13.07.2017 Aufrufe

afrika süd 2017-3

Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMEN DER AUSGABE: Editorial: Eine Region in autorkratischer Schieflage, Kommentar von Lothar Berger, Angola: Vertrieben in Cunene - Landnahme durch ein Agro-Business-Projekt im Süden Angolas, Malawi: Steuerschlupflöcher aufdecken - Die Panama Papers und der Cashgate-Skandal, Südliches Afrika: Befreiung und nationale Identität - Gespräch mit Reinhart Kößler. Weitere Themen in der Ausgabe: Südafrika: Dammbruch nach Kathradas Tod, Südafrika: Historische Perspektivwechsel auf zwei Kontinenten, Simbabwe: Kaum noch erträglich - Menschenrechtssituation und Druck auf Medien, Botswana: Wie unter Ian Khama die Freiheit schrumpft, DR Kongo: Kasai – lokale und nationale Gewaltspiralen, Tansania: Megaprojekte der Öl- und Gasindustrie // www.afrika-sued.org

Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMEN DER AUSGABE:
Editorial: Eine Region in autorkratischer Schieflage, Kommentar von Lothar Berger, Angola: Vertrieben in Cunene - Landnahme durch ein Agro-Business-Projekt im Süden Angolas, Malawi: Steuerschlupflöcher aufdecken - Die Panama Papers und der Cashgate-Skandal, Südliches Afrika: Befreiung und nationale Identität - Gespräch mit Reinhart Kößler. Weitere Themen in der Ausgabe: Südafrika: Dammbruch nach Kathradas Tod, Südafrika: Historische Perspektivwechsel auf zwei Kontinenten, Simbabwe: Kaum noch erträglich - Menschenrechtssituation und Druck auf Medien, Botswana: Wie unter Ian Khama die Freiheit schrumpft, DR Kongo: Kasai – lokale und nationale Gewaltspiralen, Tansania: Megaprojekte der Öl- und Gasindustrie // www.afrika-sued.org

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Mai / Juni <strong>2017</strong><br />

