Distanz
Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 01/2012
Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 01/2012
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Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 01/2012
Distanz
Distanz
1
DISTANZ
WIE VIEL BRAUCHEN WIR? WIE VIEL ERTRAGEN WIR?
Distanz
(von lat.: distare –
abstehen, entfernt sein):
1.
räumlicher, zeitlicher
oder innerer Abstand
2.
zurückzulegende Strecke, Gesamtzeit
der angesetzten Runden (Sport)
3.
Reserviertheit, abwartende
Zurückhaltung
300 km/h
Der Deutsche
Alexander Neumeister zählt zu den
renommiertesten Industriedesignern weltweit.
Neben dem Transrapid und dem ICE
zählt der japanische Shinkansen 500 Nozomi
(dt.: „die Hoffnung“) zu seinen bekanntesten
Entwürfen. Dieser Hochgeschwindigkeitszug
erreicht eine Maximalgeschwindigkeit von
300 km/h. 64 Fahrmotoren übernehmen
den Antrieb. Aktuell verkehrt der Nozomi,
der für 1324 Sitze ausgelegt ist, zwischen
Tokio und dem im Süden Japans
liegenden Hakata. Für die
1069 Kilometer braucht er
vier Stunden
und 49 Minuten.
Mobilität
(von lat.: mobilitas – Beweglichkeit)
bezeichnet die Eigenschaft, bewegt
werden zu können, also passive
Bewegungsfähigkeit. Die Fähigkeit,
sich aktiv zu bewegen, heißt hingegen Motilität.
Das Gegenteil von aktiver Bewegungsfähigkeit
ist Sessilität: Sessile Tiere sitzen an
ihrem Aufenthaltsort fest, zum Beispiel
Korallen und Schwämme. Auch
manche Parasiten werden, sobald sie
einen Wirt gefunden haben,
sessil, etwa die Walläuse
auf der Haut von
Walen.
Fahrerloses Auto
Unabhängigkeit
„Wenn ich unterwegs bin,
achte ich im Allgemeinen besonders
darauf, dass ich selbst bestimmen
kann, mit wem ich unterwegs bin.“
Die Mobilitätsstudie 2011 des
ÖAMTC zeigt, dass 83% der
österreichischen Bevölkerung
folgender Aussage „voll und
ganz zustimmen“ und
„zustimmen“.
Ultralangstrecke
Manche Vogelarten können es
mit Langstreckenflugzeugen locker
aufnehmen: Die Pfuhlschnepfe kann
nonstop von Alaska nach
Neuseeland fliegen – 11.500 Kilometer.
Zum Vergleich: Der zurzeit längste
Linienflug mit 16.600 Kilometern
findet zwischen Singapur
und New York
statt.
Mit 1. März 2012 hat Nevada als erster
US-Bundesstaat selbstfahrende Autos
auf seinen Straßen erlaubt und diese
folgendermaßen definiert:
Autonomous vehicle means a motor vehicle that
uses artificial intelligence, sensors and global
positioning system coordinates to drive itself without
the active intervention of a human operator.“
Unter einem „selbstfahrenden Auto“ wird ein
motorisiertes Fahrzeug verstanden, das
künstliche Intelligenz, Sensoren und
GPS-Koordinaten nutzt, um
selbstständig und ohne aktiven
menschlichen Eingriff
zu fahren.
Impressum und Offenlegung
Nichtpendler
27% der Erwerbsbevölkerung
in Österreich werden als Nichtpendler
bezeichnet. Sie wohnen und arbeiten
entweder im gleichen Haus oder auf
dem gleichen Grundstück. Oder sie
arbeiten auf einem anderen Grundstück
in der gleichen Wohngemeinde.
„Binnenpendler“, zum Beispiel
zwischen verschiedenen
Stadtteilen, zählen ebenso
zu den Nichtpendlern.
Pendler
Sonderform der Wanderung,
die nicht mit einer Verlegung des
Wohnorts verbunden ist.
In Österreich pendeln 63 % der
Erwerbsbevölkerung – 1% pendelt
ins Ausland, 14% pendeln zw.
Bundesländern, 23% pendeln
zw. politischen Bezirken des
Bundeslandes, 25% pendeln
zw. Gemeinden eines
politischen Bezirks.
Medieninhaber und Herausgeber
Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC)
Schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0
www.oeamtc.at
ZVR-Zahl: 730335108, UID-Nr.: ATU 36821301
Vereinszweck ist insbesondere die Förderung der Mobilität unter
Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.
Der ÖAMTC wird vertreten durch den Präsidenten Dkfm. Werner Kraus
und den Generalsekretär DI Oliver Schmerold.
Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbh
Chefredaktion Mag. Gabriele Gerhardter (ÖAMTC),
Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)
Chefin vom Dienst Silvia Wasserbacher, BA
MitarbeiterInnen dieser Ausgabe
Dipl.-Bw. Maren Baaz, Mag. Eva Hübner, Mag. (FH) Christian Huter,
Mag. Claudia Kesche, Nicole Kolisch, Bakk., Mag. Konstantin Kouloukakos,
Leo Ludwig, Mag. Uwe Mauch, Dr. Daniela Müller, Dr. Ruth Reitmeier,
Katrin Stehrer, BSc, DI Anna Várdai
Grafik Design, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation
Korrektorat Christina Preiner, vice-verba
Fotografie Lukas Ilgner, Christoph Wisser
Covermodels apeconnection.com (Michael Mölschl, Pamela Obiniana)
Druck Hartpress
Download www.querspur.at
Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.
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Heute
Allein in der Masse.
Abstand ist in den öffentlichen
Verkehrsmittel essentiell –
von Daniela Müller
Mobilitätstypen.
Wer bewegt sich wie und warum?
Wie bewegen wir uns?
Womit sind wir unterwegs und wie
lange brauchen wir?
Homo Mobilis. Wir reisen
schneller, weiter, effizienter als je
zuvor. Ungeklärt bleibt die Frage: Zur
Last oder Lust? – von Nicole Kolisch
Tierische Rekorde.
Wer bewegt sich wie und warum?
Die Vermessung der Welt.
Warum beim Warten auf die
Straßenbahn aus vier plötzlich
sechs Minuten werden können –
von Nicole Kolisch
Wegemuster durch die Stadt.
Sichtbare Strecken zeigen unterschiedliche
Nutzungsprofile –
von Ruth Reitmeier
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Zukunft
Auto mit Hirn. In den Autos der
Zukunft darf der Lenker schlafen,
nachdenken und arbeiten –
von Leo Ludwig
Die Aufholjagd der U-Bahnen.
Alexander Neumeister entwirft Züge
und U-Bahnen mit viel Raumgefühl –
von Ruth Reitmeier
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Per Faltrad in die Zukunft.
Uwe Mauch pendelt (ohne Auto)
zwischen Wien und Zagreb –
eine Reportage
Startups. Spannende Ideen
zum Thema Distanz und intermodale
Mobilität – von Katrin Stehrer
Autostoppen 3.0.
Mitfahrbörsen werden intelligent –
von Daniela Müller
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Distanz
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Foto: Wikipedia, Daniel Schwen
Allein in
der Masse
ABSTAND IST IN ÖFFENTLICHEN VERKEHRSMITTELN ESSENTIELL.
DIE KÜNFTIGE HERAUSFORDERUNG HEISST, INDIVIDUELLES REISEN
IN DER MASSE ZU ERMÖGLICHEN.
Von Daniela Müller
Nicht jeder Kenianer ist ein guter Läufer.
Aber viele. Mobilität in Afrika bedeutet Körpereinsatz,
vor allem, wenn Eltern kein Geld
für den Schulbus haben und der Schulweg
zehn Kilometer und mehr beträgt. Gehen oder
Laufen ist Notwendigkeit zum Überleben. Für
die kenianischen Marathonläufer in zweifacher
Hinsicht: Die Gewinnprämien sichern
ihnen und ihren Familien ein gutes Leben.
Das wirtschaftliche Überleben zwingt auch
viele Wanderarbeiter in China und Millionen
Menschen in Indien zu langen Pendelstrecken,
meist mit dem Zug, „Holzklasse“ mit Fenstern
ohne Glasscheiben. Die Pendler sitzen nicht
selten bis zu 40 Stunden im Zug, um der Arbeit
nachzufahren, die in den Metropolen
Chinas oder Indiens auf sie wartet. Was für
den mitreisenden Touristen anstrengend ist,
wird für so manchen kontaktfreudigen Inder
zur Netzwerkveranstaltung. Während sich
die obere Gesellschaftsschicht in die 1. Klasse
zurückzieht, wird in der „Holzklasse“ geplaudert,
getratscht und nach der Reise sind für
Manche neue Bekannte oder potenzielle
Geschäftspartner gefunden.
„Beweglichkeit war schon immer die Haupttriebkraft
von Menschen“, erklärt Andreas Knie,
Soziologe und Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum
Berlin und der TU Berlin. Seit
den 1960-er Jahren habe sich in Deutschland
die Pendelleistung verdoppelt und nehmen
weiterhin leicht zu, wenn sich auch mit der
Tele arbeit eine leichte Gegentendenz zeige. Die
Zumutbarkeit sieht Knie bei einer Stunde pro
Strecke erreicht: Bei längeren Strecken würden
psychische und Herzkreislauferkrankungen
steigen, beobachtbar seien zudem stärkere
Zerrüttungstendenzen in den Familien.
BEI WENIGER ALS 64 ZENTI-
METERN ABSTAND SCHLÄGT
DAS MENSCHLICHE GEHIRN
ALARM
Doch Kontakte suchen beim Pendeln die wenigsten.
Untersuchungen haben gezeigt, dass
in den meisten Kulturen soziale Kontakte in
öffentlichen Verkehrsmitteln vermieden werden.
Im California Institute of Technology hat
man herausgefunden, dass bei weniger als 64
Zentimetern Abstand zwischen Menschen das
Areal im Gehirn, das für Wut und Angst zuständig
ist, Alarm schlägt. In den asiatischen
Ländern lassen die Menschen trotzdem mehr
räumliche Nähe zu. Auch weil ihnen in Anbetracht
der oft restlos überfüllten Züge und
Busse nichts anderes übrig bleibt. Da kommt es
schon vor, dass, am Haltegriff festgeklammert,
die Fahrzeit für Powernapping, den leistungssteigernden
Kurzschlaf, genutzt wird.
„Diejenigen, die routinemäßig in öffentlichen
Verkehrsmitteln unterwegs sind, individua-
Distanz
5
Foto: erysipel/pixelio
Smartphone vor Auto.
Die intensivsten Nutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln
sind junge Menschen. Für sieben von zehn
sind Bus, Bahn, Straßen- oder U-Bahn unverzichtbar
geworden. In Deutschland besitzen laut einer
Timescout-Untersuchung drei Viertel der 20- bis
29-jährigen Deutschen zwar einen Führerschein,
die Hälfte davon fährt jedoch kaum Auto.
Smartphone und MP3 Player haben in dieser Gruppe
einen höheren Stellenwert als die eigenen vier Räder.
lisieren ihre Fahrtstrecke. Entweder sie lesen
oder sie verstöpseln sich. Das ist mit graduellen
Unterschieden auf der ganzen Welt so“, erklärt
Mobilitätsforscher Knie. Obwohl es in Pariser
Vorortezügen erfolgreiche Versuche gab, in
einzelnen Abteilen Weiterbildungsprogramme
oder Sprachkurse abzuhalten, wählten laut
Knie europäische Pendler die Abgrenzung zu
anderen Fahrgästen mittels Zeitung, Zeitschrift,
Buch und immer stärker mit digitalen Medien.
Als Zeitvertreib, jedoch auch um unterwegs zu
arbeiten. Ist dann Reisen noch die Haupttätigkeit?
Oder schon Nebensache?
„IN DER ERSTEN KLASSE
WIRD KAUM NOCH JEMAND
LAUT TELEFONIEREN“
Die Grenzen sind schwimmend. Designer sehen
Autos schon länger als rollende Smartphones.
