afrika süd 2015-3
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMEN DER AUSGABE: Schwerpunkt dieser Ausgabe ist Südafrika: das Wegsehen von BASF zur Verantwortung gegenüber den Opfern des Marikana-Massakers, die Schiefergasdebatte und die leider erneut aufgeflammte Welle des Ausländerhasses. Emanuel Matondo kommentiert zudem den beschämenden Umgang Südafrikas mit Sudans Präsidenten Al-Bashir. Der Beitrag über die traditionell Autoritäten in Namibia von Manfred Hinz schließt sich an den Namibia-Schwerpunkt der letzten Ausgabe an // www.afrika-sued.org
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMEN DER AUSGABE: Schwerpunkt dieser Ausgabe ist Südafrika: das Wegsehen von BASF zur Verantwortung gegenüber den Opfern des Marikana-Massakers, die Schiefergasdebatte und die leider erneut aufgeflammte Welle des Ausländerhasses. Emanuel Matondo kommentiert zudem den beschämenden Umgang Südafrikas mit Sudans Präsidenten Al-Bashir. Der Beitrag über die traditionell Autoritäten in Namibia von Manfred Hinz schließt sich an den Namibia-Schwerpunkt der letzten Ausgabe an // www.afrika-sued.org
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Mai / Juni <strong>2015</strong><br />
44. Jahrgang | Nr. 3<br />
Zeitschrift zum <strong>süd</strong>lichen Afrika.<br />
SÜDAFRIKA:<br />
BASF und das Marikana-Massaker<br />
NAMIBIA<br />
Traditionelle Autoritäten<br />
TANSANIA<br />
Parteisoldaten
INHALT<br />
Fotos: S. Schlüter, S. Finiosse, R. Schäfer<br />
17 FRIEDEN IN KWAZULU-NATAL 27 DER SCHWIERIGE WEG ZUR ERNÄH-<br />
RUNGSSOUVERÄNITÄT<br />
35 AUF DEM HOLZWEG<br />
In diesem Heft<br />
03 ANGEKOMMEN IM „KLUB DER STRAF-<br />
LOSIGKEIT<br />
Sudans Präsident al-Bashir flieht aus<br />
Süd<strong>afrika</strong> vor der internationalen Strafjustiz.<br />
Emanuel Matondo kommentiert<br />
und bricht eine Lanze für den ICC.<br />
04 AKTUELL<br />
NAMIBIA<br />
20 TRADITIONELLE AUTORITÄTEN<br />
In der Debatte über traditionelle Autoritäten<br />
in Namibia stellt Manfred O. Hinz<br />
die Frage: Relikte einer Vergangenheit<br />
oder Bestandteil einer alternativen Moderne?<br />
TANSANIA<br />
29 PARTEISOLDATEN<br />
Die großen Parteien in Tansania unterhalten<br />
eigene Milizen, obwohl die Gesetze<br />
das nicht zulassen. Dastan Kweka<br />
prangert diese Missstände im Vorfeld der<br />
für Oktober geplanten Wahlen an.<br />
SÜDAFRIKA<br />
08 „AUS DER DISTANZ SCHWER MÖGLICH“<br />
Jakob Krameritsch über BASF, Lonmin<br />
und das Marikana-Massaker.<br />
11 XENOPHOBIE IN DURBAN<br />
Zwei schockierende Attacken gegen<br />
<strong>afrika</strong>nische Ausländer waren keine<br />
Ausnahmen, sondern Ausdruck der weit<br />
verbreiteten Xenophobie im Alltag, wie<br />
Jorim Gerrard erklärt.<br />
13 GAME-CHANGER ODER GAME OVER?<br />
So lautet die Leitfrage zur Schiefergasdebatte<br />
in der Karoo. Stefan Cramer kennt<br />
die Hintergründe. Schließlich geht es um<br />
die Energiezukunft Süd<strong>afrika</strong>s.<br />
MOSAMBIK<br />
23 IM WILDEN WESTEN DER BRICS<br />
Katharina Hofmann diskutiert, ob die<br />
BRICS-Gemeinschaft kritische Investitionen<br />
der Schwellenländer oder Chancen<br />
für wirtschaftliche Transformationen<br />
bieten.<br />
27 DER SCHWIERIGE WEG ZUR ERNÄH-<br />
RUNGSSOUVERÄNITÄT<br />
Bis heute arbeiten achtzig Prozent der<br />
Mosambikaner auf dem Land, die meisten<br />
in der Subsistenzlandwirtschaft.<br />
