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Offen für Neues

Querspur - das Zukunftsmagazin des ÖAMTC

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Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Ausgabe 10/2016<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

1


offen <strong>für</strong> neues<br />

Quellen: 1. Nature Neuroscience<br />

Wo ist das<br />

Zentrum der Neugier<br />

im menschlichen Gehirn?<br />

Wissenschafter haben herausgefunden,<br />

dass das Zentrum der Neugier und damit der<br />

Ausgangspunkt von Innovation im Gehirn nicht<br />

einer bestimmten Hirnregion zuzuordnen ist.<br />

Vielmehr geht es um die Verbindungsstärke<br />

bestimmter Hirnregionen. Neugierige Menschen<br />

zeichnen sich vor allem durch eine besonders<br />

gut funktionierende Verbindung von<br />

Striatum (Sitz des Belohnungssystems) und<br />

Hippocampus (<strong>für</strong> bestimmte<br />

Gedächtnisfunktionen<br />

zuständig) aus. 1<br />

Was ist der<br />

Unterschied zwischen<br />

Invention und Innovation?<br />

Was ist Neugier?<br />

Das Lexikon der Psychologie definiert<br />

Neugier als einen Zustand, „der einhergeht<br />

mit einer erhöhten Bereitschaft eines Organismus,<br />

sich neuen, ungewohnten und komplexen Situationen<br />

und Objekten auszusetzen bzw. diese aktiv aufzusuchen“.<br />

Es kann zwischen epistemischer und perzeptiver Neugier<br />

unterschieden werden. Bei Ersterer geht es um den reinen<br />

Erkenntnisweg (griech.: epistéme, dt.: Wissen, Erkenntnis).<br />

Diese Art der Neugier wird ausgelöst, wenn sich<br />

eine Person gedanklich mit Dingen beschäftigt und<br />

diese verstehen will.<br />

Perzeptive Neugier (lat.: percipere, dt.: wahrnehmen)<br />

hingegen entsteht in einer Situation, in der man über<br />

eine Wahrnehmung sofort dazu angeregt ist,<br />

mehr über eine Sache zu erfahren. Etwa<br />

wenn ein Kind vor einer Baustelle steht<br />

und sich diese in der Situation<br />

genau ansehen<br />

möchte.<br />

Eine Invention ist eine Erfindung.<br />

Hierbei kann es sich um eine bloße Idee,<br />

um eine auf wissenschaftlicher Methode<br />

erforschte Erkenntnis oder um eine konkrete<br />

Konzeptentwicklung bis hin zum Prototypen<br />

handeln. Die Invention ist jedoch in der<br />

vormarktlichen Phase verankert.<br />

Erst wenn die Invention produziert und<br />

erfolgreich im Markt platziert ist,<br />

spricht man von<br />

Innovation.<br />

Impressum und <strong>Offen</strong>legung<br />

Medieninhaber und Herausgeber<br />

Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC),<br />

Schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0<br />

www.oeamtc.at<br />

ZVR-Zahl: 730335108, UID-Nr.: ATU 36821301<br />

Vereinszweck ist insbesondere die Förderung der Mobilität unter<br />

Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.<br />

Rechtsgeschäftliche Vertretung<br />

DI Oliver Schmerold, Verbandsdirektor<br />

Mag. Christoph Mondl, stellvertretender Verbandsdirektor<br />

Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbh<br />

Chefredaktion Dr. Florian Moosbeckhofer (ÖAMTC),<br />

Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)<br />

Chefin vom Dienst Silvia Wasserbacher-Schwarzer, BA, MA<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe Dipl.-Bw. Maren Baaz, Ancuta Barbu,<br />

Catherine Gottwald, Margit Hurich, Mag. (FH) Christian Huter, Mag. Claudia Kesche,<br />

Mag. Astrid Kuffner, MMag. Ursula Messner, Dr. Daniela Müller, Dr. Ruth Reitmeier,<br />

DI Anna Vardai, Silvia Wasserbacher-Schwarzer, BA, MA, Armin Winter<br />

Fotos Karin Feitzinger; Umschlag: Karin Feitzinger<br />

Grafik Design, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation, Barbara Wais, MA<br />

Korrektorat Mag. Christina Preiner, vice-verba<br />

Druck Hartpress<br />

Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.<br />

Ausgabe 10/2016, erschienen im Oktober 2016<br />

Download www.querspur.at


Foto: © Karin Feitzinger<br />

6<br />

10<br />

28<br />

32<br />

35<br />

59<br />

Heute<br />

Mit anderen Augen<br />

gegen den Strom<br />

Aus der eigenen Welt ausbrechen,<br />

um <strong>Neues</strong> zu schaffen.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Sesam öffne dich<br />

Organisationen müssen sich schon<br />

heute <strong>für</strong> Innovationsaktivitäten öffnen,<br />

um auf der Überholspur zu bleiben.<br />

Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer<br />

Meine Idee<br />

Externe Ideengeber der ÖAMTC<br />

Future Challenge im Portrait.<br />

Von Astrid Kuffner<br />

Futurnauten<br />

Die Jury-Mitglieder der ÖAMTC<br />

Future Challenge im Interview.<br />

Von Catherine Gottwald<br />

Der Schlüssel zum Erfolg<br />

Ob sich eine Innovation auf dem Markt<br />

durchsetzt, hängt von vielen Faktoren<br />

ab. Mitunter auch vom Zeitalter,<br />

in dem sie geschaffen wird.<br />

Von Astrid Bonk<br />

Zeichen der Zeit<br />

Bald wird Europa zum Eldorado<br />

<strong>für</strong> Start-ups.<br />

Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer<br />

6<br />

Foto: © shutterstock Foto: © Günther Huck<br />

28<br />

35<br />

Illustration: © Barbara Wais<br />

59<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

3


offen <strong>für</strong> neues<br />

Wie wichtig ist den<br />

Österreichern Wissenschaft?<br />

Eine Studie im Auftrag des<br />

Wissenschaftsministeriums (BMWFW) ergab,<br />

dass 92 % der Befragten (2.000 Erwachsene)<br />

Wissenschaft in Bezug auf Arbeitsplätze in Österreich<br />

und den Wirtschaftsstandort insgesamt als sehr<br />

wichtig oder eher wichtig beurteilen. Der Einfluss von<br />

Wissenschaft auf das internationale Ansehen,<br />

den Wohlstand und das tägliche Leben in Österreich<br />

wird ähnlich hoch bewertet. Können sich die<br />

Menschen vorstellen, auch privat Geld <strong>für</strong><br />

Wissenschaft und Forschung zu spenden?<br />

Dieser Frage stimmten<br />

acht Prozent voll zu, 28 Prozent<br />

stimmten eher zu. 1<br />

Was ist STARTS?<br />

STARTS<br />

(SCIENCE + TECHNOLOGY + ARTS)<br />

ist ein von der Ars Electronica in Linz und im<br />

Auftrag der Europäischen Kommission<br />

ausgeschriebener Preis, der Projekte an der<br />

Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und<br />

Kunst auszeichnet. Der Hintergrund:<br />

Jene Kunstprojekte sollen prämiert werden,<br />

die als Katalysator angesehen werden, um<br />

wissenschaftliches und technologisches Know-how<br />

in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen<br />

und innovative Prozesse anzustoßen.<br />

Dotiert ist der STARTS-Preis mit<br />

zwei Mal 20.000 EUR.<br />

www.starts-prize.aec.at<br />

Was ist<br />

Citizen Science?<br />

Als Citizen Science wird eine<br />

Arbeitsmethode bezeichnet, bei der<br />

wissenschaftliche Projekte partizipativ mit<br />

interessierten Amateuren durchgeführt werden. 2<br />

Längere Tradition hat dies in der Vogelkunde oder<br />

Astronomie, wo es um die Erfassung und Verarbeitung<br />

sehr großer Datenmengen geht. In jüngerer Zeit wurde<br />

Citizen Science auch auf andere Bereiche übertragen.<br />

Etwa wird die Crowd nach spezifischen Lösungen <strong>für</strong><br />

sehr konkrete Fragestellungen, z. B. <strong>für</strong> neue Algorithmen,<br />

gefragt. Aber auch in der Wissenschaft können<br />

Laienforscher unter dem Stichwort<br />

„partizipative Forschung“ einen großen Beitrag<br />

leisten und schon in sehr frühen Phasen<br />

eingebunden werden. Zum Beispiel in der<br />

Themensetzung und Formulierung von<br />

Forschungsfragen.<br />

Quellen: 1. Wissenschaftsmonitor 2015; 2. citizen-science.at<br />

Seit wann gibt<br />

es Citizen Science?<br />

In seiner heutigen, digital unterstützten<br />

Form erst seit wenigen Jahren. Die Idee dazu<br />

ist aber nicht neu. Als eines der ersten Citizen<br />

Science-Projekte kann der Christmas Bird Count<br />

(dt.: Wintervogelzählung) angesehen werden, der<br />

im Jahr 1900 das erste Mal durchgeführt wurde.<br />

Anstatt der Tradition nachzugehen und Vögel zu<br />

jagen, schlug der US-amerikanische Ornithologe<br />

Frank M. Chapman vor, die Vögel zu zählen.<br />

Heute nehmen an den jährlich stattfindenden<br />

Vogelzählungen mehrere zehntausend<br />

Hobbyornithologen in den<br />

USA und Kanada teil.<br />

4


14<br />

19<br />

24<br />

38<br />

42<br />

46<br />

50<br />

54<br />

56<br />

Morgen<br />

Mengenlehre<br />

Crowdsourcing wird in Zukunft immer<br />

öfter eine Rolle spielen. Die Methode<br />

ist aber kein Allheilmittel.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Kein Stau mehr auf<br />

der letzten Meile<br />

Das letzte Wegstück in der Lieferkette<br />

von Onlinebestellungen muss neu<br />

gedacht werden.<br />

Von Daniela Müller<br />

Kunst zeigt neue Wege auf<br />

Über Kunst, die Innovation anstößt.<br />

Christopher Lindinger von der Ars<br />

Electronica im Interview.<br />

Von Catherine Gottwald<br />

Wissenschaft zum Mitmachen<br />

Open Innovation in der Wissenschaft.<br />

Drei Pioniere der Citizen Science im<br />

Interview.<br />

Von Astrid Kuffner<br />

Ab in den Urlaub<br />

Wie könnte eine Reise mit der Familie<br />

in Zukunft aussehen, wenn Ideen<br />

aus der ÖAMTC Future Challenge<br />

umgesetzt sind?<br />

Von Johanna Stieblehner<br />

Zeit ist Geld<br />

Das fahrerlose Auto wird das<br />

Verkehrssystem verändern.<br />

Insassen wie Umwelt müssen sich auf<br />

die neue Art des Transports einstellen.<br />

Das wird dauern.<br />

Von Daniela Müller<br />

Gesund werden in<br />

einer zweiten Welt<br />

Die Rehabilitation der Zukunft wird<br />

vermehrt auf virtuelle Realitäten und<br />

Maschinen setzen, die dem Menschen<br />

individuelles Feedback geben.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Start-ups<br />

Spannende Ideen zum<br />

Thema „<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong>“.<br />

Von Ancuta Barbu<br />

Die Kleidung denkt mit<br />

Smart-Clothes – Kleidung, die durch<br />

verwebte Hightech immer klüger<br />

wird und mitunter vor falschen<br />

Bewegungen warnt.<br />

Von Armin Winter<br />

Foto: © Karin Feitzinger<br />

19<br />

Foto: © waverlylabs.com Foto: © Florian Voggeneder<br />

24<br />

54<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

5


Mit<br />

anderen<br />

Augen<br />

gegen<br />

den<br />

Strom<br />

6<br />

Foto: © Karin Feitzinger


<strong>Neues</strong> vollBRINGt, wer bereIT dazu ist, auszubreCHen,<br />

MIT den Augen anderer zu sehen und bei BeDArf in die<br />

TrICKKIste der PsyCHOLOGIe zu greifen. Von Ruth Reitmeier<br />

In einer Wiener Bankfiliale hängt ein<br />

Bildschirm. Dort läuft das Security-<br />

Programm, das die Aktivität des Eingangsbereichs<br />

filmt und zeitgleich<br />

abspielt. Ein vielleicht fünfjähriges<br />

Mädchen beäugt zunächst fasziniert<br />

ihre Reflexion und beginnt dann wie<br />

vor einer interaktiven Spielkonsole<br />

zu tanzen. Da die Musik fehlt, singt<br />

sie selbst. Sie legt eine ziemlich gute<br />

Show hin, die endet, sobald ihr Vater<br />

seine Bankgeschäfte erledigt hat.<br />

Was dieses Beispiel zeigt: Das Kind<br />

hat es verstanden, einer Sicherheitseinrichtung<br />

einen ganz anderen<br />

Zweck zu verleihen, nämlich dem<br />

der Unterhaltung zur Überbrückung<br />

langweiliger Wartezeit.<br />

TrADITIOn ist<br />

MAnCHMAL auch<br />

ein Hindernis<br />

Unkonventionelle Ideen sind heute<br />

in fast allen Berufen und Branchen<br />

gefragt, doch das ist gerade in festgefahrenen<br />

Strukturen ein Widerspruch<br />

in sich. Tatsächlich führen<br />

Organisationen mit ihren tradierten<br />

Handlungsweisen nicht selten zu<br />

einer Fixiertheit der Belegschaft.<br />

Genau zu wissen, wie der Hase läuft<br />

und verinnerlichte Regeln stehen der<br />

Innovation im Weg. Das so oft geforderte<br />

„thinking outside the box“<br />

ist schwierig, wenn man im „Kastl“<br />

drinnen ist. In hochspezialisierten<br />

Fachabteilungen lässt es sich, wie<br />

es im Volksmund heißt, ungestört<br />

„im eigenen Saft schmoren“. Experten<br />

neigen dazu, auf ihr Tun so fixiert zu<br />

sein, dass sie keine Veranlassung<br />

sehen, Informationen mit anderen, die<br />

noch dazu weit weniger als sie selbst<br />

vom Fach verstehen, zu teilen. So soll<br />

es schon vorgekommen sein, dass<br />

in Großkonzernen zwei Abteilungen<br />

parallel an der Entwicklung desselben<br />

Produkts gearbeitet haben<br />

und es Monate dauerte, bis dies ans<br />

Tageslicht kam.<br />

Silodenken<br />

verhindert neue<br />

Ideen und sCHAfft<br />

so manCHes PrOBLem<br />

In der Managementliteratur nennt sich<br />

dieses Phänomen „Silodenken“ – ein<br />

etwas sperriger Begriff <strong>für</strong> das gängigere<br />

Wort „Inseldenken“. Die britische<br />

Finanzjournalistin Gillian Tett<br />

analysiert die Auswirkungen dieses<br />

Denkens in ihrem aktuellen Buch<br />

„The Silo Effect“. Ihr Ausgangspunkt<br />

war die Finanzkrise 2008, <strong>für</strong> die Tett<br />

zu einem guten Teil Inseldenken verantwortlich<br />

macht. Nicht nur, dass,<br />

wie sich herausstellte, Abteilungen<br />

großer Finanzinstitutionen nicht miteinander<br />

kommunizierten, operierte<br />

die Bankenwelt insgesamt in sich abgeschottet.<br />

Tett betont zwar, dass Silos durchaus<br />

ihre Berechtigung haben, dass es<br />

Kompetenzzentren braucht – denn<br />

wer will sich schon vom Orthopäden<br />

am offenen Herzen operieren lassen –,<br />

sie zeigt zugleich viele Fälle auf, wo es<br />

sinnvoll war, Fachbereiche zu öffnen<br />

und das Inseldenken zu überwinden.<br />

Nicht zu<br />

unterschäTZen:<br />

Die Lösungsideen<br />

VOn FachfreMDen<br />

Denn Fachfremde sehen Probleme<br />

und ihre Lösungen mitunter glasklar,<br />

die Experten mit Tunnelblick nicht<br />

wahrnehmen. Zuviel Wissen kann der<br />

Innovation durchaus im Wege stehen,<br />

nicht zuletzt deshalb, weil Dogmen<br />

verinnerlicht und mit dem Wissen<br />

verknüpfte Denkweisen als unveränderlich<br />

angesehen werden. Es gibt<br />

zahlreiche Beispiele in der Wissenschaftsgeschichte,<br />

wo echte Durchbrüche<br />

von Fachfremden geleistet<br />

wurden. Inzwischen haben führende<br />

Forschungs institutionen wie z. B. die<br />

US-Raumfahrtbehörde NASA auch<br />

dieses Problem erkannt und laden Tüftler<br />

aus ganz anderen Fachgebieten und<br />

aller Welt dazu ein, ihre Probleme zu lösen<br />

(siehe Artikel „Mengenlehre“, S. 14).<br />

KreATIVITät<br />

entsteht nICHT<br />

auf KnopfdruCK<br />

Eine unkonventionelle Lösung ist<br />

gesucht. Was tun? Die Aufgabenstellung<br />

erfordert einen Geistesblitz,<br />

doch der bleibt aus. Eine Idee muss<br />

her, eine ganz andere. Da stellt sich<br />

zunächst einmal die Frage, ob man<br />

dann eigentlich der/die Richtige <strong>für</strong><br />

den Job ist. Denn wenn eine völlig<br />

andere Lösung gefragt ist, braucht<br />

es ja vielleicht jemand anderen da<strong>für</strong>,<br />

den man sich kurzfristig dazu holen<br />

könnte. Oder zumindest einen anderen<br />

Zugang. Wenn der Druck steigt<br />

und trotzdem nichts kommt, hilft es<br />

vielleicht, sich bewusst zu machen,<br />

dass es keine Faustregel <strong>für</strong> Kreativität<br />

gibt.<br />

Es gibt nicht nur einen Weg, doch ein<br />

ganz guter ist Blaumachen. Man soll<br />

ja schließlich entspannt an die Sache<br />

herangehen. Macht man sich jedoch<br />

mit dem fixen Plan nachmittags ins<br />

Freibad auf, dass einem dort beim<br />

Slalomschwimmen durch aufgekratzte<br />

Kinder der zündende Gedanke kommen<br />

wird, ist das gemogelt und wird<br />

vermutlich nicht funktionieren. Denn<br />

die wirklich guten Einfälle passieren,<br />

wenn man eben nicht mit ihnen rechnet.<br />

Spontan. So bleiben vom geschwänzten<br />

Nachmittag im Freibad<br />

vermutlich ein leichter Sonnenbrand<br />

und die hohen Preise am Kiosk in<br />

Erinnerung, der Geistesblitz aber aus.<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

7


Man sollte sich wohl wilder, instinktiver<br />

ins Abenteuer des Neuen stürzen<br />

und in der Art von Werbeguru Don<br />

Draper, dem Helden der TV-Serie<br />

Mad Men, an die Dinge herangehen.<br />

Der setzt sich dann eben ins Auto und<br />

fährt drauflos, begegnet neuen Menschen,<br />

sammelt Erfahrungen, um am<br />

Ende mit einer brillianten Idee <strong>für</strong> eine<br />

Werbekampagne in die New Yorker<br />

Agenturwelt zurückzukehren. Don<br />

Draper hat es natürlich leicht, denn er<br />

ist ein fiktiver Charakter, der sich die<br />

ausgedehnten Spritztouren erlauben<br />

kann. Denn einen Nachmittag einfach<br />

die Arbeit zu schwänzen ist das eine,<br />

sich jedoch wie Don über Wochen aus<br />

dem Staub zu machen, um sein eigenes<br />

Roadmovie zu leben, eine ganz andere<br />

Liga der Verantwortungslosigkeit, die<br />

nicht jedem möglich ist.<br />

DisTAnz zum eIGenen<br />

ICH aufbauen und<br />

MIT anderen Augen<br />

sehen<br />

Wie kann man dennoch den Trott<br />

ausbremsen und zu neuen Ufern<br />

aufbrechen? Inzwischen ist ganz gut<br />

erforscht, wie man dem kreativen<br />

Denken auf die Sprünge helfen kann –<br />

etwa durch Perspektivenwechsel.<br />

Wer stets in den gleichen gedanklichen<br />

Bahnen nach einer neuen Idee<br />

sucht, wird sie vermutlich nicht finden.<br />

Es empfiehlt sich, ab und an die Welt<br />

mit anderen Augen zu sehen. Aus der<br />

Psychologie wissen wir: Es ist vor<br />

allem das Ich, das uns dabei im Wege<br />

steht. Doch um anders zu denken,<br />

müssen wir zwischenzeitlich zum<br />

Ich auf Distanz gehen und uns vorstellen,<br />

wir seien jemand anders.<br />

Durch solche Ausflüge der Fantasie<br />

läuft der Mensch aber nicht gleich<br />

Gefahr, beim Psychiater zu landen.<br />

Rollenwechsel ist schließlich des<br />

Schauspielers täglich Brot.<br />

GrieCHenland als<br />

sTICHWOrt der<br />

ImaginATIOn<br />

Distanz wirkt. Um Ideen auf die<br />

Sprünge zu helfen, kann es schon<br />

reichen, sich vorzumachen, dass der<br />

Aufgabensteller oder Auftraggeber<br />

ein ganz anderer ist, am besten aus<br />

einem weit entfernten Land. Das<br />

Wissenschaftsmagazin „Spektrum“<br />

berichtet von einem Experiment, das<br />

der Psychologe Lile Jia an der Indiana<br />

University (USA) durchführte. Er beauftragte<br />

zwei Gruppen von Studenten,<br />

sich möglichst viele Transportmittel<br />

vorzustellen. Einer Gruppe gab er<br />

noch mit, dass die Aufgabenstellung<br />

von Griechen erdacht wurde. „Griechenland“<br />

reichte, um die Fantasie der<br />

Studenten auf Reisen zu schicken.<br />

Das Team erdachte neben dem<br />

Standardprogramm einige unkonventionelle<br />

Transportmittel wie die Meditation<br />

oder Fortbewegung durch Radschlag.<br />

Träumen als<br />

Ideen-TurBO<br />

Lässt der rettende Geistesblitz aber<br />

auf sich warten, ist es wichtiger denn<br />

je, gut zu schlafen. Der Beweis ist<br />

zwar noch nicht eindeutig erbracht,<br />

jedoch geht die Forschung davon aus,<br />

dass in traumreichen Tiefschlafphasen<br />

bestimmte, <strong>für</strong> die Impulskontrolle<br />

wichtige Gehirnregionen quasi dicht<br />

machen. Beim angeregt Träumenden<br />

sind also Kontrollsysteme heruntergefahren<br />

und das entfesselte Gehirn<br />

verknüpft Informationen miteinander,<br />

die im Wachzustand wohl nicht zustande<br />

kämen. Fazit: Tief zu schlafen<br />

tut der Kreativität richtig gut. Und<br />

wenn trotz allem gar nichts kommt,<br />

empfehlen Experten, dazwischen an<br />

etwas anderem zu arbeiten. Das Neue<br />

lässt sich eben nicht erzwingen.<br />

In anderen<br />

fACHGebieten<br />

nACH Ideen sTÖBern<br />

Multi(fa)kulti ist ein bewährtes Ambiente<br />

<strong>für</strong> Innovation. Der Unternehmensberater<br />

Frans Johansson zeigt<br />

in seinem Buch „The Medici Effect“,<br />

dass Kollisionen oder auch Kombinationen<br />

unterschiedlicher Fachgebiete<br />

Innovation hervorbringen. Die Menschen<br />

hinter den großen Ideen<br />

be geben sich mitunter durchaus<br />

bewusst an interdisziplinäre Überschneidungspunkte,<br />

um dort ihre<br />

kreative Kraft zu entzünden. Wie<br />

etwa Architekt Mick Pearce, der<br />

durch die Verknüpfung von menschlichem<br />

Planen und jenem der Natur<br />

bahnbrechende Bauten geschaffen<br />

hat, wie den Büro- und Shoppingkomplex<br />

Eastgate Centre in Harare<br />

(Simbabwe), der ohne Klimaanlage<br />

auskommt und trotzdem eine Innentemperatur<br />

von 22 bis maximal 25<br />

Grad hält. Pearce dienten dabei die<br />

Prinzipien des Termitenbaus als Vorbild.<br />

Das genaue Gegenteil<br />

denken, um auf <strong>Neues</strong><br />

zu kommen<br />

Johansson teilt ein paar Tricks mit<br />

seinen Lesern, wie man aus der<br />

Spur denkt oder etwa das genaue<br />

Gegenteil von gesicherten Fakten<br />

anzunehmen. Das funktioniert so:<br />

Wir wissen, dass im Restaurant Essen<br />

serviert wird. Die entgegengesetzte<br />

Behauptung lautet also: Im Restaurant<br />

wird kein Essen serviert. Und<br />

dies kann der Grundstein eines Geschäftsmodells<br />

sein, wo Gäste ihr<br />

eigenes Essen mitbringen und da<strong>für</strong><br />

bezahlen, dass sie in einer schönen<br />

Location mit Freunden zusammenkommen.<br />

Das Neue in die WeLT<br />

zu bringen, ist nICHT<br />

leICHT<br />

Doch machen wir uns nichts vor,<br />

gegen den Strom zu schwimmen ist<br />

schwer, Gruppendruck und Anderssein<br />

stresst. Routine hingegen garantiert<br />

einen reibungslosen Alltag in der<br />

Komfortzone ohne allzu hohe Wellen<br />

und tiefe Konflikte. Mit völlig neuen<br />

Konzepten tun sich viele Menschen<br />

schwer und oft auch mit den Menschen,<br />

die sie parat haben. Der Wissenschaftsjournalist<br />

Jürgen Schaefer<br />

bringt es auf den Punkt, wenn er<br />

meint, Querdenker seien oft erst dann<br />

populär, wenn sie lange genug tot<br />

sind, im eigenen Team schätze man<br />

sie eher nicht. Zugleich braucht die<br />

Menschheit aber die unbequemen<br />

Spinner. Denn ohne Querdenker<br />

8


Foto: © Karin Feitzinger<br />

Nicht selten nimmt man aufgrund des eigenen Silodenkens nur einen kleinen Ausschnitt der Realität wahr.<br />

Durch die Brille eines anderen zu schauen, eröffnet oft einen ganz neuen Horizont.<br />

säßen wir vermutlich noch in der<br />

Höhle. Alles, was wir heute wissen,<br />

war einmal gedankliches Neuland.<br />

Kreativität ist laut dem deutschen<br />

Physiker und Nobelpreisträger Gerd<br />

Binnig im Wesentlichen die Fähigkeit<br />

zur Evolution.<br />

GrOsse<br />

Wissenschafter<br />

MITunter verKAnnt<br />

In der Geschichte der Wissenschaft<br />

wimmelt es von Fällen großer Denker,<br />

die zu ihren Lebzeiten <strong>für</strong> verrückt erklärt<br />

wurden, darunter Galileo Galilei,<br />

der das Weltbild neu erfand, oder der<br />

Entdecker des Kindbettfiebers, Ignaz<br />

Semmelweis. Gerd Binnig beschreibt<br />

in seinem Buch „Aus dem Nichts“,<br />

dass ihm und den beiden anderen Erfindern<br />

des Rastertunnelmikroskops,<br />

<strong>für</strong> das die Wissenschafter 1986 den<br />

Nobelpreis entgegennahmen, zwar<br />

nicht gerade mit Scheiterhaufen oder<br />

Irrenanstalt gedroht wurde, doch<br />

auch ihnen schlug offene Aggression<br />

aus Teilen der Scientific Community<br />

entgegen. „Es sind Leute zu uns<br />

ins Labor gekommen und haben uns<br />

angeschrien, wir seien Lügner“, erinnert<br />

sich Binnig noch Jahre später.<br />

Der Physiker beschreibt die psychologischen<br />

Barrieren im wissenschaftlich-kreativen<br />

Prozess anhand der eigenen<br />

Erfahrung: Das Konzept des<br />

Rastertunnelmikroskops war entwickelt,<br />

dann wurde es gebaut. Die Realisierung<br />

hatte bereits fast ein Jahr an Zeit,<br />

Werkstattkosten und Arbeitseinsatz<br />

verschlungen, als sich das Erfinderteam<br />

eingestehen musste, dass es<br />

den falschen Weg eingeschlagen<br />

hatte. Das Ding funktionierte nicht.<br />

Die Angst vor der<br />

ReAKTIOn anderer<br />

heMMT Innovation<br />

Dies sei laut Binnig der wichtigste<br />

und zugleich schwerste Entschluss in<br />

der gesamten Entwicklung gewesen.<br />

Denn nicht nur die Mechaniker, sondern<br />

die Wissenschafter selbst waren<br />

von sich enttäuscht. Sie brachen also<br />

die Arbeit am Prototyp ab, ohne<br />

Garantie, dass sie es beim nächsten<br />

Anlauf besser machen würden.<br />

Binnig betont, dass es, wenn auch<br />

sinnlos, viel leichter gewesen wäre,<br />

noch eine Zeit lang daran herumzudoktern.<br />

Sein Fazit: Die Angst vor<br />

Verachtung führt dazu, dass wir oft<br />

Dinge tun, von denen wir wissen,<br />

dass sie unsinnig sind. Im konkreten<br />

Fall nahm die Geschichte ein gutes<br />

Ende, der Neustart führte letztlich<br />

dazu, dass das Rastertunnelmikroskop<br />

den Nobelpreis <strong>für</strong> Physik abräumte.<br />

Nach einer fALsCHen<br />

EntsCHeidung<br />

einfACH eine neue<br />

treffen<br />

Ob man nun offen <strong>für</strong> das Neue ist,<br />

ist vor allem eine Lebenseinstellung.<br />

Das Geheimnis von Menschen, die<br />

mit dieser Grundhaltung durch ihr<br />

Leben gehen und sich nicht vor dem<br />

Neuen drücken, liegt nicht zuletzt<br />

darin, ihm wertfrei zu begegnen.<br />

Steht eine größere Entscheidung an,<br />

die vieles verändern wird, vertrauen<br />

sie zudem darauf, dass man, sollte<br />

sich diese zuletzt gefällte Entscheidung<br />

als Fehler herausstellen, ja<br />

auch wieder eine neue treffen kann. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

