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Leidenschaft

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 03/2013

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 03/2013

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Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Ausgabe 03/2013<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

1


<strong>Leidenschaft</strong><br />

Was ist<br />

Entrepreneurship?<br />

Entrepreneurship bedeutet,<br />

neue Marktchancen zu erkennen,<br />

daraus eine Geschäftsidee zu entwickeln und diese<br />

selbst unter Ungewissheit in Form von innovativen<br />

Geschäftsmodellen umzusetzen. In seiner heutigen<br />

Ausprägung hat der österreichische Ökonom<br />

Joseph Schumpeter den Begriff maßgeblich<br />

gestaltet. Der Entrepreneur ist ein ständiger Innovator,<br />

der Wirtschaftswachstum und sozialen Wandel<br />

vorantreibt. Der Unterschied zum Unternehmer ist,<br />

dass nicht alle Unternehmer zwingend innovativ sein<br />

müssen und Unternehmer meist auch die Eigentümer<br />

des Unternehmens sind. Ein Entrepreneur<br />

kann hingegen auch in einem<br />

Unternehmen beschäftigt sein –<br />

als Intrapreneur.<br />

Quellen:<br />

1 Statistik Austria<br />

2 www.bmvit.gv.at<br />

Was ist<br />

Familie?<br />

Das Wort Familie stammt aus dem<br />

Lateinischen familia für „Hausgemeinschaft“.<br />

Eine einheitliche Definition gibt<br />

es nicht. Ein Vorschlag ist das Kernfamilienkonzept<br />

der Vereinten Nationen. 1 Danach<br />

bilden Ehepaare oder Lebensgemeinschaften<br />

mit oder ohne Kinder eine Familie.<br />

Alleinerziehende Elternteile mit Kind(ern)<br />

werden als Ein-Eltern-Familie bezeichnet.<br />

Wenn Alleinerzieher neue Lebensgemeinschaften<br />

eingehen,<br />

entsteht eine<br />

Patchworkfamilie.<br />

Was ist<br />

<strong>Leidenschaft</strong>?<br />

<strong>Leidenschaft</strong> ist ein Zustand völlig<br />

vereinnahmender Emotion. Das Wort ist<br />

eine Erfindung des deutschen Schriftstellers<br />

Philipp von Zesen, der im 17. Jahrhundert<br />

lateinische Ausdrücke durch seine<br />

deutschen Kreationen ersetzte. Passion –<br />

von passio, „leiden“ – ersetzte er durch das<br />

althochdeutsche lidan, was so viel heißt<br />

wie „erfahren, durchmachen“. Nicht mit<br />

allen Erfindungen war von Zesen<br />

erfolgreich: Das Fenster – vom<br />

lateinischen fenestra – wird heute<br />

nicht als Tageleuchter<br />

bezeichnet.<br />

Wo sind die<br />

meisten<br />

Oldtimer zugelassen?<br />

Gemessen an der Einwohnerzahl<br />

gibt es die meisten Oldtimer in<br />

Oberösterreich. Hier sind<br />

779 PKW als historische Kraftwagen<br />

zugelassen(55 auf 100.000 Einwohner).<br />

Im Burgenland fahren die wenigsten<br />

Oldtimer: Hier kommen nur<br />

30 Zulassungen<br />

auf 100.000<br />

Einwohner. 2<br />

Was ist eine<br />

Benefit Corporation?<br />

Die Benefit Corporation (B Corp)<br />

wurde 2010 in den USA eingeführt. Sie dient<br />

vor allem jungen Unternehmern, die in ihrem<br />

Geschäftsmodell soziale Komponenten vorgesehen<br />

haben, dazu, leichter an Wachstumskapital zu kommen.<br />

Durch die Gründung einer B Corp wird Transparenz<br />

über die gesellschaftlichen und unternehmerischen Ziele<br />

geschaffen. Impact-Investoren, die mit ihrem<br />

Geld gezielt Gutes tun wollen, können gezielter<br />

angezogen werden. Eine B Corp muss jährlich<br />

verpflichtend einen Benefit Report vorlegen, in<br />

dem sie Rechenschaft über ihre sozialen und<br />

ökologischen Aktivitäten ablegt.<br />

Derzeit gibt es in den<br />

USA 650 B Corps.<br />

Wo sitzt<br />

<strong>Leidenschaft</strong>?<br />

Das Herz ist der Quell aller<br />

<strong>Leidenschaft</strong>, sagt der Volksmund. Die<br />

Wissenschaft ist anderer Meinung und<br />

erkennt den Ursprung der Emotion vor<br />

allem in den Mandelkernen, einer<br />

Funktionseinheit des limbischen Systems,<br />

das sich durch das gesamte Gehirn zieht.<br />

Es handelt sich also um keinen<br />

bestimmten Teil des Gehirns, sondern<br />

ein komplexes Netzwerk neuronaler<br />

Schaltkreise, das bis heute nicht<br />

genau erforscht ist.<br />

Wann wird ein<br />

Auto zum Oldtimer?<br />

Als historische Kraftwagen gelten<br />

in der Fachsprache Autos bis zum<br />

Baujahr 1955, sowie jene, die älter als 30 Jahre<br />

sind und in die Liste der historischen<br />

Kraftfahrzeuge vom Bundesministerium für Verkehr,<br />

Innovation und Technologie eingetragen sind. Sie<br />

dürfen laut Gesetz nur an 120 Tagen pro Jahr<br />

gefahren werden. Historische Krafträder nur an<br />

60 Tagen pro Jahr. Über die Verwendung ist ein<br />

Fahrtenbuch zu führen, das auch den Zweck<br />

der Fahrt enthält. 2 Diese genaue Regelung ist<br />

nötig, weil Oldtimer bei Steuern und<br />

Versicherung begünstigt<br />

sind (z.B. keine NoVA<br />

oder CO 2<br />

-Steuer).<br />

Impressum und Offenlegung<br />

Medieninhaber und Herausgeber<br />

Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC),<br />

Schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0<br />

www.oeamtc.at<br />

ZVR-Zahl: 730335108, UID-Nr.: ATU 36821301<br />

Vereinszweck ist insbesondere die Förderung der Mobilität unter<br />

Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.<br />

Rechtsgeschäftliche Vertretung DI Oliver Schmerold, Verbandsdirektor;<br />

Mag. Christoph Mondl, stellvertretender Verbandsdirektor.<br />

Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbh<br />

Chefredaktion Mag. Gabriele Gerhardter (ÖAMTC),<br />

Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)<br />

Chefin vom Dienst Silvia Wasserbacher, BA, MA<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe Dipl-Bw. Maren Baaz, Matthias Berger, Margit Hurich,<br />

Mag. (FH) Christian Huter, Mag. Claudia Kesche, Mag. Uwe Mauch, MMag. Ursula Messner,<br />

Dr. Daniela Müller, Martin Strubreiter, Dr. Ruth Reitmeier, Mag. Julia Schilly, Katrin Stehrer, BSc,<br />

DI Anna Várdai, Silvia Wasserbacher, BA, MA<br />

Grafik Design, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation, Barbara Wais, MA<br />

Fotos Karin Feitzinger<br />

Raumtechnik Filippos Zisidis<br />

Korrektorat Christina Preiner, vice-verba<br />

Covermodels siehe Umschlagrückseite<br />

Druck Hartpress<br />

Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.<br />

Ausgabe 03/2013, erschienen im April 2013<br />

Download www.querspur.at


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28<br />

Heute<br />

Erhofft und doch verbannt. Sie ist<br />

Quelle des Neuen und bringt uns voran.<br />

Trotzdem verbannen wir die <strong>Leidenschaft</strong> aus<br />

vielen Lebensbereichen. Von Daniela Müller<br />

Leben was man liebt, lieben was man<br />

tut. Bauchtanz, Handschrift, Pollenforschung:<br />

Drei Menschen, die es schaffen, ihren ungewöhnlichen<br />

Vorlieben im Alltag zu fröhnen.<br />

Von Uwe Mauch<br />

Altes Blech, junge Freude. Sammelobjekte<br />

sagen oft mehr über ihre Besitzer<br />

aus, als man auf den ersten Blick vermutet.<br />

Von Martin Strubreiter<br />

Von West nach Ost: Wo schlägt das<br />

Herz den Kopf? Die Passionen der<br />

Österreicher nach Bundesländern.<br />

Von Silvia Wasserbacher<br />

Morgen<br />

Gutes tun und Geld verdienen.<br />

Eine Reportage über den Hub-Vienna, der<br />

größte Knotenpunkt für Social Entrepreneurs<br />

in Österreich. Von Uwe Mauch<br />

Die rastlose Weltfamilie. Immer mehr<br />

Familien leben getrennt voneinander.<br />

Wieviel physische Nähe braucht es in einer<br />

globalisierten Welt? Von Julia Schilly<br />

Laufen, kaufen, um Punkte raufen.<br />

Was wirklich in Kundenbonusprogrammen<br />

steckt. Von Matthias Berger<br />

<strong>Leidenschaft</strong> braucht Trott. Christian<br />

Hlade, Gründer von „WeltweitWandern“,<br />

verrät, wie er sich durch große Reisen<br />

verändert hat und wie wir in Zukunft reisen<br />

werden. Von Daniela Müller<br />

Start-ups. Spannende Ideen aus aller Welt<br />

von oder für Menschen mit <strong>Leidenschaft</strong>.<br />

Von Katrin Stehrer<br />

Programmierte Empathie.<br />

Der Mensch überschreitet Grenzen, indem<br />

er Maschinen auf Emotion programmiert.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Die Suche nach dem Glück.<br />

Die österreichische Filmemacherin Clara<br />

Harden fi nanziert ihre außergewöhnlichen<br />

Projekte über Crowdfunding. Ein Knochenjob.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Foto: © Karin Feitzinger<br />

4<br />

8<br />

14<br />

Foto: © www.iuro-project.eu<br />

24<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

3


Talia Radford<br />

Mitbegründerin von<br />

taliaYsebastian, einem<br />

Industriedesign-Studio,<br />

das neue, nachhaltige<br />

Technologien mit dem<br />

richtigen Design verbindet<br />

Lena Robinson<br />

PR-Managerin bei<br />

Three Coins, einem<br />

Unternehmen,<br />

das Jugendlichen<br />

den Umgang mit<br />

Geld näher bringt<br />

Alexis Eremia<br />

Co-Gründerin des<br />

Hub Vienna<br />

Claudia Käfer<br />

Mitbegründerin von<br />

Inventures, einer<br />

Online Plattform,<br />

die Startups für eine<br />

breite Öffentlichkeit<br />

sichtbar macht<br />

Erika Büttner<br />

Mitbegründerin von<br />

Papertown, einem<br />

Designstudio, das mit dem<br />

Konstruktionsmaterial 4<br />

Karton arbeitet<br />

Foto: © Karin Feitzinger


Gutes tun und<br />

Geld verdienen<br />

THE HUB VIENNA IN WIEN 7 IST NICHT NUR EIN ARBEITSPLATZ<br />

MIT BESONDEREM FLAIR, SONDERN AUCH EIN MAGNET FÜR<br />

KREATIVE UND SOZIAL ENGAGIERTE UNTERNEHMER.<br />

EINE MODERNE ARBEITSWELT-REPORTAGE.<br />

Von Uwe Mauch<br />

Es ist der Freitag nach dem Fest, der<br />

Freitag nach dem Drei-Jahres-Jubiläum.<br />

Anderswo meldet man sich nach<br />

einer derart fröhlichen Nacht vorsichtshalber<br />

krank. Oder nimmt sich<br />

einen Urlaubstag. Oder lässt sich anmerken,<br />

dass man heute nicht mehr<br />

fröhlich ist.<br />

Nicht so hier. The Hub Vienna in einem<br />

Hinterhofhaus in der Lindengasse<br />

Nr. 56 in Wien 7 ist eine moderne<br />

Denkfabrik und ein Coworking-<br />

Space. Vor allem für Menschen aus<br />

der jahrelang bemitleideten „Generation<br />

Praktikum“, die nicht darüber<br />

jammern, dass die Welt so schlecht<br />

ist, sondern lieber hart daran arbeiten<br />

wollen, dass die Welt ein wenig besser<br />

wird. Einige verdienen mit ihren<br />

Projekten und Unternehmen, die von<br />

kreativen Ideen, professionellen<br />

Zugängen zur Arbeit und sozialem<br />

Engagement getragenen sind, auch<br />

schon gutes Geld!<br />

MAN FEUERT SICH<br />

GEGENSEITIG AN<br />

Gegen 9 Uhr werden auf den selbst<br />

gebauten Tischen die ersten Mac-<br />

Books aufgeklappt. Auch am Beginn<br />

des vierten Jahres will das emsige<br />

Tippen auf den schwarzen Plastiktasten<br />

nicht verstummen.<br />

„The Hub ist ein inzwischen weltweit<br />

verbreitetes Netzwerk, das ursprünglich<br />

in London entwickelt wurde“, verrät<br />

Lena Robinson am Eingang zum<br />

ebenso klug wie stilsicher eingerichteten<br />

Wiener Umschlagplatz für<br />

nachhaltiges, sozial- und umweltverträgliches<br />

Wirtschaften.<br />

Mister Jonathan Robinson, nicht verwandt<br />

mit der Wiener Frau Robinson,<br />

hat es im Jahr 2005 gegründet. Der<br />

englische Anthropologe wollte nicht<br />

länger hinnehmen, dass die Kreativen<br />

in London in ihren Schlafzimmern und<br />

Werkstätten vor sich hinwerken, ohne<br />

sich gegenseitig anzufeuern, immer<br />

hart am Abgrund zum Prekariat. So<br />

eröffnete er mit Mitstreitern und<br />

Freunden die erste Schnittstelle für<br />

so genannte Social Entrepreneurs.<br />

Per Defi nition sind das Selbstständige,<br />

die innovative unternehmerische<br />

Lösungen für drängende soziale<br />

Probleme fi nden und umsetzen.<br />

The Hub Vienna wurde Anfang 2010<br />

eröffnet. Damals als Nr. 15 in der<br />

langen Hub-Kette. Heute gibt es<br />

bereits 37 Schnittstellen – von<br />

Sao Paolo über London und Wien bis<br />

Shanghai. In der Wiener Filiale sind<br />

knapp 300 Mitglieder registriert. Das<br />

Spektrum reicht hier von Industriedesignern<br />

über Improvisationskünstler<br />

bis zu ehemaligen Geschäftsführern<br />

in Konzernen und Bankern, für die<br />

Geld nicht alles ist. Sie alle eint die<br />

Überzeugung, dass man als Mensch<br />

gut leben und Geld verdienen kann,<br />

auch wenn man das Gemeinwohl im<br />

Fokus hat.<br />

DREI MÜNZEN GEGEN<br />

DIE SCHULDENFALLE<br />

Auch die Namensvetterin des Londoner<br />

Hub-Gründers, Lena Robinson,<br />

hat Anthropologie studiert. Und auch<br />

sie will mit ihrer Arbeit gesellschaftlich<br />

etwas bewegen. Die 26-jährige<br />

Grazerin hat zuvor erfolgreich im Tourismus-Marketing<br />

und im Kultur-Management<br />

gearbeitet. Im Hub Vienna,<br />

das auf insgesamt 400 Quadratmetern<br />

ausreichend Platz für individuelle<br />

Entfaltung und gemeinsame Gestaltung<br />

lässt, ist sie für die Pressearbeit<br />

zuständig.<br />

Darüber hinaus engagiert sich Robinson<br />

für die „Three Coins“ GmbH.<br />

Social Entrepreneurship<br />

Social Entrepreneurs lösen drängende soziale und ökologische Probleme<br />

mittels marktwirtschaftlicher Mechanismen. Eines ihrer großen<br />

internationalen Vorbilder ist Muhammad Yunus, Friedensnobelpreisträger<br />

und Gründer der Grameen Bank. Die „Bank für die Armen“<br />

vergibt Mikrokredite an Menschen ohne Einkommenssicherheiten.<br />

Nur durch die soziale Kontrolle in der Community wird eine Rückzahlungsquote<br />

von 97 % erreicht.<br />

Im Unterschied zu NGOs erwirtschaften Social Entrepreneurs das<br />

Geld zum Betrieb ihrer Unternehmen selbst. Gewinne werden häufi g<br />

ins Unternehmen reinvestiert. Die Wurzeln von Social Entrepreneurship<br />

reichen weit in die Geschichte zurück. Mittlerweile ist daraus<br />

eine weltweite Bewegung mit vielen Initiativen, großem Zulauf von<br />

jungen Unternehmern sowie einer Ausstrahlung bis in etablierte, gewinnorientierte<br />