Unterschiedliche Agrarmodelle für<br />
Mosambiks Zukunft veranschaulicht<br />
Christine Wiid.<br />
DR KONGO<br />
33 ZWISCHEN PATT UND EXPLOSIVER<br />
GEMENGELAGE<br />
Der Schatten einer ungewissen Zukunft<br />
liegt über der DR Kongo. Alex Veit beleuchtet<br />
Hintergründe und zieht historische<br />
Längsschnitte.<br />
SÜDLICHES AFRIKA<br />
35 AUF DEM HOLZWEG<br />
Die internationale Holzindustrie trifft<br />
sich im September in Durban. Zivilgesellschaftliche<br />
Initiativen fordern den Schutz<br />
der Biodiversität und kritisieren Menschenrechtsverletzungen.<br />
Wally Menne<br />
stellt die Problematik vor.<br />
17 FRIEDEN IN KWAZULU-NATAL<br />
Die Organisation Sinani fördert Versöhnung<br />
und mindert Gewalt. Karin Spieler<br />
im Interview mit Sinani-Direktor Simanga<br />
Sithebe.<br />
SERVICE<br />
37 REZENSIONEN – LESERBRIEFE<br />
19 SHARPEVILLE ERINNERN<br />
Das Sharpeville-Massaker an friedlichen<br />
Demonstranten 1960 gilt als Wendepunkt<br />
in der <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nischen Geschichte.<br />
Dennoch ist die Erinnerung daran<br />
politisch umstritten, wie Selloane Phethane<br />
und Marjorie Jobson illustrieren.<br />
2 <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 3|<strong>2015</strong>
EDITORIAL<br />
Angekommen im „Klub der Straflosigkeit“<br />
Als der internationale Strafgerichtshof mit ständigem Sitz in Den<br />
Haag (ICC) vor 13 Jahren, am 1. Juli 2002, in Kraft trat, kam ein Drittel<br />
der 60 Länder, die das entsprechende Rom-Statut ratifiziert hatten,<br />
aus Afrika. Die Länder verpflichteten sich damit, dem Gerichtshof<br />
in jeglicher Frage, insbesondere bei der polizeilichen Unterstützung<br />
zur Umsetzung von Strafbefehlen gegen Menschenrechtsverbrecher<br />
aller Art, Beistand zu leisten. Ich durfte mich damals glücklich schätzen,<br />
zu den Experten aus Afrika zu gehören, die als Teil eines internationalen<br />
Bündnisses von zivilgesellschaftlichen Organisationen<br />
der Gründung des Strafgerichtshofs mit Rat und Tat beistanden.<br />
Damals wie heute freute ich mich zusammen mit Millionen Afrikanerinnen<br />
und Afrikanern über ein eigenständiges Rechtsinstrumentarium<br />
mit universeller Kompetenz zur effektiven Bekämpfung der<br />
weltweiten Straflosigkeit. Heute sind 123 Nationen als vollständige<br />
Mitglieder der Gerichtsbarkeit des internationalen Strafgerichtshofs<br />
unterstellt. Zu den 34 <strong>afrika</strong>nischen Mitgliedsländern gehört auch<br />
Süd<strong>afrika</strong>, das das Rom-Statut im August 2002 mit sofortiger Wirkung<br />
in das nationale Strafrecht übernahm.<br />
Die überdurchschnittlich hohe Anzahl von Ermittlungen gegen<br />
Straftäter aus Afrika, darunter vier Staatsoberhäupter (Sudan, zweimal<br />
Kenia, Elfenbeinküste), denen Menschenrechtsverletzungen zur<br />
Last gelegt werden, hat dem Haager Gericht viel hasserfüllte Kritik<br />
aus reaktionären Kreisen Afrikas eingebracht. Zu den Wortführern<br />
dieser Kampagne gehören Despoten aus Ländern wie Angola und<br />
Simbabwe, deren Vertreter bei den Treffen der Afrikanischen Union<br />
in den vergangenen Jahren keine Gelegenheit verpassten, gegen den<br />
Gerichtshof zu hetzen. Davon abgesehen, dass nicht nur gegen <strong>afrika</strong>nische<br />
„Bad Guys“ Verfahren eingeleitet wurden, sondern auch Fälle<br />
