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Regeln

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 04/2013

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 04/2013

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Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC

Ausgabe 04/2013

Regeln

Regeln

1


Regeln

Was kann

das Internet der Dinge?

Neben dem Menschen, der Daten ins

Internet einspeist und auf Endgeräten wie PC

und Smartphone wieder nutzt, werden künftig auch

immer mehr Maschinen ins Internet einsteigen und

somit „intelligent“ werden. Bis 2020 sollen weltweit

50 Milliarden Geräte 1 untereinander vernetzt sein:

Waschmaschinen werden sich selbstständig

einschalten, wenn der Strom gerade am günstigsten

ist, oder die Fenster schließen von selbst, bevor

der Regen kommt. Der Begriff „Internet of Things“

wurde 1999 von Kevin Ashton erfunden,

ein High-tech-Entrepreneur, der auch mit

dem Massachusetts Institute of

Quellen:

1 Cisco IBSG

2 VwGH 1448/62 VwSig 5.963 A = ZVR 1963/304

3 BRalpha.de

Technology (MIT)

zusammenarbeitet.

Impressum und Offenlegung

Was ist

die Wissenschaft

Komplexer Systeme?

Komplexe Systeme sind weit verbreitet, in

der Biologie genauso wie im Sozialen: Das

Gehirn besteht aus stark miteinander verflochtenen

Zellverbänden. Auch menschliche

Gesellschaften gelten als komplexe Systeme, weil

Individuen in vielfältiger Weise miteinander in

Beziehung treten. Die Wissenschaft

Komplexer Systeme erforscht Muster und

Regeln in der Wechselwirkung der

unterschiedlichen Teile. Größte

Herausforderung: Komplexe

Systeme verhalten

sich nicht linear.

Medieninhaber und Herausgeber

Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC),

Schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0

www.oeamtc.at

ZVR-Zahl: 730335108, UID-Nr.: ATU 36821301

Vereinszweck ist insbesondere die Förderung der Mobilität unter

Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.

Rechtsgeschäftliche Vertretung

DI Oliver Schmerold, Verbandsdirektor;

Mag. Christoph Mondl, stellvertretender Verbandsdirektor.

Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbh

Chefredaktion Mag. Gabriele Gerhardter (ÖAMTC),

Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)

Chefin vom Dienst Silvia Wasserbacher-Schwarzer, BA, MA

Gibt es immer

mehr Regeln?

Seit 2007 setzt die EU

auf Bürokratieabbau: Verwaltungslasten,

die aus neuen EU-Regelungen resultieren,

sollten um 25% reduziert werden, hieß es

damals. Dennoch nimmt insgesamt die

Regeldichte nicht ab: Allein in Österreich

hat der Nationalrat zwischen Herbst 2008

und Juli 2013 647 Gesetze verabschiedet.

Wie viele alte, ungenutzte Gesetze

in dieser Zeit gestrichen wurden,

ist hingegen

unbekannt.

Sind Regeln und

Intuition ein Widerspruch?

Eine Regel ist der Ausdruck bestimmter

Gesetzmäßigkeiten, Erfahrungen und Erkenntnisse.

Ihr Entstehungsprozess kann rational

nachvollzogen werden. Intuition hingegen bedeutet,

ohne rationalen Erkenntnisweg zu einer Entscheidung

zu kommen. Man verlässt sich auf seine Eingebung.

Überraschend: Auch in einer streng regelgeleiteten

Wissenschaft wird die Intuition als anerkannte

Quelle der Kreativität und des Erkenntnisweges

genutzt. So sind etwa die Physiker Hans Peter

Dürr und Anton Zeilinger überzeugt 3 ,

dass das Neue nur mithilfe von

Intuition geboren

werden könne.

Was sind

Lead User?

Userinnovatoren (oder Lead User)

entwickeln Lösungen für eigene Bedürfnisse,

weil der Markt ihnen nichts Passendes bietet.

Ein Beispiel ist das Mountainbike:

Der US-Amerikaner Gary Fisher erfand in den

1970er-Jahren ein stabiles Fahrrad, das auch die von

ihm geliebten Bergab-Rennen überstand. Seit 1986

wurde die Lead User Method vom MIT-Professor Eric

von Hippel zu einer wissenschaftlich fundierten

Innovationsmethode entwickelt. Heute befassen sich

Forscher auf der ganzen Welt mit dem Phänomen

der User Innovation, da es für kommerzielle

Anbieter sehr interessant sein kann,

besonders innovative Anwender

frühzeitig aufzuspüren und

mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Was ist ein

Verkehrszeichen?

Ein Verkehrszeichen ist laut

Verwaltungsgerichtshof ein stabil

angebrachtes Zeichen, „das auf einer

Straße mit öffentlichem Verkehr angebracht

und schon nach seiner

gesamten Aufmachung

dazu bestimmt ist, den

Verkehr an dieser

Straßenstelle

zu regeln“. 2

Wer erfand

die Ampel?

Das erste Patent für eine Ampel

meldete der amerikanische Ingenieur

Earnest Sirrine am 28.04.1910 an (Patent Nr.

US 976 939 A). Wie so oft bei Erfindungen ist

jedoch zweifelhaft, ob er tatsächlich der erste

war. Denn bereits 1868 soll in London eine

mechanische Gaslaternenanlage mit rotem und

grünem Licht installiert worden sein. Unsere

heutigen Verkehrslichtsignalanlagen sind jedenfalls

standardisiert und unterliegen den

Vorgaben der ÖNORM (z.B. ÖNORM

V 2020 – Installation von Verkehrslichtsignalanlagen

(VLSA) –

Neubau, Umbau und

Verlegung).

Wozu eine

Signalschau?

Alle zwei Jahre wird behördlich

überprüft, ob Einrichtungen,

die zur Regelung und Sicherung

des Verkehrs dienen (z.B. Verkehrszeichen,

Ampeln), noch erforderlich

sind. Dieser Vorgang wird als

Signalschau bezeichnet und

ist in §96 Abs 2 der StVO

festgelegt.

Mitarbeiter dieser Ausgabe Dipl-Bw. Maren Baaz, Margit Hurich, Mag. (FH) Christian Huter,

Mag. Claudia Kesche, Mag. Uwe Mauch, MMag. Ursula Messner, Dr. Daniela Müller, Dr. Ruth

Reitmeier, Martin Strubreiter, Mag. Fritz Pessl, Mag. Julia Schilly, Katrin Stehrer, BSc,

Theresia Tasser, DI Anna Várdai, Silvia Wasserbacher-Schwarzer, BA, MA

Grafikdesign, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation, Barbara Wais, MA

Fotos Karin Feitzinger

Korrektorat Mag. Christina Preiner, vice-verba

Druck Hartpress

Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.

Ausgabe 04/2013, erschienen im Oktober 2013

Download www.querspur.at


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Heute

Die Regelbrecher

Ob im Hausbau oder bei Versicherungen

– wer unzufrieden mit bestehenden

Regeln ist, muss neue schaffen.

Von Uwe Mauch

Keine Flamme ohne Rauch

Wer Regeln hinterfragt, kann rasch

auf Widerstand stoßen.

Von Daniela Müller

Weniger Regeln: Ein Vorteil

Um in der Katastrophe einen kühlen

Kopf zu bewahren, braucht es vor

allem Menschen, denen man blind

vertrauen kann. Gerry Foitik über

das Management außergewöhnlicher

Situationen.

Von Fritz Pessl

Bewegungsmuster

Von Fußgängerströmen, flexiblen

Verkehrsanzeigen und Flugzeugaus

lastungssystemen.

Von Ruth Reitmeier

Unmissverständliche Signale

Kleines Lexikon der internationalen

Verkehrsregeln.

Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer

Morgen

Maschinengeflüster

Das Internet der Dinge gibt Werkstoffen

ein Gehirn: Sie wissen, was aus

ihnen werden soll. Die Produktion

der Zukunft steuert sich somit selbst.

Von Ruth Reitmeier

Weniger Grenzen, mehr Leben

Was Design im Straßenraum verändert.

Von Martin Strubreiter

Start-ups

Spannende Ideen zum Thema Regeln.

Von Katrin Stehrer

Spielregeln des Überlebens

Schwarmintelligenz: Wenn Roboter

von Ameisen lernen.

Von Julia Schilly

Mobilität kann man nicht in

Kilometern messen

Verkehrskonzepte als Veränderungsmotor

einer Gesellschaft. Der Mobilitätsforscher

Stephan Rammler im Interview.

Von Daniela Müller

Mit Hand und Fuß

Künstliche Arme und Beine rücken

dank fortschreitender Technologien

immer näher an ihre natürlichen

Vorbilder heran.

Von Theresia Tasser

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Foto: © festo.com Foto: © Karin Feitzinger

Foto: © Rotes Kreuz Foto: © wavebreakmedia

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Regeln

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Maschinengeflüster

Prozessor

GPS

Audio-In

Interne Festplatte

Optik

Externe Lautsprecher

Emotionsdisplay

Audio-Out

Umweltsondierung

Sauerstoffansauger

Treibtoffzufuhr

Antriebsbatterie

Steuerungselement

Reproduktionseinheit

Greifarm

Steuerungselement

Energieumwandler

Feinsensorik

Reproduktionseinheit

Transportmechanismus

4

Temperatursensor

Transportmechanismus

Bodenbeschaffenheitsanalyse

Foto: © Karin Feitzinger, Illustration: Barbara Wais


In der Produktion der Zukunft werden Materialien reden,

Maschinen Teamfähigkeit beweisen müssen und Menschen bloSS

noch dirigieren.

Von Ruth Reitmeier

Industrie 4.0 ist eines der ganz großen

Schlagworte der Zukunft und

steht ambitioniert für die vierte industrielle

Revolution. Nach der Dampfmaschine,

dem Fließband und dem

Computer ist nun die Wertschöpfungskette

im und über das Internet

der Dinge & Dienste angekündigt.

In der Fabrik der Zukunft denkt die

Maschine und der Mensch lenkt –

oder ist es umgekehrt?

In diesem neuen Industriezeitalter

werden Maschinenbau und Elektrotechnik

mit Informationstechnologie

verschmolzen und dabei entsteht

eine hochgradig flexible Fertigung.

Kunden werden Produkte zunehmend

nach individuellen Wünschen bestellen,

es wird eine Produktion von Sonderanfertigungen

sein. Das ist quasi

das Versprechen der Industrie 4.0,

und dies erfordert eine völlig andere

Art, Dinge herzustellen – in Fertigungsprozessen,

die sich weitgehend

selbst organisieren.

Das Kunststück:

Mehr Waren mit

weniger Rohstoffen

und Energie

„Die Schwierigkeit liegt dabei nicht

zuletzt in der Planung des Materiallagers“,

betont Andreas Kamagaew,

Abteilungsleiter für Automation und

eingebettete Systeme am Fraunhofer-

Institut für Materialfluss und Logistik

(IML). Die smarte Produktion in der Industrie

4.0 funktioniert nur im Zusammenspiel

mit intelligenter Logistik und

Materialwirtschaft, zumal in Zukunft

immer mehr Waren mit weniger Ressourcen

hergestellt werden müssen.

Dass sich etwa die Autoproduktion

grundlegend ändert, ist keine Idee

von Technikverliebten, sondern eine

Überlebensfrage für die Branche.

„Der Paradigmenwechsel, getrieben

durch die Ressourcenknappheit und

die daraus resultierenden Veränderungen,

wie zum Beispiel die E-Mobilität

in der Antriebstechnik erfordern

eine Neudefinition der Wertschöpfungsketten.

Deshalb müssen wir uns

von bestehenden Produktionsstrukturen

verabschieden“, betont Thomas

Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-

Instituts für Produktionstechnik und

Automatisierung IPA in Stuttgart.

FlieSSband adé:

Produktion ohne

Takt und Linie

Wie Pkw künftig gefertigt werden,

wird im Forschungsprojekt Arena

2036 an der Universität Stuttgart entwickelt.

Im Jahr 2036 feiert das Auto

seinen 150. Geburtstag. Termingerecht

soll die Neuerfindung seiner

Produktion stehen. Konkret: Es wird

eine Autoproduktion ohne Takt, ohne

Linie sein. Die Fahrzeuge werden in

Leichtbauweise aus Sekundärrohstoffen

(Recyclingprodukte) gefertigt

werden. Der Pkw wird keine linearverkettete

Produktion, sondern Sta -

tionen durchlaufen – eigenständig.

Deshalb wird das Auto zunächst

auf Räder gestellt und mit Kommunika

tions technologie ausgestattet werden.

Das rollende Chassis wird sich

selbst zu den einzelnen Produktionsstationen

aufmachen und dort den Impuls

zum weiteren Aufbau geben. Im

Unterschied zur klassischen Produktion

wird dies ein System sein, das

rasch auf Änderungen reagieren kann.

Jedes Fahrgestell

kennt seinen

Auftrag und baut

sich selbst auf

Das funktioniert freilich nur, wenn alle

dafür benötigten Informationen vernetzt

zugänglich sind. Im Internet der

Dinge hat deshalb jedes Teil einen Informationsträger,

auf dem seine spezifischen

Daten gespeichert sind: Wo

komme ich her, in welchem Zustand

bin ich, was soll aus mir werden? Die

Teile kommunizieren übers Internet in

der Cloud mit Maschinen und Menschen,

konfigurieren sich selbst und

speichern laufend neue Informationen

ab. Ganze Fabriken werden sich über

ein Touchdisplay überwachen lassen.

Bei vielen Herstellern löst der Blick in

diese Zukunft Euphorie aus. „Unternehmer,

mit denen ich persönlich gesprochen

habe, erwarten Effizienzvorteile

bis zu 50 Prozent“, betont Bauernhansl.

Diese Produktion ist lean (schlank

in der Produktion), clean, green (weil

ressourcenschonend) und digitalisiert

und das impliziert, dass sie schnell

und fehlerfrei sowie enorm wettbewerbsfähig

ist.

Getrübt wird die Freude von Ängsten

ob der Sicherheit der Daten, denn die

Industrie 4.0 kommt nicht ohne IT-

Cloud aus. Die Übertragung sensibler

Daten in virtuelle Rechenzentren

ist jedoch vielen Unternehmen nicht

geheuer. Vertrauensvolle Anbieter

Regeln

5


Abbildung: © DLR (CC-BY 3.0) Foto: © Annexrf, Collage: Barbara Wais

Das Industriezeitalter 4.0 ist schon

angebrochen: Im Internet der Dinge vernetzen

sich Geräte untereinander – im Haushalt

genauso wie in der Produktionshalle und

beim Transport.