9


Sesam<br />

öffne<br />

dich<br />

10<br />

Foto: © Karin Feitzinger


In einer digitalisierten Welt mit hochdynAMIsCHen MarKTstruKTuren<br />

sind alte LösuNGen <strong>für</strong> neue PROBleme keINe Option meHR.<br />

Wenn sICH OrGAnisATIOnen zu InnovationsZWeCKen nicht öffnen,<br />

sind sie auf der VerLIererstrAsse. <strong>Neues</strong> von aussen hereinzuHOLen,<br />

ist aber auCH kein SpazierGAng.<br />

Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer<br />

Der Chauffeur-Dienstleister Uber besitzt<br />

keine Fahrzeugflotte, der Online-<br />

Videodienst und Filmproduzent Netflix<br />

keine Kinosäle, der Telefondienst<br />

Skype keine Telefon-Infrastruktur. Nur<br />

drei Beispiele <strong>für</strong> Unternehmen, die<br />

mit innovativen Geschäftsmodellen<br />

Erfolg haben. „Wenn Organisationen<br />

glauben, dass sie sich der Digitalisierung<br />

und den damit einhergehenden<br />

sehr schnellen sozialen und gesellschaftlichen<br />

Veränderungen entziehen<br />

können, sind sie am Holzweg“,<br />

bringt es Werner Wutscher, Founder,<br />

Unternehmer und Start-up-Experte<br />

auf den Punkt. „Märkte und Gesellschaft<br />

entwickeln sich in einem sehr<br />

hohen Tempo. Dem können Unternehmen<br />

nur schwer nachkommen. Schon<br />

gar nicht, wenn sie sich nur auf interne<br />

Innovationsprozesse verlassen.“<br />

„CuLTure eATs strATegy<br />

for breAKfast“ –<br />

Unternehmenskultur<br />

KAnn innovationshemmend<br />

wirken<br />

Öffnung <strong>für</strong> Innovationszwecke<br />

ist nicht immer leicht. Kleineren<br />

Unternehmen fehlt es oftmals an<br />

Ressourcen. Große Unternehmen<br />

sind vor allem kulturell und mit ihren<br />

Compliance-Richtlinien oft meilenweit<br />

davon entfernt, auf schnellen Input<br />

von außen zu reagieren – sei es über<br />

Crowdsourcing-Prozesse, über den<br />

Input von Lead Usern, bzw. Experten<br />

(Anm.: besonders fortschrittliche<br />

Anwender, die <strong>für</strong> sehr spezifische<br />

Innovationsfragen gesucht und<br />

konsultiert werden können), oder<br />

über die Zusammenarbeit mit Startups.<br />

Und dennoch: Einige Organisa-<br />

tionen haben den Schritt bereits gewagt,<br />

weil sie erkannt haben, dass<br />

neue Probleme nicht mit alten Lösungen<br />

bedient werden können. Die<br />

Fraunhofer-Gesellschaft befragte<br />

etwa gemeinsam mit der University of<br />

California in Berkeley 125 Führungskräfte<br />

aus Unternehmen in Europa<br />

und den USA, wie sie Open Inno vation<br />

(Anm.: offene Innovationsprozesse)<br />

praktizieren. 78 Prozent der<br />

Befragten gaben an, seit mehreren<br />

Jahren einem offenen Innovationsansatz<br />

zu folgen. Keines dieser Unternehmen<br />

ist bisher zum rein geschlossenen<br />

Ansatz zurückgekehrt.<br />

<strong>Offen</strong>e Innovation<br />

ist nICHT den<br />

GrOssKOnzernen<br />

VOrbehalten<br />

In die Reihe bekannter Großkonzerne<br />

und Multis, die offene Innovationsprozesse<br />

fest in ihr System integriert haben<br />

– etwa Siemens, Coca Cola oder<br />

Nestlé, reihen sich auch immer mehr<br />

kleinere Unternehmen, NGOs und<br />

Vereine ein. Etwa der ÖAMTC. Als<br />

größter Verein Österreichs mit über<br />

zwei Millionen Mitgliedern und einer<br />

120-jährigen Geschichte hat der Mobilitätsclub<br />

im Herbst 2015 mit der<br />

Planung eines Crowdsourcing-Prozesses<br />

begonnen. Unter dem Titel<br />

„ÖAMTC Future Challenge“ wollte<br />

er sich als Mitgliederorganisation an<br />

eben diese und die breite Öffentlichkeit<br />

wenden. „Wir leben in einer Zeit,<br />

in der auch Mobilität einem starken<br />

Veränderungsprozess unterworfen<br />

ist. Es war klar, dass wir in die Frage,<br />

was wir tun können, um bei unseren<br />

Mitgliedern relevant zu sein und auch<br />

zu bleiben, die Mitglieder selbst miteinschließen<br />

müssen“, erklärt Florian<br />

Moosbeckhofer, Leiter der Abteilung<br />

Innovation und Mobilität im ÖAMTC.<br />

Über eine eigens eingerichtete<br />

Crowdsourcing-Plattform konnten<br />

alle Interessierten im Zeitraum April/<br />

Mai 2016 ihre Ideen zur Frage „Wie<br />

kann der ÖAMTC Menschen in ihrer<br />

Mobilität künftig noch besser unterstützen?“<br />

einreichen. „Wir haben<br />

nicht nur 450 Ideen und Konzepte<br />

erhalten, die inhaltlich sehr interessant<br />

waren. Es wurde uns auch vermittelt,<br />

wie der ÖAMTC wahrgenommen<br />

wird.“ Viele Ideen beziehen sich<br />

auf Services, die nur dann funktionieren,<br />

wenn Kunden dem Anbieter stark<br />

vertrauen. Etwa der Vorschlag, dass<br />

der ÖAMTC einen Schlüssel-Notfalldienst<br />

anbieten solle: Man hinterlegt<br />

einen Zweitschlüssel beim ÖAMTC.<br />

Schließt man sich aus der eigenen<br />

Wohnung aus, so könnte man einen<br />

Gelben Engel rufen, der zur Adresse<br />

kommt und nach Identitätsüberprüfung<br />

den Schlüssel aushändigt. Hintergrund<br />

der Idee sei einerseits die<br />

ständige Erreichbarkeit des ÖAMTC,<br />

die bei Freunden und Nachbarn nicht<br />

gegeben ist. Zusätzlich würden teure<br />

Sicherheitsschlösser durch ein nötiges<br />

Aufbrechen durch einen Schlüsseldienst<br />

nicht beschädigt werden.<br />

NeTZWerkgeseLLsCHAft<br />

verLAnGT Öffnung<br />

In Österreich sind es noch nicht<br />

sehr viele Organisation, die sich <strong>für</strong><br />

Innova tionszwecke öffnen, „obwohl<br />

wir durch die Digitalisierung und<br />

Globalisierung in einer Netzwerk-<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

11


Foto: © Schindler AG<br />

Innovation durch Öffnung: Der Fahrtreppenhersteller Schindler AG mit Niederlassungen auf der ganzen Welt und<br />

vielen Jahrzehnten an Tradition holt sich Innovations-Know-How auch aus analogen Märkten – Bereiche fern der<br />

eigenen Branche mit ähnlichen Problemstellungen, die bereits über interessante Lösungen verfügen.<br />

gesellschaft leben und die Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> Austausch und Kooperationen<br />

gegeben wären“, wie Ursula<br />

Maier-Rabler es beschreibt. Die<br />

stellvertretende Leiterin der Abteilung<br />

Center for Information and Communication<br />

Technologies & Society im<br />

Fachbereich Kommunikationswissenschaft<br />

der Universität Salzburg beschäftigt<br />

sich schon lange mit diesem<br />

Thema. Umgelegt auf Organisationen<br />

bedeute dies, dass ein isoliertes Arbeiten<br />

künftig nicht mehr funktioniere.<br />

GesCHLOssene Türen<br />

aus Angst vor dem<br />

Machtverlust<br />

„In Österreich stehen wir aber vor der<br />

kulturell bedingten Herausforderung,<br />

dass man dem Teilen von Wissen und<br />

Information eher skeptisch gegenübersteht.<br />

Man hat Angst vor einem<br />

ökonomischen Machtverlust.“ Fortschrittlichere<br />

Informationskulturen,<br />

wie Maier-Rabler sie nennt, fände<br />

man in skandinavischen Ländern<br />

wie Schweden, aber auch in England,<br />

Irland und den USA. Begründet sei<br />

das mitunter in einer protestantischen<br />

Wirtschaftsauffassung, bei der der<br />

Erfolg des Einzelnen als positiv empfunden<br />

werde.<br />

Interne ErWArtungen<br />

sind heMMnisse in<br />

innOVATIOnsprojeKTen<br />

Ob eine offene Innovationsoffensive<br />

gelingt, hängt mitunter auch ganz<br />

stark von internen Prozessen und der<br />

Innovationskultur einer Organisation<br />

ab, etwa von den Erwartungen verschiedener<br />

Abteilungen die Ergebnisse<br />

betreffend. Eine Studie der<br />

Fachhochschule Wels in Oberösterreich<br />

ergab, dass interne Interessenskonflikte<br />

zwischen beteiligten Abteilungen<br />

<strong>für</strong> enttäuschte Erwartungen<br />

sorgen können: Versteht das Marketing<br />

ein Crowdsourcing-Projekt vor allem<br />

als Online-Kommunikation mit hohem<br />

Aufmerksamkeitsfaktor, erwartet die<br />

Produktentwicklung umsetzbare Innovationsideen.<br />

Um das zu über brücken,<br />

braucht es gezieltes Training <strong>für</strong> die<br />

Mitarbeiter. Die Lappeenranta University<br />

of Technology in Finnland<br />

entwickelte beispielsweise ein Open<br />

Innovation Competence Model mit<br />

26 Kernkompetenzen, die es sich als<br />

Mitarbeiter anzueignen gilt: Unter<br />

anderem sind darin Collaboration<br />

Skills (z. B. Networking, Aufbau von<br />

Vertrauen), Explorative Skills (z. B.<br />

Flexi bilität, Fehlertoleranz) und<br />

12


Foto: © Karin Feitzinger<br />

Organisationen können sich vor<br />

globalen Vernetzungen nicht<br />

mehr abschotten. Wer den Anschluss<br />

nicht verpassen will, muss offen sein<br />

und auch außerhalb seiner Organisation<br />

nach Neuem suchen.<br />

sogenannten exploitative Skills<br />

(Management von Schutzrechten,<br />

Verhandlungsgeschick) enthalten.<br />

Schindler<br />

fAHrtrePPen<br />

arbeitet seit<br />

jAHren mit offenen<br />

InnOVATIOnsmeTHODen<br />

„Mutig sein, Risiko eingehen, Fehler<br />

zulassen“, sind aus Wutschers Erfahrung<br />

die größten Herausforderungen<br />

<strong>für</strong> Organisationen, die sich zum ersten<br />

oder mitunter zweiten Mal zu Innovationszwecken<br />

nach außen hin<br />

öffnen. Einer, der dies bereits hinter<br />

sich hat, ist Thomas Novacek. Der<br />

Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung<br />

des Fahrtreppenherstellers<br />

Schindler AG mit Niederlassungen<br />

auf der ganzen Welt sieht in<br />

der Öffnung vor allem eines: Den entscheidenden<br />

Wettbewerbsvorteil.<br />

„Wir haben schon einige Open Innovation-Projekte<br />

durchgeführt. Innovation,<br />

abgeschottet von der Außenwelt,<br />

würde <strong>für</strong> uns nicht funktionieren.“<br />

GesCHLOssene<br />

InnOVATIOn<br />

aufgrund globalen<br />

WeTTBewerbs nICHT<br />

mehr möglich<br />

Der globale Wettbewerb sei enorm –<br />

ob im High-End-Bereich, in dem<br />

es vor allem um qualitativ sehr<br />

hochwertige Produkte gehe, oder im<br />

Low-End-Bereich, in dem vor allem<br />

der Preis das Geschäft bestimme.<br />

„Wenn wir da mithalten wollen, vor<br />

allem mit der Konkurrenz aus China,<br />

müssen wir schauen, was um uns<br />

herum passiert.“ Ein Blick in sogenannte<br />

analoge Märkte sei oft sehr<br />

gewinnbringend. Dabei handelt es<br />

sich um Bereiche fern der eigenen<br />

Branche mit ähnlichen Problemstellungen,<br />

die jedoch bereits über interessante<br />

Lösungen verfügen. Daraus<br />

kann man lernen. Novacek, der während<br />

seines Studiums an der US-<br />

Elite-Universität MIT in Boston erstmals<br />

mit Open Innnovation-Methoden<br />

in Kontakt gekommen ist, schätzt den<br />

Vorsprung auf die Konkurrenz durch<br />

die Anwendung von Open Innovation-<br />

Methoden und -Prinzipien in der täglichen<br />

Entwicklungsarbeit auf mehrere<br />

Jahre.<br />

TransdisZIPLInäres<br />

Arbeiten auCH<br />

<strong>für</strong> UniversITäten<br />

sCHWIerig<br />

Zu traditionellen Organisationen<br />

zählen auch Universitäten. Diesen<br />

gelinge es schwer, aus ihrem Silodenken<br />

herauszukommen. „Es gab<br />

immer wieder Versuche, interdisziplinäre<br />

Institute zu etablieren“, so Maier-<br />

Rabler. Es hake aber an der Praxis,<br />

dass Förderungen vor allem an jene<br />

ausgegeben werden, die eng an ihrer<br />

Kerndisziplin forschen. „Die eingereichten<br />

Projekte werden von Einzelwissenschaftern<br />

begutachtet, die danach<br />

trachten, dass ihr Fachgebiet<br />

möglichst stark vertreten ist.“ Auch<br />

der Publikationsdruck in Fachzeitschriften<br />

fördere keine Kultur der<br />

<strong>Offen</strong>heit. Schließlich komme auch<br />

eine persönliche Komponente hinzu.<br />

„Wenn ich transdisziplinär arbeiten<br />

will, muss auch ich mich ändern. Ich<br />

muss den Fachbereich, aus dem ich<br />

komme, hinter mir lassen und mich<br />

auf andere und anderes einlassen.<br />

Sonst kann nichts <strong>Neues</strong> entstehen.“<br />

ÖAMTC <strong>für</strong> Ideen aus<br />

der CrOWD weiterHIn<br />

erreichbar<br />

Zurück zum ÖAMTC: Wie viele Ideen<br />

aus dem Crowdsourcing-Projekt tatsächlich<br />

umgesetzt werden, kann<br />

Florian Moosbeckhofer heute noch<br />

nicht sagen. Man wolle jedenfalls<br />

rasch in eine Umsetzung kommen.<br />

Ein wichtiger Faktor sei es, mit den<br />

Ideen gebern und Ideengeberinnen<br />

weiter in Kontakt zu bleiben, um die<br />

Konzepte weiterentwickeln zu können.<br />

Auch Fokusgruppen seien vorstellbar.<br />

„Wir haben so viel wertvollen Input<br />

von außen bekommen, diesen Kanal<br />

möchten wir unbedingt offenhalten“,<br />

freut sich Moosbeckhofer. „Wir planen<br />

zwar derzeit kein neues Open Innovation-Projekt,<br />

möchten aber unbedingt<br />

<strong>für</strong> Ideen aus der Community<br />

offen sein. Über die E-Mailadresse<br />

innovation@oeamtc.at sind wir auch<br />

weiterhin erreichbar.“ Moosbeckhofer<br />

könne jedem nur empfehlen, einen<br />

offenen Innovationsprozess zu wagen,<br />

obwohl dahinter viel Arbeit stecke.<br />

„Und jetzt geht es ans Abarbeiten<br />

der vielen Ideen aus der ÖAMTC<br />

Future Challenge.“ •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

13


Mengenlehre<br />

14<br />

Foto: © Karin Feitzinger


CROwdsouRCING ist eIN noch juNGes INNOVAtionsINstrument mit<br />

VIel Potenzial. Was vor wenigen Jahren aufgrund der fehlenden<br />

TeCHnologie noch nicht möglich war, ist heute eine vieLGeLOBTe<br />

InnovationsmeTHODe. Nicht nur in der WirtsCHAft, auCH in der<br />

WissensCHAft und sOGAr in der POLITIK gibt es erfolgreICHe<br />

ProjeKTe. Aber nICHT jede FrAGe kann die CrOWD, also FreIWILLIGe,<br />

DIe an einem CrOWDsourcing-Projekt mitmachen, beanTWOrten.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Polizeiliche Fahndungsfotos oder<br />

Wanted-Poster im Wilden Westen,<br />

die sich an Unbekannte richten, in<br />

der Hoffnung, dass sie über wertvolle<br />

Information verfügen, sind Crowdsourcing<br />

in seiner Urform. „Die Verbreitung<br />

des Internets markiert einen<br />

Paradigmenwechsel“, sagt der Experte<br />

<strong>für</strong> webbasierte Innovation<br />

Thomas Gegenhuber von der<br />

Johannes Kepler Universität Linz.<br />

Mittlerweile richten sich Aufrufe zu<br />

allen möglichen Themen und Problemstellungen<br />

an unterschiedliche<br />

Zielgruppen. Prinzipiell kann jeder<br />

Mensch eine Crowd erreichen und<br />

mobilisieren. Tatsächlich bedienen<br />

sich aber vor allem größere Unternehmen,<br />

Organisationen und Institutionen<br />

dieser Kommunikationsform,<br />

und nicht überall, wo Crowdsourcing<br />

draufsteht, ist es auch drin. „Es ist<br />

teilweise ein Hype“, sagt Gertraud<br />

Leimüller, Expertin <strong>für</strong> Innovationsmanagement,<br />

„die Bandbreite der<br />

Projekte reicht von der einfachen Suche<br />

nach einem neuen Markenclaim<br />

bis hin zu differenzierten Aufgaben<br />

wie etwa technische Lösungen <strong>für</strong><br />

sehr spezifische Industrieprobleme.“<br />

In der Welt der Unternehmen wird aktuell<br />

intensiv experimentiert. Welche<br />

Standards sich dabei etablieren, wird<br />

die Zukunft zeigen. Als sicher gilt jedoch,<br />

dass es sich beim Crowdsourcing<br />

um mehr als eine Mode erscheinung<br />

handelt. Als Innovationsmethode ist es<br />

<strong>für</strong> Unternehmen wie Organisationen<br />

unverzichtbar geworden.<br />

Beim CrOWDsourcing<br />

geHT es nICHT immer<br />

nur um neue Ideen<br />

Die Crowd wird zumeist dann befragt,<br />

wenn sich Unternehmen auf der Suche<br />

nach Innovation öffnen wollen<br />

oder müssen, wenn es darum geht,<br />

Riesenprojekte zu verwirklichen oder,<br />

um neuartige Zugänge und Lösungen<br />

<strong>für</strong> ein Problem zu finden, an dem<br />

sich andere vergeblich die Zähne<br />

ausgebissen haben. Dabei geht es<br />

selten um die Lösung allein, sondern<br />

auch um das Einbeziehen der Menschen,<br />

sei es, um eine direkte Verbindung<br />

zum Markt herzustellen und/<br />

oder um Projekt-Botschafter zu gewinnen.<br />

Wer heute eine Crowd hat,<br />

also eine Gruppe an Menschen, die<br />

sich <strong>für</strong> die von einer Organisation<br />

zur Lösung gestellten Probleme interessiert<br />

und auch über das jeweils<br />

relevante Wissen verfügt, kann sich<br />

glücklich schätzen und ist gut beraten,<br />

sie zu pflegen. Transparenz<br />

und Feedback sind das Um und Auf.<br />

Denn die Crowd ist das Kostbarste<br />

überhaupt. So kann Missbrauch des<br />

Instruments zu Marketingzwecken<br />

einem Unternehmen mehr schaden<br />

denn nutzen. „Menschen durchschauen<br />

das und reagieren sehr<br />

empfindlich, sobald sie sich ausgenutzt<br />

fühlen“, betont Leimüller.<br />

Die NASA nuTZT<br />

Crowdsourcing<br />

seit Jahren<br />

Läuft es jedoch gut, vermag eine<br />

hochmotivierte Crowd innovative<br />

Lösungen zu finden, die anders kaum<br />

zu erbringen wären: Die US-Raumfahrtbehörde<br />

NASA war mit ihrem<br />

Latein am Ende. Unzufrieden mit den<br />

eigenen Versuchen, ein Verfahren<br />

zur Vorhersage von Sonnenaktivität<br />

zu entwickeln – mehrere Jahre Arbeit<br />

und Ausgaben in zweistelliger Millionenhöhe<br />

hatten lediglich eine 55-prozentige<br />

Prognosesicherheit gebracht –,<br />

wandte sie sich 2010 an Innocentive,<br />

eine hochspezialisierte Crowdsourcingplattform,<br />

die über ein Netzwerk<br />

von mehr als 350.000 poten ziellen<br />

Problemlösern verfügt. Innocentive<br />

stellte den Aufruf samt Preisgeld von<br />

30.000 US-Dollar <strong>für</strong> die beste Idee<br />

online. Innerhalb von drei Monaten<br />

interessierten sich 500 Personen aus<br />

53 Ländern <strong>für</strong> das Problem, elf<br />

reichten Lösungsvorschläge ein.<br />

Die SonnenAKTIVITät<br />

VOn der Erde aus<br />

besTIMMen<br />

Wettbewerbssieger wurde ein pensionierter<br />

Telekommunikationstechniker,<br />

dessen Lösung eine 81-prozentige<br />

Prognosesicherheit <strong>für</strong> Sonnenaktivität<br />

liefert. Seine Methode stützt sich<br />

auf Daten, die von der Erde aus erhoben<br />

werden können. Die NASA hatte<br />

zuvor – was sonst – ausschließlich<br />

Satellitendaten benutzt. „Ohne<br />

Crowdsourcing hätte man diesen<br />

Mann wohl nie gefunden“, sagt Gegenhuber.<br />

Das Preisgeld ist übrigens<br />

meist nur ein erster Motivationsfaktor,<br />

sich eine Lösung <strong>für</strong> das Problem zu<br />

überlegen. Es gibt sogar Projekte,<br />

bei denen es gar keinen materiellen<br />

Preis gibt. Oftmals beteiligen sich die<br />

Menschen allein deshalb, weil ihnen<br />

die Lösung des Problems wirklich am<br />

Herzen liegt.<br />

Überhaupt scheint die NASA die<br />

Crowd als Talentepool entdeckt zu<br />

haben, bediente sie sich doch auf der<br />

Suche nach einem Algorithmus des<br />

Big-Data-Portals Kaggle. Dort treiben<br />

sich vorwiegend Datenexperten<br />

herum, die sich mit smarten Lösungen<br />

um attraktive Preisgelder matchen.<br />

Die Aufgabenstellung der NASA:<br />

Mit Hilfe von 100.000 Bildern von<br />

Galaxien sollten die Tüftler einen Algorithmus<br />

entwickeln, der Hinweise<br />

auf dunkle Materie aufspürt und so<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

15


hilft, das Universum zu vermessen.<br />

In weniger als einer Woche stieß<br />

unerwarteterweise ein Cambridge-<br />

Student der Geologie, spezialisiert<br />

auf Gletscherkunde, auf eine Lösung,<br />

die mit den Ergebnissen der besten<br />

NASA-Experten durchaus mithalten<br />

konnte.<br />

Nicht jede FrAGe<br />

ist geeIGnet <strong>für</strong><br />

die Menge<br />

Crowdsourcing ist aber nicht die Lösung<br />

<strong>für</strong> jede Frage. Etwa, wenn eine<br />

Organisation schon weiß, was sie als<br />

Lösung <strong>für</strong> ein Problem ausschließen<br />

will. Oder wenn gewiss ist, dass sich<br />

die potenzielle Zahl derer, die eine<br />

Frage beantworten oder Ideen einreichen<br />

könnten, auf wenige Menschen<br />

weltweit beschränkt. Das ist bei ganz<br />

spezifischen Problemen der Fall. Hier<br />

sind andere Open Innovation-Methoden<br />

zielführender, etwa die Suche<br />

nach Lead Usern.<br />

Im Bereich der<br />

Wissenschaft ist<br />

üBerseTZungsleistung<br />

gefrAGT<br />

Oft geht es in der Wissenschaft nicht<br />

nur darum, geniale Lösungen aus den<br />

Daten zu heben. Zunächst müssen<br />

diese erst gesammelt werden.<br />

Millionenfach. Die Forschung hat<br />

die Kapazitäten der Crowd längst<br />

<strong>für</strong> sich entdeckt, um Megaprojekte<br />

zu realisieren, die anders kaum finanzierbar<br />

wären oder viel zu viel Zeit in<br />

Anspruch nehmen würden. Damit<br />

Laien an solchen wissenschaftlichen<br />

Projekten mitarbeiten können, müssen<br />

sich Wissenschafter erst einmal<br />

vom Fachchinesisch verabschieden<br />

und die konkrete Aufgabenstellung<br />

verständlich formulieren. Gelingt das,<br />

so vermag die mobilisierte Masse<br />

wissenschaftliche Herkulesaufgaben<br />

zu übernehmen und effizient zu erledigen:<br />

Die von britischen und USamerikanischen<br />

Forschern gegründete<br />

Plattform Galaxy Zoo lud bereits<br />

2007 die breite Öffentlichkeit erstmals<br />

ein, an der Klassifizierung von<br />

900.000 Galaxien mitzuwirken. Sie<br />

nutzt dabei Fotos von Galaxien und<br />

kann von astronomischen Laien<br />

durchgeführt werden, die mit kurzen<br />

Fragen zum Bild informiert werden,<br />

worauf bei der Klassifizierung zu<br />

achten ist. Bereits am Tag nach dem<br />

Start der Plattform nahmen Interessierte<br />

bis zu 70.000 Klassifizierungen<br />

pro Stunde vor. Innerhalb von sieben<br />

Monaten wurden von 150.000 Personen<br />

50 Millionen Klassifizierungen<br />

geleistet – diese wurden mehrfach<br />

durchgeführt, um ein sicheres Ergebnis<br />

zu erhalten –, was einem Arbeitseinsatz<br />

von zirka 83 Mannjahren entspricht.<br />

Interessierte<br />

entsCHLüsseln<br />

TelegrAMMe aus<br />

dem Bürgerkrieg<br />

Mittlerweile wird die Crowd von der<br />

Scientific Community auch in andere<br />

durchaus fordernde Aufgaben eingebunden.<br />

Ein aktuelles Beispiel ist das<br />

historische Projekt „Decoding the<br />

Civil War“, wo es um die Entschlüsselung<br />

der Telegramme der US-Army<br />

aus dem amerikanischen Bürgerkrieg<br />

(1861–1865) geht – Nachrichten von<br />

Präsident Abraham Lincoln inklusive.<br />

Die gegnerische Konföderationsarmee<br />

hatte zwar immer wieder<br />

Nachrichten abgefangen, sie aber<br />

niemals entschlüsselt. Was damals<br />

nicht gelang, soll nun die Crowd<br />

schaffen. 15.971 Telegramme aus<br />

dem Archiv der Huntington Library<br />

in Kalifornien wurden jüngst auf der<br />

Wissenschaftsplattform Zooniverse<br />

online gestellt, in denen es auf den<br />

ersten Blick sinnlos um Zebra, Emma,<br />

Bologna und Tierkreiszeichen geht.<br />

Im Herbst 2016 wird mit dem Decodieren<br />

begonnen. Es soll gemeinschaftlich<br />

gearbeitet werden, zumal<br />

nur sechs der insgesamt zehn Decodierungsbücher<br />

die eineinhalb Jahrhunderte<br />

seit Ende des Sezessionskriegs<br />

überstanden haben. Es wird<br />

also eine perfekte Kombination aus<br />

Software und Hirnschmalz nötig sein,<br />

um den Code zu knacken.<br />

AuCH in der MeDIZIn<br />

sind die AnTWOrten<br />

der CrOWD gefrAGT<br />

Selbst die Medizin öffnet sich <strong>für</strong> das<br />

wertvolle Wissen Betroffener, wenn<br />

etwa Forschungsfragen identifiziert<br />

werden sollen, die aus Sicht der Patienten<br />

und/oder Angehörigen hoch<br />

relevant sind. Die Ludwig Boltzmann<br />

Gesellschaft startete 2014 ein europaweit<br />

einzigartiges Projekt und befragte<br />

Betroffene, was im Bereich<br />

psychischer Erkrankungen unerforscht<br />

sei. Knapp 400 hochqualitative<br />

Beiträge wurden eingereicht. Auf<br />

Basis der Ergebnisse wurden neue<br />

Forschungsfragen formuliert, die<br />

schließlich in Ludwig Boltzmann<br />

Instituten bearbeitet werden (siehe<br />

Interview zum Open-Science-Projekt<br />

der Ludwig Boltzmann Gesellschaft,<br />

S. 40).<br />

IN FINNLAND BRINGen<br />

DIE BürGer IHre IDeen<br />

<strong>für</strong> NEUE GeseTZE EIN<br />

Das berühmte Zitat des österreichischen<br />

Schriftstellers Karl Kraus<br />

(1874–1936) „Ungerechtigkeit muss<br />

sein, sonst kommt man zu keinem<br />

Ende“ hat sich überholt. Gerade<br />

im Bereich der partizipatorischen<br />

Demokratie – sollen etwa Gesetze<br />

novelliert werden – kann die Crowd<br />

wertvollen Input geben. Auf diesem<br />

Gebiet ist Finnland ein Vorreiter, hat<br />

das nordische Land doch bereits<br />

mehrfach Vorschläge <strong>für</strong> Gesetze von<br />

seinen Bürgern eingeholt. „Getragen<br />

werden partizipatorische Projekte von<br />

einem Thinktank, der sich „Zukunftskomitee<br />

der Regierung“ nennt, erklärt<br />

die finnische Soziologin Tanja<br />

Aitamurto, die wissenschaftliche<br />

Beraterin des Komitees ist und an<br />

16


Foto: © shutterstock<br />

Auch im Bereich der Geschichtswissenschaften wird die Crowd um Unterstützung gebeten. Das Archiv der<br />

Huntington Library in Kalifornien stellte kürzlich Telegramme aus dem US-amerikanischen Bürgerkrieg online,<br />

um sie von interessierten Nutzern dechiffrieren zu lassen.<br />

der US-Universität Stanford forscht.<br />

Der Thinktank steht hinter Policy-<br />

Making-Projekten wie diesem:<br />

In Finnland regelt ein eigenes Gesetz<br />

den Verkehr abseits der regulären<br />

Straßen. Das betrifft vor allem den<br />

Snowmobil-Verkehr in ländlichen Regionen.<br />

Vor drei Jahren entschied das<br />

Umweltministerium, dieses Gesetz zu<br />

überarbeiten und die Bürger einzubeziehen.<br />

Dabei wurde die Crowd zunächst<br />

nach konkreten Problemen befragt.<br />

Im nächsten Schritt wurde sie<br />

aufgefordert, Lösungsvorschläge einzubringen.<br />

Die Plattform hatte zirka<br />

10.000 Besucher, davon 1.000 registrierte,<br />

die insgesamt 4.000 Kommentare<br />

abgaben und 500 konkrete Ideen<br />

einsandten. Es zeigte sich, so Aitamurto,<br />

dass die Bürger das Mitgestalten als<br />

Empowerment empfunden haben.<br />

„Die Crowd muss gut gepflegt werden.<br />

Menschen, die sich engagieren,<br />

verbringen oft viele Stunden auf einer<br />

Plattform. Deshalb ist es sehr wichtig,<br />

sie über Fortschritt und Ergebnis des<br />

Projekts zu informieren, ansonsten<br />

riskiert man, dass sie beim nächsten<br />

Mal nicht mehr mitmachen“, betont<br />

die Forscherin.<br />

Die BearbeITung<br />

der DATenmenge<br />

ALs grOsse<br />

Herausforderung<br />

Der wissenschaftliche Beweis, dass<br />

durch Crowdsourcing bessere Gesetze<br />

entstehen, steht noch aus. Die<br />

bisherigen internationalen Erfahrungen<br />

zeigen aber, dass die Komplexität<br />

von Problemen, die es gesetzlich zu<br />

regeln gilt, durch Crowdsourcing realitätsnaher<br />

erfasst wird. Noch nicht<br />

gelöst ist die Schwierigkeit, die Datenmengen<br />

zu bewältigen. Tausende<br />

Kommentare zu sichten und Vorschläge<br />

zu evaluieren, ist vor allem<br />

eines: viel Arbeit. In Stanford wird<br />

deshalb gerade das selbstlernende,<br />

automatisierte System Civic Crowd<br />

Analytics entwickelt, das mittels<br />

Spracherkennung die Beiträge der<br />

Crowd erfasst und ordnet. Wie überall,<br />

wo es Komplexität zu bewältigen<br />

gilt, wird man künftig an Big-Data-<br />

Lösungen nicht vorbeikommen.<br />

Mobilitätsfragen sind hochkomplex<br />

und folglich eine perfekte Aufgabe <strong>für</strong><br />

die Crowd. Der ÖAMTC stellte sich<br />

deshalb jüngst der „Future Challenge“<br />

und lud die Öffentlichkeit ein, Ideen<br />

zur Frage einzureichen, wie sie künftig<br />

vom Club in ihrer Mobilität unterstützt<br />

werden wolle (siehe S. 18).<br />

Crowdsourcing ist eine sehr wirksame<br />

Methode, um Problemlösungen<br />

oder neue Sichtweisen auf eine<br />

bestimmte Frage zu erhalten. Man<br />

darf den Aufwand, der hinter der<br />

Vorbereitung eines solchen Projektes<br />

steht, aber nicht unterschätzen, sagen<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