Nun ziehen auch öffentliche Verkehrsbetreiber
nach, die stärker nach Technologien wie Internet
oder Mobilfunk-Netz nachfragen, beobachtet
Siemens Rail Systems, weltweit tätiger
Hersteller von Eisenbahnen, Metros, Straßenund
Stadtbahnen. Fahrgäste würden mehr als
früher erwarten, im Zug arbeiten zu können.
Zusätzlich zeigt sich laut Siemens Rail Systems
auch ein klarer Zukunftstrend beim Design
der Wagons: Diese orientierten sich stärker als
noch vor wenigen Jahren an unterschiedlichen
Zielgruppen – etwa mit Ruhezonen, in denen
Handys tabu seien, eigenen Arbeitszonen oder
Mutter-Kind-Abteilen. In diesem Zusammenhang
berichtet Mobilitätsforscher Knie von
einer deutlich beobachtbaren Zivilisierung bei
den Kommunikationsformen: „In Zügen der
1. Klasse wird man in Deutschland heute kaum
mehr erleben, dass jemand laut telefoniert.“
Individualisiertes Reisen in der Masse. Wird
dieses Gefühl in Zukunft stärker erzeugt,
steigen mehr Menschen vom Auto auf öffentliche
Verkehrsmittel um. Davon ist Christine
Chaloupka-Risser vom Mobilitäts- und Verkehrsforschungsinstitut
Factum überzeugt:
„Dann verlassen Autofahrer ihren geschützten,
komfortablen, und vor allem individuell eingerichteten
Raum, in dem sie das Gefühl hatten,
sicher und pünktlich anzukommen, auch
wenn das in der Realität nicht stimmte.“ Psychologie
und Gestaltung seien für einen Umstieg
genauso wichtig wie der Kostenfaktor.
Bei Siemens Rail Systems geht man dazu über,
alles, was im Fahrgastraum nicht unbedingt
gebraucht wird, herauszunehmen und unterflur
zu verstauen. Wichtig im öffentlichen
Verkehr sei zudem, ob und wie die Passagiere
über die Fahrt informiert würden, meint
Christine Chaloupka-Risser. „Die Fahrgäste
wollen sehen oder hören, wo Störungen oder
Verspätungen sind und nicht am Bahnsteig
stehen gelassen werden.“ Dazu gehörten etwa
die Bekanntgabe von Verbindungs- und Umsteigmöglichkeiten
oder, im Falle von Verspätungen,
die Information, ob die Anschlüsse
gesichert seien oder welche Alternativen es
gebe.
Doch auch psychologische Faktoren würden
an Bedeutung gewinnen, meint Chaloupka-
Risser. Etwa Stress am Bahnhof zu vermeiden,
zu schauen, wie man die Fahrgäste bequem
weiterbringen kann oder jemandem, der sich
nicht auskennt, gut zu leiten. Sauberkeit und
Helligkeit seien in den Wagons ebenso wichtig
wie auf den Bahnsteigen. Auch Personal, das
nach dem Rechten schaue, erhöhe das individuelle
Sicherheitsgefühl bei den Fahrgästen.
Fortbewegung sichert, im Norden wie im
Süden, das wirtschaftliche Überleben. Völlig
verlassen will sich dabei aber letztendlich
niemand fühlen, ob in Afrika, Indien oder
Europa.
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MOBILITÄTSTYPEN
WER BEWEGT SICH WIE UND WOMIT?
DIE ÖSTERREICHERINNEN UND ÖSTERREICHER FOLGEN
SECHS UNTERSCHIEDLICHEN MUSTERN.
Quelle: Mobilitätsstudie 2011 des ÖAMTC
DATEN & FAKTEN
16 %
DIE FAMILIEN AUF ACHSE
Ob Eltern, die ihre Kinder morgens in die Schule
bringen, anschließend zur Arbeit fahren und danach
noch den Einkauf erledigen oder ArbeitnehmerInnen,
die zur Arbeit pendeln: Bedingt durch das
große Pensum an Wegen und mangels öffentlicher
Alternativen ist für Pendler in Dörfern und Kleinstädten
klar: „Ich bin aufs Auto angewiesen“.
DIE NETZMOBILEN
Vor allem junge Akademikerinnen in Städten
repräsentieren diesen Typ. Diese nutzen den
gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr und
sehen Kosten und Umwelteffekte eines eigenen
Autos kritisch. So kommen Sie zu dem Entschluss:
„Im Alltag brauche ich kein Auto.“
11 % 10 %
DIE AUTOFANS
Hier geht es nicht um Zweckmäßigkeit, sondern
um Status und Spaß: Das Auto repräsentiert die
Stellung, bewundernde Blicke der Nachbarn sind
erwünscht. Kosten spielen eine Nebenrolle.
„Mein Auto ist für mich alles“, lautet das
Statement der meist ländlichen und männlichen
Autofans.
DIE TRADITIONALISTEN
Gesellschaftlich aktiv zu bleiben ist ihnen
wichtig und das Auto dabei unentbehrliche
Unterstützung: „Ohne mein Auto bleibe ich
über“, lautet das Credo dieser Gruppe, die
vorwiegend aus Senioren auf dem Land besteht
und sich mit Fahrgemeinschaften und öffentlichem
Nahverkehr wenig anfreunden kann.
DIE SITUATIVEN ENTSCHEIDER
Die städtische Generation 55 plus repräsentiert
diesen Typus. Nicht mehr der schnellste Weg,
sondern selbstbestimmt und sicher Ziele erreichen
ist das Motto, zumal auch der tägliche Weg zur
Arbeit schon teilweise wegfällt. Die Einstellung
dieser Gruppe ist „Ich muss nicht (mehr)
überall mit dem Auto hin.“
26 % 20 %
Distanz
DIE JUNGEN KALKULIERER
Diese tummeln sich vor allem in Wien oder am Land.
Sie stehen vor der Herausforderung, morgens
pünktlich am Ausbildungs- oder Studienplatz sein
zu müssen, ohne ein Auto zu besitzen. Ihr Budget
ist knapp. Deswegen ist Mitfahren für sie attraktiv.
Ihr Motto: „Ich bin noch für alles offen,
ein eigenes Auto wäre aber der Hit.“
15 %
7
8
Foto: AutoNOMOS
Auto
mit Hirn
IN DEN SELBSTFAHRENDEN AUTOS DER ZUKUNFT WIRD MAN SCHLAFEN,
NACHDENKEN UND ARBEITEN KÖNNEN. WAS LEONARDO DA VINCI VOR
500 JAHREN ERTRÄUMTE, WIRD ENDLICH WIRKLICHKEIT.
Von Leo Ludwig
DIE WELT IN 20 JAHREN
Bis heute weiß man nicht, ob es 1495 oder
1478 war: Das Multitalent Leonardo da Vinci
zeichnete eine heute noch verfügbare Skizze
für ein „Carro semovente“: ein selbst fahrender
Karren mit drei Rädern und einem überdimensionierten
Uhrwerk zum Aufziehen als
Antrieb. Das Ungetüm konnte sogar selbst
lenken, allerdings nur geradeaus oder nach
rechts. Folgerichtig hatte der große Künstler
keinen Fahrersitz eingezeichnet.
Die Idee vom Roboter-Auto ist also alt. Sehr
alt. Wortwörtlich übersetzt heißt sogar Automobil
„selbst fahrend“. Doch wirklich zum
Greifen nah ist die radikale Verwirklichung
des Autos mit Hirn erst seit kurzem durch
die großen Fortschritte in der Digitalisierung
und Sensortechnik. Ohne viel darüber zu
reden, arbeiten alle namhaften Autohersteller,
VW, BMW, Audi, Toyota, viele Zulieferer
sowie Forschergruppen fieberhaft an der
Weiterentwicklung der Assistenzsysteme, die
mittlerweile standardmäßig in Autos eingebaut
werden (siehe Box Seite 11). In der extremsten
Version wird der menschliche Fahrer
überflüssig und zum Mitfahrer degradiert.
Oder, je nach Sicht, aufgewertet, weil dann die
Passagiere die Fahrzeit zur Unterhaltung, für
Videokonferenzen, Arbeit am Computer oder
einfach nur zum Schlafen nützen können,
während sie ans Ziel kutschiert werden.
Die Technik für autonome Fahrzeuge, die
eigenständig lenken, bremsen und beschleunigen
können, sei inzwischen ausgereift, bestätigt
Raul Rojas, wissenschaftlicher Leiter des
Projekts AutoNOMOS der Freien Universität
Berlin. Schon heute seien solche im geschlossenen
Gelände in Einsatz, etwa in Fabriken
und auf Flughäfen: In Heathrow chauffiert
auf bestimmten Routen ein fahrerloser Bus
die Passagiere.
„IN 10–15 JAHREN WERDEN
FAHRERLOSE AUTOS AUF
AUTOBAHNEN UNTERWEGS
SEIN“
In 10 bis 15 Jahren, erklärt der Professor,
würden fahrerlose Autos serienmäßig auf
Autobahnen unterwegs sein. Testweise gibt
es sie schon jetzt zu sehen, insbesondere in
Kalifornien: Google hat sieben selbstfahrende
Autos im Testbetrieb, die in der Bay Area
bereits mehr als 230.000 Kilometer zurückgelegt
haben. Mit Geschwindigkeiten von bis zu
120 Stundenkilometern auf dicht befahrenden
Highways, inklusive Spurwechsel und Überholmanövern.
Und, bis auf einen Auffahrunfall,
unfallfrei.
Distanz
9
Foto: MadeinGermany
Fotos: Steve Jurvetson
In Deutschland und den USA haben selbstfahrende
Autos schon viele Tausend Kilometer zurückgelegt.
Noch sitzt aus Kontrollgründen ein Mensch hinter dem Lenkrad.
Er wird jedoch bereits vom Computer selbständig chauffiert.
Auch eines der Forschungsautos von Rojas,
„MadeInGermany“, legte im Herbst 2011 eine
tadellose Testfahrt durch 80 Kilometer Berliner
Stadtverkehr hin; 46 Ampeln inklusive.
Keine einzige hat der umgebaute VW Passat
bei Rot durchfahren.
Dabei unterscheiden sich die Wunderdinger
äußerlich, bis auf einen kleinen Aufbau am
Dach, nicht von normalen Autos. Das Innenleben
aber hat es in sich: Laser-Scanner, Mini-
Kameras und Radarsysteme, verteilt auf Frontund
Rückseite, Dach sowie Rückspiegel, tasten
permanent die Umwelt ab und schaffen eine
360-Grad-Sicht, die das Computerhirn im Inneren
des Fahrzeugs verarbeitet und als Basis
für seine Fahrentscheidungen nimmt. Zusätzlich
weiß es dank exakter GPS-Positionierung
immer genau, wo sich das Auto befindet.
DIE SCHRECKSEKUNDE ENT-
FÄLLT, DER BREMSWEG IST
DAHER UM VIELES KÜRZER
Roboter-Autos können mehr sehen und fühlen
als Menschen. Deshalb glaubt Sebastian
Thrun, Stanford-Professor, VW-Partner und
Mastermind hinter der Google-Flotte, an
eine drastische Reduktion der Unfallzahlen,
sobald die intelligenten Vehikel die Straßen
erobern. Das Messen von Distanzen und das
Interpretieren der entdeckten Widerstände
sind Kernfunktionen, auf die es ankommt.
Wo befinden sich andere Fahrzeuge? Fußgänger?
Straßenmarkierungen? Was steht
auf Verkehrszeichen? Dazu kommt die
Schnelligkeit: Computer kennen keine
Schrecksekunde. Ein normales Auto sollte
bei 120 Kilometern pro Stunde mindestens
60 Meter Abstand zum nächsten Auto halten,
damit der Fahrer rechtzeitig bremsen kann.
Computer-gelenkte einen Bruchteil dieses Abstands.