Fortpflanzung inbegriffen: Software wird

sich künftig selbstständig weiterentwickeln.

Manche sprechen in diesem Zusammenhang

nicht mehr von Revolution, sondern von Evolution.

Die neue Rolle des Menschen: Er wird vom

Fabriksarbeiter zum Dirigenten.

sicherer Lösungen werden wohl eine

Schlüsselrolle auf dem Weg ins neue

Industriezeitalter spielen. Es gibt aber

auch brancheninterne Hürden. Damit

die Industrie 4.0 an Breite gewinnen

kann, sich entfaltet und Zusammenarbeit

möglich wird, werden sich Unternehmen

weltweit auf gemeinsame

Standards einlassen müssen.

die neue rolle von

fabriksarbeitern:

wertschöpfungsketten

dirigieren

Wo aber bleibt der Mensch? Tritt er

nur noch als Kunde in Erscheinung

oder aber als der eine, der in der

smarten Fabrik das Tablet in der

Hand hat? Experten versichern, dass

auch die intelligente Produktion nicht

ohne Menschen auskommt, die Rolle

des Fabrikarbeiters sich jedoch fundamental

ändern wird. Statt Fließbandarbeit

im Takt und an der Seite

klobiger Roboterarme wird der

Mensch in der smarten Fabrik primär

Leitungs- und Kontrollfunktionen

übernehmen.

Die Familie wird

öfters in die Fabrik

kommen

„Er wird nach wie vor im Mittelpunkt

dieser Fabrik stehen. Er wird der Dirigent

der Wertschöpfung sein“, meint

Bauernhansl. Auch wenn es niemand

ausspricht, wird die smarte Fabrik

mit weniger Beschäftigten auskommen.

Automatisierung bedeutet immer

auch Rationalisierung.

Mit der Industrie 4.0 kündigt sich laut

Experten zudem eine Kehrtwende

in der Standortwahl an. Nachdem es

sich dabei um eine nachhaltige und

saubere Produktion handelt, wird

sich die Fabrik in der Nähe ihres Personals

ansiedeln und das Zentrum ihres

Lebens bilden. Das erspart den

Mitarbeitern einerseits lange Wege

zwischen Wohn- und Arbeitsort, zugleich

werden die Grenzen zwischen

Berufs- und Privatleben zunehmend

verschwimmen und sich letzteres

stärker an den Arbeitsplatz verlagern.

Bauernhansl: „Die Familie wird künftig

öfter in die Fabrik kommen. Urbane

Produktion meint ja nicht zuletzt,

dass die Unternehmen auch den Familien

der Mitarbeiter etwas bieten.

Wenn die Schulkinder beim Mittagessen

in der Werkskantine den Eltern

von der Mathearbeit erzählen

und dann in der Nachmittagsbetreuung

des Unternehmens ihre Hausaufgaben

machen, werden die Eltern

vielleicht noch motivierter und leistungsfähiger

arbeiten, ohne wegen

familiärer Anforderungen unter Druck

zu geraten.“

Die ersten smarten Fabriken werden

in etwa zwölf Jahren zu besichtigen

sein. Die Industrierevolution kommt

also nicht über Nacht, es bleibt noch

6


ein wenig Zeit, die Gesellschaft auf

die Veränderungen vorzubereiten.

Diese sollte keinesfalls ungenutzt

verstreichen, betonen Technikphilosophen.

Zumal die Bevölkerung den

Wandel nur dann akzeptieren und

mittragen wird, wenn sie in die Entscheidungen

darüber eingebunden

ist. Werde dies verabsäumt, könne

es statt zur industriellen Revolution

zu gesellschaftlichem Widerstand

kommen. Nicht alle Involvierten verstehen

Industrie 4.0 als Revolution,

einige sprechen von Evolution. Wobei

die Weiterentwicklung primär

aus der IT kommt. Auf den Punkt gebracht:

Software wird sich künftig eigenständig

weiterentwickeln.

Fahrzeuge suchen

sich eigenständig

Aufgaben und Wege

Am praktischen Beispiel des Gepäck-Handling

auf Flughäfen: Die

Steuerung von Fördersystemen, zum

Beispiel das Anlaufen der Förderbänder,

funktioniert bereits heute weitgehend

automatisiert. Das klappt wie

geschmiert, es sei denn, der Flughafen

wächst und die Förderkapazitäten

für Gepäck geraten an ihre Grenzen.

„Denn bevor das bestehende System

auch nur um einen Meter Förderband

erweitert wird, müssen zunächst

zirka 300.000 Euro ins Programmieren

der Software gesteckt werden“,

betont Kamagaew. In Zukunft wird

sich bei einer Verlängerung des Förderbandes

dieses eigenständig an

die neuen Gegebenheiten anpassen.

Softwarelösungen werden also immer

besser werden (müssen) und adaptiv

reagieren. Konnten in früheren Forschungsprojekten

fahrerlose Transportfahrzeuge

nur entlang einer

Magnetspur steuern, nehmen sie

heute Umgebungsinformationen auf.

Am Fraunhofer IML wuseln in einer

großen Halle 50 solcher Fahrzeuge

herum, suchen sich eigenständig ihre

Aufgaben und Wege, ja rittern quasi

um neue Jobs. Wer ihn bekommt,

folgt klaren Regeln: Der Transporter

mit dem kürzesten Weg und/oder

dem vollsten Akku. Dieses System

organisiert sich selbst, es sei denn,

der Mensch greift ein und zieht einen

bestimmten Auftrag vor. „Der Mensch

und seine Entscheidung bleibt letztendlich

wichtiger“, betont Kamagaew.

Intelligente

Kiste meldet

ihren Füllzustand

Eine smarte Logistiklösung, die bereits

in Serie erzeugt wird, ist der intelligente

Behälter inBin, eine Kooperation

zwischen dem Fraunhofer IML

und dem Würth-Konzern, Spezialist

für Schrauben und kleine Montageteile.

Die tolle Kiste verfügt über ein

Display, Tasten, eine Funkschnittstelle

sowie eine integrierte Kamera und

beherrscht Energy Harvesting, das

heißt sie ist energieautark. Im Behälter

sind Zähl- und Bestellfunktion bereits

integriert, der Füllstand aller in

ihm befindlichen Artikel wird automatisch

ans Warenwirtschaftssystem

übermittelt. Geht eine Schraubenart

zur Neige, bestellt das Behältnis

selbst nach. Wird ein iBin gerade

nicht gebraucht, erteilt es den Auftrag,

abgeholt zu werden.

Der intelligente Container kann eine

kleine Kiste oder ein 40-Fuß-Container

mit einem Volumen von 67 m 3

sein, der Platz für mehr als 10.000

Schuhkartons bieten würde. Auch

Lufthansa Cargo entwickelt zurzeit

die Containerlogistik in diese Richtung.

„Man ist dadurch nicht mehr

von einem übergeordneten System

abhängig“, betont Kamagaew. Der

Container selbst ist das System.

Roboter scheitern

am Griff in

die Kiste

Zwar fallen jeder Automatisierung als

erstes die Routinejobs zum Opfer,

doch es gibt nach wie vor Tätigkeiten,

denen Maschinen einfach nicht gewachsen

sind und für die man trotzdem

keinen Hochschulabschluss

braucht – etwa Dinge aus der iBin

herauszunehmen. Roboter scheitern

kläglich am gezielten Griff in die Kiste.

„Es gibt eben kein universell einsetzbareres

Werkzeug als den Menschen“,

sagt Kamagaew. Der Mensch wird allerdings

künftig durch die Unterstützung

kluger, teamfähiger Maschinen

viel produktiver arbeiten. Smarte Lieferketten

und -systeme spielen naturgemäß

im Transport von Frischware

eine wichtige Rolle, vor allem dabei,

die nach wie vor hohen Verluste zu reduzieren.

Das passiert bereits heute,

etwa wenn Bananen während ihrer

Schiffsreise so kühl gelagert werden,

dass sie nicht weiter reifen, und erst

in der Lagerhalle am Zielort quasi

„aufgeweckt“ werden.

SMARTE LIEFERKETTE:

DER REIFEGRAD von

Obst ENTSCHEIDET

ÜBER DEN ZIELORT

Der Reifegrad von Obst wird an seinem

Ethylenausstoß bemessen. Im

Monitoring von Frischware liegt noch

enormes Optimierungspotenzial.

„Denn bis zu 50 Prozent davon kommt

verdorben im Geschäft an und wird

weggeworfen“, betont Christiane

Auffermann, Expertin für Handelslogistik

am Fraunhofer IML. Wird

jedoch bereits in Spanien der Reifegrad

der Tomaten gemessen, kann

der Großhändler kurzfristig entscheiden,

dass die Ware den Transport

nach Österreich nicht frisch überstehen

wird, und die Ladung stattdessen

regional verkaufen.

Auch in der Handelslogistik geht es

also in Zukunft darum, flexibler, nachhaltiger

und kosteneffizienter zu liefern.

So arbeitet Auffermann aktuell an

einem Projekt für drei deutsche

Lebensmittelhandelskonzerne. Von

einem gemeinsamen Hub aus werden

umliegende Geschäfte mit Waren aller

drei Anbieter beliefert. Damit wird

nicht nur die Auslastung der Transportfahrzeuge

erhöht, Touren können

effizienter geplant werden, und das

spart Zeit, Geld und Verkehr. •

Regeln

7


USERSTORY

Die, die es lieben,

Konventionen zu

brechen

Fotos: linke Seite: © Günter Lang; rechte Seite: © Karin Feitzinger

ÜBER ZWEI, DIE SICH NICHT MIT DEM

IST-ZUSTAND IHRER WELT ZUFRIEDEN

GEBEN WOLLTEN UND DAHER EINE

EIGENE LÖSUNG SCHUFEN. Von Uwe Mauch

Aktiv zum Passivhaus

Alle waren skeptisch. Damals, 1999: Der Bürgermeister

einer kleinen Salzkammergut-Gemeinde, weil er sich um das

Ortsbild sorgte. Der Rauchfangkehrer, weil in seinem Weltbild

kein Haus ohne Notkamin vorgesehen war. Die Kollegen

des Bautechnikers, weil man einen kreisrunden Messestand

nie und nimmer in ein Einfamilienhaus, noch dazu in ein Passivhaus,

verwandeln kann. Die Fensterverkäufer bei diversen

Energiesparmessen, weil sie die Frage nach einem Passivhaus-Fenster

als die Frage eines Spinners abtaten. Und die

Kostenrechner, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass

man beim Ausbau eines Hauses mit bis zu 53 cm dicker Dämmung

Geld sparen und Lebensqualität gewinnen kann.

GÜNTER LANG, einer der ersten Passivhausbesitzer Österreichs

und Gründer einer Passivhaus-Consultingagentur,

lächelt zufrieden: „Ich war immer schon als Sturschädel bekannt.

Erst wenn mir so viel Skepsis entgegenschlägt, weiß

ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“

Den richtigen Weg beschreibt Lang so: „Mein Haus hat

nicht mehr gekostet als der Bau eines herkömmlichen Hauses.“

Der Verzicht auf alle Gerätschaften und Räume, die

man zum Heizen benötigt, habe sich vom ersten Tag an rentiert.

Und die Lebensqualität? Er schwärmt: „Wir haben in

Wien eine Wohnung. Beides probiert, kein Vergleich.“

Faktum ist auch: Hätte er sich an die Konventionen gehalten,

hätte er sein Haus nie bezogen, hätte er auch seine Consulting-Firma

nicht gründen können.

Viele sind skeptisch. Heute, 2013. Lang hat fertige Konzepte

erarbeitet, wie man Österreich in ein Passivland verwandeln

könnte, mit vielen Passivhäusern, die in Summe mit

weniger statt mit noch mehr Kraftwerken betrieben werden

könnten. Noch immer sieht er sich auf dem richtigen Weg.

Heute sagt er: „Meine drei Söhne geben mir die Kraft, gegen

die Widerstände weiter anzukämpfen.“

www.langconsulting.at

8


„Wir haben den Markt aufgemischt“

Nein, sie passt nicht ins Bild: Wer in der Welt der Versicherungen

das Sagen hat, kommt zu den Meetings,

in denen es um Millionen geht, niemals mit dem Fahrrad.

Und ist nie und nimmer eine zierliche, lockerselbstbewusst

auftretende Frau.

DIANA RADULOVSKI, mit ihren 27 Jahren schon eine

Grande Dame in der hiesigen Versicherungswirtschaft, versichert

mit einem ernsten Lächeln: „Ich liebe es, Konventionen

zu brechen.“

Liebe beruht auch auf eigenen Erfahrungen. Radulovskis Erfah

rungen waren in ihrer Kindheit von Armutsphänomenen geprägt.

Die Tochter eines Exportmanagers und einer Buchhalterin

war zum Zeitpunkt des kommunistischen Zerfalls gerade

fünf. „Aufgrund der Schließung vieler Staatsbetriebe haben

mein Vater, meine Mutter, mein Opa, meine Oma und meine

Tante ihre Arbeit verloren.“ Ihre Familie lebte dann von der Hand

in den Mund. „Wir haben in unserem Garten Obst und Gemüse

angebaut und die Ernte an unsere Nachbarn verkauft.“

Ihre Eltern waren daher gar nicht begeistert, als sie in ihrer

Tochter eine hochbegabte Schülerin sahen. Denn diese Schülerin

hatte sich in den Kopf gesetzt, ein teures Elite-Gymnasium

zu besuchen. Wer weiß, wo sie heute wäre, wenn sie den

Worten ihres Vaters gefolgt wäre: „Diana, du wirst dich auch

durchsetzen, wenn du in eine herkömmliche Schule gehst.“ Ist

sie aber nicht, weil sie sich nicht zum duldsamen Menschen

eignet. „Ich bin mit 13 von zu Hause ausgezogen.“

Heute sind Dianas Eltern, die ihre letzten Lew für ihre Schulbildung

ausgegeben haben, sehr stolz. Dabei hat es ihnen ihre

Diana lange nicht leicht gemacht.