17


Foto: © Karin Feitzinger<br />

Die ÖAMTC Future CHAllenge:<br />

Ein Aufruf zur Suche nach den besten und innovativsten<br />

Ideen <strong>für</strong> Mobilitätsservices der Zukunft – ob <strong>für</strong> den Weg<br />

zur Arbeit, zum Sport oder in den Urlaub, ob mit Auto,<br />

Bus, Bahn, Flugzeug oder Fahrrad.<br />

Frage: „Wie kann der ÖAMTC Menschen in ihrer Mobilität<br />

künftig noch besser unterstützen?“<br />

Zeitraum <strong>für</strong> Ideeneinreichung: 5. 4.– 23. 5. 2016<br />

Ergebnisse:<br />

454 eingereichte Ideen<br />

801 Kommentare zu den Ideen<br />

1358 registrierte User führten 823 Bewertungen der Ideen durch<br />

3 Jury-Gewinner<br />

3 Community-Gewinner<br />

1 interner Gewinner<br />

1 Sonderpreis<br />

Experten. Eine Schwierigkeit liege<br />

vor allem darin, die Frage, die man<br />

der Crowd stellt, so zu formulieren,<br />

dass sie von allen richtig verstanden<br />

wird. Die Frage bestimme das Ergebnis.<br />

WenIGer ernste<br />

Projekte machen<br />

den MensCHen<br />

auCH Spass<br />

Manchmal darf die Crowd auch einfach<br />

nur Spaß haben. Brendon Ferris,<br />

ein in der Dominikanischen Republik<br />

lebender Programmierer, gibt Laien<br />

auf crowdsound.net die Möglichkeit,<br />

eine Melodie zu komponieren. Das<br />

System funktioniert so: Die Crowd<br />

stimmt über die jeweils nächste Note<br />

ab. Was bisher vorliegt, ist eine gefällige<br />

Melodie mit ein paar interessanten<br />

Stellen. Nach Vollendung der<br />

Komposition soll ein Liedtext in ähnlicher<br />

Manier entstehen.<br />

Crowdsourcing<br />

KAnn auCH mit wenIG<br />

Ressourcen ein<br />

ErfOLG werden<br />

In der Welt der Unternehmen findet<br />

Crowdsourcing bislang vor allem im<br />

Big Business statt. Das ist wohl nicht<br />

zuletzt eine Kostenfrage. Hat jedoch<br />

ein junges Unternehmen Social-Media-Kompetenz<br />

und eine Facebook-<br />

Community, lassen sich kleinere Projekte<br />

auch dort abwickeln. Eine lokale<br />

Bäckerei könnte ihre Kunden danach<br />

fragen, wie sie sich das Brot der Zukunft<br />

vorstellen und auf diese Weise<br />

Feedback über Kundenwünsche und<br />

Ideen <strong>für</strong> neue Rezepte bekommen.<br />

Obwohl sich Unternehmen zusehends<br />

öffnen und die breite Masse in Innovationsaktivitäten<br />

einbeziehen, vergessen<br />

sie oftmals auf die eigenen<br />

Mitarbeiter. Gerade diese sind eine<br />

sehr wichtige Crowd, zumal sie viele<br />

gute Ideen haben. Das bestätigt auch<br />

Gegenhuber: „Es hat sich gezeigt,<br />

dass sich auf Plattformen wie Localmotors,<br />

wo Designlösungen <strong>für</strong> die<br />

Autoindustrie gesucht sind, viele<br />

Mitarbeiter von Autokonzernen engagieren.“<br />

Augenscheinlich bieten die<br />

Arbeitgeber diesen Freizeitdesignern<br />

im Job nicht genug Raum, sich kreativ<br />

auszutoben.<br />

<strong>Offen</strong>e und<br />

gesCHLOssene<br />

InnOVATIOn parALLel<br />

anwenden<br />

Die Zukunft des Crowdsourcing geht<br />

laut Experten in Richtung hybrider<br />

Systeme, wo sich Unternehmen in<br />

bestimmten Phasen <strong>für</strong> Ideen der<br />

Crowd öffnen, sich in anderen<br />

zurückziehen und intern an einer<br />

Lösung arbeiten. Leimüller: „Es<br />

ist ratsam, sich ganz am Anfang zu<br />

öffnen, um Fehlstarts und Flops<br />

zu vermeiden.“ •<br />

18


Kein Stau<br />

mehr auf der<br />

leTZTen Meile<br />

Foto: © Karin Feitzinger<br />

Das krITIsCHe Element jeder Online-BestelluNG ist das leTZTe WegstüCK.<br />

Die leTZTe MeILe verursACHT mitunter die Hälfte der gesAMTen<br />

TransPOrTKOsten, enorm viel Verkehr und UmweLTVersCHMuTZung.<br />

Das ist Grund genug, Logistik komplett neu zu deNKen – zum BeisPIel<br />

so offen und verneTZT wie das Internet. Von Daniela Müller<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

19


Es gibt ein neues Wort, das die<br />

Liefer landschaft Europas verändert:<br />

Sofortness. Konsumenten, die ihre<br />

online bestellten Waren sofort haben<br />

wollen und Anbieter, die das ermöglichen.<br />

Der Versandhändler Amazon<br />

entwickelte daraus ein neues Geschäftsmodell<br />

und nimmt die gesamte<br />

Dienstleistungskette gleich<br />

selbst in die Hand. In Berlin betreibt<br />

das Unternehmen eine Lagerhalle mit<br />

20.000 Artikel des täglichen Bedarfs<br />

– verpackte frische und tiefgekühlte<br />

Nahrung, Drogerieartikel, Getränke,<br />

Elektronik und Spielwaren – die<br />

per Algorithmen stets neu sortiert,<br />

aktualisiert und aussortiert werden,<br />

um nah an den Bedürfnissen und<br />

Wünschen der Sofortness-Kunden<br />

zu sein. Über eine App und eine<br />

Mitgliedschaft in Höhe von 49 Euro<br />

pro Jahr kann der Kunde nun online<br />

Waren bestellen, die innerhalb Berlins<br />

per E-Bike und damit ökologisch<br />

schonend zugestellt werden: Wer es<br />

besonders eilig hat, bekommt sie <strong>für</strong><br />

eine zusätzliche Gebühr in Höhe von<br />

6,99 Euro innerhalb von 60 Minuten.<br />

Wer mehr Geduld hat, kann sich ein<br />

Zeitfenster aussuchen, in dem die<br />

Ware gratis zugestellt wird, auf jeden<br />

Fall noch am selben Tag.<br />

Kunden wünsCHen<br />

die Lieferung am<br />

selben TAG der<br />

BesteLLung<br />

Konsumieren in neuen Dimensionen:<br />

Sofort, bequem und vielschichtig.<br />

Dem werden vor allem Online-Einkäufe<br />

gerecht: Der Mausklick vom<br />

Sofa ist bequem und die Lieferung<br />

erfolgt immer schneller. Same-Day-<br />

Delivery, also die Lieferung noch am<br />

Tag der Bestellung, wird zur Normalität.<br />

Denn auch im Online-Handel<br />

steigt die Konkurrenz und der Konsument<br />

legt Wert auf rasche Lieferungen.<br />

Dass Paketlieferungen <strong>für</strong> Unternehmen<br />

teuer sind und auf Kosten der<br />

Umwelt gehen, weil abgestimmte Logistikkonzepte<br />

mehr Theorie als Praxis<br />

sind, bleibt den Produktempfängern<br />

allerdings meist verborgen.<br />

VorLAuf, HauPTLAuf,<br />

nACHLAuf: KOMPLexe<br />

LOGIsTIK verursACHT<br />

HOHe Kosten<br />

Die klassische Liefermethode ist<br />

nämlich komplex und ineffizient:<br />

Im sogenannten Vorlauf werden<br />

Waren von den verschiedenen<br />

Versendern, also den Händlern,<br />

bei denen die Kunden bestellt haben,<br />

an einen zentralen Punkt, einen<br />

Hub, geschickt. Im anschließenden<br />

Hauptlauf wird die gesammelte Ware<br />

mit großen LKWs oder der Bahn vom<br />

Hub zum nächsten zentralen Punkt<br />

gefahren, von dem aus die Pakete zu<br />

den Empfängern gebracht werden.<br />

Das ist der sogenannte Nachlauf.<br />

Und genau hier liegt das Problem:<br />

Die sogenannte letzte Meile vom Verteilerzentrum<br />

zum Kunden ist der teuerste<br />

Teil der Lieferung. Auf ihn entfallen<br />

bis zu 50 Prozent der Kosten<br />

des klassischen Paketversandes, erklärt<br />

Efrem Lengauer vom Forschungsinstitut<br />

Logistikum der FH Steyr. Auch<br />

seine überproportional hohen CO 2<br />

-<br />

Emissionen sind ein Thema.<br />

Keine<br />

KostenWAHrheit<br />

in der LieferkeTTe<br />

Kostenwahrheit gibt es hier noch<br />

nicht: Um wettbewerbsfähig zu bleiben,<br />

verzichten viele Onlinehändler<br />

auf die Einhebung von Versandkosten<br />

bei den Konsumenten. Deshalb müssen<br />

sie an anderer Stelle einsparen –<br />

mitunter auf Kosten der Mitarbeiter.<br />

Auch deshalb müssen die letzten Kilometer<br />

neu gedacht werden.<br />

Ein LösungsansATZ<br />

heIssT<br />

VerneTZung<br />

Jürgen Schrampf von der Logistikberatung<br />

Econsult macht genau das<br />

und sucht unter dem Stichwort<br />

Smart Urban Logistics neue Logistikkonzepte<br />

<strong>für</strong> den Güterverkehr in<br />

Ballungsräumen: Je mehr online<br />

bestellt wird, desto mehr LKWs<br />

sind auf den Straßen unterwegs.<br />

Um Innenstädte vom Transportverkehr<br />

und generell die Umwelt zu<br />

entlasten, muss die letzte Meile<br />

eines Paketes effizienter gestaltet<br />

werden. Für Schrampf geht es vor<br />

allem um eine Vernetzung bisher<br />

individuell agierender Akteure. Eine<br />

ökonomische Bewältigung der letzten<br />

Meile sei nur mit unterschiedlichen,<br />

aufeinander abgestimmten Systemen<br />

und einem Miteinander von Kurierdiensten,<br />

Logistik- und Handelsunternehmen<br />

sowie Start-ups möglich.<br />

Credo: Zusammenarbeit statt Konkurrenz.<br />

Ein wichtiger Treiber ist dabei<br />

die Digitalisierung, durch die<br />

sich Logistik neu denken lässt: Kann<br />

der Warentransport künftig nicht genauso<br />

wie jener von Information im<br />

Internet passieren – vernetzt, offen,<br />

ressourcenschonend? Die Idee wird<br />

unter Logistik-Experten als Physical<br />

Internet bezeichnet: Durch eine vollständige<br />

Öffnung aller Lager- und<br />

Transportkapazitäten unterschiedlicher<br />

Anbieter sollen Transportkilometer<br />

so gering wie möglich gehalten<br />

und Leerfahrten vermieden werden.<br />

Konkret bedeutet das, dass die Waren<br />

ihre optimale Route selbstständig<br />

bei den jeweils effizientesten „Verkehrsträgern“<br />

finden, egal welcher<br />

Logistik-Dienstleister mit dem Transport<br />

beauftragt wurde. Dadurch wäre<br />

radikal weniger Transportaufwand<br />

nötig. Voraussetzung ist freilich, dass<br />

sämtliche Umschlag- und Lagerstandorte<br />

aller beteiligten Logistik-<br />

20


Nicht nur in Berlin, auch in Wien könnte die Lieferung einer Onlinebestellung über Amazon bald nur mehr eine Stunde dauern.<br />

Um ein solches Service auch abseits von Ballungsräumen möglich zu machen, werden von Amazon in Zusammenarbeit mit der<br />

TU Graz Lieferdrohnen entwickelt. In einem bestimmten Radius um ein Versandzentrum könne man so Express-Lieferungen ermöglichen.<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

21


Die Schweizer Post testet ab September 2016 in den Städten Bern, Köniz und Biberist selbstfahrende Roboter,<br />

die im Schritttempo auf Gehsteigen unterwegs sind und Pakete bis zu zehn Kilogramm transportieren können.<br />

Mit einem SMS „Ihre Sendung ist da“ wird der Empfänger über die Ankunft des Roboters vor der Haustüre verständigt.<br />

Anfangs sind die Roboter noch mit menschlichen Begleitern unterwegs.<br />

unternehmen mit ihren Kapazitäten<br />

und Transportmitteln dem Netzwerk<br />

zur Verfügung stehen. Ja, mehr noch:<br />

Auch private PKWs können das System<br />

ergänzen, indem Lenker Pakete<br />

mitnehmen, wenn sie ohnehin unterwegs<br />

sind.<br />

ProfessIOnelle<br />

LOGIsTIKer und<br />

prIVATe PKWs als<br />

LOGIsTIKKOnzePT<br />

der Zukunft<br />

Allerdings: Bis heute ist die bestechende<br />

Idee des Physical Internet<br />

nicht umgesetzt. IT-Systeme und die<br />

Abrechnung zwischen den beteiligten<br />

Unternehmen müssten vereinheitlicht,<br />

bestehende Logistik-Hubs und<br />

-Terminals weiterentwickelt werden:<br />

Von reinen Be- und Entladestellen<br />

sollten sie hochfrequente, effizienzfördernde<br />

Netzwerkknoten der Verkehrsträger<br />

werden. So würden sie<br />

mithelfen, Transportkilometer zu sparen,<br />

meint Schrampf. Sie sollten auch<br />

innovative Services anbieten, denen<br />

eine direkte Anbindung an ein Liefernetz<br />

zugute kommt wie etwa Sharing-<br />

Points <strong>für</strong> Elektrofahrzeuge oder 3D-<br />

Druck-Center <strong>für</strong> die On-Demand-<br />

Produktion von Waren.<br />

Apropos Hub: Schon heute zeigt der<br />

Zustelldienst UPS in Hamburg eine<br />

Mini-Version davon. An den Stadträndern<br />

stehen Fahrzeuge oder Container,<br />

befüllt mit Paketen, die von<br />

Kurier diensten mit Elektrofahrzeugen<br />

abgeholt und in der Hamburger Innenstadt<br />

ausliefert werden. Damit wird<br />

auch dem Umweltaspekt der letzten<br />

Meile Rechnung getragen. Über Nacht<br />

erfolgt dann die Neubefüllung.<br />

Auch wenn das Physical Internet<br />

noch Utopie ist, wird mit Teillösungen<br />

<strong>für</strong> die effizientere Gestaltung der<br />

letzten Meile intensiv experimentiert.<br />

DerzeIT hilft man<br />

sICH nOCH mit<br />

Teillösungen<br />

Um ein Paket schon bei der ersten<br />

Tour abladen zu können, auch wenn<br />

der Adressat nicht zuhause ist, wird<br />

der PKW-Kofferraum der Paketkunden<br />

zum Depot umfunktio niert.<br />

Ferngesteuert, beziehungsweise per<br />

Code kann der Paketzusteller das<br />

Fahrzeug öffnen und das Paket hinterlegen.<br />

Als Depot funktionieren<br />

auch die 2.700 Packstationen, die<br />

DHL Deutschland installiert hat.<br />

Pakete werden in den Packstationen<br />

vom Lieferanten hinterlassen, der<br />

Kunde erhält eine Nachricht auf sein<br />

Handy und kann das Paket 24 h pro<br />

Tag abholen. In Zukunft sollen solche<br />

Paketräume als fixe Einrichtungen<br />

in neuen Wohnanlagen bereitstehen,<br />

um auch den Weg des Kunden zu<br />

einer Station so gering wie möglich<br />

22


zu halten und sie <strong>für</strong> alle Transporteure<br />

gegen Gebühr anzubieten.<br />

CrOWDsOurced<br />

Delivery –<br />

PrIVATPersonen sind<br />

auCH Lieferanten<br />

Private PKWs in eine effiziente Paketzustellung<br />

miteinzubeziehen, ist beim<br />

sogenannten Crowdsourced Delivery<br />

ein Schlüsselaspekt. Laut Fachhochschule<br />

Steyr legen die Österreicher<br />

pro Jahr in Summe 4,5 Mrd. Kilometer<br />

nur zum Zwecke des Einkaufens zurück.<br />

Diese Wege könnten<br />

genutzt werden, um Bestellungen<br />

<strong>für</strong> andere mitzunehmen. Beim österreichischen<br />

Unternehmen Checkrobin<br />

sind bereits 21.000 Privatpersonen<br />

registriert, die gegen eine zuvor<br />

vereinbarte Summe Pakete an den<br />

Zielort bringen.<br />

Selbst EinKAufen<br />

zu gehen, wird in<br />

Zukunft womöglich<br />

obsolet<br />

In Österreich können Private derzeit<br />

allerdings nur in einem streng<br />

begrenzten gesetzlichen Rahmen<br />

als Boten tätig sein, sprich, der private<br />

Bote darf <strong>für</strong> seine Dienste nicht<br />

mehr als das gesetzliche Kilometergeld<br />

berechnen. Die Checkrobin-Betreiber<br />

Hannes Jagerhofer, Niki Lauda<br />

und Attila Dogudan ärgert dies: Es<br />

sei eine soziale und umweltfreundliche<br />

Sache, mit der Synergien im<br />

Sinne aller genutzt werden könnten,<br />

betont Jagerhofer. Im Herbst will man<br />

auf den deutschen Markt, wo die Justiz<br />

über Crowd-Transporte nicht so<br />

streng urteilt. Jagerhofer jedenfalls<br />

sieht <strong>für</strong> Sharingangebote im städtischen<br />

Bereich eine große Zukunft.<br />

Vielleicht mit Zusatzleistungen, wie<br />

kürzlich eine Checkrobin-Zustellung<br />

zeigte: Ein Fahrer hat den transportierten<br />

Fernseher gleich beim Empfänger<br />

installiert.<br />

Erstreiten und<br />

ErsITZen <strong>für</strong><br />

LAngfrisTIGe<br />

NuTZung<br />

Als Win-Win-Situation sieht auch<br />

Paul Brandstätter vom Wiener Botendienst<br />

Veloce seine App „Veloce<br />

liefert“, in der mittlerweile 10.000<br />

Einkaufsmöglichkeiten in Wien gespeichert<br />

sind. Der Kunde bestellt<br />

über die App, Veloce liefert. Brandstätter<br />

wollte damit nicht nur den<br />

regionalen Handel stärken, sondern<br />

dank effizienter Logistik mehrere<br />

Fliegen mit einer Klappe schlagen:<br />

Nicht mehr der Einzelne geht ein kaufen,<br />

sondern ein Unternehmen beliefert<br />

Kunden nach einem klugen und<br />

effi zienten IT-System. Es hilft Konsumenten<br />

auch dabei, Leerfahrten zu<br />

vermeiden, wenn bestimmte Produkte<br />

gerade nicht verfügbar sind. Die Nachfrage<br />

nach solchen Diensten werde<br />

steigen, ist sich Brandstätter sicher.<br />

Skype-Gründer<br />

enTWICKeln<br />

ZustellrOBOTer<br />

Eine ganz andere Idee, die letzte<br />

Meile billiger und effizienter zu machen,<br />

entwickeln die beiden Skype-<br />

Mitbegründer Janus Friis und Ahti<br />

Heinla. Sie setzen mit ihrem Unternehmen<br />

Starship Technologies auf<br />

Zustellroboter. Ihr Fahrzeug mit sechs<br />

Rädern und zehn Kilo Gewicht läuft<br />

derzeit im Testbetrieb in den USA<br />

und Großbritannien und ist in der<br />

Lage, eine noch überschaubare Warenmenge<br />

im Umkreis von fünf Kilometern<br />

auszuliefern. Es fährt mit rund<br />

sechs km/h auf dem Gehsteig, ist mit<br />

Sensoren und Kameras ausgestattet<br />

und kann Hindernissen ausweichen.<br />

Stationiert ist der Roboter in lokalen<br />

Lieferzentren, wo der Kunde über<br />

App seine Ware bestellt und zugleich<br />

bestimmt, wann sie bei ihm sein soll.<br />

Weil diese Zustellroboter rund um die<br />

Uhr im Einsatz sein können, sollen<br />

auch die Kosten pro Zustellung viel<br />

geringer ausfallen, als bei herkömmlichen<br />

Lieferdiensten, betont man bei<br />

Starship Technologies. Zudem surren<br />

bei den großen internationalen Unternehmen<br />

schon länger Drohnen zum<br />

Zwecke der Zustellung in der Luft.<br />

Großteils wird dies noch von rechtlichen<br />

Auflagen erschwert bis unmöglich<br />

gemacht, vielfach ist diese<br />

Liefermethode erst in der Testphase.<br />

AuCH DrOHnen<br />

KÖnnen PAKete<br />

LIefern<br />

Das Unternehmen DHL hat bereits<br />

bekanntgegeben, dass es in absehbarer<br />

Zeit sogenannte Paketkopter<br />

einsetzen möchte, um Lieferungen in<br />

geografisch schwer zugängliche Gebiete<br />

durchzuführen. Ab Juli ist dies<br />

in Ruanda Realität: Per Drohnen werden<br />

Kliniken mit Medikamenten beliefert.<br />

Im urbanen Gebiet sieht Efrem<br />

Lengauer vom Logistikum Steyr diese<br />

Zustellmöglichkeit als unwirtschaftlich:<br />

Eine Drohne, wie sie in Österreich<br />

aktuell eingesetzt werden dürfe,<br />

könne ein, maximal zwei Pakete anliefern.<br />

In abgelegenen Regionen, wohin<br />

die Post aufgrund der Universaldienstleistung<br />

transportiert werden<br />

muss, seien Drohnen allerdings sehr<br />

wohl eine Alternative, betont der<br />

Logistikexper te. Weite Strecken<br />

wegen einzelner Pakete mit dem Lieferwagen<br />

zu fahren, würde hinfällig.<br />

Die EU gibt vor: Bis<br />

2030 sOLLTe LOGIsTIK<br />

CO 2-frei erfOLGen<br />

Die Zeit <strong>für</strong> neue Logistikkonzepte<br />

drängt, betont Jürgen Schrampf.<br />

Denn nach dem Weißbuch der EU<br />

soll bis 2030 die innerstädtische<br />

Güterlogistik in den größeren<br />

Städten CO 2<br />

-frei erfolgen. Es<br />

heißt also, in die Pedale treten.<br />

Die E-Bike-Lieferung von Amazon<br />

ist nur ein Anfang. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

23


„Kunst zeigt ganz<br />

neue Wege auf“<br />

Foto: © Mirjana Rukavina<br />

Christopher Lindinger studierte Informatik<br />

an der Johannes Kepler Universität Linz und<br />

Kulturmanagement in Salzburg. Er beschäftigte<br />

sich mit hochkomplexen Visualisierungsaufgaben<br />

und arbeitete als Wissenschafter im<br />

Bereich der Supercomputer-Visualisierung in<br />

Chicago <strong>für</strong> die NCSA (National Center for<br />

Supercomputing Applications) und die Weltraumorganisation<br />

NASA, aber auch freiberuflich<br />

<strong>für</strong> die Computerspiele-Industrie.<br />

Aufgrund seiner Aktivitäten im Bereich neuer<br />

Technologien, digitaler Kultur und Kunst ist er<br />

seit 1997 mit der Ars Electronica verbunden.<br />

Als Co-Direktor des Ars Electronica Futurelab<br />

verantwortet er den Bereich Forschung<br />

und Innovation. Seine Arbeit ist geprägt von<br />

Kooperationen mit internationalen Partnern,<br />

mit denen er gemeinsam unternehmens- oder<br />

organisationsinterne Innovationsstrategien entwickelt<br />

oder Konzeptionen und Entwicklungen<br />

radikaler Innovationen <strong>für</strong> gesellschaftliche<br />

Zukunftsszenarien vorantreibt. In den vergangenen<br />

Jahren arbeitete Lindinger in diesem Feld<br />

unter anderem mit Toshiba, Mercedes-Benz,<br />

Vodafone, Honda Robotics und Nokia zusammen.Darüber<br />

hinaus berät er Kommunen und<br />

Regierungseinrichtungen im Aufbau kreativwirtschaftlicher<br />

Sektoren und ist als Lehrbeauftragter<br />

an mehreren europäischen Universitäten<br />

tätig.<br />

24


KünsTLer sind von Natur aus experimenTIerfreudig.<br />

AuCH weil <strong>Neues</strong> zu eRFORsCHen uND RisIKen eINzugehen,<br />

als KeRN künstleRIsCHer ARBeit gilt. Der BeitrAG, den Kunst<br />

zu InnOVATIOnen mit hohem geseLLsCHAfTLICHem NuTZen leisten kann,<br />

ist mitunter grOss. Das Gespräch führte Catherine Gottwald<br />

querspur: Herr Lindinger, Sie leiten<br />

den Bereich Forschung und Innovation<br />

im Ars Electronica Futurelab in Linz.<br />

Ist die Kunst eine Zukunftsmacherin?<br />

Christopher Lindinger: Grundsätzlich<br />

ist immer die Frage: Wie versteht<br />

man Kunst? Und in welchem Kontext<br />

versteht man Kunst in der Innovation?<br />

Für mich gibt es zwei mögliche<br />

Zugänge: Einerseits hat Kunst eine<br />

gewisse Mission: Nämlich etwas aus<br />

einer bestehenden Struktur heraus zu<br />

nehmen, es zu verändern, es wieder<br />

in eine Struktur einzuführen und<br />

hierbei eine Irritation zu erzeugen.<br />

Was die Kunst eigentlich kann, ist<br />

eine Perspektivenverschiebung herbeizuführen.<br />

Diese Perspektivenverschiebung<br />

kann entweder ästhetisch,<br />

intellektuell oder emotional sein. Das<br />

ist ein Potenzial von unschätzbarem<br />

Wert und somit auch eine gute Ausgangslage<br />

aus Innovationssicht:<br />

Kunst zeigt neue gedankliche Zugänge<br />

und Herangehensweisen auf<br />

und/oder trägt wesentlich dazu bei,<br />

diese neuen Wege überhaupt zu entdecken.<br />

Darüber hinaus ist Kunst<br />

eine forschende Wissenschaft.<br />

querspur: Kunst hat verschiedene<br />

Funktionen in der Gesellschaft, mitunter<br />

komplexe oder abstrakte wissenschaftliche<br />

Inhalte sichtbar zu machen<br />

und <strong>für</strong> Laien zu übersetzen. Was sind<br />

<strong>für</strong> Sie die Dimensionen der Kunst?<br />

Lindinger: Natürlich schafft es Kunst,<br />

komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge<br />

einfacher darzustellen.<br />

Und natürlich gelingt es der Kunst,<br />

beispielsweise schwer lesbare medizinische<br />

Daten so aufzubereiten, dass<br />

sie <strong>für</strong> Laien verständlich interpretiert<br />

werden können. Das „aesthetic<br />

usabil ity principle“ besagt ja, dass<br />

Dinge, die ästhetisch aufbereitet sind,<br />

eher verwendet werden. Das ist allerdings<br />

eine kommunikative Aufgabe.<br />

Ich sehe die Kunst als forschende<br />

Wissenschaft an. Kunst forscht; sie<br />

bedient sich eben nur anderer Methoden<br />

als „die Wissenschaft“. Das<br />

Übersetzen von wissenschaftlichen<br />

Zusammenhängen steht <strong>für</strong> mich<br />

daher nicht so sehr im Zentrum. Der<br />

Maler und Objektkünstler Marcel<br />

Duchamps (Anm.: 1887–1968) hat<br />

gesagt: „I don’t believe in art. I believe<br />

in artists.“ („Ich glaube nicht<br />

an die Kunst. Ich glaube an Künstler.“)<br />

Eine Philosophie, nach der auch<br />

wir im Ars Electronica Futurelab leben.<br />

Konkret bedeutet das, dass wir<br />

Kunstproduktionen so gestalten, dass<br />

sie relativ frei von Vorgaben ablaufen,<br />

Experimente zulassen und Transformationen<br />

anregen.<br />

querspur: Wie setzen Sie das um?<br />

Lindinger: Was uns im Innovationskontext<br />

primär interessiert, ist den<br />

Künstler mit innovativen Suchfeldern,<br />

das heißt Aufgaben- und Themenbereichen,<br />

zu konfrontieren. Diese können<br />

beispielsweise im Unternehmerischen<br />

liegen. In diesem Prozess soll<br />

nicht nur nachgedacht und erarbeitet<br />

werden, was Lösungen sein können,<br />

sondern auch vorab, wo die verdeckten<br />

Fragestellungen und Probleme<br />

liegen. Es geht ja nicht nur immer darum,<br />

dass man in der Innovation eine<br />

Lösung findet, sondern darum, zuerst<br />

einmal die Frage zu identifizieren.<br />

KünsTLer sind per<br />

se RisIKOfreudig.<br />

Das ist ein<br />

InnOVATIOnsVOrteil<br />

querspur: Sind Kunstschaffende<br />

prinzipiell innovationsfreudig?<br />

Lindinger: Für uns ist interessant,<br />

dass Künstler von ihrem Wesen her<br />

mehr oder weniger „professionelle<br />

risk takers“, also Hasardeure, sind.<br />

Sie sind es gewohnt, Risiken einzugehen,<br />

sich auf Experimente einzulassen<br />

und etwas zu produzieren,<br />

was einer Öffentlichkeit standhalten<br />

muss. Diese Herausforderungen anzunehmen<br />

oder dieses Kapital mitzubringen,<br />

ist <strong>für</strong> Innovationsprozesse<br />

wahnsinnig befruchtend. Risikofreudigkeit<br />

und/oder Out-of-the-Box-<br />

Denken sind hierbei Voraussetzung.<br />

Künstlerische Arbeiten folgen nicht<br />

immer einer logischen Konsequenz.<br />

Nicht die rasche, pragmatische Problemlösung<br />

steht im Zentrum, sondern<br />

das Experiment. Erst das konkrete<br />

Experiment, der Moment, in<br />

dem du anfängst zu bauen, beantwortet<br />

dir Fragen, die du dir in der Theorie<br />

nie gestellt hättest. Und das ist genau<br />

das Spannende, eine physische<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

