B lickpunk I/98 - Wunschkind eV
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Zu Beginn waren wir bereit, uns auf fast alles einzulassen, nur<br />
um positiv dazustehen, aber mit der Zeit sahen wir, daß nicht<br />
absolute Risikobereitschaft und Selbstüberschätzung uns zu<br />
Supereltern machen würde.<br />
Am Anfang hatten wir große Angst, unsere Bedenken und Fragen<br />
zu äußern:<br />
Zu Behinderungen - was meint das denn überhaupt? Abstehende<br />
Ohren oder Mongoloismus?<br />
Zu ausländischen Kindern - würden sie es in unserer heutigen<br />
Gesellschaft wirklich gut haben können?<br />
Zur Herkunft - wie gefährdet von Aids z.B. sind Kinder von Prostituierten<br />
und mit welchen Problemen muß ich bei Kindern von<br />
Alkoholikern rechnen und können wir beide mit diesen Problemen<br />
dann auch tatsächlich umgehen? Hält das die Partnerschaft<br />
aus? Und wie sieht dann unsere Zukunft aus?<br />
Alle diese Fragen waren uns vor lauter Angst zuerst gar nicht offen<br />
möglich - man würde uns doch eventuell für rassistisch, voreingenommen<br />
oder versnobt halten und sofort von der Liste<br />
streichen.<br />
Aber beim zweiten und dritten Gespräch kannten wir uns schon<br />
besser, fühlten uns nicht mehr geprüft oder ausgeliefert, sondern<br />
ein wenig verstanden in unserer Situation - und vor allem<br />
EHRLICH behandelt.<br />
Und nun waren alle diese Zweifel möglich - nicht mehr schädlich<br />
für unser Anliegen.<br />
Das machte ein ganz gutes Gefühl - eine gewisse Vertrautheit.<br />
Beim Abschluß der Gespräche war es meinem Mann und mir<br />
sogar möglich, uns auf ein Pflegeverhältnis einzulassen - mit<br />
ganzem Herzen und Verstand.<br />
In der Zwischenzeit hatten wir über vieles nachgedacht, war vieles<br />
in Bewegung geraten, was für uns zu Anfang unvorstellbar<br />
gewesen wäre.<br />
WIR hatten uns sehr genau geprüft, haben über vieles lange geredet<br />
und waren miteinander über manches klargeworden. Was<br />
wir wollten und tatsächlich in unserer Beziehung leisten<br />
konnten.<br />
Nun konnten wir tatsächlich JA sagen, als das Jugendamt uns<br />
anbot, ein Kind in Dauerpflege aufzunehmen.<br />
Wir wußten: Die Verhältnisse sind genau geprüft, die Herkunftsfamilie<br />
ist gut bekannt und unsere Wünsche und Ängste<br />
würden berücksichtigt. Und wenn man uns nun sagte, daß dieses<br />
Kind höchstwahrscheinlich bei uns bleiben und groß werden<br />
würde, da konnten wir das glauben und es war fast ein wenig<br />
wie ein Versprechen.<br />
DOCH es hat gehalten!<br />
Wir bekamen unser Pflegekind - anstatt unseres Adoptivkindes.<br />
Und nach zehn Wochen gab es die Mutter zur Adoption frei und<br />
da hatten wir es - UNSER KIND!<br />
B<strong>lickpunk</strong>t I/<strong>98</strong><br />
Natürlich gehört etwas Glück dazu: Genau zu dem Zeitpunkt als<br />
unsere Gespräche beendet waren, brauchte man für dieses<br />
Kind möglichst bald eine geeignete Pflegefamilie und da boten<br />
wir uns an.<br />
Etwas eigenes Engagement ist auch gefragt: Wir hielten stets<br />
einen guten Kontakt zum Jugendamt und beteiligten uns schon<br />
während des Prüfverfahrens an einem Pflege- und Adoptiveltern-Gesprächskreis.<br />
Außerdem konnten wir uns im Verlauf<br />
der Gespräche auf Umstände und Risiken einlassen.<br />
Wir waren bereit zu einer offenen Adoption, d.h. mit Kontakt zu<br />
den Herkunftseltern, da wir das während des Verfahrens immer<br />
mehr als eine gute Lösung für alle Beteiligten erkannten. Außerdem<br />
konnten wir uns vorstellen, gleich mehrere Kinder - Zwillinge<br />
oder Geschwisterkinder - aufzunehmen und auch ein gewisses<br />
gesundheitliches Risiko in Kauf zu nehmen. Wir konnten<br />
uns am Ende sogar auf eine Pflegschaft einlassen. Das alles<br />
war Ergebnis guter Beratungen, was uns als Bewerber recht flexibel<br />
machte.<br />
Und das ist vermutlich ein großer Pluspunkt bei der Vergabe.<br />
Allerdings muß das gemeinsam getragen werden und während<br />
des Verfahrens wachsen können!<br />
Das gelingt nicht von heute auf morgen. Es darf nicht als unehrliches<br />
Hintertürchen benutzt werden. Zeigen wir uns mal flexibel,<br />
dann stehen wir besser da. Zum einen schaut der Sozialarbeiter<br />
auch immer hinter die Fassade und andererseits<br />
wäre im Ernstfall niemandem mit einer erschwindelten Lösung<br />
gedient, mit der dann keiner glücklich leben kann.<br />
Unsere Geschichte mag die positive Ausnahme sein - aber man<br />
sieht: ES GEHT AUCH ANDERS!<br />
Wenn man auch der Gegenseite positiv gegenüberstehen kann<br />
und deren Verantwortung nicht als Indiskretion oder Prüfungssituation<br />
versteht, hat man sicher eine gute Basis für vertrauensvolle<br />
Gespräche.<br />
Auch heute noch - nach nunmehr 10 Jahren - haben wir noch<br />
guten Kontakt zum Jugendamt.<br />
Nach 3 Jahren konnten wir noch ein zweites Kind adoptieren<br />
und haben heute unsere kleine Familie so zusammen, wie wir<br />
es uns immer gewünscht hatten. Zwar auf Umwegen - aber wer<br />
fragt nun noch danach?! Und bei allen Problemen, die unsere<br />
beiden Lausbuben zwischendrin so bieten, ist uns das Jugendamt<br />
auch heute noch immer eine Hilfe.<br />
Gabi Ziegler<br />
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