Unternehmen entstanden.<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

5


Der Hub Vienna ist der größte<br />

Knotenpunkt für Social Entrepreneurs<br />

in Österreich und Teil eines globalen<br />

Netzwerkes mit mehr als 5000 Mitgliedern.<br />

Wiener Zentrum für Social Entrepreneurs:<br />

www.vienna.the-hub.net<br />

Spielend den Umgang mit Geld lernen:<br />

www.threecoins.org<br />

Dekorationen aus der Wiener Papierstadt:<br />

www.papertown.at<br />

Foto: © Karin Feitzinger<br />

Moderne Kultur in der Lichtfabrik:<br />

www.dielichtfabrik.at<br />

Best of CEE Start-ups:<br />

www.inventures.eu<br />

Design zum An- und Begreifen:<br />

www.taliaysebastian.com<br />

Die Idee dafür kam von einer Juristin<br />

und einem Game-Designer. So unterschiedlich<br />

ihr Beruf, so eindeutig ihre<br />

Geschäftsidee. Robinson: „Wir entwickeln<br />

ein Online-Spiel, das 14- bis<br />

19-Jährigen den Umgang mit Geld<br />

näher bringen soll, ausgehend von<br />

der Beobachtung, dass bei immer<br />

mehr jungen Menschen allzu schnell<br />

die Schuldenfalle zuschnappt.“<br />

PAPIERSTADT UND<br />

LICHTFABRIK<br />

Am Nebentisch arbeitet Erika<br />

Büttner an sehr Konkretem. Mit dem<br />

Architek ten Philipp Blume, einem<br />

Konstrukteur und einem Licht- und<br />

Mediendesigner hat sie den Beweis<br />

erbracht, dass Papier viel mehr sein<br />

kann als nur geduldig.<br />

In ihrem Design-Studio „papertown“<br />

auf dem Sparkassenplatz in Wien 15<br />

wird Karton als Alternative zu Kunststoff<br />

verwendet. Vor allem zur Gestaltung<br />

und Dekoration von Messeständen,<br />

Bühnen und Einrichtungsgegenständen.<br />

„Wir sind erst seit einem<br />

dreiviertel Jahr als Firma aktiv, und<br />

können uns nicht über zu wenig<br />

Nachfrage beklagen“, freut sich<br />

Büttner. Im Gegenteil. Und damit ihr<br />

Leben ausreichend spannend bleibt,<br />

will die Projektentwicklerin, die in ihren<br />

ersten 28 Lebensjahren schon erstaunlich<br />

viel von der Welt gesehen<br />

hat, nebenbei die „Lichtfabrik“ im<br />

Wiener Kulturgefüge etablieren: „Als<br />

ein Kulturzentrum, das noch wenig<br />

bekannten Künstlern eine Bühne<br />

bieten soll.“<br />

AUSSERGEWÖHNLICHE<br />

IDEEN WERDEN NICHT<br />

BELÄCHELT<br />

Am Hub schätzt Büttner die familiäre<br />

Atmosphäre und die Möglichkeit, inspirierende<br />

Menschen kennen zu lernen:<br />

„Wenn man hier eine außergewöhnliche<br />

Idee vorstellt, wird man<br />

nicht belächelt, sondern beraten, wie<br />

man sie am besten umsetzen könnte.“<br />

Die Atmosphäre im Hub wirkt angenehm,<br />

entspannt. Auf dem Tresen der<br />

Bar in der Mitte, die signalisiert, dass<br />

6


der Mensch nicht nur zum Computerarbeiten<br />

gemacht wurde (sondern<br />

auch zum Netzwerken), stehen Kaffee<br />

und Kuchen. Dessen ungeachtet<br />

geht es an jedem der Tische, an denen<br />

geschrieben, kalkuliert, diskutiert<br />

und nachgedacht wird, um sehr viel.<br />

Nicht zuletzt um die Etablierung neuer<br />

Firmen und die fi nanzielle Grundlage<br />

deren Mitarbeiter.<br />

Auch Claudia Käfer hat noch einige<br />

Hürden aus dem Weg zu räumen. Im<br />

Moment arbeitet die 29-jährige Betriebswirtin<br />

und Soziologin an der Dekoration<br />

und Ausstattung eines neuen<br />

Hub-Portals im Internet. Dieses Schaufenster<br />

für Interessierte trägt den Namen<br />

„Inventures“ und wird von Social<br />

Entrepreneurs für Social Entrepreneurs<br />

gestaltet. Vorgestellt und damit<br />

auch unterstützt werden viel versprechende<br />

Start-up-Projekte.<br />

WESTEN WAR<br />

GESTERN<br />

Interessant ist dabei auch die Blickrichtung.<br />

„Westen war gestern“,<br />

sagt Käfer. Die Zukunft liegt auch<br />

für hiesige Kreative in den viel zitierten<br />

Ländern Mittel- und Osteuropas.<br />

Derzeit fi nanziert sich das Inventures-<br />

Portal, wie auch eine Reihe anderer<br />

Projekte im Hub, durch eine Förderung<br />

des Austria Wirtschaftsservice,<br />

kurz AWS, einer Einrichtung des<br />

österreichischen Wirtschaftsministeriums.<br />

Künftig will Käfer möglichst<br />

ohne Förderung auskommen. Dabei<br />

strebt sie ein Modell an, in dem die<br />

bereits Arrivierten den Gründern<br />

Starthilfe geben und so möglicherweise<br />

neue Partner fi nden.<br />

The Hub als modernes Haus der<br />

Begegnung ist auch eine Meisterleistung<br />

der Technik und Architektur. Es<br />

gibt kleine Telefonzellen, in denen<br />

man in Ruhe wichtige Gespräche<br />

führen kann; es gibt Ruhezonen zum<br />

Arbeiten ebenso wie zum Ausruhen,<br />

einen Seminarraum und ein größeres<br />

Atrium, das für Veranstaltungen gebucht<br />

werden kann. Der offene Raum<br />

ist multifunktional und mit wenigen<br />

Handgriffen veränderbar.<br />

Talia Radford betritt soeben das Hub.<br />

Sie sagt, dass sie gerne hierher kommt.<br />

Auch, weil man neben gleichgesinnten<br />

Geschäftspartnern auch neue<br />

Freunde und Bekannte kennen lernen<br />

kann. Das fi nanztechnische Know-how<br />

anderer Hubianer hat ihr schon bisher<br />

beim Aufbau ihrer Firma geholfen.<br />

„Und das möchte ich auch weiterhin<br />

nicht missen.“ Die 30-jährige Spanierin,<br />

die in Mallorca geboren wurde<br />

und in England zur Schule gegangen<br />

ist, sagt offen: „Ich habe Design studiert,<br />

nicht Business. Die Workshops<br />

für Start-up-Unternehmen waren daher<br />

für mich sehr hilfreich.“<br />

Radford ist Mitbegründerin des Industrial<br />

Design-Studios „taliaYsebastian“,<br />

das sich auf die Entwicklung von<br />

ausgeklügelten Design-Konzepten<br />

spezialisiert hat, um neue Umwelt<br />

schonende und sozial verträgliche<br />

Technologien einer breiteren Öffentlichkeit<br />

zugänglich und besser verständlich<br />

zu machen.<br />

LERNPROGRAMME FÜR<br />

DIE ECHTE UMSETZUNG<br />

VON IDEEN<br />

Dass Hub-Mitglieder keine Träumer<br />

sind, sondern Profi s in ihrem Metier,<br />

zeigt auch die Tatsache, dass ein<br />

namhafter Konzern wie Osram, der<br />

eine neue Generation von LED-Lampen<br />

entwickelt hat und diese in zwei<br />

Jahren auf den Markt bringen möchte,<br />

auf die Dienste des Ein-Frau-Unternehmens<br />

baut. Radford erklärt ihren<br />

Auftrag: „Um Vertrauen in die<br />

neue Technologie zu gewinnen, bedarf<br />

es auch einer speziellen Haptik<br />

und Didaktik, die den Menschen das<br />

neue, weniger Energie verbrauchende<br />

Licht-Konzept näher bringen soll.“<br />

Wer meint, dass es nach den spannenden<br />

Begegnungen mit Menschen, die<br />

viel positive Energie ausstrahlen, nicht<br />

mehr besser kommen kann, hat die<br />

Rechnung ohne die Bankerin Alexis<br />

Eremia gemacht. Eremia ist ein wahres<br />

Energiebündel, lacht gerne, wirkt dabei<br />

hoch konzentriert, ist eine Managerin,<br />

die naturgemäß auch die schwarzen<br />

Zahlen auf dem Papier im Auge hat,<br />

aber weit mehr als nur die Zahlen.<br />

Gemeinsam mit den beiden Jungunternehmern<br />

Matthias Reisinger und<br />

Hinnerk Hansen hat sie vor drei Jahren<br />

The Hub Vienna gegründet. Und damit<br />

wohl auch ein neues Kapitel in<br />

der österreichischen Wirtschaftsgeschichte<br />

eröffnet. Denn in der Tradition<br />

der hiesigen Sozialpartner gab<br />

es bisher nur das Lager-Denken:<br />

Hier die Eigentümer der Produktionsmittel,<br />

dort die Umwelt- und Arbeitnehmerschützer.<br />

Hier Wirtschafts-,<br />

dort Arbeiterkammer.<br />

„Ich habe in Bukarest Finanzwirtschaft<br />

studiert“, erzählt Eremia. „Ich habe<br />

dann auch in Wien in einer Bank gearbeitet.<br />

“ Um als Bankerin nicht ihre<br />

Ideale verraten zu müssen, habe sie<br />

sich immer eine Hintertür offen gehalten.<br />

„So kam es auch zur Hub-<br />

Gründung.“<br />

Dort ist nicht nur ihre gute Laune<br />

ansteckend, sie hilft auch den neuen<br />

Mitgliedern, Fuß zu fassen. Vor allem<br />

solchen, die eine gute Idee, aber keinen<br />

Businessplan haben. Speziell<br />

für sie hat sie eine ganze Reihe von<br />

Lernprogrammen entwickelt. Diese<br />

reichen von Workshops über spezielle<br />

Coachings bis hin zu Networking-<br />

Veranstaltungen.<br />

JEDER SCHULE IHREN<br />

ENTREPRENEURSHIP<br />

HUB<br />

Menschen wie Alexis Eremia machen<br />

sich naturgemäß auch Gedanken<br />

über die Zukunft: Schon bald wird es<br />

im offenen Raum in der Lindengasse<br />

zu eng werden. The Hub Vienna expandiert,<br />

weiterhin rasant. „Wir werden<br />

spätestens in einem Jahr einen<br />

größeren Raum benötigen.“ Und in<br />

Zukunft? Die Vordenkerin lächelt, dabei<br />

ist es ihr durchaus ernst: „Da wird<br />

es ohne Social Entrepreneurs in der<br />

Wirtschaft einfach nicht mehr gehen.<br />

Daher wünsche ich mir auch, dass es<br />

in Zukunft in jeder Schule des Landes<br />

eine Art Mini-Hub geben wird.“<br />

<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

7


8<br />

Foto: © Karin Feitzinger, Illustration: Barbara Wais


Erhofft und<br />

doch verbannt<br />

SIE PACKT UNS, FESSELT UNS, VERÄNDERT UNS.<br />

SIE HAT REVOLUTIONEN AUSGELÖST UND GESELLSCHAFTEN VERÄNDERT.<br />

DOCH WARUM BLENDEN WIR LEIDENSCHAFT IM ALLTAG LIEBER AUS?<br />

Von Daniela Müller<br />

<strong>Leidenschaft</strong>. Die österreichische Tagespresse<br />

ist voll davon. Sie berichtet<br />

über die niederländische Königin<br />

Beatrix, die sich im Ruhestand ihrer<br />

<strong>Leidenschaft</strong>, der Bildhauerei, widmen<br />

wird, über den leidenschaftlichen<br />

Erneuerer populärer Filmgenres, den<br />

Regisseur Quentin Tarantino, oder<br />

über den Fußballklub Rapid, der seine<br />

<strong>Leidenschaft</strong> wiederentdeckt haben<br />

soll. Es wird geklagt, dass der Ausbau<br />

technischer Universitätsbereiche mit<br />

zu wenig Strategie und <strong>Leidenschaft</strong><br />

betrieben werde, und der polnische<br />

Bischof Tadeusz Pieronek betont, dass<br />

keine Macht den Menschen von dem<br />

abhalte, wozu ihn die <strong>Leidenschaft</strong>en<br />

trieben. Ja, wozu? Was steckt dahinter,<br />

was ist das genau, <strong>Leidenschaft</strong>?<br />

VORAUSSETZUNG IST,<br />

DASS MAN SICH<br />

ANGENOMMEN FÜHLT<br />

Unter <strong>Leidenschaft</strong> wird vieles subsummiert.<br />

Richtige <strong>Leidenschaft</strong> ergreift<br />

uns, lässt uns nicht mehr los.<br />

<strong>Leidenschaft</strong> kann aber auch als<br />

Ersatzhandlung in Erscheinung treten.<br />

Sie wird oft vorgetäuscht, wenn<br />

Menschen bluffen, um mit gespieltem<br />

Höchsteinsatz andere von ihrer Meinung<br />

zu überzeugen.<br />

Damit richtige <strong>Leidenschaft</strong> entstehen<br />

kann, braucht es laut Hirnforscher<br />

Gerald Hüther ein Grundvertrauen,<br />

dass man sich so, wie man ist, angenommen<br />

fühlt. In der Hirnforschung<br />

wird dieser Zustand als Kohärenz bezeichnet,<br />

wenn kein Widerspruch ist<br />

zwischen dem, was ist und dem, was<br />

man möchte. Doch diese Kohärenz,<br />

das Gefühl, dazuzugehören, fehlt vielen<br />

Menschen. Sie machen sich taub<br />

gegen diesen Schmerz und spüren<br />

sich nicht mehr. Zivilisationskrankheiten<br />

wie Magengeschwüre, Bluthochdruck<br />

oder Haltungsschäden<br />

sind Spätfolgen dieser verloren gegangenen<br />

Sensibilität. Oder sie suchen sich<br />

Ersatzhandlungen, die getarnt als<br />

<strong>Leidenschaft</strong> auftauchen. Das kann<br />

eine Sammelleidenschaft sein, ein<br />

Faible für teure Uhren oder schnelle<br />

Autos oder wenn Menschen die Karriereleiter<br />

hochklettern, um sich so<br />

Gehör und Ansehen zu verschaffen.<br />

Diese Menschen werden zwar selten<br />

froh, erklärt Hüther, sind meist aber<br />

zumindest einigermaßen zufrieden.<br />

Jedenfalls so lange, bis das vermeintliche<br />

Glück der Ersatzhandlung zerbricht.<br />

Etwa wenn es karrieremäßig<br />

nicht mehr weiter geht oder eine<br />

Sammelleidenschaft durch richtige<br />

<strong>Leidenschaft</strong> ersetzt wird, wenn der<br />

Sammler seinen Seelenpartner findet.<br />

Wobei: Das Hirn kann nicht unterscheiden,<br />

ob es sich um wahre <strong>Leidenschaft</strong><br />

handelt oder nur um eine Ersatzhandlung.<br />

EMOTION IST EINE<br />

BEDROHUNG<br />

<strong>Leidenschaft</strong> zeigt sich also in vielen<br />

Gesichtern. Wirkliche <strong>Leidenschaft</strong><br />

treibt uns an, kann aber auch negativ<br />

sein, wenn sie sich in Hass ausdrückt.<br />

Sie steckt hinter religiöser oder politischer<br />

Begeisterung und bringt uns<br />

dazu, trotz Gegenwinds unsere Ziele<br />

zu verfolgen. <strong>Leidenschaft</strong> ist auch<br />

eine zentrale Triebfeder, damit in der<br />

Zivilgesellschaft Wandlungen stattfinden<br />

können – sei es die Französische<br />

Revolution oder der Arabische Frühling.<br />

Nur: So richtig offen ist unsere<br />

Gesellschaft für <strong>Leidenschaft</strong> immer<br />

noch nicht. Emotion wird durch die<br />

gesamte Geschichte der Philosophie,<br />

und auch noch heute, als Gegensatz<br />

zum Verstand gesehen. „Gefahr“ gehe<br />

vom leidenschaftlichen Menschen<br />

in sofern aus, weil er für die anderen<br />

Mitglieder einer Gesellschaft weniger<br />

berechen- und steuerbar sei, sagt die<br />

deutsche Philosophin Eva-Maria<br />

Engelen.<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

9


Foto: © www.publicdomainpictures.net, Illustration: Barbara Wais<br />

Nur Mut zur Ermutigung: Hirnforscher Hüther rät dazu, die Ideen und Träume der Kinder ernst zu nehmen und nicht schon an<br />

der Wurzel als Leichtsinn abzukanzeln. Das Resultat wäre, dass mehr Menschen ihre Ideen ohne Scheu umsetzen würden.<br />

