PS_0916_Online
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
LEITTHEMA 4<br />
Nie erreichtes Ideal<br />
Beim Thema Barrierefreiheit hat sich dennoch<br />
in den letzten Jahren viel getan<br />
In den vergangenen Jahren hat das Thema „Barrierefreiheit“ in allen Lebensbereichen wesentlich mehr Beachtung in der Gesellschaft<br />
gefunden als noch zuvor. Überall liest und hört man das Schlagwort „barrierefrei“, insbesondere im baulichen Bereich werben die<br />
Bauträger damit, dass ihre Gebäude für alle Menschen zugänglich sind. Darum geht es auch bei der Barrierefreiheit: Ausnahmslos jeder,<br />
ob alt oder jung, dick oder dünn, groß oder klein, mit oder ohne Rollstuhl soll die Möglichkeit haben, das entsprechende Gebäude<br />
ohne jegliche Einschränkungen zu nutzen. Oft wird Barrierefreiheit mit Behinderten assoziiert, doch das würde dem, was im Begriff<br />
mitschwingt, nicht gerecht werden. Aus diesem Grund wird das Wort „behindertengerecht“ schon länger nicht mehr verwendet.<br />
Gebräuchlicher sind hingegen die Begriffe „universelles Design“ oder „Design für alle“.<br />
Dennoch spielen die Behinderten eine große Rolle bei dem Thema. Einen nicht zu verachtenden Anteil<br />
daran, dass Barrierefreiheit in der heutigen Gesellschaft eine solch große Rolle spielt, hat das Gesetz zur<br />
Gleichstellung behinderter Menschen (BGG). Es trat am 1. Mai 2002 in Kraft und sein Kernstück ist die<br />
Herstellung einer umfassenden Barrierefreiheit. In Paragraf 4 des BGG wird diese definiert: „Barrierefrei<br />
sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der<br />
Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen<br />
sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der<br />
allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe<br />
zugänglich und nutzbar sind.“ Die Kernpunkte der Barrierefreiheit sind etwa die stufenlose<br />
Erreichbarkeit, bestimmte Türbreiten, Rampen und Bewegungsflächen. Die Verpflichtungen<br />
für den Baubereich werden allerdings durch die Gleichstellungsgesetze der Länder vorgegeben.<br />
In der rheinland-pfälzischen Landesbauordnung ist im Paragraf 51 etwa genau vorgeschrieben,<br />
welche Art von Einrichtungen barrierefrei sein müssen.<br />
Doch wo barrierefrei draufsteht, ist nicht immer Barrierefreiheit drin. Es gibt genügend Beispiele,<br />
in denen etwa Rampen für Rollstuhlfahrer schon bei der Planung vermurkst wurden, vor allem weil<br />
sie viel zu steil sind, um eine sichere Auf- oder Abfahrt zu gewährleisten. Für nicht barrierefrei<br />
ausgeführte Baumaßnahmen hat der Allgemeine Behindertenverband Land Brandenburg (ABB)<br />
einen Preis ins Leben gerufen: den Betonkopf. Preisträger sind sowohl öffentliche Gebäude wie die<br />
Verwaltung des brandenburgischen Landtags, der Bahnhof Luckenwalde oder das Ministerium für<br />
Infrastruktur, als auch alltägliche Dinge wie das Supermarktdrehkreuz oder Großsteinpflaster im<br />
Allgemeinen. Nicht unbedingt als der Inbegriff von Barrierefreiheit gilt der Luftverkehr. Mobil<br />
eingeschränkte Personen haben auf europäischen Kontinentalflügen mangels barrierefreier<br />
Bordtoilette keine Möglichkeit, aufs Klo zu gehen. Auch Bordrollstühle oder Rampen zum<br />
einfachen Einsteigen sind noch Mangelware. Einige Fluggesellschaften haben angekündigt,<br />
in dieser Hinsicht etwas zu tun, die Ausführung dürfte aber noch einige Zeit andauern.<br />
Ein barrierefreis Vorzeigeprojekt in der Region ist das generationenübergreifende<br />
Wohnprojekt <strong>PS</strong>: Patio im Winzler Viertel in Pirmasens. Patio ist ein Gemeinschaftprojekt<br />
der Träger Stadt Pirmasens, Bauhilfe und die Diakonie. Die Idee, die dahintersteckt, ist<br />
einen Wohnraum für unterschiedliche Generationen von Menschen zu schaffen, die im<br />
gemeinschaftlichen Miteinander gegenseitig profitieren können: Familien, Singles,<br />
Kinder, ältere Menschen, Menschen mit und ohne Behinderung und alle, die für neue<br />
Formen des Wohnens und Zusammenlebens offen sind, sind als Zielgruppe auf der<br />
Webseite des Projekts angegeben. Erste Ideen für das Vorhaben stammen aus dem<br />
Jahr 2004, seit Anfang 2013 wohnen die Leute im barrierefreien Patio-Mehrfamilienhaus.<br />
Momentan wird gerade am zweiten Gebäudeblock gewerkelt. Hier sollen 2017 die<br />
neuen Bewohner einziehen.<br />
Barrierefreiheit gibt es übrigens nicht nur im Bereich Wohnen und Bauen, sondern<br />
auch Kommunikation und Information. Dahinter steckt der Gedanke, jedem<br />
Menschen die private und berufliche Nutzung eines Computers und des<br />
Internets zu ermöglichen. Dies wird auf zweierlei Art erreicht. Zum einen<br />
wäre da die Software- oder Inhaltsseite, die beispielsweise dafür sorgt, dass<br />
Webseiten skaliert werden können oder Texte bereits in der Produktionsphase so<br />
aufbereitet werden, dass auch Menschen mit geringerer Sprachkompetenz alles verstehen.<br />
Zum anderen gibt es natürlich auch hardwareseitige Hilfe wie etwa eine sogenannte Braillezeile, die Inhalte<br />
des Computers in Blindenschrift ausgibt.<br />
Auch wenn sich in den letzten Jahren viel getan hat: Komplette Barrierefreiheit für Jedermann wird ein Ideal bleiben,<br />
dem man sich nur annähern, aber nie erreichen kann. Aber das ist doch auch schon was.<br />
Text: P6, Fotos: P6, shutterstock/B Brown, shutterstock/Firma V, shutterstock/focal Point