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return Ausgabe 03-2016

Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen

Schwerpunktthema: Zukunft managen Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen

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www.<strong>return</strong>-online.de<br />

Artikel-Nr.: 585656<strong>03</strong><br />

ISSN: 2199-8841<br />

Magazin für Unternehmensführung und Sanierung<br />

<strong>03</strong><br />

16<br />

Zukunft managen<br />

Gezielter Blick auf das Geschäft von morgen<br />

Voraus<br />

Wie DFKI-Forscher<br />

Maschinen-Hirnen<br />

das Lernen beibringen<br />

Vorweg<br />

Warum die Führung<br />

bei 3M allen Erfindern<br />

so viel Freiraum lässt<br />

Voran<br />

Wieso Royal Philips umbaut<br />

für den Gesundheitsmarkt<br />

– und Krankheit vorhersagt


UNSERE KUNDEN<br />

KOMMEN AUS DEN<br />

FOLGENDEN BRANCHEN:<br />

• Maschinenbau<br />

• Metallbe- und -verarbeitung<br />

• Kunststoffbe- und -verarbeitung<br />

• Holzbe- und -verarbeitung<br />

• Lebensmittelindustrie<br />

• Hoch- und Tiefbau<br />

• Textilproduktion<br />

• Druckindustrie etc.<br />

Finanzierung<br />

in der Krise.<br />

CHANCEN NUTZEN<br />

WERTHALTIGKEIT SCHLÄGT BONITÄT: SALE & LEASE BACK GEBRAUCHTER MASCHINEN<br />

Maturus Finance bietet maschinenlastigen, produzierenden Unternehmen seit 2005 rein objektbasierte Finanzierungslösungen<br />

in Form von Sale & Lease Back-Strukturen an. Durch den Verkauf des gebrauchten Maschinenparks und das gleichzeitige<br />

Zurückmieten fließt dem Unternehmen frische Liquidität zu. Damit erhält es den finanziellen Spielraum, um die für das<br />

Gelingen einer erfolgreichen Sanierung notwendigen Maßnahmen umsetzen zu können. Erforderlich ist hierfür ein diversifizierter,<br />

werthaltiger und universal einsetzbarer Maschinenpark!<br />

Foto: Bernd Hegert<br />

Sehnsuchtserwachen<br />

EDITORIAL<br />

Unsere Zukunft ist allgegenwärtig, werte Leserin und werter Leser. Genau<br />

heute, zum Erscheinen dieser <strong>Ausgabe</strong> am 10. August <strong>2016</strong>, begann vor<br />

497 Jahren der Portugiese Magellan mit seiner Crew die erste Weltumsegelung.<br />

Das war eine Reise ohne Rückkehr für viele und mit Gefahren für alle.<br />

Gleichwohl galt schon immer, was der französische Schriftsteller und Pilot<br />

Antoine des Saint-Exupéry sinngemäß so empfahl: Wer ein Schiff bauen will,<br />

verteile nicht die Arbeit, sondern lehre zunächst die Sehnsucht nach dem weiten,<br />

offenen Meer.<br />

Es geht also darum, Überzeugung und Glauben dafür aufzubauen, dass es sich<br />

lohnt, ein neues Ziel anzusteuern. Verlangen nach Fernem wohnt Menschen<br />

inne. Das Feuer dafür muss man entfachen. Bei Freizeitabenteuern scheint<br />

das mittlerweile so leicht wie das Beobachten wilder Tiere in Afrika. Beim<br />

Aufbruch im Betrieb und im Büro begegnen Unternehmensführern eher Bedenken.<br />

Management selbst und alle Wirtschaftsförderer sind gefordert, den<br />

Weg zum Fortschritt zu weisen. Auch wenn die meisten angesichts unserer von<br />