Exemplarisch auch ihr Auszug nach Ägypten: „Bald nach der

Matura konnte ich ein Semester mit einem Stipendium an der

Universität in Klagenfurt studieren.“ Doch sie wollte länger

studieren als ein Semester, was nicht finanzierbar war, und in

Österreich arbeiten durfte sie damals auch nicht. Gegen den

Willen ihrer Eltern flog sie daher als Animateurin einer großen

Hotelkette ins ägyptische Hurghada. „Für mich war das wie

ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Ich war gerade 19,

durfte zum ersten Mal fliegen, und dann stand ich vor diesem

beeindruckenden Hotelpalast.“

Binnen kurzer Zeit stieg sie zur angesehenen Hotelmanagerin

auf. Wichtiger war ihr jedoch ihre Ausbildung. Daher kam sie

an die Wirtschaftsuniversität in Wien. Und musste erneut bei

Null beginnen: „Ich war in jedem Geschäft in der Mariahilfer

Straße und habe gefragt, ob es Arbeit für mich gibt.“ Es gab

nichts, und aus heutiger Sicht ist das auch gut so.

Während des Studiums, das sie in Mindestzeit abgeschlossen

hat, lernte sie ihren Mann kennen, der damals bulgarischen

Landsleuten Versicherungen verkaufte. Gemeinsam

setzten die beiden ihre eigene Idee um: „Die unübersichtlichen,

teils verwirrenden Angebote der großen und kleinen

Versicherungen genau zu vergleichen und unsere Ergebnisse

im Internet für alle zugänglich zu machen.“

Inzwischen ist ihr Online-Portal versichern24.at gut etabliert.

„Die Menschen, die bei uns die Angebote bequem vergleichen

können, lieben uns.“ Die erstaunlich Erfolgreiche, die

heute 15 Menschen – darunter auch ihrer Mutter – Arbeit geben

kann, geht auch in die heutige Sitzung völlig entspannt.

Sie weiß es, und auch die Herren in den Anzügen, von denen

sie einer einmal um einen Kaffee schicken wollte, wissen es

längst: „Keiner hat an die Idee, über das Internet Versicherungen

zu verkaufen, geglaubt. Die Bank wollte uns erst gar

keinen Kredit geben. Inzwischen kooperieren die meisten

Unternehmen mit uns. Wir haben den Markt aufgemischt.“

Schon hat Diana Radulovski ein zweites Portal eröffnet. Dort

vergleichen ihre Leute die Preisunterschiede der Strom- und

Gas-Anbieter. Was sie sonst noch vor hat, will die unkonventionelle

Unternehmerin noch nicht laut sagen. Wir dürfen gespannt

sein, und Versicherer und Energie-Anbieter sollten

sich schon einmal warm anziehen.

www.versichern24.at

www.stromgas24.at

Regeln

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Foto: © Karin Feitzinger


Keine

Flamme

ohne Rauch

Das Wiener Schnitzel ist paniert, das Mailänder wird mit

Spaghetti serviert. Konventionen regeln das Leben.

Doch muss man diese, beim Kochen wie auch sonst im Leben,

wirklich befolgen? Von Daniela Müller

Menschen befolgen Regeln. Beim

Autofahren, beim Arbeiten, beim

Kochen. Schert jedoch einer aus, kann

das ungemütlich werden: Der Koch

Bernhard Gössnitzer aus Eggelsberg

in Oberösterreich weiß darüber

eine Geschichte zu erzählen. Sie beschreibt,

wie heftig die Sanktionen der

Gesellschaft nach dem Ausbruch aus

dem Geordneten sein können. Und

wie wichtig es manchmal dennoch ist,

Regeln zu brechen.

Bernhard Gössnitzer kann kochen.

Auf sehr hohem Niveau. In sein kleines

Wirtshaus im Innviertel strömten

gleich zu Beginn seiner Karriere viele

Genussmenschen, die seine Küche

zu schätzen wussten. Darunter auch

Gourmetführer, die ihm bald eine

Haube aufsetzten. Auf der Straße zum

Erfolg missfiel ihm jedoch eines ganz

arg: Der Hummer-Gourmet-Hype

der 90er-Jahre. Als er an eine große

Tageszeitung einen Leserbrief schrieb,

in dem er die Tierquälerei bei der Zubereitung

von Hummer anprangerte

– Hummer werden lebend gekocht –,

kam postwendend ein Brief vom großen

Gourmetführer, der ihn gerade

auf den Thron gehoben hatte, in dem

er den Revoluzzer zur Ordnung rief.

Daraufhin gab Gössnitzer seine

Haube zurück und entsagte sich

fortan jeglicher Kochbewertung

durch Gourmetführer. Seine eigenen

moralischen Vorstellungen in Bezug

auf Tierschutz waren ihm wichtiger

als das Urteil der Gourmetkritiker.

Seit diesem Schlüsselerlebnis definiert

er seine Küche strikt nach seinen

eigenen Vorstellungen und fährt,

gemessen am Zuspruch seiner Gäste,

gut damit.

TROTZ REGELBRUCHs

EIN GUTES GESCHÄFT

Regeln sind dazu da, gebrochen zu

werden, besagt ein Sprichwort. Doch

ganz so leicht ist es nicht: Vorschriften

werden in den meisten Systemen

und Gesellschaften nur selten infrage

gestellt, der Mensch wird in

das Regelwerk hineingeboren. „Eine

Ordnung lebt davon, dass sie nicht als

Ordnung thematisiert wird“, sagt der

Soziologe Stephan Lessenich von der

Universität Jena.

Schließlich haben Regeln wichtige

Funktionen für das Leben in der

Gemeinschaft: Sie geben vor, wie

sich die Mitglieder einer Gesellschaft

verhalten müssen (Gesetze), sollen

(Sitten) oder können (Gebräuche und

Gewohnheiten).

DER NATÜRLICHEN

UNORDNUNG

einen Riegel

vorschieben

Da sie für alle Mitglieder bindend

sind und das Verhalten wechselseitig

kalkulierbar machen, sorgen sie für

Ordnung und Stabilität und damit für

Handlungssicherheit: Der Einzelne

kann dann allerdings nicht mehr machen,

was er will. Doch er weiß, dass

sich auch die anderen an die Normen

zu halten haben. Nur so ist eine Gesellschaft

des Gemeinwohls möglich,

indem beispielsweise Steuern und

Sozialbeträge fraglos bezahlt werden.

„Mit gewissen ungleichen Voraussetzungen

muss eine Gesellschaft im

Wohlfahrtsstaat einfach leben, dass

also manche mehr aus dem System

nehmen als sie einbringen“, erklärt

Regeln

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Foto: © wavebreakmedia

Raus aus dem Silo einer Fachkarriere: Immer mehr Menschen orientieren sich beruflich um und starten etwas Neues. Solche Patchwork-

Karrieren werden heute noch vielfach als Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen gesehen. Doch das wird sich ändern.

Lessenich, „Es ist wie im Straßenverkehr.

Ich muss vertrauen, dass der

andere nicht ohne Vorwarnung die

Spur wechselt.“

An sozialen Verhaltensvorschriften

können wir ablesen, was einer Gesellschaft

wichtig ist. Problematisch

wird es allerdings, wenn die Gruppe

der Regelbrecher zu klein wird. Dann

herrscht zu viel Erstarrung und passiert

zu wenig Fortschritt. Und auch

umgekehrt: Gibt es zu viele Regelbrecher,

können Systeme kippen. Wenn

sich zum Beispiel mehr Menschen aus

(sozialen) Versicherungssystemen bedienen,

als es Einzahler gibt.

Für das Gemeinwohl sei es wichtig,

möglichst vielfältige Gruppen in einer

großen Sicherheitsgemeinschaft

zusammenzuschließen und die Risiken

auszugleichen, ist der Soziologe

überzeugt. Das kann allerdings neue

Vorschriften und Beschränkungen

bedeuten. Und auch neue Sanktionen

bringen: Weil es von der Gesellschaft

nicht in jedem Kontext goutiert wird,

sein eigenes Süppchen zu kochen,

werden Regelbrecher bestraft. Die

Geldstrafe für jene, die bei Rot über

die Ampel fahren, Haftstrafen für Gewalttäter

oder eben den erzwungenen

oder freiwilligen Ausstieg aus einer

Gemeinschaft bei Ungehorsam.

Erwünschtes

Verhalten wird von

der Mittelschicht

diktiert

Sanktionen verfolgen zwei Ziele: Einerseits

sollen sie Regelbrecher für

ihr Vergehen bestrafen, gleichzeitig

aber der Gemeinschaft auch zeigen,

was passiert, wenn man aus der Reihe

tanzt. Das betraf auch den Koch.

Wo es nur um Gewohnheiten oder

Gebräuche geht und nicht um Gesetze,

bestimmen informelle Regeln,

wie das erwünschte Verhalten aussehen

soll. Festgelegt werden diese

übrigens in den westlichen Gesellschaften

meist von der Mittelschicht:

Diese gibt seit den 1950er-Jahren vor,

wie und wann man heiratet, wie und

wo man wohnt, zur Miete oder im

Eigentum, welche Jobs hochwertig

sind und welche minderwertig. Die

Mittelschicht ist die am häufigsten

angestrebte Lebensform, zu der sich

immerhin 80 Prozent der westlichen

Bevölkerung zugehörig fühlen. Und

weil viele Menschen dieser Schicht

angehören wollen, handeln sie, wie

man es eben sollte. Essen, was gerade

angesagt ist. Unbewusst oder

bewusst.

„Viele Diktate der Gesellschaft muss

man hinnehmen, wenn auch zähneknirschend.

Wir leben eben auf

Geleisen, die wenig Fußmärsche und

Abseits-Tingeltangel zulassen“, sagt

der Koch Bernhard Gössnitzer.

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Foto: ©Christoph Wisser

Weg vom Massenstandard, hin zum Individualismus: In Sportarten wie dem Parkour ist es Programm, die Grenzen des Möglichen von

Mensch und Umgebung auszuloten und damit für sich selbst neue Regeln zu definieren.

Die Grenzen der Freiheit

Freiheit versus Regelvielfalt ist wie Yin und Yang, das eine braucht

das andere. Das Gegensatzpaar wechselt sich in der Gesellschaft in

regelmäßigen Zyklen ab, zuletzt kam nach der großen Freiheitsliebe

der 1960er- und 1970er-Jahre eine neokonservative Gegenbewegung.

Individueller als vor wenigen Jahrzehnten sind heute tendenziell

die persönlichen Biografien, weil im Leben mehr Entscheidungen als

früher getroffen werden müssen. Parallel dazu nehmen Meinungsmacher

wiederum Standardisierungen in der Mode, bei Musikstilen und

in der Freizeitbeschäftigung vor – mit klaren Anweisungen, was hip ist

und bei den anderen angeblich gut ankommt. Standardisierungen und

eine gewisse Konformität sind auch bei Lebenswegentscheidungen

zu finden, etwa welche Bildungszertifikate man erwirbt oder ob man

ein Auslandssemester absolviert. Tut man das nicht, gibt es Sanktionen:

Ein Schulabbruch schließt einen beispielsweise von bestimmten

Arbeitsmarktsegmenten aus. Individualismus und Konformität sind somit

stets ein Wechselspiel. Doch sobald im gesellschaftlichen Kontext

gedacht wird, ist ein System ohne Regeln ohnehin nicht denkbar.

Das sagte schon vor über hundert Jahren der französische Soziologe

Émile Durkheim. Unbeschränkte Freiheit sei unmöglich. Die eigene

beginne nämlich dort, wo die Freiheit des anderen aufhöre. Oder um

es mit Rosa Luxemburg auszudrücken: „Freiheit ist immer Freiheit der

Andersdenkenden.“

Wird etwas nur

gemacht, weil es

schon immer so

war?

Lob gibt es für Regelbrecher oder

solche, die Regeln hinterfragen,

nämlich kaum. Dabei wären sie ein

wichtiger Motor des Fortschritts: So

lange eine Gesellschaft nicht über die

bestehende Ordnung diskutiere, fänden

kaum Veränderungen statt, betont

Lessenich. Meist werde dieser Prozess

von Wissenschaftern und Forschern

ausgelöst, die als Warnmelder fungierten.

Allerdings brauche Veränderung

ihre Zeit: Der Soziologe ist überzeugt,

dass ein zu frühes Eingreifen – im

Sinn einer Veränderung der Spielregeln

– in den meisten Fällen nur

Widerstand wecke, etwa wenn man

aufgrund der Erkenntnis, dass CO 2

zu Umweltproblemen führt, nur mehr

Drei-Liter-Autos zulassen würde.

Die Zeit für neue Regeln kommt meist

erst dann, wenn in einer breiteren

Bevölkerungsschicht thematisiert und

wahrgenommen wird, dass ein kollektives

Problem besteht, etwa wenn

die Folgen von ungebremstem CO 2

-

Ausstoß wirklich nicht mehr geleugnet

werden können. Das macht es auch

der Politik so schwer, vorausschauender

zu agieren. Wobei in den meisten

Fällen im Nachhinein klar werde, dass

die Diagnose sogar zu spät erfolgte,

beobachtet der Soziologe Lessenich.

Doch das sei nun einmal die Logik des

Sozia len. Rechtzeitiges Ausbrechen

funktioniert nur dann, wenn viele

Menschen bedenkliche Regeln früher

hinterfragen. Veränderung durch

Nachfragen, was man unter Regeln

überhaupt versteht und wie sie zustande

gekommen sind, sei ein großer

Schritt vorwärts, sagt der Soziologe

Lessenich. „Wird etwas gemacht, weil

es schon immer so gemacht wurde?

Kennedy hat nicht

den einfachsten Weg

gewählt – weil er

etwas bewegen

wollte

Oder kann man mitbestimmen? Das

wäre Demokratie.“ Der unreflektierte

Umgang mit Regeln, bloßes Mit- und

Nachmachen ist auch für Gössnitzer

ein Greuel. Die Welt wäre mehr in

Ordnung, würde jeder seine Gedanken

dort einsetzen, wo sie für die

ganze Gesellschaft nützlich werden

könnten. „J.F. Kennedy hat es mit

folgendem Spruch schön beschrieben:

„We choose to go to the moon in this

decade and do the other things. Not

because they are easy, but because

they are hard.“ Das Einfache im Leben

ist nicht immer der einfachste

Weg, doch es sei wichtig, seinen eigenen

Weg zu finden und zu gehen.