Damit könnte sich die Gesellschaft ingesamt schneller weiterentwickeln.<br />

Über die Kraft der <strong>Leidenschaft</strong><br />

dachte schon Aristoteles nach: Von<br />

einer Herrschaftselite aus gleichberechtigten<br />

Männern sollten nur die<br />

tugendhaften regieren dürfen, die<br />

über die nötige Selbstbeherrschung<br />

verfügen. Diese sei Ausdruck von<br />

„geschulten Emotionen“. Wer etwa<br />

schamhaft sei, zeige, dass er über<br />

Bewusstsein für Gesetze und deren<br />

Übertretung verfüge.<br />

In der modernen Philosophie hat<br />

sich der gesellschaftliche Zugang zu<br />

<strong>Leidenschaft</strong> zwar verändert, mehr<br />

Platz hat sie aber nicht. „Heute wird<br />

vieles, was mit Emotionen zu tun hat,<br />

moralisierend betrachtet. Kinder dürfen<br />

zum Beispiel nicht mehr bockig<br />

sein. Haut eines um sich, ist es gleich<br />

ein Schlägertyp“, sagt Engelen. In<br />

der Arbeitswelt würden Sprache und<br />

Handeln immer mehr entemotionalisiert.<br />

Ein Beispiel: Obwohl man den<br />

Arbeitsauftrag des Vorgesetzten gern<br />

als „Schwachsinn“ bezeichnen würde,<br />

kontert man mit einem diplomatischen<br />

Standardsatz wie „Glauben Sie, dass<br />

wir so zum Ziel kommen?“ – und<br />

macht, was verlangt wird. Man passt<br />

sich eben an.<br />

Ein Grund dafür ist die Macht der<br />

<strong>Leidenschaft</strong>: <strong>Leidenschaft</strong>liche Menschen<br />

haben bestimmte Vorstellungen<br />

oder Wünsche und sind getrieben<br />

vom Drang nach Wunscherfüllung.<br />

ZÜGELUNG UND<br />

GEFÜHLSKONTROLLE<br />

FÜR SOZIALE ORDNUNG<br />

Siegmund Freud konstatierte, dass<br />

<strong>Leidenschaft</strong> von Trieben gespeist ist,<br />

die tief in uns schlummern. <strong>Leidenschaft</strong>lich<br />

ist, wer sich dem hingibt,<br />

für das er brennt, auch wenn das Ziel<br />

noch weit entfernt ist und ein Scheitern<br />

möglich ist. Von Freud wissen<br />

wir auch, dass das Triebhafte in unserer<br />

Gesellschaft negativ konnotiert<br />

ist. Deshalb erlauben wir der <strong>Leidenschaft</strong><br />

nur unter bestimmten Rahmenbedingungen<br />

volle Entfaltung.<br />

Die Zügelung äußere sich gewöhnlich<br />

durch Gefühlskontrolle und diene<br />

der Beibehaltung sozialer Ordnung,<br />

sagt die Sozialanthropologin Herta<br />

Nöbauer und nennt das Beispiel Ehe:<br />

Damit das eheliche Band bestehen<br />

kann, muss <strong>Leidenschaft</strong> immer wieder<br />

domestiziert und in andere Bereiche<br />

verschoben werden. Während zu<br />

frühgeschichtlichen Zeiten die Ehe<br />

zur Zügelung von Promiskuität, also<br />

dem sexuellen Kontakt mit mehreren<br />

Partnern gleichzeitig, diene, wird<br />

heute ein Zuviel an sexueller <strong>Leidenschaft</strong><br />

von der Ehe in die Sexindustrie<br />

ausgelagert. Aber auch beim Sport<br />

geht es um das Ausleben der „triebhaften“<br />

<strong>Leidenschaft</strong>, allerdings in<br />

WIRTSCHAFT IST<br />

NICHTS RATIONALES<br />

einem klar definiertem Rahmen.<br />

Nicht nur bei menschlichen Beziehungen<br />

spielt die <strong>Leidenschaft</strong> eine<br />

Rolle, sondern auch in der Wirtschaft.<br />

Nach Adam Smith wird diese nicht<br />

von der Ratio, sondern von Passion<br />

angetrieben. Samt der Schattenseiten,<br />

etwa wenn die Gier zuschlägt, weil<br />

Menschen und ihre Finanzprodukte<br />

nicht mehr kontrolliert werden können<br />

und Teile der Wirtschaft so in<br />

den Abgrund fahren. Gerade die<br />

Wirtschaft sei ein Bereich, wo viele<br />

Bluffer unterwegs seien, betont Bärbel<br />

Schwertfeger, Chefredakteurin des<br />

Magazins „Wirtschaftspsychologie“.<br />

„Wie der Banker, dem soziale Verantwortung<br />

plötzlich ein Anliegen ist,<br />

10


<strong>Leidenschaft</strong> ist uns in die Wiege gelegt. Der Säugling<br />

kommt mit Offenheit und Vertrauen zur Welt, dass<br />

er so, wie er ist, richtig ist. Kohärenz nennt die Hirnforschung<br />

diesen Zustand, wenn kein Widerspruch<br />

ist zwischen dem, was ist und dem, was man möchte.<br />

In der Welt der Erwachsenen sind dies jene seltenen<br />

Glücksmomente, die leidenschaftliche Menschen erleben,<br />

erklärt der Hirnforscher Gerald Hüther. Fällt<br />

ein Mensch hingegen aus der Verbundenheit heraus,<br />

wird im Cortex (Hirnrinde) der Bereich aktiviert, der<br />

auch für körperliche Schmerzen zuständig ist.<br />

Gerald Hüther:<br />

www.kulturwandel.org<br />

www.lernwelt.at<br />

www.sinn-stiftung.eu<br />

Eva-Maria Engelen:<br />

http://www.uni-konstanz.de<br />

Herta Nöbauer:<br />

http://www.univie.ac.at/ksa/html/inh/pers/<br />

lekt/noeb.htm<br />

Foto: © Franziska Hüther<br />

wohlwissend, dass er es nur auf seine<br />

Boni abgesehen hat.“ Wirkliche<br />

<strong>Leidenschaft</strong> hingegen zeige sich<br />

durch innere Überzeugung der Protagonisten<br />

und sei stets authentisch,<br />

allerdings nicht unbedingt strategisch<br />

oder diplomatisch, weiß Schwertfeger.<br />

„Dabei besteht immer die Gefahr, dass<br />

man sich verrennt. Etwa jene, die aus<br />

<strong>Leidenschaft</strong> missionieren und nicht<br />

akzeptieren, dass andere Personen<br />

Dinge anders sehen.“ Oder dass man<br />

selbst aus- oder verbrennt.<br />

Grundsätzlich ist Schwertfeger der<br />

Meinung, dass in unserer Gesellschaft<br />

eher die angepassten Menschen dominieren.<br />

Schwertfegers Credo: „Jeder<br />

sollte sich fragen, was er wirklich<br />

gern machen würde.“<br />

SCHULEN TREIBEN<br />

LEIDENSCHAFT AUS<br />

„Das Grundvertrauen, die Basis für<br />

<strong>Leidenschaft</strong>, gerät spätestens dann<br />

ins Wanken, wenn das Kind zur<br />

Schule kommt“, erzählt Hirnforscher<br />

Gerald Hüther. Unser Schulsystem<br />

erziehe, belehre, und selektiere mit<br />

dem Ergebnis, dass am Ende der<br />

Volksschule viele Kinder krank seien:<br />

ADHS (ein Aufmerksamkeitsdefizit-/<br />

Hyperaktivitätssyndrom), Adipositas,<br />

Diabetes, Haltungsschäden. Für den<br />

Hirnforscher Hüther ist das Schlimmste,<br />

was in der Schule passieren kann,<br />

wenn die Schüler dort ihre <strong>Leidenschaft</strong><br />

am eigenen Entdecken und Gestalten<br />

verlieren und nur noch mit <strong>Leidenschaft</strong><br />

um gute Zensu ren kämpfen,<br />

geleitet von den Kriterien „Strafe vermeiden“<br />

oder „Belohnung“. Seine Lösung:<br />

Ein Schulsystem, das nicht auf<br />

Auswendiglernen basiere, sondern wo<br />

die Schüler in Teams ihre Aufgabenbereiche<br />

eigenständig und mit Freude<br />

erarbeiten. Dazu bräuchte es aber eine<br />

völlig neue Beziehungskultur. Keine<br />

Einzelkämpfer, sondern Teamworker,<br />

die begreifen, dass man nur gemeinsam<br />

etwas erreichen kann.<br />

Nur: Von oben lasse sich kein Kulturwandel<br />

anordnen, das sei ein langfristiger<br />

Transformationsprozess, der<br />

durch einen „Wust an Regulatorien“<br />

und die vorhandenen Verwaltungsstrukturen<br />

systematisch aufgehalten<br />

werde. Dabei wäre es höchste Zeit, das<br />

zu ändern, fordert Hüther. Bereits<br />

heute suchten die Universitäten keine<br />

„funktionierenden“ jungen Leute<br />

mehr, und Firmen bräuchten Menschen,<br />

die Lust hätten, sich einzubringen,<br />

Leute mit Teamfähigkeit, Kompetenz<br />

und Einfühlungsvermögen.<br />

Menschen, die erfahren hätten, wie<br />

es ist, ihr Leben selbst gestalten zu<br />

können.<br />

UNKONVENTIONELLE<br />

WEGE STATT ANPASSUNG<br />

Würden Menschen nicht primär versuchen,<br />

sich an die gegenwärtig herrschenden<br />

Erfordernisse anzupassen,<br />

sondern sich leidenschaftlicher dem<br />

hinzugeben, was sie tun wollen, würde<br />

das nicht nur mehr innovative Tüftler<br />

und Erfinder hervorbringen, sondern<br />

alle Lebensbereiche vorantreiben, ist<br />

Hirnforscher Hüther überzeugt. Er berät<br />

nicht nur in Sachen Bildung, sondern<br />

unterstützt auch Unternehmen, unkonventionellere<br />

und kreativere Wege zu<br />

gehen. Etwa die Bremer Kammerphilharmonie,<br />

die ohne Dirigent auskommt,<br />

weil den Musikern das gemeinsame Erarbeiten<br />

der Stücke wichtig ist. Deren<br />

39 Mitglieder führen die Philharmonie<br />

wie ein Unternehmen und haften mit<br />

ihren Privatvermögen. Mit dem Ergebnis,<br />

dass das Orchester mit nur einem<br />

Drittel der Subventionen auskommt.<br />

Die Musiker mischen auch beim Nachwuchs<br />

mit. Jedes Orchestermit glied<br />

investiert mindestens zehn Prozent<br />

seiner Arbeit in Kinder, um das Veränderungspotenzial,<br />

das in klassischer<br />

Musik liegt, an die nächste Generation<br />

weiterzugeben. Die Schüler sitzen dann<br />

mucksmäuschenstill zwischen den Orchestermitgliedern<br />

auf der Probebühne<br />

und lassen sich von der Konzentration<br />

der Künstler anstecken. <br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

11


USERSTORY<br />

Leben was man liebt,<br />

lieben was man tut<br />

Fotos: © Uwe Mauch<br />

DREI MENSCHEN, DIE FÜR IHRE ARBEIT UND FÜR IHRE IDEEN BRENNEN.<br />

Von Uwe Mauch<br />

ÜBER DIE SANFTE<br />

MOBILITÄT DES BAUCHES<br />

Ein kleines Tanzstudio in einer Nebengasse der Ottakringer<br />

Straße in Wien. Orientalische Musik aus dem Lautsprecher.<br />

MARIANNE GRUBER, gestandene Geschäftsfrau aus dem<br />

Waldviertel mit viel Bauchgefühl, legt sofort los.<br />

Schon wischt sie leicht bekleidet und leichtfüßig über das<br />

Parkett. Mit anmutigen Handbewegungen führt die Tänzerin<br />

ihren Schleier, rollt mit den Augen und dazu über die Fußballen,<br />

ehe sich langsam ihre Hüften zu drehen beginnen.<br />

Abseits der Schönheitsideale stellt Gruber etliche Klischees<br />

auf den Kopf. Weil sie die Vorbehalte kennt, zitiert die 56-Jährige<br />

ihren ägyptischen Tanzlehrer: „Erst eine voll erblühte Rose<br />

entfaltet ihren vollen Duft.“<br />

Mit dem Bauchtanz hat sie vor bald zwanzig Jahren begonnen,<br />

ursprünglich, um ihre Kreuzschmerzen zu lindern. Aus<br />

der hilfreichen Therapie wurde bald eine <strong>Leidenschaft</strong>.<br />

Und aus der <strong>Leidenschaft</strong> ein Business: Belissimas Orientpalast<br />

– so nennt sie ihr Geschäft an der Ottakringer Straße.<br />

Eine Straße, in der das Gros der Geschäftsleute einen multikulturellen<br />

Hintergrund hat und in der eine Waldviertlerin Seltenheitswert<br />

genießt. Ohne die sanfte Mobilität will sie heute<br />

nicht mehr leben: „Das Tanzen tut mir einfach gut, seelisch<br />

und körperlich.“ Zum Takt der Musik holt sie weiter aus:<br />

„Man kann dabei die Weiblichkeit spüren, die ja in einer<br />

männerdominierten Welt völlig unterdrückt wird.“<br />

Zwei, drei Mal pro Jahr geht Frau Gruber auf Reisen. In den<br />

Orient. Sie vertraut nämlich auf das Geschick der Näherinnen<br />

am Stadtrand von Kairo. Wo die Straßen keine Namen haben.<br />

Wo sie im Kopftuch vorfährt, immer mit schützendem<br />

Begleiter. Egal ob Ottakringer Straße oder Orient, Marianne<br />

Gruber ist heute in beiden Welten zu Hause. Ihr Bauchgefühl<br />

hat auch ihren Horizont erweitert.<br />

www.orientpalast.at<br />

12


ÜBER DEN KREATIVEN AKT<br />

DES FEDERFÜHRENS<br />

Langsam, leise, elegant, eigenwillig schwingt seine Feder<br />

über das Papier. Für ROMAN STEINER ist das Bewegen<br />

der Füllfeder elementarer Teil eines spannenden Kreativ-<br />

Prozesses. Steiner ist ein gut gebuchter Marken-Designer<br />

mit einem Faible für das Schöne. Für den REWE-Konzern hat<br />

er einst die Eigenmarke „clever“ entwickelt, für den Österreichischen<br />

Fußballbund lieferte seine Firma das Corporate<br />

Design.<br />

Alles spannend. Doch seine Augen beginnen zu funkeln,<br />

wenn er über seine Füllfedern spricht. Und ja, es sind seine<br />

Füllfedern! Vor zwei Jahren hat er die erste Füllfeder mit dem<br />

eingetragenen Markennamen „Gusswerk“ verkauft. Er hat<br />

für die Entwicklung dieser edlen und dennoch leistbaren<br />

Schreibgeräte viel Geld in die Hand genommen. Noch<br />

schreibt er damit keine Gewinne. Doch in einer Zeit, in der<br />

man sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren beginnt,<br />

da arbeitet die Zeit auch für ihn.<br />

„Das ist für mich eine tiefe <strong>Leidenschaft</strong>“, sagt der 42-jährige<br />

Marken-Designer. „Mit zwölf habe ich von meinem Vater einen<br />

Pierre-Cardin-Füller geschenkt bekommen. Der war<br />

blau und gold und nicht unbedingt schön. Ich habe ihn dennoch<br />

in der Schule verwendet, wohl auch, um mich damit<br />

von den anderen in der Klasse abzuheben.“<br />

Heute trägt er neben iPad und iPhone immer auch ein Moleskine-Tagebuch<br />

und eine Füllfeder mit sich, um damit<br />

fl üchtige Gedanken, Ideen, Entwürfe und auch konkrete Arbeitsschritte<br />

festzuhalten.<br />

„Ich schreibe anders“, erläutert der Entwickler von Marken,<br />

„wenn ich mit der Hand schreibe“. Er hat sich dabei auch<br />

selbst beobachtet: „Durch die Langsamkeit des Notierens<br />

bekommen meine Gedanken mehr Zeit, um sich auszuformen.<br />

Von Hand geschrieben sind die Gedanken oft noch<br />

nicht so konkret. Da bleibt für mich noch mehr Raum für<br />

Krea tivität.“<br />

Und noch eines: „Wenn ich meine Feder führe, fühlt sich jeder<br />

Buchstabe anders an. Auf der Tastatur meines Computers<br />

hingegen, da sind alle Buchstaben gleich.“<br />

www.originalgusswerk.com<br />

ÜBER ALLERLEI ENTDECKUNGEN<br />

IN FERNEN WELTEN<br />

Fragt man die international anerkannte Pollenforscherin<br />

MARTINA WEBER, die an der Universität Wien forscht und<br />

lehrt, wohin die nächste Reise gehen soll, antwortet sie immer<br />

mit dem selben Satz: „Das kann ich ganz genau sagen!“<br />

Die Vielfl iegerin sammelt Bonuspunkte für Flugmeilen so<br />

wie andere Vergünstigungen bei den ÖBB oder im Supermarkt<br />

ihres Vertrauens. Dabei reist sie nie in Gruppen, und<br />

nie gestresst. Davon zeugen unzählige Foto-Alben, die veranschaulichen,<br />

dass die Welt nicht nur in 3sat-Dokumentationen<br />

wunderschön sein kann.<br />

Die Weltgewandte forscht aber auch begeistert und begeisternd<br />

im Minimalbereich des Lebens. Dort fand sie heraus,<br />

wie Spermazellen in einem Pollenkorn entstehen. Komplex –<br />

ihre Doktorarbeit. Mehr noch – ihr Lebenswerk.<br />

Das Innenleben des Pollens ist für sie auch eine Welt für<br />

sich: „Faszinierend, wie alles zusammenpasst. Jede Zelle<br />

funktioniert wie eine moderne Fabrikshalle. In einem Teil<br />

wird etwas produziert, an einer anderen Stelle wird es verpackt,<br />

und am Ende wird es an die Oberfl äche zum Abtransport<br />

gebracht.“<br />

Und doch kommt das Gespräch bald wieder auf die große<br />

Welt zurück. Denn es gibt auch auf Martina Webers Erdball<br />

noch weiße Flecken, die sie noch nicht erforscht hat. Ihre<br />

Augen leuchten: „Mich interessiert in erster Linie das Andere.<br />

Nepal und Tibet, da will ich unbedingt noch hin. Und seit ich<br />

auf der Osterinsel war, muss ich auch noch zur Weihnachtsinsel.“<br />

Ihre nächste Reise geht Ende August nach Spitzbergen,<br />

Grönland und Island, dieses Mal mit dem Schiff. Damit steht<br />

auch schon der Resturlaub am Ende des Jahres fest. So wie<br />

fast immer: „Null.“<br />

www.botanik.univie.ac.at/sfb/<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