25


Komponente, nicht nur etwas, das nur<br />

auf dem Papier stattfindet. Das Experiment,<br />

die Konfrontation mit der Öffentlichkeit,<br />

die Rückschlüsse daraus<br />

und der Erkenntnisgewinn sind Charakteristika<br />

des künstlerischen Zugangs.<br />

querspur: In welchem Ausmaß sind<br />

künstlerische Arbeiten Anstoß <strong>für</strong><br />

tatsächlich umgesetzte Innovation,<br />

etwa im Bereich der Technik?<br />

Lindinger: Dazu fallen mir zwei<br />

Beispiele zum Thema Roboter ein:<br />

Das eine sind die „Oribots“ des<br />

australischen Künstlers und langjährigen<br />

Futurelab-Mitarbeiters<br />

Matthew Gardiner, der sich intensiv<br />

mit Origami und Faltungen und deren<br />

künstlerischen Wirkung auseinandersetzt.<br />

Seine Roboterblumen sind<br />

einzelne Kunstwerke. „Ori“ kommt<br />

vom japanischen Wort <strong>für</strong> falten und<br />

„bots“ von Roboter – sozusagen „gefaltete<br />

Roboter“. Sie sehen wie Blumen<br />

aus und funktionieren so, dass<br />

die Blumenblätter, die aus diesen Faltungen<br />

bestehen, durch ihre Reflexionsbeschaffenheit<br />

auf- und zu gehen<br />

und von kleinen LEDs von innen<br />

beleuchtet werden, wenn man näher<br />

kommt. Die LEDs sitzen dort, wo bei<br />

normalen Blumen der Blütenstempel<br />

ist. Das ist ein schönes kleines<br />

Projekt. Was als ästhetisches Experiment<br />

ohne konkrete Aufgabenstellung<br />

<strong>für</strong> die Industrie begonnen hat,<br />

findet jetzt Verwendung in der Medizintechnik:<br />

Eine japanische Firma<br />

arbeitet an einem Patent <strong>für</strong> Herzschrittmacher<br />

nach dem Prinzip der<br />

„Oribots“ (Anm. d. Red.: Mehr kann<br />

über das Projekt an dieser Stelle nicht<br />

berichtet werden, da sich das Patent<br />

zu Redaktionsschluss noch in Anmeldestatus<br />

befindet). In diesem Fall haben<br />

wir die künstlerische Arbeit von<br />

Matthew Gardiner mit Wirtschaftstreibenden<br />

durchdiskutiert und sind<br />

zu diesem Ergebnis gekommen.<br />

Ein weiteres Beispiel ist unsere<br />

Zusammenarbeit mit Daimler und<br />

Mercedes-Benz zur Erforschung<br />

von Mensch-Maschine-Interaktionsszena<br />

rien. Das selbstfahrende Auto<br />

stellt eine der größten kulturellen Revolutionen<br />

dar, die vor uns stehen. Wie<br />

ändert sich also unsere Kultur und was<br />

wären Lösungen im spekulativen Sinne,<br />

wie könnte man an diese Fragestellungen<br />

herangehen?<br />

KuLTurreVOLuTIOn:<br />

seLBstfAHrendes<br />

Auto<br />

Wir haben uns mit der Außenkommunikation<br />

von Roboter-Autos beschäftigt<br />

und der Frage, wie das autonome<br />

Auto mit seiner Umwelt, also<br />

mit Fußgängern, Radfahrern oder anderen<br />

Fahrzeugen interagiert, wenn,<br />

anders, als bei konventionellen Fahrzeugen,<br />

Blickkontakt oder Gesten<br />

fehlen. Was es braucht, ist eine Art<br />

„informiertes Vertrauen“ in den Roboter,<br />

wir nennen es „informed trust“,<br />

damit alle Verkehrsteilnehmer sich<br />

im Straßenverkehr sicher fühlen. Gemeinsam<br />

mit Künstlern und Künstlerinnen<br />

aus dem Ars Electronica<br />

Futurelab haben wir in einem Innovationsprozess<br />

angefangen, eine Art<br />

funktionale Sprache zu entwickeln,<br />

einen Grundwortschatz. Alles, was<br />

ein Auto an einen Fußgänger kommunizieren<br />

müsste.<br />

ForsCHung in<br />

der Kunst ist nICHT<br />

so sTArk durCH<br />

MeTHODen<br />

reGLemenTIert<br />

Wir haben das dann mit unterschiedlichen<br />

Experimentierfeldern erprobt,<br />

was funktionieren könnte, und im<br />

Zuge dieser Forschung ist auch der<br />

F015 entstanden – ein Prototyp eines<br />

selbstfahrenden Autos von Daimler,<br />

der vor eineinhalb Jahren vorgestellt<br />

worden ist.<br />

querspur: Was ist der Weg, der in der<br />

Kunst eingeschlagen wird, um <strong>Neues</strong> zu<br />

entdecken?<br />

Lindinger: Auch in künstlerischen<br />

Forschungsprojekten gibt es Methoden,<br />

diese sind aber bis zu einem bestimmten<br />

Grad offener. Wenn man<br />

sich im Vergleich dazu traditionelle<br />

Forschung anschaut, dann gibt es in<br />

jeder Disziplin eine gewisse Methode.<br />

Diese Methode ist natürlich immer<br />

mit gewissen Schwierigkeiten verbunden,<br />

weil die Methoden eigentlich<br />

dazu erfunden worden sind, dass<br />

man wissenschaftliche Ergebnisse zueinander<br />

vergleicht. Mittlerweile haben<br />

sich Methoden in manchen Bereichen<br />

so stark etabliert, dass sie fast<br />

zwangsweise den Weg darstellen, den<br />

man gehen muss.<br />

querspur: Werden Künstler wegen der<br />

oft spielerisch oder dekorativ anmutenden<br />

Auseinandersetzung mit einer Thematik<br />

von wissenschaftlicher Seite als<br />

Partner ernst genommen?<br />

Lindinger: Hier muss man zwischen<br />

industriellen Innovationprozessen<br />

und dem Bereich Kunst und Wissenschaft<br />

unterscheiden. Das sind<br />

wirklich zwei unterschiedliche Paar<br />

Schuhe. In der Industrie oder in<br />

industrielleren Projekten geht es<br />

wirklich um die Suche. Hier wird<br />

Kunst, sobald man zusammenarbeitet,<br />

automatisch als eine Möglichkeit,<br />

<strong>Neues</strong> oder neue Ansätze zu finden,<br />

respektiert.<br />

Im wissenschaftlichen Kontext ist es<br />

schwieriger: Wissenschaft erzeugt<br />

Erkenntnisgewinn. Publikationen<br />

gelten als höchstes Gut <strong>für</strong> den wissenschaftlichen<br />

Output. Wenn<br />

Künstlern in diese bereits existierenden<br />

starken wissenschaftlichen<br />

Strukturen- und Systeme kein Zutritt<br />

gewährt wird und eine Begegnung auf<br />

Augenhöhe zwischen Kunst und Wissenschaft<br />

nicht stattfindet, entsteht<br />

ein Missverhältnis. Dem muss man<br />

eben entgegenwirken.<br />

querspur: Wie und unter welchen Umständen<br />

gelingt eine derartige Zusammenarbeit?<br />

Lindinger: Wir versuchen Künstlerinnen<br />

und Künstler an die vorderste<br />

Front der wissenschaftlichen Erkenntnis<br />

zu schicken und zu schauen, wie<br />

das funktioniert. Hierbei bringen<br />

wir Künstler an Orte, zu denen sie<br />

26


Foto: © Matthew Gardiner<br />

Von der Kunst zur Medizin: Das Prinzip der Faltblumen „Oribots“<br />

des australischen Künstlers Matthew Gardiner wird in Zukunft<br />

bei Herzschrittmachern zum Einsatz kommen.<br />

Fotos: © Mercedes-Benz<br />

Kulturelle Revolution des autonomen Fahrens: Das Concept Car F015 von Mercedes-Benz zeigt,<br />

wie der Erholungsraum im selbstfahrenden Auto künftig aussehen könnte.<br />

normalerweise keinen Zugang haben.<br />

Beispielsweise zur Europäischen<br />

Weltraumorganisation ESA oder zur<br />

Europäischen Südsternwarte in Chile<br />

(ESO) oder ins CERN (Europäische<br />

Organisation <strong>für</strong> Kernforschung).<br />

Unterstützt und begleitet werden die<br />

Künstler bei diesen Forschungsaufenthalten<br />

von Mitarbeitern des Ars<br />

Electronica Futurelabs, die mit<br />

solchen Prozessen eine gewisse Erfahrung<br />

haben und als Schnittstelle<br />

zwischen den Wissenschaftern und<br />

den Künstlern fungieren. Zwar sind<br />

oft Kunstwerke das Ergebnis dieser<br />

Auseinandersetzung, aber der zentrale<br />

Wert <strong>für</strong> uns sind die Irritationen,<br />

die die Künstler durch ihre<br />

Arbeiten in diesen Institutionen erzeugen.<br />

Leute fangen an, anders über<br />

Dinge nachzudenken. Und dieser Erkenntnisgewinn<br />

geht <strong>für</strong> uns über<br />

den Wert des Absetzens künstlerischer<br />

Ergebnisse hinaus.<br />

querspur: Zusammenarbeit zwischen<br />

Kunst und Wissenschaft ist keine<br />

Neuerfindung. Am Übergang zum<br />

20. Jahrhundert, im sogenannten<br />

Fin de Siècle, standen Künstler und<br />

Wissenschafter in engem Austausch.<br />

Könnte gerade jetzt wieder ein besonderer<br />

Zeitpunkt da<strong>für</strong> sein, gar eine<br />

Notwendigkeit da<strong>für</strong> bestehen?<br />

KünsTLerische<br />

InnovationsforsCHung<br />

bei grOssen<br />

Konzernen<br />

bereits eTABLIert<br />

Lindinger: Grundsätzlich würde<br />

ich sagen, dass Kunst immer wieder<br />

eine entscheidende Rolle gespielt hat<br />

und sie könnte natürlich immer eine<br />

noch entscheidendere Rolle spielen.<br />

Denn sie hat die Möglichkeit durch<br />

das Experimentieren, Dinge zu erproben,<br />

die nicht unmittelbar Sinn<br />

ergeben. Manchmal erschließt sich<br />

dieser erst in einem zweiten Schritt.<br />

Aus unternehmerischer Perspektive<br />

ist es sehr wichtig, Künstler in die<br />

Innovationsmethodik oder -prozesse<br />

zu inte grieren. Bei vielen der multi–<br />

natio nalen Konzerne, mit denen wir<br />

zusammenarbeiten, von Toshiba,<br />

Mercedes, über SAP bis Intel, um<br />

nur einige zu nennen, ist künstlerische<br />

Innovationsforschung bereits<br />

etabliert.<br />

Ein anderer Aspekt ist die Suche nach<br />

neuen Wissenschaftskulturen. Hier<br />

ist die Verschmelzung von Kunst und<br />

Wissenschaft bis zu einem gewissen<br />

Grad eine Wiederentdeckung. Es geht<br />

in der Wissenschaft nicht mehr nur<br />

um Erkenntnisgewinn, dem Publizieren<br />

von Papers und dem Vorantreiben<br />

von großen Karrieren. In einem<br />

größeren Diskus geht es darum, die<br />

Gesellschaft weiterzuentwickeln. Hier<br />

schwingt auch der Gedanke mit, mit<br />

Künstlern zusammenzuarbeiten, anders<br />

über Probleme nachzudenken<br />

und auch den Prozess des Erkenntnisgewinns<br />

anders zu gestalten. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

27


USERSTORY<br />

Meine<br />

Idee<br />

Die ÖAMTC Future CHAlleNGe hat über<br />

450 User motIVIert, Ideen eINzureICHen.<br />

DREI davon mit ihren IDEEN im PORTRAIT.<br />

Von Astrid Kuffner<br />

Private<br />

Lademöglichkeiten<br />

teilen<br />

Foto: © Günther Huck<br />

Günther Huck hat insgesamt acht Ideen zur Elektromobilität bei der<br />

Future Challenge eingebracht. Der Vorschlag, die privaten Lademöglichkeiten<br />

der ÖAMTC-Mitglieder untereinander zu teilen, wurde besonders ausgezeichnet.<br />

Als Elektrotechniker, Analytiker, Programmierer und Abteilungsleiter<br />

hat Günther Huck viele Jahre in der IT-Infrastruktur<br />

gearbeitet. Dabei hat der Grazer übersehen, dass er selbst<br />

immer unter Strom stand und schließlich das eigene System<br />

überlastete. Nach einem Burnout war er mehrere Monate<br />

auf Rehabilitation und hat seine Prioritäten neu geordnet.<br />

Dabei dachte der 56-Jährige über sich und die Welt von<br />

heute nach: „Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung, unbeschränktes<br />

Wachstum und Ressourcenvergeudung bestimmen<br />

unseren Umgang mit dem Planeten. Gleichzeitig<br />

sind wir in Österreich durch unseren Lebensstil und das<br />

Wirtschaftssystem auf Mobilität angewiesen. Nicht nur ich<br />

sehe daher Elektromobilität als Alternative zur Erdölmobilität.“<br />

Weil es auf jeden Einzelnen ankomme, fing Huck bei sich<br />

selbst an. Er wohnt in einem Plusenergiehaus mit einer Photovoltaikanlage<br />

auf dem Dach, seine Frau und er legen seit einem<br />

Jahr den Großteil der Alltagswege mit Elektroautos (Fiat<br />

500e Karabag) zurück, wobei er davor bereits ein Elektrofahrrad<br />

und ein Elektromoped hatte. Günstig: Sein Wohnort<br />

Kirchbach in der Oststeiermark ist ein Vorreiter der E-Mobilität<br />

mit drei öffentlichen E-Ladestationen.<br />

„Die Problematik ist nicht das Elektrofahrzeug an sich. Ende<br />

der 1980er-Jahre wurde das erste Serien-Elektroauto, Fiat<br />

Panda Elettra, entwickelt und ab 1990 in den Puch-Werken<br />

bei Graz serienmäßig gebaut. Wir haben auch den nötigen<br />

Strom. Was aber immer noch fehlt, ist die Ladeinfrastruktur“,<br />

analysiert er. Und hier kommt die Idee eines Community-basierten<br />

Ladenetzes ins Spiel: Aktuell sind in Österreich<br />

4,5 Millionen private PKW angemeldet. Wenn nur die Hälfte<br />

künftig mit Strom fahren würde, wovon Huck ausgeht, müsse<br />

sofort damit begonnen werden, zumindest 2,5 Millionen<br />

Lade plätze zu schaffen: „Ich habe nicht den Eindruck, dass<br />

diese Ladeinfrastruktur politisch so wichtig genommen wird,<br />

wie die Infrastruktur <strong>für</strong> Trinkwasser, Abwasser oder Internet,<br />

obwohl unser Wirtschaftssystem auf Mobilität aufbaut.“<br />

Er weiß aus eigener Erfahrung: Elektrofahrzeuge sind entweder<br />

unterwegs oder sie hängen an der Steckdose. Statt<br />

bloß auf Schnell-Ladestationen zu setzen, würde er die privaten<br />

Ladeplätze von ÖAMTC-Mitgliedern unter denselben<br />

teilen. Diese sind im Regelfall frei, weil die Besitzer mit dem<br />

E-Auto in die Arbeit fahren. Der ÖAMTC könnte sich um Verwaltung<br />

und Abrechnung kümmern. Seiner Idee nach könnte<br />

jeder Strom-Guthaben in den virtuellen ÖAMTC-Pool<br />

einspeisen: Aus der eigenen PV-Anlage oder über die Beteiligung<br />

an Anlagen <strong>für</strong> Alternativenergie (Windpark, Biogas,<br />

PV-Anlage) und erwirbt so das Recht, ebenso viel wieder zu<br />

beziehen. Dieser Gedanke im Sinne der Shared Economy<br />

und der Gemeinnützigkeit kam Huck spontan, als er via<br />

Newsletter von der Future Challenge erfuhr. Insgesamt hat<br />

er acht Ideen eingereicht, u. a. etwa jene an ÖBB-Züge E-<br />

Autotransport-Waggons anzuhängen, um die Reichweite zu<br />

verbessern. Und Huck hat nicht nur den einzelnen E-Autofahrer<br />

im Blick: „Die technische Umsetzung eines solchen<br />

Ladenetzes sehe ich als Chance. So kann der Wirtschaftsstandort<br />

Österreich vielleicht ein Vorreiter in Europa in dieser<br />

Technologie werden.“ •<br />

28


USERSTORY<br />

Foto: © Daniela Starcevic<br />

Streikwarnung<br />

statt Reisestress<br />

Streik, strike, grève, sciopero! Daniela Starcevic ist früher viel gereist und lernte dabei die Streikfreude<br />

in anderen Ländern Europas kennen. Als ihre Kollegen neulich ein wichtiges Geschäftstreffen beinahe<br />

verpassten, weil der Zug nicht fuhr, stand <strong>für</strong> sie fest: Ein EU-Frühwarnsystem muss her.<br />

Wer viel reist, erlebt auch viel. Nicht nur am Ziel, auch auf<br />

dem Weg dorthin oder retour. Daniela Starcevic war in den<br />

1990er-Jahren im internationalen Tourismus tätig: „Ich habe<br />

in einem gewissen Zeitraum vermutlich öfter die Kontinente<br />

gewechselt als andere die Bettwäsche“, sagt sie über das<br />

Ausmaß ihrer Reisetätigkeit. Oft flog sie über das Drehkreuz<br />

London und besuchte bei dieser Gelegenheit ihre Tante, die<br />

am Rand der Themse-Metropole außerhalb des U-Bahn Netzes<br />

wohnt. Dabei lernte sie die Streikfreudigkeit in den europäischen<br />

Nachbarländern kennen und entdeckte eine Lücke:<br />

Wenn eine nationale Fluglinie oder der Hauptstadt-Flughafen<br />

streikt, steht das in jeder Zeitung. Reisende können sich auf<br />

diese Weise vorbereiten. „Wenn du aber um fünf Uhr morgens<br />

auf dem Bahnsteig der Lokalbahn stehst, um zum Flughafen<br />

zu kommen und die streiken, hast du keine Möglichkeit,<br />

das vorab zu erfahren“, erklärt sie. Damals, als es <strong>für</strong><br />

Starcevic nötig gewesen wäre, gab noch keine Smartphones,<br />

um alternative Routen zu suchen. Wobei das angesichts<br />

von Hektik und hoher Roaminggebühren vielleicht auch heute<br />

nicht zielführend wäre. Verpasste (Übersee-) Flüge, verweigerte<br />

Storni und geplatzte Termine sind jedenfalls unangenehm.<br />

Als eine Kollegin ein zwischen internationalen Partnern mühsam<br />

abgestimmtes Treffen <strong>für</strong> ein EU-Projekt beinahe verpasst<br />

hätte, weil eine regionale Bahnstrecke in Frankreich<br />

bestreikt wurde, knüpfte Daniela Starcevic an ihre eigenen<br />

Erfahrungen wieder an und reichte ihre Idee <strong>für</strong> ein EU-Frühwarnsystem<br />

bei der ÖAMTC Future Challenge ein: Darin<br />

schägt sie ein Reiseportal vor, bei dem Informationen über<br />

regionale Streiks innerhalb der EU zur Verfügung gestellt<br />

werden. Dort könnte man sich vor Reiseantritt erkundigen. In<br />

einer ausgefeilteren Version könnte man vorab die geplante<br />

Route eingeben und per SMS gewarnt werden, wenn bei einem<br />

der Verkehrsmittel Unregelmäßigkeiten auftreten sollten.<br />

Vernetzte Mobilitätsclubs in verschiedenen Ländern könnten<br />

damit gemeinsam eine Art EU-Frühwarnsystem <strong>für</strong> Reisende<br />

aufbauen und auch gleich alternative Anreisemöglichkeiten<br />

vorschlagen. Die Mitglieder könnten dann von unterwegs<br />

kurzfristig abfragen, ob und wo Streikwarnungen vorliegen.<br />

Heute möchte Daniela Starcevic kein Jetsetter-Leben mehr<br />

führen: „Es ist noch stressiger geworden. Bei Fernreisen gibt<br />

es inzwischen unzählige Möglichkeiten, wo etwas nicht klappen<br />

könnte: Von der Baustelle bis zu verschärften Sicherheitskontrollen“.<br />

Die 44-jährige Grazerin ist immer noch ein<br />

Mensch, der sich viel bewegt. Beim Sport, mit dem Rad auf<br />

dem Weg zur Arbeit, mit dem Hybrid-Auto ins Grüne zum<br />

Wandern, mit der Straßenbahn oder zu Fuß. Es fällt ihr also<br />

leicht, die Perspektive unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer<br />

einzunehmen. Sie beteilige sich oft an Umfragen, die sie<br />

via ÖAMTC-Newsletter erreichen und brachte insgesamt<br />

gleich drei Vorschläge bei der Future Challenge ein: „Mir gefällt,<br />

dass ein Mobilitätsclub die Rolle als Bürgeranwalt einnimmt<br />

und auch die Anliegen Einzelner bei den politisch Verantwortlichen<br />

einbringt.“ •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

29


USERSTORY<br />

Foto: © Peter Spannring<br />

Rundum-Service<br />

<strong>für</strong> Zweiräder<br />

Peter Spannring ist beruflich und privat viel mit dem Rad unterwegs.<br />

Dabei kam ihm die Idee, die ÖAMTC-Stützpunkte zu Drehscheiben der Fahrradmobilität auszubauen.<br />

Neben der eigenen Fahrrad-Pannenhilfe soll es auch Leihräder und -helme geben.<br />

Peter Spannring weiß mit Werkzeug umzugehen. Er ist sicherheitsbewusst<br />

und handwerklich geschickt. Und er hält viel<br />

von regelmäßiger Wartung. Dennoch hatte er in den vergangenen<br />

Jahren immer wieder einmal eine Panne. Mit dem<br />

Fahrrad. „Auf einen Kettenriss kannst du dich nicht vorbereiten“,<br />

sagt der Vielradler. Vom frühen Frühjahr bis in den späten<br />

Herbst hinein bewältigt der 51-Jährige die 22 Kilometer<br />

(von Leoben nach Kapfenberg) zur Arbeit mit dem Rad. Auf<br />

dem Heimweg nimmt er nicht selten noch eine kleine Bergwertung<br />

mit. Am Wochenende ist er rund um Leoben unterwegs<br />

und auch bei der Salzkammergut Trophy war er heuer<br />

erstmalig am Start. Mit Mountainbike oder Rennrad bewältigt<br />

er rund 7.000 Kilometer und 100.000 Höhenmeter im<br />

Jahr. Das verrät ihm sein GPS-Tracker. Und dann eben: Panne,<br />

schieben, ärgern. Nicht immer ist ein Geschäft mit Ersatzteilen<br />

geöffnet, nicht immer erreicht er jemanden aus der<br />

Familie, der ihn abholen kann und nicht überall kann er ein Taxi<br />

rufen. Hier kommt die ÖAMTC-Zweirad Pannenhilfe gerade<br />

recht. Aber auch darüber hinaus könnte der ÖAMTC zur<br />

Drehscheibe <strong>für</strong> Fahrradmobilität werden. Als Peter Spanning<br />

in der Mitgliederzeitschrift von der Future Challenge las,<br />

war das seine Gelegenheit, diese Idee einzubringen. Wobei<br />

er auch beruflich ein starker Ideengeber ist: Bei seinem Arbeitgeber<br />

Böhler Edelstahl in Kapfenberg werden Vorschläge<br />

der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur kontinuierlichen<br />

Verbesserung sehr ernst genommen. Und Peter Spannring<br />

koordiniert das Vorschlagswesen im Bereich Schmiedelinie.<br />

Zudem ist er Sicherheitsfachkraft. Deswegen wird man<br />

ihn auch nie ohne Helm fahren sehen. Er freut sich darüber,<br />

dass immer mehr Menschen das Rad <strong>für</strong> die alltägliche Fortbewegung<br />

nützen. Durch E-Bikes wird das auch <strong>für</strong> weniger<br />

sportliche und ältere Menschen möglich. Der ÖAMTC<br />

könnte neben der Zweirad-Pannenhilfe auch Servicestellen<br />

<strong>für</strong> Zweiräder an den Stützpunkten inklusive Schlauchautomat<br />

anbieten, meint er. Man könnte auch Fahrräder und Helme<br />

am Stützpunkt verleihen, vor allem das Auto beispielsweise<br />

seinen Geist aufgegeben hat und es daher am Stützpunkt<br />

stehen bleiben müsse.<br />

Zum Radfahren ist Peter Spannring aus gesundheitlichen<br />

Gründen gekommen: In seiner Jugend hat er viel Krafttraining<br />

gemacht, was nach einem Unfall aber nicht mehr möglich<br />

war. Radfahren ist <strong>für</strong> den Genussmenschen eine ideale,<br />

weil in den Alltag integrierbare Möglichkeit zur Gewichtsreduktion.<br />

Umso mehr freut sich über den schönen Preis: Die<br />

Reisegutscheine. Vermutlich wird es ihn und sein Lebensgefährtin<br />

wieder nach Italien ziehen. Die Gegend rund um den<br />

Gardasee liebt er besonders. Und natürlich hat er im Kofferraum<br />

auch immer sein Rad mit dabei. In Italien gibt es neben<br />

gutem Essen viele Radsport-Begeisterte wie ihn. Auch bemerkt<br />

er dort viel Rücksicht und auch Leichtigkeit im Umgang<br />

miteinander. Peter Spannring würde auch gerne Forstwege<br />

<strong>für</strong>s Radfahren öffnen, „wobei es hier natürlich Spielregeln<br />

<strong>für</strong> das Miteinander braucht“. Er überlegt wohl schon, wo er<br />

seine Ideen zu diesem Thema sinnvoll einbringen könnte. •<br />

30


Lorenz Inou, 19<br />

Absolvent HTL Rennweg/Mechatronik aus Wien<br />

„Ich habe gerade die HTL-Matura gemacht. Mein Lehrer <strong>für</strong> Prozessrechentechnik<br />

beschäftigt sich seit Mitte der 1980er-Jahre mit dem Thema Elektromobilität. Er ist<br />

auch Erfinder und ein „Auskenner“, wenn es um technische Lösungen <strong>für</strong> die Einsparung<br />

von CO 2<br />

geht. In den vergangenen zwei Jahren habe ich von ihm viel darüber<br />

gelernt. Ich wollte mit meiner Idee bei der Future Challenge signalisieren, dass<br />

sich ein Mobilitätsclub mit dem Thema Ladenetz bereits heute auseinandersetzen<br />

sollte. E-Mobilität ist <strong>für</strong> Österreich umwelttechnisch und finanziell ein Muss. Ich habe<br />

mich aktiv mit Kommentaren eingebracht, weil ich klassische und bereits veraltete<br />

Kritikpunkte gegenüber E-Mobilität ausräumen will. Ich halte den Emotionen rund<br />

ums Autofahren gerne sachliche Information entgegen.“<br />

USERSTORY<br />

Katharina Aichberger, 49 Jahre, technische Angestellte aus Steyr<br />

„Erneuerbare Energieformen mögen sich weltweit durchsetzen, das wünsche ich mir!<br />

Neben anderen Vorteilen verursachen mit erneuerbarer Energie betankte Elektroautos<br />

weniger Lärm. Dadurch könnte eine gut gelegene Wohnung am viel befahrenen<br />

Wiener Gürtel eine hübsche Wertsteigerung erfahren. Freilich: Das Fehlen von<br />

Motorgeräuschen, die viele Leute unterbewusst als Warnsignale empfinden, verlangt<br />

eine Umstellung. Ich könnte mir schon jetzt spielerische Praxissimulationen bei<br />

Events vorstellen wie etwa Videos, Computerspiele oder Übungskreuzungen, mit<br />

denen die Verkehrsteilnehmer frühzeitig mit der veränderten Verkehrssituation vertraut<br />

gemacht werden. Sie lernen, mit weniger Lärm umzugehen und freuen sich auf<br />

eine hoffentlich bald abgasreduzierte Zukunft.“<br />

Warum haben Sie sich an der<br />

ÖAMTC Future Challenge beteiligt?<br />

Maria Jakob, 66, Pensionistin aus Enns<br />

„Ich war in den Jahren 1969 bis 1982 beruflich viel mit dem Auto unterwegs– in Österreich,<br />

der BRD, Frankreich, Italien und ein halbes Jahr auch in England – und habe wohl<br />

1.300.000 Straßenkilometer abgespult. Heute fahre ich mit meinem Mann und Tempomat<br />

nur noch privat durch Österreich und habe Zeit, bei einem Ideenwettbewerb mitzumachen.<br />

Ich schlage ein Überholverbot <strong>für</strong> LKW und Autobusse auf zweispurigen Autobahnen<br />

vor. Bei den kilometerlangen Überholmanövern – ich nenne sie ‚Elefantenduelle‘<br />

– kommt es zu abrupten Bremsmanövern und unnötigen Staus.“<br />

Tomas Teverný, 40, Koch und kaufmännischer Angestellter im Tourismus aus Schwechat<br />

„Ich habe mich bei der Future Challenge beteiligt, weil ich mir beim Thema Mobilität der Zukunft Bewegung<br />

und <strong>Offen</strong>heit wünsche. Ich bin eine Art personifizierte Street View Map, habe halb Europa bereist<br />

und viele gute und schlechte Lösungen gesehen. Es geht mir darum, dass alle Menschen mitgestalten<br />

können. Ich sehe darin den Zeitgeist der neuen, sich entwickelnden Gesellschaft. Der Einfluss der Politik<br />

bremst wichtige Entwicklungen zunehmend. Man muss kein Fachexperte sein, um zu erkennen, wo<br />

es neuer Lösungen beim Alltagsthema Mobilität bedarf. Von den Ideen können wiederum Fachleute und<br />

Verkehrsplaner profitieren, wenn sie sich da<strong>für</strong> öffnen. Es reichen oft die Alltagserfahrung, das Interesse,<br />

der Hausverstand und die Begeisterung gewöhnlicher Menschen. Der ÖAMTC sollte dieses Portal<br />

als Sammelstelle <strong>für</strong> Ideen zur Mitgestaltung weiter betreiben.“<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

31


Futurnauten<br />

Eine FACHjury aus drei Experten untersCHIedlicher Bereiche<br />

wählte die GewINNer der ÖAMTC Future CHAlleNGe aus.<br />

Querspur bat JuryMITGLIeder zum InterVIew. Die Gespräche führte Catherine Gottwald<br />