Regeln

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„Wenige formale Regeln

sind ein großer Vorteil“

Foto: © Rotes Kreuz

Was gibt in der Katastrophe Sicherheit?

Entscheidend seien Sozialkapital und rasche Information,

die in Zukunft vermehrt von den Bürgern kommen werde,

sagt Bundesrettungskommandant Gerry Foitik. Von Fritz Pessl

Sie sind seit 2007 oberster Einsatzkoordinator

des Roten Kreuzes.

Welche Eigenschaften muss ein

guter Katastrophenmanager

mitbringen?

Er muss sein Handwerk beherrschen, gut

kommunizieren und darf keine Scheu

haben, seine Stärken und Schwächen zu

offenbaren. Und Entscheidungsstärke,

das heißt, mit unsicheren Informationen

rasch zu entscheiden. Den Mitarbeitern

vor Ort muss das Gefühl vermittelt werden,

dass jemand da ist, der die Situation

im Blick hat.

Im Katastrophenmanagement findet

man nur wenige Frauen. Warum ist

dieser Beruf so männerdominiert?

Das ist aus der Tradition erklärbar. Bis

vor zehn Jahren waren wenige Frauen

bei den Notorganisationen tätig. Beim

Roten Kreuz haben Frauen im Rettungsdienst

stark aufgeholt, einige sind schon

Kata strophenmanagerinnen. Sie sind

aber noch immer unterrepräsentiert.

Gibt es etwas, das Frauen im Katastrophenmanagement

besser machen als

Männer?

Die Stärke von Frauen ist, dass sie offener

kommunizieren. Sie senden mehr Ich-

Botschaften, ohne gleich zu befürchten,

das könnte als Schwäche ausgelegt werden.

Aber das ist der einzige Unterschied und

der ist marginal. In den meisten Fällen

würde mir nicht auffallen, ob eine Einheit

von einer Frau oder einem Mann geführt

wird.

Nach welchen Regeln funktioniert das

Management von Katastrophen?

Grundsätzlich dienen Regeln dazu,

für Menschen, die einander nicht oder

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Foto: © Rotes Kreuz

Ein großer Raum mit vielen Monitoren, Pinwänden, Telefonen und dicht

aneinander gestellten Schreibtischen, damit Informationen schnell dort

hinkommen, wo sie gebraucht werden: Die Katastropheneinsatzzentrale

ist Gerry Foitiks Arbeitsplatz. Er ist Bundesrettungskommandant des Österreichischen

Roten Kreuzes und verantwortlich für das länderübergreifende

strategische Katastrophenmanagement, das er mit einem bis zu

20 Personen umfassenden Führungsstab koordiniert. Zu den letzten großen

Einsätzen, die der 43-jährige Betriebswirt leitete, zählen das Schneechaos

in Ungarn im März 2013 und das Hochwasser im vergangenen Sommer,

bei denen mehrere Hundert Hilfskräfte unter seiner Verantwortung agierten.

nicht gut kennen, klare Rollen- und

Kompetenz verteilungen zu treffen. Und

transparent zu machen, damit jeder weiß,

was seine Aufgabe ist und was er sich

von anderen erwarten kann. In der Praxis

haben wir Rahmengesetze, welche die

Kompetenz an Fachdienste wie Feuerwehr,

Rotes Kreuz und Polizei übertragen.

Dabei ist nicht exakt definiert, wie

eine Menschenrettung oder eine Bergung

durchzuführen sind. Im Vergleich

zu Deutschland ist in Österreich extrem

wenig formal geregelt. Das ist ein großer

Vorteil.

Wenig Regeln und

starker Föderalismus

führen zu

Schlagkraft

Warum?

Es ist ein Vorteil, weil die Experten damit

vor Ort angepasst auf die Situation reagieren

können. Die Kombination aus geringem

Regelungsgrad und stark ausgeprägtem

Föderalismus führt zu einem sehr

schlagkräftigen System, weil Feuerwehrund

Bezirksrettungskommandanten nicht

lange in irgendeiner Zentrale fragen müssen,

ob sie etwas machen dürfen. In

Österreich werden Entscheidungen rasch

und schadensnah getroffen. Formale

Regeln werden ersetzt durch gute persönliche

Bekanntschaft der Experten,

die während der vielen Übungen und

Trainings entstehen. Wir wissen, dass wir

uns blind aufeinander verlassen können.

Sie sagen, in Deutschland sei die Katastrophenhilfe

formal viel strenger geregelt.

Welches System funktioniert besser?

Beide Länder sind gut vorbereitet. Die

Deutschen produzieren viel Papier, auf

dem viele Abläufe genau geregelt sind,

man kann gut nachschauen und nach diesem

Schema trainieren. In Österreich hat

man wenig Papier, man entscheidet mehr

in der Situation. Dafür gibt es viel an gemeinsamer

Tradition, Anerkennung des

Expertenwissens des anderen und die persönliche

Bekanntschaft. Zwischen Feuerwehr

und Rotem Kreuz bedarf es keiner

Formalitäten, es genügt ein Anruf. Die

Schwäche unseres Systems ist, dass fehlende

formale Abläufe einzelne Schritte

nicht mehr genau nachvollziehbar machen.

Wir machen das aber durch gute

Dokumentation wett.

Gehen wir von einem Massenunfall

in einem Tunnel aus. Wie werden

Rettungssysteme in einer unvorhergesehenen

Situation zum Laufen

gebracht?

Mit dem Eingehen eines Notrufes bei

einer Leitstelle werden automatisch alle

Einsatzorganisationen informiert. Die

Menschenrettung aus dem Tunnel ist

Sache der Feuerwehr. Sache der Rettung

ist es, die Verunglückten an einem Übergabepunkt

außerhalb des Gefahrenbereiches

entgegenzunehmen und zu

versorgen. Aufgabe der Polizei ist es, den

Gefahrenbereich abzusichern und Schaulustige

fernzuhalten.

Wichtig ist, die Chaosphase

möglichst kurz

zu halten

… damit in einer Phase großer

Unsicherheit alles seinen geregelten

Lauf nehmen kann.

Ja, denn jedes Ereignis hat eine unterschiedlich

lange Chaosphase mit großer

Unsicherheit. Diese besteht hauptsächlich

aufgrund mangelnder Information.

Ziel ist es, sich in sehr kurzer Zeit einen

Überblick über die Situation zu verschaffen.

Und natürlich werden bei jedem Massenunfall

auch Prozesse abgearbeitet, die

in den Organisationen standardisiert sind.

Diese Einsatzpläne sind zwischen den

Hilfsorganisationen abgestimmt. Man

kann sich das vorstellen, wie gemeinsames

Kochen. Beim ersten Mal wird man

viel miteinander reden müssen, damit bei

einem Vier-Gänge-Menü kein Chaos ausbricht.

Beim fünften Mal kennt jeder seine

Aufgaben. Aber das Rezept muss sitzen,

nach dem jeder sein Gericht kocht.

Gibt es Unterschiede zwischen längeren

Einsätzen und kürzeren Noteinsätzen?

Bei längeren zum Beispiel auch grenz-

Regeln

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Foto: © Rotes Kreuz

Im Katastrophenfall ist entscheidend, den Mitarbeitern vor Ort das Gefühl zu vermitteln, dass jemand da ist, der die

Situation im Griff hat. Die immer besser werdenden Möglichkeiten elektronischer Datenverknüpfung werden künftig bei

Einsätzen eine große Rolle spielen.

überschreitenden Einsätzen, wo mehr

Organisationen und oft auch Regierungen

anderer Länder eingebunden sind, wird

der Kommunikationsaufwand intensiver.

Der Ablauf für die einzelnen Hilfskräfte

und Kommandogeber selbst unterscheidet

sich nicht.

DAS AMERIKANISCHE

ROTE KREUZ NUTZT

SOCIAL MEDIA SCHON

SYSTEMATISCH

Was bestimmt den Erfolg des Katastrophenmanagements,

sind Regeln die

entscheidende Komponente?

Nein. Entscheidend ist, die eigene Aufgabe

gut zu beherrschen und richtig zu

kommunizieren. Zudem ist wesentlich,

dass die Bürger selbst gut vorbereitet

sind. Weil sie in einer Katastrophe

länger als sonst üblich auf sich allein

gestellt sind. Die staatliche Katastrophenhilfe

kann nicht überall gleichzeitig sein,

diese Ressourcen gibt es nicht. Daher

müssen Haushalte und Unternehmen

vorsorgen: Lebensmittel und Medikamente

bunkern beziehungsweise Notfallpläne

parat haben. Das ist oft der

entscheidende Faktor.

Können moderne Technologien bei

Katastropheneinsätzen helfen?

Ganz wesentlich sind Technologien, die

der Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Wir können uns mit den Facebook-Fotos,

die Menschen zum Beispiel bei einer Naturkatastrophe

innerhalb von Minuten

online stellen, sehr schnell ein Bild des

Ausmaßes der Katastrophe machen.

Beim letzten Hochwasser haben uns tausende

Fotos gezeigt, wo es in Österreich

wie schlimm aussieht. Wir müssen aber

erst lernen, diesen Kanal zu den Menschen

systematisch zu nutzen. Das amerikanische

Rote Kreuz hat bereits einen

eigenen Social Media Room, wo diese

Gruppen den ganzen Tag beobachtet und

online betreut werden.

vorhandenen

Datenmengen zu

verknüpfen wäre

ein groSSer Sprung

nach vorne

Und abseits des Internets?

Wir (das Rote Kreuz, Anm.) überlegen,

wie wir das gesamte Videoüberwachungssystem

im öffentlichen Raum für Zwecke

der Katastrophenhilfe nutzen könnten.

Um festzustellen, wie viele Personen in

einem U-Bahn-Zug sind. Oder mit einem

Video bild die Körpertemperatur der Menschen

messen, um festzustellen, ob eventuell

eine Grippeepidemie im Anmarsch ist.

Roboter beziehungsweise Drohnen sind

derzeit in aller Munde, auch in Ihrem

Bereich?

Roboter sind immer dort sehr nützlich,

wo es zu gefährlich ist, Menschen hinzuschicken.

Drohnen bringen den Vorteil,

dass sie einen Lageüberblick verschaffen.

Sie werden gelegentlich auch schon

eingesetzt, um Kameras in Positionen zu

bringen, die sonst nicht erreichbar wären.

Drohnen könnten auch als Relaisfunkstationen

genutzt werden. Das bedeutet, dass

sie Funk auch in funkfreien Zonen ermöglichen,

weil das Signal von der Luft

aus empfangen werden kann.

Gibt es etwas, was das bisherige

Katastrophenmanagement

revolutionieren könnte?

In technischer Hinsicht wird entscheidend

sein, die vorhandenen Datenmengen, die

Verkehrsbetriebe mit der U-Bahnüberwachung,

Banken oder Handybetreiber

schon gesammelt haben, für den Einsatzfall

zu verknüpfen und schneller verfügbar

zu machen. Damit könnten wir zum

Beispiel binnen Minuten wissen, wie viele

Passagiere sich in einem brennenden

U-Bahn-Zug befinden. Solche Systeme

zu nutzen lernen wir – gerade zum

Wohle der Menschen.


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Weniger Grenzen,

mehr Leben

Foto: © Karin Feitzinger

Weniger Verkehrszeichen und geringere Geschwindigkeiten,

mehr FuSSgänger und flüssigeres Fortkommen:

Gemeinschaftsstrassen erweitern die Möglichkeiten

im ohnehin knappen öffentlichen Raum.

Von Martin Strubreiter

Den norddeutschen Ort Bohmte

durchqueren täglich mehr als 12.000

Fahrzeuge, davon 1.000 LKW. Denn

die 400-Meter lange L81 führt mitten

durch den 13.000-Einwohner-

Ort. Ampeln und Verkehrsschilder

sucht man jedoch vergebens, denn

der Schilderwald wurde mit der Einrichtung

eines Shared Space bereits

2008 gelichtet.

Dadurch wurde der Verkehrsfluss

verbessert und den Menschen in

der Kleinstadt mehr Lebensqualität

er möglicht, Dauerlärm und starke

Schadstoffbelastung gehören der

Vergangenheit an. Intelligentes Design

statt Gebots- und Verbotstafeln

ist seither die Devise. In ihrer Funktion

seien Verkehrsschilder ohnedies nur

zweite Wahl, wie Verkehrspsychologin

und Universitätslektorin Lilo

Schmidt weiß: „Verkehrsschilder

müssen kognitiv erfasst werden, also

durch kurzes Nachdenken, während

beispielsweise Bodenmarkierungen

und Fahrbahngestaltung intuitiv und

daher viel direkter und schneller wirken.“

Die Fahrbahn sagt einem quasi

während des Fahrens ein, wie man

sich verhalten soll. Ein potenzielles

Regeln

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Foto: © gehlarchitects.com

Unterschiedliche Konzepte und Namen

Viele Namen sind im Umlauf, um die von allen Verkehrsteilnehmern benützte

Flächen zu beschreiben, zum Beispiel:

Das Shared-Space-Konzept, am niederländischen Keuning Instituut

unter Hans Mondermann erarbeitet, ist mittlerweile ein eingetragenes

Markenzeichen. Die ersten Ansätze kamen völlig ohne Verkehrszeichen,

Bodenmarkierungen oder Ampeln aus.

Das Berner Modell setzt auf Koexistenz statt Dominanz, alle Beteiligten

erarbeiten die optimale Lösung gemeinsam. Ziel ist Vermeidung

und Verlagerung von KFZ-Verkehr und die verträgliche Abwicklung

des verbleibenden Verkehrs.

In Begegnungszonen sind Fußgänger und Radfahrer zum Benutzen

der gesamten Verkehrsfläche befugt und gegenüber anderen Fahrzeugen

mit Ausnahme der Straßenbahn im Vorrang. Dieser ursprünglich

in der Schweiz definierte Begriff wird derzeit auch in Österreich

so verwendet.

In Koexistenz- und Mischverkehrszonen ist die Geschwindigkeit

auf 30 km/h beschränkt, Autofahrer und Fußgänger teilen sich die Verkehrsfläche

in verträglichem Miteinander.

