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ERF Antenne 0910|2016 Das Leben lieben

Das Magazin von ERF – Der Sinnsender

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<strong>ERF</strong> THEMA<br />

unseren Sohn dennoch von Anfang an in<br />

unser Herz geschlossen, genau wie seine<br />

beiden älteren Geschwister. Und der kleine<br />

Mann hat von Beginn an seinen <strong>Leben</strong>swillen<br />

gezeigt. Ein zäher kleiner Bursche<br />

mit einem gehörigen Dickschädel und viel<br />

Ausdauer.<br />

Wir werden unser Kind<br />

nicht verstecken<br />

Seit diesen ersten Tagen sind einige Jahre<br />

vergangen. Es gab viele Momente des<br />

Hoffens und Bangens, der Ängste und<br />

der Freude und viele lehrreiche Begegnungen<br />

und Erfahrungen. Eines war<br />

uns gleich klar: Wir werden unser Kind<br />

nicht verstecken. Es ist ein Teil dieser<br />

Welt, dieser Gesellschaft und auch der<br />

christlichen Gemeinde und Kirche, der<br />

wir angehören. Gerade dort haben wir viel<br />

Zuspruch und Verständnis erfahren. Für<br />

den Pfarrer und die Gemeindeglieder vor<br />

Ort ist es kein Problem, wenn unser Sohn<br />

im Rollstuhl nach vorne fährt und laut die<br />

Predigt unterbricht, um dem Pfarrer auf<br />

seine Weise „Hallo“ zu sagen, den er aus<br />

der integrativen Kindertagesstätte kennt. In<br />

der Kita arbeiten viele Menschen, die sich<br />

mit vollem Elan und Einsatz für Menschen<br />

mit Behinderung einsetzen. Sie haben<br />

ihm <strong>Leben</strong>squalität und eine schöne Zeit<br />

geschenkt. Unser Sohn hat im Gegenzug<br />

diesen und anderen Menschen <strong>Leben</strong>sfreude<br />

und Zufriedenheit gegeben. Auch weil er<br />

selbst seiner Freude durch ein herzhaftes<br />

und herzerwärmendes Lachen Ausdruck<br />

verleiht. Er durfte so kommen, wie er ist,<br />

und wurde so angenommen. Gleichzeitig<br />

haben wir nichts dagegen, dass Menschen<br />

für unseren Sohn und uns beten. Da gibt<br />

es wirklich viel, wofür man beten kann.<br />

Aber niemand sollte enttäuscht sein, wenn<br />

unser Sohn nicht „gesund“ wird. <strong>Das</strong> ist<br />

eine Spannung, die wir und andere eben<br />

aushalten müssen. Wie immer, wenn es<br />

um Leid und Ungerechtigkeit geht.<br />

Zu einer neuen Tiefe<br />

des Glaubens geführt<br />

So hat unser Sohn uns und andere in ihrem<br />

Glauben in Frage gestellt und uns zu einer<br />

neuen Tiefe des Glaubens geführt. <strong>Das</strong> ist<br />

nicht immer leicht. Menschen sind nun<br />

einmal verschieden - auch Menschen mit<br />

Behinderung. Doch zu gerne werden alle<br />

über einen Kamm geschert. Auch wenn es<br />

um Integration geht. Dann sind meist nur<br />

Erwachsene und Kinder mit rein körperlicher<br />

Behinderung im Blick. Bei Kindern<br />

und Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung<br />

sind es in der Regel Menschen<br />

mit Trisomie 21. Dabei müsste Integration<br />

oder Inklusion Menschen mit jeder<br />

Behinderung einbeziehen. Dazu gehört<br />

eben auch, dass jeder Mensch nach seinen<br />

Fähigkeiten gefördert wird. Es geht uns als<br />

Eltern eines behinderten Kindes um die<br />

Möglichkeiten einer gerechten Teilhabe.<br />