in Afghanistan, Kolumbien, Georgien, Honduras, Irak, Palästina und<br />
in der Ukraine ermittelt werden, haben <strong>afrika</strong>nische Regierungen in<br />
vielen Fällen selbst den Haager Strafgerichtshof eingeschaltet und<br />
den Weg für Verfahren gegen Massenmörder und Kriegsverbrecher<br />
in ihren Ländern geebnet. Dazu gehören die DR Kongo, Elfenbeinküste,<br />
Uganda und die Zentral<strong>afrika</strong>nische Republik. Zudem werden<br />
viele hoch dotierte Richterämter von profilierten Juristen/-innen<br />
aus Afrika bekleidet. Die Chefanklägerin in Den Haag ist seit Juni<br />
2012 Fatou Bensouda aus Gambia.<br />
Da ist es mehr als beschämend, dass die <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nische Regierung<br />
den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir nun nach Süd<strong>afrika</strong><br />
einreisen und trotz eines Haftbefehls des Obersten Gerichts<br />
in Pretoria über die Hintertür wieder ausreisen ließ. Gegen al-Bashir<br />
war nach längeren Ermittlungen am 4. März 2009 und am 12. Juli<br />
2010 ein internationaler Haftbefehl erlassen worden wegen mehrfachen<br />
Genozids, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen<br />
in Darfur. Er war der erste amtierende Präsident Afrikas, der<br />
für seine Untaten vom internationalen Strafgerichtshof angeklagt<br />
wurde.<br />
Während wenige Länder wie Botswana sich klar zur Umsetzung<br />
des Haftbefehls aus Den Haag bekannten, versuchte die <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nische<br />
Regierung schon damals vergeblich, das Verfahren zu hintertreiben.<br />
Nachdem dieses Vorhaben vom Tisch war, drohte die<br />
ANC-Regierung zweimal mit einer Verhaftung al-Bashirs, sollte er<br />
<strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nischen Boden betreten. Vor allem anlässlich der Fußball-<br />
Weltmeisterschaft 2010 wollte Pretoria keinen Anlass für Kritik aus<br />
dem Ausland bieten. So blieb der sudanesische Herrscher Süd<strong>afrika</strong><br />
fern, bis Jacob Zuma ihn zur Teilnahme am AU-Halbjahrestreffen<br />
Mitte März nach Johannesburg einlud und ihm Immunität versprach.<br />
Das Southern African Litigation Center (SALC) mit Sitz in Johannesburg<br />
beantragte darauf hin eine Verfügung beim Obersten Gericht<br />
zur Umsetzung des Haftbefehls gegen al-Bashir. Trotzdem<br />
erlaubten Zuma und seine Regierung dem Despoten die Einreise.<br />
Schon die Tatsache, dass al-Bashir nicht unmittelbar nach seiner Ankunft<br />
verhaftetet wurde, verstieß sowohl gegen das Rom-Statut und<br />
gegen die UN-Resolution 1593 (2005) zu den schweren Menschenrechtsverbrechen<br />
in Darfur als auch gegen das nationale Strafgesetz.<br />
Spätestens als das SALC am 14. Juni eine einstweilige Verfügung<br />
beim Obersten Gericht zur Überprüfung ihres Antrages stellte und<br />
die obersten Richter darauf positiv reagierten, hätte die <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nische<br />
Regierung handeln müssen.<br />
Doch Zuma und seine Kumpanen im „Klub der Straflosigkeit“ ließen<br />
den Massenmörder al-Bashir heimlich über einen Militärflughafen<br />
entfliehen. Während der laufenden Verhandlungen teilte der<br />
Anwalt der Regierung die Abreise al-Bashirs am Nachmittag als<br />
vollendete Tatsache mit und spielte den Ahnungslosen. Mit dem<br />