Der Versuch, alle diese Flächen mit einer einheitlichen Definition und

einheitlichen Rechten und Pflichten zusammenzufassen, führt zum

Vorschlag des Kuratoriums für Verkehrssicherheit, den Überbegriff

„Gemeinschaftsstraßen“ einzuführen.

Im Bild: Das Projekt New Road in Brighton, Großbritannien

Zukunftsmodell also, weil der Lernprozess

der Nutzer viel kürzer ist. Es

ist wie mit leicht bedien baren Smartphones,

Homepages oder dem von

Regalen geleiteten Weg durch den

Supermarkt: Was intuitiv erfasst wird,

braucht keinen kognitiven Zwischenschritt

und erschließt sich schneller.

Geistige Barrierefreiheit sozusagen.

SMARTE GESTALTUNG

FÜHRT ZU

ERWÜNSCHTEM

VERHALTEN

Ein umfassendes Modell, bei dem

Design im Straßenverkehr zum Einsatz

kommt, sind Gemeinschaftsstraßen –

ein Sammelbegriff, der aufgrund der

relativen Neuartigkeit des dahin terliegenden

Konzeptes gern verwendet

wird. Er steht für mehrere ähnliche

Modelle, bei dem unterschiedliche

Verkehrsteilnehmer Flächen gemeinsam

nutzen können (siehe Infobox).

Dabei steht bei Shared Spaces die

Sicherheit im Vordergrund; beim so

genannten Modell der Koexistenz

geht es um das flüssige Vorankommen

aller Verkehrsteilnehmer; bei Begegnungszonen

liegt der Fokus auf

der gesteigerten Aufenthaltsqualität

auf der jeweiligen Straße, die zum

Verweilen einladen soll. Allen Modellen

liegt zugrunde, dass die jeweilige

Zone überwiegend durch ihre Gestaltung

suggeriert, welches Verhalten

erwünscht und angebracht ist.

UNSICHERHEIT

ERHÖHT

SICHERHEIT

Essenziell ist die Oberflächengestaltung

der Verkehrsräume, die eine gewisse

Struktur aufweisen: Die Übergänge

der Flächen sind sanft und frei

von schroffen Randsteinen, damit der

Eindruck einer ungeteilten Fläche erhalten

bleibt. Die Fahrbahn sollte

zwar Platz für entgegenkommende

LKW bieten, durch farbliche Gestaltung

jedoch eng erscheinen, damit

Fahrzeuglenker ihre Geschwindigkeit

reduzieren. Auch visuelle Barrieren

wie zum Beispiel die quer zur

Fahrtrichtung verlaufenden, andersfarbigen

Streifen wie jene des Grazer

Sonnenfelsplatzes oder die Rhomben

auf der Londoner Exhibition Road

wirken bremsend. Fußgänger dürfen

überall queren. Der Ansatz funktioniert

auch deshalb, weil fehlende Verkehrszeichen

zu einer gewissen Unsicherheit

bei den Menschen führen. Paradoxer

weise steigert diese wiederum

die Umsichtigkeit und gegenseitige

Rück sichtnahme, weshalb die Sicherheit

schlussendlich erhöht wird. Auch

entwickeln Verkehrsteilnehmer gegen

intuitiv Erfassbares kaum Widerstand,

gegen Regeln, die sie als solche

empfinden und befolgen müssen,

eher schon. Und Hans Monderman,

als Erfinder des Shared Space einer

der Pioniere der Gemeinschaftsstraßen,

postulierte, dass die übermäßige

Regulierung des Verkehrs dazu führe,

dass sich Verkehrsteilnehmer ihrer

Verantwortung entledigt sähen. Ohne

Regelung durch Ampeln und Schilder

aber müsse man die Verantwortung

wieder selbst wahrnehmen.

DESIGN KANN

ANGSTRÄUME

REDUZIEREN

Neben der Bodengestaltung innerhalb

von Gemeinschaftsstraßen vermittelt

die sogenannte Möblierung

Regeln gleichsam intuitiv: Bänke und

Pflanzen laden zum Verweilen ein, die

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Pflanzen sind aber niedrig, um keine

Sichtbarrieren zwischen den Verkehrsteilnehmern

aufzubauen. Auch der

Einsatz von Licht ist wichtig. Lilo

Schmidt: „Mehr Licht ist nicht nötig,

aber es muss besser strukturiert sein.

Kritische Zonen, sogenannte Angsträume,

sollen nachts heller ausgeleuchtet

sein, um Fußgängern und

Radfahrern die Furcht vor dem Unterwegssein

zu nehmen.“ So werden

Straßen auch bei Dunkelheit von verschiedenen

Verkehrsteilnehmern genutzt.

BLICKKONTAKT BEI

TEMPO 100 IST

UNMÖGLICH

Sind durch Design geregelte Gemeinschaftsflächen

also künftig ein

Allheilmittel gegen Lärm, Verkehrsunfälle

und das Sterben von Einkaufsstraßen?

Die Antwort fällt eindeutig

aus: Nein, denn Straßen haben unterschiedliche

Funktionen und damit

unterschiedliche Geschwindigkeiten.

Lilo Schmidt: „Je schneller der Verkehr,

umso mehr werden klar festgelegte

Regeln gebraucht. Höhere Geschwindigkeiten

machen es praktisch

unmöglich, in der Situation über Gesten

und Blicke zu kommunizieren.“

Deshalb ist auch am Flugfeld, wo

Schnelligkeit und Sicherheit absolute

Priorität genießen, jede Bewegung

der Flugzeuge streng geregelt und

daher sind Autobahnen aus der Umsetzungspalette

intuitiver Erfassung

ausgeschlossen: Dort stehen Verkehrsschilder

mit Recht, wie auch

der Niederländer Hans Monderman

stets betonte.

Potenzial vor

allem im Ortsgebiet

Gemeinschaftsflächen sind kein One-

Fits-All-Konzept, sie müssen individuell

geplant werden: „Der Ersatz

von Regeln durch Design ist besonders

innerhalb von Ortschaften möglich,

wo Autos grundsätzlich langsamer

fahren“, erklärt Ursula Faix von

bad architects, Ko-Autorin der Studie

Shared-Space-Konzepte * . „Wir haben

nämlich herausgefunden, dass

Shared-Space-Konzepte vor allem

dann sinnvoll sind, wenn das KFZ-

Aufkommen bei unter 25.000 KFZ

täglich bleibt, auch Radfahrer und

Fußgänger in großer Zahl unterwegs

sind, die Straße von Fußgängern gerne

gequert wird und nur geringer

Parkplatzbedarf besteht.“

Weltweit gibt es eine unzählbare

Menge an Gemeinschaftsstraßen.

Eines davon ist die New Road in

Brighton, Großbritannien, eine Einkaufsstraße

mit schachbrettartigem

Belag. Das 2007 realisierte Projekt

hat den Autoverkehr um 93 % reduziert,

die Fußgänger um 62 % vermehrt,

der Fahrradverkehr hat um

22% zugelegt, die Verweildauer der

Menschen ist um 600 % gestiegen,

Verkehrsschilder oder Ampeln waren

dazu nicht nötig. Ein anderes Beispiel:

Die Exhibition Road im Zentrum von

London mit ihren Museen gilt seit der

Umgestaltung auch als freundlicher

Ort der Begegnung.

In Gleinstätten in der Südsteiermark

hat die Umgestaltung der Sulmtaler

Straße mit ihren Geschäften, der

Schule und dem Busbahnhof zum

Shared Space den Autoverkehr marginal

eingedämmt, die Fußgängerfrequenz

aber ist um fast 1.600 %

gestiegen, Zeichen einer als gleichberechtigt

empfundenen Nutzung:

Jetzt dürfen Fußgänger ja überall

queren, ohne Zebrastreifen oder

Ampel.

mit geschlossenen

Augen über

die Strasse

gehen

Im niedersächsischen Ort Bohmte

stiegen seit der Einrichtung des

Shared Space die Unfallzahlen.

Vizebürgermeisterin Sabine Buhr-

Deichsel begründet das mit einer

neuen Straßenlaterne, die beim

Rückwärtsfahren ständig umgefahren

wurde: „Die haben wir inzwischen

versetzt.“ Sie ist von der Sicherheit

der L81 überzeugt und traut sich sogar

mit geschlossenen Augen über

die Straße. Ihre Erfahrung: Ohne

Verkehrszeichen stellen sich die

Verkehrsteilnehmer stärker auf die individuelle

Situation ein. Das bestätigt

auch Lilo Schmidt: „Uns Menschen

fehlt es nicht an situationsabhängiger

Problemlösungskompetenz. Diese

wurde aufgrund der vielen Regeln in

unserer Welt nur ein wenig zurückgedrängt.“

Bei Bedarf sei sie aber nach

wie vor vorhanden. •

* Ursula Faix und Paul Burgstaller, bad architects group:

Shared-Space-Konzepte in Österreich, der Schweiz und Deutschland.

Herausgegeben vom Salzburger Institut für Raumordnung & Wohnen (SIR), 2012

Bad architects: www.bad-architects.gp/index.php?page=publicationdetails&projectID=85

New Road in Brighton: http://www.gehlarchitects.com/#/159503/

Exhibition Road in London: www.hamilton-baillie.co.uk/index.php?do=projects&sub=details&pid=75

Berner Modell: www.youtube.com/watch?v=anFjmW0TVo8&list=UU-GTEQOt6v50U-cg-ZshFTA

Zentrum Köniz bei Bern: www.youtube.com/watch?v=wn2NfUH0G-Q

Broschüre zur Definition der Gemeinschaftsstraßen: www.e5-salzburg.at/downloads/gemeinschaftsstrassen.pdf

Regeln

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innovatives online & offline

StART-UPs

Spannende Ideen aus aller Welt zum Thema REGELN.

Von Katrin Stehrer

////// Taxi per FuSSpedal ////////////////////////////////

Das Heranwinken eines Taxis kann in Megastädten zur nervenraubenden Angelegenheit

werden. Erleichterung könnte ein preisgekröntes Funksystem bringen, das sich

Studenten der Xi’an Universität für Design und Technologie (Ostchina) einfallen ließen:

Gehsteigkanten werden mit einem drucksensiblen Kommunikationssystem ausgestattet,

dessen Farbe von Blau auf Grün wechselt, sobald sich ein Kunde darauf

stellt und ein Taxifahrer den so übertragenen Funk angenommen hat. Die Realisierung

des investitionsintensiven Projektes hat einen guten Ausgangspunkt: Die Erfinder

holten sich den ersten Platz des anerkannten Red Dot Awards für Design in Singapur

in der Kategorie Public Space (öffentlicher Raum).

http://gajitz.com/conceptual-taxi-system-puts-civility-back-in-urban-transport

////// Tierisch flüssig ////////////////////////////////////

Ozan Tonguz, Telekommunikationsforscher an der Carnegie Mellon Universität in

Pittsburgh, USA übertrug eine Beobachtung aus der Tierwelt in die Verkehrstelematik:

Treffen Käferkolonnen aus verschiedenen Richtungen zusammen, wartet die

kürzere Schlange so lange, bis die größere Gruppe den Weg passiert hat. Auf diese

Logik baute Tonguz sein dynamisches Ampelkonzept Virtual Traffic Lights auf: Ein

im Inneren des Fahrzeugs installiertes grünes Licht signalisiert den Autos der längeren

Schlange das „Go“. Sobald die Kolonne kleiner geworden ist, erhält die nächstgrößte

Gruppe das OK zum Fahren. Eine US-amerikanische Autobahnverwaltungsgesellschaft

hat bereits Interesse gezeigt, die Idee im Straßenverkehr umzusetzen.

O.K. Tonguz, “Biologically Inspired Solutions to Fundamental Transportation Problems”,

IEEE Communications Magazine, l. 49, no. 11, pp. 106-115, November 2011.

http://gajitz.com/virtual-traffic-lights-inspired-by-insects-could-end-traffic-woes

////// Schwimmend ins Büro ///////////////////////////

Alex Smith und David Lomax, Architekten und Gründer von [Y/N]studios, wollen

dem 13,8 Kilometer langen Regent’s Kanal in London seinen ursprünglichen Zweck

zurück geben, Teil des innerstädtischen Verkehrssystems zu sein. Die unkonventionelle

Idee: Ein Swimmingpool, das sich über die gesamte Länge erstreckt, mit gefiltertem

Kanalwasser gefüllt ist und Pendlern dazu dient, ihren Weg zur Arbeit mit

Sport zu verbinden. Auch der Winter wäre für Sportmuffel keine Ausrede: Auf gefrorenem

Eis ließe sich die Strecke mit Eislaufschuhen befahren.

http://ynstudio.eu/filter/Projects

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Mit der Sonne um die Welt /////////////////////

Mit dem Flugzeug um die Welt, jedoch ausschließlich mit der Kraft der Sonne, auch

in der Nacht: 2015 soll es für das Projekt Solarimpulse nach zahlreichen Testflügen

so weit sein und das 90-köpfige Team rund um den Schweizer Piloten Bertrand

Piccard den Weltrekordversuch wagen. Das Flugzeug, das diese 25-tägige Reise

schaffen soll, ist im Vergleich zur Testversion mit 10.000 zusätzlichen Photovoltaikzellen

ausgestattet, die tagsüber genug Energie in die Akkus speisen, um die langen

Nachtstunden am Äquator überstehen zu können. Das Sonnenflugzeug hat 80

Meter breite Flügel. Sie sind um 20 cm breiter als jene des größten Passagierflugzeuges

der Welt, dem A380. Ein Wermutstropfen bleibt allerdings: Das Solar Plane

trägt nur eine Person.

www.solarimpulse.com

////// Faltbarer Lastenträger ///////////////////////

Der Cargo-Scooter kommt in den immer dichter werdenden urbanen Räumen gerade

recht: Mit erneuerbarer Energie betrieben, platzsparend und trotzdem genug Laderaum

um auch einmal einen größeren Einkauf zu transportieren. Kernidee des kalifornischen

Start-ups Lit Motors war es, den Motor in den Hinterreifen des Rollers zu integrieren,

damit der 50 × 50 × 50 cm große Stauraum, der einer Traglast von bis zu

90 kg standhält, realisiert werden konnte. Bemerkenswert ist, dass der Cargo-Scooter

auf die Hälfte seiner Größe zusammengeklappt werden kann, um auch in kleinen

(Stadt-)Wohnungen Platz zu finden. Die ersten 80 km/h schnellen Scooter sollen

noch 2013 um rund 5.000 US-Dollar erhältlich sein.

www.litmotors.com

////// Airbag für den Kopf /////////////////////////////

Anna Haupt und Terese Alstin wollten einen Fahrradhelm anbieten, der die Frisur

nicht zerstört und daher auch ohne Zwang gerne getragen wird. Ihr neues Produkt:

Ein modischer Schal, aus dem sich im Ernstfall ein Schutzhelm entfaltet – vergleichbar

mit einem Airbag im Auto. Millisekunden vor dem Aufprall stülpt sich der Hövding

(schwedisch für Häuptling) über den Kopf. Laut den Gründerinnen sollen eingebaute

Sensoren jede mögliche Gefahrensituation erkennen (außer wenn ein Gegenstand

von oben herabfällt). Zusätzlich enthält der Helm auch eine eingebaute Blackbox, die

den Unfallhergang speichert und damit zur Aufklärung beitragen kann. Der Helm ist

auf www.hovding.com für 399 Euro zu haben.