13


Die<br />

rastlose<br />

Weltfamilie<br />

Fotomontage: © Barbara Wais<br />

14


SICH ONLINE UND ANONYM VERLIEBEN, EINE PARTNERSCHAFT<br />

MIT ZWEI WOHNSITZEN IN UNTERSCHIEDLICHEN STÄDTEN FÜHREN:<br />

DISTANZ MUSS DER LIEBE KEINEN ABBRUCH TUN.<br />

IN EINER GLOBALISIERTEN WELT VERÄNDERN SICH FAMILIEN<br />

UND MÜSSEN DAHER NEU DEFINIERT WERDEN. Von Julia Schilly<br />

„Was kommt nach der Familie?“, fragte<br />

die Wissenschafterin Elisabeth Beck-<br />

Gernsheim bereits 1998 im gleichnamigen<br />

Buch. Darin stellte sie die<br />

These auf, dass sich die Familie immer<br />

mehr zu einem widersprüchlichen<br />

Modell zwischen traditionellen<br />

Sehnsüchten und neuen Herausforderungen<br />

entwickelt. Denn vor allem<br />

die neuen Jobchancen der globalisierten<br />

Welt schaffen neben der<br />

klassischen Form der Familie, die<br />

am gleichen Ort lebt, immer mehr<br />

verstreute Strukturen. Von manchen<br />

wird dieser Zustand erhofft, von anderen<br />

erlitten. Mit welchen Strategien<br />

überleben also diese neuen Beziehungen,<br />

ja sogar Liebe auf Distanz?<br />

„WIR WAREN NIE<br />

LÄNGER ALS<br />

14 TAGE GETRENNT“<br />

Beck-Gernsheim spricht aus eigener<br />

Erfahrung, da sie und ihr Mann, der<br />

ebenso bekannte Soziologe Ulrich<br />

Beck, seit Jahren an unterschiedlichen<br />

Orten arbeiten: Sie unterrichtet<br />

an der Universität in Trondheim in<br />

Norwegen, er pendelt nach London,<br />

beide leben in München. Beck-<br />

Gernsheim nennt die wichtigste persönliche<br />

Grundregel für ihre Fernbeziehung:<br />

„Wir waren nie länger als<br />

14 Tage getrennt.“ Ihr Modell kann<br />

jedoch nicht von allen Paaren angewendet<br />

werden. Für Wissenschafter<br />

und ohne Kinder sei es einfacher,<br />

sich die Zeit frei einzuteilen: „Wir packen<br />

so viel Arbeit wie möglich in den<br />

Zeitraum, in dem wir uns nicht sehen,<br />

damit wir dann ein paar Tage völlig<br />

frei haben.“<br />

In ihrem jüngsten Buch „Fernliebe“<br />

hat das Ehepaar Beck nun seine<br />

Untersuchungen zu Liebe und Beziehungen<br />

weitergesponnen und<br />

verschiedene Modelle von Fernbeziehungen,<br />

deren Stolperfallen und<br />

Chancen beleuchtet. Interessant ist,<br />

dass Beck-Gernsheim eine Fernbeziehung<br />

nicht nur pessimistisch sieht:<br />

Durch sie entstünden neue Anregungen.<br />

Der größte Feind der Liebe sei ja<br />

bekanntlich nicht nur Distanz, sondern<br />

auch zu viel Nähe und Routine.<br />

JEDER VIERTE<br />

ÖSTERREICHER<br />

KENNT FERNLIEBE<br />

Die Becks beweisen mit ihrer Themenwahl<br />

ein Gespür für aktuelle<br />

Trends: Wie Studien zeigen, gibt es<br />

immer mehr Fernbeziehungen. Laut<br />

Statistik Austria führten 1985 nur vier<br />

Prozent der Menschen über 30 Jahre<br />

eine Fernbeziehung. Aktuell hat jeder<br />

vierte Österreicher in dieser Altersgruppe<br />

Erfahrung damit. Vor allem<br />

junge Akademiker sind betroffen.<br />

Partnerbörsen im Internet schaffen<br />

die Möglichkeit, weit entfernte Partner<br />

kennenzulernen. Doch vor allem<br />

der Arbeitsmarkt begünstigt diese<br />

Entwicklung. Wer berufl ich weiterkom<br />

men will, muss fl exibel sein.<br />

Manchmal gehört eben auch ein<br />

Wohnortwechsel dazu. Die gängige<br />

Defi nition der Familie, deren Mitglieder<br />

im selben Haushalt leben, ist damit<br />

nicht mehr gültig.<br />

Erleichtert wurde der Strukturwandel<br />

der Familie und die Entstehung einer<br />

„Fernfamilie“ von modernen Kommunikationstechnologien<br />

wie E-Mail, Skype<br />

und Videotelefonie. Die Großmutter<br />

in Österreich kann dadurch bei der<br />

Weihnachtsbescherung in Spanien<br />

dabei sein, die Kinder zeigen ihre<br />

ersten Schritte am Bildschirm oder<br />

das frisch verliebte Paar schwört sich<br />

am Abend im Chatroom die Liebe.<br />

Doch körperliche Nähe und Geborgenheit<br />

können dadurch nicht ersetzt<br />

werden. Für Familien mit Kindern bedeutet<br />

das eine noch größere Entbehrung.<br />

„Aber wenn einmal etwas<br />

Schlimmes passiert, ist es doch etwas<br />

anderes, in den Arm genommen zu<br />

werden. Daher spricht man in diesem<br />

Zusammenhang auch von ‚sunny day<br />

technologies‘“, sagt Beck-Gernsheim.<br />

PHANTASIE WAR<br />

NOCH NIE SO GEFRAGT<br />

WIE HEUTE<br />

Die Technologie hat aber nicht nur<br />

das Potenzial, Beziehungen zu erhalten.<br />

Flirten, verlieben, betrügen und<br />

trennen: Vor allem das Internet habe<br />

die Art, wie wir lieben, in den vergangenen<br />

Jahren stark verändert, sagt<br />

der israelische Emotionsforscher<br />

Aaron Ben-Ze’ev. Der Professor der<br />

Philosophie hat sich in seinem Buch<br />

„In the Name of Love“ mit dem Thema<br />

eingehend auseinandergesetzt.<br />

Ein Aspekt dieser neuen Art der virtuellen<br />

Liebe ist jener, dass sich Paare<br />

online verlieben, ohne sich jemals offline<br />

getroffen zu haben. „Unser Vorstellungsvermögen<br />

war schon immer<br />

ein wichtiger Teil des menschlichen<br />

Lebens. Es war jedoch noch nie so<br />

gefragt, wie im Cyberspace“, sagt<br />

der Philosoph.<br />

KÖRPERLOSES<br />

VERLIEBEN<br />

Zunächst sind online alle Menschen<br />

gleich. Aussehen, Alter, Geschlecht<br />

oder Religion sind unbekannt. Bei<br />

persönlichen Bekanntschaften hingegen<br />

können solche Aspekte schon in<br />

den ersten Sekunden darüber entscheiden,<br />

ob man ein Gespräch aufnimmt<br />

oder zu fl irten beginnt. Wenn<br />

online der erste Funken übergesprungen<br />

ist, entsteht oft sehr schnell eine<br />

Nähe. Die Distanz tut der <strong>Leidenschaft</strong><br />

keinen Abbruch. Im Gegenteil:<br />

Es bestehe sogar die Möglichkeit,<br />

dass der Austausch von Informationen<br />

tiefer, vielseitiger und schneller<br />

passiere, sagt Ben-Ze’ev. Denn die<br />

Kommunikation kompensiert in diesem<br />

Fall die körperliche Distanz.<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

15


Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim: „Fernliebe”;<br />

280 Seiten, Suhrkamp Verlag 2011<br />

Aaron Ben-Ze’ev: Love online: Emotions on the<br />

Internet. 302 Seiten; Cambridge: Cambridge<br />

University Press. 2004<br />

Foto: © Isolde Ohlbaum<br />

Aaron Ben-Ze’ev, Ruhama Goussinsky: In the Name of<br />

Love: Romantic Ideology and Its Victims. 260 Seiten;<br />

Oxford University Press, USA. 2008<br />

Aaron Ben-Ze’evs Blog „In the Name of Love“:<br />

www.psychologytoday.com/blog/in-the-name-love<br />

Philippinische Arbeitsmigrantinnen vernetzen sich<br />

http://mmceai.blogspot.co.at<br />

Elisabeth Beck-Gernsheim und ihr Mann Ulrick Beck prognostizierten schon 1998 den Wandel der Familie zu immer<br />

mehr global verstreuten Teilfamilien. Heute lebt das bekannte Soziologenehepaar selbst eine Fernliebe:<br />

Sie arbeitet in Norwegen, er in England. Diesem Lebenskonzept liegt jedoch eine freiwillige Entscheidung zugrunde.<br />

Gleichzeitig bedeutet dies jedoch<br />

nicht, dass die Sache mit der Liebe<br />

einfacher wird. Es sei schwieriger geworden,<br />

eine feste Beziehung zu erhalten.<br />

Wir lebten in einer leistungsorientierten<br />

Gesellschaft, sagt der<br />

Philosoph. Im Hinterkopf hätten viele<br />

Menschen ständig den Gedanken,<br />

dass es jemand „Besseren“ oder eine<br />

„bessere Beziehung“ für sie geben<br />

könnte. Daher werde in Krisensituationen<br />

an bestehenden Beziehungen<br />

weniger gearbeitet. „Das hat aber<br />

nichts mit Faulheit zu tun. Es spielt<br />

vielmehr die Überlegung mit, wieso<br />

hart gearbeitet werden sollte, wenn<br />

es so viele vermeintlich angenehmere<br />

Möglichkeiten gibt“, sagt er.<br />

DIE EINEN WOLLEN,<br />

DIE ANDEREN MÜSSEN:<br />

FERNFAMILIEN AUF<br />

ZWEI KONTINENTEN<br />

Im Fall von Jobnomaden aus Asien,<br />

Afrika oder Osteuropa verlangt das<br />

Thema Fernliebe eine andere Betrachtungsweise,<br />

betont Elisabeth<br />

Beck-Gernsheim: Vor allem das Phänomen,<br />

dass Frauen ihre Familien<br />

verlassen, um in einem anderen Land<br />

(fremde) Kinder zu betreuen oder alte<br />

und kranke Menschen zu pfl egen,<br />

nimmt zu. Im Unterschied zum Brain-<br />

Drain, dem Abwandern qualifi zierter<br />

Arbeitskräfte in reichere Länder,<br />

spricht man hier vom Care-Drain.<br />

So suche sich eine berufstätige Frau<br />

in Österreich zum Beispiel die Hilfe<br />

eines Au-pairs, „bevor sie ganz in ihrer<br />

eigenen Arbeit und Betreuungspfl<br />

icht der Kinder<br />

untergeht“, sagt Beck-Gernsheim.<br />

Die Geschichten von Arbeitsmigranten<br />

sind sehr unterschiedlich, ein<br />

Beispiel ist Elena Manulat, die heute<br />

46 Jahre alt ist. Sie stammt aus<br />

Mindanao, der südlichsten Insel der<br />

Philippinen und ging mit 20 Jahren in<br />

die USA. Ihre erste Tochter ließ sie<br />

damals für die Aussicht auf ein besseres<br />

Leben für sich und ihre Familie<br />

zurück.<br />

DER EXPORTSCHLAGER<br />

DER PHILIPPINEN SIND<br />

ARBEITSKRÄFTE<br />

Manulat ist kein Einzelfall. Wer weggeht,<br />

gilt auf den Philippinen als Held.<br />

Arbeitskraft ist das wichtigste Exportgut:<br />

Achteinhalb Millionen Menschen<br />

arbeiten in mehr als 200 Staaten der<br />

Welt. Täglich ziehen bis zu 4000 Philippiner<br />

weg und suchen anderswo<br />

ihr Glück. Dieser Schritt wird massiv<br />

von der Regierung gefördert.<br />

Die Geld-überweisungen der sogenannten<br />

OFW, den „Overseas Filipino<br />

Workers“, aus dem Ausland an ihre<br />

Verwandten in der Heimat machen<br />

jähr lich bis zu zwölf Prozent des<br />

Bruttoinlandprodukts aus.<br />

Solange die Philippinerinnen im Ausland<br />

sind, erfolgt die Zuwendung für<br />

ihre Familien in materieller Form –<br />

so wie bei getrennten Familien in<br />

den Industrieländern. Die „sunny<br />

days technologies“ ersetzen aber<br />

auch hier nur begrenzt die Erziehung<br />

der Kinder oder die Partnerschaft.<br />

FERNFAMILIE IST OFT<br />

EIN INDIVIDUELLES<br />

EXPERIMENT<br />

AUF ZEIT<br />

Die Folge auf dem asiatischen Kontinent<br />

sind: Enttäuschungen auf beiden<br />

Seiten. Das Geld, das im Ausland<br />

verdient wird, sichert den<br />

Wohlstand zu Hause nicht in dem<br />

Maße ab wie ursprünglich erhofft.<br />

Die Kinder und der Mann zeigen nicht<br />

genug Dankbarkeit für die Entbehrungen<br />

der Frau. Elena Manulat lebt<br />

heute wieder in Mindanaos Hauptstadt<br />

Davao City und engagiert sich<br />

im Verein „Mindanao Migrants“. Ihr ist<br />

wichtig, bei den betroffenen Angehörigen<br />

Verständnis für die im Ausland<br />

arbeitenden Familienmitglieder zu<br />

wecken. Arbeit hat sie genug. Denn<br />

weltweit wird die Fernfamilie in Zukunft<br />

weiter wachsen.<br />

Auch wenn ein Teil der Betroffenen<br />

das Projekt Fernfamilie nach einer<br />

bestimmten Zeit beendet und sich<br />

entschließt, wieder an einem Ort<br />

zusammen zu sein. <br />

16


LAUFEN, KAUFEN, UM PUNKTE RAUFEN<br />

BEFRAGUNG WAR GESTERN. HEUTE BEOBACHTEN UNTERNEHMEN IHRE<br />

KUNDEN UND ERFAHREN DAMIT VIEL MEHR ÜBER SIE, ALS DIESE SELBST<br />

VON SICH WISSEN. Von Matthias Berger<br />

75 Prozent der Österreicher haben<br />

zumindest eine Kundenkarte. Laut einer<br />

Erhebung des Vereins für Konsumenteninformation<br />

beulen durchschnittlich fünf<br />

Plastikkarten die Geldbörsen aus.<br />

Mehr als 20 Millionen<br />

Kundenkarten sind in<br />

Österreich im Umlauf,<br />

Tendenz stark steigend.<br />

////// PSYCHOLOGIE DES SAMMELNS ////////////////////<br />

Der Mensch liebt es, nach Rabatten zu jagen und Punkte zu sammeln: Fünf Kundenkarten<br />

tragen die Österreicher im Durchschnitt mit sich herum. In Deutschland sind es vier. Warum<br />

eigentlich? Prestige spielt z.B. bei Meilensammelprogrammen eine klare Rolle. Darüber<br />

hinaus liefert die Theorie der Behavioral Economics von Nobelpreisträger David Kahnemann<br />

eine mögliche Erklärung: Gewinne, und sind sie noch so klein, werden vom Menschen<br />

stärker wahrgenommen als damit verbundene Kosten (Mittragen der Kundenkarten,<br />

zusätzlich getätigte Einkäufe). Ein Resultat dieser inneren Bewertung sind Mileage Runs:<br />

In Onlineforen rechnen besonders leidenschaftliche Vielfl ieger aus, über welche Reise -<br />

routen der billigste Flug mit den meisten Meilen zu holen ist. Die inbrünstige Tüftelei nimmt<br />

mitunter Stunden und Tage in Anspruch.<br />

KOMPLEXES EINFACH ERKLÄRT<br />

////// LUKRATIV FÜR ANBIETER ////////////////////////////<br />

Für die Unternehmen sind Kundenkarten pures Kalkül, aus zumindest drei Gründen. Erstens<br />

Umsatzsteigerung: Rabatte führen dazu, dass wir größere Mengen einkaufen. Gleichzeitig<br />

führen uns Sammelkarten an neue Produkte heran, die wir normalerweise nicht kaufen.<br />

Die so erzielten Zusatzumsätze bei den Händlern sind beachtlich: selbst in gesättigten<br />

Märkten oft bis zu 20 Prozent. Zweitens geht es um Kundenbindung: Kundenkarten führen<br />

im Ideal fall zu einer größeren Treue von Kunden: Statt zu wechseln, kommen wir immer<br />

wieder. Je besser die Datenfl ut analysiert und daher Kunden mit maßgeschneiderten Aktionen<br />

versorgt werden können, desto besser funktioniert die Kundenbindung. Das Ziel lautet:<br />

Massen personalisierung in der Werbung wie im Angebot. Das führt nahtlos zum dritten Vorteil:<br />

Händler, die wissen, was die guten Kunden wann kaufen (wollen), können ihr Sortiment<br />

so optimieren, dass sie letztlich noch einmal mehr verkaufen.<br />

////// BIG DATA – DAS NEUE GOLD ////////////////////////<br />

Überraschend ist, wie wenig die Datenberge, die gläserne Konsumenten bisweilen freiwillig<br />

liefern, in der Realität ausgewertet werden: Zur Zeit kann nur ein Drittel der Daten sammelnden<br />

Unternehmen weltweit ihre Daten nutzbringend verarbeiten. Zu diesem Schluss kam<br />

eine Studie des IT-Unternehmens EMC in Deutschland. Unter den Vorreitern befi ndet sich<br />

der britische Händler Tesco, dem jedes Prozent richtig ausgewerteter Daten jährlich bis zu<br />

120 Millionen Pfund mehr hereinspült. Der große Rest ist mit der extrem komplizierten Analyse<br />

und der Verwertung der Ergebnisse noch überfordert. Ein Beispiel aus der Praxis: Was<br />

nützt es einem Fan von Zartbitterschokolade, wenn er einen Gutschein für Lachgummi bekommt,<br />

nur weil die Süßwaren in der Datenanalyse noch nicht genauen Untergruppen zugeordnet<br />

werden können? Und: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist klar geregelt<br />

oder erlaubt. Auch das führt dazu, dass der Goldschatz, den manche in Big Data wähnen,<br />

nur zögerlich gehoben wird.<br />

Illustration: Barbara Wais<br />

In Zukunft werden die<br />

Kundenkarten im Smartphone<br />

gespeichert sein.<br />

Nach einer Prognose von McKinsey wird bis 2018 der Bedarf an Big-Data-Experten die<br />

verfügbaren Arbeitskräfte in den USA um 60 Prozent übersteigen. Dann ist maßgeschneiderte<br />

Kundeninformation vielleicht schon ein alter Hut. Es wird neue Wege der Verhaltensbeeinfl<br />

ussung geben: Im Geschäft wird eine automatische Koppelung zwischen Kundenkarte<br />

und Einkaufswagen den Kunden direkt zu jenen Produkten führen, die zu ihm passen<br />

könnten. Zusätzlich erhalten Kunden Vorschläge in Echtzeit: Hat er oder sie nur Kuchen im<br />

Korb, aber kein Schlagobers und befi ndet sich schon bei der Kassa? Schon kommt ein Erinnerungs-SMS.<br />