Foto: © Irene Fialka<br />

Dr. Irene Fialka ist studierte Molekularbiologin und<br />

seit 2004 Geschäftsführerin von INiTS Universitäres<br />

Gründerservice Wien GmbH, einem preisgekrönten<br />

akademischen Business-Inkubator, der Start-ups in<br />

jeder Entwicklungsphase, also von der Formulierung<br />

ihrer Geschäftsidee bis zur Finanzierung ihres Unternehmens,<br />

unterstützt. In der Fachjury war ihre Kernexpertise<br />

als Start-up-Consultant gefragt.<br />

querspur: Der ÖAMTC feiert 2016 sein<br />

120-jähriges Bestehen und ist mit circa<br />

zwei Millionen Mitgliedern Österreichs<br />

größter Verein. Was bedeutet es, wenn<br />

ein so traditioneller Club einen Crowdsourcing-Prozess<br />

wie die ÖAMTC Future<br />

Challenge startet und dabei interessierte<br />

Bürger und Bürgerinnen, Mitglieder sowie<br />

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />

dazu befragt, wie er sie in ihrer Mobilität<br />

besser unterstützen kann? Hat ein derartiger,<br />

offener Ideenwettbewerb Signalwirkung?<br />

Dr. Irene Fialka: Ich finde, die<br />

ÖAMTC Future Challenge hat absolut<br />

hohe Signalwirkung. Damit<br />

setzt der ÖAMTC in vielerlei Hinsicht<br />

Zeichen: Während Open Innovation,<br />

wie sie der ÖAMTC hier mit<br />

der Future Challenge vorlebt, in der<br />

Wissenschaft seit 30 Jahren praktiziert<br />

wird, ist sie in der unternehmerischen<br />

Realität noch immer nicht<br />

richtig angekommen. Hier übernimmt<br />

der ÖAMTC auch im Vergleich<br />

mit anderen europäischen<br />

Mobilitätsclubs eine Vorreiterrolle.<br />

Andererseits definiert der ÖAMTC<br />

damit auch seine Clubsprache neu.<br />

Clubmitglieder, Mitarbeiter und interessierte<br />

Bürger dürfen und sollen<br />

mitreden und mitgestalten. Die eingereichten<br />

Ideen und Konzepte betreffen<br />

nicht aktuelle Services, bestehende<br />

Bedürfnisse und/oder Defizite,<br />

sondern zeigen deutlich auf, was in<br />

Zukunft möglich und nötig sein wird.<br />

Die Stimme des einzelnen Mitglieds/<br />

Bürgers/Mitarbeiters wird gehört und<br />

hat Gewicht. Die richtige Kommunikation<br />

mit der Crowd ist ein sehr relevanter<br />

Faktor in Crowdsourcing-<br />

Prozessen.<br />

querspur: Würden Sie sagen, die Kommunikation<br />

ist in diesem Fall geglückt?<br />

Fialka: Ja, das sieht man schon anhand<br />

der zahlreichen Einreichungen.<br />

Aber natürlich ist nicht nur die Zahl<br />

der Einreichungen, sondern vor allem<br />

die Qualität der Einreichungen<br />

relevant.<br />

querspur: Als Geschäftsführerin des<br />

Universitären Gründerservice INiTS beschäftigen<br />

Sie sich seit Jahren mit frischen<br />

Ideen und zukunftsfähigen Konzepten.<br />

War bei den eingereichten Ideen<br />

der ÖAMTC Future Challenge eine dabei,<br />

die Sie als Jury-Mitglied so nicht erwartet<br />

hätten?<br />

Fialka: Nein. Aber ich habe festgestellt,<br />

dass einige Ideen absolut im<br />

Trend liegen und deren Umsetzung<br />

die richtigen Schritte in Richtung<br />

Zukunft darstellen. Ein Beispiel da<strong>für</strong><br />

ist die prämierte Idee der Einführung<br />

einer ÖAMTC-Sicherheitsplakette<br />

<strong>für</strong> Drohnen, das 57a-„Pickerl<br />

2.0“. Das Definieren von allgemeinen,<br />

verbindlichen, rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

<strong>für</strong> Drohnenpiloten sowie<br />

die technische Überprüfung und<br />

Zertifizierung von Drohnen ist absolut<br />

notwendig. Außerdem besteht<br />

Aufklärungsbedarf beim Gebrauch<br />

von Drohnen. Das wäre eine tolle<br />

neue Aufgabe <strong>für</strong> den ÖAMTC.<br />

querspur: Könnte man zusammenfassend<br />

sagen, dass die Themen, Ideen und<br />

Vorschläge, die bei der ÖAMTC Future<br />

Challenge ein- und vorgebracht wurden,<br />

das Thema Mobilität auf eine höhere<br />

Stufe gestellt haben?<br />

Fialka: Ja. Für den ÖAMTC und seine<br />

Clubmitglieder ganz bestimmt. •<br />

32


Foto: © KTM<br />

KTM-Chef DI Stefan Pierer studierte Betriebs- und<br />

Energiewirtschaft an der Montanuniversität Leoben.<br />

Seit 1992 ist er Aktionär und Vorstand des Sportmotorradherstellers<br />

KTM AG. Seine unternehmerische<br />

Vision hat aus KTM eine Weltmarke gemacht. Das<br />

KTM Zero-Emission Motorcycle „Freeride-E“ erhielt<br />

2011 den österreichischen Staatspreis der Kategorie<br />

„Innovativ E-Mobil“. In der Fachjury der ÖAMTC Future<br />

Challenge war vor allem seine Erfahrung und sein<br />

Knowhow im Bereich motorisierte Zweiradmobilität<br />

gefragt. Und sein Spürsinn <strong>für</strong> gelebte Innovation.<br />

querspur: Warum haben Sie die Einladung,<br />

als Fachjuror bei der ÖAMTC<br />

Future Challenge mitzuwirken, angenommen?<br />

DI Stefan Pierer: Für einen Veteranen<br />

aus der Mobilitäts- und Fahrzeugindustrie<br />

wie mich sind Themen, die<br />

Mobilität betreffen, immer sehr spannend<br />

und informativ. Egal, ob diese<br />

Ideen und Konzepte nun direkt von<br />

den ÖAMTC-Mitarbeitern (Anmerkung:<br />

7,5 % der Einreichungen<br />

bei der ÖAMTC Future Challenge<br />

stammten von ÖAMTC-Mitarbeitern<br />

und -Mitarbeiterinnen), Clubmitgliedern<br />

oder interessierten Bürgern eingebracht<br />

wurden. Der ÖAMTC ist<br />

eine österreichische Institution, die<br />

die gesamte Bandbreite der Mobilität,<br />

also Vierrad- und Zweiradmobilität<br />

abdeckt, und dabei auch das Thema<br />

Sicherheit hoch ansetzt. Darum finde<br />

ich es ganz wichtig, dass man einerseits<br />

von den Mitgliedern und auch<br />

von den eigenen Mitarbeitern Vorschläge<br />

zur Verbesserung einholt.<br />

querspur: Was haben Sie aus dieser<br />

Erfahrung <strong>für</strong> sich mitgenommen?<br />

Pierer: Ich konnte mir einen ausgezeichneten<br />

Gesamtüberblick über<br />

den Megatrend Mobilität verschaffen.<br />

Das Thema urbane Mobilität ist eines<br />

der Hauptthemen, und die urbane<br />

Mobilität wird in Zukunft sicher sehr<br />

stark auf Elektromobilität basieren.<br />

Auch wir bei KTM haben viele interessante<br />

Zukunftskonzepte im<br />

Bereich Zweirad-Elektromobilität,<br />

die bereits auf Rädern stehen und auf<br />

eine sehr reelle Überleitung warten.<br />

querspur: War auch eine Idee dabei,<br />

die Sie überrascht hat?<br />

Pierer: Nicht überrascht, sondern<br />

eher bestätigt! Im Bereich Elektromobilität<br />

hat sich klar gezeigt, dass<br />

man nicht beim Auto beginnt und<br />

dann bei der Zweiradmobilität endet,<br />

sondern dass die Entwicklung umgekehrt<br />

von unten nach oben verläuft:<br />

Das Elektro-Bike beispielweise ist in<br />

der breiten Bevölkerung längst angekommen<br />

und verkauft sich bestens.<br />

querspur: Bei KTM wird Innovation<br />

groß geschrieben. Zahlreiche aktuelle<br />

Motorsportrekorde im Bereich Konstruktion<br />

zeugen vom Erfindungsgeist der<br />

KTM-Entwicklerinnen und -Entwickler.<br />

Wäre ein Ideenwettbewerb/Crowdsourcing-Prozess<br />

wie die ÖAMTC Future<br />

Challenge auch bei KTM möglich?<br />

Pierer: Bei uns ist Innovation ein gelebter<br />

Prozess, den wir nicht formal<br />

ausschreiben. Feedback von Kundenund<br />

Händlerseite fließt permanent<br />

ein. Dennoch ist der Rennsport die<br />

treibende Kraft. Er verbindet die beiden<br />

Elemente aus der Innovationstheorie:<br />

Die freiwillige Innovation<br />

und die erzwungene. Die freiwillige<br />

Innovation ist die schwierigere, weil<br />

man da permanent Selbstantrieb<br />

haben muss. Umgekehrt bedeutet<br />

erzwungene Innovation, dass man an<br />

der Situation dringend etwas ändern<br />

muss, um seine Spitzenposition zu<br />

halten. Unsere 400–500 Mitarbeiter<br />

in der Entwicklung sind hoch motiviert<br />

und haben meistens auch eine<br />

Motorradvergangenheit. Sie suchen<br />

sogar am Wochenende in ihrer Freizeit<br />

nach Lösungen, wie man unsere<br />

Produkte verbessern kann.<br />

querspur: Auch sehr kleine Ideen<br />

können eine große Resonanz haben.<br />

Hätten Sie auch eine Idee bei der<br />

ÖAMTC Future Challenge eingereicht,<br />

wenn Sie nicht Mitglied der Fachjury<br />

gewesen wären? Wäre es <strong>für</strong> Sie auch<br />

interessant gewesen?<br />

Pierer: Ja, vor allem das Thema Erhöhung<br />

der Sicherheit. Im Bereich<br />

Zweiräder, das geht vom Fahrrad<br />

bis zum Motorrad und Mofa. Denn<br />

dieser Verkehrsteilnehmer ist ein<br />

sehr verwundbarer, der hat keine<br />

Knautschzone und keine Crashzone,<br />

ist aber ein aktiver Teilnehmer im<br />

öffentlichen Verkehr und damit sehr<br />

gefährdet. Alle Ideen, die dazu beitragen,<br />

hier die Sicherheit zu erhöhen,<br />

sind natürlich von unserer Seite nicht<br />

nur hoch willkommen, sondern auch<br />

angestrebt. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

33


Foto: © Nicolas Uphaus<br />

Dr. Stephan Rammler ist Professor <strong>für</strong> Transportation<br />

Design & Social Sciences an der Hochschule <strong>für</strong><br />

Bildende Künste in Braunschweig und Gründer des<br />

Instituts <strong>für</strong> Transportation Design. Seine Arbeitsschwerpunkte<br />

sind die Mobilitäts- und Zukunftsforschung,<br />

Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik,<br />

Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger<br />

Umwelt- und Gesellschaftspolitik. 2016 erhielt er den<br />

ZEIT WISSEN-Preis Mut zur Nachhaltigkeit, der seit<br />

2013 von der Initiative Mut zur Nachhaltigkeit, dem<br />

Magazin ZEIT WISSEN sowie dem Unternehmer<br />

August Oetker ausgelobt wird.<br />

querspur: In Ihrem 2014 erschienenen<br />

Buch „Schubumkehr – Die Zukunft der<br />

Mobilität“ zitieren Sie den amerikanischen<br />

Visionär R. Buckminister Fuller<br />

„The best way to predict the future is<br />

to design it“ (dt.: „Die beste Art, die<br />

Zukunft vorherzusagen, ist sie zu<br />

gestalten“) und prägen den Begriff<br />

„Futurnauten“. Haben Sie beim<br />

Crowd sourcing-Prozess der ÖAMTC<br />

Future Challenge einige Futurnauten<br />

angetroffen, die die Zukunft gestalten?<br />

Prof. Dr. Stephan Rammler: Ja.<br />

Futurnauten sind <strong>für</strong> mich einerseits<br />

Experten, Wissenschafter und<br />

Futurologen, Spezialisten in Sachen<br />

Zukunft. Andererseits sind <strong>für</strong> mich<br />

Futurnauten auch ganz normale<br />

Menschen, Bürger, Konsumenten,<br />

Mobilitätsteilnehmer usw., die versuchen,<br />

aus ihrer eigenen Lebenspraxis<br />

heraus einen Horizont in die Zukunft<br />

zu öffnen. Menschen, die sich Ideen<br />

oder Konzepte ausdenken, ob es nun<br />

Produkte oder Dienstleistungen sind,<br />

um ihre, aber auch die Lebenswirklichkeit<br />

anderer Mitgenossen auf diesem<br />

Planten zu verbessern. Insofern<br />

sind <strong>für</strong> mich die eingereichten Ideen<br />

Ausdruck solcher Expertise, über Zukunft<br />

und Nachhaltigkeit anders<br />

nachzudenken.<br />

querspur: Sind also bei einem Crowdsourcing-Prozess<br />

wie der ÖAMTC<br />

Future Challenge die Beiträge von<br />

Experten, Mitgliedern, Mitarbeitern<br />

und interessierten Bürgerinnen und<br />

Bürgern in gleichem Maße wertvoll?<br />

Rammler: Unterschiedlich wertvoll.<br />

Experten, Wissenschafter oder Spezialisten<br />

haben den Vorteil, dass sie<br />

sich mit einem Thema womöglich<br />

über Jahre hinweg beschäftigen und<br />

in diesen Gebieten genau Bescheid<br />

wissen. Andererseits sind Konsumenten<br />

und Bürger die besten Experten<br />

in eigener Sache. Weil sie die Betroffenen<br />

sind. Sie leben in der Lebenswirklichkeit,<br />

in der Probleme auftauchen.<br />

Sie sind die besten Experten im<br />

Sinne Alltagspraxis und Umsetzung<br />

von neuen Konzepten und Ideen. Insofern<br />

brauchen wir beide Perspektiven.<br />

querspur: Wie wichtig ist es <strong>für</strong><br />

Österreichs größten Mobilitäts-Club<br />

mit einer 120-jährigen Geschichte<br />

einen Crowdsourcing-Prozess in<br />

Gang zu setzen?<br />

Rammler: Gerade <strong>für</strong> einen Club,<br />

der mit einer breiten Masse von<br />

Konsumenten zu tun hat, ist es<br />

immer wichtig, ein Gefühl <strong>für</strong> die<br />

Basis zu haben. Der ÖAMTC ist<br />

ein Publikumsverein. Ein Verein,<br />

der breit in die Gesellschaft hineinwächst.<br />

Insofern ist es gerade <strong>für</strong> einen<br />

solchen Verein immer unglaublich<br />

wichtig, auch zu wissen, was an<br />

der Basis mit den Mitgliedern los ist.<br />

Das ist die eine Perspektive. Die andere<br />

ist, dass ein solcher Verein wie<br />

der ÖAMTC – gerade weil er so breit<br />

in die Gesellschaft ausstrahlt – ein<br />

unglaublich gutes Sprachrohr sein<br />

kann. Als vertrauenswürdige, althergebrachte,<br />

traditionelle Institution<br />

hat der ÖAMTC diesen Bonus, diesen<br />

Vertrauensvorschuss.<br />

Er kann vielleicht ein Stück weit noch<br />

besser als andere Institutionen, vielleicht<br />

auch besser als politische Institutionen,<br />

diesen Blick auf die Zukunft<br />

richten und diesen Prozess<br />

auch gestalten. Wir erleben gerade<br />

eine totale, tiefgreifende, strukturelle<br />

Transmutation der Mobilitätswirtschaft.<br />

Es ist nötig, dass gerade traditionelle<br />

Institutionen beginnen sich<br />

zu bewegen und neue Zukunftsmodelle<br />

und -konzepte, Leitbilder,<br />

Visionen zu entwickeln. Insofern<br />

ist es wichtig, dass ein Club wie der<br />

ÖAMTC, genau wie die Autobauer<br />

und andere große Akteure der Mobilitätswirtschaft,<br />

sich um die große<br />

Frage der Nachhaltigkeit kümmert.<br />

Und das tut er, indem er Crowdsourcing-Prozesse<br />

anschiebt, abfragt und<br />

durch diesen Prozess in das Meer seiner<br />

Mitglieder zurückwirkt. •<br />

34


Foto: © shutterstock<br />

Der SchlüSSel<br />

zum Erfolg<br />

DIE GLÜHBIrne, DAS AUTO ODER DAS INTerneT – INNOVATIOnen,<br />

DIE WIRTSCHAFT UND GeseLLSCHAFT NACHHALTIG VERÄNDerT HABen.<br />

AUCH WEIL SIE ZUM RICHTIGen ZEITPunKT AM RICHTIGen ORT WAren.<br />

DOCH LänGST NICHT Alle ERFINDUNGEN SETZEN SICH ERFOLGREICH<br />

Auf dem MARKT DURCH. WAS IST DAS GEHEIMNIS, DAMIT NEUE SYSTEME<br />

UND TECHNOLOGIen ZU ERFOLGreICHEN INNOVATIOnen WerDEN?<br />

Von Astrid Bonk<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

35


Eine Spaghettigabel, die die Nudeln<br />

mit eingebautem Motor selbst auf die<br />

Zinken dreht, eine Schaukelbadewanne<br />

oder eine Heizvorrichtung <strong>für</strong><br />

Fahrradsättel – Ideen, die bis auf den<br />

Erfinder vermutlich niemals jemand<br />

brauchen wird.<br />

Im Jahr 2015 wurden laut Österreichischem<br />

Patentamt fast 2.500 neue<br />

Patente angemeldet. Auch die Schaukelbadewanne<br />

ist patentiert. Und obwohl<br />

die Zahl der Patente oftmals als<br />

Maß <strong>für</strong> die Höhe an Innovationsaktivitäten<br />

eines Landes gilt, so wird<br />

schnell klar: Ganz aussagekräftig ist<br />

dieser Indikator nicht. Zumal es sich<br />

bei einem Patent per Definition noch<br />

gar nicht um eine Innovation handelt,<br />

sondern streng genommen um eine<br />

Invention, also eine Erfindung. Als Innovation<br />

gilt erst ein über den Prototypen<br />

hinaus entwickeltes Produkt,<br />

das auf dem Markt erfolgreich ist.<br />

MarKTerfOLG einer<br />

InnOVATIOn von<br />

VIelen Faktoren<br />

abhänGIG<br />

Der Markterfolg ist kein Ziel, das im<br />

standardisierten Verfahren erreicht<br />

werden kann. Vielmehr braucht es<br />

ein Zusammenspiel verschiedener<br />

Faktoren. Etwa den hohen Nutzen<br />

<strong>für</strong> eine große Anzahl an Usern als<br />

Grundvoraussetzung <strong>für</strong> den Erfolg<br />

einer Innovation. Gerade Inventionen,<br />

die gezielt entwickelt werden, um andere<br />

Lösungen zu substituieren und<br />

deren wirklicher Anwendernutzen<br />

nicht hoch genug ist, verschwinden<br />

recht schnell vom Markt. Ein Beispiel:<br />

Die DVD konnte die Videokassette<br />

durch die höhere Qualität der Aufzeichnung<br />

innerhalb weniger Jahre<br />

vollkommen ersetzen. Der Nachfolger<br />

der DVD, die Blu-Ray-Disc, die<br />

eine noch höhere Bildqualität ermöglicht,<br />

konnte sich indes nie behaupten.<br />

Grund da<strong>für</strong>: Der Unterschied zur<br />

DVD wird als nicht groß genug empfunden.<br />

Für den Erfolg einer Innovation ist mit<br />

dem großen Nutzen <strong>für</strong> den User die<br />

Bereitschaft des Marktes untrennbar<br />

verbunden. Das bedeutet, dass nicht<br />

nur das Produkt seinerseits ausgeklügelt<br />

sein soll, sondern auch die Bedürfnisse<br />

der Gesellschaft der jeweiligen<br />

Zeit und im jeweiligen Kontext<br />

berücksichtigen müssen. Der Markt<br />

muss quasi nach einer Innovation<br />

lechzen, damit diese Erfolg hat.<br />

ÜberfLIeger<br />

LeonarDO da VinCI<br />

mit MisserfOLGen<br />

Leonardo da Vinci (1452–1519) gilt<br />

als ein Erfinder, der seiner Zeit weit<br />

voraus war, was ihm aber nicht immer<br />

zum Vorteil gereichte. Etwa entwickelte<br />

er im Wunsch, fliegen zu können, um<br />

1485 den ersten Fallschirm. 350 Jahre<br />

vor dem Bau des ersten Flugzeugs<br />

konnten die Menschen mit einer derartigen<br />

Erfindung jedoch nichts anfangen.<br />

Der Fallschirm war damit zwar etwas<br />

radikal <strong>Neues</strong>, die Bedürfnisse der Gesellschaft<br />

befriedigte er jedoch nicht.<br />

Erfolgreicher verhielt es sich mit einem<br />

Beispiel aus jüngster Zeit: Das Internet<br />

und die Digitalisierung haben die<br />

Art, wie wir Medien konsumieren,<br />

radikal verändert. Video-on-Demand-<br />

Angebote wurden <strong>für</strong> die Nutzer immer<br />

attraktiver. Fernsehen ist nicht<br />

mehr an den eigenen Apparat im<br />

Wohnzimmer gekoppelt, sondern<br />

findet statt wo und wann man will.<br />

Nach einer Unterbrechung schaut<br />

man einfach am nächst verfügbaren<br />

Gerät weiter. On-Demand-Video-<br />

Plattformen, wie wir sie von den<br />

Homepages der herkömmlichen<br />

TV-Sender kennen, sind da nur eine<br />

Basisvariante. Inzwischen haben sich<br />

eigene Internet-Pattformen wie<br />

Netflix etabliert, die dem User in<br />

einer Zeit der Individualisierung<br />

und des Kon sumierens „On the Go“<br />

das gewünschte Service bieten und<br />

selbst die Blu-Ray-Disc als Nachfolgerin<br />

der DVD alt aussehen lassen.<br />

Nicht nur der<br />

ZeITPunkt, auCH der<br />

sOZIALe Kontext ist<br />

wesentlich<br />

Die Bereitschaft einer Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> ein bestimmtes Produkt oder<br />

einen bestimmten Service ist das<br />

eine, hinzu kommt mitunter der<br />

soziale Kontext, innerhalb dessen<br />

sich Innovation abspielt. Anders als<br />

in Europa hat die Mehrheit der Menschen<br />

am afrikanischen Kontinent –<br />

vor allem jene im ländlichen Raum –<br />

kein Bankkonto. Viele Millionen Menschen<br />

hatten daher lange Zeit keinen<br />

Zugang zur Geldwirtschaft.<br />

Im Zuge der Verbreitung des Mobiltelefons<br />

zu Beginn des 21. Jahrhunderts<br />

änderte sich das. In vielen Regionen<br />

Afrikas hatten die Menschen<br />

erstmals nicht nur Zugang zu Information<br />

und Kommunikation, sondern<br />

auch die Übertragung von Gesprächsguthaben<br />

als „mobiles“ Zahlungsmittel<br />

etablierte sich rasch.<br />

Stadtbewohner transferierten Gesprächsminuten<br />

an ihre Familienangehörigen<br />

auf dem Land, die statt mit<br />

Bargeld mit dem Guthaben zum<br />

Beispiel ihre Einkäufe bezahlten.<br />

Der gesamte Zahlungsverkehr<br />

wurde so wesentlich vereinfacht.<br />

Weltweit erste<br />

Handy-Bank in KenIA<br />

Diesem Erfolg geschuldet, wurde<br />

2007 mit M-Pesa die weltweit erste<br />

mobile Bank in Kenia gegründet.<br />

Jeder, der ein Mobiltelefon besitzt,<br />

kann bei M-Pesa ein mobiles Konto<br />

eröffnen. Danach kann per Handy<br />

jederzeit einfach und schnell bargeldlos<br />

bezahlt werden, sogar Stromrechnungen,<br />

Schulgebühren und Löhne<br />

werden inzwischen auf diese Weise<br />

überwiesen. Ein- und Auszahlungen<br />

von Bargeld werden landesweit bei<br />

sogenannten Agents (z. B. Inhaber<br />

von Tankstellen oder Supermärkte)<br />

abgewickelt. Mittlerweile gibt es allein<br />

in Ostafrika rund zwei Dutzend<br />

ähnlicher Anbieter, allein in Kenia nutzen<br />

über 19 Millionen Menschen die<br />

Services von M-Pesa. Das Handy war<br />

deshalb nicht nur eine bedeutende<br />

technische Erfindung, sondern auch<br />

eine der wichtigsten sozialen Innovationen<br />

des letzten Jahrhunderts.<br />

Zurück nach Europa: Wieviel soziale<br />

Innovation ist nötig, wenn die technischen<br />

Möglichkeiten schon vorhanden<br />

sind? Florian Moosbeckhofer,<br />

Leiter der Abteilung Innovation<br />

und Mobilität im ÖAMTC, berichtet<br />

36


Aufmerksamkeit<br />

Gipfel der<br />

überzogenen<br />

Erwartungen<br />

Pfad der<br />

Erleuchtung<br />

Plateau der<br />

Produktivität<br />

Illustration: © Barbara Wais<br />

Technologischer<br />

Auslöser<br />

Tal der<br />

Enttäuschungen<br />

Zeit<br />

Gartner Hype-Zyklus: Auf der Y-Achse ist die Aufmerksamkeit (Erwartungen) <strong>für</strong> die neue Technologie dargestellt,<br />

auf der X-Achse die Zeit seit ihrer Entwicklung. Am Anfang gibt es stets überzogene Erwartungen, bis sich letztlich<br />

herausstellt, wozu die Technologie wirklich taugt.<br />

von vielen Einreichungen zum Thema<br />

Mitfahrgelegenheit bei der kürzlich<br />

durchgeführten Future Challenge.<br />

„Die vielen Einmeldungen zum Thema<br />

Mitfahrgelegenheiten haben uns gezeigt,<br />

dass das Thema in der breiten<br />

Öffentlichkeit angekommen ist. Während<br />

bereits technisch ausgereifte<br />

Lösungen verfügbar sind, scheitern<br />

diese in der Praxis bislang häufig an<br />

der praktischen Nutzbarkeit und der<br />

sozialen Akzeptanz.“<br />

Vertrauen bei<br />

MitfAHrBÖrsen als<br />

Thema NuMMer eins<br />

Eingereicht wurden Beiträge wie<br />

etwa Mitfahrservices speziell <strong>für</strong><br />

Events, eine ÖAMTC-eigene Mitfahrplattform<br />

bzw. -App oder eine<br />

Identity Card & App, die das Autostoppen<br />

einfach und sicher macht.<br />

Hintergrund waren <strong>für</strong> die Ideengeber<br />

die Themen Sicherheit und Vertrauen.<br />

Soll ich wirklich zu einem Unbekannten<br />

ins Auto steigen? Soll ich<br />

jemanden mitnehmen, den ich gar<br />

nicht kenne? Was passiert bei einem<br />

Unfall, wer übernimmt hier die Haftung?<br />

So hält etwa Andrea Vierthaler<br />

im Rahmen ihrer Idee „Mitfahrzentrale<br />

ÖAMTC“ fest, dass man auf<br />

Suchmaschinen zwar eine große Anzahl<br />

an mehr oder minder vertrauenswürdigen<br />

Angeboten <strong>für</strong> Mitfahrgelegenheiten<br />

finde. Viele Menschen<br />

hätten aber eine Hemmschwelle, solche<br />

Angebote zu nutzen. Das sei bei<br />

jüngeren genauso wie bei älteren<br />

Menschen der Fall. Auch sozioökonomische<br />

Veränderungen sind mitunter<br />

ein Grund, ob und vor allem wann<br />

sich eine Innovation durchsetzt. Die<br />

Mikrowelle etwa wurde schon 1947<br />

per Zufall erfunden. Zur Massenware<br />

wurde sie erst in den 1970er Jahren,<br />

als sozioökonomische Veränderungen<br />

in der Gesellschaft eintraten.<br />

Je mehr Frauen berufstätig waren,<br />

desto mehr Nachfrage gab es nach<br />

der Möglichkeit, vorgekochtes Essen<br />

schnell aufzuwärmen.<br />

Gartner Hype-ZyKLus<br />

lässt MarKTerfOLG<br />

VOrhersAGen<br />

Ob sich technologische Innovationen<br />

wirklich auf dem Markt durchsetzen<br />

oder nicht, kann niemand mit Sicherheit<br />

voraussagen. Was sich allerdings<br />

mit Gewissheit sagen lässt,<br />

ist, dass technologische Innovatio -<br />

nen – sofern die Zeit reif da<strong>für</strong> ist –<br />

bei Markteinführung nach einem<br />

bestimmten Muster von den Usern<br />

aufgenommen werden, wie Experten<br />

festgestellt haben: Mithilfe des Gartner<br />

Hype-Zyklus lässt sich ungefähr<br />

vorhersagen, welche Aufmerksamkeit<br />

eine Innovation in den ersten Phasen<br />

auf dem Markt durchläuft. Die Darstellung<br />

erfolgt mithilfe eines Diagramms<br />

(siehe Abbildung). Die Kurve steigt<br />

zu Beginn sehr stark an und fällt nach<br />

dem Peak ebenso stark ab, um sich<br />

dann auf einem Mittelniveau einzupendeln.<br />

Ein Beispiel, das die Kurve veranschaulicht,<br />

sind Apps oder Smartphones:<br />

Zu Beginn gehypt, folgt meist<br />

eine Phase der Ernüchterung, bis sich<br />

die jeweilige Anwendung bei einem<br />

Niveau einpendelt.<br />

17 MILLIOnen<br />

InnOVATIOnen in<br />

nAHer Zukunft<br />

Was als nächstes unser Leben revolutionieren<br />

wird, lässt sich noch nicht<br />

sagen. Eine Google-Abfrage verspricht<br />

jedoch viel: Bei Eingabe<br />

der Worte „Innovation der Zukunft“<br />

erhält man über 17 Millionen Treffer.<br />

Im ersten Eintrag steht übrigens:<br />

„Die Zukunft der Innovation: Alle<br />

entwickeln mit.“ •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

37


Foto: © shutterstock<br />

Citizen Scientists<br />

Bürgerinnen und Bürger,<br />

die sich an einem<br />

wissenschaftlichen Projekt<br />

als Laienforscher<br />

beteiligen.<br />

Wissenschaft<br />

zum Mitmachen<br />

38


<strong>Neues</strong> Wissen zu sCHAffen ist eine KernKOMPetenz der ForsCHung.<br />

Aber wie funKTIOniert das, wenn sICH WissensCHAft gegenüber<br />

neuen WissensqueLLen öffnen sOLL? Drei PIONIere, die Wissen von<br />

auSSen in ihre FORsCHuNG eINBezOGen haben („Citizen ScieNCe“),<br />

berichten über ihre ErfahruNGen. Von Astrid Kuffner<br />

Foto: © Wilfried Reinthaler<br />

Partizipatives Design stellt<br />

Mensch in den Mittelpunkt<br />

Peter Purgathofer, Professor in der Human Computer<br />

Inter action-Group am Institut <strong>für</strong> Gestaltungs- und Wirkungsforschung<br />