46. Jahrgang | Nr. 3<br />

Zeitschrift zum <strong>süd</strong>lichen Afrika.<br />

SÜDAFRIKA:<br />

Zumas Rücktritt gefordert<br />

ANGOLA:<br />

Vertrieben in Cunene<br />

BOTSWANA:<br />

Schrumpfende Freiheit


INHALT<br />

Fotos: S.I.R.P.A, Alamode Film, issa<br />

13 HISTORISCHE PERSPEKTIVWECHSEL<br />

AUF ZWEI KONTINENTEN<br />

In diesem Heft<br />

EDITORIAL<br />

03 EINE REGION IN AUTOKRATISCHER<br />

SCHIEFLAGE<br />

Ein Kommentar von Lothar Berger.<br />

04 AKTUELL<br />

SÜDAFRIKA<br />

08 DAMMBRUCH NACH KATHRADAS TOD<br />

In Süd<strong>afrika</strong> bricht sich der Ärger über<br />

Präsident Jacob Zuma Bahn. Nach dem<br />

Tod von Ahmed Mohamed Kathrada, der<br />

die Werte des alten ANC hochhielt, mehren<br />

sich die Stimmen, die Zumas Rücktritt<br />

fordern. Gottfried Wellmer erläutert<br />

die Gründe.<br />

10 DIE REDE EINES VERSTORBENEN<br />

Zum Tod von Ahmed Mohamed Kathrada<br />

(21. August 1929 – 28. März <strong>2017</strong>).<br />

Gottfried Wellmer erinnert an den<br />

politischen Kampf des Verfechters einer<br />

nicht-rassistischen, gerechten und demokratischen<br />

Gesellschaft.<br />

13 HISTORISCHE PERSPEKTIVWECHSEL<br />

AUF ZWEI KONTINENTEN<br />

In Kapstadt wurde die Kölner Ausstellung<br />

„Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“<br />

eröffnet. Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion<br />

über die „Entkolonialisierung<br />

der Bildung“ in Süd<strong>afrika</strong>. Christa Aretz<br />

stellt das Konzept vor und sprach mit<br />

den Verantwortlichen.<br />

SIMBABWE<br />

16 KAUM NOCH ERTRÄGLICH<br />

Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung<br />

der Medien in Simbabwe. Itai<br />

Mushekwe zeigt, unter welchem Druck<br />

Journalisten in Simbabwe stehen. Denn<br />

Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit<br />

sind drastisch eingeschränkt.<br />

25 UNITED KINGDOM SCHWARZ-WEISS<br />

ANGOLA<br />

20 VERTRIEBEN IN CUNENE<br />

Im Bezirk Curoca in Angolas Südprovinz<br />

Cunene sollen 39 Gemeinden einem<br />

Agro-Business-Projekt weichen. Von den<br />

Ambitionen des Investors und dem Leid<br />

der überrumpelten Kleinbauern berichtet<br />

Lothar Berger.<br />

BOTSWANA<br />

23 WIE UNTER IAN KHAMA DIE FREIHEIT<br />

SCHRUMPFT<br />

Um die Meinungsfreiheit in Botswana ist<br />

es nicht gut bestellt. Als offizielles Partnerland<br />

der ITB Berlin <strong>2017</strong> gefeiert und<br />

von der Tourismusbörse als „Afrikas bestgehütetes<br />

Geheimnis“ gepriesen, gleitet<br />

Botswana unter Khama immer mehr in<br />

eine Autokratie ab, meint Kenneth Good.<br />

25 UNITED KINGDOM SCHWARZ-WEISS<br />

Der neue Spielfilm United Kingdom<br />

bringt die Liebesgeschichte zwischen<br />

dem ersten Präsidenten des unabhängigen<br />

Botswana, Seretse Khama, und Ruth<br />

Williams auf die Leinwand. Anna-Sophie<br />

Philippi hat sich die cineastische Inszenierung<br />

der wahren Geschichte angeschaut.<br />

DR KONGO<br />

26 KASAI – LOKALE UND NATIONALE<br />

GEWALTSPIRALEN<br />

Im März wurden sechs UN-Experten in<br />

der kongolesischen Provinz Kasai-Zentral<br />

gekidnappt und brutal ermordet. Sie<br />

sollten Morde aus dem Vorjahr aufdecken.<br />

Es war der erste derartige Übergriff<br />

auf eine solche Expertengruppe. Was war<br />

geschehen? Hans Hoebeke erklärt die<br />

Hintergründe.<br />

35 BEFREIUNG UND NATIONALE IDENTI-<br />

TÄT<br />

MALAWI<br />

30 STEUERSCHLUPFLÖCHER AUFDECKEN<br />

Die Panama-Papers und der Cashgate-<br />

Skandal. Die Folgen von Steuerhinterziehung<br />

und Korruption belasten den<br />

Staatshaushalt in Malawi. Cashgate und<br />

Panama-Papers belegen: Milliarden sind<br />