Plastikkarten an der Kasse vorzuzeigen, wird in wenigen Jahren nicht mehr<br />

nötig sein: Dann werden Mitgliedschaften automatisch vom Smartphone abgelesen werden.<br />

Überladene Geldbörsen, ausgebeulte Hosen – adé!<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

17


<strong>Leidenschaft</strong><br />

braucht Trott<br />

STATT DIE ELTERLICHE BAUFIRMA ZU ÜBERNEHMEN, HAT DER GRAZER<br />

CHRISTIAN HLADE EIN UNGEWÖHNLICHES REISEBÜRO GEGRÜNDET:<br />

WELTWEITWANDERN (WWW) BEGLEITET SEINE GÄSTE AUF REISEN JENSEITS<br />

DES MASSENTOURISMUS. Das Gespräch führte Daniela Müller<br />

Sie haben Architektur studiert.<br />

Eigentlich ein Beruf mit Potenzial zu<br />

<strong>Leidenschaft</strong>.<br />

Für mich nicht so ganz. Ich sollte die<br />

Baufirma der Eltern übernehmen,<br />

wollte aber nicht. Nach der HTL-<br />

Matura war ich vier Monate in Indien<br />

und Nepal und bin sterbenskrank mit<br />

einem Virus zurückgekommen, aber<br />

mit dem Entschluss, studieren zu wollen.<br />

Das Architekturstudium war für<br />

mich ein Wegbewegen vom Wunsch<br />

der Eltern, ohne den Plan ganz wegzuwerfen,<br />

quasi ein Abbiegen in Richtung<br />

Freiheit.<br />

Was ist auf der Reise passiert?<br />

Nach dieser Reise öffnete sich etwas in<br />

meinem Leben. Ich weiß nicht genau,<br />

was der Auslöser war, vielleicht die<br />

Berge, jedenfalls nichts Esoterisches.<br />

Nepal und Indien sind so anders, es<br />

rüttelt einen durcheinander.<br />

Reisen macht mit Ihnen etwas?<br />

Ich brauche die Ferne, um in der Nähe<br />

die Dinge zu ordnen – eine weitere<br />

Perspektive beizubehalten, um mich<br />

in der Nähe nicht in den kleinen Details<br />

zu verlieren. Das ist etwa, wenn<br />

ich zu lange in den normalen Trott<br />

eingespannt bin, aus dem ich nicht gut<br />

herauskomme. Wenn <strong>Leidenschaft</strong><br />

produktiv sein will, braucht es beides.<br />

Bergführer ohne Beziehung zum Land<br />

sind tragische Gestalten genauso wie<br />

die, die zu 100 Prozent im Alltag gefangen<br />

sind. Es braucht den Trott und<br />

das Eingebundensein in die Gesellschaft<br />

und es braucht das Ausreißen<br />

in die Weite.<br />

KOMMUNIKATION<br />

UND INFORMATION<br />

HABEN DAS REISEN<br />

STARK VERÄNDERT<br />

Haben Sie eine besondere Erfahrung<br />

mit dem Ausreißen?<br />

Ja. Ich durchlebte vor zwei Jahren eine<br />

Phase der Perspektiv- und Energielosigkeit<br />

und wollte auf Weltreise gehen.<br />

Die Firma habe ich den Mitarbeitern<br />

übergeben, ich hatte nicht einmal<br />

mehr eine Mailadresse. Bedenken<br />

hatte ich wegen meiner drei Kinder.<br />

Schließlich meinte meine Frau, „Wenn<br />

du so rumhängst, kann ich dich hier<br />

auch nicht brauchen.“ Ich wollte mehrere<br />

Monate weg sein, spürte aber bald,<br />

dass ich nicht mehr der Student mit<br />

Rucksack bin und dass planloses Reisen<br />

nicht mehr meins ist. Die Mitreisenden<br />

redeten mich mit „Sie“ an! Ich<br />

bin von dieser Reise früher zurückgekommen,<br />

es passte einfach zu meiner<br />

Rolle nicht mehr. Seither schaue ich,<br />

wie ich meine verschiedenen Pole in<br />

Balance bringen kann.<br />

Verändert das Reisen Ihre Gäste?<br />

Ich glaube, dass jene, die mit dem Leben<br />

unzufrieden sind – übrigens eher<br />

eine kleine Minderheit –, durch das<br />

Gehen und die Natureindrücke einen<br />

klareren Kopf bekommen. Durch das<br />

Erleben anderer Kulturen und anderer<br />

Möglichkeiten zu leben bekommt man<br />

wieder einen besseren Blick auf das eigene<br />

Leben.<br />

Wie hat sich das Reisen in den letzten<br />

Jahrzehnten geändert?<br />

Sehr stark, bedingt durch die Kommunikation<br />

und Information. Überall<br />

gibt es Satellitenfernsehen und<br />

arme Länder haben massiv aufgeholt.<br />

Ich habe in Ladakh (Tibet) vor 13 Jahren<br />

eine Schule gebaut, die fünf Tage<br />

von der nächsten Straße entfernt war.<br />

Heuer werde ich zum ersten Mal mit<br />

dem Taxi zur Schule fahren können.<br />

In den letzten Jahren hat die Mittelschicht<br />

Südamerikas und Asiens stark<br />

aufgeholt, Tausende brechen auf. Wir<br />

Europäer sind nicht mehr die Könige<br />

im weltweiten Tourismus.<br />

18


Fotos © Christian Hlade<br />

Global vernetzt und doch geerdet<br />

Christian Hlade kennt die schönsten Ziele auf<br />

der ganzen Welt. Mehrmals im Jahr geht er<br />

für sein Unternehmen Weltweitwandern auf<br />

Reisen.<br />

Die Firma legt er derweil in die Hände seiner<br />

Angestellten. Weltweitwandern bietet nicht<br />

nur alternatives und sanftes Reisen, das Unternehmen<br />

wurde auch vielfach für seine Mitarbeiterfreundlichkeit<br />

ausgezeichnet.<br />

Auch in seine Partner vor Ort investiert Hlade<br />

viel: Sie erhalten in Österreich Sprachkurse,<br />

lernen das Land und seine Werte kennen. Er<br />

organisiert zudem Austauschbesuche, der<br />

marokkanische Partner reist etwa in ein tibetisches<br />

Kloster und umgekehrt.<br />

Für die 20 wichtigsten Partner veranstaltet<br />

Hlade eine Akademie zur Fortbildung und<br />

zum interkulturellen Austausch. Davon profi -<br />

tieren laut Hlade alle Seiten. „Das ist unser<br />

USP.“<br />

Welche Folgen sind hier zu erwarten?<br />

Europa ist nicht mehr die große Nummer<br />

als Reiseveranstalter. Dann haben<br />

sich Länder wie Burma in Richtung<br />

Demokratie geöffnet, innerhalb kurzer<br />

Zeit hat sich die Touristenzahl verdreifacht.<br />

Dort boomt es, der Bau von<br />

Infra struktur explodiert, es ist eine<br />

rapide, ungesteuerte Entwicklung zu<br />

befürchten. Was sicher gefährlich für<br />

Naturschutz oder Kulturbewahrung<br />

ist. Aber es gibt in Burma bereits einen<br />

starken Wunsch, die Entwicklung zu<br />

bremsen, weil die ersten negativen<br />

Auswirkungen durch explodierende<br />

Grundstückspreise an den Stränden<br />

zu sehen sind.<br />

STATT VIELER<br />

STÄDTEREISEN<br />

LIEBER AB UND ZU<br />

EINE GROSSE REISE<br />

Und im Bereich der Reisemobilität?<br />

Der weltweite Flugverkehr wird gewaltig<br />

steigen, man kann aber den neuen<br />

Reisenden die für sie erst seit Kurzem<br />

leistbar gewordenen Flüge nicht verbieten.<br />

Vor allem wir Europäer kommen<br />

da in einen schweren Argumentationsnotstand.<br />

Aber es muss Ziel sein,<br />

den weltweiten Flugverkehr einzudämmen,<br />

das geht meiner Ansicht nach<br />

nur über das Einschränken der Verfügbarkeit.<br />

Wir von Weltweitwandern<br />

empfehlen, nicht mehrere kurze<br />

Städte reisen pro Jahr zu machen, sondern<br />

eher Nahurlaub und dazu einige<br />

Male im Leben eine richtige Reise, die<br />

den Horizont erweitert. Doch auch wir<br />

sind in die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

eingebunden. Wir hatten<br />

eine Bulgarienreise mit Bus und Zug<br />

im Programm, die niemand gebucht<br />

hat. Letztlich sehe ich eine Lösung auf<br />

der internationalen politischen Ebene<br />

und in Form einer gewaltigen Verteuerung<br />

des Rohstoffes Erdöl. Gerade das<br />

Thema Flugreisen muss auf globaler<br />

Ebene gelöst werden, „Global Warming“<br />

betrifft uns alle.<br />

Was macht die Sehnsucht nach den<br />

„großen“ Reisezielen aus?<br />

Sie sind schön. Wenn sie in Filmen<br />

und Büchern gut beschrieben sind,<br />

schürt das die Sehnsucht. Etwa nach<br />

Tibet: Obwohl wir wissen, dass die<br />

Tibeter fürchterlich unterdrückt sind,<br />

wollen wir dort ein Paradies sehen –<br />

das wir zwischendurch immer wieder<br />

finden. Es ist der Wunsch nach diesen<br />

Augenblicken. Bei der Hitparade der<br />

Reue sind nicht gemachte Reisen auf<br />

Platz 2. Platz eins besetzt die Liebe.<br />

IN NEPAL LEBEN<br />

DIE MENSCHEN<br />

VIEL MEHR<br />

IM AUGENBLICK<br />

Was bremst die <strong>Leidenschaft</strong> in unserer<br />

Gesellschaft?<br />

Ich denke, das hängt mit Achtsamkeit<br />

zusammen. In Nepal leben die Menschen<br />

viel mehr im Augenblick. Sie<br />

sehen etwas, das ihnen gefällt und<br />

rennen dort hin. Bei uns gibt es so<br />

etwas nicht. Menschen haben mehr<br />

Sorgen, Probleme, beschäftigen sich<br />

mit Zukunftsprojekten und Vergangenheitsreue.<br />

Ein Geheimnis vom<br />

Reisen, etwa nach Indien, ist, dass<br />

man an die eigenen Probleme nicht<br />

mehr denkt, weil die Probleme vor<br />

dem Auge so schreiend sind. Wenn<br />

ich von einer solchen Reise zurückkomme,<br />

sehe ich daheim alles wieder<br />

neu und lebe mehr im Augenblick. <br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