////// Strampeln, um zu Tanzen ///////////////////////

Strampeln, um zu tanzen, ist das Partymotto der Zukunft – zumindest, wenn es nach

dem Wiener Umweltverein IndyAct und dessen Projekt „BIKE IT ON“ geht. Mit sechs

umgebauten Elektrofahrrädern für Erwachsene und einem Kinderelektrorad können

bis zu 2.000 Watt Strom von den Besuchern selbst erzeugt werden – genug für mittelgroße

Events wie Musikkonzerte und Kinovorführungen. Neueste Erweiterung ist

die Kooperation mit dem Verein Gehsteigdisko: Das Partyvolk hört die Musik des DJs

über Fahrradstrom-betriebene Kopfhörer. Für lärmarme Wohnungspartys nur dann

geeignet, wenn die vorab kalkulierte Gästezahl eingehalten wird.

www.indyact.at

www.bike-it-on.at

Regeln

21


Geheimnisvolle

Spielregeln

des Überlebens

22

Foto: © Frank Wehrmann


Der Begriff Schwarmintelligenz verheiSSt Gutes – Doch nicht

immer ist das kollektive Gehirn stärker als der Einzelne.

Von Julia Schilly

Garri Kasparow war bereits 15 Jahre

ungeschlagener Schachweltmeister.

Da beschloss der Russe online gegen

die Weltbevölkerung anzutreten.

Die Partie galt als Experiment: Ob die

Zusammenarbeit vieler Menschen

zu einer höheren Leistung als der

des Einzelnen führen kann? Kollektive

Intelligenz oder Schwarmintelligenz

wird das Phänomen genannt,

wenn komplexe Systeme zu mehr als

die Summe ihrer Teile werden. Durch

Vernetzung entstehen unvorhergesehene

Qualitäten, die man mit Blick

auf die einzelnen Bausteine nicht erwarten

könnte.

Sozialverhalten

macht Ameisen immun

Ein gutes Beispiel ist der Ameisenstaat.

Eine einzelne Ameise hat ein

sehr begrenztes Repertoire an Verhaltens-

und Reaktionsmöglichkeiten.

Im Zusammenspiel wird sie jedoch

stark.

Die schwarmintelligente Waffe ist ihre

„soziale Immunität“, wie es die Ameisenforscherin

Sylvia Cremer nennt.

Die Nürnbergerin forscht am Institute

of Science and Technology Austria

(ISTA). Zum Beispiel stellt ein Ameisenbau

einen idealen Nährboden für

Epidemien dar. Dennoch kommt es

selten zu einem Ausbruch. Was dazu

führt, dass weibliche Ameisen in unseren

Breiten bis zu zwei Jahre, die

Königinnen sogar bis zu 25 Jahre alt

werden.

In einem Versuch klebte Cremer einer

Arbeiterin Sporen eines Pilzes auf

den Rücken, der einen Tag lang unschädlich

ist. Dann erst dringt er in

das Innere ein und tötet den Wirt.

Das Resultat des Tests: Alle Ameisen

änderten sofort ihr Verhalten

und widmeten sich spezifischen, teils

neuen Aufgaben. Die infizierte Arbeiterin

blieb den Larven fern, „Krankenpfleger“

putzten ihre Körperoberfläche

sowohl mechanisch als auch chemisch

mit Ameisensäure, wiederum

andere widmeten sich verstärkt der

Brutpflege. Die Krankenpflege löste in

der Gruppe eine Immunisierung aus.

Denn als fünf Tage später die anderen

Ameisen den Pilzsporen ausgesetzt

wurden, erkrankten weniger als in der

Vergleichsgruppe, in der es keine Vorbehandlung

gegeben hatte.

Die Robotik schielt schon länger auf

die erstaunlichen Fähigkeiten der kollektiven

Intelligenz im Tierreich. Am

Artificial Life Laboratory an der Karl-

Franzens-Universität in Graz wird

etwa daran gearbeitet, Schwarmintelli

genz auf Roboter zu übertragen.

Nach dem Vorbild der Honigbiene

sollen Roboter sich selbst organisieren

und untereinander effizient kommunizieren.

Roboter sollen

wie honigbieneN

kommunizieren

Bienen nutzen Tänze, um Information

über Ort und Beschaffenheit von

Nahrung auszutauschen. Zoologe

Thomas Schmickl und sein Team

simulieren dieses Verhalten bei

mobilen Robotern mit integrierter

Speicherkarte, welche die Roboter

an interessanten Orten mit Zahlen

anfüllen, ganz so als würden sie

Nektar trinken. Gleichzeitig geben

sie auch Daten an die anderen

Roboter um sich herum weiter. Je

größer der Datenaustausch zwischen

den Maschinen, desto schneller befinden

sich alle auf dem gleichen Wissensstand,

was wiederum bessere

Entscheidun gen des Einzelnen, wohin

er sich weiter fortbewegt, zur Folge

hat. Im Collective Cognitive Robots

Projekt (CoCoRo) nutzte Schmickl

dieses Wissen für den größten autonom

unter Wasser arbeitenden Roboterschwarm

der Welt. Dabei werden

Algorithmen aus der Kommunikation

von Ameisen, Bienen und Schimmelpilzamöben

angewendet.

Ameisenforscherin Sylvia Cremer vom

Institute of Science and Technology Austria (ISTA)

Wie funktioniert der

Informationsfluss bei

Ameisen eigentlich?

Cremer: Sie leben in kompletter

Dunkelheit. Die meiste Kommunikation

findet daher durch Pheromone statt.

Ein Wachs am Körper trägt Informationen

über Nestzugehörigkeit, Königin

oder Arbeitsbereich. Die anderen

Ameisen lesen das durch Abtasten mit

ihren Antennen.

Wird die Missachtung von

Regeln bei Ameisen sanktioniert?

Cremer: Ja, das wird „policing“ genannt.

Ein Beispiel: Im Normalfall produziert nur

die Königin Eier und sendet ein Fertilitätssignal

aus, das die Entwicklung der

Eierstöcke bei den Arbeiterinnen unterdrückt.

Falls dennoch eine Arbeiterin mit

der Eierproduktion anfängt, halten sie ihre

Kolleginnen so lange fest, bis sie ihre

Eierstöcke wieder zurückbildet.

Regeln

23


Foto: © CoCoRo

Der größte autonome Roboterschwarm der Welt:

Die Mini-U-Boote des Projektes CoCoRo sammeln

Informationen individuell und übertragen sie auf das

Gesamtsystem. Das ist effiziente Kommunikation

nach dem Vorbild eines Bienenschwarms.

Die Mini-U-Boote treffen dadurch

ihre Entscheidungen wie ein einziges

großes Gehirn und finden auf

effizien te Weise Lecks in Pipelines

oder Müllansammlungen im Meer.

Schwarmintelligenz

zur Erkundung

weit entfernter

Planeten

Langfristig gesehen könnten solche

Roboterschwärme sogar ferne Planeten

erkunden. Der große Vorteil

ist die Widerstandsfähigkeit eines

Schwarms: Viele kleine, eher simple

Roboter kosten genau so viel wie ein

großer, komplizierter Roboter. Bei

einem Schwarm ist die Wahrscheinlichkeit

jedoch größer, dass viele

während der Erkundungen intakt

bleiben.

Physiker Stefan Thurner, Leiter des

Instituts für die Wissenschaft komplexer

Systeme der MedUni Wien,

forscht zur kollektiven Intelligenz

beim Menschen. Alle Aktionen von

rund 400.000 Usern des Second-

Life-Computerspiels Pardus werden

dazu seit Jahren gespeichert. Wer

mit wem kommuniziert und in Interaktion

tritt, ist im normalen Leben für

keinen Mensch überschaubar. Über

Computer kann das Verhalten hingegen

gut analysiert werden. „Trotz

weitgehender Anarchie haben sich

Normen und Regeln herausgebildet“,

berichtet Thurner von den Auswertungen

des Computerspiels. Verblüffend

sei, dass nur zwei Prozent aller

Handlungen in der Gruppe aggressiv

seien. Die Spieler würden sich nämlich

schnell gegenseitig mit Spielausschluss

oder Ignoranz bestrafen,

wenn sich jemand nicht „ordentlich“

verhalte. „Wir haben jedoch erkannt,

dass die Aggression um ein Zehnfaches

steigt, wenn ein Spieler selbst-

Negatives erfährt“, sagt der Forscher.

Eins, Zwei, Schwarm –

ein Trugschluss

der Medien

Momentan wird der Begriff Schwarm -

intelligenz für die Erklärung verschiedener

Spielweisen menschlichen

Verhaltens vor allem im Internet inflationär

verwendet. Selten wird dabei

so wissenschaftlich vorgegangen

wie an der MedUni. „Die populäre

Berichterstattung kennt hingegen

nur drei Zahlenangaben: eins, zwei,

Schwarm“, kritisierte Autor Sascha

Lobo im Spiegel. Denn in den Foren

von Online-Medien seien viele User,

aber nur selten die Weisheit anwesend,

argumentiert er.

Schwarmintelligenz entsteht vielmehr

aus dem Zusammenspiel einer Gruppe,

welches nur unter effizienter Koordination

neue Qualitäten entwickeln

kann. Eindrucksvoll zeigt das zum

Beispiel das „Oregon-Experiment“:

Eindrucksvoller

Praxistest der

Gruppenintelligenz

Der Wiener Architekt Christopher

Alexander entschloss sich Ende der

60er-Jahre, die Platzierung der Gehwege

auf dem Gelände der Universität

von Oregon (USA) mit Hilfe der

Studierenden zu optimieren. Dafür

wurde Rasen gesät. Die abgetrampelten

Linien im Gras wurden als effizienteste

Straßen identifiziert und

geteert.

Und wie endete die Schachpartie gegen

Kasparow? Führte das geballte

Wissen der Menschen zum Sieg? Es

dauerte genau 62 Züge, und die Welt

war schachmatt. Zu homogen, zu unorganisiert

agierten die Gegner. Gemeinsam

können wir also auch dümmer

sein als das Individuum. •

Ameisenforscherin Sylvia Cremer: http://ist.ac.at/de/forschung/forschungsgruppen/cremer-gruppe/

Robotik am Artificial Life Laboratory: http://zool33.uni-graz.at/artlife/

Institut für komplexe Systeme: www.complex-systems.meduniwien.ac.at/people/sthurner/

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ewegungsmuster

Wie verhalten sich Menschen, wenn viele von ihnen an einem Ort

sind oder dorthin wollen? Vorhersagen sind komplex,

werden jedoch zwecks Steuerung immer wichtiger.

Von Ruth Reitmeier

komplexes einfach erklärt

////// FuSSgängerströme /////////////////////////////

Wenn bei Großveranstaltungen viele Menschen im Strom gehen oder sich ihre Bahnen kreuzen,

entstehen Fußgängerströme. Um dem Risiko von Staus und gefährlichem Gedränge vorzubeugen,

werden neuerdings Gesetzmäßigkeiten, die dem Verhalten der Fußgänger

zugrunde liegen, wissenschaftlich analysiert. Dafür werden Computersimulationen mit

Agent-Based-Models herangezogen: Die „Agents“, die simulierten Teilnehmer, wirken

dabei nach vorab definierten Regeln zusammen. Weil es dafür bisher jedoch keine brauchbaren

Grunddaten zu Fußgängerströmen gab, etwa ab welchem Personendurchsatz es

zum Stau kommt, führten Wissenschafter des deutschen Forschungszentrums Jülich unter

der Leitung von Armin Seyfried im Juni 2013 in Düsseldorf ein weltweit einmaliges Großexperiment

durch. Dabei wurden bis zu 950 echte Menschen losgeschickt, um ihr Verhalten

im Strom zu simulieren und den Übergang vom Stau zum Gedränge zu beobachten. Eines

der Ergebnisse: Um ein plötzliches Stehenbleiben Einzelner und damit das Entstehen

eines gefährlichen Staus zu vermeiden, müssten neben Leitsystemen vor allem die Attraktionen

im Raum so verteilt werden, dass Personen darauf zugehen und die Menge in Bewegung

bleibt, so Seyfried.

Am Ende der mehrjährigen Auswertung der 40 Terabyte Daten soll ein Tabellenwerk mit

handfesten Zahlen vorliegen, auf deren Basis Veranstalter ablesen können, ob eine Anlage

für einen geplanten Event auch geeignet ist.

www.fz-juelich.de/ias/jsc/EN/AboutUs/Organisation/CivilSecurityAndTraffic/_node.html

Bilder: www.fz-juelich.de / Asfinag: fotowerk aichner og / wikipedia.org: Rene Ehrhardt

////// Flexible Verkehrsanzeigen //////////////////

Weit fortgeschritten ist hingegen bereits die Auswertung der Verkehrsströme im Autoverkehr:

Daten zur aktuellen Verkehrssituation werden entlang der Autobahn über Sensoren

gesammelt, zudem liefert der Streckendienst der ASFINAG Informationen. Einige

Schaltungen erfolgen automatisch, andere werden in der zentralen Verkehrssteuerung in

Inzersdorf manuell eingegeben. Die dort tätigen Operatoren überwachen das Netz und greifen

im Ernstfall ein, indem sie etwa einen Tunnel auf Rot schalten, entsprechende Tempo- und

Umleitungsschaltungen vornehmen oder die Einsatzkräfte alarmieren. Über Verkehrsbeeinflussungsanlagen

– das sind dynamische Anzeigen – werden Autofahrer aktuell vor Gefahren,

Unfällen, Unwettern und entstehenden Staus gewarnt. Durch das Reduzieren der Höchstgeschwindigkeit

oder die Information über Alternativrouten soll der Verkehr im Fluss bleiben.