verschwunden. Watipaso Mzungu Jun.<br />

auf Spurensuche.<br />

TANSANIA<br />

33 MEGAPROJEKTE DER ÖL- UND GASIN-<br />

DUSTRIE<br />

Tansania setzt auf Großprojekte. Das<br />

Land verfügt über umfangreiche Gasvorkommen,<br />

Mineralien und weitere<br />

Ressourcen. Dennis Mwenda weiß: Mit<br />

Megaprojekten will die Regierung Gas<br />

und Öl erschließen.<br />

34 AM RANDE DER GASPIPELINE<br />

Lukrative Gasförderung in Tansania<br />

zwischen Ressourcenpolitik und lokalen<br />

Interessen. Rita Schäfer stellt aktuelle<br />

Berichte vor.<br />

SÜDLICHES AFRIKA: ZEITGESCHICHTE<br />

35 BEFREIUNG UND NATIONALE IDENTI-<br />

TÄT<br />

Heike Becker im Gespräch mit Reinhart<br />

Kößler. Er erläutert die Probleme im Umgang<br />

mit den Befreiungsbewegungen an<br />

der Macht.<br />

SERVICE<br />

42 REZENSIONEN, LESERBRIEF<br />

2 <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 3|<strong>2017</strong>


EDITORIAL<br />

<strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> berichtet<br />

über die Länder der<br />

Entwicklungsgemeinschaft SADC:<br />

Angola • Botswana • DR Kongo •<br />

Lesotho • Madagaskar • Malawi •<br />

Mauritius • Mosambik • Namibia<br />

• Sambia • Seychellen • Simbabwe •<br />

Süd<strong>afrika</strong> • Swasiland • Tansania<br />

Eine Region in autokratischer Schieflage<br />

Was läuft nur falsch im <strong>süd</strong>lichen Afrika? Da vollführt ein völlig<br />

abgedrehter Jacob Zuma einen politischen Eiertanz, um sich mit<br />

Personalentscheidungen bar jeglicher Vernunft trotz immer lauter<br />

werdender Rücktrittsforderungen an der Macht zu halten – in einem<br />

Süd<strong>afrika</strong>, das nach der Abschaffung der Apartheid der demokratische<br />

Motor der Region hätte sein können. Doch die ANC-Regierung<br />

hat nie wirklich geliefert, die versprochene Umverteilung blieb aus.<br />

Stattdessen hat die Herrscherklasse ein Patronagesystem errichtet.<br />

Eine unbehagliche Erkenntnis drängt sich auf: Passt diese Aussage<br />

nicht fast ausnahmslos auf die gesamte SADC-Region?<br />

Die Osterzeit ließ sich nutzen, noch einmal Pier Paolo Pasolinis<br />

Verfilmung des 1. Matthäus-Evangeliums, die Leidensgeschichte<br />

Jesu, aus dem Jahr 1964 anzuschauen. Der Meisterregisseur lässt zu<br />

Beginn und in Szenen, in denen Wunder geschehen – wie in der Auferstehungsszene<br />

–, das feurige Gloria der Missa Luba erklingen. Eine<br />

kraftvolle und Hoffnung verheißende lateinische Messe aus Rhythmen<br />

und polyphonen Gesängen der Baluba, aufgezeichnet in den<br />

1950er Jahren von einem belgischen Missionar im Kongo.<br />

Ausgerechnet die Baluba – meine Gedanken kehrten zurück in<br />

die traurige Realität des heutigen Kongo. Die Tshiluba sprechenden<br />

Bevölkerungsgruppen wohnen in einer der von heftigen Konflikten<br />

betroffenen Regionen des Landes. Über Jahrhunderte hatten die Baluba<br />

ihr eigenes Reich, bis sie sich der brutalen Kolonialherrschaft<br />

König Leopolds II von Belgien geschlagen geben mussten. Es folgten<br />

die Katanga-Sezession nach der Unabhängigkeit des Kongo 1960<br />

und ab 1996 die Leiden in den verschiedenen Kongo-Kriegen. Seit einigen<br />

Monaten erleben die Kasai-Provinzen blutige Gewaltausbrüche<br />

mit Hunderten von Toten. Der Konflikt ist vielschichtig, hat aber<br />

auch mit der Weigerung von Kongos Machthaber Joseph Kabila zu<br />

tun, der Verfassung des Landes Folge zu leisten und abzutreten. Lieber<br />

schickt er seine Armee in die Unruheprovinzen. Mittlerweile 40<br />

Massengräber haben UN-Mitarbeiter in Kasai-Zentral entdeckt. Das<br />

Drama in der DR Kongo geht weiter. Kein Land hat seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg mehr Tote zu beklagen.<br />