19


Altes Blech, junge Freude<br />

WER OLDTIMER, MOTOR- ODER FAHRRÄDER SAMMELT, SIEHT DIESE MIT<br />

ANDEREN AUGEN. DAS FAHREN SELBST IST NUR NOCH NEBENASPEKT.<br />

NATÜRLICH GESCHIEHT DAS ALLES NICHT ZUFÄLLIG, WIE DIE<br />

WISSENSCHAFT WEISS. Von Martin Strubreiter<br />

Moderne Autos sind schnell, sicher,<br />

zuverlässig und Oldtimerfreunden zu<br />

langweilig. Die entdecken lieber den<br />

Charme des Langsamen, das Sinnliche<br />

des Unperfekten, das Einzigartige der<br />

alten Formen, und wer seinen Werkzeugkoffer<br />

virtuos einzusetzen versteht,<br />

ist im Vorteil. Andere renovieren Fahrräder,<br />

die noch vor wenigen Jahren im<br />

Sperrmüll versunken wären, bauen sie<br />

zu Single-Speeds 1 um oder rollen auf<br />

Porteurs-Rädern 2 in die neueste Modewelle.<br />

Japanische Sammler hängen sich<br />

Renn- und Reiseräder berühmter Rahmenbauer<br />

neben edle Gemälde an die<br />

Wand, und man erkennt: Hier agiert<br />

reine <strong>Leidenschaft</strong>, um Mobilität alleine<br />

geht’s längst nicht mehr.<br />

Das gilt auch für Gerhard Würnschimmel:<br />

„Wenn mich jemand angesichts<br />

der restaurierungsbedürftigen<br />

Autos fragt, wann meine Sammlung<br />

fertig ist, dann sage ich: Sie ist schon<br />

fertig, und wenn ich in einigen Monaten<br />

ein weiteres Auto fahrbereit habe,<br />

dann ist sie eben anders fertig.“<br />

„MEINE WELLNESS-<br />

OASE IST ETWAS<br />

STAUBIG“<br />

Gerhard Würnschimmel sammelt seit<br />

40 Jahren Autos des 1961 untergegangenen<br />

deutschen Borgward-Konzerns.<br />

Die Kollektion umfasst schöne und<br />

perfekte Autos – und solche, die Neuwagenfahrer<br />

als Wracks bezeichnen<br />

würden. Das ist meist für Außenstehende<br />

ein Problem, nicht aber für<br />

den Sammler: „Manchmal fahre ich<br />

in meine Scheune, setzt mich in einige<br />

Autos, höre den Geschichten zu,<br />

die ihre Patina erzählt, und wenn ich<br />

wieder heimfahre, bin ich entspannt<br />

und fröhlich. Meine Wellness-Oase<br />

ist etwas staubiger als die des Durchschnittsbürgers.“<br />

Derlei <strong>Leidenschaft</strong><br />

verstehen am ehesten andere Sammler<br />

– oder Psychologen, Soziologen<br />

und Philosophen. Der Wirtschaftspädagoge<br />

und Germanist Lothar Beinke<br />

schreibt in seinem Buch „Sammeln<br />

und Sammler“: „Es ist beim Sammeln<br />

das Entscheidende, dass der Gegenstand<br />

aus allen ursprünglichen<br />

Funktionen gelöst wird, um in die<br />

denkbar engste Beziehung zu seinesgleichen<br />

zu treten. Dies ist der diametrale<br />

Gegensatz zum Nutzen.“<br />

Spätestens jetzt ist der Blick frei auf<br />

die reine Freude, die Sammler mit<br />

ihrem Hobby zelebrieren. Sammeln<br />

nur als Rest des früheren Jagdtriebes<br />

zu sehen, sei zu populärwissenschaftlich,<br />

meint die Psychotherapeutin<br />

Veronika Schröter: „Sammeln hat viel<br />

mit Schönheit, Ästhetik und Kultur zu<br />

tun, es ist eine wunderbare Ressource<br />

zur Erholung, und auch eine Positionierung:<br />

Der Sammler zeigt sich als<br />

Teil dieser Welt, indem er sich mit ihr<br />

über die Sammlung verbindet und in<br />

die Geschichte seiner Sammelobjekte<br />

eintaucht.“<br />

SAMMELOBJEKTE<br />

VERRATEN VIEL ÜBER<br />

DIE GESCHICHTE DES<br />

SAMMLERS<br />

Ralph Sichler, Professor für Sozialund<br />

Angewandte Psychologie an der<br />

Siegmund Freud Universität in Wien<br />

ergänzt: „Ich sehe Sammeln als Versuch,<br />

sich eine vertraute Umgebung zu<br />

schaffen, in der man sich gut auskennt.<br />

Man vertieft sich in etwas, wo es immer<br />

weitergehen kann, wo es aber auch<br />

klare Grenzen gibt: Das sammle ich –<br />

und das nicht.“<br />

Für den Psychoanalytiker und Kunstsammler<br />

Werner Muensterberger ist<br />

das fortwährende Suchen ein Kernelement<br />

der Sammlerpersönlichkeit, wie<br />

er in „Sammeln. Eine unbändige <strong>Leidenschaft</strong>“<br />

beschreibt: „Es ist mit viel<br />

tiefer liegenden Wurzeln verknüpft, es<br />

erweist sich als Neigung, die aus einer<br />

nicht sofort erkennbaren Erinnerung<br />

an Entbehrung, Verlust oder Verletzung<br />

und einem sich daraus ergebenden Verlangen<br />

nach Ersatz herrührt.“<br />

Warum aber werden alte Autos gesammelt?<br />

Ralph Sichler meint, dass die Vertrautheit<br />

mit der eigenen Jugend mit<br />

eine Rolle spiele, vieles werde verklärt:<br />

Schlechte Erfahrungen würden ausgeblendet,<br />

die guten blieben erhalten.<br />

SAMMLER WOLLEN<br />

DURCH IHRE<br />

SAMMLUNG IN EWIGER<br />

ERINNERUNG BLEIBEN<br />

Gertraud Flemming-Hagn, Besitzerin<br />

mehrerer Citroen 2CV, bestätigt das.<br />

„Der Geist des Entenfahrens hat viel<br />

mit den 70er Jahren zu tun, mit der<br />

Hochblüte der Hippiezeit in Österreich.<br />

Bis heute strahlt der 2CV für<br />

mich Liebe und Frieden aus.“<br />

Die Freude am Fahren ist bei Fahrradsammlern<br />

ähnlich. Walter Schmidl,<br />

Besitzer von rund 125 Fahrrädern der<br />

Baujahre 1891 bis 2000: „Je nach Wetter<br />

und Transportbedarf nehme ich in<br />

der Früh ein Rad aus meiner Sammlung<br />

und fahre in die Arbeit. So beginnt<br />

jeder Tag mit meinem Hobby.<br />

Fahrradsammeln deckt viele Bereiche<br />

ab, die mich interessieren: das Nützliche,<br />

das Sportliche, das Finden, Restaurieren<br />

und das Erforschen der<br />

Fahrradgeschichte.“ Der Forschertrieb<br />

sammelt also mit, und auch das<br />

Bestreben, der Nachwelt einmal eine<br />

feine Sammlung zu hinterlassen, ist<br />

ein wesentliches Motiv vieler Sammler.<br />

Natürlich könnte man auch neue Autos<br />

sammeln. Da wird viel durch den<br />

Freundeskreis bestimmt: Sammel-<br />

20


Gerhard Würnschimmel sagt zu seiner Oldtimersammlung „Wellnessoase“.<br />

Fotos: © Karin Feitzinger<br />

Foto: © wikipedia/Mick<br />

Für Walter Schmidl beginnt jeder Tag mit einem seiner<br />

125 geliebten Fahrräder der Baujahre 1891–2000.<br />

<strong>Leidenschaft</strong> für den Citroen 2CV prägt bis heute so<br />

manchen Freundeskreis und führte sogar Liebende zusammen.<br />

objekte sind irgendwie auch Statussymbole.<br />

Ralph Sichler: „Will man<br />

Aner kennung erfahren, dann ist das<br />

Lebensumfeld entscheidend. Mit Spoilern<br />

bestückte, tiefergelegte BMWs<br />

sind bei Vorstandsvorsitzenden eher<br />

nicht so gefragt wie in manch ländlicher<br />

Gegend.“ Natürlich tauchen wir<br />

da mitten ins Henne-Ei-Problem, denn<br />

auch das Sammelgebiet formt den<br />

Freundeskreis. Gertraud Flemming-<br />

Hagen: „Bis auf wenige Ausnahmen<br />

kommen alle unsere Freunde aus der<br />

2CV-Szene, und meinen Mann habe<br />

ich auch bei einem Klubtreffen kennengelernt.“<br />

KLUBTREFFEN SIND<br />

KULT UND FORMEN<br />

DEN FREUNDESKREIS<br />

Überhaupt, die Clubtreffen. Was einfach<br />

als fröhliche Zusammenkunft<br />

Gleichgesinnter gesehen werden kann,<br />

kommt kultischen Handlungen nahe:<br />

Als Kult im strengen Sinn gilt eine Zusammenkunft<br />

mehrerer Menschen, die<br />

ritualisierte Handlungen zu Ehren eines<br />

Objektes vollführen. Oldtimerausfahrten<br />

sind da verdächtig nahe dran.<br />

Was die Art des Sammelns betrifft, so<br />

haben Männer und Frauen einen unterschiedlichen<br />

Zugang, wie Ralph<br />

Sichler erklärt: „Fahrzeuge sprechen<br />

tendenziell eher Männer an, man darf<br />

spekulieren, ob da die Eroberung der<br />

Welt mitspielt und Kraft und Power,<br />

auch wenn alte Autos nicht so viel<br />

Kraft haben.“ Provokant formuliert<br />

lautet der Umkehrschluss, dass Frauen<br />

ihre Kraft und Power auch ohne fahrbaren<br />

Untersatz demonstrieren können.<br />

DAS ENDE EINER<br />

SAMMLUNG IST<br />

EINE RATIONALE<br />

ENTSCHEIDUNG ÜBER<br />

AUFWAND UND ERTRAG<br />

Eine Oldtimersammlung kann aber<br />

auch ausufern. „Häuft jemand zu viel<br />

an, dann liegt das oft daran, dass es<br />

mehr um den Kick beim Erwerben<br />

geht, ums Siegen, um den Erfolg beim<br />

Ersteigern“, erläutert Ralph Sichler.<br />

Eine überbordende Sammlung will aber<br />

nicht mit Messietum verwechselt werden.<br />

Das sei laut Veronika Schröter ein<br />

anderes Phänomen, es wurzle im Unvermögen,<br />

etwas loszulassen. Gefährdet<br />

seien besonders Personen, die in ihrer<br />

Kindheit viele Zwänge erlebt haben.<br />

Einem Messie aber sei seine Wohnung<br />

peinlich, während ein Sammler stolz<br />

auf seine Kollektion sei. Dennoch trennen<br />

sich Sammler bisweilen von ihrer<br />

gesamten Sammlung. Ralph Sichler:<br />

„Diese Entscheidung kann sehr rational<br />

sein, wenn ein Sammler erkennt,<br />

dass Aufwand und Ertrag nicht mehr<br />

zusammenpassen – gerade bei Oldtimern<br />

steckt ja oft auch viel Geld in der<br />

Sammlung. Es kann mit Frustration<br />

und Enttäuschung zu tun haben, wenn<br />

man erkennt, dass einen das Sammelgebiet<br />

nicht so erfreut wie erhofft. Oder<br />

neue Lebenszusammenhänge wie beispielsweise<br />

eine neue Beziehung eröffnen<br />

frische Perspektiven.“ Im Idealfall<br />

also erkennen Sammler, wann die<br />

Zeit reif ist für einen neuen Lebensabschnitt.<br />

Oder ein neues Sammelgebiet.<br />

<br />

1 Sehr schlanke, reduzierte Fahrräder ohne<br />

Schaltung und folglich mit nur einer Übersetzung<br />

– entweder mit Freilauf oder ohne, letztere<br />

sind auch als Fixies bekannt.<br />

2 Transporträder mit einem überbreiten Gepäcksträger<br />

über dem Vorderrad, wie sie einst<br />

beispielsweise von Bäckern benützt wurden.<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

21


INNOVATIVES ONLINE & OFFLINE<br />

START-UPS<br />

SPANNENDE IDEEN AUS ALLER WELT VON ODER FÜR<br />

MENSCHEN MIT LEIDENSCHAFT. Von Katrin Stehrer<br />

////// NACHHALTIGKEIT AUF DREI RÄDERN /////////////<br />

Das visionäre indisch-holländische Startup Three Wheels United (TWU) will mit<br />

dem Verkauf von Hybrid-Tuk-Tuks die Umweltverschmutzung und den Lärm in Indiens<br />

Großstädten bis 2020 um bis zu 30% reduzieren. Die prekäre Einkommenssituation<br />

der fünf Millionen indischen Tuk-Tuk-Fahrer soll ebenfalls verbessert werden:<br />

TWU erleichtert den Fahrern den Kauf der Rikschas durch faire Darlehen und<br />

sichert ihnen eine zusätzliche Einnahmequelle: die Nutzung der Tuk-Tuks als Werbeträger.<br />

Das Start-up wurde vom holländischen Social Impact Inkubator Enviu mitbegründet<br />

und vom Fast Company Magazin unter die 10 innovativsten Unternehmen<br />

der Welt gereiht.<br />

www.threewheelsunited.com<br />

enviu.org<br />

////// DIE BOX FÜR ALLE FÄLLE ////////////////////////////<br />

Der Schweizer Philippe Perakis wollte sich bei seinen Touren von Unterbrechungen<br />

wie etwa einer Hotelübernachtung im Tal nicht mehr einschränken lassen. Der einstige<br />

Profi -Mountainbiker entwickelte die swissRoomBox, eine Wohnung in der Kiste,<br />

die im Auto mitgenommen werden kann. Die swissRoomBox wird im Kofferraum<br />

transportiert und kann je nach Bedarf ausgeklappt werden: zur Warmwasserdusche<br />

mit Duschvorhang, zum Doppelbett, zur Küche oder zum Esszimmer. Einzelne Module<br />

gibt es ab ca. EUR 700, die all-inclusive Version kostet rund EUR 7500.<br />

www.swissroombox.com<br />

////// NICHT OHNE MEIN FAHRRAD ///////////////////////<br />

Vrachtfiets, niederländisch für Cargo Fahrrad, ist eine Transportlösung für wahre<br />

Fahrradenthusiasten, die selbst beim Umzug nicht auf das Bike verzichten möchten.<br />

Es hat Platz für zwei Personen, bietet Lagerraum für zwei Kubikmeter Fracht und wird<br />

durch einen mit Solarstrom betriebenen Elektroantrieb unterstützt.<br />

Entwickelt wurde es von den beiden Industriedesignstudenten Onno Sminia und<br />

Louis Pierre Geerinckx an der TU Delft. Obwohl das Vrachtfi ets für Privatkunden gedacht<br />

war, sind die ersten Kunden große Abnehmer wie die Stadt Delft, die Technische<br />

Universität Delft sowie Ikea.<br />

www.vrachtfi ets.nl<br />

////// FENSTERPLÄTZE ZUM SPIELEN /////////////////////<br />

Auf langen Zugfahrten vertreiben sich die Passagiere die Zeit meist lieber mit Büchern<br />

oder Mobilgeräten, anstatt bloß die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten.<br />

Die japanische audio-visuelle Gruppe Salad will das ändern und integriert die Landschaft<br />

in ein Spiel. Touch the Train Window ermöglicht es den Reisenden durch<br />

bloßes Berühren der Fensterscheibe Gegenstände wie Ballons, Flugzeuge, Bäume,<br />

aber auch Vögel und Menschen in der Landschaft zu platzieren. Die Augmented-<br />

Rea lity-Technologie ist eine Mischung aus iPhone, Kinect, openFramework, GPS<br />

Modul und Beamer. Wenn sich die Idee durchsetzt, müssen wohl bald alle Sitze im<br />

Zug Fensterplätze sein.<br />

www.csp-salad.com<br />

22


THERAPIE AN DER BUSHALTESTELLE /////////////<br />

Der Mangel an Sonnenlicht und damit an Vitamin D ist ein bekannter Auslöser von<br />

Winterdepressionen. Dem hat der Energiekonzern Umeå Energi im schwedischen<br />

Umeå den Kampf angesagt. Weil es in der 500 Kilometer nördlich von Stockholm gelegenen<br />

Stadt im Dezember nur vier Lichtstunden pro Tag gibt, ersetzte Umeå Energi<br />

die Werbefl ächen von 30 Bushaltestellen mit fototherapeutischen Lampen. Diese<br />

sollen die Tagesdosis an Licht erhöhen und den Hormonspiegel im Gehirn in lichtarmen<br />

Zeiten auf einem gesunden Level halten. Um die volle Wirkung der kostenlosen<br />

Lichttherapie nutzen zu können, müsste man sich 30 Minuten pro Tag bestrahlen<br />

lassen – bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad eine große Überwindung.<br />

www.umeaenergi.se<br />

////// DIE STRASSE ALS KRAFTWERK ////////////////////<br />

Solarenergie liegt im Trend und wird schon lange nicht mehr nur am Dach des<br />

Eigen heims gewonnen. In Europa hat das niederländische Forschungsinstitut TNO<br />

die Solarzelle nun auf die Straße gebracht. In einem Kooperationsprojekt mit einer<br />

Straßen baugesellschaft und einem Elektrotechnikkonzern wurde die Solaroad<br />

(Solarstraße) entwickelt. Sie ist mit einer zentimeterdicken Solarzellenschicht bedeckt<br />

und lässt sich modulartig auf eine beliebige Länge zusammensetzen. Das System<br />

Solaroad könnte unter anderem zur Stromversorgung der umliegenden Häuser<br />

beitragen: Bereits 30 Quadratmeter decken den Energiebedarf eines Singlehaushalts<br />

in der Höhe von 1.500 kwh pro Jahr. Alleine Holland hat ein Straßennetz von<br />

ca. 140.000 Kilometern Länge, das dafür genutzt werden könnte. Der Proto typ, ein<br />

Fahrradweg in Krommenie in der Nähe von Amsterdam, kann bereits besichtigt<br />

werden.<br />

www.tno.nl/solaroad<br />

Der Elektroingenieur Scott Brusaw arbeitet am US-amerikanischen Pendant zur Solaroad.<br />

2009 entwickelte er für die US-Highway-Verwaltungsbehörde einen Solarroad<br />

Prototyp. Seit 2011 wird auch an einem Parkplatz-Protoypen gearbeitet. Seine<br />

Vision ist, das Land von Kalifornien bis New York City mit einer Solarstraße auszustatten.<br />

So komme es zu einem Kontinent überspannenden Netzwerkeffekt, über den<br />

die Westhälfte der USA in der Nacht mit der Energie der Osthälfte, an der Tag ist,<br />

versorgt wird und umgekehrt.<br />

http://solarroadways.com/intro.shtml<br />

////// DER BALL ZUM MINENRÄUMEN /////////////////////<br />

Schätzungen zufolge gibt es weltweit 100 Millionen Landminen, 10 Millionen sollen<br />

es allein in Afghanistan sein. Massoud Hassani, Absolvent der Design Academy<br />

Eindhoven, suchte nach einer Lösung für dieses Problem und erfand den Minenräumungsball<br />

Mine Kafon (Persisch für Explosion). Er sieht aus wie der überdimensionierte<br />

Kopf einer Pusteblume mit zwei Metern Durchmesser und ist aus biologisch<br />

abbaubarem Hartplastik und Bambusrohren konstruiert. Sobald der Räumungsball<br />

über eine Landmine rollt, wird die Detonation ausgelöst. Der 80 Kilogramm schwere<br />

Mine Kafon wird durch den starken afghanischen Wind angetrieben, dieser bestimmt<br />

auch die Richtung des Weges. Der eingebaute GPS-Sensor zeigt die Landminenfreien<br />

Zonen später im Internet an. Ob eine serienmäßige Produktion folgt, ist noch<br />

unklar.<br />

http://minekafon.blogspot.co.at<br />

www.vimeo.com/51887079<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

23


PROGRAMMIERTE<br />

EMPATHIE<br />

Foto: © www.iuro-project.eu<br />

24


IN NAHER ZUKUNFT WERDEN EMPATHISCHE ROBOTER IN DIE<br />

PRIVATHAUSHALTE EINZIEHEN, SIE WERDEN UNS ALLTAGSENTSCHEIDUNGEN<br />

ABNEHMEN UND WIR WERDEN SIE DAFÜR LIEBEN.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

„Wir sind soziale Wesen, das ist nicht<br />

unsere Entscheidung“, sagt Paolo Petta,<br />

Emotionsforscher am Austrian Research<br />

Institute for Artificial Intelligence<br />

(OFAI). Und plötzlich sitzt er<br />

vollkommen regungslos da. Was sich<br />

wie eine Ewigkeit anfühlt, dauert vielleicht<br />

zwei, höchstens drei Sekunden.<br />

Dann die Erlösung, wie auf Knopfdruck<br />

wieder zum Leben erweckt sagt<br />

er: „Ja, wir sind es.“ – Er hat mit dieser<br />

kleinen Demonstration wirklich anschaulich<br />

verdeutlicht, was er meint:<br />

Wer auf sein Gegenüber nicht mehr<br />

eingeht, wirkt sofort unmenschlich.<br />

Auch Barbara Kühnlenz von der<br />

Technischen Universität München<br />

(TUM) erforscht menschliche Emotion<br />

in der Interaktion mit der Maschine.<br />

Konkret arbeitet sie zusammen<br />

mit Projektpartnern mehrerer<br />

europäischer Universitäten an IURO,<br />

einem Roboter, der in der Lage ist,<br />

mit dem Menschen face-to-face zu<br />

kommunizieren. Sein Repertoire baut<br />

auf Erkenntnissen der Psychologie<br />

auf, vor allem dem Wissen, dass Empathie<br />

das Fundament menschlicher<br />

Beziehungen darstellt. Ein Freund ist<br />

jemand, der einen verständnisvoll ansieht<br />

und einem zuhört. Nun erforschen<br />

Wissenschafter wie Kühnlenz,<br />

ob die Mechanismen der Empathie<br />

die Maschine dem Menschen näher<br />

bringen können. Tritt IURO mit einem<br />

Menschen in Kontakt, stellt er<br />

sich zunächst vor und fragte dann<br />

sein Gegenüber wie es ihm gehe. Dadurch<br />

entsteht die Basis für eine prosoziale<br />

Interaktion mit dem Roboter.<br />

Noch sind sie hauptsächlich in Fabriken<br />

im Einsatz, doch die Roboter<br />

kommen. Da sind sich die Experten<br />

einig. Kleinserien als Alltagshilfen<br />

dürften in zehn bis 15 Jahren vom<br />

Band rollen, spätestens 2050 werden<br />

Roboter in privaten Haushalten standardmäßig<br />

im Einsatz sein. Diese<br />

Helfer sollten als möglichst angenehme<br />

Gesellschaft empfunden werden,<br />

Befindlichkeiten des Menschen<br />

erkennen und berücksichtigen können.<br />

„Der Roboter sollte etwa merken,<br />

dass der Mensch gerade nicht gut<br />

drauf und vom Staubsauger genervt<br />

ist, und in einem anderen Raum zuerst<br />

saugen“, sagt Kühnlenz.<br />

2050 SIND SERVICE-<br />

ROBOTER AKTIVE<br />

FAMILIENMITGLIEDER<br />

IURO ist zirka 1,70 Meter groß, besteht<br />

aus einem kompakten, robusten<br />

Rumpf, Armen und ist auf Rädern unterwegs.<br />

Auf den ersten Blick beeindruckt<br />

aber IUROs Gesicht: Riesige<br />

blaue Augen, hinter denen Kameras<br />

eingebaut sind, er kann die Mundwinkel<br />

und die Augenbrauen hochziehen<br />

und lustig mit den kleinen<br />

Ohren schlagen. Was IURO sagt und<br />

wie die Mimik-Features in der Interaktion<br />

mit dem Menschen eingebracht<br />

werden, ist Kühnlenz’ Domäne. „Wir<br />

Menschen empfinden es als natürlicher,<br />

wenn der Roboter überrascht<br />

dreinschaut, weil er einen Auftrag<br />

nicht verstanden hat, als wenn ein<br />

rotes Lämpchen aufleuchtet“, sagt sie.<br />

IURO kann mittlerweile sogar in den<br />

Gesichtern der Menschen lesen. Der<br />

erste Ausflug des Prototypen führte<br />

in die Münchner Innenstadt. Der Roboter<br />

wurde losgeschickt, um nach<br />

dem Weg zum Marienplatz zu fragen.<br />

Das Ziel war, dass die Menschen ihm<br />

helfen sollten. IURO steuerte also<br />

Passanten an. In diesem Feldversuch<br />

kam bereits eine anspruchsvollere<br />

Variante des Small Talk zum Einsatz.<br />

Denn IURO schätzte anhand<br />

des Gesichtsausdrucks ein, wie sich<br />

der Mensch gerade fühlt – darauf ist<br />

er programmiert. „Die Einschätzung<br />

war zwar nicht immer korrekt, aber<br />

dadurch wurde eine gemeinsame<br />

Basis für eine Interaktion geschaffen.<br />

Die meisten Menschen haben ihm<br />

dann auch geholfen“, sagt Kühnlenz.<br />

Dies ist der sozialpsychologische Angelpunkt,<br />

von dem aus sich ein noch<br />

größeres soziales Repertoire des Roboters<br />

entwickeln lässt. Nachdem<br />

auch die Robotik verstärkt selbstlernende<br />

Systeme einsetzt, wird der Roboter<br />

künftig vom Menschen lernen,<br />

der ihm Feedback gibt: „Das hast du<br />

gut gemacht.“ Der Mensch wird für<br />

den Roboter zur wichtigsten Informationsquelle.<br />

Auch der Affective Intelligent Driving<br />

Agent, kurz AIDA, hat große Augen,<br />

wenn auch nur als Bildschirmgrafik.<br />

Er ist ein freundlicher Co-Pilot, eine<br />

aktuelle Entwicklung von Volkswagen<br />

of America in Zusammenarbeit<br />

mit dem Massachusetts Institute of<br />

Technology (MIT). AIDA verarbeitet<br />

Daten aus dem Inneren des Wagens<br />

und allem, was sich außerhalb tut.<br />

Das System spricht mit dem Lenker<br />

und ist Autodidakt: Mit jeder Fahrt<br />

lernt es den Fahrer und die Verkehrssituation<br />

in der Stadt besser kennen.<br />

Das Gerät ist quasi die nächste Generation<br />

der Navigationssysteme und<br />

kann deutlich mehr. Es gibt dem Fahrer<br />

nicht nur die beste Route durch<br />

und rechtzeitig Bescheid, wenn er<br />

sich etwa zu seinem Termin verspätet.<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