Komplexität geprägten Gegenwart verunsichert am Alten festhalten.<br />

Agil die digitale Transformation anzugehen, gehört derzeit zu den großen Herausforderungen<br />

vor allem für Firmen. Dazu muss Führung auf Intelligenz, Innovation<br />

und Evolution vertrauen – und mehr Verantwortung in den eigenen<br />

Reihen verteilen. Einfach anfangen, auch in kleinen Schritten. Offensiv infrage<br />

stellen: Geht unser Geschäft weiter? Wie ändern wir was, um morgen noch<br />

profitabel zu arbeiten? Organisationen gestalten auch Zukunft zeitgemäß,<br />

indem sie Chancen aufspüren, Risiken annehmen, Fehler zulassen, Scheitern<br />

erlauben. Überlegungen folgen konkrete Umsetzungen, jedoch gehört jede<br />

Idee kritisch geprüft und bei berechtigten Zweifeln rechtzeitig verworfen. Der<br />

deutsche Mittelstand verfügt zweifelsohne über Innovationskraft. Aber ist er<br />

noch offen und hungrig genug? Trotz unserer „Hidden Champions“ mit ihren<br />

Weltmarktführer-Erfindungen erhält das hohe Ansehen auch für Strebsamkeit<br />

nach Neuem erste Schäden. Deshalb widmen wir dem verlorenen Potenzial<br />

diesmal die Debatte in „<strong>return</strong> kontrovers“ (S. 30). Wie schnell dagegen Singapur<br />

etwa autonome Autos auf die Straße bringt durch staatliche Zentralinitiative,<br />

zeigt einer unserer weltweiten Korrespondenten-Berichte im 30-seitigen<br />

Heft-Schwerpunkt zum Zukunfts- und Innovationsmanagement (ab S. 36).<br />

Dort liefern nicht nur das Interview beim global führenden US-Innovator 3M<br />

und das Porträt über den Umbau beim niederländischen Royal Philips hierzulande<br />

guten Stoff für vorbildliche Vorstellungen im unternehmerischen Planen<br />

und Handeln.<br />

Kommen Sie mit auf unsere Reise dorthin, wo führende Leute heute schon<br />

übers Morgen nachdenken. Gedacht als Inspiration, um Sehnsüchte zu wecken.<br />

MATURUS FINANCE BIETET IHNEN:<br />

• Eine rein objektbezogene, bonitäts- und bankenunabhängige Innenfinanzierung<br />

• Den Erhalt der Steuerungshoheit Ihres Unternehmens durch Zufluss frischer Liquidität aus eigener Kraft<br />

• Die Verbesserung der Eigenkapitalquote und mittelfristig der Bonität Ihres Unternehmens durch das Heben stiller Reserven<br />

Ihr<br />

Thorsten Garber<br />

Chefredakteur<br />

<strong>return</strong> – Magazin für Unternehmensführung und Sanierung<br />

Maturus Finance GmbH · T 040/300 39 36-250 · info@maturus.com · www.maturus.com<br />