Die ekstatischen Gesänge der Baluba, mit denen Pasolini den<br />

Gläubigen wie den Ungläubigen einst einen Ausweg aus dem Leiden<br />

der Menschheit suggerierte, scheinen längst verstummt, die Wunder<br />

bleiben aus. Auch in anderen SADC-Staaten breiten sich zunehmend<br />

autokratischen Tendenzen aus. Da ist das abgehalfterte Mugabe-Regime<br />

in Simbabwe, dessen Sicherheitskräfte den Alltag für<br />

Menschenrechtsaktivisten und Journalisten nahezu unerträglich<br />

machen. Von der abgehobenen und korrupten Machtelite in Luanda<br />

ganz zu schweigen, die im äußersten Süden Angolas aus eigenen Geschäftsinteressen<br />

riesige Anbauflächen niederwalzen lässt und sich<br />

darüber empört, dass die vertriebenen Kleinbauern sich erdreisten,<br />

gegen die Landnahme vorzugehen. Da ist der Cashgate-Skandal der<br />

letzten Regierungen in Malawi und Sambias Präsident Edgar Lungu<br />

entpuppt sich als Mitstreiter im Wettkampf um die härteste der eisernen<br />

Fäuste in der Region. Er lässt den Oppositionsführer verhaften<br />

und wegen Hochverrats anklagen. Darauf droht in Sambia die<br />

Todesstrafe. Und selbst in Botswana eifert Präsident Ian Khama seinen<br />

Amtskollegen aus den Nachbarstaaten nach: Die Todesfälle von<br />

Oppositionellen häufen sich im „Musterland der Demokratie“.<br />

Die Reihe ließe sich fortsetzen: das Machtgezetere in Lesotho, die<br />

andauernde Diktatur von König Mswati III. in Swasiland, und nun<br />

verspielt auch Tansanias Präsident John Magufuli mit repressivem<br />

Vorgehen gegen Journalisten, Blogger und Rapper seinen Kredit aus<br />

den ersten Monaten seiner Amtszeit.<br />

Macht korrumpiert – mit dieser einfachen Formel ist die heutige<br />

Entwicklung nicht zu greifen. Das Problem einer anhaltenden<br />

strukturellen Gewalt in postkolonialen Gesellschaften ist komplexer,<br />

nicht nur in Afrika. Der in Kamerun geborene Philosoph und<br />

Historiker Achille Mbembe sieht das Aufbrechen gewaltvoller Konflikte,<br />

von asymmetrischen Kriegen, dichten Grenzen und innerlich<br />

zerrissenen Staaten in Zusammenhang mit dem Ende der liberalen<br />

Demokratie. Das Modell, das sich in den entwickelten Regionen der<br />

Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewährt habe, sei an<br />

seine Grenzen gestoßen. „Heute dominiert die Rationalität des Finanzkapitalismus,<br />

und die ist immer weniger verträglich mit den<br />

Prinzipien einer demokratischen Ordnung“, sagte er in einem Spiegel-Interview<br />

(11/<strong>2017</strong>).<br />

Wo sich turbokapitalistische Kräfte entfalten, kann vernünftige<br />

Politik kaum noch gestalten. Das gilt für Afrika ebenso wie für Europa<br />

und anderswo. Vielleicht hatte Erfried Adam, damaliger Afrika-<br />

Referent der Friedrich-Ebert-Stiftung, bei einem Mosambik-Vortrag<br />

in den 1990er Jahren recht, als er meinte, womöglich liege die Demokratie<br />

in Mosambik jenseits von Parteien. Man ist heute geneigt zusagen:<br />

überall. Die Chaos-Phase der „langen Nacht“ des Umbruchs, in<br />

der etablierte Parteien zusammenbrechen und sich zivilgesellschaftliche<br />

Bewegungen in den Vordergrund drängen, scheint unvermeindlich.<br />

Für Mbembe ist Afrika „ein Labor, ein Experimentierfeld<br />

der Zukunft“. Eines Tages könnte das Wunder doch geschehen und<br />

gerade von dort der Impuls für eine neue demokratische Ordnung<br />

ausgehen.<br />

Lothar Berger<br />

3|<strong>2017</strong> <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 3


SÜDAFRIKA<br />

Dammbruch nach Kathradas Tod<br />

IN SÜDAFRIKA BRICHT SICH DER ÄRGER ÜBER PRÄSIDENT JACOB ZUMA BAHN. Nach dem Tod von Ahmed<br />