Autobahnen könnten dann gefahrlos
von zwei bis drei Mal so vielen Fahrzeugen
befahren werden wie heute, sagen Experten.
Auch Parkplätze könnten dichter gefüllt werden,
da Roboter-Autos ihren Weg bis in die kleinste
Parklücke finden. Automatische Einparksysteme,
wie sie bereits serienmäßig Anwendung
finden, benötigen vorne und hinten nur 30
Zentimeter Abstand, um zu manövrieren.
Werden die Roboter den Menschen also dazu
verleiten, eine weitere Verkehrsexplosion
zuzulassen? Nein, im Gegenteil: In Städten
wie Berlin, wo gut ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel
vorhanden seien, werde künftig
nur noch ein Zehntel des heutigen Autobestands
nötig sein, vermutet Professor Rojas.
Viele Garagen und Parkplätze würden überflüssig:
„Wir werden keine eigenen Autos mehr
besitzen, sondern bei Bedarf mittels Smartphone
ein fahrerloses Taxi bestellen. Dieses
wird es in unterschiedlichen Klassen geben: In
der höheren Klasse fährt man alleine, in der
niedrigeren steigen andere Fahrgäste zu.“ Auf
diese Weise könnte jedes einzelne Fahrzeug
längere Distanzen zurücklegen als die weniger
intelligenten „Stehzeuge“ heute.
10
Das Auto denkt, der Mensch lenkt
Im Moment hat der Mensch das Steuer noch fest im Griff. Doch eine
Fülle an unterschiedlichen Assistenzsystemen nimmt ihm Denkarbeit
ab: vom Abstandsregler, der sich im nervtötenden Stop-and-Go-Verkehr
bewährt, bis hin zum Notbremsassistenten, der das Fahrzeug automatisch
bremst, wenn andere Fahrzeuge, Fußgänger oder Radfahrer
zu nahe kommen. Selbst Müdigkeitsassistenten gibt es, die die Fitness
des Fahrers registrieren. Ist diese bereits gering, kann der Fahrer den
temporären Autopiloten einschalten. Ob er auf der Spur bleibt, zeigt ihm
der Spurhalteassistent an, ob er überholen kann, der Spurwechselassistent.
Ach ja, und für das Einparken gibt es auch eine Hilfe: Man kann
aussteigen, der eingebaute Butler erledigt das ganz allein. Technisch ist
der Schritt zum vollautomatischen Fahren nur noch klein.
Das exakte Messen von Distanzen und das Interpretieren
der entdeckten Widerstände sind Kernfunktionen, die ein
lenkender Computer beherrschen muss.
Wann diese Revolution in den staugeplagten
Ballungsräumen ankommt, ist allerdings ungewiss:
In 20, 30 oder 40 Jahren? Das hängt
davon ab, wie rasch eine vom Freiheits- und
Individualsymbol Auto geprägte Gesellschaft
benötigt, um im wahrsten Sinn des Wortes
das Steuer aus der Hand zu geben. Derzeit
kostet die Versicherung eines einzigen fahrerlosen
Autos noch rund 100 Millionen Euro.
Erfahrungswerte über die Eintrittswahrscheinlichkeit
von Schäden sowie Standardisierungen
fehlen. Wer ist schuld, wenn ein
Computer „durchdreht“?
DIE SICHERHEIT VON
ROBOTER-AUTOS WIRD
WESENTLICH HÖHER SEIN
ALS JENE DER HEUTIGEN
AUTOS, SONST WERDEN
SIE NICHT AKZEPTIERT
Selbst euphorischen Forschern ist bewusst,
dass die Sicherheit der selbstfahrenden Autos
in den nächsten Jahren noch einmal kräftig
hinaufgeschraubt werden muss, um breite gesellschaftliche
Akzeptanz für den Einsatz im
komplexen Stadtverkehr zu finden. Letztlich
wird von ihnen wesentlich mehr Sicherheit
verlangt werden als von heutigen Autos. Und
ein Notfallschalter: Der Mensch muss die Automatik
jederzeit beenden können.
Das schließt jedoch rasche, sprunghafte Entwicklungen
in Nischenmärkten nicht aus,
wie zum Beispiel den Einsatz von fahrerlosen
Metrobussen in den jungen Großstädten
Chinas und Indiens. Diese könnten auf reservierten
Spuren fahren und auf diese Weise
U-Bahn-Netze ersetzen, deren Aufbau ein
Vielfaches teurer wäre. Modellversuche dazu
gibt es bereits in den USA und Frankreich.
Die wirklich großen Brocken, die noch zu
erledigen sind, sind jedoch rechtlicher Natur:
Noch sind fahrerlose Autos generell verboten.
Das ist mit ein Grund, warum in allen Testfahrten
Forscher als Co-Piloten mitfahren
müssen. Die Diskussion, wie der rechtliche
Rahmen für Computer-gesteuerte Autos aussehen
könnte, hat in internationalen Gremien
wie der UNO gerade erst begonnen.
IN DEN USA MÜSSEN INTELLI-
GENTE AUTOS EINE FÜHRER-
SCHEINPRÜFUNG ABLEGEN
Ob viel Zeit dafür bleibt, ist fraglich: In den
USA hat der Bundesstaat Nevada mit 1. März
2012 eine Rahmengesetzgebung erlassen, um
künftig auch Führerscheine für Computer
oder Roboter auszustellen. Angeblich auf Betreiben
Googles hin. Kalifornien und Florida
wollen nachziehen.
Gleiches Recht für alle: So wie Menschen
müssen auch Computer Prüfungen ablegen,
bevor sie lenken dürfen. Das erste Roboter-
Auto vielleicht ausgenommen: Leonardo da
Vincis selbst fahrender Karren war nicht für
die Straße, sondern fürs Theater gedacht.
Distanz
11
DIE AUFHOLJAGD
DER U-BAHNEN
ALEXANDER NEUMEISTER ENTWIRFT ZÜGE UND U-BAHNEN,
IN TOKIO GENAUSO WIE IN SAO PAULO UND MÜNCHEN.
QUERSPUR SPRACH MIT IHM ÜBER EXTREMLÖSUNGEN
UND ZUKUNFTSTRENDS.
Das Gespräch führte Ruth Reitmeier
Fahren Sie gerne U-Bahn?
Ja, natürlich, ich wohne in München
in der Nähe einer U-Bahnstation und
fahre regelmäßig mit der U-Bahn.
Doch ich habe festgestellt, dass es
manchmal fast genauso schnell geht,
wenn man zu Fuß unterwegs ist.
Sie arbeiten allerdings auch in Millionen-Metropolen
wie Tokio, Sao Paulo,
Beijing, wo weder der Fußmarsch noch
der Pkw realistische Alternativen zum
öffentlichen Verkehr sind.
Wenn man München etwa mit Tokio
vergleicht, wo wir die Linie 13 zusammen
mit Hitachi gestaltet haben, ist
die Realität natürlich eine ganz andere.
Um dort einen wichtigen Termin zu
halten, gibt es zu öffentlichen Verkehrsmitteln
keine Alternative. Oder
etwa Sao Paulo, wo wir zurzeit an
der Linha 4 arbeiten. In dieser Stadt
herrscht bereits früh morgens Stau,
weshalb der U-Bahnbau jetzt mit Intensität
vorangetrieben wird.
In vielen europäischen Städten
hingegen hat man noch eine echte Wahl
zwischen Individual- und öffentlichem
Verkehr. Welche sind die wesentlichen
Unterschiede?
Im eigenen Pkw habe ich eine kontrollierte
Umgebung, nämlich die von mir
gewünschte, besetzt mit Personen, die
ich ausgewählt habe. In der U-Bahn
habe ich diese Kontrolle über meine
Umgebung freilich nicht, dort teile ich
den Raum mit wahllosen Mitreisenden.
Hinzu kommt, dass Passagiere öffentlicher
Verkehrsmittel mit extrem unterschiedlichen
Reise situationen rechnen
müssen. Gerade deshalb steht der Designer
vor der Aufgabe, eine möglichst
attraktive Umgebung zu gestalten.
DESIGN BEEINFLUSST,
WO MENSCHEN IN DEN
ZUG EINSTEIGEN
Ein konkretes Beispiel?
Hier in München haben wir bereits
Ende der 90er-Jahre beim U-Bahn-
Design etwas Spezielles versucht. Einen
neuartigen Grundriss, der auf den Erfahrungen
der Münchner Verkehrsbetriebe
basierte. Man hatte festgestellt,
dass sich die Fahrgäste am Anfang oder
am Ende der Plattform sammeln –
eben dort, wo die Stations-Zugänge
sind –, und die Mitte der Plattform
weitgehend leer blieb. Wir haben damals
das Problem mit einem neuartigen
Grundriss gelöst. Die Plätze
vorne und hinten wurden für Kurzreisende
geplant, mit vielen Stehplätzen
und an den Seitenwänden montierten
Sitzen. Die Mitte des Zugs wurde mit
komfortabler Vis-à-vis-Bestuhlung gestaltet.
Das heißt, die Leute, die länger
unterwegs waren und es dabei bequemer
haben wollten, gingen automatisch
in die Mitte der Plattform. Durch diesen
Design-Trick wurde zugleich die
Verteilung der Passagiere gesteuert.
Bei Durchsicht Ihrer Arbeiten sticht
diese Mischform des Sitzplatz-Angebots
heraus. Doch in vielen großen
Städten, wie etwa in New York, gibt es
ausschließ lich Längsbestuhlung.
Warum eigentlich? Passen so mehr
Menschen in den Zug?
Ja, diese Anordnung bietet einfach
mehr Kapazität. In Tokio gab es sogar
eine Linie, bei der die Seitensitze automatisch
hochgeklappt werden konnten.
In den Hauptverkehrszeiten gab es
dann eben nur noch Stehplätze. Das ist
freilich eine Extremlösung. Doch wer
Tokioter Verkehrsspitzen erlebt hat,
wird verstehen, wie sie entstanden ist.
Noch ein paar Kunstgriffe?
Neben dem Layout geht es im U-Bahn-
Design immer auch um den Versuch
trotz der Enge den Eindruck von Weite
zu schaffen. Und da gibt es tatsächlich
ein paar Tricks. Einer der wichtigsten
ist, die Haltestangen in einem großzügigen
Bogen an die Seitenwand zu
leiten. Dadurch vermeidet man den
Stangenwald. Denn betritt der Passagier
den Zug und sieht als erstes eine
vertikale Stange vor sich, hat er sofort
das Gefühl: „Das wird eng“. Kann der
Fahrgast den Blick aber schweifen lassen,
empfindet er den Raum als großzügig,
obwohl sich an der Raumgröße
ja nichts geändert hat. Eine wichtige
Rolle spielt auch die Beleuchtung, die
ich immer möglichst dicht an die Seitenwände
lege. Denn das Auge geht
magisch an die hellen Stellen, und helle
12
Foto: N+P Industrial Design GmbH
Er hat eine schöne Stimme und Humor.
Wie viele Kreative, die ein erfülltes Berufsleben
führen, wirkt er deutlich jünger als
er tatsäch lich ist. Der deutsche Designer
Alexander Neumeister, Ei gentümer von
N+P Industrial Design GmbH mit Sitz in
München, ist 70.
Es war jedenfalls weder die Holz- noch die
Modell-Eisenbahn, die den jungen „Alex“
zum Design führten. Der Groschen fiel bei
einem Vortrag zur Berufsorientierung, dem
er als Gymnasiast im letzten Schuljahr beiwohnte.
Da war ihm sofort klar, dass das
Berufsbild des Designers seine Interessen
für Technik und Gestaltung optimal vereinte.
Nach dem Diplom an der Hochschule für
Gestal tung in Ulm führte ihn ein Stipendium
nach Japan. „Das war ein bahnbrechendes
Erlebnis für meine wei tere Laufbahn. Ich
bewundere diese Kultur, die über Jahrhunderte
eine Qualität an Design geschaffen
hat. Sie wurde für mich zum Vorbild“, betont
er.