Gelächter aus dem Publikum im Gerichtssaal hat Zuma nicht nur<br />
das Oberste Gericht gedemütigt, er hat auch gezeigt, dass er auf den<br />
Rechtsstaat und die demokratische Verfassung Süd<strong>afrika</strong>s pfeift –<br />
eine Verfassung, die der mehrfach wegen Korruption angeklagte<br />
Zuma seit seinem Machtantritt mit Füßen tritt. Die Führung seines<br />
ANC meint sogar, der internationale Strafgerichtshof sei für Süd<strong>afrika</strong><br />
nutzlos geworden und man überlege, wie das Land austreten<br />
könne.<br />
Al-Bashir ließ sich zwar nach Ankunft in seiner Heimat von Fanatikern<br />
groß feiern, aber mit der klaren Gerichtsentscheidung aus<br />
Süd<strong>afrika</strong> gilt er nun auf dem gesamten Kontinent als flüchtiger und<br />
gesuchter Mann. Die obersten Richter, die Juristen von SALC und<br />
Menschenrechtsaktivisten Süd<strong>afrika</strong>s sind die eigentlichen Helden<br />
in dieser Geschichte.<br />
>> Emanuel Matondo<br />
3|<strong>2015</strong> <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 3
SÜDAFRIKA<br />
„Aus der Distanz schwer möglich“<br />
BASF, LONMIN UND DAS MARIKANA-MASSAKER. Süd<strong>afrika</strong>s Platinarbeiter leben unter menschenunwürdigen<br />
Bedingungen. BASF, international größter Abnehmer dieses wertvollsten Metalls, versteckt sich hinter Oden an<br />
seine Lieferkettenverantwortung.<br />
Wird es konkret, weist der Chemiekonzern<br />
die Verantwortung von sich. So geschehen<br />
im Fall von Lonmin, jenem Bergbauunternehmen,<br />
bei dem am 16. August 2012 34<br />
Minenarbeiter, die für bessere Lebens- und<br />
Arbeitsbedingungen streikten, von der <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nischen<br />
Polizei erschossen wurden.<br />
Fast drei Jahre nach dem Massaker in Marikana<br />
ist niemand dafür zur Rechenschaft<br />
gezogen worden. Der <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nische Präsident<br />
Jacob Zuma hält den Schlussbericht der<br />
Untersuchungskommission zurück. BASF,<br />
Hauptkunde von Lonmin, schwieg sich aus –<br />
bis Jo Seoka, Bischof von Pretoria und Hauptrepräsentant<br />
der Minenarbeiter von Lonmin,<br />
BASF bei der Aktionärsversammlung Ende<br />
April <strong>2015</strong> in Mannheim dazu aufforderte,<br />
seine eigenen Versprechungen zur Lieferkettenverantwortung<br />
beim Wort zu nehmen.<br />
Der Dachverband der kritischen Aktionäre<br />
hatte Bischof Seoka für die BASF-Hauptversammlung<br />
Stimmrechte übertragen. Seoka,<br />
Vorsitzender der <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nischen Bench<br />
Marks Foundation, die transnationale Unternehmungen<br />
monitort, trat für mehr Verteilungsgerechtigkeit<br />
ein. Der weltweit größte<br />
Chemiekonzern reagierte defensiv, er könne<br />
die Situation „aus der Distanz“ nur schwer<br />
beurteilen, hieß es. Die Probleme seien „zuerst<br />
im eigenen Land zu lösen“.<br />
Luft holen<br />
Zu den Hintergründen: Was in der Produktion<br />
von Autokatalysatoren in Deutschland<br />
oder den USA endet, beginnt in Süd<strong>afrika</strong>s<br />
Minen. Dort lagern rund 80 Prozent<br />
des weltweiten Platinvorkommens; sie sind<br />
notwendiger Bestandteil von Katalysatoren.<br />
Als Hauptkunde von Lonmin kauft BASF<br />
jährlich rund 450 Millionen Euro Platin und<br />
verwandte Edelmetalle für die Katalysatorenproduktion<br />
