<br />

beeinfl ussen, vom vegetativen Nervensystem<br />

kontrolliert werden und dass deshalb<br />

der Fokus weiterer Forschung dort zu suchen<br />

ist.<br />

Kryokonservierung<br />

Padron et al. [30] zeigen, dass die Spermakryokonservierung<br />

bei Paraplegikern keine<br />

zusätzliche Veränderung der Spermaparameter<br />

nach sich zieht.<br />

Bei 9 Paraplegikern wurde zwischen 7<br />

und 21 Tagen nach Eintritt der posttraumatischen<br />

Lähmung Sperma antegrad<br />

durch TES entnommen und kryokonserviert.<br />

Es fand sich kein Normalbefund, sondern<br />

eine Oligoasthenoteratozoospermie<br />

(OAT) III bei 6 Paraplegikern, eine OAT II<br />

bei 2 und eine OAT I bei 1 Paraplegiker.<br />

Die Spermiographiebefunde wiesen<br />

damit bereits ein ähnlich reduziertes Niveau<br />

auf, wie auch Mallidis et al. [31] mitteilten.<br />

Erwartungen im Hinblick auf eine nur<br />

geringe Reduktion der Spermaqualität<br />

posttraumatisch konnten damit nicht erfüllt<br />

werden.<br />

Buch und Zorn [32] empfehlen die Kryokonservierung<br />

bei Paraplegikern, sofern<br />

nach dem Auftauen der Depots noch 33%<br />

der Motilität vor dem Einfriervorgang erhalten<br />

sind.<br />

Nach dem probeweisem Auftauen von 6<br />

Depots von Paraplegikern mit langzeitig<br />

bestehender Lähmung waren erwartungsgemäss<br />

sowohl die progressive Motilität<br />

als auch die Vitalität im Spermiogramm<br />

gegenüber dem Befund vor der Kryokonservierung<br />

um 50–60% reduziert. Eine<br />

Verwendung zur Fertilisation ist nach<br />

Buch und Zorn [32] möglich.<br />

Hallak et al. [33] zeigen, dass trotz<br />

schlechter Spermaqualität bei Patienten<br />

mit malignen Tumoren auch nach einer<br />

Dauer der Kryokonservierung über 10<br />

Jahre durch die modernen Reproduktionstechnologien<br />

wie die intrazytoplasmatische<br />

Spermainjektion (ICSI) Schwangerschaften<br />

erreichbar sind.<br />

Wir haben, sowohl aus diesem Grund<br />

als auch aus logistischen Gründen, sowie<br />

auf ausdrücklichen Wunsch von Paraplegikern,<br />

bis zum 31. Dezember 2004 bei 37<br />

Männern eine Spermakryokonservierung<br />

vorgenommen. Die Lagerung ist zurzeit<br />

unbefristet möglich.<br />

Erstrehabilitation<br />

Alle Paraplegiker werden bei der ersten<br />

urologischen Untersuchung verbal evaluiert<br />

und erhalten zusätzlich allgemeine<br />

und bei Bedarf individuelle Informationen<br />

über die ED und die Infertilität.<br />

In einer Informationsgruppe mit den<br />

Angehörigen erfolgen allgemeine Informationen<br />

zu ED, Fertilität, Schwangerschaft<br />

und Antikonzeption, die Informationen<br />

werden gleichzeitig jedem Paraplegiker<br />

schriftlich abgegeben.<br />

Die Behandlung der ED wird meist<br />

noch während der Erstrehabilitation begonnen,<br />

sofern der Bedarf besteht.<br />

Während der Erstrehabilitation wird<br />

von jungen Paraplegikern zunehmend die<br />

Spermiographie und Beratung zu den<br />

Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung<br />

nachgefragt.<br />

Zusätzlich steht eine Sexualsprechstunde<br />

wöchentlich im Angebot der Neurouro-<br />

logie für Paraplegiker während der Hospitalisation<br />

zur Verfügung.<br />

Im ambulanten Monitoring wird die ED<br />

erneut angesprochen, bei Bedarf die Therapie<br />

korrigiert. Zudem erreichen uns zwischenzeitlich<br />

zahlreiche Anfragen zu den<br />

Problemen der ED und Fertilität auf telefonischem<br />

und direktem Weg.<br />

Bei Kinderwunsch setzt die intensive<br />

Beratung und Betreuung des Paares ein,<br />

bis das gewünschte Ziel erreicht ist.<br />

Als Teamangebot existiert zusätzlich<br />

ein Workshop «Sexualität und Querschnittlähmung»,<br />

der zweimal jährlich für<br />

2 Tage in begrenzter Teilnehmerzahl überwiegend<br />

Paare aus Erstrehabilitation und<br />

ambulantem Monitoring betreut.<br />

Jährlich fi ndet zudem eine öffentliche<br />

Informationsveranstaltung über die gestörte<br />

Sexualfunktion bei Paraplegie statt.<br />

Assistierte Reproduktion<br />

Nachdem Palermo et al. [34] erstmalig<br />

über die ICSI berichteten, hat sich ein<br />

wahrer Boom der Fertilisation auch bei<br />

schlechtester Spermaqualität entwickelt<br />

und bisherige Methoden der In-vitro-Fertilisation<br />

verdrängt.<br />

Es werden nach hormoneller Stimulation<br />

der Frau transvaginal überwiegend in<br />

Lokalanästhesie Eizellen entnommen und<br />

mit je einem Spermium extrakorporal befruchtet.<br />

Nach der Zellteilung können 1 oder 2<br />

(um die Schwangerschaftsrate zu erhöhen)<br />

Embryonen nach mehreren Tagen in<br />

den Uterus transferiert werden. Das Risiko<br />

für eine Mehrlingsschwangerschaft ist bei<br />

mehreren Embryonen erhöht und muss<br />

vorher besprochen werden.<br />

Durch assistierte Ejakulation und ICSI<br />

sind jetzt auch bei Paraplegikern mit OAT<br />

III Kinderwünsche realisierbar geworden,<br />

da pro Eizelle nur noch ein motiles Spermium<br />

benötigt wird [35–37] .<br />

Eine intrauterine Insemination ist bei<br />

OAT I–II weiterhin möglich und erfolgreich,<br />

jedoch ist die Zahl der Paraplegiker<br />

mit diesem Befund gering.<br />

Durch Kooperation mit mehreren reproduktionsmedizinischen<br />

Zentren wurden<br />

seit 1994 überwiegend nach TES und<br />

ICSI bis zum 31. Dezember 2004 40 Kinder<br />

geboren, davon zweimal Zwillinge.<br />

33 Kinder konnten durch die Kombination<br />

TES und ICSI, 5 überwiegend durch<br />

206 <strong>Urologie</strong>


PVS und intrauterine Insemination gezeugt<br />

werden.<br />

Damit ist eine neue Dimension erreicht<br />

worden, nachdem vor 1992 bei OAT III keine<br />

vom Paraplegiker induzierte Schwangerschaft<br />

der Partnerin möglich war.<br />

Die Entwicklung der Reproduktionsmedizin<br />

wird sich weiterhin rasant fortsetzen,<br />

wobei die aktuelle Gesetzgebung dem<br />

Tempo stets nur mühsam folgen kann.<br />

Unsere Motivation erfährt Unterstützung<br />

durch Mitteilungen wie diese:<br />

«Unsere Familienplanung ist nun abgeschlossen<br />

…»<br />

«Wir sind überglücklich und froh, zwei<br />

gesunde Kinder haben zu dürfen!»<br />

«Vielen Dank für die grossartige Begleitung<br />

und Unterstützung!»<br />

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