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THEMEN: Netzwerk Frauenforschung NRW JOURNAL Nr. 20/2006

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Veröffentlichungen<br />

über, deren Inhalte nun in die Rechtsrealität umzusetzen<br />

sind. Dies erfordert eine Umorientierung<br />

zivilgesellschaftlicher (Frauen-)Gruppen, die jahrzehntelang<br />

gegen den Apartheidsstaat und seine<br />

diskriminierende Gesetzgebung gekämpft haben<br />

und nun mit (nicht immer neu besetzten) staatlichen<br />

Institutionen zusammenarbeiten müssen. Es<br />

erfordert ebenfalls umfassende Struktur- und<br />

Personalreformen sowie Bewusstseinsänderungen<br />

in der gesamten Gesellschaft bezüglich Geschlechterhierarchien,<br />

Selbstkonzepten und des<br />

Abbaus von Misstrauen aufseiten der AfrikanerInnen,<br />

denn das Rechtssystem hat jahrhundertelang<br />

ihrer Ausbeutung und Entmenschlichung<br />

gedient. Wie schwer solche Änderungen zu realisieren<br />

sind, veranschaulicht die Verfasserin an der<br />

Rechtsentwicklung für einzelne Bevölkerungsgruppen<br />

und Rechtsgebiete wie das Ehe-, Familien-<br />

oder Arbeitsrecht sowie für frauenspezifische<br />

Rechtslagen zu Abtreibung, Unterhaltszahlungen,<br />

sexueller Gewalt in der Ehe und am Arbeitsplatz.<br />

Der vierte Teil befasst sich mit den Entwicklungen<br />

der Frauenbewegung/en in Südafrika anhand der<br />

verschiedenen Organisationen und Motive für<br />

eine politische Mobilisierung. Auch hier werden<br />

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen<br />

den verschiedenen Gruppierungen aufgezeigt:<br />

weiße liberale Freuen aus dem englischsprachigen<br />

Milieu, burische nationalistisch-rassistische<br />

Frauen, Inderinnen sowie Afrikanerinnen verschiedener<br />

Ethnien, sozialer Schichten und ideologischer<br />

Orientierungen in städtischen und ländlichen<br />

Regionen. In der ersten Hälfte des <strong>20</strong>. Jahrhunderts,<br />

im Zuge von Industrialisierung, Urbanisierung<br />

und der Einführung des Apartheidsregimes<br />

richtete sich der Protest und Widerstand<br />

der Afrikanerinnen gegen die politische und rechtliche<br />

Entmündigung, den Verlust von Landrechten<br />

und wirtschaftlicher Eigenständigkeit und gegen<br />

die Passgesetze, die die wirtschaftlichen Aktivitäten<br />

und Mobilität von Frauen einschränkten. Die<br />

Frauenbewegungen erhielten dabei unterschiedlich<br />

stark und eher wenig Unterstützung von Männern,<br />

da diese zumindest die Geschlechterhierarchien<br />

gewahrt wissen wollten. Die Mehrheit der<br />

weißen Frauen machte nicht mit, weil sie in einem<br />

rassistischen Privilegiendenken befangen war und<br />

kaum Bezug zur Lebenswelt der Afrikanerinnen<br />

hatte. Das Massaker von Sharpeville (1960), dem<br />

viele TeilnehmerInnen einer friedlichen Anti-<br />

Passdemonstration zum Opfer fielen, beendete<br />

den passiven Widerstand und leitete eine neue<br />

Ära des Protests ein, der sich zunehmend auch im<br />

Exil formierte. Der Kampf der Frauen galt v.a. der<br />

repressiven Apartheidspolitik, den Pass- und<br />

Landgesetzen, den Wahlrechts- und Bildungsbeschränkungen<br />

sowie der Reglementierung im<br />

Wohnungswesen, bis hin zu den Räumungs- und<br />

92 Journal <strong>Netzwerk</strong> <strong>Frauenforschung</strong> <strong>NRW</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>20</strong>/<strong>20</strong>06<br />

Zwangsumsiedlungen ganzer Townships. Sie reflektierten<br />

ihr kolonisiertes Bewusstsein, aber<br />

angesichts der Aufgaben der nationalen Befreiung<br />

und der Leitlinie, Fraueninteressen dem Kampf für<br />

politische Unabhängigkeit unterzuordnen, thematisierten<br />

sie nur ansatzweise tradierte Geschlechterhierarchien.<br />

Dies begann sich erst ab den 1980er Jahren allmählich<br />

zu ändern, aber die unterschiedlichen<br />

Einschätzungen von Gewaltursachen, ob z. B. geschlechtsspezifische<br />

Gewalt vorrangig Folge der<br />

Apartheid wäre oder sich aus verschiedenen<br />

sozio-kulturellen, politischen und ökonomischen<br />

Zusammenhängen speise, blieben auch in der Folgezeit<br />

kontrovers.<br />

Ein umfangreiches Kapitel ist den heutigen Frauen-Rechtsorganisationen<br />

und ihrer zum Teil ambivalenten<br />

Verortung als verlängerter Arm der Regierung<br />

gewidmet, die Gewalt v.a. in der Armut<br />

und den Folgen der Apartheid begründet sieht und<br />

damit "selektive Interpretationen von Traditionen<br />

und historisch geformten Gewaltkulturen als prägende<br />

Faktoren in den Maskulinitätskonstrukten<br />

ignoriert" (S. 270). Die Frauen-Rechtsorganisationen<br />

unterteilt die Verf. in solche, die Rechtsforschung<br />

und rechtspolitische Lobbyarbeit betreiben<br />

und solche, die Rechtsinformationen, psychosoziale<br />

Beratung und Bewusstseinsarbeit anbieten.<br />

Das letzte Kapitel befasst sich mit Männerorganisationen<br />

und deren Neudefinition von<br />

Maskulinität. Die bislang wenigen Initiativen versuchen<br />

in verschiedenen Kontexten der - durch<br />

Medien und Institutionen noch immer - weit verbreiteten<br />

Gewalttoleranz und der Suggestion,<br />

Gewalt sei ein geeignetes Mittel zur Konfliktlösung<br />

und Interessensdurchsetzung, neue gewaltfreie<br />

Männlichkeitskonzepte und Lebensstile entgegenzusetzen<br />

und eine "kritische Auseinandersetzung<br />

mit verinnerlichten Traditionen, Normen<br />

und Sozialisationsmustern sowie um Konflikte<br />

und Konkurrenz zwischen Männern" (S. 323) anzuregen,<br />

wobei diese auch bis dato diskriminierte<br />

Homosexuelle umfasst.<br />

Insgesamt hat sich bis heute keine einheitliche<br />

Frauenbewegung herausgebildet. Vielmehr wird<br />

das Bild von sehr verschiedenartigen Gruppierungen<br />

und Zusammenschlüssen mit unterschiedlichen<br />

Konzepten und Aufgaben sowie Nähe zur Basis<br />

bestimmt. Jedoch herrsche "zwischen Wissenschaftlerinnen,<br />

Aktivistinnen und Vertreterinnen<br />

von Frauen-Rechtsorganisationen in Südafrika<br />

Konsens darüber, dass die multiplen Geschlechterdifferenzen<br />

historisch geformt sind und im Zusammenhang<br />

mit anderen gesellschaftlichen Ungleichheiten<br />

reflektiert werden müssen" (S. 274).<br />

Es handelt sich um eine fundiert recherchierte,<br />

hochdifferenzierte und zugleich sprachlich sehr<br />

anschaulich gestaltete Studie. Die Inhalte - eine

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