Konsequenterweise ist die Kreation des
Shinkansen Nozomi 500, der lange Zeit als
schnellster Zug der Welt durch Japan düste,
des Designers persönliches Karriere-Highlight.
1999 wurde Neumeister dafür – als
erster Ausländer – mit dem Kaiserlichen
Erfinderpreis des japanischen Institute for
Invention and Innovation ausgezeichnet.
Neumeister ist Vater zweier Töchter, lebt
seit 1970 in München und verbringt nunmehr
etwa die Hälfte des Jahres in Brasilien,
zumal er seit 2011 mit einer Brasilianerin
verheiratet ist. Der Designer plant, sich noch
heuer aus dem Business zurückzuziehen
und will N+P, an „P“, seinen Partner, übergeben.
www.neumeisterdesign.de
Wände vergrößern den Raum optisch.
Und bei der neuen Münchner U-Bahn
gibt es zudem sehr große Seitenfenster.
Große Fenster für die Fahrt
im U-Bahntunnel?
Berechtigte Frage, die großen Fenster
bringen wenig im Tunnel, aber sobald
der Zug in die Station einfährt, bekommt
der Innenraum dadurch eine
größere Dimension.
Gibt es Ihrer Erfahrung nach kulturelle
Unterschiede oder ist es letztlich eine
Frage der real gegebenen Möglichkeiten,
wie viel Nähe man zu anderen Menschen
erträgt?
WER ENG ZUSAMMEN-
GEDRÜCKT WIRD,
VERSCHAFFT SICH
FLUCHTMÖGLICHKEITEN
Zweifellos spielt die Kultur eine Rolle.
Andererseits muss man wissen, dass
sich Menschen, die eng zusammengedrückt
sind, Fluchtmöglichkeiten verschaffen.
Ich finde das immer wieder
faszinierend etwa in Tokio, wie dort
dieser Blätterwald an Werbung, der an
der Decke hängt, für die in Stoßzeiten
dicht gedrängten Reisenden zur oft
einzigen Fluchtmöglichkeit wird.
Doch selbst in halb leeren Zügen suchen
Menschen Rückzugsmöglichkeiten hinter
der Zeitung, mithilfe des Handys.
Genau! Da kommen wir zu einem
Thema, das mir zu denken gib. Der
Trend zur Selbstbeschäftigungsmaschine
hat uns auch in der U-Bahn
längst erreicht. Ich persönlich finde
es eine traurige Entwicklung, wenn
die Menschen gar nicht wahrnehmen,
dass sie Sitznachbarn haben, mit denen
man vielleicht reden könnte. Es ist
schon kurios, dass man während der
Fahrt vielleicht übers Internet Kontakt
zu jemandem hat, der mehrere hundert
Kilometer entfernt ist, aber dabei
nicht registriert, neben wem man sitzt.
Distanz
13
Neumeisters „Linha 4“ in Sao Paulo, die erste Metro mit
fahrerlosem, vollautomatischem Betrieb in ganz Lateinamerika.
Die Metro in Sao Paulo von innen: Die Herausforderung liegt darin,
trotz der Enge das Gefühl der Weite zu schaffen.
Transparenz und Schwebesitze in München: Neumeister
designte auch die neue C2-Reihe, die ab 2013 zum Einsatz kommt.
Für den Nozomi 500 (bis 300 km/h) bekam der Deutsche als erster
Ausländer den Erfinderpreis des japanischen Kaiserhauses.
Gegen Zufallsbekanntschaften schotten
wir uns zunehmend ab.
Ist das vielleicht eine Gegenreaktion auf
den eingangs besprochen Kontrollverlust
in öffentlichen Verkehrsmitteln?
Mag sein, mir scheint es auch eine Entwicklung
zu sein, die auch sehr viel mit
der nordeuropäischen Art des Zusammenlebens
zu tun hat. Man kommt
einfach nicht so locker in Kontakt.
Das wird einem bewusst, wenn man in
anderen Ländern beobachtet, wie leicht
Gespräche entstehen können.
Wohin entwickelt sich das Design
von Zügen und U-Bahnzügen?
Zug-Interieurs, also Reiseumgebungen
für den öffentlichen Verkehr, hinkten
lange Zeit hinterher. Es gab die Plüsch-
Varianten oder aber die Züge waren
quasi Vandalismus-resistent. Parallel
dazu hatte sich jedoch die Gestaltung
vieler anderer Verkehrsmittel extrem
weiterentwickelt. Beeinflusst von Flugzeug-Interieurs,
dem Pkw, aber auch
von kleinen Cafés oder Geschäften,
entstand eine völlig andere Vorstellung
von einer angemessenen Reiseumgebung.
Daher ging es beim Zug-Design
zunächst darum, wieder auf ein Niveau
zu kommen, das in anderen
öffentlichen Räumen Standard war.
DIE FAHRGÄSTE
ERWARTEN SICH
PERFEKTION WIE
IM AUTO
Und wie geht es weiter?
Der gehobene Mittelklassewagen bleibt
zweifellos ein Orientierungspunkt für
die Zukunft. Das gilt auch für Passagierflugzeuge.
Diese Verkehrsmittel
haben Einfluss darauf, was man von
einer gehobenen Reiseklasse erwartet.
Die Züge müssen hier mithalten.
Welche Trends erkennen Sie beim
Außen-Design von Zügen?
Was ich über den Innenraum gesagt
habe, gilt im Wesentlichen auch für
den Außenbereich, wobei hier ebenfalls
der Pkw Vorstellungen von einem
angemessenen Produkt geschaffen hat.
Dieser Beurteilungsmaßstab darf auf
keinen Fall unterschätzt werden. Es
gibt immer wieder Besprechungen mit
Konstrukteuren, die irgendwo sichtbare
Scharniere oder Verschraubungen
verwenden wollen anstatt sich die Mühe
zu machen, alles unsichtbar zu befestigen.
Wenn ich dann frage, ob sie das
bei Ihrem Auto auch akzeptieren würden,
lautet die Antwort fast immer
„Niemals“. Zudem erlauben Aluminium-Bauweise
und Kunststoff-Technologien
einen Grad an Perfektion
auch bei Kleinserien-Produkten, die
früher undenkbar war.
14
WIE BEWEGEN WIR UNS?
Welche Verkehrsmittel werden für Fahrten zur Arbeits- oder Ausbildungsstelle benutzt?
Angaben in Prozent %
DATEN & FAKTEN
Öffentliche Verkehrsmittel
zu Fuß
Fahrrad
Individualverkehr
91
4 5
45
7 10
38
16
5
12
67
28
66
1
5
Quelle: Europäische Kommission, Meinungsumfrage zur Qualität in europäischen Städten, Mai 2010
Nikosia (Zypern)
30
Wie viel Zeit wird pro Tag benötigt, um zur Arbeits- oder Ausbildungsstelle zu gelangen?
Angaben in Prozent %
In Graz
liegt das Mittel bei
15 Minuten pro Strecke,
das sind 112,5 Stunden
reine Fahrzeit pro Jahr.
In 40 erwerbstätigen
Jahren wären das
562,5
volle Tage.
22
46
2
Amsterdam (Niederlande)
Oulu (Finnland)
34
4
9
Wien
53
28
9 3
60
Groningen (Niederlande)
Paris (Frankreich)
35
28
27
Graz
Kopenhagen (Dänemark)
10
15
20 5
24 13
Minuten1937
< 10
10–20 Minuten
20–30 Minuten
30–45 Minuten
60
Prag (Tschechien)
45–60 Minuten
5 1
> 60 Minuten
In Wien
liegt das Mittel bei
25 Minuten pro Strecke,
das sind 187,5 Stunden
reine Fahrzeit pro Jahr.
In 40 erwerbstätigen
Jahren wären das
937,5
volle Tage.
2332 20
Minuten11
< 10
10–20 Minuten
20–30 Minuten
30–45 Minuten
45–60 Minuten
10 4
> 60 Minuten
Distanz
15
Fotos: Lukas Ilgner; Uwe Mauch
USER STORY
PER FALTRAD
IN DIE ZUKUNFT
UWE MAUCH PENDELT (OHNE AUTO) ZWISCHEN WIEN UND ZAGREB
MEINE FAMILIE IN KROATIEN – MEIN ARBEITGEBER IN ÖSTERREICH.
WIENER WOHNUNG AM STADTRAND, DAS BÜRO IN DER INNENSTADT.
GROSSE DISTANZEN. MODERNES, SCHNELLES LEBEN. ZUKUNFTSREICH.
DABEI IST MEIN VERHÄLTNIS ZUM AUTO MEHR ALS NUR DISTANZIERT.
EINE HOMMAGE AN FLOTTE FALTRÄDER UND LANGSAME IC-ZÜGE.
WIEN-MEIDLING, Freitag, 8.02
Uhr. Mein MacBook ist bereits betriebsbe
reit, da setzt sich der „Emona“
in Be wegung. Und siehe da: Bevor der
Fernreisezug die Stadt hinter Liesing
verlassen kann, stehen auch schon
zwei halbwegs brauchbare Sätze zu
Buche.
Ja, ich bin praktizierender Mitteleuropäer!
Meine Frau lebt mit unseren beiden
Kindern in Zagreb, mir zahlt die
Republik Österreich eine Pendlerpauschale,
weil ich am Ende der alten
Woche von der österreichischen in
die kroatische Haupstadt und am Beginn
der neuen Woche zurück nach
Wien reise.
„Gastarbajter“, witzelt ein befreundeter
Nachbar in Zagreb. „Quoten-Jugo“,
nennt mich ein befreundeter Kollega in
Wien. Die Betonung liegt auf befreundet.
Der Schneeberg fliegt rechts am Zugfenster
vorbei. Alles gut. Willkommen
in der Zukunft! Unsere Kinder beherrschen
drei Sprachen: Kroatisch,
Deutsch und Englisch (ihre Mutterund
ihre Vatersprache akzentfrei).
WIENER NEUSTADT, 8.33 Uhr.
Fahrscheinkontrolle. Man grüßt sich.
16
Man kennt sich – nach 17 Jahren!
Der Schaffner, der heute Zugbegleiter
genannt werden soll, weiß nicht, wie
oft er schon hinauf zum Semmering
gefahren ist. Durch all die Tunnel,
über all die Via dukte. Wir rechnen
nach: Bei mir werden es an die 1000
Mal gewesen sein.
Und ich bereue es nicht!
Die Welt ist enger zusammen gerückt.
Da heiratet man nicht mehr zwangsläufig
im selben Ort. Da sind zwei Wohnsitze,
die 400 km voneinander entfernt
sind, nicht mehr Utopie. Da nimmt man
auch nicht mehr blind den eigenen
Wagen. Ich zum Beispiel fahre kombiniert
– mit Bahn und Rad.
es aus wie eine Sporttasche. Die
Kombi aus Bahn und Rad ist vor allem
im urbanen Raum unschlagbar schnell.
Ich habe keinen Führerschein, habe
auch noch nie Benzin getankt. In der
Früh von der Wohnung in die Garage,
dann mit dem Auto ins Büro, ohne den
Himmel zu sehen, den Wind zu spüren
und die Stadt zu atmen – alleine die
Vorstellung ist für mich ein Graus.
Eine Stunde radle ich von meiner
Wohnung in Wien-Floridsdorf bis zum
Büro in Wien-Neubau. Eine Stunde,
die nur mir gehört. Ebenso wie jene
Stunde am Abend. Niemand stoppt
mich, unterwegs werden Muskeln aufgebaut
und Hirnwindungen entlüftet.
Und wünscht sich: Mehr schnelle Züge
– nicht nur auf der viel beworbenen
Westbahn, auch auf den Nebenbahnen.
Mehr Komfort an Bord (z. B. getrennte
Ruhe- und Rede-Zonen). Mehr moderne
Lokomotiven, die nicht nur theoretisch,
sondern auch praktisch in einem
Zug durchfahren. Vor allem: Mehr Eisenbahn-Manager,
deren Horizont nicht
in Spielfeld oder Strass endet.