Mohamed Kathrada, der die Werte des alten ANC hochhielt (siehe folgenden Beitrag), mehren sich die Stimmen,<br />

die Zumas Rücktritt fordern. Dieser reagierte mit einer mehr als umstrittenen Kabinettsumbildung. Demnächst<br />

wird sich Zuma einem Misstrauensantrag der Opposition stellen müssen.<br />

Als habe der Tod von Ahmed Mohamed Kathrada wie ein Katalysator<br />

gewirkt. Seitdem bekämpfen die ANC-Fraktionen einander<br />

offen. Zuma hat seine Regierung massiv umgestaltet, ohne Beratung<br />

mit der Führung des ANC, der kommunistischen Partei SACP und<br />

des Gewerkschaftsbundes Cosatu. Diese Regierungsallianz hat ihre<br />

politische Kontrolle über Zuma offensichtlich verloren. Strategische<br />

Ministerien wie Finanzen, Energie, Transport, Polizei und Sicherheit<br />

sind in der Hand von treuen Kunden der sogenannten Gupta-Kneipe<br />

im Saxonwold (siehe <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> Nr.1/<strong>2017</strong>). Der ANC-Generalsekretär<br />

Gwede Mantashe meinte sogar, die Liste der gefeuerten und neu berufenen<br />

Minister und ihrer Stellvertreter sei außerhalb des ANC entstanden<br />

– sprich: im Haus der Gupta-Familie, die sich unter Zumas<br />

Herrschaft bei Schlüsselsektoren der <strong>süd</strong><strong>afrika</strong>nischen Wirtschaft<br />

bedienen konnte. Dafür entschuldigte er sich zwei Tage später; aber<br />

so etwas kann man nicht ungesagt machen.<br />

Regierungsumbildung als Symptom für „state und governing<br />

party capture“? Die Vereinnahmung des Staates besteht in den Bemühungen<br />

privater Firmen, die Gesetze, politischen Leitlinien und<br />

Regulierungen des Staates zu ihrem eigenen Vorteil zu gestalten,<br />

indem sie Beamten und/oder Politikern verbotene private Gewinne<br />

zuspielen. Da diese Firmen ihren Einfluss nutzen, um jede Reform<br />

zu blockieren, die ihren Vorteil entwertet, hat sich die Vereinnahmung<br />

des Staates vom bloßen Symptom zur grundlegenden Ursache<br />

schlechter Regierungsführung gewandelt, so formuieren es Daniel<br />

Kaufmann und Joe Hellman vom Internationalen Währungsfonds.<br />

Sowohl die kommunistische Partei und der Gewerkschaftsbund<br />

Cosatu als auch die Veteranen der Ethik-Kommission des ANC haben<br />

Präsident Zuma öffentlich zum Rücktritt aufgefordert.<br />

Schrott-Status und Demos<br />

Die Ratingagenturen Standard & Poor und Fitch haben auf die<br />

Regierungsumbildung reagiert, indem sie Süd<strong>afrika</strong>s ausländische<br />

