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Querspur - das Zukunftsmagazin des ÖAMTC

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Komponente, nicht nur etwas, das nur<br />

auf dem Papier stattfindet. Das Experiment,<br />

die Konfrontation mit der Öffentlichkeit,<br />

die Rückschlüsse daraus<br />

und der Erkenntnisgewinn sind Charakteristika<br />

des künstlerischen Zugangs.<br />

querspur: In welchem Ausmaß sind<br />

künstlerische Arbeiten Anstoß <strong>für</strong><br />

tatsächlich umgesetzte Innovation,<br />

etwa im Bereich der Technik?<br />

Lindinger: Dazu fallen mir zwei<br />

Beispiele zum Thema Roboter ein:<br />

Das eine sind die „Oribots“ des<br />

australischen Künstlers und langjährigen<br />

Futurelab-Mitarbeiters<br />

Matthew Gardiner, der sich intensiv<br />

mit Origami und Faltungen und deren<br />

künstlerischen Wirkung auseinandersetzt.<br />

Seine Roboterblumen sind<br />

einzelne Kunstwerke. „Ori“ kommt<br />

vom japanischen Wort <strong>für</strong> falten und<br />

„bots“ von Roboter – sozusagen „gefaltete<br />

Roboter“. Sie sehen wie Blumen<br />

aus und funktionieren so, dass<br />

die Blumenblätter, die aus diesen Faltungen<br />

bestehen, durch ihre Reflexionsbeschaffenheit<br />

auf- und zu gehen<br />

und von kleinen LEDs von innen<br />

beleuchtet werden, wenn man näher<br />

kommt. Die LEDs sitzen dort, wo bei<br />

normalen Blumen der Blütenstempel<br />

ist. Das ist ein schönes kleines<br />

Projekt. Was als ästhetisches Experiment<br />

ohne konkrete Aufgabenstellung<br />

<strong>für</strong> die Industrie begonnen hat,<br />

findet jetzt Verwendung in der Medizintechnik:<br />

Eine japanische Firma<br />

arbeitet an einem Patent <strong>für</strong> Herzschrittmacher<br />

nach dem Prinzip der<br />

„Oribots“ (Anm. d. Red.: Mehr kann<br />

über das Projekt an dieser Stelle nicht<br />

berichtet werden, da sich das Patent<br />

zu Redaktionsschluss noch in Anmeldestatus<br />

befindet). In diesem Fall haben<br />

wir die künstlerische Arbeit von<br />

Matthew Gardiner mit Wirtschaftstreibenden<br />

durchdiskutiert und sind<br />

zu diesem Ergebnis gekommen.<br />

Ein weiteres Beispiel ist unsere<br />

Zusammenarbeit mit Daimler und<br />

Mercedes-Benz zur Erforschung<br />

von Mensch-Maschine-Interaktionsszena<br />

rien. Das selbstfahrende Auto<br />

stellt eine der größten kulturellen Revolutionen<br />

dar, die vor uns stehen. Wie<br />

ändert sich also unsere Kultur und was<br />

wären Lösungen im spekulativen Sinne,<br />

wie könnte man an diese Fragestellungen<br />

herangehen?<br />

KuLTurreVOLuTIOn:<br />

seLBstfAHrendes<br />

Auto<br />

Wir haben uns mit der Außenkommunikation<br />

von Roboter-Autos beschäftigt<br />

und der Frage, wie das autonome<br />

Auto mit seiner Umwelt, also<br />

mit Fußgängern, Radfahrern oder anderen<br />

Fahrzeugen interagiert, wenn,<br />

anders, als bei konventionellen Fahrzeugen,<br />

Blickkontakt oder Gesten<br />

fehlen. Was es braucht, ist eine Art<br />

„informiertes Vertrauen“ in den Roboter,<br />

wir nennen es „informed trust“,<br />

damit alle Verkehrsteilnehmer sich<br />

im Straßenverkehr sicher fühlen. Gemeinsam<br />

mit Künstlern und Künstlerinnen<br />

aus dem Ars Electronica<br />

Futurelab haben wir in einem Innovationsprozess<br />

angefangen, eine Art<br />

funktionale Sprache zu entwickeln,<br />

einen Grundwortschatz. Alles, was<br />

ein Auto an einen Fußgänger kommunizieren<br />

müsste.<br />

ForsCHung in<br />

der Kunst ist nICHT<br />

so sTArk durCH<br />

MeTHODen<br />

reGLemenTIert<br />

Wir haben das dann mit unterschiedlichen<br />

Experimentierfeldern erprobt,<br />

was funktionieren könnte, und im<br />

Zuge dieser Forschung ist auch der<br />

F015 entstanden – ein Prototyp eines<br />

selbstfahrenden Autos von Daimler,<br />

der vor eineinhalb Jahren vorgestellt<br />

worden ist.<br />

querspur: Was ist der Weg, der in der<br />

Kunst eingeschlagen wird, um <strong>Neues</strong> zu<br />

entdecken?<br />

Lindinger: Auch in künstlerischen<br />

Forschungsprojekten gibt es Methoden,<br />

diese sind aber bis zu einem bestimmten<br />

Grad offener. Wenn man<br />

sich im Vergleich dazu traditionelle<br />

Forschung anschaut, dann gibt es in<br />

jeder Disziplin eine gewisse Methode.<br />

Diese Methode ist natürlich immer<br />

mit gewissen Schwierigkeiten verbunden,<br />

weil die Methoden eigentlich<br />

dazu erfunden worden sind, dass<br />

man wissenschaftliche Ergebnisse zueinander<br />

vergleicht. Mittlerweile haben<br />

sich Methoden in manchen Bereichen<br />

so stark etabliert, dass sie fast<br />

zwangsweise den Weg darstellen, den<br />

man gehen muss.<br />

querspur: Werden Künstler wegen der<br />

oft spielerisch oder dekorativ anmutenden<br />

Auseinandersetzung mit einer Thematik<br />

von wissenschaftlicher Seite als<br />

Partner ernst genommen?<br />

Lindinger: Hier muss man zwischen<br />

industriellen Innovationprozessen<br />

und dem Bereich Kunst und Wissenschaft<br />

unterscheiden. Das sind<br />

wirklich zwei unterschiedliche Paar<br />

Schuhe. In der Industrie oder in<br />

industrielleren Projekten geht es<br />

wirklich um die Suche. Hier wird<br />

Kunst, sobald man zusammenarbeitet,<br />

automatisch als eine Möglichkeit,<br />

<strong>Neues</strong> oder neue Ansätze zu finden,<br />

respektiert.<br />

Im wissenschaftlichen Kontext ist es<br />

schwieriger: Wissenschaft erzeugt<br />

Erkenntnisgewinn. Publikationen<br />

gelten als höchstes Gut <strong>für</strong> den wissenschaftlichen<br />

Output. Wenn<br />

Künstlern in diese bereits existierenden<br />

starken wissenschaftlichen<br />

Strukturen- und Systeme kein Zutritt<br />

gewährt wird und eine Begegnung auf<br />

Augenhöhe zwischen Kunst und Wissenschaft<br />

nicht stattfindet, entsteht<br />

ein Missverhältnis. Dem muss man<br />

eben entgegenwirken.<br />

querspur: Wie und unter welchen Umständen<br />

gelingt eine derartige Zusammenarbeit?<br />

Lindinger: Wir versuchen Künstlerinnen<br />

und Künstler an die vorderste<br />

Front der wissenschaftlichen Erkenntnis<br />

zu schicken und zu schauen, wie<br />

das funktioniert. Hierbei bringen<br />

wir Künstler an Orte, zu denen sie<br />

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