Langsam arbeitet sich der Intercity-Zug
den Zauberberg hinauf, schlängelt
sich durch enge Kurven. Japaner und
Amerikaner sind begeistert über das
große Kino, das ihnen auf Ghegas
Weltkulturerbe-Strecke geboten wird.
Berufspendler verwünschen dagegen
den NÖ. Landeshauptmann, der den
Bau des Semmering-Basis-Tunnels
virtuos in die Länge zieht.
Was soll’s? Die Bahn bietet auch ohne
Röhre Vorteile: Sie ist verlässlich (verlässlicher
als das Flugzeug), stellt mir
kostengünstig einen Fahrer zur Verfügung
und ist darüber hinaus mein
Schreib-Labor. Kein neues E-Mail
blinkt auf, kein Anruf stört. In der Mur-
Mürz-Furche kann man oft nix empfangen.
Danke, liebe ÖBB!
BRUCK AN DER MUR, 10.02 Uhr.
Eisenbahnknotenpunkt haben wir in
unsere Schulhefte geschrieben. Derzeit
ist der Bahnhof ein gordischer
Knoten: Baustelle. Neben meinem Sitz
parkt mein Faltrad, zusammengefaltet
auf Gepäckstückgröße. Mit seinem
schwarzen Kunststoff-Umhang sieht
GRAZ, 10.38 Uhr. Wieder Verspätung
– auch das ist (noch) Realität.
Zeit für einen Blick in die Zukunft:
Schon bald werde ich kein Alien mehr
sein. Mehr Menschen werden künftig
den Wechsel von Distanz und Nähe
schätzen, ohne deshalb die CO 2
-Werte
weiter in die Höhe zu treiben. Erklärt
der Wiener Zukunftsforscher Harry
Gatterer.
Mit der selben Rasanz, mit der die
Bahngesellschaften seit Jahren die
Fahrkarten-Preise erhöhen, werden sie
das Angebot verbessern. Fügt er hinzu.
Der Markt wird ihnen gar keine andere
Wahl lassen. Zwischen Graz und der
aktuellen europäischen Kulturhauptstadt
Maribor hat diese Zukunft leider
noch nicht begonnen ...
SPIELFELD-STRASS, 10.52 Uhr.
15 Minuten Aufenthalt am alten, im
Schengenland nutzlos gewordenen
Grenzbahnhof. Man fragt sich: Warum
wird heute noch die Lok gewechselt?
Und denkt an die Chinesen: Die schaffen
mit ihren modernen Hochgeschwindigkeitszügen
1000 km in drei Stunden.
MARIBOR, 11.45 Uhr. Den slowenischen
Eisenbahnern, die in Maribor
jeden Pimperlzug den Zügen nach
Kroatien vorziehen, wünsche ich wiederum
ein bisserl weniger Engstirnigkeit
unterm Dienst-Kapperl. Und den
schroffen slowenischen Grenzbeamten,
dass sie – wie zuvor ihre österreichischen
Vorbilder – bald in die Geschichte
eingehen werden.
ZIDANI MOST, 13.05 Uhr. Genug
geschrieben! Nach der Einfahrt in den
alten k. u. k. Bahnhof (neben der Mündung
der Savina in die Save) steige
ich aus dem „Emona“. Mit meinem
Londoner Lifestyle-Falter fliege ich
weiter – über die steinerne Brücke und
dann der Save entlang. Richtung Süden.
Es hat aufgehört zu regnen. Die Luft ist
rein. Und ich freu’ mich schon, meine
Frau und meine Kinder in die Arme
nehmen zu können. Das Leben kann
schön sein!
Distanz
17
INNOVATIVES ONLINE & OFFLINE
STARTUPS
SPANNENDE IDEEN ZUM THEMA DISTANZ UND INTERMODALE MOBILITÄT
Von Katrin Stehrer
////// DAS ENDE DER WARTEZEIT /////////////////////////
Das Hauptärgernis vieler Nutzer des öffentlichen Verkehrs sind die Wartezeiten.
Ebenso lästig: häufig Lebensmittel einkaufen zu müssen. Diese Probleme löst die
Supermarktkette Tesco, indem sie virtuelle Supermärkte in U-Bahnstationen in Seoul
und Shanghai betreibt. In den Regalen befinden sich mit QR-Codes versehene Produktfotos,
die von den Kunden mittels Smartphone eingelesen und bezahlt werden
können. Die echten Lebensmittel werden dann nach Hause geliefert.
www.tescoplc.com/index.asp?pageid=17&newsid=593
In der US-Stadt Boston wurden Wartezeit-Countdowns auf Anzeigetafeln in Geschäfte,
Büros und Lokale verlegt. Ziel auch hier: Einkaufen oder Arbeiten während
man wartet. Noch länger Zeit zu Hause oder produktiv im Büro verbringen können indes
Smartphone-User, wenn sie Echtzeit-Apps nutzen. Besonders attraktiv für Vielbeschäftigte
ist der CTA Bus Tracker in Chicago. Auf einer interaktiven Karte kann
man genau verfolgen, wann der Bus oder Zug kommt, den man erreichen will.
www.ctatracker.com
////// AB IN DIE MITTE ///////////////////////////////////////
„Treffen wir uns in der Mitte!“ Stefan Wehrmeyer, ein junger Entwickler von Web-Applikationen,
macht es einfach, die Mitte auch wirklich zu finden: Seine App Mapnificient
visualisiert Fahrtzeiten von öffentlichen Verkehrsmitteln. User, die sich verabreden
wollen, geben einfach an, von wo sie wegfahren, wie lang sie unterwegs sein
und was sie tun wollen. Den Rest erledigt Mapnificent: Rote Pins zeigen passende
Treffpunkte an, zum Beispiel Cafés.
www.mapnificent.net
////// KONTAKTE KNÜPFEN LEICHT GEMACHT /////////
Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln in Afrika oder Südostasien unterscheiden
sich vor allem durch eines von jenen im Westen: Sie unterhalten sich und knüpfen
Kontakte. Die preisgekrönte Pariser Social Commuting Plattform Submate will genau
das zurück in westliche Städte bringen. Ist man eingeloggt, schlägt Submate interessante
Reisekompagnons vor und erleichtert die Kontaktanbahnung. Die Idee kam
Gründer Laurent Kretz auf seinen täglichen U-Bahnfahrten, wo es ihn störte, dass er
immer wieder dieselben Personen sah, aber trotzdem nichts über sie wusste.
www.submate.com
Sogar im Flugzeug kann man jetzt leichter Kontakte knüpfen. Meet and Seat von
KLM zeigt wer in derselben Maschine sitzt und man kann seinen Sitzplatz neben
Fahrgästen mit ähnlichen Interessen wählen. www.klm.com
18
STRAMPELN LOHNT SICH DREIFACH //////////////
Finanzielle Belohnung für grüne Fortbewegung: Was zu schön klingt, um wahr zu
sein, könnte mit mo, dem neuen Mobilitätssystem der Münchner Umweltorganisation
Green City, Realität werden. Je mehr Kilometer man per Rad oder im öffentlichen Verkehr
zurücklegt, desto weniger zahlt man im Gegenzug für ein Carsharing-Auto. Dabei
zählen Rad-Kilometer dreifach. Für die Umsetzung des Anreizsystems, das mit der
Wuppertal Universität und dem Designbüro LUNAReurope entwickelt wurde, sucht
Green City nun Partnerstädte.
www.mo-bility.com
////// BIS INS LETZTE ECK //////////////////////////////////
Eine Lösung, wie man die Wege von und zu den Bushaltestellen schnell und ohne
Schwitzen bewältigen kann, hat der Kalifornier Gabriel Wartofsky gefunden: In seinem
Bike-Sharing-Konzept für die Londoner Verkehrsbetriebe zeigt er das volle Potential
eines E-Faltbikes. Entlehnboxen mit integrierten Ladevorrichtungen sind an die öffentlichen
Autobusse gekoppelt. Damit hat man immer ein Fahrzeug zum Weiterfahren
griffbereit. Wie zukunftsträchtig die Idee ist, zeigt die Tatsache, dass Wartofsky über
die Crowdfunding-Plattform Kickstarter 25.955 US-Dollar für die Pilotproduktion des
E-Faltrads ab 2012 einsammelt konnte.
www.consciouscommuter.com
////// RUTSCHE IN DEN UNTERGRUND ////////////////////
Auf einem Bahnhof in Utrecht wird seit kurzem die Umsteigezeit auf unterhaltsame
Weise verkürzt: Für Reisende, die es eilig haben, installierte die niederländische
ProRail den Transfer Accelerator. Der futuristische Name steht für eine ganz normale
Rutsche, die aber den versprochenen Zweck erfüllt: Sie beschleunigt das Vorankommen.
www.hik-ontwerpers.nl
////// FAHRSCHEIN AM HANDGELENK ///////////////////
Mit Oi hat der Designer Benjamin Parton den Staus in Londoner U-Bahnstationen
den Kampf angesagt. Oi ist ein elektronischer Fahrschein, der als Ring oder an der
Armbanduhr getragen wird. Damit kommt man schneller durch die Zutrittsschranken
als mit Karte. Wie die normale Oyster Card nutzt Oi RFID-Technologie. Für die Umsetzung
seiner Idee sucht Parton derzeit nach Partnern. Sein Traum: Bei der Olympiade
in London im Sommer 2012 soll Oi bereits die Staus vor den Zugangsschranken
der U-Bahn in Grenzen halten.
www.benjaminparton.com
////// VON WIEN NACH TOKIO /////////////////////////////
Die Vision, Europa und Asien über eine gigantische Seilbahn zu verbinden, verfolgen
die Österreicher Wolfgang Lehrner und Matthias Pázmándy. Unfassbare 28 Mrd. Euro,
50.000 Mitarbeiter und 24.000 km Kabel werden gebraucht, um eine Konstruktion
zu bauen, die in einem Tempo von 50 km/h 21 Städte verbindet. Der Haken: Ebenso
visionäre Finanzierungspartner fehlen noch.
www.eurasiangondolas.com
Distanz
19
All God’s
children need
travelling shoes.
Maya Angelou,
amerikanische
Bürgerrechtsaktivistin
Seelen können
sich nicht so schnell
fortbewegen, also bleiben
sie zurück, und man muss
auf sie warten wie auf
verloren gegangenes Gepäck.
William Gibson,
Science Fiction Autor
Ich fragte
eine Schnecke,
warum sie so langsam wäre.
Sie antwortete,
dadurch hätte sie mehr Zeit,
die Welt zu sehen.
Wolfgang J. Reus,
deutscher Journalist
Abbildung: aus: Wikipedia, Florian Prischl
20
Homo
Mobilis
DISTANZEN SIND ZUM ÜBERWINDEN DA, DESHALB HABEN WIR
UNSERE MOBILITÄTEN VERFEINERT. WIR REISEN SCHNELLER, WEITER,
EFFIZIENTER ALS JE ZUVOR. UNGEKLÄRT BLEIBT DIE FRAGE:
ZUR LAST ODER LUST?