ein. BASF macht Deutschland<br />
zum zweitgrößten Platinimporteur – gleich<br />
nach den USA, wo der Konzern ebenfalls Katalysatoren<br />
produziert.<br />
BASF ist Gründungsmitglied des UN<br />
Global Compact und gibt sich als internationaler<br />
Vorreiter in Sachen Lieferkettenverantwortung<br />
und in der Definition von<br />
Nachhaltigkeitsstandards, die „über gesetzliche<br />
Verpflichtungen hinausreichen“. Das<br />
Unternehmen verspricht, Grundsätze „für<br />
ein verantwortliches Handeln“, z.B. Menschenrechte,<br />
Arbeitsnormen, soziale Nachhaltigkeit,<br />
Umweltverträglichkeit, auch von<br />
seinen Lieferanten einzufordern. Regelmäßig,<br />
so ist zu lesen, werden die Standorte von<br />
Rohstofflieferanten auf ihre Nachhaltigkeit<br />
kontrolliert. Und weiter: „Stellen wir Verbesserungsbedarf<br />
fest, unterstützen wir unsere<br />
Lieferanten bei der Erarbeitung von Maß-<br />
nahmen, um unsere Standards zu erfüllen.“<br />
Einerseits hilft Platin in Autokatalysatoren,<br />
die Luftqualität zu verbessern. Die<br />
andere Seite heißt Silikose: eine spezifische<br />
Lungenerkrankung, an der jährlich hunderte<br />
Minenarbeiter in Süd<strong>afrika</strong> sterben. Die<br />
künstliche Luft unter Tage ist mit Partikeln<br />
durchsetzt, die tief in die Lunge eindringen,<br />
zu chronischen Entzündungen führen und<br />
die Lunge schrumpfen und verhärten lassen.<br />
Eine so geschädigte Lunge ist Nährboden<br />
für weitere Erkrankungen wie Lungenkrebs<br />
und Tuberkulose. Außerhalb der Mine wiederum<br />
verpesten die Fabriken der Minenbetreiber<br />
die Luft; die zugelassenen (Schwefel-)<br />
Dioxid-Emissionswerte werden regelmäßig<br />
überschritten, dazu kommt permanente<br />
Feinstaubbelastung.<br />
Die schlecht entlohnten Arbeiter und ihre<br />
Familien leben unter unmenschlichen Bedingungen:<br />
in Wellblechhütten-Slums, wie<br />
Nkaneng, einer informellen Siedlung nahe<br />
Marikana, ohne Strom und Wasser, ohne<br />
Kanalisation. Vor allem in der Regenzeit steigen<br />
Gestank und Infektionskrankheiten. Ein<br />
Minenarbeiter muss durchschnittlich acht<br />
Familienmitglieder von seinem Einkommen<br />
ernähren, vor Ort und meist auch im Herkunftsgebiet,<br />
dem infrastrukturell schwachen<br />
Südosten des Landes.<br />
8 <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 3|<strong>2015</strong>
SÜDAFRIKA<br />
Profite steigern<br />
Für eine Verbesserung dieser Arbeits- und Lebensbedingungen<br />
traten Minenarbeiter im August 2012 in<br />
den Streik, den die Polizei mit Waffengewalt niederschlug.<br />
Das Massaker an 34 Streikenden in Marikana<br />
ist das größte seit jenem von Sharpeville 1960; die live<br />
übertragenen Bilder von Leichen und schwer verletzten<br />
Minenarbeitern verdeutlichten schockartig, wie<br />
brüchig die Postapartheid-Ordnung ist, die 1994 so<br />
hoffnungsvoll begann.<br />
Die Gründe und Ursachen des Massakers sind<br />
komplex und vielschichtig. Auf struktureller Ebene<br />
reichen sie bis in die Kolonialzeit und die Apartheid<br />
zurück. Auf ökonomischer Ebene profitieren transnationale<br />
Unternehmen weiterhin vom geringen <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nischen<br />
Lohnniveau, das im Apartheidsystem<br />
installiert wurde und sich als persistent erweist. Der<br />
Rohstoffreichtum kommt weiterhin nicht oder nur<br />