25


RADIKALE<br />

TRENDBRÜCHE AUF<br />

DEM WEG ZUR MOBILITÄT<br />

DER ZUKUNFT<br />

Foto: © www.iuro-project.eu<br />

Können gegenseitig ihre Gesichter lesen und Small Talk führen:<br />

Roboter IURO und seine Chefi n Barbara Kühnlenz von der technischen Universität München.<br />

Mehr noch, auf Wunsch schreibt das<br />

Ding gleich eine SMS an den Wartenden<br />

und gibt dem Fahrer sodann die<br />

Antwort durch. Wird der Fahrer ein<br />

wenig müde, spielt es flotte Musik aus<br />

den im Handy gespeicherten Playlists.<br />

PROGRAMMIERTE<br />

LIEBE FUNKTIONIERT<br />

NICHT<br />

Wenn IURO mit seinen großen Augen<br />

verständnisvoll dreinschaut, so<br />

ist dies programmiert. Roboter, die<br />

mit gängiger Software unterwegs sind,<br />

seien nicht klüger als Waschmaschinen,<br />

betont der irische Informatiker<br />

Noel Sharkey. Roboter und Computer,<br />

die sich verselbständigen, die durchknallen<br />

und die Menschheit vernichten<br />

wollen, kennt man aus der Science-<br />

Fiction-Literatur und Filmen. Dass<br />

Roboter Gefühle erlernen und Bewusstsein<br />

erlangen werden, gar<br />

liebes- und leidensfähig sind, wie<br />

etwa das Roboterkind David in Steven<br />

Spielbergs Film AI, der seine Menschenmutter<br />

abgöttisch liebt, bleibt<br />

ein Mythos. Und daran wird auch<br />

das Einspeichern immer größere Datenmengen<br />

nichts ändern. „Vielleicht<br />

wird es irgendwann möglich, dass<br />

durch die Verschaltung der richtigen<br />

Kreise der Roboter eine Art Bewusstsein<br />

herausbildet“, meint Kühnlenz.<br />

Herausforderungen, die einer Gesellschaft<br />

voller Robotern blühen, werden<br />

wohl andere sein. Die Menschheitsgeschichte<br />

zeigt, dass jede technologische<br />

Revolution massive gesell schaftliche<br />

Veränderungen zur Folge hat, betont<br />

Petta vom OFAI in Wien. Roboter, soviel<br />

steht fest, fügen sich zunehmend<br />

effizienter in die Arbeits welt ein. Industrieroboter<br />

arbeiten mittlerweile so<br />

genau und sind so günstig, dass bereits<br />

Produktionsverlagerungen von Industrie-<br />

in Billiglohnländer abgesagt und<br />

stattdessen Roboter angeschafft wurden.<br />

Es stellt sich also die Frage, was<br />

das für eine Gesellschaft sein wird, in<br />

der sie allgegenwärtig sind und viele<br />

Arbeiten und Tätigkeiten übernehmen,<br />

und noch wichtiger: Was werden dann<br />

die Menschen tun?<br />

ÄLTERE MENSCHEN<br />

WOLLEN ROBOTER<br />

NICHT MEHR<br />

HERGEBEN<br />

Der Roboter wird möglicherweise niemals<br />

Gefühle entwickeln können, das<br />

Affektwesen Mensch wird sich jedoch<br />

an die Maschine binden. Im Feldver -<br />

such zur Interaktion zwischen Mensch<br />

und Roboter in der Münchner Innenstadt<br />

zeigte sich, dass viele Menschen,<br />

vor allem auch ältere, gerne bereit waren,<br />

mit dem Roboter zu kommunizieren.<br />

„Und sie waren auch sehr geduldig<br />

mit ihm“, betont Kühnlenz.<br />

Petta vom OFAI berichtet davon, wie<br />

älteren Menschen für die Zeit nach<br />

einer Operation oder Rehabilitation<br />

ein Miniroboter zur Verfügung gestellt<br />

wurde, um sie etwa daran zu erinnern,<br />

regelmäßig ihre Medikamente<br />

einzunehmen, Blutdruck zu messen<br />

und die Werte einzutragen. „Was man<br />

aber nicht bedacht hatte, war wie sich<br />

die älteren Leute dabei fühlen werden,<br />

wenn der Roboter nach einigen Wochen<br />

wieder abgeholt wird.“ Sie hatten<br />

sich an ihn gewöhnt, einige sprachen<br />

mit ihm.<br />

Anhand von Beispielen wie diesem<br />

hat man inzwischen erkannt, wie<br />

wichtig es ist, die ethische Dimension<br />

zu überprüfen, aber auch, dass man<br />

die Entscheidung darüber nicht dem<br />

Entwickler überantworten kann, sondern<br />

andere, am besten wir alle, daran<br />

Teil haben. Technologiefolgenabschätzung<br />

ist vielschichtig, der gesell schaft-<br />

26


Fotos: © MIT SENSEable City Lab and<br />

Personal Robots Group of Media Lab<br />

Auch der Affective Intelligent Driving Agent (AIDA) wird bald neben dem Navigieren auch und die Gefühle des Fahrers erkennen<br />

und sie mit seinen blauen Augen ausdrücken. Ziel ist es, in der richtigen Situation richtig zu reagieren, um das Fahrerlebnis zu verbessern.<br />

Zum Beispiel werden Fahrtipps nur bei guter Gemütslage des Lenkers gegeben.<br />

liche Diskurs darüber von enormer<br />

Relevanz. Petta: „Wir alle sind aufgerufen,<br />

einen Umgang mit neuen Technologien<br />

zu finden. Man lässt ja auch<br />

kein Stanleymesser offen herumliegen.“<br />

Und Klaus Mainzer, TUM-Professor<br />

für Philosophie und Wissenschaftstheorie<br />

unterstreicht, dass etwa für<br />

die fortschreitende globale Vernetzung<br />

gelten muss, was für jedes Küchengerät<br />

gilt, das auf den Markt<br />

kommt: Sicherheitsstandards müssen<br />

eingehalten werden.<br />

Ethiker und Technikphilosophen beschäftigen<br />

sich nicht nur mit Robotern,<br />

sondern mit der zunehmenden globalen<br />

Vernetzung intelligenter Infrastrukturen.<br />

Schon in naher Zukunft<br />

werden wir die Komplexität des Alltags,<br />

Energieversorgung und Verkehrsprobleme<br />

über solche Netzwerke<br />

lösen. Sie werden den Globus wie ein<br />

Nervensystem überziehen. Und sie<br />

werden sich eigenständig organisieren<br />

und autonom agieren müssen, nicht<br />

zuletzt weil der Mensch die Details<br />

gar nicht mehr überblickt.<br />

Parallel zu diesen großen Netzen<br />

spannt sich das so genannte Internet<br />

der Dinge. Kleinstcomputer werden<br />

künftig alle Objekte miteinander verbinden<br />

und Informationen mit Menschen<br />

sowie anderen Dingen austauschen.<br />

Ins Internet der Dinge sind<br />

nicht nur das Heizsystem oder der<br />

Kühlschrank eingebunden, sondern<br />

selbst so kleine Objekte wie die Glühbirne,<br />

die über WLAN verfügt. Vergisst<br />

der Letzte also, das Licht auszumachen,<br />

kann er dies übers Handy<br />

später bequem vom Büro aus erledigen.<br />

Das Internet der Dinge wird als das<br />

nächste große Ding gehandelt, die<br />

Infrastruktur dafür ist de facto längst<br />

geschaffen. Seit August 2010 sind bereits<br />

mehr Maschinen als Menschen<br />

im Internet. Der Technologiekonzern<br />

Cisco schätzt, dass bis 2015 rund<br />

15 Milliarden Gerätschaften mit dem<br />

Internet verbunden sein werden,<br />

50 Milliarden bis 2020. Und weil das<br />

Internet bereits jetzt aus allen Nähten<br />

platzt, muss ein neues Adressierungssystem<br />

eingeführt werden. Statt<br />

4,3 Milliarden Webadressen wird das<br />

neue Internet Raum für 340 Sextillionen<br />

Adressen bieten (die Sextillion<br />

hat 36 Nullen!).<br />

Das Internet der Dinge klingt nach einer<br />

wundervollen und gespens tischen<br />

neuen Welt zugleich. Man stelle sich<br />

vor, das Auto macht während der<br />

Fahrt ein merkwürdiges Geräusch,<br />

der Fahrer hält an, das Fahrzeug meldet<br />

dem Fahrer, wo das Problem liegt,<br />

ruft den Pannendienst an und informiert<br />

auch diesen darüber, gibt den<br />

genauen Standort durch und welche<br />

Ersatzteile benötigt werden sowie wo<br />

diese lagernd sind.<br />

Keine Branche wird davon unberührt<br />

bleiben. Und noch wichtiger, die fortschreitende<br />

Technikintegration wird<br />

tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen<br />

nach sich ziehen. Das erzeugt<br />

Begeisterung, aber auch Unbehagen.<br />

In einer Welt, in der alles<br />

vernetzt ist, bleibt nichts geheim.<br />

Die Technik bietet ungeahnte Möglichkeiten.<br />

Entdecken wird diese das<br />

niemals auf Bequemlichkeit ausgelegte<br />

„Steinzeithirn“ des Menschen,<br />

das gefordert werden will: Neurowissenschaftliche<br />

Untersuchungen zeigen,<br />

dass mit der Hand zu schreiben mehr<br />

Gehirnareale aktiviert, darunter jene,<br />

die für das Lernen und Merken zuständig<br />

sind, als vergleichsweise flüchtiges<br />

Tippen auf dem Keyboard. Eine Studie,<br />

die Psychologen an der Universität<br />

Princeton durchgeführt haben, offenbarte,<br />

dass sich die Studenten Textinhalte<br />

besser gemerkt haben, wenn<br />

diese in schlechter Druckqualität<br />

daher kamen.<br />

GEGENREAKTION AUF<br />

TECHNOLOGISIERUNG:<br />

MANUELLE<br />

ANSTRENGUNG<br />

Gewisse Komplikationen scheinen<br />

das Gehirn regelrecht zu beflügeln<br />

und der Kreativität auf die Sprünge<br />

zu helfen. Der amerikanische Rockmusiker<br />

Jack White ist davon überzeugt,<br />

dass gute Musik nicht leicht<br />

von der Hand gehen darf, und macht<br />

sich deshalb das Leben auf der Bühne<br />

absichtlich schwer: indem er etwa auf<br />

billigen Gitarren spielt und verschiedene<br />

Instrumente so anordnet, dass<br />

er sich anstrengen muss, wenn er zwischen<br />

ihnen wechseln will.<br />

Der österreichische Schriftsteller<br />

Arno Geiger beschreibt die Tücken<br />

der Technologisierung im Zusammenhang<br />

mit menschlicher <strong>Leidenschaft</strong><br />

im Onlinemagazin Chrismon:<br />

„Ich würde gerne Gitarre spielen können,<br />

aber wenn ich mir dafür am<br />

Kiosk nur einen Chip kaufen müsste,<br />

wäre es nichts wert. Das Schöne ist,<br />

dass ich die Sehnsucht habe, etwas zu<br />

können, aber mir meiner Unfähigkeit<br />

bewusst bin und dann eine <strong>Leidenschaft</strong><br />

dafür entwickle. Das erzeugt<br />

Glück.“ <br />

www.iuro-project.eu<br />

www.ofai.at<br />

http://senseable.mit.edu/aida<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

27


DIE SUCHE<br />

Foto: © Klara Harden<br />

NACH DEM<br />

GLÜCK<br />

DIE ÖSTERREICHERIN KLARA HARDEN FINANZIERT ÜBER CROWDFUNDING<br />

FILMPROJEKTE, FÜR DIE SIE BRENNT. ZULETZT BEREISTE SIE ZUSAMMEN MIT<br />

KARSTEN PRÜHL MADAGASKAR. AUF FAHRRÄDERN ERKUNDETEN DIE BEIDEN<br />

FILMEMACHER DIE INSEL, FINGEN IHRE SCHÖNHEIT WIE AUCH IHRE PROBLEME<br />

EIN. IHR AKTUELLER FILM WITH LOVE FROM MADAGASCAR LÄUFT IM INTERNET.<br />

Das Gespräch führte Ruth Reitmeier<br />

„With Love from Madagascar“ wurde<br />

wie schon Ihr erstes Film-Abenteuer<br />

„Made in Iceland“ über Crowdfunding<br />

finanziert, konkret über die Plattform<br />

Startnext. Wieso haben Sie sich für<br />

diese Art der Finanzierung entschieden?<br />

Ich denke, ohne Crowdfunding wäre<br />

es nicht möglich gewesen, dieses Projekt<br />

überhaupt zu machen. Die Supporter<br />

sind alle Kleinstproduzenten<br />

und sie sind stolz darauf, wenn sie ihren<br />

Namen im Abspann lesen.<br />

Alle Unterstützer werden namentlich<br />

genannt?<br />

Ja selbstverständlich, es ist sehr wichtig<br />

zu zeigen, dass wir ja nicht bloß<br />

einen Film machen wollten, sondern<br />

wir haben diesen Film für genau<br />

diese Menschen gemacht. Denn sie<br />

haben entschieden, dass er gedreht<br />

wird. Das ist das Schöne am Crowdfunding:<br />

Hat man eine Idee, die andere<br />

berührt oder den Zeitgeist trifft,<br />

dann kann man etwas produzieren,<br />

das sonst kaum Chance auf Realisierung<br />

hätte.<br />

28


Crowdfunding – die Schwarmfi nanzierung – wurde in der Kulturund<br />

Kreativszene zwecks Projektfi nanzierung erdacht. Auf den US-<br />

Plattformen Kickstarter und Indiegogo sammeln Kreative seit Jahren<br />

Geld für Buchprojekte, Musik, kultige Magazine. Seit zirka 2010<br />

sind auch mehrere deutsche Crowdfunding-Plattformen online, darunter<br />

Startnext. Kreative präsentieren ihre Projekte in einem kurzen<br />

Video auf der Plattform. Der Investor unterstützt jene Projekte, die er<br />

realisiert sehen will. Es gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip. Findet die<br />