Von Nicole Kolisch
Glaubt man dem arabischen Sprichwort, so
reist die Seele mit der Geschwindigkeit eines
Kamels. Zwar überwinden wir innerhalb eines
Wimpernschlages Distanzen, von denen die
Karawanen unserer Ahnen nicht zu träumen
wagten, ob wir allerdings dafür geschaffen
sind, ob der Mensch ein „Distanzwesen“ ist,
geleitet vom Wandertrieb, darf zumindest
hinterfragt werden. „Als Sozialwissenschaftler
ist man natürlich geneigt, so etwas als Biologismus
einzustufen“, meint Ingrid Thurner,
die am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie
zum Thema „Freiwillige Mobilität“
forscht. „Haben wir einen Reisetrieb, quasi ein
Relikt aus der Nomadenzeit? Solche Vorstellungen
geistern immer wieder durch die Literatur.“
Orientiert man sich etwa an der gern
zitierten Maslow’schen Bedürfnispyramide, so
wäre Mobilität an der Spitze einzuordnen, als
Faktor der Selbstverwirklichung, der uns erst
dann unter den Nägeln brennt, wenn die basalen
Erfordernisse (z.B. Nahrung, Sex, Sicherheit)
erfüllt sind. Thurner schüttelt den Kopf,
„Nein, freiwillige Mobilität ist nicht endogen,
sie hängt von sozialen und wirtschaftlichen
Bedingungen ab.“
An Hand von Berufsmobilität lässt sich das
auch gut zurückverfolgen. Deren Geburtsstunde
wird gern mit der Industrialisierung
angenommen, tatsächlich reicht sie viel weiter
zurück: Die Irrfahrten des Odysseus zählen
ebenso dazu wie die Handelsreisen der Phönizier.
Das römische Reich wäre ohne fahren de
Händler undenkbar gewesen, die Distanzen
zwischen Europa und dem Vorderen Orient
zu überwinden wussten. Und bereits hier zeigt
sich, wie stark der Grad der Mobilität mit der
jeweiligen Profession verknüpft ist: Ein Hufschmied
wird sein Umfeld kaum verlassen,
ein Stoffhändler zwangsläufig.
INDUSTRIALISIERUNG LIESS
MOBILITÄT EXPLODIEREN
Zu einer Explosion der Mobilität – sei es
zweckgebunden wie bei Pendlern oder aus
reiner Lust am Erlebnis – führt allerdings
wirklich erst die Industrialisierung: Der
Engländer Thomas Newcomen erfindet 1712
die Dampfmaschine und ebnet dadurch den
Weg für die Turbo-Kamele seiner Zeit: Die
Dampfschifffahrt und die Dampflokomotive.
Reisen wird billiger, erstmals auch für breitere
Schichten der Bevölkerung erschwinglich.
Erlebnismobilität wird unter den Besserverdienern
geradezu schick; auch hier zeigen sich
die Engländer als federführend und erfinden
flugs die Reisegruppe (1845) und die Travellerschecks
(1874)…
Die ersten Fabriken gieren indes nach Arbeitskraft,
schaffen erstmals Mobilität auch in
Handwerksberufen. Bauernsöhne folgen dem
Ruf der Werkssirene in die Stadt: Sie pendeln.
Wo bislang am selben Hof gemäht, geerntet,
geschlafen und geliebt wurde, kommt es nun
Distanz
21
Foto: Barbara Wais
zu einer Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz.
Lohnarbeit lockt, Berufsverkehr entsteht.
„Dabei geht es längst nicht nur um die Möglichkeit,
räumliche Distanzen, sondern auch
um die Fähigkeit, soziale Grenzen zu überwinden“,
sagt Thurner. „Wenn wir von
Mobilität sprechen, sollten wir vertikale Bewegung
ebenso betrachten wie horizontale.“
Horizontale Mobilität – das ist die rein geografische:
von Neusiedl nach Wien, von Paddock
Wood nach London. Vertikale hingegen
bezeichnet den Auf- oder Abstieg innerhalb
der Gesellschaft. Thurner: „Es lässt sich nicht
Gesetz hinkt hinterher
Das Gesetz bildet neue Entwicklungen
noch nicht ab. Hier sind Arbeitszeiten
schwarz-weiß geregelt:
Wenn Arbeit bereits am Weg zur Firma
erledigt wird, ist das nicht vergütbar.
Arbeitsstunden sind nur jene, die auch
physisch am Arbeitsplatz verbracht
werden.
Eine indirekte Folge des Trends zum
Unterwegs-Arbeiten sind jedoch All-
In-Verträge (Überstundenpauschalen)
bzw. eine generelle Lockerung der
Arbeitszeiten (z. B. vermehrt Gleitzeit).
Technisch wäre es längst möglich, einen
Abrechnungsmodus zu finden, der auch
Wege als Arbeitszeit berücksichtigt.
Rolf Gleißner,
Arbeitsrechtsexperte der WKO
fein säuberlich auseinander dividieren. Oft
geht das Hand in Hand, auch vertikale Mobilität
ist mit physischer Bewegung verbunden.“
Ganz banal: Wer mehr verdient, zieht um.
Selbst in der Sprache ist die enge Verknüpfung
von Mobilität und Prestige dokumentiert. Wir
drücken unsere Anerkennung in Bewegungsmetaphern
aus: Jemand ist „bewandert“, er
ist „erfahren“, hat „Routine“ (zurückzuführen
auf die Route) oder besitzt erstrebenswerte
„Fertigkeiten“ („fertig“ leitet sich ebenfalls
von „fahren“ ab). Wir „erweitern unseren
Horizont“, wir sind „sattelfest“ und „gut beschlagen“.
Nur selten ist uns dabei bewusst,
dass wir hier von der eingangs erwähnten Kamelmobilität
sprechen. (Zugegeben, in Europa
eher Postkutsche als Kamel …)
WER MEHR VERDIENT,
ZIEHT UM – MOBILITÄT
BRINGT PRESTIGE
Unsere Erfahrung (sic!) von Distanz ist dabei
höchst individuell, ob wir eine Strecke als
Klacks oder als Zumutung einstufen, von
multiplen Faktoren bestimmt. Amerikaner
sind beispielsweise unterrepräsentiert, wenn
es um den Besitz von Reisepässen geht – ihre
Bereitschaft zur Mobilität innerhalb der USA
ist jedoch Legende. Skandinavier fahren oft 200
Kilometer, nur um in die Disko zu gehen. Wiener
raunzen, wenn sie beruflich einen Tag nach
Salzburg müssen. Linz geht gerade noch …
22
Öffentliche Verkehrsmittel
werden zum
mobilen Arbeitsplatz.
Foto: Lukas Ilgner
Entscheidend ist dabei weniger die Mentalität
einer Nation als ihre Besiedelungsdichte.
Thurner: „Wenn nur alle paar hundert Kilometer
eine Stadt ist, steigt die Bereitschaft,
größere Distanzen zurückzulegen. Eine berufliche
Mobilität, wie wir sie aus Amerika kennen,
wo sehr oft nicht nur gependelt, sondern für
den Job komplett der Standort gewechselt
wird, gibt es bei uns erst in den letzten Jahren.“
Auf den Geschmack kommt die Generation
Praktikum durch Studentenaustauschprogramme
wie Erasmus – und auch hier wandelt sich
unsere Wahrnehmung: Vor 20 Jahren bedurften
Auslandssemester noch einer gewissen
Rechtfertigung vor Verwandtschaft und
Freundeskreis, heute muss man sich fast
rechtfertigen, wenn man keines absolviert.
KOPPLUNG VON ARBEIT
UND ARBEITSWEG IST NEU
„Ändert sich unser Distanzempfinden auch
durch neue Medien?“, wollen wir wissen.
„Stand früher die Fahrt mit all ihren Beschwernissen
im Mittelpunkt, während sie
heute, iPad und Netbook sei Dank, zusehends
zur Nebentätigkeit wird?“ – Nein, meint die
Forscherin. Schon der Landvermesser Sven
Hedin hätte auf seinem Kamel immer gelesen,
weil ihm die Reise durch die Steppe so langweilig
war. Er hatte bloß noch keinen iPod,
aber dass Reisen nicht Selbstzweck ist, ist
nicht neu.
Neu ist hingegen die Kopplung von Arbeit
und Arbeitsweg: E-Mails in der Schnellbahn
beantworten, den Präsentationen im Flieger
den letzten Feinschliff verpassen. Wir erledigen
das on the go! Distanzen werden so nicht nur
schneller überwunden, sie werden auch effizient
genutzt. Leerläufe sind out – bezahlt wird
uns das allerdings nicht [siehe Info-Kasten,
S. 22]. Warum tun wir’s uns dann an?
Spätestens durch die Zwangspause, die der
Eyjafjallajökull vor zwei Jahren der Überholspur-Gesellschaft
verpasst hat, ist in Europa
eine Art „Entschleunigungs-Diskurs“ entbrannt:
Leben wir unnatürlich schnell?
Kommt die Seele, in ihrem Kameltempo
noch mit? Eine Studie der Stanford University
prophezeit uns einen „Peak Travel“, analog
zum „Peak Oil“. Demnach bremsen wir uns
erstmals seit der Industrialisierung wieder
ein wenig ein. Bis 2030 sollte das auch an
geringeren Emissionen messbar werden.
Warten wir’s ab.
Distanz
23
Autostoppen 3.0
Foto: Lukas Ilgner
MITFAHRBÖRSEN WERDEN INTELLIGENT. SOGAR KURZFRISTIG
ENTSCHLOSSENE KÖNNEN DAMIT IHR GLÜCK FINDEN.
VOR ALLEM IN DEN STÄDTEN WIRD DEM CARSHARING DER
ANDEREN ART EINE GROSSE ZUKUNFT VORAUSGESAGT.
Von Daniela Müller
„Do you know the Taliban?“, entgegnet
der junge Mann auf dem Beifahrersitz
auf die Frage der Fahrerin, was
ihn denn nach Österreich getrieben
habe. „Yes, we all know the Taliban“,
antwortet die Fahrerin und meint
dabei nicht nur sich, sondern auch die
beiden Männer im Fond des Autos,
die sie noch nicht kennt.
Was sich abenteuerlich anhört, ist
für mittlerweile Millionen Menschen
in Europa Normalität: Man nimmt
fremde Menschen mit. Oder steigt zu
ihnen ins Auto. Wenngleich die Beifahrer
nicht immer so spektakuläre
Gesprächsthemen zu bieten haben.
„Der Preis ist der Hauptgrund für
die meisten, über Mitfahrbörsen
nach Begleitern zu suchen“, erklärt
Carpooling-Geschäftsführer Markus
Barnikel. Das deutsche Unternehmen
betreibt www.mitfahrgelegenheit.at,
die zur Zeit größte Vermittlungsplattform
im Internet. Mitfahren auf der
Strecke Graz–Salzburg kostet im
Durchschnitt 15 Euro gegenüber
48 Euro für ein Vollpreis-Bahnticket.
Dazu kommt eine Zeitersparnis von
über einer Stunde im Vergleich zur
Bahn.
Umgekehrt sind Mitfahrer auch für
Autobesitzer attraktiv, die einmalig
oder regelmäßig von A nach B fahren,
die die hohen Spritpreise nicht alleine
tragen wollen oder einfach keine Lust
haben, alleine im Auto zu sitzen.
24
Automatisches Match-Making
Während Plattformen wie www.mitfahrgelegenheit.at,
www.mitfahrzentrale.at und www.karzoo.at auf eine langfristigere
Buchung abzielen, ist das Fraunhofer Fokus-Projekt OpenRide
oder die Plattform www.flinc.org auf die spontane und flexible
Echtzeitbuchung von Mitfahrgelegenheiten ausgerichtet.
Bei beiden Lösungen gibt der Fahrer per Smartphone oder Internet
seinen Start- und Endpunkt und die Zahl der freien Plätze an.
Das System sucht automatisch nach registrierten Mitfahrern, die
auf dieser Strecke oder Teilen davon mitgenommen werden wollen
und meldet dies dem Fahrer. Beide, Fahrer und Mitfahrer, erhalten
Informationen über den jeweils anderen, der Mitfahrer erfährt die
Höhe der Fahrtkosten und beide können nun entscheiden, ob sie
die gemeinsame Fahrt antreten wollen. Bei OpenRide erhält der
Fahrer per Smartphone die neue Wegstrecke und Fahrzeit, der
Mitfahrer den genauen Zeitpunkt, zu dem er abgeholt wird.
Mitfahrgelegenheiten gibt es auch über spezielle Plattformen wie
www.bergfex.at für sportliche Aktivitäten.