////// Flugzeugauslastung ///////////////////////////

Die Auslastung von Flugzeugen wird von Revenue Management Systemen gesteuert,

die Prognosen auf der Basis von Vorjahresdaten erstellen. Anhand dieser Zahlen wird die

Nachfrage für zukünftige Abflüge errechnet. Dabei geht es nicht allein um die möglichst hohe

Auslastung einer Maschine, wie man bei Austrian Airlines betont. Die Kunst liege darin, einen

optimalen Mix zwischen hochwertigen und günstigen Tickets zu erreichen. Die Prognosen

helfen zudem, die richtigen Maschinentypen einzusetzen. Neben der Auslastung der Passagierkabine

zählen auch Cargo und Post, beides einträgliche Geschäftsbereiche, zur Gesamtauslastung

eines Flugzeugs.

Regeln

25


„Mobilität kann man nicht

in Kilometern messen“

Wir sind im StraSSenverkehr auf Rüpelhaftigkeit programmiert.

Daran seien Verkehrsregeln mitschuld, erklärt der Mobilitätsforscher

Stefan Rammler vom Institut für Transportation

Design an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Das Gespräch führte Daniela Müller

Als vor eineinhalb Jahren in Graz der

erste Shared Space Österreichs eingerichtet

wurde, hieß es vielfach „Wozu

brauchen wir das?“ Was sagt das über

unsere Einstellung im Straßenverkehr

aus?

Hier muss man fragen, warum überhaupt

Shared Spaces gemacht werden.

Es gibt Studien, wonach es in Ländern

mit weniger Verkehrsschildern und

unreglementierterem Straßenverkehr

weniger Unfälle gibt als in Ländern

mit vielen Verkehrsregeln. Wo viel geregelt

ist, neigen wir gern dazu, bis

an die Grenze der Regelung zu gehen,

nach dem Motto „Das ist mein Recht!“

Das macht möglicherweise blind gegenüber

der Situation und meinem

Gegenüber.

Warum tun wir uns mit

Shared Spaces so schwer?

Möglicherweise, weil wir über 60, 70

Jahre intensiv produzierte Verkehrssicherheit

und -sozialisation hinter

uns haben. Vor der Massenmotorisierung

war die Straße ein Shared Space:

Kinder haben dort gespielt, Hühner

gegrast und Menschen ihre Siesta gehalten.

Erst im Zuge der Massenmotorisierung

brauchte es die funktionale

Differenzierung der Räume, die

Straße wurde als dominanter Raum

für das Automobil definiert, es kamen

Verkehrserziehung, Regeln, Überwachung

dazu, um das System der Automobilität

und des Hochgeschwindigkeitsverkehrs

sicher zu machen. Es

ging auch darum, verkehrsfunktionales

Verhalten, das wir von Natur aus

nicht haben, anzuerziehen. Eine alte

verkehrssoziologische Wahrheit heißt,

dass der Verkehr der Spiegel der Gesellschaft

ist. Und da sind wir stark

konkurrenzorientiert: Der Kräftigere

setzt sich durch, der Schnellere hat

Vorfahrt, jeder will schnell am Ziel

sein. Beim Shared Space müssen wir

plötzlich auf kooperativ umschalten.

GröSSere Vielfalt an

Mobilitätsangeboten,

die perfekt

interagieren

Sie leiten ein eigenes Institut für Transportation

Design an der Hochschule

für Bildende Künste in Braunschweig.

Braucht das Thema Mobilität Unterstützung

durch die Kunst?

Ich möchte lieber von kreativen Disziplinen

sprechen, von Design, Medien,

Kunstwissenschaften. Wir brauchen

in allen Zukunftsfragen Impulse von

außen, etwa bei Mobilität, Energie,

Ernährung, um zu lernen, wie man

anders mit den Themen umgehen

kann als bisher. Da geht es weniger

um Nachhilfe von der Kunst, sondern

um das Einbeziehen von Strukturen,

Prozessen, Abläufen mit großer Offenheit

gegenüber kreativen Prozessen.

Welchen Beitrag könnte Design für eine

zukunftsfähigere Mobilität leisten?

Einen großen. Angefangen bei der

Gestaltung der Fahrzeuge im Spannungsfeld

Design und Konstruktionswissenschaft,

mit neuen Materialien,

einer leichteren Bauweise, durch

Elektromobilität oder Automatisierungstechnologien.

Hier kann Design

wertschöpfend in Richtung ökologischer

Zukunft vorbereiten. Doch Design ist

immer nur der Diener von Entscheidungen,

die an anderer Stelle getroffen

werden. Ich persönlich vertrete

ein Design der Zukunft, das geteilt ist:

Carsharing, leichtere Fahrzeuge mit

Alternativantrieben, öffentlicher Verkehr,

Fahrräder.

Wie lange können wir uns

die Mobilität von heute noch leisten?

Leisten können wir sie uns schon lange

nicht mehr. Es stellt sich vielmehr die

Frage, ob wir den Klimawandel ernst

nehmen und auch die Tatsache, dass

ein großer Teil der Klima emission

durch den Straßenverkehr verursacht

wird. Wir erzeugen weiterhin Klimagase,

machen das Problem größer, erzeugen

in der Welt Elend und Armut

durch die Art, wie wir fossile Energien

extrahieren. Das sind hochgradig ungerechte

Systeme.

Was ist Ihre liebste Vorstellung

der Mobilität von morgen?

Wir müssen weg von „nur“ Automobil

zu einer größeren Vielfalt von Mobilitätsangeboten

auf Basis der Elektromobilität

in Kombination mit einem

gut ausgebauten und preisgünstigen

öffentlichen Verkehr, die perfekt interagieren.

Wenn ich Städte so baue,

dass ich vom Wohnort zur Arbeit eine

Stunde unterwegs bin, erzeuge ich

Mobilitätsbedarf. Wir messen Mobilität

nach wie vor in Verkehrsleistung,

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Foto: © © Nicolas Uphaus

Stefan Rammler ist Gründungsdirektor des Instituts für Transportation

Design (ITD) und Professor für Transportation Design &

Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Er arbeitet mit seinem Team an der Gestaltung einer zukunftsfähigen,

postfossilen Mobilität. Rammler versteht Mobilität

als unverzichtbare Grundlage unserer modernen Kultur und Gesellschaft

und gleichsam als Dreh- und Angelpunkt einer gesellschaftlichen

Modernisierung. Seine professionellen Ziele setzt der

Politologe, Soziologe und Ökonom auch privat um: Er ist multimodal

unterwegs und misst seine Mobilitätsleistung nicht an zurückgelegten

Kilometern, sondern daran, wie viele Erledigungen er auf

einer Wegstrecke gemacht hat.

also in Kilometern pro Kopf. Das sagt

nichts darüber aus, wie mobil ich bin.

Nach diesen Kriterien ist jemand, der

500 Kilometer in die Arbeit und zurück

nach Hause fährt, hoch mobil.

Jemand, der fünf Minuten mit dem

Fahrrad zur Arbeit fährt und dabei

noch fünf andere Wege macht, nicht.

Wir sollten Mobilität künftig als Erreichbarkeit

von Orten und Einrichtungen

definieren, statt als Verkehrsleistung

in Personenkilometern. Das

gehörte an den Anfang der Diskussion.

Durch Ausbrechen

aus der Routine und

Ausprobieren von

Neuem kann jeder

mitgestalten

Welche Rolle spielt der Einzelne?

Ich meine nicht, dass alle ihr Leben

radikal ändern müssen. Aber wir können

beginnen, die kollaborativen Angebote

zu nutzen, etwa Sharing-Angebote

oder Elektroautos, auch wenn es

erst einmal einen Routinebruch darstellt,

und einfach versuchen, Vorurteile

abzubauen und Neues auszuprobieren.

In der neuen Mobilitätskultur

wird sich einiges ändern. Doch nicht

jeder hat für eine massive Änderung

den finanziellen oder zeitlichen Spielraum,

etwa ein Weitpendler. Das ist

dann auch eine Frage der politischen

und raumplanerischen Gestaltung.

Wie sieht Ihre private Mobilität aus?

Wir haben den Wohnort so gelegt,

dass die Kinder zu Fuß oder mit dem

Fahrrad zur Schule fahren können.

Wir haben eine gute Fahrradflotte zu

Hause und einen Anhänger zum Einkaufen

sowie die richtige Kleidung.

Unser Auto nutzen wir nur eingeschränkt,

es ist alt und es abzuschaffen

lohnt sich nicht. Wir nutzen Sharingangebote

und fliegen nicht mehr, sondern

machen seit sechs Jahren dort

Urlaub, wo wir mit dem Nachtzug hinfahren

können. Wobei ich im Notfall

schon fliegen würde und das dann mit

Zahlungen für ein Aufforstungsprogramm

kompensieren würde. Wir

versuchen, vegetarisch oder vegan zu

leben, der Fleischkonsum verursacht

schließlich auch viel Mobilität. All das

reduziert den ökologischen Footprint

enorm und zeigt, dass man mit wenig

Aufwand viel erreichen kann.

Wenn Sie über die Mobilität von

morgen sprechen, was müssen

Entscheider künftig stärker mitdenken?

Design! Designer haben ein Bild von

der Zukunft der Gesellschaft, von Nutzerbedürfnissen

und von Konzepten

und Prototypen. Sie haben eine Übersetzungsfunktion

und kennen sich in

der Bedürfniswelt der Kunden gut aus.

Wir brauchen aber auch die IT, Techniker

und Ingenieure, da wir bei aller

Einsicht in die Frage der Lebensstiländerung

auch Gestaltungsaufgaben

technisch lösen müssen, etwa die Frage

der Antriebsformen. Wir brauchen

weiter die Sozialwissenschaften und

die Ökonomie, die über neue Wirtschaftsmodelle

und ein Weggehen

vom Modell der reinen Wachstumsökonomie

nachdenken.


Regeln

27


Mit Hand

und Fuß

Foto: © festo.com

Künstliche Arme und Hightech-Beine: Bionische Prothesen können

fast so viel wie menschliche GliedmaSSen und sollen in naher

Zukunft sogar echten Spürsinn entwickeln.

Von Theresia Tasser

Schnitzel schneiden, Weinflaschen

entkorken, Hemdknöpfe schließen.

Was für uns Zweihänder zum banalen

Alltag zählt, kann für Menschen mit einem

amputierten Arm recht schnell

zum Alptraum mutieren. Eine mechanische

Hand à la Goethes Götz von

Berlichingen stellt auch keine große

Hilfe dar. Mit traditionellen Prothesen

kann man zwar die Faust ballen und

damit auf den Tisch schlagen, aber

keine Schuhbänder binden. Bei komplexen

Bewegungsabläufen und feinmotorischen

Finessen geraten die

Ersatzarme unweigerlich an die Grenzen

ihrer mechanischen Möglichkeiten.

Erst die bionische Prothetik, eine

Kombination aus Medizintechnik,

Biologie und Neurochirurgie, die auf

der Reproduktion natürlicher Bewegungsmuster

basiert, ist alltäglichen

Anforderungen zunehmend gewachsen

und sorgt derzeit für einen Quantensprung

von Lebensqualität und

Bewegungsfreiheit.

von dädalus’ flügel

zur bionischen

hightech-prothese

Die Idee der Bionik, also der technischen

Umsetzung natürlicher Abläufe,

ist nicht ganz neu. Schon in der griechischen

Mythologie wurde das Thema

aufgegriffen – Dädalus hat sich an

der Imitation des Vogelflugs versucht,

als er seine Flügel baute. Eindeutig

neu und bahnbrechend sind allerdings

die Fortschritte der bionischen

Forschung und Entwicklung, die zu

laufend präziseren und funktionsgetreueren

Hightech-Gliedmaßen führen.

Die heuti gen „Handlanger“ haben

bereits aus reichend Potenzial, um im

wahrsten Sinn des Wortes mit dem

Menschen zu verwachsen: Targeted

Muscle Reinervation (TMR – ein Verfahren,

bei dem Nervenreste für die

bionische Prothese aktiviert werden)

und Pattern Recognition (Erkennung

von Mustern) sind zwei technologische

Errungenschaften, dank derer

die innovativen Phantomarme direkt

durch Gedankensteuerung reagiert.

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Foto: © fdpa/t mn

WENN DER EIGENE ANBLICK SCHMERZT

Wenn wir allmorgendlich in den Spiegel blicken, kann es vorkommen, dass unser Abbild

verkatert, übermüdet oder unfrisiert zurückschaut. Ein wenig erfreulicher, aber

dennoch vergänglicher Zustand. Was aber empfinden Menschen, die anstelle einer

Nase ein Loch besitzen, das freie Sicht auf das Gaumensegel gewährt. Oder die wegen

ihrer Einäugigkeit blöd angestarrt werden. Dagegen hilft nur ewige Einsiedelei

oder eine Epithese. Diese künstlichen Gesichtsteile zur Kaschierung fazialer Defekte

können zwar an einer Brille befestigt werden, aber sehr praktikabel ist diese Möglichkeit

nicht. Besser für den Patienten und dessen Selbstbewusstsein ist zweifelsohne

ein chirurgisches Implantat.

In Österreich werden künstliche Gesichtsprothesen nur im AKH Linz angebracht.

Gefertigt werden diese Kunststücke der menschlichen Maskenbildnerei meist von

Zahntechnikern mit Zusatzausbildung. Die Befestigung erfolgt mit Hautmagneten

und einem Titanstift im Knochen, was um vieles teurer als die Brillenvariante, aber

auch um vieles menschenwürdiger ist. „Wenn außerdem die Brille beschlägt, kann

man sie nicht abnehmen, weil man sie mit der Nase abnehmen würde,“ sagt Chirurg

Hubert Ofner vom LKH Linz in einem Interview. „Das soziale Leben des Patienten ist

eingeschränkt, weil er sich mit dieser unsicheren Epithese fast nicht in die Öffentlichkeit

traut.“ Ganz nach dem alten, inhumanen Motto „Wer den Schaden hat, braucht

für den Spott nicht zu sorgen.“ Bleibt zu wünschen, dass hierzulande statt Hautkleber

und Brillen nur noch chirurgische Versatzstücke zum Einsatz kommen, was aber

meist weniger an deren technischer Machbarkeit sondern an der Kostenerstattung

der Krankenkassen scheitert.