Idee binnen einer Frist nicht genug Anklang, dann wird sie auch<br />

nicht verwirklicht. Jene, die bereits überwiesen haben, bekommen<br />

ihr Geld zurück.<br />

Anders als beim Spenden geht es beim Crowdfunding um Geben<br />

und Nehmen. Die Mäzene zahlen 10, 20, 100 Euro oder auch mehr<br />

für ihr Wunschprojekt ein und bekommen als Gegenleistung ein<br />

exklusives „Dankeschön“. Das kann eine handsignierte CD sein,<br />

eine Premierenkarte, ein T-Shirt. Crowdfunding entwicklet sich zu<br />

einem Instrument der Kulturfi nanzierung, einer Alternative zur Subventionierung<br />

durch die öffentliche Hand. Mischformen zwischen<br />

staatlicher und privater Projektfi nanzierung durch Crowdfunding<br />

sind im Kommen.<br />

Findige Internet-Unternehmer haben die Idee des Crowdfunding<br />

längst weitergedreht und renditefähig gemacht. Das Crowdinvesting<br />

ward geboren. Beim Crowdinvesting legt eine Großgruppe von<br />

Kleinst-Investoren zusammen und stellt Risikokapital für Start-ups<br />

und innovative Unternehmen bereit. Crowdinvesting hat starkes Potenzial:<br />

Zum einen wird es für Gründer und mittelständische Unternehmen<br />

zunehmend schwieriger, Risikokapital für Innovationen<br />

von Banken zu bekommen. Für den Anleger ist das Modell in Zeiten<br />

mickriger Sparzinsen nicht zuletzt deshalb interessant, weil er mit<br />

überschaubaren Geldbeträgen in der Höhe von hundert Euro direkt<br />

in Unternehmen seiner Wahl investieren kann. Durch die Investition<br />

in mehrere unterschiedliche Projekte kann das Risiko gestreut werden.<br />

Hinzu kommt: Im deutschsprachigen Raum ist laut Branchenkennern<br />

noch jede Menge Platz für private Geldgeber.<br />

CROWDFUNDING<br />

FINANZIERT IDEEN,<br />

DIE SONST KEINE<br />

CHANCE HÄTTEN<br />

Wie viel Geld hatten Sie letztendlich<br />

zur Verfügung?<br />

Über die Startnext haben wir die angepeilten<br />

5000 Euro gesammelt, dazu<br />

kam eine Filmförderung von Cinestyria<br />

über 2500 Euro. Zudem haben uns<br />

drei Unternehmen mit Expeditionsequipment<br />

gesponsert.<br />

Dieses Budget ist für ein Projekt<br />

dieser Art schmal. Sind Sie damit<br />

durchgekommen?<br />

Nein, das war uns allerdings von<br />

Anfang an klar, dass sich das nicht<br />

ausgehen wird. Ich erinnere mich<br />

aller dings noch, dass Startnext<br />

meinte, dass un ser Zielbetrag von<br />

5000 Euro für das Finanzierungsinstrument<br />

Crowdfund ing doch recht<br />

hoch ist. Das hat sich seither allerdings<br />

geändert, mittler weile ist es<br />

durchaus üblich, 10.000-Euro-<br />

Projekte so zu finanzieren.<br />

Und wie haben Sie die Finanzlücke<br />

geschlossen?<br />

Bei unserem Filmprojekt ist auch unser<br />

privates Geld hineingeflossen und wir<br />

haben die gesamte Produktion, also<br />

etwa den zeitaufwändigen Filmschnitt,<br />

als unbezahlte Arbeitszeit aus der<br />

eigenen Tasche finanziert.<br />

DIESE ART DER FILME<br />

SICHERN MICH SOZIAL<br />

NICHT AB<br />

Und wie verdienen Sie Ihren<br />

Lebensunterhalt?<br />

In Berlin mache ich Fotos für Schauspieler,<br />

das sind kleinere Aufträge.<br />

In Österreich habe ich zuletzt für<br />

Red Bull als Kamerafrau gearbeitet.<br />

Das sind Jobs, die ganz ordentlich<br />

bezahlt sind und von denen ich lebe,<br />

auch in der Zeit, in der ich an den<br />

eigenen Projekten arbeite.<br />

Was ist die Motivation, sich das<br />

überhaupt anzutun?<br />

Die Motivation für den Madagaskar-<br />

Film war für uns, dass wir, obwohl es in<br />

Europa alles gibt, von diesem Leben<br />

nicht ausgefüllt waren. Wir dachten,<br />

dass es da noch mehr, mehr Sinn geben<br />

muss. Und ich wollte diesmal die Aufmerksamkeit,<br />

die mir durch den Island-<br />

Film zuteil wurde,für etwas nutzen, für<br />

das sie wirklich gebraucht wird. Durch<br />

den Film konnten wir sichtbar machen,<br />

welche Hilfsprojekte es auf Madagaskar<br />

gibt, was sie machen, und welche Art<br />

von Unterstützung die richtige ist.<br />

DIE MENSCHEN IN<br />

MADAGASKAR LEBEN<br />

VON ABHOLZUNG, DAS<br />

IST NICHT NACHHALTIG<br />

Madagaskars gravierenstes Problem<br />

ist die Umweltzerstörung durch Abholzung...<br />

Ja. Und wir hoffen natürlich, dass<br />

wir die Organisationen, die wir<br />

besucht haben, durch den Film<br />

bekannter machen und auf diese<br />

Weise unterstützen können.<br />

Ein heilsamer Geldfluss zieht sich<br />

durch diese Geschichte: Mit Crowdfunding<br />

haben Sie den Film weitgehend<br />

finanziert und zugleich die<br />

Fan-Community aufgebaut, und nun<br />

werden noch mehr Menschen den<br />

Film sehen und das vielleicht zum<br />

Anlass nehmen, eines der porträtierten<br />

Projekte zu unterstützen. Doch<br />

der Film bietet vor allem Spannung<br />

und Abenteuer.<br />

Auf der Madagaskar-Reise ist so vieles<br />

passiert, und wir haben dort auch<br />

harte Zeiten und viele Überraschungen<br />

erlebt. Wir konnten deutlich<br />

weniger von Madagaskar bereisen als<br />

geplant, dafür war die Reise intensiver.<br />

Was hat Sie aufgehalten?<br />

Etwa eine auf der Landkarte einge-<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

29


Fotos: © Klara Harden<br />

Nach einer intensiven Zeit des Crowdfunding können die Filmemacher Klara Harden und Karsten Prühl ihren neuesten Film<br />

„With Love from Madagaskar“ drehen. Vor Ort stoßen die jungen Kreativen auf unerwartete Hürden wie zum Beispiel im Plan verzeichnete<br />

aber real nicht vorhandene Straßen. Aufgeben ist jedoch keine Option.<br />

zeichnete Straße am Meer entlang, die<br />

sich als Sandpiste entpuppte, wo man<br />

mit dem Fahrrad einfach nicht mehr<br />

fahren konnte.<br />

CROWDFUNDING<br />

FUNKTIONIERT NUR BEI<br />

AUSSERGEWÖHNLICHEN<br />

IDEEN UND SEHR<br />

PRÄZISE FORMULIERTEN<br />

ANLIEGEN<br />

Beim Crowdfundig muss man die Idee<br />

schon in einem frühen Stadium mit<br />

anderen teilen. Ist das ein Problem<br />

für den kreativen Prozess?<br />

Im Gegenteil, es ist eher förderlich,<br />

weil man seine Idee sehr früh, sehr<br />

präzise ausformulieren muss. Dadurch<br />

wird einem auch selbst klar,<br />

was man eigentlich erreichen will.<br />

Fehlermachen ist Teil dieses Lernprozesses,<br />

denn es wird einem von der<br />

Community schnell und direkt vermittelt,<br />

wenn man auf dem Holzweg<br />

ist.<br />

Konkret?<br />

Wir haben etwa diesmal nicht nur ein,<br />

sondern zwei Präsentationsvideos gemacht,<br />

weil wir gemerkt haben, dass<br />

sich die Leute beim ersten Anlauf<br />

schwer getan haben, zu verstehen, was<br />

wir wollen. Beim Islandfilm war die<br />

Aussage simpel: „Eine junge Frau will<br />

sich ihren Traum erfüllen, und wenn<br />

du auch an Träume glaubst, dann unterstützt<br />

du sie.“ Das war leicht zu<br />

formu lieren. Madagaskar war ein deutlich<br />

komplexeres Projekt. Hinzu kam:<br />

Wir haben das erste Video auf Englisch<br />

gedreht, haben aber gemerkt, dass das<br />

für die deutschsprachigen Unterstützer<br />

schwierig war. Das zweite Video haben<br />

wir auf Deutsch mit englischen Untertiteln<br />

gemacht.<br />

GESCHENKE UND<br />

EINE NENNUNG IM<br />

ABSPANN ALS LOHN<br />

Haben Sie denn Fans außerhalb<br />

Österreichs und Deutschlands?<br />

Aber ja, einige unserer Supporter<br />

kommen aus den USA, einige aus<br />

Asien, und viele aus anderen Ländern<br />

Europas.<br />

Was bekommen Eure Unterstützer<br />

als Dankeschön?<br />

Die meisten, die uns über Startnext<br />

unterstützt haben, haben eine selbstgemachte<br />

Postkarte gewählt. Wir haben<br />

auch Briefe versandt, und Karsten<br />

Prühl hat Zeichnungen mitgeschickt.<br />

Vielen Briefen waren kleine Dinge beigelegt,<br />

wie ein Korallenstück oder eine<br />

Bohne aus Madagaskar. Neben der exklusiven<br />

Preview des Films für die<br />

Supporter werden sie allesamt im Abspann<br />

genannt.<br />

Was motiviert Sie, sich wiederholt<br />

einer so schwierigen Aufgaben wie<br />

dem Filmen zu stellen, zumal damit<br />

kein Geld zu machen ist.<br />

Ich habe während des Filmschneidens<br />

wieder darüber nachgedacht. Das ist<br />

nämlich sehr anstrengend und man<br />

kann dazwischen die Motivation verlieren.<br />

Doch ich weiß, warum ich das<br />

mache: weil für mich ein europäisches<br />

Standardleben nicht funktionieren<br />

würde. Viel Geld ist für mich im Augenblick<br />

nicht wichtig, ich muss niemanden<br />

versorgen. Ich will mich auch<br />

nicht an Güter binden, weil ich weiß,<br />

dass das nicht glücklich macht. Die<br />

Arbeit ist eine Suche nach Glück und<br />

auch eine Investition in die Zukunft.<br />

Vielleicht gibt es ja künftig eine Möglichkeit,<br />

davon sogar leben zu können.<br />

Gibt es neue Vorhaben?<br />

Es ist noch nichts spruchreif, doch es<br />

gibt Pläne für künftige Abenteuer.<br />

Es geht also weiter ...<br />

Ja, und ich glaube nicht, dass ich<br />

jemals damit aufhören werde. <br />

„With Love from Madagascar“ unter:<br />

http://klaraharden.com/<br />

So funktioniert Crowdfunding:<br />

www.youtube.com/<br />

watch?v=kowE3CrOpMg<br />

30


VON WEST NACH OST: WO<br />

SCHLÄGT DAS HERZ DEN KOPF?<br />

OB AUF DEM RÜCKEN DES MOTORRADES, IM INTERNET ODER IM GOURMET-<br />

LOKAL – DIE ÖSTERREICHER FINDEN IHRE LEIDENSCHAFT AUCH REGIONAL<br />

AUF HÖCHST UNTERSCHIEDLICHE WEISE. Von Silvia Wasserbacher<br />

DATEN & FAKTEN<br />

Essen ist <strong>Leidenschaft</strong>. Wenn es um die gehobene Küche geht,<br />

sind der Phantasie und dem Geschmackserlebnis keine Grenzen<br />

gesetzt. Die meisten Gourmet Tempel befinden sich in Salzburg.<br />

Vielleicht gibt es deshalb seit geraumer Zeit das Studium der<br />

Gastrosophie. In fünf Semestern wird man an der Universität<br />

Salzburg zum akademischen Gourmet und lernt, wie Ernährung,<br />

Kultur, Medizin, Wirtschaft und Kommunikation zusammenhängen.<br />

Schlusslicht bildet Oberösterreich. Vielleicht, weil der Weg nach<br />

Salzburg nicht weit ist. www.gastrosophie.at<br />

Anzahl der Haubenrestaurants je<br />

100.000 Einwohner in Österreich<br />

Quelle: Gault Millau, getestete Restaurants 2012<br />

Oberösterreich<br />

Niederösterreich<br />

Steiermark<br />

Vorarlberg<br />

Tirol<br />

Burgenland<br />

Wien<br />

Kärnten<br />

Salzburg<br />

Anzahl der Kaffeehäuser je<br />

100.000 Einwohner in Österreich<br />

Quelle: WKÖ, Kaffeehäuser und Kaffeekonditoreien<br />

Vorarlberg<br />

50,8<br />

Wien<br />

51,2<br />

Niederösterreich<br />

58,9<br />

Salzburg 69,8<br />

Oberösterreich 73,9<br />

Burgenland 87,3<br />

Kärnten<br />

117,6<br />

Steiermark<br />

132,0<br />

Tirol<br />

148,6<br />

8,3<br />

13,1<br />

18,2<br />

19,7<br />

21,3<br />

22,4<br />

27,3<br />

28,3<br />

36,7<br />

Schwarz und stark oder mit viel Milch und Schlag – Kaffee ist<br />

nicht nur ein Koffein-Kick sondern auch Genussmittel. Die<br />

größte Kaffeehausdichte gibt es nicht in Wien, sondern in Tirol.<br />

In der Großstadt schätzt man die Anonymität. Daher können sich<br />

59 % der Wiener vorstellen, ihren Partner im Internet zu suchen. In<br />

Tirol sind es nur 34 %. Im Umkehrschluss könnte man sagen, dass<br />

die Wiener österreichweit das kleinste Selbstbewusstsein haben.<br />

Denn über das Medium Internet ist die Mutschwelle niedriger, jemanden<br />

anzusprechen. Eine Umfrage des GfK Austria* bestätigt<br />

die Vermutung: Nur 72 % der Wiener fühlen sich attraktiv, wohingegen<br />

die Eigenschaft 80 % der Tiroler für sich attestieren.<br />

* GfK Austria Sozial- und Organisationsforschung, telefonische Befragung von<br />

n= 500 Personen, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung ab 15 Jahren.<br />

Vorstellbarkeit der Partnersuche im Internet in<br />

Prozent in Österreich Tirol 33,8 %<br />

Quelle: parship.at<br />

Burgenland<br />

38,2 %<br />

Kärnten<br />

38,6 %<br />

Oberösterreich<br />

42,3 %<br />

Salzburg<br />

46,8 %<br />

Vorarlberg<br />

47,6 %<br />

Steiermark<br />

47,7 %<br />

Niederösterreich<br />

57,2 %<br />

Wien<br />

58,8 %<br />

Einmal im Jahr werden 70.000 Motorräder am Faaker See gezählt.<br />

Dann treffen sich in Kärnten die Harley-Davidson-Fans aus ganz Europa<br />

und zelebrieren das Gefühl der Freiheit. Unterm Jahr geht es ruhiger zu.<br />

Dennoch: Mit Blick auf den Österreich-Vergleich steht das südliche<br />

Bundesland in der Motorradstatistik an erster Stelle.<br />

Dem Motto „gemeinsam statt einsam“<br />

folgen im Vereinsland Österreich vor<br />

allem die Kärntner. Ob Brauchtum und<br />

Kultur, ob Tiere und Natur oder Sport und<br />

Gesundheit, es ist für jeden etwas dabei.<br />

Tanzen ist die <strong>Leidenschaft</strong><br />

schlechthin. Die meisten Tanzschulen<br />

Österreichs werden im<br />

Burgenland betrieben.<br />

Schlusslicht ist Vorarlberg.<br />

Anzahl der Motorräder je<br />

100.000 Einwohner in Österreich<br />

Quelle: Statistik Austria 2011<br />

Wien<br />

Salzburg<br />

Oberösterreich<br />

Tirol<br />

Burgenland<br />

Steiermark<br />

Vorarlberg<br />

Niederösterreich<br />

Kärnten<br />

3.511<br />

4.751<br />

4.857<br />

5.108<br />

5.127<br />

5.233<br />

5.445<br />

5.564<br />

5.654<br />

Anzahl Vereine je<br />

100.000 Einwohner in Österreich<br />

Quelle: BMI Vereinsstatistik 2012<br />

Oberösterreich<br />

Vorarlberg<br />

Salzburg<br />

Niederösterreich<br />

Steiermark<br />

Tirol<br />

Wien<br />

Burgenland<br />

Kärnten<br />

1.198<br />

1.222<br />

1.239<br />

1.350<br />

1.456<br />

1.484<br />

1.511<br />

1.715<br />

1.732<br />

Anzahl der Tanzschulen je<br />

100.000 Einwohner in Österreich<br />

Quelle: WKÖ, nur aktive WK-Mitgliedsbetriebe<br />

Vorarlberg<br />

Salzburg<br />

Tirol<br />

Wien<br />

Oberösterreich<br />

Steiermark<br />

Kärnten<br />

Niederösterreich<br />

Burgenland<br />

0,54<br />

0,56<br />

0,98<br />

1,50<br />

1,98<br />

2,15<br />

2,35<br />

2,91<br />

4,55<br />

<strong>Leidenschaft</strong><br />

31


Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Seit vielen Jahren<br />

liebt Brigitte Schmidhuber<br />

reines, hochwertiges Olivenöl.<br />

2010 hat sie ihre Passion<br />

zum Beruf gemacht und versorgt<br />

seither Wien mit echtem italienischen<br />

Olivenöl aus limitierter Produktion<br />

sowie mit Verkostungen und Seminaren<br />

für Olivenöl-Interessierte. Diese<br />

organisiert die Gastronomiefachfrau<br />

und Filmwissenschafterin<br />

gemeinsam mit ihrem Partner<br />

Domenico Pugliese.<br />

www.casacaria.com<br />

Christopher Schweiger’s<br />

Leben ist die Musik. Vor genau<br />

drei Jahren hat der ehemalige<br />

Profireiter seine sehr erfolgreiche<br />

Karriere als Architekt aufgegeben<br />

und einen Plattenladen eröffnet.<br />

Seither nutzt er sein Wissen über<br />

die Dimension Raum, befüllt sie<br />

mit Körper und Klang<br />

und geht darin voll auf.<br />

www.tongues.at<br />

Markus Handl ist<br />

Grafik-Designer und fühlt sich<br />

gleichermaßen nach Hamburg<br />

und seiner Heimatstadt Wien<br />

gezogen. Um beide Orte zu<br />

vereinen, verwandelt er jeden<br />

Abend sein kleines Grafikbüro<br />

in einen Hamburg-Shop samt<br />

hanseatischer Kneipe.<br />

www.hafenjunge.at<br />

Margit Hurich hat<br />

den Blick für das Schöne.<br />

Ihre besondere <strong>Leidenschaft</strong><br />

sind High Heels. Täglich trägt sie<br />

eines der mittlerweile über 80 Paare<br />

und jedes erzählt seine eigene<br />

Geschichte. Daher wird nur sehr<br />

selten ein Paar ausgemistet. Schon als<br />

kleines Mädchen entdeckte die studierte<br />

Romanistin, dass ein schöner<br />

Schuh die Persönlichkeit<br />

unterstreicht und den<br />

selbstbewussten Tritt ins<br />

Leben erleichtert.<br />

Jessica Gaspar’s<br />

<strong>Leidenschaft</strong> ist das Tanzen.<br />

Nach einem langen Arbeitstag<br />

am Schreibtisch findet die<br />

Grafikerin darin den nötigen<br />

Ausgleich. Ob in den eigenen<br />

vier Wänden oder nächtens im<br />

Club spielt keine Rolle – solange<br />

der Bass hart und die Musik<br />

laut genug ist.<br />

www.jessicagaspar.at<br />

32

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