(TU Wien) hat 2008 das Design Research-<br />

Projekt „Sparkling Hands“ zusammen mit Schülerinnen und<br />

Schülern durchgeführt. 2016 arbeitet er wieder mit Jugendlichen.<br />

Im aktuellen Projekt werden Lernspiele entwickelt,<br />

welche die Interaktion von Technologie und Gesellschaft<br />

erfahrbar machen sollen.<br />

www.piglab.org/sparklinggames<br />

https://peter.purgathofer.net<br />

Wie es zu dem Projekt kam: In unserem<br />

Projekt „Sparkling Hands“ haben wir mit<br />

blinden und sehbehinderten Kindern<br />

eine haptische Lernunterlage <strong>für</strong> das<br />

Planlesen erarbeitet, ein Kernfach<br />

in der Ausbildung, um ein räumliches<br />

Vorstellungsvermögen zu entwickeln.<br />

Am Bundesblindeninstitut hat sich uns<br />

Designern die bisher unbekannte Welt<br />

des „Sehens durch Berührung“ eröffnet.<br />

Die Rolle der Citizen Scientists: Unsere<br />

Projekte regen Kinder und Jugendliche<br />

zum wissenschaftlichen Arbeiten an.<br />

Wir arbeiten mit dem partizipativen<br />

Design-Ansatz. Damit nähern wir uns<br />

schrittweise der bestgeeigneten technischen<br />

Lösung. Bei „Sparkling Hands“<br />

haben wir gemeinsam mit den sehbehinderten<br />

und blinden Schülerinnen und<br />

Schülern Anforderungen und Materialien<br />

definiert, wie Landkarten einfach<br />

hergestellt, erfahrbar gemacht und sinnvoll<br />

mit Audio-Informationen verknüpft<br />

werden könnten.<br />

Wie verändert sich der Forschungsprozess:<br />

Generell gehen junge Menschen<br />

heute ganz selbstverständlich mit IKT<br />

(Anm.: Informations- und Kommunikationstechnik)<br />

um. Sie haben eigene und<br />

andere Visio nen vom zukünftigen Leben<br />

als dies heute schon Erwachsene haben<br />

oder hatten. Bei „Sparkling Fingers“ war<br />

es nur mit den Kindern möglich, die<br />

beste Interaktionsform von Mensch<br />

und Maschine zu finden. Ganz konkret:<br />

Am Touchscreen unterscheiden zu<br />

können, ob es sich um die Funktion<br />

„Mehrfinger-Planlesen-Berührung“<br />

oder „Ich will etwas dazu hören“-<br />

Berührung handelt.<br />

Das wollen wir verbessern: Ganz grundsätzlich<br />

hoffen wir, dass in unseren<br />

Projekten Jugendliche erfahren können,<br />

was sie selbst antreibt, anstatt Prüfungsanforderungen<br />

zu erfüllen.<br />

Für partizipative Gestaltung brauchen<br />

wir spezialisierte Fachleute, die sich der<br />

Sprache und den Ideen anderer Disziplinen<br />

öffnen wollen. Unsere gesamte Forschungsfinanzierung<br />

steht leider konträr<br />

zur Interdisziplinarität und zur ergebnisoffenen<br />

Praxis. Sie passt am besten zum<br />

klassisch naturwissenschaftlichen Ansatz.<br />

Da will ich noch mehr wissen: Das<br />

Motivieren und Halten einer Crowd ist<br />

der heilige Gral der Citizen Science.<br />

Bisher sind jedenfalls die Grundpfeiler<br />

intrinsischer Motivation bekannt:<br />

Mastery („ich werde oder bin meisterhaft<br />

in diesem Feld“), Autonomy („ich kann<br />

es allein bewältigen) und Purpose („ich<br />

sehe einen Sinn darin).<br />

Transparenz trägt sicher zu allen drei<br />

Kategorien bei. Deshalb ist die verständliche<br />

Kommunikation von Forschungs-<br />

Ergebnissen wichtig.<br />

Citizen Science ist eine Methode, die<br />

der Gestaltungs- und Wirkungsforschung<br />

nicht fremd ist. Wir haben uns<br />

am Institut der „humanistic human<br />

computer interaction“ verschrieben.<br />

Bei Neuentwicklungen stellen wir den<br />

Menschen in den Mittelpunkt statt abstrakt<br />

psychologisch-technische Kennzahlen<br />

und technische Möglichkeiten.<br />

Das ist mir wichtig: Ich wünsche mir<br />

mehr Verständnis <strong>für</strong> die Ergebnisoffenheit<br />

von Forschungsprozessen mit<br />

Crowdsourcing. Ich würde mich freuen,<br />

wenn sich jemand an der TU Wien<br />

hauptberuflich des Themas Citizen<br />

Science annimmt. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

39


Foto: © Franz Pfluegl<br />

Input aus der Bevölkerung<br />

<strong>für</strong> neue Forschungsfragen<br />

Claudia Lingner ist Geschäftsführerin der Ludwig<br />

Boltzmann Forschungsgesellschaft. „Reden Sie mit!“ (2015)<br />

war europaweit das erste Projekt, in dem Open Innovation-<br />

Methoden zur Formulierung neuer Forschungsfragen in der<br />

Wissenschaft eingesetzt wurden. Mittels Crowdsourcing<br />

wurden Forschungsfragen zum Thema psychische Gesundheit<br />

aus dem Blickwinkel von Betroffenen, Fachleuten und<br />

Angehörigen gesammelt. Aktuell wird der Aufbau einer<br />

neuen Forschungsinitiative vorbereitet, um die identifizierten<br />

Fragen im letztlich ausgewählten Themenfeld „Psychische<br />

Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ zu bearbeiten.<br />

www.openinnovationinscience.at<br />

Wie es zu dem Projekt kam: Unsere Inspiration<br />

war ein Fallbeispiel von der<br />

Harvard Medical School, bei dem Laien<br />

danach gefragt wurden, was im Bereich<br />

von Diabetes Mellitus noch nicht erforscht<br />

ist. Der entscheidende Input <strong>für</strong><br />

neue Fragestellungen kam darin von den<br />

Betroffenen selbst. Strategisch war ein<br />

solches Projekt <strong>für</strong> die Ludwig Boltzmann<br />

Gesellschaft eine logische Konsequenz.<br />

Grundsätzlich arbeiten wir nahe<br />

am Menschen, aber wir wollten noch<br />

einen Schritt näher an das Individuum<br />

und seine Interessen herankommen.<br />

Bei der Themenwahl hatten wir folgende<br />

Kriterien: Es muss Forschungslücken abdecken,<br />

eine große Gruppe ansprechen,<br />

im direkten Kontakt mit Betroffenen –<br />

und nicht über Institutionen – verbessert<br />

werden und ein neues Forschungsfeld <strong>für</strong><br />

die Ludwig Boltzmann Gesellschaft erschließen.<br />

Die Rolle der Citizen Scientists:<br />

Betroffene, Angehörige und Fachleute<br />

wurden über offene Forschungsfragen im<br />

Bereich psychische Gesundheit befragt<br />

und konnten ihre Beiträge auf einer<br />

Onlineplattform posten. Der Crowdsourcing-Prozess<br />

musste gut vorbereitet<br />

und begleitet werden. Aufgrund der<br />

Tabuisierung des Themas musste die<br />

technische Plattform entsprechend aufgebaut<br />

sein: Zusicherung von Anonymität,<br />

keine Kommentare oder Reaktionen<br />

von anderen, keine Möglichkeit, dass Interessensgruppen<br />

versuchen, ihr Thema<br />

zu pushen.<br />

Das haben wir gelernt: Die Crowd zu<br />

erreichen ist harte Arbeit! Wir haben Intermediäre<br />

besucht und in persönlichen<br />

Gesprächen überzeugt, um Betroffene zu<br />

erreichen. Es ist schwierig, eine gute Idee<br />

in der analogen Welt <strong>für</strong> die breite Beteiligung<br />

und einfache Auswertung in die<br />

digitale Welt zu überführen.<br />

Wie verändert sich der Forschungsprozess?<br />

Wir wollten wissen, welche Forschung<br />

wirklich gebraucht wird. Sich mit<br />

den Anregungen gezielt auseinanderzusetzen,<br />

erweitert und beeinflusst den<br />

Forschungsprozess. Wir haben 400 hochwertige<br />

Beiträge bekommen und daraus<br />

700 Textstellen analysiert. Die Auswertung<br />

ergab mehr als zehn relevante Themencluster.<br />

Nach einem Onlinevoting<br />

haben wir die erste Reihung an eine interdisziplinäre<br />

Expertenjury zurückgespielt,<br />

in der auch Vertreter von Patienten<br />

vertreten waren. Es braucht sehr gut<br />

durchdachte Evaluierungsprozesse, um<br />

gute und neuartige Ergebnisse zu erzielen.<br />

Diese müssen zum Teil deutlich von<br />

den üblichen Prozessen in der Wissenschaft<br />

abweichen, weil das Wissen der<br />

Crowd und die Neuigkeit nicht „hinausevaluiert“<br />

werden dürfen.<br />

Das wollen wir verbessern: Wir wollen<br />

die vielfältigen Ergebnisse <strong>für</strong> viele Spezialisten<br />

anschlussfähig gestalten und<br />

veröffentlichen, damit andere Organisationen<br />

sie aufgreifen können.<br />

Da will ich noch mehr wissen: In der<br />

Forschung ist es angesichts begrenzter<br />

Mittel nicht leicht, Crowdsourcing-Projekte<br />

durchzuführen. Wir wussten ja<br />

im Vorfeld überhaupt nicht, welche Forschungsfragen<br />

herauskommen würden.<br />

Dynamik kann nur entstehen, wenn man<br />

Diskussion und Ideen zulässt. Befristungen<br />

befördern Dynamik, können sie<br />

aber auch abstoppen. Wir müssen neuartige<br />

Wege einschlagen, um Forschung<br />

mit Open Innovation-Prinzipien durchzuführen<br />

und radikale Innovationen zu<br />

ermöglichen.<br />

Citizen Science ist eine Methode, mit<br />

der man zu neuen Forschungsfragen<br />

kommen kann. Der Input der Crowd ist<br />

<strong>für</strong> Open Innovation in Science wertvoll,<br />

aber ohne Experten geht es nicht.<br />

Inter disziplinarität ist leider noch immer<br />

schwierig. Wir sind heute gefordert zu<br />

kommunizieren woran wir forschen und<br />

was das bringt. Das ist ein Beitrag zur<br />

Bewusstseinsbildung in Bezug auf Forschung.<br />

Hier kann man nicht aktiv genug<br />

werden.<br />

Das ist mir wichtig: Bei Open Innovation<br />

in Science ist das Um und Auf eine<br />

Kultur der Transparenz, des Dialogs und<br />

der Augenhöhe. Man muss offen kommunizieren<br />

und Vereinbarungen einhalten,<br />

sonst bleibt die Crowd nicht dabei.<br />

Unser Wissen zum Thema verbreiten<br />

wir als Ludwig Boltzmann Gesellschaft<br />

im seit 2016 laufenden Ausbildungscurriculum<br />

„Lab for Open Innovation<br />

in Science“ (LOIS). Hier lernen Wissenschafter<br />

konkret, wie sie Open Innovation-Methoden<br />

und -Prinzipien in der<br />

Forschung anwenden können. •<br />

40


Foto: © Daniel Dörler<br />

Wildtier-Statistik per<br />

App verbessern<br />

Florian Heigl, Dissertant am Institut <strong>für</strong> Zoologie der<br />

Universität <strong>für</strong> Bodenkultur, betreibt seit 2013 das Projekt<br />

„Roadkill“ mit einer App zur Erfassung überfahrener<br />

Wirbeltiere. Vorbild sind die USA, wo Freiwillige seit 2009<br />

tote Tiere auf der Straße <strong>für</strong> die Statistik erfassen. Er will<br />

Lücken in der Statistik schließen und mehr Bewusstsein<br />

<strong>für</strong> den menschlichen Einfluss auf Wildtiere schaffen.<br />

Heigl ist außerdem Gründer und Koordinator der<br />

Plattform citizen-science.at und Mitveranstalter der<br />

jährlichen österreichischen Citizen Science Konferenz.<br />

http://roadkill.at und<br />

www.citizen-science.at<br />

Wie kam es zum Projekt: Angefangen<br />

hat alles 2013 mit praktischen Übungen<br />

<strong>für</strong> Studierende, die Daten sammeln und<br />

auswerten lernen sollten. Die Idee, in der<br />

Übung, Daten zu überfahrenen Tieren<br />

mittels App zu erheben, war gut, doch<br />

die vorhandene Technik stieß bald an<br />

ihre Grenzen. Wir bekamen viel Feedback<br />

zu unserer Methode und konnten<br />

die Datenerfassung seither verbessern.<br />

Wir haben jetzt eine Website und dazugehörige<br />

Apps (<strong>für</strong> Android und iOS)<br />

und arbeiten seit 2014 mit der Bevölkerung<br />

zusammen. Unser Technik partner<br />

N!NC entwickelt gemeinsam mit uns<br />

eine Referenz-App <strong>für</strong> solche Projekte.<br />

Die Rolle der Citizen Scientists: Es wird<br />

erhoben, welche Tiere auf Straßen zu<br />

Tode kommen und welche Gründe es da<strong>für</strong><br />

geben könnte. Die Crowd, also interessierte<br />

Bürger und Bürgerinnen, erfassen<br />

Daten zu überfahrenen Tieren. Sie<br />

können Fotos und Beschreibungen nach<br />

Registrierung auf der Projekt-Website<br />

oder über eine eigens entwickelte App<br />

melden und wir machen die statistische<br />

Auswertung.<br />

Das haben wir gelernt: In der Wissenschaft<br />

kommt es fast nur auf gute Daten<br />

an. Bei Citizen Science steht aber auch<br />

die Kommunikation und eine leichte Bedienbarkeit<br />

des Meldesystems <strong>für</strong> die Bevölkerung<br />

weit oben auf der Prioritätenliste.<br />

Da wir mit Apps arbeiten, die über<br />

ein Smartphone bedient werden, stehen<br />

wir bei Design und Usability in Konkurrenz<br />

zu kommerziellen (Spiele-)Anbietern:<br />

Die App muss super ausschauen<br />

und komplett intuitiv sein, sonst wird sie<br />

nicht genutzt.<br />

Wie verändert sich der Forschungsprozess,<br />

wenn man die Bevölkerung integriert?<br />

Wir könnten im Rahmen eines<br />

klassischen Forschungsprojekts an der<br />

BOKU diese Daten nie in der Breite und<br />

mit dem engen zeitlichen Bezug erheben.<br />

Etwa die Krötenwanderung. Sie beginnt<br />

regional und zeitlich gestaffelt. Wenn ein<br />

Kälteeinbruch kommt, hört sie auf und<br />

fängt dann wieder an. Das könnte man<br />

von Wien aus nie durchführen. Der Roadkill,<br />

also auf der Straße getötete Tiere,<br />

bleibt zudem oft nur maximal zwei Tage<br />

liegen. Selbst mit einem engmaschigen<br />

Monitoring würde man viele tote Tiere<br />

nicht finden. Wir bekommen zu den einzelnen<br />

Datenpunkten viele Zusatzinfos,<br />

die Teilnehmer lernen voneinander, und<br />

auch wir Wissenschafter haben schon einiges<br />

von den Teilnehmern gelernt.<br />

Das wollen wir verbessern: Wir tasten<br />

uns heran von zu Beginn „einfach mal<br />

machen“ zu „gut machen“. Noch haben<br />

wir bei den Teilnehmenden von Ost nach<br />

West ein Gefälle. Es braucht Zeit, die<br />

Community in Österreich aufzubauen.<br />

Das Projekt ist nach wie vor nicht finanziert,<br />

sondern von allen Beteiligten Freiwilligenarbeit.<br />

Ich arbeite im Rahmen<br />

meiner Dissertation ohne Anstellung<br />

an der BOKU daran. Bisher entwickelt<br />

N!NC die App im Rah men der eigenen<br />

Produktentwickung pro bono weiter. Wir<br />

versuchen, Sponsoren aufzutreiben, denn<br />

eine App zu entwickeln und zu erhalten<br />

ist teuer. In der gängigen Forschungsfinanzierung<br />

wird so etwas nicht abgedeckt.<br />

Inhaltlich wollen wir uns von Zufallsfunden<br />

zur Streckenüberwachung<br />

vortasten. Dabei melden uns Menschen,<br />

die regelmäßig eine bestimmte Strecke<br />

fahren, ob sie etwas gefunden haben und<br />

auch, wenn sie nichts gefunden haben.<br />

Da will ich noch mehr wissen: Es wäre<br />

interessant zu erfahren, was Men schen<br />

motiviert, über einen längeren Zeitraum<br />

mitzumachen. Der Austausch mit Kollegen<br />

und Kolleginnen aus verschiedenen<br />

Fachbereichen kann uns hier weiterbringen.<br />

Parallel setzen wir uns interdisziplinär<br />

damit auseinander, was Wissenschaft<br />

eigentlich ist, wo ihre Grenzen liegen<br />

und welche Disziplin was genau darunter<br />

versteht. Das alles macht deutlich, dass<br />

wir Lernen de sind, nicht Allwissende.<br />

Citizen Science ist eine Methode, die<br />

nicht Selbstzweck sein soll und sich nicht<br />

<strong>für</strong> jede Fragestellung eignet. Man muss<br />

wissen, dass Kommunikation ein großer<br />

Teil der Arbeit ist, und die ist auch teuer.<br />

Citizen Science ist sicher keine billige<br />

Datenerhebung. Man braucht Zeit und<br />

muss die Ansprache designen, durchdenken,<br />

technisch aufsetzen und die Teilnehmenden<br />

mit Respekt betreuen. Ergebnisse<br />

aus Citizen Science-Projekten<br />

sind mittlerweile in der Wissenschaftswelt<br />

anerkannt. Damit die Crowd langfristig<br />

motiviert bleibt, müssen die Ergebnisse<br />

jedoch übersetzt und an sie<br />

zurückgespielt werden.<br />

Das ist mir wichtig: Die Auseinandersetzung<br />

auf Augenhöhe mit der Crowd<br />

und die interdisziplinäre Interaktion<br />

zwischen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen.<br />

Ich arbeite parallel daran,<br />

dass der Begriff nicht verwaschen wird<br />

und nicht jede Umfrage Citizen Science<br />

genannt werden kann. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

41


Ab in<br />

den<br />

UrLAub<br />

42<br />

Foto: © Karin Feitzinger


Wie köNNte die ZukuNFt aussehen, weNN die Ideen aus der ÖAMTC<br />

Future CHAlleNGe uMGesetzt sIND? Die folgende GesCHICHTe<br />

über die fIKTIVe Familie Mayer auf dem Weg in den UrLAub ist ein von<br />

der AuTOrin enTWOrfenes ZukunftsBILD, das anhand ausgewäHLTer<br />

TeilnehmerIdeen aus dem CrOWDsourcing-WeTTBewerb enTWICKelt<br />

wurde. Von Johanna Stieblehner<br />

Frau Mayer freut sich schon seit<br />

Wochen auf den gemeinsamen<br />

Urlaub mit ihrer Familie. Dieses Jahr<br />

besuchen sie die Eltern von Frau<br />

Mayer in Zell am Moos in Oberösterreich.<br />

Seitdem sie den neuen Job in<br />

Graz hat, sehen sie einander leider<br />

viel zu selten. Gleich nach dem letzten<br />

Meeting am Nachmittag kann sich<br />

Frau Mayer auf den Weg machen.<br />

Moritz Mayer, ihr Mann, ist mit den<br />

Kindern bereits am Vormittag mit dem<br />

E-Car losgefahren. Sie hatten Glück,<br />

dass das Auto noch frei war. Denn<br />

seit einigen Jahren teilt sich Familie<br />

Mayer das Auto mit zwei anderen<br />

Familien. Im Alltag funktioniert das<br />

gut. Nur in der Ferienzeit müssen<br />

sich alle genau absprechen, denn<br />

es scheint so, als würden alle gleichzeitig<br />

auf Urlaub fahren wollen.<br />

Eine APP, die InforMA-<br />

TIOnen zu Tourismus<br />

und Mobilität vereint<br />

In diesem Jahr haben Moritz Mayer<br />

und die Kinder angeboten, die<br />

Urlaubsplanung zu übernehmen.<br />

Herr Mayer hat dazu eine neue App<br />

entdeckt: Tourility. Diese App wird<br />

vom ÖAMTC betrieben und bietet<br />

den Nutzern auf verschiedenen<br />

Devices (z. B. Smartphone, im<br />

Cockpit des Autos, etc.) touristische<br />

Informationen in Kombination mit<br />

Mobilitätsinformationen (z. B. Routenplanung,<br />

Baustelleninformation,<br />

Tankstellenübersicht). Herr Mayer<br />

schwärmt regelrecht von dieser App,<br />

scheint sie doch ein Alleskönner in<br />

Bezug auf die Urlaubsplanung zu sein.<br />

ZwischensTOPPs<br />

auf der Reiseroute<br />

VOn der COMMunity<br />

bewertet<br />

Vollbepackt sind die drei heute mit<br />

dem Auto losgefahren. Erster Stopp<br />

ist am Toplitzsee in der Nähe von Bad<br />

Aussee. Tourility hat diesen kleinen<br />

Umweg empfohlen. ÖAMTC-Mitglieder,<br />

die gleichzeitig Tourility-Nutzer<br />

sind, haben diese Empfehlung hinterlegt.<br />

Herr Mayer konnte nachlesen,<br />

dass die Wanderroute und der See<br />

von ÖAMTC-Mitgliedern gut bewertet<br />

und <strong>für</strong> einen Familienausflug geeignet<br />

sind. Und die Kinder wollten sich<br />

am ersten Tag sowieso „aus powern“,<br />

wie die kleine Katharina sagte. Sie<br />

ist gerade sechs Jahre alt geworden,<br />

aber schon eine richtige Sportskanone<br />

– ganz wie ihr großer Bruder<br />

Lukas.<br />

Eine Art MOBILITäts-<br />

KreDITKArte<br />

„Für den Fall, dass die Strecke doch<br />

zu weit wird, habe ich gesehen, dass<br />

sich ein Fahrradverleih auf der Strecke<br />

befindet“, hat Herr Mayer seiner Frau<br />

versichert. Die Gebühren dazu sind<br />

auch über die Austrian Mobility Card<br />

gedeckt. Die Austrian Mobility Card<br />

wird Familie Mayer im Urlaub häufig<br />

nutzen, immerhin sind nach einer<br />

jährlichen Pauschalgebühr alle Verkehrsmittel<br />

der Kooperationspartner<br />

(Schlüsselakteure der österreichischen<br />

Mobilität) inkludiert. Aber auch<br />

Radverleihe und Bootsverleihe zählen<br />

zu den Partnern. Mit der Austrian Mobility<br />

Card muss sich Familie Mayer<br />

nicht aufwändig um Fahrkarten kümmern<br />

und sich in der Menge der Angebote,<br />

Ermäßigungen und Sonderermäßigungen<br />

zurechtfinden, sondern<br />

kann z. B. den Fahrrad-Verleih oder<br />

die Bahn einfach nutzen. Wenn die<br />

Beine der Kinder zu schwer werden,<br />

können die fleißigen Wanderer also<br />

problemlos aufs Rad wechseln. Und<br />

sollte es ganz schlimm werden, könnten<br />

sie auch auf ein Boot umsteigen<br />

und den See damit überqueren. Die<br />

Gebühr <strong>für</strong> das Boot ist ja ebenfalls<br />

über die Austrian Mobility Card gedeckt.<br />

AuTOfAHrer machen<br />

einander auf<br />

sCHäden aufmerksAM<br />

Gerade hat Frau Mayer eine Nachricht<br />

von ihrem Mann und den Kindern<br />

bekommen. Der Car-Communicator<br />

unterhält die drei mit seinen Signalen.<br />

Diesmal wurden sie informiert, dass<br />

das linke Rücklicht nicht funktioniert.<br />

Die Kinder finden es sehr lustig, wenn<br />

es im Auto klingelt und sie von einem<br />

anderen Autofahrer auf einen Schaden<br />

am Auto aufmerksam gemacht<br />

werden. Sie machen ein Spiel daraus<br />

und raten, welches von den vorbeifahrenden<br />

Autos es war. Oder sie<br />

gehen den umgekehrten Weg und<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

43


Mobile Ladestation<br />

von<br />

Rene Decker<br />

Tourility Touristik<br />

und Mobilität<br />

von<br />

Karl Pramendorfer<br />

Datenbrille <strong>für</strong><br />

Servicetechniker<br />

von<br />

Jürgen Pucher<br />

KFZ-Communicator<br />

von<br />

Christoph Seewald<br />

Mobilitätscard<br />

Austria<br />

von<br />

Jose Luis Aabd Garcia<br />

Ferndiagnosestecker<br />

von<br />

Jürgen Hube<br />

Elektrisch gehen<br />

von<br />

Johann Günther<br />

Die ÖAMTC Future Challenge: Auf die Frage, welche Services der ÖAMTC seinen Mitgliedern in Zukunft anbieten soll,<br />

wurden eine Vielzahl an Ideen eingereicht. Der thematische Bogen ist weit gespannt. Hier eine kleine Auswahl der 454 Vorschläge.<br />