Ein internationaler Pionier auf diesem

Gebiet ist Oskar Aszmann, Experte für

plastische und rekonstruktive Chirurgie,

der in Wien am Christian-Doppler-

Labor für die Wiederherstellung von

Extremitätenfunktionen gemeinsam

mit dem Prothesenhersteller Otto

Bock an einem speziellen Computerprogramm

arbeitet, das individuelle

Bewegungsmuster speichert. Durch

die Übertragung auf die Prothese lassen

sich beinahe 80 Prozent der Leistungsfähigkeit

einer gesunden Hand

erzielen, denn sie reagiert unmittelbar,

ohne Zeitverzögerung.

Signalübertragung

von mensch auf

maschine ist

diffizil

„Ich stehe anderen in fast nichts nach“,

bestätigt Patrick Mayrhofer in einem

YouTube-Interview. Der junge Linzer

Elektrotechniker, dem 2008 nach einem

Arbeitsunfall der linke Arm amputiert

wurde, trägt seit 2011 eine

so genannte Michelangelo-Hand der

Firma Otto Bock. Diese wird über

gedankeninitiierte Nervenimpulse

gesteuert, die von Elektroden auf der

Haut erfasst und in vorhandene Muskelgruppen

geleitet werden, wo elektrische

Signale an die Kunsthand gesendet

werden. Wobei die Signalübertragung

an der Schnittstelle

Mensch-Maschine, also vom Körper

zur Prothese, sehr diffizil ist. Heute

kann Mayrhofer wieder problemlos

Flaschen öffnen und Schuhbänder

verknoten – wie jeder andere auch.

natur schlägt

technik immer

(noch)

Allen medialen Behauptungen zum

Trotz ist die Prothese aber noch nicht

gänzlich gedankengesteuert. Christian

Hofer von Otto Bock spricht lieber

von einer „intuitiven und simultanen“

Bewegungsmöglichkeit der modernen

Prothesen, das heißt, die Bewegungen

kommen einem natürlichen

Ablauf schon sehr nahe. Und von der

prothetischen Zukunftsmusik, die derzeit

unter Laborbedingungen komponiert

wird: Weil die Anforderungen an

den Bewegungsapparat von Mensch

zu Mensch verschieden sind, gebe

es zur Verbesserung des Alltags von

Menschen mit eingeschränkter Mobilität

ein fast unendliches Betätigungsfeld.

Allerdings sei der Mensch so

gut konstruiert, dass noch lange daran

gearbeitet werden müsse, um an

das von Natur aus Gestaltete heran zu

kommen.

Auch Hubert Egger, erster österreichischer

Prothetik-Professor an der FH

Oberösterreich, will Menschen, die

Gliedmaßen verloren haben, möglichst

viel an Lebensqualität zurück-

geben. Und kämpft mit seinem Forscherteam

gegen die derzeitige Gefühlskälte

künstlicher Extremitäten an.

„Bereits in naher Zukunft steht neben

der motorischen Verbindung auch die

Verbindung des sensorischen Teils

des Nervensystems mit der Prothese“,

erklärt Egger. „Weil dadurch die Prothese

wie ein natürlicher Körperteil

empfunden wird, kann sie vom Anwender

viel zielsicherer gesteuert und

als natürlicher Teil des Körpers angenommen

werden.“

die erste

HAND PROTHese mit

Fingerspitzengefühl

ist greifbar

Noch in diesem Jahr wird vom deutschen

Kooperationspartner Vincent

System die erste fühlende Handprothese

mit Tastsinn auf den Markt gebracht

(VINCENT evolution2). Dadurch

wird dem Prothesenträger über

eine sogenannte vibrotaktile Rückmeldung

– durch Schwingungsfühler –

wieder ein Berührungsgefühl von den

Einzelfingern der Prothese vermittelt.

Prothetik-Lösungen können auch mit

einem ganz anderen Ziel hergestellt

werden. So ist zum Beispiel die Exo-

Hand der Firma Festo primär zum

kraftunterstützenden Einsatz bei monotonen

und anstrengenden Montage -

tätigkeiten in der Industrie gedacht.

Regeln

29


Schritt für Schritt wird das

Bauprinzip der Natur entschlüsselt.

Sogar feinmotorisch schwierige Bewegungen

werden mit den Handprothesen

der neuen Generation möglich.

Fotos: festo.com

„Entstanden ist dieses Future-Concept

allerdings primär als Hilfsmittel

für den Arbeitsalltag“, erklärt Wolfgang

Keiner, Geschäftsführer von

Festo Österreich. Als Spezialist für

industrielle Automation beschäftigt

sich das Unternehmen in erster Linie

mit bionischen Lösungen, die körperlich

anstrengende berufliche Tätigkeiten

erleichtern, eine im Hinblick auf

immer länger arbeitende, ältere Arbeitnehmer

eine wichtige Herausforderung

darstellt.

Handschuh

verstärkt Kraft

in Fingern

Die ExoHand wird aber auch im Bereich

der Rehabilitation nach einem

Schlaganfall eingesetzt: Sie wird wie

ein Handschuh übergestülpt und erleichtert

alltägliche Handgriffe, weil

sie zum Beispiel die Kraft in den Fingern

verstärkt.

Im Bereich der Beinprothetik ist das

Holzbein ein Bild der Vergangenheit

und derart Rudimentäres wie Beschränkendes

nur mehr Geschichte.

Mittlerweile werden Erkenntnisse aus

dem Gebiet der Armprothetik, deren

Anforderung an die Beweglichkeit

weit komplexer sind, bereits sinnvoll

im Bereich der Beine genutzt. Davon

profitiert auch der neunjährige Jan,

dem nach einem schweren Schiunfall

der rechte Unterschenkel abgenommen

werden musste. Hubert Egger,

der den kleinen Jan derzeit im wahrsten

Sinn des Wortes auf die Beine

hilft, ist guter Hoffnung, dass der

Verlust des Beines die Möglichkeiten

in seinem bevorstehenden Leben vergleichsweise

wenig beeinträchtigt.

„Freilich hängt das neben den technischen

Möglichkeiten auch vom mentalen

Zugang zu einem Leben mit einer

Prothese ab“, meint er. Und weist

auch auf diverse Hürden hin, die es

noch zu überwinden bzw. zu optimieren

gilt. Etwa die Sicherheit beim Gehen

durch eine empfindsame Prothese,

an der bereits geforscht wird.

Oder Industriepartner, welche letztendlich

leistbare, zuverlässige und

robuste Prothesen für Menschen

unterschiedlichen Alters und in unterschiedlichen

Alltagssituationen herstellen.

TopModel mit

Prothese

Persönlichen Höchstleistungen stellen

künstliche Unterschenkel jedoch

bereits heute kein Bein mehr. Der

Deutsche Mario Galla etwa, der seit

seinem dritten Lebensjahr mit einer

Prothese durchs Leben geht, kann

nicht nur Fußball spielen und Rad

fahren, er hat als Topmodel sogar

den Olymp internationaler Laufstege

erklommen. Trotz und vielleicht manchmal

sogar wegen der Prothese und

der daraus resultierenden Individualität.

Heather Mills, die Exfrau des

Beatle Paul McCartney, verlor bei einem

Verkehrsunfall ein Bein und arbeitete

weiterhin als Model. Heute

macht sie mit sportlichen Einsätzen

von sich reden. Mills, die in Kärnten

lebt und trainiert, will bei den Paralympics

2014, in den Alpinski-Bewerben

antreten.

Dennoch gilt es noch vieles zu erforschen,

um natürlichen Mustern und

Maßstäben zu entsprechen. „Die

Mechanismen im Mikro- und Nanobereich

müssen noch ganz exakt entschlüsselt

und verstanden werden,

um noch bessere Verfahren für die

Neuroprothetik zu entwickeln.“

Nanotechnologie

macht sehende

Augenprothesen

möglich

Frank Rattay, Präsident der TU-Bio-

Med (Gesellschaft für Biomedical

Engineering an der TU Wien), sieht

die zukünftige Größe bionischer

Ersatzglieder vor allem im Kleinen:

„Es wird viel von Nanotechnologie gesprochen,

aber in der Medizintechnik

bewegen wir uns zumeist noch im

Millimeter-Bereich“, stellt er fest.

„Damit haben wir noch viel Potenzial

und Entwicklungsarbeit vor uns.“

Aber wenn es irgendwann gelingt,

etwa das Netzwerk der Nervenzellen

in der Retina wissenschaftlich zu

durchblicken und technisch nachzuvollziehen,

dann werden sogar

Augen prothesen dank kleinster implantierter

Fotorezeptoren sehend

werden. Erste Erfolge, bei denen blinde

Menschen durch eingepflanzte Computerchips

schemenhaft Buchstaben

erkennen können, gibt es bereits.


30


Unmissverständliche Signale

Eigentlich sind Verkehrszeichen und -regeln international

einheitlich, und doch sind die Unterschiede mitunter

beträchtlich. In Indien sollten Fahrzeuglenker auf die

Arme ihrer Kollegen achten. In Kanada bleibt man bei

grün blinkenden Ampeln besser stehen. Von Silvia Wasserbacher-Schwarzer

daten & fakten

Autofahren mit Handzeichen

In Ländern mit besonders hohem Verkehrsaufkommen, wie zum

Beispiel in Indien, reichen Verkehrsschilder sowie Blinker und

Bremslichter nicht aus, um durch die Rushour zu kommen. Hier sind

die Fahrer aufgefordert, zusätzlich zum Lenken Handzeichen zu geben,

um ihr nächstes Manöver anzukündigen. Beispielsweise zeigt

eine rotierende Hand an, ob man nach rechts oder links abbiegt.

Handfläche nach unten heißt, dass man stehen bleibt und winken

bedeutet, dass man dem anderen gestattet, zu überholen.

Wie fährt man in Indien Auto?

Will links

abbiegen

Eine Sprache auf allen Straßen

Damit sich Verkehrsteilnehmer weltweit

im Straßenverkehr zurecht finden, hat die

UNO im Wiener Übereinkommen über

Straßenverkehrszeichen das Aussehen

einheitlicher Verkehrsschilder festgelegt.

Erkennen Sie, was die Tafeln in Ländern,

welche das Übereinkommen nicht unterzeichnet

haben, bedeuten?

Erkennen Sie diese Verkehrszeichen?

Die Auflösung findet sich auf der

Rückseite des Magazins.

1

Indien

2

Japan

Will rechts

abbiegen

5

Türkei

3

China

Stoppe

jetzt!

Werde

langsamer

Wie geht das

internationale

Blinkalphabet?

4

Japan

Warum stehen

an der Kreuzung

kurzzeitig alle

Fahrzeuge?

Gelbes Blinken

Eine gelb blinkende

Ampel in Deutschland,

Österreich oder der

Schweiz bedeutet

„Vorsicht“ – ohne dass

ein zwingendes Stehenbleiben

verlangt wird.

Grünes Blinken

Wenn die Ampeln auf Hauptstraßen in

British Columbia (Kanada) andauernd

grün blinken, liegt es nicht an einer

defekten Lampe. Vielmehr ist es das

Freisignal für Autofahrer. Fußgängern,

welche die Straße überqueren möchten,

gibt es den Hinweis, den Aktivierungsknopf

zu drücken. Das Signal

springt auf Gelb und Rot für die Autos,

die Fußgänger bekommen ihr „walk“

(Grünsignal).

Rotes Blinken

Es gibt aber auch rotes

Blinklicht – zum Beispiel

in den USA. Dieses hat

die gleiche Bedeutung

wie ein Stoppschild:

Erst nach dem Anhalten

ist ein langsames Weiterfahren

erlaubt, sofern die

Kreuzung frei ist.

Zwischenzeit

Es gibt amtliche Zwischenzeiten, deshalb haben phasenweise alle

Verkehrsteilnehmer an der Kreuzung Rot. Die Zwischenzeit ist jene

Zeitspanne, in der die Ampel auf der einen Seite gerade von Grün auf

Rot umspringt und ums Eck gerade noch Rot ist.

Die Zwischenzeit verhindert eine Kollision durch eine zu rasche Grünphase

auf der einen Seite, wenn gleichzeitig auf der anderen Seite noch

nicht alle Fahrzeuge den Kreuzungsbereich verlassen haben. Die exakte

Zwischenzeit, die in Sekunden berechnet wird, richtet sich nach der

Breite der Fahrbahn: Je breiter sie ist, und damit auch je größer die Kreuzung

ist, desto länger ist die Zwischenzeit, weil mehr Zeit zum Verlassen

der Kreuzung nötig ist.

Regeln

31


Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC

Beim Gehen

wird nicht gegessen,

getrunken, telefoniert

oder geraucht.

Beim

Stiegensteigen

werden nur

die Fußballen

aufgesetzt, der Einsatz

der Fersen wird

vermieden.

Beim

Gehen auf der

Straße überlässt die

rangniedrigere Person

der ranghöheren die

rechte Seite

(Ehrenplatz).

Auch wenn

„der Knigge“

heute als die Bibel

guter Umgangsformen gilt – die

ursprüngliche Version von 1788 war

kein Benimmbuch. Vielmehr verfasste

Adolph Freiherr Knigge sein Werk

„Über den Umgang mit Menschen“

als eine Aufklärungsschrift, die darüber

Auskunft gab, wie man höflich mit

Menschen von verschiedenen Temperamenten

umgeht. Erst später kamen Benimmregeln

hinzu. Heute gibt der Deutsche Knigge Rat

regelmäßig neue, an gesellschaftliche

Entwicklungen angepasste

Verhaltensregeln

heraus.

32

Auflösung Seite 31: 1 Überholverbot/Indien 2 Überholverbot/Japan 3 Vorrang geben/China 4 Stoppschild/Japan 5 Einbahn/Türkei

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