Staatsanleihen auf Schrott-Status herabsetzten. Die Randwährung<br />

hat gegenüber dem US-Dollar um bis zu 11 Prozent an Wert eingebüßt.<br />

Die lokalen Banken können keinen höheren Status haben als<br />

der Staat selbst; aufgrund ihres neuen Schrott-Status verloren sie<br />

rund 80 Milliarden Rand bzw. etwa 11 Prozent ihres Aktienwertes.<br />

Weitere Verluste bis zu 150 Mrd. Rand könnten der Börse in Johannesburg<br />

entstehen, wenn ausländische Kapitalanleger ihre Investitionen<br />

in Süd<strong>afrika</strong> eiligst verramschen.<br />

Am Freitag, den 8. April – einem Werktag –, haben sich 60.000<br />

Menschen in Kapstadt und jeweils ca 20.000 in Pretoria, Johannesburg,<br />

Durban und Port Elizabeth mit der Forderung nach Zumas<br />

Rücktritt an umfassenden regierungskritischen Protesten beteiligt.<br />

Von einer „gemieteten Protestgruppe“, wie Zuma-Anhänger sie denunzierten,<br />

kann bei den Massen keine Rede sein. Dabei hatte die<br />

Cosatu sich nicht an diesem politischen Streiktag beteiligt, weil ihre<br />

Mitglieder sich nicht mit der Opposition und den nicht-organisierten<br />

Protestlern verbrüdern wollten.<br />

In der Tat waren die Demonstranten eine recht gemischte Gruppe:<br />

Terror Lekota von der Oppositionspartei Cope marschierte in einer<br />

Reihe mit dem anglikanischen Bischof Joe Seoka und dem Generalsekretär<br />

des neu gegründeten Gewerkschaftsbundes Saftu, Zwelinzima<br />

Vavi, in der nächsten Reihe sah man Sipho Pityana (Sprecher<br />

der NRO „Save South Africa“, beruflich Aufsichtsratsvorsitzender<br />

von Anglo American-Ashanti-Gold) neben Solly Mapaila, stellvertretender<br />

Generalsekretär der kommunistischen Partei. Aber im Zug<br />

wandelten auch Weiße, die den Toyi-Toyi nicht tanzen und die alten<br />

Protestsongs nicht mitsingen konnten. Teils waren sie politisch<br />

nicht organisierte Personen guten Willens, teils trugen sie Fahnen<br />

der rechtsextremen Freedom Front Plus, vermischten sich aber mit<br />

den Rothemden der angeblich radikalen Economic Freedom Fighters<br />

(EEF) und den Blauhemden der wirtschafts-liberalen Democratic<br />

Alliance. Ein spöttischer Kommentar meinte, die Demonstrationen<br />

hätten ein so kunterbuntes Gesicht gezeigt, wie es „Madiba“ (Nelson<br />

Mandela) nur in seinem schlimmsten Fiebertraum hätte phantasieren<br />

können.<br />

Am 12. April war eine nächste Großdemo der Oppositionsparteien<br />

vor dem Amtssitz des Präsidenten in Pretoria angesetzt. Die EFF<br />

brachten 80.000 rot gekleidete Demonstranten auf die Beine. Am<br />

8 <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 3|<strong>2017</strong>


SÜDAFRIKA<br />

27. April soll die nächste Protestkundgebung<br />

in Soweto erfolgen. Dennoch: Demonstrationen<br />

allein stürzen keinen Präsidenten.<br />

DA stellt Vertrauensfrage<br />

Die Democratic Alliance will – einmal<br />

mehr – die Vertrauensfrage im Parlament<br />

stellen, um Zuma als Präsident abzusetzen.<br />

Die ANC-Führung hat ihre Abgeordneten<br />

aufgefordert, dies abzulehnen. Gleichzeitig<br />

stemmt sie sich gegen eine geheime Wahl<br />

im Parlament. ANC-Mitglieder, die sich gegen<br />

ihre Partei und offen für die Absetzung<br />

Zumas entscheiden, müssen mit einem Disziplinarverfahren<br />

und einem Rauswurf aus<br />

dem Parlament rechnen, weil der elektronische<br />

Wahlmechanismus eine genaue Analyse<br />

erlaubt, wer wie gestimmt hat.<br />

Aus diesem Grund hat die United Democratic<br />

Movement (UDM) unter Bantu Holomisa<br />