<strong>03</strong>/16<br />

3


INHALT<br />

INHALT<br />

Inhalt<br />

<strong>return</strong> <strong>03</strong>/16<br />

18 Talent-Förderin<br />

„In einer dynamischen Welt ist man<br />

angreifbar, aber IBM greift auch an“<br />

38<br />

Kunstintelligenz-Tiere<br />

Schlaue Ameisen lösen bei<br />

Festo komplexe Aufgaben<br />

Aktuelles<br />

6 Meldungen<br />

8 Aktuelle Analyse<br />

10 Sanierungsmonitor<br />

Vier Fälle erfolgreicher Lösungen<br />

11 Cartoon<br />

12 Finanzlandkarte<br />

Stabile Zahlungsfähigkeit<br />

13 Brunowskys Tagebuch<br />

Einseitiger Übernahmetrend<br />

Mensch & Unternehmen<br />

14 Interview: Andreas Dengel, DFKI<br />

„Maschinelle Intelligenz schaffen“<br />

18 Porträt „<strong>return</strong> masterminds“<br />

Serie – IBM-Chefin Martina Koederitz<br />

Schwerpunkt<br />

36 Zukunft im Blick?<br />

Vorreiter im vorausschauenden Unternehmertum<br />

38 Innovationen umsetzen<br />

Anfangen mit „Action Plan“,<br />

rät Ulf Pillkahn<br />

40 Interview: Joerg Dederichs, 3M<br />

„Wir leiten die nächste Revolution ein“<br />

44 Unternehmensstory Royal Philips<br />

Umbau für digitalen Megamarkt<br />

im Gesundheitswesen<br />

48 Zukunftsmusik und Überschallreisen<br />

Korrespondenten-Berichte: China – USA<br />

50 Automission und Risikooption<br />

Korrespondenten-Berichte: Singapur – Südafrika<br />

52 Vision possible<br />

Fantasien aus Film<br />

und Buch – heute Realität<br />

Hintergrund & Wissen<br />

66 Interview: Ulrich Hermann, WK<br />

„In die Wertschöpfung des Kunden einbinden“<br />

70 Mentalitätswandel notwendig<br />

Studien zu Insolvenz und Scheitern<br />

72 Stakeholder als Könige<br />

Reputationsmanagement fordert Markus Renner<br />

74 Legal Tech<br />

Zu Juristen-Fortschritt drängt Holger Zscheyge<br />

75 Lernen aus Krisen<br />

Oliver Ibert über neue Forschungen<br />

76 Zahlungen anfechtbar<br />

Serie – Teil 11: Umgang mit säumigen Schuldnern<br />

78 Wissensquiz für Entscheider<br />

Sachgebiet: Haftung<br />

80 Krisenstadien<br />

Bilanz-Check: Planungsstandards<br />

85 Anne’s Corner<br />

Unternehmen auf Trab halten<br />

Service<br />

87 Rechtsprechung<br />

Praxis richterlicher Entscheidungen<br />

88 Medien<br />

Bücher und Zeitschriften<br />

89 Termine & Tools<br />

Veranstaltungen und Onlinequellen<br />

<strong>return</strong> bis Z<br />

90 Faulenzer oder Führungskraft?<br />

Wenn Heimarbeit lohnt für<br />

Arbeitgeber und -nehmer<br />

94 Kaum verstimmt<br />

Klavierkenner übertönt Dissonanzen<br />

96 Vorschau, Leserservice und Interna<br />

20 Unternehmensstory Scherer & Trier<br />

Nach der Krise durch gute Auftragslage<br />

24 Bosnien: Kampf um Dita<br />