<strong>Das</strong> erst kürzlich vom Bundestag verabschiedete<br />

Bundesteilhabegesetz garantiert<br />

gerade dies aber nicht. Denn in den letzten<br />

Jahren sind Menschen mit Behinderung<br />

als Objekt der Einsparungsmöglichkeiten<br />

entdeckt worden. Im Namen der Inklusion<br />

wurden Mittel gekürzt und Planstellen<br />

abgebaut. Gerade Menschen mit schwerer<br />

Behinderung, die ihre Interessen nicht<br />

selbst vertreten können, fielen dabei hinten<br />

runter. Um das deutlich zu machen: Wir<br />

wollen kein Mitleid; wir wollen Verständnis,<br />

Annahme und Hilfe, wo nötig. Und<br />

da wäre schon viel geholfen, wenn einem<br />

Behörden und Krankenkassen nicht so viele<br />

Hürden in den Weg stellen würden. Wobei<br />

wir dabei bisher noch gut weggekommen<br />

sind im Vergleich zu anderen Eltern. Und<br />

letztlich sind es ja viele Menschen, denen<br />

unser Sohn Arbeit verschafft.<br />

Jeder verdient ein<br />

menschenwürdiges <strong>Leben</strong><br />

<strong>Das</strong> <strong>Leben</strong> mit unserem behinderten Sohn<br />

hat uns und anderen schon so viele schöne<br />

Momente bereitet. Man muss nur die Augen<br />

dafür öffnen. Und manch schlaflose<br />

Nacht, die wir an seinem Bett verbracht<br />

haben, hat uns zu den Grundlagen des<br />

<strong>Leben</strong>s zurückgeführt. Worauf kommt es<br />

im <strong>Leben</strong> wirklich an? Unser Sohn braucht<br />

Menschen, die ihn <strong>lieben</strong>, so wie er ist! Wer<br />

braucht das nicht? Es ist so einfach, ihn<br />

glücklich zu machen. Unser Sohn zahlt<br />

es zurück mit ehrlicher Zuneigung. Er<br />

kennt keine Verstellung, keine Ränke oder<br />

Intrigen. Er ist weder berechnend noch boshaft<br />

oder hinterhältig. Er tut niemandem<br />

Gewalt an oder stiftet andere dazu an. Im<br />

Gegenteil: Schon in der Kita wurde er für<br />

seine Liebenswürdigkeit und offene Art<br />

geschätzt und wiederum geliebt. Er ist so<br />

Horst Kretschi ist 46 Jahre alt, verheiratet und Vater von<br />

drei Kindern. Er lebt im hessischen Städtchen Butzbach.<br />

Seit 1998 arbeitet er bei <strong>ERF</strong> Medien und organisiert<br />

derzeit das Programm von <strong>ERF</strong> Pop.<br />

echt und unmittelbar wie das <strong>Leben</strong>. Da ist<br />

unser Sohn unvergleichlich und gibt uns<br />

und unserer Gesellschaft sehr viel. <strong>Das</strong><br />

macht den Alltag nicht unbedingt leichter.<br />

Vieles ist nicht so einfach möglich wie bei<br />

Familien mit gesunden Kindern. Doch<br />

mit Phantasie, Hilfe und der einen oder<br />

anderen Einschränkung geht dennoch sehr<br />

viel. Und schließlich ist das <strong>Leben</strong> kein<br />

Wunschkonzert. Unsere Aufgabe ist es,<br />

unseren Sohn zu <strong>lieben</strong> und zu fördern. Die<br />

Aufgabe der Gesellschaft ist es, uns dabei<br />

zu unterstützen. Jeder Mensch verdient ein<br />

menschenwürdiges <strong>Leben</strong> und keiner hat<br />

das Recht, ihm diese Chance zu rauben.<br />

Manchmal muss man etwas wagen und<br />

kann dann entdecken, dass <strong>Leben</strong> lebenswert<br />

und schön ist, auch abseits unserer<br />

gängigen Normen und Vorstellungen.<br />

ANTENNE 0910|16<br />

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