einen Antrag beim Verfassungsgericht<br />

gestellt. Dieses habe schon früher den<br />

parlamentarischen Misstrauensantrag als<br />

wichtigsten Mechanismus bezeichnet, den<br />

das Parlament nutzen kann, um den Präsidenten<br />

bzw. die Exekutive zur Rechenschaft<br />

zu ziehen. Die UDM argumentiert nun, ohne<br />

geheime Abstimmung könne der Misstrauensantrag<br />

seine Funktion nicht erfüllen,<br />

denn nur sie erlaube eine Abstimmung ohne<br />

Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen oder<br />

Verlust des Parlamentarierstatus. Das Gericht<br />

kann den Antrag erst zulassen, wenn<br />

es die Haltung der Parlamentspräsidentin<br />

und der anderen im Parlament vertretenen<br />

Parteien kennt. Es kann daher eine Entscheidung<br />

über den Antrag erst nach dem 21.<br />

April fällen. Das hieße, dass der Misstrauensantrag<br />

auf Anfang Mai verschoben wird.<br />

Nach Auffassung des Verfassungsrechtlers<br />

Pierre de Vos von der Universität Kapstadt<br />

erlaubt schon die parlamentarische<br />

Hausordnung dem/der Parlamentspräsident/in<br />

als auch den Abgeordneten eine<br />

Ausnahme von der Regel, damit etwa ein<br />

Misstrauensantrag in geheimer Wahl stattfinden<br />

kann. Deren Verweigerung könnte<br />

auch eine Verletzung von Abschnitt 8 des<br />

Powers and Privileges-Gesetzes darstellen.<br />

Denn nach diesem Gesetz darf ein Abgeordneter<br />

weder durch Betrug noch durch<br />

Gewaltanwendung, Einschüchterung oder<br />

Bestechung dazu genötigt werden, seine<br />

politische Überzeugung zu ändern, sich von<br />

einer Abstimmung fernzuhalten oder sein<br />

Wahlverhalten zwangsweise zu revidieren.<br />

Der Parlamentspräsident hat eine Verpflichtung,<br />

die Mitglieder des Parlamentes vor<br />

derartiger Beeinflussung zu schützen.<br />

Es ist dennoch sehr fraglich, ob im Falle<br />

einer geheimen Wahl ein Abgeordneter der<br />

Regierungspartei den Misstrauensantrag<br />

der Opposition unterstützen würde. Die<br />

Erfahrung lehrt, dass in Süd<strong>afrika</strong> die Unterordnung<br />

unter die Parteidisziplin wichtiger<br />

genommen wird als die Stimme der<br />

Vernunft oder des Gewissens. Immerhin hat<br />

die UDM damit die Hoffnung auf eine dem<br />

Gewissen verpflichtete Abstimmung beim<br />

Misstrauensantrag erheblich gestärkt.<br />

Die andere Möglichkeit ist die Absetzung<br />

Zumas als Präsident des ANC durch dessen<br />

100-köpfiges Nationales Exekutivkomitee.<br />

Der erste Versuch Ende November 2016<br />

scheiterte. Der damalige Antragsteller, der<br />

frühere Tourismusminister Derek Hanekom,<br />

ist inzwischen abgesetzt. Ob sich die Mehrheitsverhältnisse<br />

im NEC nun verschoben<br />

haben, ist fraglich, denn auch hier lässt die<br />

Partei keine geheime Wahl zu.<br />

Verurteilung wegen Amtsvergehens?<br />

Eine dritte Möglichkeit ist Amtsenthebung<br />

nach erfolgreicher Verurteilung wegen<br />

mehrerer Amtsvergehen. Zwei Verfahren<br />

laufen derzeit. Das eine war acht Jahre<br />

auf Eis gelegt (Waffenskandal) und ist jetzt<br />

zugelassen: eine Klage wegen Korruption,<br />

Betrugs und exzessiver Gewinneinnahmen<br />

in 783 Fällen. Bis alle Einsprüche gegen die<br />

Wiederaufnahme des Gerichtsfalles abgewehrt<br />

sind, wird es noch viel Zeit kosten.<br />

Der zweite Fall ginge schneller: die Klage des<br />

ehemaligen obersten Staatsanwalts Mxolisi<br />

Nxasana. Er musste 2015 gegen seinen Willen<br />

sein Amt verlassen, obwohl Zuma eidesstattlich<br />