Sauber saniert?<br />

26 Geniale Gründer<br />

Geschäftsstrategien von Tüftlern<br />

<strong>return</strong> kontrovers<br />

56 Zukunft managen<br />

Prozessqualität entscheidet<br />

über Erfolg, so Pero Mićić<br />

59 Forscher statt Trendsucher<br />

Gastkommentar über Gurus von Reinhold Popp<br />

60 Szenario als Wetterbericht<br />

Fehlvorhersagen vermeiden will Alexander Fink<br />

82 3D-Druck für Mittelständler<br />

Über Chancen schreibt Andreas Leupold<br />

84 Anpassung ist alles<br />

Jeffrey Beeson zum Führungswandel<br />

97 Impressum und Autorenverzeichnis<br />

98 Gewinnen und geniessen<br />

3 Editorial<br />

30 Verlorene Innovationskraft?<br />

Diskurs und Debatte<br />

62 Agil führen<br />

New Leadership by Egon Zehnder<br />

31 Standpunkt<br />

Helmut Ahr: „Systematische Steuerung“<br />

32 Pro & Kontra<br />

Dietmar Harhoff versus Nikolaus Franke<br />

63 Nudge Management<br />

Verhaltensstupser von Porsche Consulting<br />

52<br />

Hologramm-Telefonierer<br />

66<br />

64 „Komplettes Umdenken als Voraussetzung“<br />

Microsoft lässt über 3D-Screens<br />

Statements zum Zukunftsmanagement miteinander kommunizieren<br />

Digitaldienste-Transformierer<br />

„Wolters Kluwer hat sich<br />

vollständig verändert“<br />

4 5<br />

<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16


AKTUELLES<br />

AKTUELLES<br />

Meldungen<br />

Brexit als Ausrede für<br />

Management-Versagen?<br />

Der EU-Austritt von Großbritannien könnte vielen Unternehmen<br />

dazu dienen, still und leise ihre Prognosen zu<br />

revidieren, belegt die Targobank.<br />

In einem Markt-Kommentar zeigt das Team von Targobank<br />

Research um Direktor und Chefvolkswirt Dr. Otmar Lang<br />

(im Bild), dass ein Ausscheiden von Großbritannien aus<br />

der Europäischen Union von Unternehmen quasi als Entschuldigung<br />

für schlechte Zahlen instrumentalisiert werden<br />

könnte. Denn die Kennziffern wären zwar auch ohne das<br />

externe Ereignis schlecht gewesen. „Aber ein Brexit klingt<br />

als Grund besser als Management-Versagen“, folgern die<br />

„Deutsche Wirtschafts Nachrichten“ daraus. Richtig betroffen<br />

seien von dem Schritt eigentlich nur Zypern, Malta,<br />

Luxemburg und Nordirland, heißt es in dem Beitrag des Online-Newsletters. Auch die künftig fehlenden fünf Milliarden<br />

Euro aus London als EU-Beitrag könnten „kein Argument“ sein. Zur Entscheidung der Engländer nach dem Abstimmungsergebnis<br />

äußert Targobank-Chefvolkswirt Lang: „Wir vermuten: Ein Brexit wäre ein Vorwand, um weitere Unternehmensgewinn-Revisionen<br />

vorzunehmen und auch das Weltwirtschaftswachstum nach unten zu revidieren. Davor haben die Finanzmärkte<br />