im geringen Maße der Bevölkerung vor Ort zu Gute,<br />
die Profite landen größtenteils außer Landes, auf den<br />
Firmenkonten transnationaler Unternehmen und deren<br />
Aktionären. Seit dem Massaker 2012 sind mehr als<br />
vierzig Streikende und Protestierende von der Polizei<br />
erschossen worden. Es war also keine einmalige, „tragische<br />
Panne“, sondern steht für eine Krise des Postapartheid-Systems,<br />
an dessen neoliberaler Architektur<br />
transnationale Unternehmen mitgearbeitet haben<br />
und von dem sie weiter profitieren.<br />
Leere Versprechungen<br />
Diese strukturell-historischen Ebenen wurden von<br />
der im September 2012 vom Präsidenten eingesetzten<br />
Marikana-Untersuchungskommission nicht behandelt,<br />
sehr wohl jedoch die unmittelbare Verantwortung<br />
für das Massaker. Nach über zwei Jahren wurde<br />
Ende März <strong>2015</strong> der Endbericht dem Präsidenten<br />
vorgelegt. Dieser hält ihn noch unter Verschluss, der<br />
Druck jedoch steigt, ihn umgehend zu veröffentlichen.<br />
Die Verhandlungen und Zeugenvernehmungen<br />
waren aber live zu sehen und die Berichte der in der<br />
Kommission vertretenen Parteien sind schon längst<br />
öffentlich. So auch der knapp 700seitige Abschlussbericht<br />
des Leiters der Beweisaufnahme, also der<br />
neutralen Partei in der Kommission. Er stellt der hoch<br />
militarisierten und politisierten Polizei ein vernichtendes<br />
Zeugnis aus, lässt aber auch nicht den geringsten<br />
Zweifel daran, dass Lonmin am Massaker Mitverantwortung<br />
trägt.<br />
Der weltweit drittgrößte Platinminenbetreiber<br />
wird darin beschuldigt, seine gesetzlichen Verpflichtungen<br />
gegenüber der Arbeiterschaft und der lokalen<br />
Gemeinde wiederholt übergangen und gebrochen zu<br />
haben. 2006 wurde der Bau von 5.500 neuen Häusern<br />
bis 2011 versprochen, gebaut wurden jedoch bis dahin<br />
nicht mehr als drei – für seine mehr als 28.000 Arbeiter!<br />
Anstatt mit den Streikenden im August 2012 zu<br />
kommunizieren, unterstützte das Unternehmen logistisch<br />
wie infrastrukturell einen hoch militarisierten<br />
Polizeieinsatz, der schlussendlich – bewiesenermaßen<br />
absehbar für Lonmin – zu den Morden am 16. August<br />
2012 geführt hat. Zudem sind Angestellte des Lonmin-<br />
Sicherheitsdienstes für erste Gewalteskalationen und<br />
Schüsse auf Streikende verantwortlich, die von den<br />
Leitern der Beweisaufnahme als ungerechtfertigt und<br />
überzogen eingestuft wurden. All diese Vergehen brechen<br />
mit Grundsätzen der BASF-Unternehmensführung,<br />
dennoch bezog diese keine Stellung zum Marikana-Massaker.<br />
Jo Seoka fordert Verantwortung<br />
Das änderte sich erst kürzlich, als der Anglikanische<br />
Bischof von Pretoria, Jo Seoka, bei der BASF-Aktionärsversammlung<br />
Ende April <strong>2015</strong> eine klare Positionierung<br />
von BASF verlangte: Um seine Glaubwürdigkeit<br />
nicht zu verlieren, sollte BASF seine Verantwortung<br />
als Hauptabnehmer von Lonmin beim Wort nehmen<br />
Fotos:<br />
links: Lebensbedingungen<br />
am Rand der Lonmin-Mine;<br />
Foto: M. Grimm<br />
unten: Ju Sekoa vor der<br />
BASF-Jahreshauptversammlung;<br />
Foto: M.<br />
Grimm<br />
3|<strong>2015</strong> <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 9
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