suchen nach einem Auto mit Defekt,<br />

den sie dem Fahrer melden können.<br />

Das geht recht einfach, Familie Mayer<br />

musste sich vorab nur die notwendige<br />

App im Auto installieren. Wird ein beschädigtes<br />

Auto erkannt, so genügt<br />

es, das Nummernschild des betroffenen<br />

Autos einzutippen. Der betroffene<br />

Fahrer erhält sogleich auf seinem<br />

Bordcomputer den Hinweis.<br />

Wanderroute<br />

und Anreise<br />

auf<br />

KnopfdruCK<br />

Die Zugfahrt nach Zell am Moos wird<br />

Frau Mayer nutzen, um über Tourility<br />

eine Wanderroute zu suchen, die die<br />

Familie inklusive ihrer Eltern und den<br />

Kindern mühelos absolvieren können.<br />

Besonders praktisch findet sie, dass<br />

die App automatisch anzeigt, wie man<br />

den Ausgangspunkt der Wanderung<br />

mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht.<br />

Zu sechst im Auto ist einer<br />

zu viel und ihre Eltern fahren ja nicht<br />

mehr mit dem Auto.<br />

Für ihren Vater hat Frau Mayer einen<br />

Spazierschweber reserviert, damit<br />

er Spaziergänge mitmachen kann,<br />

denn vor allem längere Strecken<br />

oder Bergaufgehen sind <strong>für</strong> ihn einfach<br />

schon sehr beschwerlich. Der<br />

Spazierschwe ber ist ein elektrisch<br />

unterstützter Kick-Roller. So kann<br />

der Großvater mitgehen und hat dabei<br />

noch mehr Ausdauer als die Kleinen.<br />

Die Kinder finden es auch immer<br />

spannend, wenn er das Gerät benutzt.<br />

Die mobile<br />

LADesTATIOn tanKT<br />

DAs Elektro-AuTO<br />

WIeder auf<br />

Scheinbar hat Herr Mayer heute kein<br />

Glück mit dem Auto. Er hat seine<br />

Frau soeben informiert, dass der<br />

Akku des Elektroautos plötzlich leer<br />

war. Es sei ohne vorherige Warnung<br />

völlig überraschend passiert. Der<br />

Wagen hat aber sofort den ÖAMTC<br />

verständigt, und so konnte die „Erste<br />

Hilfe“-Kette rasch in Gang gesetzt.<br />

Das Prozedere ist heute ja sehr einfach:<br />

Die Autodaten werden der<br />

Pannenhilfe online übermittelt.<br />

Damit kann ein ÖAMTC-Techniker<br />

per Ferndiagnose feststellen, was<br />

fehlerhaft ist. Leicht zu behebende<br />

Defekte kann der Pannenhelfer quasi<br />

per Fernsteuerung direkt von seinem<br />

PC aus erledigen. Sollten größere<br />

Schäden vorliegen, werden die<br />

GPS-Daten an einen ÖAMTC-<br />

Pannenhelfer in der Nähe geschickt,<br />

der dann vor Ort kommt. Diesmal<br />

hatte der Gelbe Engel die mobile<br />

Ladestation dabei. Im Prinzip funktioniert<br />

diese wie ein Reserve kanister<br />

<strong>für</strong> flüssigen Treibstoff. Die Batterie<br />

wird auf 20 % gefüllt, sodass der<br />

Fahrer zumindest bis zur nächsten<br />

Tankstelle kommt. Dort kann die<br />

Batterie dann vollständig geladen<br />

bzw. weitere Schäden behoben<br />

werden.<br />

44


Illustration: © shutterstock<br />

Eine DATenbrille<br />

HILft dem TeCHniker<br />

das GebreCHen<br />

sCHneLL zu finden<br />

Frau Mayer hat gerade ihren Sohn<br />

Lukas am Telefon. Er erzählt ihr, was<br />

an der Tankstelle passiert. Lukas ist so<br />

aufgeregt, dass sie ihn kaum versteht:<br />

„Nachdem Papa dem Service techniker<br />

den Vorfall geschildert hatte, sagte der<br />

Techniker zu Katharina und mir, dass<br />

er jetzt seine Zauberbrille holen würde.<br />

Ich bin gespannt, was das <strong>für</strong> eine<br />

Brille ist!“ Es handelt sich natürlich um<br />

eine Datenbrille, die den Techniker dabei<br />

unterstützt, das Auto zu untersuchen,<br />

ohne es gleich in alle Einzelteile<br />

zerlegen zu müssen.<br />

Während der<br />

RePArATur können<br />

E-BIKes ausgeBOrgt<br />

werden<br />

Damit steht aber auch sofort fest,<br />

dass Herr Mayer und die Kinder eine<br />

längere Pause an der Tankstelle einlegen<br />

müssen. Und wieder kommt die<br />

Tourility-App zum Einsatz. Sie zeigt<br />

ein Freibad in der Nähe der Tankstelle<br />

an. Es hat geöffnet und es gibt eine<br />

Drei-Stunden-Karte. Bei diesem Wetter<br />

das optimale Alternativprogramm!<br />

Herr Mayer und die Kinder haben sich<br />

die an der Tankstelle zum Verleih bereitgestellten<br />

E-Bikes ausgeborgt und<br />

fahren jetzt mit Sack und Pack ins Bad.<br />

Drei Stunden sollten <strong>für</strong> die Reparatur<br />

des Autos auch ausreichen.<br />

LeICHT geMACHT:<br />

MehrMALIGes<br />

uMsteigen mit<br />

Austrian MOBILITy<br />

Card<br />

Vor ihrem Meeting muss Frau Mayer<br />

noch schauen, dass sie alle Sachen<br />

bereit hat, damit sie danach gleich los<br />

kann. Sie darf nicht auf die Austrian<br />

Mobility Card vergessen; sie muss<br />

ja mehrmals umsteigen, und mit der<br />

Card kann sie alle Verkehrsmittel nutzen,<br />

die sie <strong>für</strong> ihre Anreise braucht.<br />

Zusätzlich hat sie sämtliche Platzreservierungen<br />

auf der Card gespeichert.<br />

Zuerst nimmt sie das E-Citybike<br />

vom Büro zu Bahnhof. Sie hat<br />

sicherheitshalber rechtzeitig eines<br />

reserviert, damit um 17:00 Uhr<br />

auch eines bereit steht. Die Strecke<br />

zum Bahnhof schafft sie locker in<br />

15 Minuten. Einen Sitzplatz im Zug hat<br />

sie auch schon im Voraus gebucht.<br />

AuCH eine<br />

MitfAHrBÖrse<br />

ist im NeTZWerk<br />

In Salzburg steigt sie in das Fahrzeug<br />

einer Fahrgemeinschaft um. Zufällig<br />

fährt jemand direkt von Salzburg nach<br />

Zell am Moos, da hatte sie Glück.<br />

Gut, dass sich der Fahrer im Austrian<br />

Mobility Card-Netz registriert hat.<br />

Sonst hätte sie ihn nicht gefunden.<br />

Das Meeting hat pünktlich geendet<br />

und Frau Mayer sitzt bereits im Zug<br />

nach Salzburg. Herr Mayer hat ihr ein<br />

Video geschickt mit der frohen Botschaft,<br />

dass sie auch bereits bei ihren<br />

Eltern angekommen sind. Das Wetter<br />

ist heute gut und sie waren alle schon<br />

im See schwimmen. Jetzt kann<br />

der Urlaub auch <strong>für</strong> Frau Mayer<br />

beginnen. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

45


Zeit ist Geld<br />

Bild: © shutterstock<br />

46


Das selbstfahreNDe Auto ist im beGRIFF, die StraSSen zu eROBeRN.<br />

Bis es sICH fläCHendeCKend ausbreITet, könnten jeDOCH Jahrzehnte<br />

vergehen. Das lässt Zeit <strong>für</strong> VisIOnen:<br />

Basierend auf ExperteninterVIews besCHreIBT Die JournALIsTIn<br />

DanieLA MüLLer das Leben mit RoboterauTOs im Jahr 2035.<br />

Von Daniela Müller<br />

On the Road im Jahr 2035. In der<br />

Stadt fährt auf einem <strong>für</strong> selbstfahrende<br />

Autos definierten Fahrstreifen<br />

ein Taxi ohne Lenker, auf dem Gehsteig<br />

bewegt sich neben einer älteren<br />

Dame ein kleiner Roboter, der ihren<br />

Einkauf trägt. Auf dem Universitätscampus<br />

fährt ein Roboterauto die Studierenden<br />

und Mitarbeiter von Institut<br />

zu Institut. Viele Tourismusorte haben<br />

zur Verkehrsberuhigung beschlossen,<br />

den motorisierten Individualverkehr<br />

durch selbstfahrende Großraumlimousinen,<br />

in denen die Gäste transportiert<br />

werden, zu ersetzen.<br />

50 Minuten mehr<br />

ZeIT pro TAG weIL<br />

das Auto<br />

selbst fährt<br />

Das selbstfahrende Auto ist zwar<br />

nicht so uneingeschränkt unterwegs,<br />

wie man das 2016 noch geglaubt<br />

hatte, es hat das Straßenbild aber<br />

doch verändert. Damals, als man in<br />

Bezug auf das autonome Fahren noch<br />

von Testphasen sprach, galt das<br />

Concept Car F015 von Daimler als<br />

Vorzeigemodell, was in Sachen autonomes<br />

Fahren möglich sein könnte.<br />

Das großräumige Testauto sollte sich<br />

selbst lenken, der Fahrer machte es<br />

sich hingegen im geräumigen Fond<br />

des Fahrzeuges bequem. 50 Minuten<br />

mehr pro Tag, stellte eine Studie<br />

der Unternehmensberatung McKinsey<br />

2016 fest, würden autonome Fahrzeuge<br />

den Insassen an Zeit schenken.<br />

Diese könnten sie nutzen, um sich zu<br />

entspannen, zu schlafen, zu arbeiten<br />

oder Sitzungen abzuhalten. Damals<br />

waren sich die Verkehrsexperten<br />

einig: Es werde noch viel, sehr viel<br />

Zeit vergehen, bis selbstfahrende<br />

Fahrzeuge wie der F015 das Straßenbild<br />

prägen würden. Etwa erwies<br />

sich der Tesla-Unfall im Jahr 2016<br />

als große Ernüchterung. Das damalige<br />

Vorzeige-Elektroauto hatte we-<br />

gen des starken Sonnenlichts einen<br />

im Gegenverkehr linksabbiegenden<br />

Lkw-Zug nicht gesehen und war ungebremst<br />

in diesen gefahren. Dabei<br />

starb der Lenker, der die Herrschaft<br />

über das Fahrzeug an den Computer<br />

abgegeben hatte. Neben der Technologie<br />

müssten auch andere wesentliche<br />

Dinge geklärt werden: Wer<br />

ist schuld, wenn das computergesteuerte<br />

Auto einen Unfall verursacht?<br />

Wie sollen die Städte der Zukunft<br />

aussehen, um die geeignete Infrastruktur<br />

<strong>für</strong> das Roboterauto zu bieten?<br />

Wie kommunizieren Mensch und<br />

Maschine miteinander, etwa in unklaren<br />

Vorrangsituationen? Und überhaupt:<br />

Will man in einem Auto sitzen,<br />

das man nicht selbst lenkt?<br />

Im Jahr 2016 hatte man sich viel<br />

vorgenommen. Internetriesen wie<br />

Google oder Apple tüftelten an<br />

Konzepten, wie <strong>für</strong> die Insassen<br />

der Aufenthalt in den Fahrzeugen<br />

interessant, unterhaltsam und bereichernd<br />

gestaltet werden könnte.<br />

Denn 50 Minuten mehr Zeit pro Tag<br />

könnten mit Onlineshopping oder mit<br />

der Nutzung kostenpflichtiger Apps<br />

verbracht werden. Zeit wäre damit<br />

einmal mehr Geld.<br />

ReCHTLICHe FrAGen<br />

sOLLTen BIs 2035<br />

geklärt sein<br />

Heute, 2035, sind rechtliche Aspekte<br />

des autonomen Fahrens kein Thema<br />

mehr, hat doch jedes Fahrzeug eine<br />

Blackbox, die das Unfallgeschehen<br />

genau nachvollziehbar macht. Fahrerflucht<br />

ist damit unmöglich geworden<br />

und die Aufgaben der Polizei haben<br />

sich um eine Komplexitätsstufe verringert:<br />

Per Knopfdruck kann der Unfallhergang<br />

auf dem Screen des Polizeicomputers<br />

wiedergegeben werden.<br />

Das Suchen und das Befragen von<br />

Unfallzeugen ist damit hinfällig, die<br />

Schuldfrage recht schnell geklärt.<br />

KOMMunikation<br />

ZWIschen Mensch<br />

und MasCHIne als<br />

grOsse Aufgabe<br />

der ForsCHung<br />

Unterschätzt hatte man hingegen die<br />

komplexe Aufgabe, Mensch und Maschine<br />

miteinander in Kommunikation<br />

zu bringen. Es brauchte jahrelange intensive<br />

Forschung, bis fahrerlose<br />

Autos alle Arten von Fußgängern<br />

100-prozentig erkannten und jedem<br />

Einzelnen signalisierten, dass er<br />

oder sie die Straße bitteschön queren<br />

möge. Denn nicht nur das Auto<br />

musste ein klares Signal geben, auch<br />

der Mensch musste dieses eindeutig<br />

erkennen können. Man hatte damals<br />

viel ausprobiert. Etwa gab es ein Kooperationsprojekt<br />

des Linzer Ars<br />

Electronica Future Labs mit Daimler<br />

und dessen F015 Concept Car.<br />

VOM Auto<br />

projIZIerter<br />

Zebrastreifen als<br />

sIGnAL zum Queren<br />

der StrAsse<br />

Die Frage, wie das selbstfahrende<br />

Auto mit einem Fußgänger kommunizieren<br />

soll, wurde 2016 so getestet:<br />

Will ein Fußgänger vor dem Auto über<br />

die Straße gehen und ist das nach<br />

Überprüfung der gesamten Verkehrssituation<br />

durch das F015 gefahrlos<br />

möglich, so bleibt das F015 stehen.<br />

Mittels projiziertem Zebrastreifen und<br />

animierten LED-Pfeilen an der Fahrzeugfront<br />

zeigt das Auto dem Passanten<br />

an, dass er die Straße queren<br />

kann. Auf der Heckscheibe des Autos<br />

erscheint ein großes Stoppschild, um<br />

den hinterherkommenden Fahrzeugen<br />

zu kommunizieren, dass sie sich<br />

einbremsen müssen. Martina Mara,<br />

die 2016 als Roboter-Psychologin im<br />

Ars Electronica Future-Lab maßgeblich<br />

an den Tests beteiligt war, stellte<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

47


Alexander<br />

Mankowsky,<br />

Zukunftsforscher<br />

bei Daimler:<br />

Markus<br />

Maurer,<br />

TU<br />

Braunschweig:<br />

Foto: © Daimler<br />

„2035 werden weiträumige autonome Fahrfunktionen<br />

möglich sein, von selbstfahrenden Lkws, Lastenrobotern,<br />

Drohnen bis hin zu computergesteuerten Autos. Es wird<br />

neue Systeme geben, etwa hochliegende Straßenbahnen<br />

oder Drohnen, die Lasten oder auch Menschen transportieren.<br />

Wer das Rennen als beliebtestes Transportmittel<br />

gewinnt, wird bis dahin nicht klar sein. Selbstfahrende<br />

Autos werden sich zunächst dort durchsetzen, wo sie<br />

als Arbeitsmittel gebraucht werden, im öffentlichen<br />

Nahverkehr oder bei Menschen, die sich die Autos<br />

leisten können. Und es wird eine neue Industrie<br />

entstehen: zwischen der Automobiltechnologie und<br />

dem, was die großen Internetkonzerne in den Bereich<br />

autonomes Fahren einbringen.“<br />

Foto: © Daimler Benz Stiftung<br />

„Ich schätze, dass automatisches Überholen auf<br />

der Landstraße frühestens in 20 Jahren möglich<br />

sein wird. Schon in wenigen Jahren realisierbar<br />

könnte autonomes Fahren in Stausitua tionen<br />

oder von selbstfahrenden Transportfahrzeugen in<br />

definierten Zonen sein, etwa auf Campusarealen<br />

oder in autofreien Tourismusorten. Robotaxis<br />

könnten in etwa 15 Jahren das Stadtbild prägen.<br />

Ich glaube, die Technologie wird nicht so das<br />

Problem sein, sondern vielmehr, das gesellschaftliche<br />

Konzept <strong>für</strong> autonomes Fahren auszuverhandeln.“<br />

auch in Aussicht, dass das Auto dem<br />

Fußgänger verbal die Querung der<br />

Straße anzeigen könnte. Dies erwies<br />

sich jedoch schon in Testverfahren<br />

wenig praktikabel, da mit der steigenden<br />

Anzahl der autonomen Autos auf<br />

den Straßen zusammen mit dem Umgebungslärm<br />

einzelne Sprachsignale<br />

untergehen würden.<br />

Schlafen, einkaufen<br />

ODer SprACHen<br />

lernen ansTATT das<br />

fAHrzeug zu lenken<br />

Die Annahme, dass autonomes Fahren<br />

weniger Spaß machen würde als<br />

selbst am Steuer zu sitzen, gilt 2035<br />

als widerlegt. Die Zeit im Auto wird<br />

nur eben anders genutzt als um zu<br />

kuppeln, zu bremsen oder Gas zu geben.<br />

2016 erhob eine Studie der Managementberatung<br />

Horváth & Partners<br />

gemeinsam mit dem Fraunhofer<br />

Institut <strong>für</strong> Arbeitswirtschaft und Organisation,<br />

was Menschen in der potenziell<br />

zur Verfügung stehenden Zeit<br />

gerne machen würden. Das Ergebnis<br />

erwies sich als zukunftsweisend: Sie<br />

würden gerne arbeiten, online Einkäufe<br />

erledigen, Fitnessübungen<br />

machen, Fernsehen, Sprachkurse<br />

absolvieren oder einfach essen und<br />

schlafen, hieß es. Besonders interessant:<br />

Drei Viertel der Befragten waren<br />

schon damals breit, Geld <strong>für</strong> den<br />

Zeitvertreib an Bord zu bezahlen. Je<br />

nach Altersgruppe und „Unterhaltungskategorie“,<br />

von Produktivität (Arbeiten,<br />

Weiterbildung, etc.) über Information<br />

bis hin zu Wohlfühl- und Fitnessprogrammen,<br />

waren das 20 bis 40 Euro<br />

im Monat.<br />

20 Jahre nach Erscheinen der Studie<br />

hat sich die Vorhersage in ein Milliardengeschäft<br />

<strong>für</strong> die Industrie gewandelt:<br />

Auf Wunsch der Kunden werden<br />

Schreibtische ins Auto eingebaut,<br />

mitunter kleine Küchenzeilen, ausklappbare<br />

Betten oder aber auch<br />

Bildschirme und Head-up-Displays.<br />

Das sind Anzeigesysteme, bei denen<br />

der Nutzer seine Kopfhaltung bzw.<br />

Blickrichtung beibehalten kann, weil<br />

die Informationen in sein Sichtfeld<br />

projiziert werden. Längst haben sich<br />

Hotels etabliert, die ihr Geschäftsmodell<br />

erweitert haben und dem Gast<br />

nicht nur Bett und Verköstigung anbieten,<br />

sondern auch Transport.<br />

ResTAurants auf<br />

Rädern als<br />

GesCHäftsMODeLL<br />

der Zukunft<br />

Restaurants auf Rädern sind vor allem<br />

über die Mittagszeit ausgebucht. Das<br />

Geschäft boome, doch noch mehr<br />

Zulassungen würde das Straßennetz<br />

nicht vertragen, sagt der Verkehrsminister.<br />

Schließlich müsse auch noch<br />

Platz <strong>für</strong> den Individualverkehr sein.<br />

Und das, obwohl die Anzahl an zugelassenen<br />

Privat-Pkws gesunken ist;<br />

vor allem zwischen 2025 und 2035,<br />

obwohl Verkehrsforscher dies schon<br />

2016 prophezeiten.<br />

WasCHstrasse,<br />

SerVICe, Tanken –<br />

erledigt das AuTO<br />

selbst<br />

Heute sind zwar weniger Privat-Pkws<br />

zugelassen, sie sind aber länger auf<br />

der Straße unterwegs als dies früher<br />

der Fall gewesen ist. Carsharing, also<br />

das Teilen eines Autos mit anderen<br />

Nutzern, ist <strong>für</strong> viele zur Einnahmenquelle<br />

geworden. Ausgetüftelte Apps<br />

sorgen <strong>für</strong> den Überblick, wer das<br />

Auto wann und wo benutzt. Weil das<br />

Fahrzeug autonom unterwegs ist,<br />

fährt es alleine in die Waschstraße,<br />

zum Service und zur Ladestation.<br />

Rückblickend betrachtet, ist es unverständlich,<br />

warum es so lange gedauert<br />

hat, bis sich Carsharing durchgesetzt<br />

hat: Im Berlin des Jahres 2016<br />

wurde ein Fahrzeug nur 36 Minuten<br />

pro Tag verwendet, 95 Prozent seiner<br />

Zeit stand es auf wertvollem (Park-)<br />

Raum, der nun anderweitig genutzt<br />

werden kann. Und die CO 2-Emissionen<br />

waren in keinem anderen Bereich –<br />

nicht einmal in der Industrie – so<br />

hoch wie im Straßenverkehr.<br />

48


Foto: © Mallaun Photography<br />

Thomas Sauter-<br />

Servaes, Zürcher<br />

Hochschule <strong>für</strong><br />

Angewandte<br />

Wissenschaften:<br />

„Die ersten Fahrzeuge werden aufgrund der technologischen<br />

Komplexität teuer sein, doch ich rechne damit,<br />

dass durch eine Vielzahl an Fahrzeug- und Service anbietern<br />

die Kosten bald sinken werden. Es könnte sogar,<br />

sofern nicht regulierend eingegriffen wird, zu Effekten<br />

wie in der Luftfahrtbranche kommen, dass Lowcost-<br />

Anbieter andere vom Markt drängen.<br />

Für den Nutzer könnten Mobilitätsangebote ähnlich<br />

konsumierbar sein wie Musikdienste: Mit dem Bezahlen<br />

einer monatlichen Flatrate kann der Nutzer so viele<br />

Angebote in Anspruch nehmen wie er möchte.“<br />

Foto: © Institut <strong>für</strong> Verkehrsforschung DLR<br />

Barbara Lenz,<br />

Institut <strong>für</strong><br />

Verkehrsforschung<br />

Dlr in Berlin:<br />

„Ich glaube nicht, dass teil- oder vollautomatisches<br />

Fahren die Mobilität völlig umkrempeln wird. Bis<br />

flächen deckend Roboter autos unterwegs sein werden,<br />

vergeht noch sehr viel Zeit. Die Möglichkeit des<br />

autonomen Fahrens bietet zunächst Bequemlichkeit<br />

und Komfort und wird vor allem dem öffentlichen<br />

Verkehr Konkurrenz machen. Der öffentliche Verkehr<br />

muss hier besondere Maßnahmen bieten, um attraktiv<br />

zu bleiben, vor allem bei den Schnittstellen, sprich<br />

Bequemlichkeit bei Anschluss- und Umsteigemöglichkeiten.<br />

Mit computergesteuerten Fahrzeugen könnte<br />

vor allem der Transport auf dem Land kostengünstiger<br />

abgewickelt werden.“<br />

Dass nun neue Verkehrskonzepte mit<br />

mehr Flächen <strong>für</strong> Fußgänger und<br />

Radfahrer zur Verfügung stehen, hat<br />

auch mit einer anderen Entwicklung,<br />

nämlich im Gesundheitsbereich zu<br />

tun: Versicherungsnehmer, die ihre<br />

Bewegungsdaten über Smart Clothes<br />

– also Kleidung, die durch verwebte<br />

Elektronik Daten erfassen kann – aufzeichnen<br />

und der Versicherung übermitteln,<br />

zahlen weniger Prämien. Seither<br />

verzichten immer mehr Menschen<br />

auf ihr eigenes Auto. Dieser Trend ist<br />

gerade in Städten spürbar, wo sukzessive<br />

die Fahrspuren enger, da<strong>für</strong><br />

Radfahr- und Gehwege breiter wurden.<br />

Dazu ein nostalgischer Rückblick,<br />

der zeigt, wie 2016 die „Macht“<br />

im Straßenverkehr aufgeteilt war: In<br />

New York nahmen zehn Prozent der<br />

Verkehrsteilnehmer – nämlich die<br />

nicht-autonomen Autos – 90 Prozent<br />

des Verkehrsraums in Anspruch.<br />

SeLBsTBesTIMMung<br />

IM ALTer durCH<br />

auTOnomes Fahren<br />

unterstüTZT<br />

Das Roboterauto hat nicht nur das<br />

Fahren selbst und das damit verbundene<br />

System des Straßenverkehrs<br />

verändert, es hat auch neue Geschäftsmodelle<br />

hervorgebracht und<br />

in letzter Zeit auch vermehrt Einfluss<br />

auf das soziale Leben genommen:<br />

In einer Gesellschaft mit hohem Anteil<br />

an älteren Menschen ist individuelle<br />

Mobilität keine Frage des Alters<br />

mehr, Selbstbestimmung hingegen<br />

gelebte Realität. Hatten ältere Menschen<br />

2016 das eigene Auto zu einem<br />

bestimmten Zeitpunkt abgegeben,<br />

so bietet ihnen das autonome<br />

Fahrzeug 2035 noch Unterstützung.<br />

Gewohnheiten müssen daher nicht<br />

umgestellt werden, die Lebensqualität<br />

bleibt erhalten. Oder sie sind Teil<br />

einer Carsharing-Gemeinschaft. Vor<br />

allem <strong>für</strong> jene älteren Menschen eine<br />

gute Option, die ähnlich wie jüngere<br />

Menschen oder wie auch Pendler nur<br />

wenige, aber immer dieselben Wegstrecken<br />

zu bewältigen haben. Sie<br />

mieten sich ein Auto, das von selbst<br />

kommt, sie abholt, sicher an ihr Ziel<br />

und wieder nach Hause bringt.<br />

Pendeln wird als<br />

AKTIVe ArbeITszeIT<br />

genuTZT<br />

2035 ist das Überholen auf der Landstraße<br />

<strong>für</strong> das selbstfahrende Fahrzeug<br />

endlich möglich. Ein Vorteil <strong>für</strong><br />

alle, die es eilig haben. Denn z. B. die<br />

tägliche Fahrzeit zum Arbeitsplatz, so<br />

nicht durch interaktives Arbeiten im<br />

Homeoffice obsolet geworden, ist<br />

gestiegen, weil in den letzten Jahrzehnten<br />

immer mehr Menschen ihre<br />

Wohnsitze auf das Land verlegt haben.<br />

In vielen Städten ist das Leben zu<br />

teuer geworden. Und während man<br />

am Arbeitsplatz ist, schickt man künftig<br />

möglicherweise sein selbstfahrendes<br />

Auto zum Geldverdienen auf die<br />

Reise. Entweder zum nächsten privaten<br />

Nutzer oder der Wagen gliedert<br />

sich von selbst in ein Zustellsystem<br />

ein, das Waren abholt und selbstständig<br />

ausliefert. Am Abend holt das<br />

Auto den Besitzer wieder ab und fährt<br />

ihn in sein Haus auf dem Land.<br />

Umweltgedanke<br />

bei der WAHL des<br />

VerkehrsMITTels<br />

MITunter<br />

aussCHLAGGebend<br />

Doch nicht <strong>für</strong> jeden Weg ist das<br />

autonome Fahrzeug Mittel der Wahl.<br />

Eine Umfrage aus dem Jahr 2030<br />

zeigt, dass die Verantwortung der<br />

Bürger <strong>für</strong> ihr Mobilitätsverhalten<br />

gestiegen ist. Sie lassen sich von<br />

Algorithmen berechnen, wie viel<br />

CO 2-Ausstoß sie <strong>für</strong> ihre Fahrt in<br />

Kauf nehmen wollen und machen<br />

die Wahl des Transportmittels davon<br />

abhängig. Ausgenommen sind Tage,<br />

an denen man aus der Hektik des Alltags<br />

entfliehen will. Rückzugsräume<br />

und Erholungspausen brauchen die<br />

Menschen 2035 genauso wie 2016.<br />

Sie finden diese nun auch im selbstfahrenden<br />

Auto. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

49


Gesund werden<br />

in einer<br />

zweiten Welt<br />

50<br />

Foto: © shutterstock


VIRtuelle Realitäten uND MasCHINen, die so intellIGent sIND,<br />

DAss sie den MensCHen individuelles FeeDBACK geben – diese<br />

KOMBInATIOn wird die Art und Weise verändern, wie ReHABILITATIOn<br />

sTATTfindet. Bis hin zu menTALem BewegungstrAIning, das bereITs in<br />

der IntensIVsTATIOn beGInnt. Von Ruth Reitmeier<br />

Beschreiben Experten die künftig<br />

denkbaren Möglichkeiten der virtuellen<br />

Rehabilitation, so erinnert dies<br />

ein wenig an James Camerons Fantasy-Film<br />

AVATAR, wo der von der<br />

Hüfte abwärts gelähmte US-Marine<br />

Jake Sully in einem künstlichen Körper,<br />

einem Avatar, den Planeten Pandora<br />

erkundet. Während Sullys echter<br />

Körper regungslos in einem Medizintechnik-Gerät<br />

liegt, turnt er im Avatar<br />

fit und kerngesund durch den Urwald.<br />

So oder ähnlich könnten in Zukunft<br />

nach einem Unfall traumatisierte Intensivpatienten<br />

verloren gegangene<br />

Bewegungsabläufe wieder erlernen.<br />

PATIenten müssen <strong>für</strong><br />

die PhysIOTHerAPIe<br />

nICHT mehr in die<br />

Praxis des<br />

TherAPeuten kommen<br />

Denn der Einsatz virtueller Realität,<br />

also in Echtzeit computergenerierte<br />

und interaktive virtuelle Umgebungen<br />

und Bilder, die Patienten über Bildschirme<br />

oder Datenbrillen erleben,<br />

kann die Therapie von psychologischen,<br />

neurologischen, physiologischen<br />

oder kognitiven Erkrankungen<br />

wesentlich unterstützen. Sie versetzt<br />

den Patienten in einen Dschungel, ein<br />

Raumschiff oder in einen Konzertsaal,<br />

um einige Beispiele zu nennen. Das<br />

erhöht nicht nur die Motivation und<br />

den Spaßfaktor, sondern ermöglicht,<br />

gezielt eingesetzt, auch sehr spezielle<br />

Lerneffekte sowohl in der Klinik und<br />

Praxis oder auch zu Hause, weit entfernt<br />

vom Therapeuten.<br />

EinsATZ virtueller<br />

MöglichkeITen<br />

ein grOsses<br />

ZukunftsTHeMA<br />

der Rehabilitation<br />

„Der Einsatz von Virtualität in der Rehabilitation<br />

ist ein noch junges und<br />

vorerst kleines Gebiet in der Physiotherapie,<br />

doch eines mit großem<br />

Potenzial“, sagt Birgit Happenhofer.<br />

Die Physiotherapeutin hat beim Grazer<br />

Unternehmen Tyromotion, das auf<br />

Computer- und Robotik-gestützte Rehabilitation<br />

spezialisiert ist, unter anderem<br />

in der Entwicklung virtueller<br />

Rehabilitationslösungen mitgearbeitet.<br />

Damit die Geräte von Therapeuten<br />

und Patienten angenommen werden,<br />

ist es wichtig, dass diese als User<br />

von Anfang an in die Entwicklung eingebunden<br />

werden.<br />

InDIVIDueLLes<br />

Feedback via<br />

Computer, fALLs<br />

eTWAs nICHT<br />

rund läuft<br />

Ganz wichtig ist, zusätzlich zur virtuellen<br />

Realität, dass Computer mittlerweile<br />

so intelligent sind, dass sie individuelles<br />

Feedback geben können:<br />

Patienten werden nicht nur in eine<br />

andere Welt entführt. Die Übungen<br />

des Patienten werden auch laufend<br />

verfolgt, analysiert und via Computerprogramm,<br />

wie durch einen echten<br />

Therapeuten, sofort korrigiert, falls<br />

etwas nicht stimmt.<br />

Um zu Hause effektive Reha-Übungen<br />

durchführen zu können, genügt<br />

<strong>für</strong> den Patienten mitunter schon ein<br />

kleines Endgerät wie ein Tablet. Der<br />

Patient wird wie in ein Spiel involviert<br />

und erhält zu bestimmten Übungen,<br />

zum Beispiel zur Handrehabilitation,<br />

laufend individuelle Rückmeldungen.<br />

ZU VIEL EHRGEIZ BEIM<br />

THerAPIE-TRAINING<br />

KAnn KONTRA-<br />

PRODUKTIV SEIN<br />

In der Praxis hat sich allerdings<br />

gezeigt, dass der Computer erst<br />

dann zum Üben eingesetzt werden<br />

sollte, wenn beim Patien ten der<br />

ideale motorische Ablauf sitzt, also<br />

der Bewegungsablauf automatisiert<br />

und verinnerlicht wurde. „Wie sich<br />

gezeigt hat, können Probleme entstehen,<br />

wenn die Patienten so<br />

hochmotiviert sind, dass sie beim<br />

ambitionierten Training auf gut automatisierte<br />

Bewegungsmuster zurückgreifen<br />

und die Übenden so in ihre<br />

pathologischen Bewegungen zurückfallen<br />

können“, betont Gödl-Purrer<br />

vom Institut <strong>für</strong> Physiotherapie an der<br />

Fachhochschule Joanneum in Graz.<br />

Je eifriger geübt wird, etwa das Werfen<br />

eines Balls, desto stärker kann<br />

die Kompensationsbewegung ausfallen<br />

– und der Computer erkennt<br />

natürlich längst nicht alle falschen<br />

Bewegungen.<br />

Doch es ist ein großer Vorteil, dass<br />

das virtuelle Erlebnis und der Trainingsplan<br />

an die individuellen Bedürfnisse<br />

des Patienten angepasst<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

51


Foto: © shutterstock<br />

Physikalische Therapie in einer virtuellen Welt: Der Computer gibt ständig individuelles Feedback an den Patienten.<br />