Unter www.adriaforum.com sind Fahrten nach Kroatien und/oder
retour gelistet. Eine kleine Mitfahrbörse findet sich auch unter
www.flohmarkt.at.
Mitunter erfahren sie bewegende Geschichten:
So erzählt der Mann auf
dem Beifahrersitz mit dem Namen
Bilal, dass er nach einer Todesdrohung
vor den Taliban nach Österreich
geflohen sei und nun Freunde in
Salzburg besuchen wolle. Für seine
Flucht nach Österreich, die er zum
Teil im Unterbau eines Lkw verbracht
habe, hätten die Schlepper fast 5.000
Euro verlangt. Die Asylbehörde habe
ihm seine Geschichte zwar geglaubt,
den Antrag auf Asyl jedoch abgelehnt,
berichtet Bilal. Nun heißt es für den
jungen Mann Warten auf eine nächste
Gesprächsmöglichkeit mit dem Amt.
Vielleicht Jahre.
HOHE AKZEPTANZ
VOR ALLEM UNTER
JUNGEN LEUTEN
Bei der Plattform „Mitfahrgelegenheit“
sind viele der Registrierten regelmäßige
Pendler. Etwa Pjotr, der seit 13
Jahren jede Woche 1200 Kilometer
von Slowenien nach Deutschland zur
Arbeit fährt. Oder der Tiroler Franz,
der sich einige Jahre vor seiner Pension
in die Südsteiermark verliebt, sich dort
ein Haus gekauft hat, beruflich aber
nach Innsbruck pendeln muss.
Die Zukunft sieht das Fraunhofer-
Institut für Offene Kommunikationssysteme
(Fokus) in Berlin jedoch vor
allem in spontanen, kürzeren Fahrten
im Umfeld von Städten: als Erweiterung
von Carsharing und als Baustein,
mit dem Mobilität neu definiert
werden kann. Mitfahrbörsen würden
künftig von jungen, kurzentschlossenen
Menschen ohne eigenes Auto
genutzt, Carsharing hingegen von
jenen, die sich sonst ein Taxi genommen
hätten, sagt Forschungsleiter Ilja
Radusch. Indem jeder zum Taxifahrer
werden könne, freilich ohne mit dem
Beförderungsgesetz in Konflikt zu
kommen, würde man eine Menge an
Leerfahrten vermeiden. „Menschen
wollen heute nicht mehr unbedingt
selbst mit dem Auto fahren, sondern
schnell von A nach B kommen.“ Für
die jüngere Generation sei es kein
Muss mehr, alles selbst zu besitzen,
bestätigt auch Markus Barnikel von
Carpooling. Das gelte für Autos genauso
wie für Musik-CDs.
JEDEM SEINE GANZ
PRIVATE MITFAHR-
COMMUNITY
Doch wie bringt man Autofahrer und
Mitfahrer kurzfristig zusammen?
Beim Projekt OpenRide des Fraunhofer
Fokus sowie auf der neuen
Plattform www.flinc.org geschieht das
über geeignete Softwareprogramme
online und in Echtzeit. Benutzer können
unterwegs via Smartphone nach
Mitfahrmöglichkeiten suchen oder
umgekehrt anbieten, jemanden mitzunehmen.
Die spontane Vermittlung
hat allerdings den Nachteil, dass sowohl
Fahrer als auch Mitfahrer keine
Möglichkeit haben, sich über den
jeweils anderen vorab ausführlich zu
informieren.
Das versuchen OpenRide und flinc
allerdings dadurch zu kompensieren,
dass sie sich an bestehende Communities
anhängen wollen: Man will Unternehmen
ansprechen, die ihre Mitarbeiter
bei der spontanen Bildung von
Fahrgemeinschaften unterstützen,
Gemeinden, die ihr Mobilitätsangebot
erweitern und Veranstalter, die die
Anreise der Besucher effizient gestalten
wollen. Auch Vereine und Universitäten
gehören zur Zielgruppe. flinc
setzt zudem stark auf Social Media:
Der Einzelne kann sein privates Mobilitätsnetz
aufbauen und seine eigene
Mitfahr-Community schaffen.
Das schafft Vertrauen zwischen den
Menschen, die sich ein Auto teilen.
Mitunter bleibt es nicht bei einmaligen
Gelegenheiten: So erzählte die
Autofahrerin einer Journalistin vom
Afghanen Bilal, die daraufhin einen
Artikel über seine Geschichte veröffentlichte.
Zufall oder nicht, nur
wenige Tage später flatterte ein Brief
der Asylbehörde in die Unterkunft
des Afghanen: Bilal soll einen Pass
bekommen.
Distanz
25
DATEN & FAKTEN
TIERISCHE REKORDE
Einmal die Erde umrunden = 40.000 km
4.000.000 km
Der Mauersegler
schafft es in seinen bis
zu 20 Lebensjahren auf
4.000.000 Flugkilo meter.
Er fliegt jedes Jahr ca.
200.000 km, das ist so
weit wie viermal um die
Erde!
1.100.000 km 60.000 km 40.000 km 15.000 km
Grauwale bewegen sich
mit einer Geschwindigkeit
von max. 9 km/h
extrem langsam,
legen aber nach
55 Lebens jahren doch
ca. 1.100.000 km zurück.
Karibus sind ständig in
Bewegung und laufen
pro Jahr ca. 6000 km. Bei
einer Lebenserwartung
von zehn Jahren legen
sie 60.000 km in einem
Leben zurück.
Mensch 50 Millionen
Schritte machen wir in
unserem Leben. Dabei
legen wir 40.000 Kilometer
zurück – wir laufen
also einmal um den Erdball.
Unechte Karettschildkröten
Dank ihrer phänomenalen
Orientierung
steuert das Tier nach gut
25 Jahren und ca. 15.000
zurückgelegten Kilometern
genau den Strand an,
an dem es einst aus dem
Ei schlüpfte.
Dunkler Sturmtaucher Der 64.000 km
weite Flug dieses Vogels ist die längste
bisher nachgewiesene Reise einer Vogelart.
Er trug einen elektronischen Sender und
benötigte rund 200 Tage für die Strecke.
Tierische Transportsysteme
Die Pfuhlschnepfe namens E7
sei ohne Zwischenlandung
von Alaska nach Neuseeland
(ca. 11.500 km) geflogen.
Der längste Passagierflug Der längste
derzeit durchgeführte Flug ist der von
Singapore Airlines mit einem A340-500
durchgeführte Linienflug von Singapur nach
New York mit 16.600 km und einer Flugzeit
von etwa 18 Stunden.
Kuhreiher nutzen Elefanten als
Aussichtsplattform: Die Jagd nach
Insekten und Kleintieren wird ihnen
dadurch erleichtert, dass die
Beutetiere durch die Elefanten
aufgescheucht werden.
Schiffshalter heften sich an
Haie, sodass sie jederzeit an
abfallenden Beuteteilchen
teilhaben können.
Manche Tiere ohne Nest wie
das Känguru und die Geburtshelferkröte
transportieren Brut
und Jungtiere auf dem Rücken,
im Körper oder in eigenen Bruttaschen.
Krötenmännchen lassen sich
längere Zeit während der Laichzeit
von den Weibchen tragen.
26
DIE VERMESSUNG DER WELT
WARUM WERDEN AN DER STRASSENBAHN-HALTESTELLE AUS VIER
ANGEZEIGTEN MITUNTER SECHS TATSÄCHLICHE MINUTEN WARTEZEIT?
KÖNNEN ORTUNGSSYSTEME KEINE UHREN LESEN?
QUERSPUR HAT SICH ZWISCHEN RAUM UND ZEIT SCHLAU GEMACHT.
Von Nicole Kolisch
////// ANZEIGETAFEL IN ECHTZEIT /////////////////////////
Wer in Wien an einer Haltestelle wartet, sieht auf der Anzeigetafel in Echtzeit
wann die nächste Straßenbahn kommt. Die Anzeige ist in Minuten und theo retisch
exakt. Theoretisch, wohlgemerkt: „Wir nennen das die Wiener Linien Minuten“, sagt
Michael Kieslinger, dessen Firma Fluidtime hinter der Berechnung steckt. „Busse
oder Straßenbahnen funken ihren Standort und wir rechnen die verbleibenden Meter
bis zur nächsten Haltestelle in Zeit um.“ Der Algorithmus berücksichtigt die durchschnittliche
Verkehrssituation. Parkt aber gerade ein Auto aus, nachdem der Standort
gefunkt wurde, kommt es zu Abweichungen. „Das Verkehrsgeschehen der Zukunft
kann nicht berücksichtigt werden“, meint Kieslinger. „Die angezeigte Ankunftszeit ist
deshalb immer die kürzest mögliche, nicht unbedingt die reale.“
KOMPLEXES EINFACH ERKLÄRT
////// UNVORSTELLBAR //////////////////////////////////////
Distanzen lassen sich auf zweierlei Arten darstellen: einerseits als gemessene
Strecke (metrisch), andererseits als Zeitangabe. In unterschiedlichen Situatio nen
empfinden wir diese Angaben unterschiedlich sinnvoll. Klar: Dass eine Autostrecke
3 km misst, ist eine nützliche Auskunft. Dass es bis Kairo 2384 km Luftlinie sind, hilft
uns hingegen weniger. Hier zählt allein die Auskunft über die Reisedauer: 3 Stunden
Flugzeit. Kurz: Je weiter die Distanzen, desto weniger vermag der Verstand räumliche
Angaben zu erfassen. So wie wir eher vom Lichtjahr sprechen, als von 9,5 Billionen km.
Foto: bikemap; Firma Hale Electronic; Internet; Wiener Linien
////// ZEIT ODER WEGSTRECKE /////////////////////////////
„Ein Taxameter funktioniert im Prinzip wie die Waage im Wurstgeschäft“, sagt Paul
Blachnik (Bundesfachverband für Personenbeförderungsgewerbe), „nur dass eben
nicht Gramm, sondern Weg gemessen wird“. Die Wahrheit ist noch sehr viel komplizierter:
Neben der Kilometer-Anzahl wird gleichzeitig auch die Zeit gemessen. Entsprechend
der europäischen Richtlinie für Taxameter erfolgt die Fahrpreisberechnung
in der Weise, dass unterhalb der sogenannten Umschaltgeschwindigkeit der Zeittarif
und oberhalb der Wegtarif zugrunde gelegt wird. Ist das Taxi sehr langsam unterwegs,
zählen die Minuten, ist es schneller unterwegs, die Kilometer. Übrigens: Die
Salzburger Firma Hale Electronic ist Marktführer und beliefert mehr als 40 Länder mit
ihren geeichten Taxametern. Ein Exportschlager made in Austria.
////// DIE IDEALE ROUTE /////////////////////////////////////
Für die Fahrradrouten-App von bikemap.net spielt Zeit hingegen kaum eine Rolle.
„Autos sind einheitlicher, aber bei Fahrrädern kommt es sehr auf das Modell bzw. die
körperliche Kondition an. Da sind 08/15-Wegzeitangaben sinnlos“, erklärt Developer
Helge Fahrnberger. Um die ideale Route für eine Anfrage zu ermitteln, füttert er seinen
Algorithmus stattdessen mit topografischen Daten (Steigungen) und Klassifizierungen
der Wege. Eine weitere wichtige Komponente stellt das seit Jahren via bikemap gesammelte
Userfeedback dar: „In Wien gibt es viele Wege vom Stubentor zum Westbahnhof,
aber aufgrund unserer Daten sehen wir, welcher von 80 % der Nutzer gewählt
wurde und können eine entsprechende Empfehlung abgeben.“
Distanz
27
Kindergarten
Erwerbsarbeit/Teilzeit
Mittagessen
Schule
Erwerbsarbeit/Teilzeit
Zuhause
Spielplatz
Zuhause
Sport
Supermarkt
Musikschule
Foto: Lukas Ilgner
28
Wegemuster
durch
die Stadt
FRAUEN LEGEN KOMPLEXERE STRECKEN ZURÜCK ALS MÄNNER.