aussagte, er habe dies freiwillig und<br />

auf eigenen Beschluss getan.<br />

Hintergrund ist Zumas Einfluss auf die<br />

Anwältin Nomgcobo Jiba. Diese hatte im<br />

Korruptionsfall Schabir Shaik 2009 den<br />

Tonbandmitschnitt eines Zuma belastenden<br />

Gesprächs zwischen dem Staatsanwalt<br />

und dem Polizeichef der Ermittlungseinheit<br />

„Skorpione“ dem Gericht vorenthalten.<br />

Dann wollte sie, wenn auch vergeblich, die<br />

Klage gegen Richard Mduli, den Chef der<br />

Verbrechensaufklärung, wegen schwerwiegenden<br />

Betrugs und Korruption fallenlassen.<br />

Und schließlich hatte sie nach dem<br />

Massaker von 2012 an den Streikenden von<br />

Marikana eine Mordanklage gegen die 270<br />

überlebenden Bergarbeiter erhoben, die sie<br />

nur wegen nationaler wie internationaler<br />

Empörung wieder fallenließ. Als Jibas Chef<br />

hatte M. Nxasana Zuma im Juni 2014 gebeten,<br />

Jiba wegen unethischen Verhaltens im<br />

Fall Richard Mduli zu entlassen. Stattdessen<br />

feuerte Zuma aber seinen obersten Staatsanwalt<br />

und versüßte den Rauswurf mit 17<br />

Mio. Rand. Die Vereinigung der Rechtsanwälte<br />

hat Jiba inzwischen ihre Lizenz als<br />

Anwältin wegen unethischen Verhaltens<br />

aberkannt. Aber Zuma hält sie weiterhin in<br />

Amt und Würden.<br />

Nun hat Nxasana am 12. April <strong>2017</strong> eine Erklärung<br />

bei Gericht eingebracht, nach der er<br />

entgegen der eidesstattlichen Erklärung des<br />

Präsidenten nicht freiwillig um Entlassung<br />

aus dem Amt als oberster Staatsanwalt gebeten<br />

habe. Zumas Rechtsanwalt habe ihn<br />

gedrängt, einen Eid darauf zu leisten, dass<br />

er freiwillig aus dem Amt scheide. Das habe<br />

er aber nicht getan. Nxasana kann seine<br />

Darstellung des Präsidenten-Meineids mit<br />

schriftlicher Korrespondenz belegen. Wegen<br />

des „Geschenks“ von R 17 Mio. – die Nxasana<br />

gern zurückgibt – können noch Korruption<br />

und Vereitelung von Gerechtigkeit als<br />

Klagen gegen Zuma erhoben werden. Sollte<br />

Zuma deswegen verurteilt werden, drohen<br />

ihm nicht nur 15 Jahre Gefängnis seitens des<br />

Gerichts, sondern auch die Streichung seiner<br />

Rente nach einem Amtsenthebungsverfahren<br />

durch das Parlament.<br />

>> Gottfried Wellmer<br />

3|<strong>2017</strong> <strong>afrika</strong> <strong>süd</strong> 9


MEHR LESEN<br />

GEWECKT?<br />

INTERESSE<br />

MEHR<br />

ARTIKEL<br />

LESEN ...<br />

www.<strong>afrika</strong>-sued.org<br />

AFRIKA SUED ABONNIEREN<br />

www.<strong>afrika</strong>-sued.org/<strong>afrika</strong>suedabonnieren


MEHR LESEN<br />

AFRIKA SÜD<br />

• berichtet umfassend und kompetent über das aktuelle<br />

politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Geschehen<br />

in der Region des <strong>süd</strong>lichen Afrika<br />

• greift breite Debatten un kontroverse Positionen zu<br />

aktuellen Themen auf<br />

• liefert kritische und fundierte Hintergrundanalysen, stellt<br />

konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen<br />

• informiert über die regionale Integration und die<br />

internationale Zusammenarbeit<br />

• bietet aktuelle Informationen aus einem Netz von Quellen<br />

und Kontakten in der Region<br />

• berichtet über den facetten- und kontrastreichen Kontinent<br />

FUNDIERTE ANALYSE ∙ KOMPETENZ SEIT ÜBER 40 JAHREN<br />

GLEICH<br />

VORBEISCHAUEN<br />

www.<strong>afrika</strong>-sued.org

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!