werden können. Beides kann zudem<br />

variiert werden. Virtuelle, computerunterstützte<br />

Rehabilitation kann somit<br />

abwechslungsreicher sein als das<br />

ewige Hin- und Herschieben eines<br />

Balls auf dem Tisch und beugt damit<br />

Therapiemüdigkeit vor. Steigerungen<br />

und Abwechslung sind das Um<br />

und Auf, um Patienten bei der Stange<br />

zu halten. Denn nach dem 30. Durchgang<br />

einer Trainingseinheit, die das<br />

Blumenpflücken simuliert, wird dies<br />

selbst kleinen Kindern zu langweilig.<br />

ComputerprOGrAMMe<br />

erMÖGLICHen es,<br />

KLeinste ErfOLGe<br />

DArzustellen<br />

Doch bereits ohne virtuelle Realität<br />

hat der Einsatz von reaktiven Computerprogrammen<br />

einen großen<br />

Mehrwert: Sie können selbst kleine<br />

Fortschritte der verbesserten Beweglichkeit<br />

erkennen und entsprechend<br />

loben und dadurch die Patienten<br />

motivieren, weiterzumachen.<br />

Happenhofer: „Es können auch nur drei<br />

Grad mehr Beweglichkeit dargestellt<br />

werden. Und das bedeutet vor allem<br />

eines: Motivation.“ Hinzu kommt:<br />

Patient und Therapeut sind künftig<br />

vernetzt, und dadurch kann der Physiotherapeut<br />

auch das Heimtraining im<br />

Auge behalten, ohne ständig dabei<br />

sein zu müssen – ein Fortschritt in der<br />

Rehabilitation im häuslichen Bereich.<br />

„Bisher haben die Patienten Übungstagebücher<br />

geführt. Das ist jedoch<br />

aufgrund sehr subjektiver Einschätzun-<br />

52


gen oft wenig aussagekräftig“, betont<br />

Barbara Gödl-Purrer.<br />

Fokus im deutsCHsprACHIGen<br />

Raum<br />

nOCH auf direktem<br />

KonTAKT zwisCHen Pa-<br />

TIent und TherAPeut<br />

Sie hat ihr Master-Studium an der<br />

Queen Margaret University in Edinburgh<br />

absolviert. In Schottland<br />

stünde man der Integration von virtueller<br />

Realität, neuen Geräten und<br />

Technologien in der Therapie deutlich<br />

positiver gegenüber als im deutschsprachigen<br />

Raum. In Österreich steht<br />

in der Ausbildung der taktile Kontakt<br />

zwischen Therapeuten und Patienten<br />

im Vordergrund. „Es ist noch eine<br />

Wegstrecke zurückzulegen, bis die<br />

Technik angenommen und in die Therapie<br />

integriert wird“, betont die Expertin.<br />

DIGITAL Natives <strong>für</strong><br />

neue TeCHnologien<br />

offen<br />

Auch in Österreich stellt freilich das<br />

Studium der Physiotherapie den Anspruch,<br />

am jeweils aktuellen Stand<br />

der Wissenschaft zu sein, technologieunterstützte<br />

Therapie ist folglich<br />

Teil des Curriculums, wenn auch kein<br />

Schwerpunkt. „Es kommt gerade einiges<br />

in Bewegung, zumal die neue<br />

Studentengeneration aus Digital Natives<br />

besteht und neuen Technologien<br />

ohne Vorbehalte gegenübersteht. Das<br />

ist <strong>für</strong> sie eine Selbstverständlichkeit“,<br />

sagt Gödl-Purrer.<br />

Maximale<br />

SelbststänDIGKeit<br />

ALs Ziel der<br />

PhysIOTHerAPIe<br />

Der eine will am Meer trainieren, die<br />

andere im Wald. Individualisierung ist<br />

auch in der Rehabilitation angekommen.<br />

Über Sensoren ist der Patient<br />

mit einem Bildschirm verbunden, auf<br />

dem Bewegungsübungen in einer attraktiven<br />

Umgebung simuliert werden.<br />

Etwa das Bergsteigen, weil es Patienten<br />

optimal motiviert.<br />

„Ziel der Physiotherapie ist es, den<br />

Patienten in die maximale Selbständigkeit<br />

zu führen“, sagt Gödl-Purrer.<br />

Die Physiotherapie stellt den<br />

Anspruch, Langzeiteffekte zu erzielen.<br />

Über den Einsatz von Virtualität<br />

kommt sie diesem Ziel messbar näher.<br />

Das bedeutet einen echten Qualitätssprung,<br />

zumal Verhaltensveränderungen<br />

in der Motorik besonders<br />

schwierig und langwierig sind. Basisbewegungen<br />

sind automatisiert, erfolgen<br />

spontan und lassen sich deshalb<br />

am schwersten verändern. Nur durch<br />

viel Übung und konkrete Umsetzung<br />

im Alltag kann dies gelingen. Am Beispiel<br />

eines Pianisten lässt sich dies<br />

veranschaulichen: Der Musiker hat<br />

beim Klavierspielen die Angewohnheit,<br />

die rechte Schulter hochzuziehen.<br />

Diese Eigenheit hat sich zu einem<br />

schmerzhaften Problem des<br />

Bewegungsapparats kumuliert. Mithilfe<br />

einer Datenbrille könnte er etwa<br />

das Spielen mit lockeren Schultern<br />

in der virtuellen Realität des Konzertsaals<br />

üben. Über die Verbindung mit<br />

dem Computerprogramm bekommt<br />

er solange ständiges Feedback über<br />

seine Bewegungsabläufe, bis er –<br />

motorisch quasi neu programmiert –<br />

in den echten Konzertsaal zurückkehrt.<br />

Virtuelle<br />

ReHABILITATIOn<br />

erMÖGLICHT sehr<br />

frühen<br />

TherAPIebeGInn<br />

Ein weiterer Vorteil des Einsatzes virtueller<br />

Realität in der Rehabilitation<br />

liegt zweifellos darin, dass bereits zu<br />

einem frühen Zeitpunkt, etwa nach einem<br />

Unfall, mit der Mobilisierung begonnen<br />

werden kann. Allein das Zeigen<br />

von Bildern weckt im Gehirn jene<br />

Assoziationen, die an Bewegung erinnern.<br />

Motorische Abläufe hinterlassen<br />

tiefe Spuren im Gehirn und können<br />

durch Bilder reanimiert werden. Sehen<br />

Menschen, die auf der Intensivstation<br />

nach einem Unfall traumatisiert<br />

liegen, vertraute Bewegungsabläufe<br />

z. B. über eine Datenbrille. So kann das<br />

Gehirn entsprechend stimuliert werden,<br />

um die Chancen der Patien ten zu erhöhen,<br />

schneller wieder auf die Beine zu<br />

kommen und bessere Therapieerfolge<br />

erzielen zu können. Dazu liefert auch<br />

die neurowissenschaftliche Forschung<br />

Ergebnisse: Das Gehirn von Hochleistungssportlern<br />

ist bei einer sportlichen<br />

Bewegung genauso aktiv wie der Körper.<br />

Sich den Bewegungsablauf ganz<br />

bewusst vorzustellen, ist entscheidend<br />

<strong>für</strong> den Erfolg. So wird das Training im<br />

Spitzensport künftig verstärkt mental<br />

erfolgen. Diese Erkenntnis ist umso<br />

wichtiger <strong>für</strong> verletzte Sportler, die ja<br />

oft über Wochen und Monate ausfallen.<br />

Wie erste Versuche zeigen, kann durch<br />

gezieltes mentales Training während<br />

der körperlichen Zwangspause vieles<br />

an Zeitverlust wettgemacht werden.<br />

Dies ist laut Neurowissenschaftern auf<br />

die Rehabilitation der Zukunft allgemein<br />

anwendbar. So gewöhnen sich etwa<br />

Menschen, denen eine Gliedmaße<br />

amputiert wurde, sehr viel schneller<br />

an eine Prothese, wenn sie sich den<br />

fremden Körperteil zunächst bewusst<br />

vorstellen.<br />

AuCH der<br />

Kostenfaktor<br />

<strong>für</strong> das<br />

GesundheITssystem<br />

sPIelt eine Rolle<br />

Es ist laut Experten denkbar, dass<br />

man in Zukunft Intensivpatienten<br />

zwecks Rehabilitation gar in virtuelle<br />

Welten schickt – ähnlich wie Jake<br />

Sully in AVATAR. Beschleunigt sich<br />

dadurch die Genesung, könnte neben<br />

dem medizinischen nicht zuletzt der<br />

wirtschaftliche Vorteil diese neuen<br />

Therapieformen vorantreiben. In der<br />

alternden Gesellschaft steigt der Bedarf<br />

an Rehabilitation. Um diesen zu<br />

finanzieren, wird eine Effizienzsteigerung<br />

des Therapiebetriebs notwendig<br />

werden. Virtuelle Welten und maschinelle<br />

Intelligenz könnten dazu jedenfalls<br />

beitragen. •<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

53


innovatives online & offline<br />

StART-UPs<br />

Spannende Ideen zum TheMA offen <strong>für</strong> neues<br />

Von Ancuta Barbu<br />

////// Programmieren & Robotik kinderleicht ///<br />

Wie können Kinder bestmöglich unterstützt werden, spielerisch Programmieren, Robotik<br />

und kreatives Denken zu erlernen – Fähigkeiten, die im 21. Jahrhundert von<br />

großer Bedeutung sind? Eine Antwort entwickelte das Start-up Robo Wunderkind:<br />

Bauklötze mit Sensoren und Kameras, die durch ein smartes Verbindungssystem zu<br />

einem modularen Roboter zusammengebaut werden können. Dieser kann umherfahren,<br />

einer Lichtquelle folgen oder selbst aufgenommene Geräusche wiedergeben.<br />

Die Programmierung und Bedienung des Roboters erfolgt visuell und ohne Programmcodes<br />

über die Robo App am Smartphone oder Tablet. Robo Wunderkind ist<br />

<strong>für</strong> Kinder ab fünf Jahren konzipiert. Das Start-up wurde über eine Kickstarterkampagne<br />

von Begeisterten aus 58 Ländern mit 246.000 US-Dollar unterstützt.<br />

www.startrobo.com<br />

////// Expertise-Datenbank ////////////////////////////<br />

Laut UNHCR leben Flüchtlinge im Durchschnitt 17 Jahre im Exil. Zu viel Zeit, in der<br />

wertvolle Potenziale ungenutzt bleiben. Die Österreicherin Julia Bachler wollte das<br />

ändern und gründete das Start-up Use Potential: Bei der Registrierung von Flüchtlingen<br />

in großen Camps sollen in einer Datenbank besondere Fähigkeiten (z. B. im<br />

Handwerk, in Sprachen oder in Medizin) erfasst werden. Im Bedarfsfall kann die jeweilige<br />

Person mit ihrer jeweiligen Fähigkeit die Arbeit im Camp unterstützen oder<br />

anderen Flüchtlingen helfen. Der zugrundeliegende Gedanke ist, dass die Flüchtlinge<br />

aus ihrer passiven Hilfsempfängerrolle geholt und unterstützt werden, eine aktive,<br />

ihre Umwelt mitgestaltende Rolle übernehmen zu können.<br />

http://socialimpactaward.at/project/use-potential<br />

////// Smarte Designer-cArports ///////////////////<br />

Eine modulare Autoüberdachung, die nach den eigenen Designvorstellungen selbst<br />

aufgebaut werden kann und die über Solarpanele das Elektroauto oder -fahrrad „betankt“:<br />

Iconic creative carport ist eine Unterstell-Konstruktion aus sehr leichtem Material<br />

<strong>für</strong> Autos. Die Photovoltaik-Dachmembran ermöglicht, Strom zu erzeugen und<br />

liefert so einen Beitrag zu einem energieautarken Leben. Das iconic creative carport<br />

besteht aus modularen Teilen und wird vom Kunden online konfiguriert. Die Idee entstand<br />

aus dem Bedürfnis, ein Carport zu schaffen, das modernes Design mit hohem<br />

Nutzen <strong>für</strong> den User verbindet.<br />

www.iconic-product.at<br />

////// lAnDSchaftSPläne mittels<br />

Drohnen-SoftWAre //////////////////////////////<br />

Detaillierte Pläne aus der Vogelperspektive mittels Foto-Drohnen und Spezialsoftware<br />

zu erstellen, das hat sich das Start-up Skycatch zur Aufgabe gemacht. Mittels<br />

Drohnen werden 2D- und 3D-Aufnahmen geschossen, die über die spezielle Software<br />

zu einem Plan zusammengesetzt werden und dem Kunden detailliert Auskunft<br />

über große geographische Areale geben. Die Idee dazu entstand, als der Gründer<br />

Christian Sanz während einer Vorführung seiner Drohnen von einem Bauingenieur<br />

angesprochen wurde, die „Flugshow“ zum Fotografieren seiner Baustelle zu nutzen.<br />

So konnte er den Baufortschritt aus der Luft beurteilen und potenziell kostspielige<br />

Fehler frühzeitig erkennen und vermeiden.<br />

www.skycatch.com<br />

54


DAS Kornfeld im Haus ///////////////////////////<br />

Landwirtschaft in Innenräumen zu ermöglichen ist die Idee von INFARM. Das Berliner<br />

Start-up möchte Stadtbewohner mit frischen lokalen Bioprodukten versorgen –<br />

egal zu welcher Jahreszeit. Um das Konzept bekannt zu machen, wurde nun die erste<br />

„in-store“ Landwirtschaft in Europa eröffnet: Ein kleiner Kräutergarten in einem Berliner<br />

Supermarkt. Er sieht aus wie ein Mini-Gewächshaus, in dem die Kunden Kräuter<br />

und Salat selbst ernten können.<br />

INFARM bietet auch Kurse und Workshops an, wie mittels Indoor-Landwirtschaft<br />

günstige und umweltfreundlich erzeugte Lebensmittel <strong>für</strong> alle Menschen bereitgestellt<br />

werden könnten. Die Idee dahinter ist es, ein Netzwerk aus Stadtbauern zu<br />

schaffen, die ihre eigenen Lebensmittel anbauen und diese je nach Bedarf mit den<br />

anderen Netzwerkmitgliedern tauschen.<br />

www.infarm.de<br />

////// untersuchung daheim statt beim Arzt ////<br />

Telemedizin wird in Zukunft eine größere Rolle spielen. Neue Technologien machen<br />

es möglich, dass Patienten ihre medizinischen Werte selbst erfassen und an ihren<br />

Arzt schicken. So bleiben ihnen zumindest <strong>für</strong> die Erstuntersuchung der Weg in die<br />

Arztpraxis und oftmals lange Wartezeiten erspart. Das US-amerikanische Unternehmen<br />

MedWand hat nun ein Gerät in der Größe einer elektrischen Zahnbürste entwickelt,<br />

das eine Reihe an Untersuchungen von zu Hause aus ermöglicht: Neben<br />

einem Pulsoximeter (zum Messen von Puls, Sauerstoffsättigung, etc.) integriert Med-<br />

Wand ein Ohrthermometer, ein digitales Stethoskop sowie eine kleine Kamera, mit<br />

der Ohren, Augen, Hals und Rachen inspiziert werden können. Über Bluetooth können<br />

weitere Geräte angeschlossen werden, etwa ein Blutzuckermessgerät oder ein<br />

Blutdruck-Monitor. Die medizinischen Daten können in eine elektronische Patientenakte<br />

überspielt werden, die der Arzt abrufen kann.<br />

www.medwand.com<br />

////// Übersetzer im Ohr ////////////////////////////////<br />

Eine Welt ohne Sprachbarrieren? In Zukunft können sich zwei Menschen miteinander<br />

unterhalten, ohne die Sprache des jeweils andern zu sprechen. Die Idee des<br />

US-Amerikaners Andrew Ochoa ist ein kleines Hörgerät, das neueste Technologien<br />

aus den Bereichen Spracherkennung und maschinengesteuerte Übersetzung<br />

vereint. Wenn eine Person spricht, hört die andere Person die Konversation in ihrer<br />

Muttersprache. Der Einfall dazu kam dem Gründer, als er eine französische Frau kennenlernte,<br />

die nicht Englisch sprach. Ab Mai 2017 sollen die Ohrstöpsel inklusive<br />

Übersetzungs-App <strong>für</strong> die Sprachen Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch<br />

und Portugiesisch erhältlich sein.<br />

www.waverlylabs.com<br />

////// Freundin <strong>für</strong> den Urlaub ///////////////////////<br />

Individualreisen sind beliebt. Auch bei Frauen, die immer öfter alleine unterwegs<br />

sind. Um diese dabei zu unterstützen, unabhängig, frei und sicher zu reisen, gründete<br />

die Österreicherin Marisa Mühlböck das Start-up „Sue met Lin“. Dabei handelt<br />

es sich um eine Social Travel Plattform, die eine einfache Vernetzung zwischen<br />

weiblichen Reisenden ermöglicht. Auch weibliche Locals können die Plattform nutzen.<br />

Nachdem man sich eingeloggt hat, zeigt die App an, welche Userin sich noch<br />

in der Nähe befindet. Die Idee zum Netzwerk hatte Marisa Mühlböck, als sie selbst<br />

auf Urlaub war. Sie wollte sich mit einer „Freundin auf Zeit“ sicherer fühlen, wenn<br />

sie abends ausging, die Kosten <strong>für</strong> einen Mietwagen teilen oder sich einfach mit einer<br />

Gleichgesinnten über Erlebnisse austauschen. Die Plattform soll im Herbst 2016<br />

online gehen.<br />

www.suemetlin.com<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

55


Die Kleidung<br />

denkt mit<br />

Körpertemperaturmessung<br />

Anspannungssensor<br />

GPS<br />

UV-Einwirkungswarnsystem<br />

Emotionskontrolle<br />

Herzinfarkt-<br />

Warnsystem<br />

Herzrhythmuscheck<br />

Gewichtskontrolle<br />

Hautchecksensoren<br />

Verdauungskontrolle<br />

Schrittzähler<br />

Luftzirkulatoren<br />

Massagefunktion<br />

Hautfettmesser<br />

Venenkontrolle<br />

Schweißfußwarnsystem<br />

Foto: © shutterstock; Illustration: Barbara Wais<br />

56<br />

Stossdämpferfunktion


KleIDuNG wIRD dank HIGHteCH immer klüger:<br />

Sensoren in T-sHIrts, Hosen oder Socken liefern DER PersON,<br />

DIE SIE TräGT, DATen UND KÖnnen SIE WArnen. AuCH vor einer<br />

GeWICHTszunAHMe. Von Armin Winter<br />

Erst kürzlich stellte Samsung einen<br />

Gürtel vor, der nicht nur Schritte<br />

zählt, sondern den Träger frühzeitig<br />

informiert, wenn er an Gewicht zuoder<br />

abnimmt. Der Gürtel-Prototyp<br />

„Welt“ ist smart und kann eine kurzfristige<br />

Zunahme des Taillenumfangs<br />

während des Essens von einer dauerhaften<br />

Zunahme unterscheiden. Die<br />

Technologie ist in der Schnalle eingebaut.<br />

Die Messdaten werden per App<br />

auf das Smartphone geliefert.<br />

TrAGBAre Systeme<br />

BALD mit KleIDung<br />

verWOBen<br />

Smart Clothes – intelligente, mit<br />

Sensoren versehene, internetfähige<br />

Textilien – sind auf dem Vormarsch.<br />

Durch die technologische Entwicklung<br />

werden die elektronischen<br />

Messteilchen, die in die Kleiderfasern<br />

eingearbeitet sind, immer kleiner.<br />

Damit können künftig bisher relativ<br />

große tragbare Computersysteme<br />

wie Schrittzähler, Pulsmesser und<br />

Smartwatches direkt in intelligente<br />

Stoffe integriert werden.<br />

Von der<br />

fITnessindustrie<br />

in die MeDIZIn und<br />

Arbeitswelt<br />

„Tatsächlich sind im Moment<br />

Freizeit und Fitness die größten<br />

Märkte <strong>für</strong> Smart Clothes“, sagt<br />

Antonio Krüger, Professor am<br />

Deutschen Forschungszentrum <strong>für</strong><br />

Künstliche Intelligenz (DFKI) in<br />

Saarbrücken. Konsumenten legen<br />

hier schon lange besonderen Wert<br />

auf die Erfassung und Überprüfung<br />

von körperlichen Messdaten. Sportliche<br />

Erfolge werden damit auf Knopfdruck<br />

sichtbar, was nicht nur zu zusätzlicher<br />

Motivation führt, sondern<br />

wodurch auch der Trainingsplan optimiert<br />

werden kann.<br />

Schon morgen könnten Smart Clothes<br />

auch im Leistungssport eine<br />

große Rolle spielen. Ein Schweizer<br />

Unternehmen zeigte kürzlich auf der<br />

CeBIT, der größten Messe <strong>für</strong> Informationstechnik<br />

in Hannover, ein intelligentes<br />

„Leiberl“ <strong>für</strong> Fußballer, das<br />

Teil eines Monitoring-Systems ist.<br />

Sensoren in dem Shirt messen unter<br />

anderem Bewegungsintensität<br />

oder Atemfrequenz des Spielers. Die<br />

Daten geben Aufschluss über die<br />

körperliche Verfassung des Fußballers,<br />

wie viel er gelaufen ist, wie<br />

viele Pässe er angenommen hat und<br />

wie fit er im Match noch ist. Auf Basis<br />

dessen kann der Trainer während<br />

des Spiels entscheiden, ob und wie<br />

er den Spieler weiter einsetzt. Aber<br />

auch nach dem Spiel sind die Daten<br />

interessant: Eine eigene Software erfasst<br />

und analysiert die Messwerte<br />

<strong>für</strong> das gesamte Betreuerteam inklusive<br />

Arzt und Therapeuten. So können<br />

umfassende Trainings- und Therapiekonzepte<br />

anhand von realen<br />

Situationen erstellt werden.<br />

ArbeITsanzug<br />

sIGnALIsiert fALsCHe<br />

BewegungsABLäufe<br />

Smart Clothes sind auch in der modernen<br />

Arbeitswelt ein Thema, obwohl<br />

man derzeit nicht davon ausgehen<br />

dürfe, dass diese schon ein<br />

Breitenphänomen seien, wie Professor<br />

Krüger betont. An seinem Forschungszentrum<br />

wird auch ein Blaumann<br />

entwickelt, ein Arbeitsanzug,<br />

der den Träger oder die Trägerin bei<br />

unergonomischen Bewegungen über<br />

Vibration alarmiert und so hilft, körperliche<br />

Schäden durch falsche Bewegungsmuster<br />

zu vermeiden. Die<br />

in den Anzug eingearbeiteten Sensoren<br />

zeichnen die Bewegungen auf<br />

und alarmieren nicht nur im Akutfall,<br />

sondern lassen vor allem eine umfassende<br />

Analyse durch einen Arzt oder<br />

Therapeuten zu. Dieser kann auf Basis<br />

der ausgelesenen Daten ein ergonomisches<br />

Bewegungskonzept<br />

zusammen mit dem Betroffenen erstellen.<br />

Warnung vor<br />

HerzinfarKT nOCH<br />

ZukunftsmusIK<br />

Wo der Forscher Smart Clothes in<br />

Zukunft sieht? „Noch eine Vision ist<br />

der umfassende Gesundheitsassistent,<br />

der die Arterienqualität beurteilen<br />

und vor Herzinfarkten warnen<br />

kann.“ Erste Schritte in diese Richtung<br />

machte das Fraunhofer-Institut<br />

<strong>für</strong> Silicatforschung ISC in Würzburg.<br />

Es entwickelte eine Socke <strong>für</strong> Diabetiker.<br />

Der Messstrumpf warnt die Patienten<br />

vor zu hoher Druckbelastung<br />

auf den Fuß. Der Hintergrund: Diabeteskranke<br />

verlieren oft das Empfinden<br />

in ihren Füßen und erkennen<br />

nicht, wann es durch Überbelastung<br />

zu Druckstellen und Wunden kommt.<br />

Unbehandelt kann dies zu Geschwüren<br />

und schlimmstenfalls zur Amputation<br />

von Fuß oder Zehen führen. In<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

57


den Strumpf sind Sensoren integriert,<br />

die den Druck und die Belastung an<br />

Sohle, Ferse, Rist und Knöchel messen.<br />

Überschreiten die Werte eine bestimmte<br />

Grenze, werden Trägerinnen<br />

oder Träger aufmerksam gemacht, die<br />

Fußposition und Belastung zu ändern.<br />

Die Signale werden dreidimensional<br />

aufgezeichnet. Die Messdaten kommen<br />

per Funk auf das Smartphone<br />

oder das Tablet.<br />

Smart Clothes könnten in Zukunft<br />

aber auch über die reine Datenvermessung<br />

hinaus gehen. Zum Beispiel,<br />

wenn sich die Farbe von Kleidung<br />

oder Accessoirs auf Knopfdruck<br />

ändern lässt. Was <strong>für</strong> den Privatgebrauch<br />

eher ein Gag ist, spielt <strong>für</strong><br />

die Anwendung beim Militär eine<br />

ernstere Rolle: Die Anpassung an<br />

die Farbe der Umwelt vollautomatisch<br />

oder auf Befehl kann im Einsatz ein<br />

wesentlicher Vorteil sein. •<br />

Foto: © DFKI<br />

Smart Clothes können den Menschen im<br />

Alltag, in der Mobilität und im Freizeitsport<br />

unterstützen, schützen und warnen.<br />

Antonio Krüger, Professor am Deutschen<br />

Forschungszentrum <strong>für</strong> Künstliche Intelligenz (DFKI),<br />

im Kurzinterview.<br />

querspur: Besteht aus Ihrer Sicht<br />

die Gefahr, dass wir uns zu sehr auf<br />

die technologische Unterstützung,<br />

die wir vielleicht bald an uns tragen,<br />

verlassen? Könnte das auf Kosten der<br />

Fähigkeit zur Gefahreneinschätzung,<br />

der Aufmerksamkeit oder der Erinnerung<br />

gehen?<br />

Antonio Krüger: Selbstverständlich<br />

führt die technologische Entwicklung<br />

zu einem gewissen Grad<br />

an Abhängigkeit. Schon Navigationssysteme<br />

haben nachweislich dazu geführt,<br />

dass sich die Leute schlechter<br />

in fremden Umgebungen zurechtfinden.<br />

Ähnliche Effekte kann man<br />

auch von tragbarer Technologie im<br />

Allgemeinen erwarten. Allerdings bin<br />

ich zuversichtlich, dass der Mensch<br />

als Kulturwesen sich den neuen<br />

Technologien kreativ annehmen<br />

wird, so wie das Internet natürlich<br />

Einfluss auf Aufmerksamkeitsspanne<br />

oder motorische Fähigkeiten (Handschreiben)<br />

genommen hat, aber<br />

auf der anderen Seite neue Wissenskulturen<br />

entstanden sind. Um etwa<br />

Wikipedia und Youtube zu nennen.<br />

querspur: Gibt es schon Smart<br />

Clothes, die speziell <strong>für</strong> den Bereich<br />

Mobilität und Verkehr entwickelt<br />

wurden?<br />

Krüger: Es gibt eine Reihe von<br />

Lösungen, um die Sichtbarkeit von<br />

Verkehrsteilnehmern zu erhöhen,<br />

wie zum Beispiel intelligente Westen,<br />

die Blinken sobald ein Radfahrer<br />

bremst oder abbiegen möchte.<br />

querspur: Was kann man Kritikern<br />

entgegen, die sich angesichts der<br />

Datenmengen Sorgen wegen des<br />

Daten schutzes machen? Wie groß ist<br />

die Begehrlichkeit von Arbeitgebern,<br />

Krankenkassen, Unfallversicherungen,<br />

an noch mehr Datenmaterial heranzukommen?<br />

Krüger: Diese Sorgen sollte man<br />

ernst nehmen. Hier sehe ich Handlungsbedarf<br />

in der Politik. Das Recht<br />

an den eigenen Daten darf nicht nur<br />

theoretisch existieren, sondern muss<br />

vom Einzelnen auch gegenüber internationalen<br />

Konzernen durchgesetzt<br />

werden können. Auf der anderen<br />

Seite wird die Analyse großer Datenmengen<br />

dem Einzelnen riesige Vorteile<br />

bringen. Der Einzelne, der von<br />

einem Analyseprogramm vor dem<br />

Herztod gerettet wurde, sorgt sich<br />

nicht in erster Linie um den Datenschutz.<br />

•<br />

58


ZeiCHen der Zeit<br />

Fortschrittseuphorie gab es nicht in jedem Zeitalter. In der Antike hatte Cicero seinen Gegnern „Te innovasti!“<br />

zugerufen und damit gemeint, dass sie sich dem Neuen hingegeben hätten und vom guten Alten abgekehrt wären.<br />

Erst in der Renaissance (ab dem 15. Jhdt.) wurde die menschliche Neugier als Motor des Neuen, der Innovation,<br />

wieder als Tugend anerkannt und verlor den Stempel des Lasters. Viele wichtige Erfindungen sind seither entstanden.<br />

Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer<br />

daten & FAKTEN<br />

Ob jeder Innovation, die heute nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist, ein systematisch angelegter Erkenntnisweg<br />

vorausgegangen ist, ist ungewiss. Auf jeden Fall sind einige Ideen schon sehr alt. 1<br />

3650 v. Chr. 1590 1655 1810 1834 1863<br />

Innovations-Hub EU Mehr Bürokratie, keine Kultur des Scheiterns, weniger Zugang zu Risikokapital –<br />

europäische Städte galten lange Zeit nicht als Eldorado <strong>für</strong> Gründer. Boyd Cohen, Professor <strong>für</strong> Entrepreneurship,<br />

Nachhaltigkeit und Smart Cities an der Universität del Desarrollo in Santiago, Chile, führt einige klare Gründe<br />

an, warum EU-Städte bald US-amerikanische Städte als Hubs <strong>für</strong> Innovation überholen könnten.<br />

Bessere<br />

Lebensqualität & bessere<br />

soziale Absicherung:<br />

Sieben der zehn Städte mit der<br />

besten Lebensqualität<br />

(Mercer Ranking) sind EU-Städte.<br />

Erst auf Platz 28 findet sich eine<br />

us-amerikanische Stadt: San Francisco.<br />

Auch die soziale Absicherung ist in der<br />

eu besser. Beruflich zu scheitern hat<br />

z. B. nicht den Verlust der<br />

Kranken versicherung<br />

zur Folge.<br />

Europäische<br />

Smart Cities:<br />

Smart Cities sind attraktiv <strong>für</strong><br />

Start-ups, weil gerade in solchen<br />

Städten neue Ideen, Konzepte<br />

und Technologien gebraucht werden.<br />

In der EU steht die Entwicklung und<br />

Förderung von Smart Cities seit vielen<br />

Jahren auf der Agenda. In den USA<br />

wurde das Konzept von<br />

Präsident Obama erst 2015<br />

durch den Zuspruch eines<br />

eigenen Budgets ($ 160 Mio)<br />

offiziell unterstützt.<br />

Mehr<br />

spezifische Infrastruktur<br />

<strong>für</strong> Entrepreneure:<br />

Um Privatpersonen zu ermöglichen,<br />

ihre innovativen Ideen umzusetzen,<br />

wurden in den USA sog. Fab Labs (Fabrication<br />

Laboratory) eingeführt. Dort steht die nötige<br />

Infrastruktur bereit: Von der Fräsmaschine bis<br />

zum 3D-Drucker, alles, was zum Erzeugen eines<br />

Pototypen gebraucht wird. In den USA gibt es<br />

115 Fab Labs, in der EU 300.<br />

Auch Coworking Spaces sind in der EU in der<br />

Überzahl. Barcelona etwa hat 300. In der<br />

us-Stadt Philadelphia, die eine ähnliche<br />

Einwohnerzahl wie Barcelona<br />

aufweist, sind es nur ca. 12.<br />

Quellen: 1 GEO Magazin, Ranking der 100 wichtigsten Erfindungen der Menschheit<br />

In unserem digitalen Zeitalter, in dem Wissen weit verteilt ist, kann Innovation nicht mehr im abgekapselten Raum<br />

entstehen. Um besser und schneller innovieren zu können, müssen sich Organisationen öffnen.<br />

Drei große Marken, die Crowdsourcing nutzen.<br />

Der Getränke-Riese<br />

Coca Cola wollte seine<br />

Kunden besser verstehen<br />

und befragte die<br />

Crowd in Singapur,<br />

was sie unter dem<br />

Claim „It’s possible“<br />

(dt. „Es ist möglich“)<br />

verstehen.<br />

Das IT- und<br />

Beratungsunternehmen<br />

IBM betreibt seine eigene<br />

Crowdsourcing-Seite,<br />

auf der regelmäßig<br />

Challenges abgehalten<br />

werden:<br />

collaborationjam.com<br />

<strong>Offen</strong> <strong>für</strong> <strong>Neues</strong><br />

Das Wissen der<br />

Masse nutzt auch der<br />

Google Translator – ein<br />

Online-Sprachübersetzungstool.<br />

Findet der Nutzer, dass die<br />

Übersetzung nicht gut ist, kann er<br />

Verbesserungs vorschläge<br />

in einer eigens da<strong>für</strong> vorgesehenen<br />

Box vermerken. Die<br />

Qualität von Google Translator<br />

wird so kontinuierlich<br />

verbessert.<br />

59


Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Tierische Schwärme<br />

Tiere bilden Schwärme, um sich einen<br />

Vorteil bei der Futtersuche zu verschaffen oder<br />

um sich besser vor den jeweiligen Feinden<br />

schützen zu können.<br />

1986 fand der Computerexperte Craig Reynolds<br />

heraus, dass drei simple Regeln das Bilden und<br />

Funktionieren eines Schwarmes ausmachen:<br />

1. Bewege dich in Richtung des Mittelpunkts derer,<br />

die du in deinem Umfeld siehst.<br />

2. Bewege dich weg, sobald dir<br />

jemand zu nahe kommt.<br />

3. Bewege dich in etwa in<br />

dieselbe Richtung wie<br />

deine Nachbarn.<br />

60

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