UND: EINHEIMISCHE KOMMEN PRO TAG AUF DURCHSCHNITTLICH
12.000 METER STRECKE, MIGRANTEN HINGEGEN NUR AUF 8000.
DIE SOZIOLOGIN ELLI SCAMBOR UND DER MEDIENKÜNSTLER FRÄNK ZIMMER
UNTERSUCHTEN UND VISUALISIERTEN DIE ALLTAGSWEGE
DER GRAZER BEVÖLKERUNG.
Das Gespräch führte Ruth Reitmeier
Frau Scambor, Sie leben in Graz, Sie
sind Soziologin. Gibt es Erkenntnisse
dieser Studie, die Sie dennoch richtig
überrascht haben?
Ja. Eine Sache war, dass sich die
Mobilitäten von Männern und
Frauen mit Kindern unter 14 Jahren
so stark voneinander unterscheiden.
Natürlich wissen wir, dass die Arbeitsteilungsmodelle
in Österreich so
aussehen, dass hauptsächlich Männer
einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehen,
und Frauen Teilzeit arbeiten
und die Kinderbetreuung übernehmen.
Wir hatten jedoch erwartet,
dass sich in einer Stadt dieser Größe
eine höhere Komplexität zeigen
würde.
Es hat sich jedenfalls gezeigt, dass
an dem Vorurteil, dass Frauen
nicht mobil seien, nichts dran ist.
Richtig. Frauen sind hochmobil.
Und Frauen mit Kindern unter 14
weisen die komplexesten Mobilitäten
von allen auf. Frauen und Mädchen
werden ja für zwei Lebensbereiche
sozialisiert, für die Erwerbsarbeit und
für die Familie. Männer hingegen werden
haupt sächlich für die Erwerbsarbeit
sozia lisiert. Die Frage war also,
ob sich dies in den Mobilitäten der
Menschen zeigt. Nun, es zeigt sich,
sobald Kinder da sind. Bei den Männern
bleibt die Mobilität im Prinzip
gleich. Die der Mütter hingegen wird
viel komplexer und entspricht dieser
doppelten Eingebundenheit in die
Gesellschaft. Da werden viele Orte miteinander
verknüpft, und viele dieser
Punkte auf dem Weg verweisen auf
die Familienarbeit: Das beginnt damit,
dass Frauen morgens die Kinder
in den Kindergarten oder in die Schule
bringen, dann gehen sie arbeiten. Mittags
werden die Kinder wieder abgeholt.
Nachmittags geht es dann zum
Flötenunterricht, zum Spielplatz, zum
Supermarkt.
Wenn man sich diese Muster ansieht,
ist das „andere Geschlecht“ nicht die
Frau, sondern die Mutter. Denn die
Mobilität von Frauen ohne Kinder
unterscheidet sich ja kaum von
jenen der Männer.
Erwerbstätige Frauen ohne Kinder
haben entsprechend einfache Wege,
ähnlich wie Männer.
Gab es denn keine neuen Väter
im Sample?
Doch, die gab es. Wenn man die Daten
im Detail ansieht, zeigt sich, dass
vor allem Väter mit höherer Bildung
komplexere Mobilität und Wegeketten
haben als etwa Väter mit niedrigem
Bildungsniveau. Es sind aber
nicht sehr viele und über die gesamte
Stichprobe von 1650 Menschen gerechnet,
verschwinden sie.
Denken Sie, dass etwa in Uppsala die
Mobilitätsmuster von Eltern mit Kindern
anders aussehen?
Ich denke schon, dass die Mobilitäten
in Ländern wie Schweden anders aus -
sehen, weil ja auch die Arbeitsteilungsmodelle
einer gerechten Aufteilung
von Erwerbsarbeit und Familienarbeit
entsprechen.
Distanz
29
Foto: Elli Scambor, Fränk Zimmer
Das Team
Die Soziologin...
Elli Scambor ist Lektorin an mehreren Unis in Graz. Wissenschaftliche
Koordinatorin im Forschungsbüro der Männerberatung Graz.
Schwerpunkte: Genderanalyse, Diversitäts- und Männerforschung
in den Bereichen Stadtraum, Arbeit, Organisation, soziale Netzwerke.
Projekte an der Schnittstelle von Sozialforschung und Medienkunst.
http://elliscambor.mur.at
... und der Medienkünstler
Fränk Zimmer, geboren in Luxemburg, lebt und arbeitet in Graz.
Musikwissenschaftliche Studien in Graz und Wien. Klang- und
Medieninstallationsprojekte im öffentlichen Raum. Producer des
ORF Musikprotokolls im Steirischen Herbst. Schwerpunkte künstlerischer
Arbeiten bilden die Verschränkung von Medienkunst und
angewandter Sozialforschung. http://fz.mur.at
Das Projekt
1650 Grazer zeichneten ihre täglichen Wege in den Stadtplan ein.
Die so gewonnenen Daten wurden in der „Intersectional Map“, einem
Grazer Stadtplan der Alltagsmobilitäten, dargestellt. Eine der
Zielsetzungen war, diese Daten wieder in die Bevölkerung zurückzuspielen.
Dafür wurden Monitore mit der Map-Installation aufgebaut,
die über Monate durch die Stadt wanderten. Die Map ist online
abrufbar unter. http://intersectional-map.mur.at/
Das Buch
Das Studien-Projekt liegt aktuell als Buch vor.
Elli Scambor, Fränk Zimmer (Hg.)
Die intersektionelle Stadt.
Geschlechterforschung und Medienkunst
an den Achsen der Ungleichheit.
Februar 2012 / ISBN 978-3-8376-1415-2
Transcript. Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
30
Auf Achse in der Berliner Großstadt
Der Berliner Atlas paradoxaler Mobilität von Friedrich von Borries zeigt eine ungewöhnliche
Sicht auf Berlin und die Phänomene moderner Mobilität. Es ist eine Sammlung unorthodoxer
Kartografien – etwa zu überfahrenen Füchsen, Wagensiedlungen, unvollendeten Autobahnbrücken
sowie Grätzel mit hoher Porsche-Dichte –, mit Fotos, Essays und Interviews.
Dabei werden die Bewegungsmuster von Fahrradkurieren genauso beschrieben wie jene
von Drogendealern oder Touristen. Interviews mit Straßenmusikanten, Trampern, Obdachlosen,
Lastwagenfahrern und mobilen Würstchenbratern liefern Einblicke
in Mobilitätskulturen direkt von der Straße.
Friedrich von Borries (Hg.)
Berliner Atlas paradoxaler Mobilität
ISBN: 978-3-88396-304-4
Merve Verlag Berlin 2011
Ist Ihnen ein Unterschied zwischen
Männern und Frauen in der Nutzung
der Art der Verkehrsmittel aufgefallen?
Das haben wir hier nicht erhoben. Es
gibt allerdings Studien, die belegen,
dass gerade Frauen Verkehrsmittel
häufiger wechseln und stärker multimodal
unterwegs sind als Männer.
Legen Frauen mit Kindern insgesamt
kürzere Strecken zurück?
Die Weglängen zeigten keine auffälligen
Unterschiede, zumal Frauen mit
ihren Kindern oft mehrere Stadtteile
durchqueren, um an spezielle Orte
wie etwa zum Montessori-Kindergarten
zu gelangen. Die Unterschiede bei
den Distanzen waren zwischen Inländern
und Menschen mit Migrations-Hintergrund
am auffälligsten.
Womit wir beim zweiten wichtige Ergebnis
der Studie wären: Zuwanderer
legen deutlich kürzere Strecken zurück
als Einheimische. Die Messung
ergab 8000 Meter pro Tag zu 12.000.
Genau. Das war, wenn man so will,
die zweite Überraschung. Diese Zuwanderer-Communities
haben starke
lokale Netzwerke und bleiben unter
sich. Also über die Mur, auf die traditionell
bürgerliche Seite, gibt es nur
wenige Querungen aus diesen Vierteln.
Ein paar Einrichtungen haben
diese Teilung ein wenig aufgebrochen.
Wie etwa das Kunsthaus Graz oder
die Fachhochschule. Stadtteile mit
einem hohen Anteil an Zuwanderern
werden durch solche Ansiedelungen
heterogener, in die andere Richtung
passiert das aber kaum. Soziale
Homogenität betrifft ja nicht nur die
Zuwanderer-, sondern auch die bürgerlichen
Viertel.
Die Studie zeigt auch, dass die Stadtnutzung
sehr unterschiedlich ist. Was
lässt sich aus den Ergebnissen für die
Stadtentwicklung ableiten?
Die wichtigste Aufgabe dieser Studie
ist ja zunächst das Aufzeigen einer
Fragmentierung. Im nächsten Schritt
könnten sich die Stadtpolitikerinnen
und -politiker fragen: Was ist das für
eine Stadt, in der sich alle Menschen
wohl fühlen? Also das ist für mich
eine zentrale Fragestellung. Denn ich
betrachte die Stadt als etwas Gesellschaftliches.
Sie ist nicht etwas, das
außerhalb von uns existiert, sondern
sie ist das, zu dem wir sie machen.
Indem ich die Stadt nutze, wird sie
zu meiner Stadt.
Wir wissen also jetzt, wer sich wo
in der Stadt bewegt. Was wäre der
nächste Schritt?
Der nächste Schritt wäre, zu schauen,
wie zufrieden die Menschen damit
sind. Diese qualitative Dimension
zu erheben, wäre wichtig, denn damit
wird vielleicht der Auftrag an
die Stadtpolitik noch deutlicher, sich
Konzepte zu überlegen, die eine stärkere
soziale Durchmischung zum
Ziel haben.
Denken Sie, dass technische Innovationen
die Mobilitätsmuster verändern
werden?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass
sich hier durch neue Technologien
großartig etwas ändern würde, – also
nicht für diese Fragestellung. Wir haben
uns ja primär angeschaut, welche
Orte besucht werden, nicht das Wie.
Die Veränderung liegt also in der
sozia len Innovation. Würden Sie die
Studie in zehn Jahren wiederholen,
denken Sie, dass die Mobilitäten von
Eltern sich angeglichen haben werden?
Was diese Studie abbildet, sind gesamtgesellschaftliche
Verhältnisse,
und das betrifft Veränderungen, die
lange Zeit brauchen. Also dass die
Mobilitäten von Männern mit Kindern
ähnlich komplex werden wie
jene der Frauen, das ist etwas, das
werde ich vermutlich nicht erleben.
Wie sehen Sie die Zukunft der Alltagsmobilität?
Wenn ich mir Mobilität ganz allgemein
ansehe, über diese Studie hinausblickend,
habe ich den Eindruck,
dass zu Fuß gehen wieder wichtiger
wird und sich das Verhalten insgesamt
verändert. Also der Trend geht
in Richtung multimodale Mobilität.
Haben Sie sich Ihre eigene Mobilität
angesehen?
Ja.
Überrascht?
Ja, doch. Denn es ist mir aufgefallen,
dass es ein langer Weg ist, und einer,
wo ich unterwegs viele Dinge mitnehme.
Distanz
31
1 2 3 4 6 7 8 9 10 11 12 13 14 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
32
Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
PARKOUR
ist eine aus den 1980er-Jahren
in Frankreich entstandene Sportart.
Ihr Ziel ist es, durch elegante, effiziente,
geschmeidige und flüssige Bewegungen alle
Hindernisse zu überwinden, die sich dem Traceur –
der ausübenden Person – in den Weg stellen.
Distanzen werden charakteristisch ohne Hilfsmittel
und Veränderung der Umgebung überwunden.
Der Traceur nimmt dazu auf kreative Weise andere
Wege, als sie architektonisch vorgegeben sind.
In seiner ursprünglichen Form ist der Parkour
keine Akrobatik sondern die Philosophie,
die eignen durch Körper und Umwelt
gesetzten Grenzen zu erkennen
und zu überwinden.