wahrscheinlich mehr Angst als vor dem Brexit selbst.“<br />

www.targobank.de<br />

Foto: Targobank<br />

„Roboter übernehmen Tätigkeiten<br />

günstiger, besser, schneller“<br />

Lars Thomsen zählt zu den führenden Zukunftsforschern.<br />

Mit dem gebürtigen Hamburger und Wahl-Züricher<br />

sprach „<strong>return</strong>“-Chefredakteur Thorsten Garber.<br />

Herr Thomsen, Sie sagen aktuell als nächstes eine Krise<br />

der Arbeit voraus, weil Roboter bis zu 30 Prozent der<br />

Routinejobs übernehmen. Menschen in welchen Branchen<br />

sind besonders betroffen?<br />

Lars Thomsen: Alle Menschen, die immer wiederkehrende<br />

Arbeiten verrichten. Wer kreativ arbeitet oder individuell<br />

Klienten betreut, ist nicht gefährdet. Sachbearbeiter, Aktienanalysten<br />

und Taxifahrer aber schon. In den kommenden<br />

zehn Jahren übernehmen Roboter nach und nach solche<br />

Tätigkeiten – und zwar günstiger, besser, schneller. Ob im<br />

Finanzwesen, in der Logistik oder in Putzkolonnen.<br />

Wird diese Entwicklung die Unternehmen überrollen oder<br />

können Firmenlenker einen sanften Übergang schaffen?<br />

Das kommt auf den Zeitpunkt des Startes an. Der Mittelstand<br />

tut sich ja traditionell schwer mit Veränderungen, darf<br />

hier aber nicht zu lange zögern. Wer anfängt, braucht zwar<br />

Foto: future matters AG<br />

Mut und läuft Gefahr, zu früh zu sein, hat aber Vorsprung.<br />

Wer folgt, muss hinterherhinken und aufholen. Die erste<br />

Versicherung, die beispielsweise auf Roboter setzt und dadurch<br />

die Hälfte des Personals abbaut, wird heftige Kritik<br />

ernten. Dann aber wird die Stimmung kippen.<br />

Was entgegnen Sie Unternehmern etwa in der IT-Branche,<br />

die meinen, maximal ein Jahr im Voraus planen zu<br />

können?<br />

Dass dies keine strategische Planung ist. Es gibt durchaus<br />

Möglichkeiten für jede Branche, fünf bis zehn Jahre im Voraus<br />

zu planen. Anhand von Umbruchpunkten, die einer Logik<br />

folgen. So beim künftigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz<br />

anhand von Rechenleistungen und Konnektivität. Einzelentwicklungen<br />

treten auf gut prognostizierbaren Technologiepfaden<br />

auf. Solche Tipping Points sind zuverlässig auf fünf Jahre<br />

vorherzusehen. Durchbruchsinnovationen wie das iPhone hat<br />

Apple auch nicht erst ein Jahr vorher beschlossen.<br />

Künstliche Intelligenz wird Ihnen zufolge für „eine unglaubliche<br />

Dynamik“ sorgen. Gibt es dabei auch im Positiven<br />

etwas, wovon wir profitieren?<br />

Diese Entwicklung ist zwingend notwendig, denn sonst<br />

landen wir alle im Irrenhaus. Wollen wir wirklich alle täglich<br />

300 Mails oder WhatsApp-Nachrichten checken und<br />

verarbeiten? Das ist doch absolut ineffizientes Arbeiten!<br />

Assistenzdienste durch Künstliche Intelligenz werden uns<br />

entlasten. Das weiß jeder, der mal eine persönliche Assistentin<br />

hatte, die täglich dazulernt und Dinge erledigt und<br />

mir damit Freiräume schafft. Damit schaffen wir es raus aus<br />

dem Hamsterrad. ~<br />

u Mehr unter www.<strong>return</strong>-online.de<br />

Mittelständler sehen nun<br />

Jobmotor in Digitalisierung<br />

Die digitale Transformation wird im deutschen Mittelstand<br />

zu einem Zuwachs an Arbeitsplätzen führen, antworten 43<br />

Prozent der 4.000 befragten Firmen für die Studie „Transformation<br />

trifft Tradition“ von TNS Infratest für die Commerzbank.<br />

Ein Umdenken zum „Jobmotor“ statt einst „Jobkiller“<br />

habe stattgefunden. Negative Beschäftigungseffekte erwarten<br />

nun nur noch acht Prozent nach 40 Prozent ein Jahr zuvor.<br />

www.unternehmerperspektiven.de<br />

Foto: Max Grönert<br />

Unternehmen schielen auf<br />

Einsatz von Datenbrillen<br />

Fast 850 Millionen Euro wollen deutsche Unternehmen bis<br />

zum Jahr 2020 in innovative Anwendungen für Virtual und<br />

Mixed Reality investieren. Gute Aussichten für Technologien<br />

rund um die derzeit fünf Brillentypen prognostiziert<br />

die Studie von Fraunhofer, Deloitte und Digitalverband<br />

Bitkom. In der Produktion von Airbus oder VW sei dies<br />

schon im Einsatz.<br />

www.bitkom.org<br />

<strong>return</strong> Position<br />

„Das Entscheidende in unserer Wirtschaftsordnung<br />

ist nicht der Kapitalmarkt,<br />

sondern die Erkenntnis, dass das ganze<br />

System von Innovation getrieben ist.“<br />

Peter Jungen, namhafter Investor in Start-ups der<br />

„New Economy“ im Interview der „Süddeutsche Zeitung“.<br />

Eigenverwaltung – eine Frage der Größe?<br />

Umsatz 20-100 Mio. Euro<br />

§ 270a<br />

Verfahren<br />

20%<br />

§ 270b<br />

Verfahren<br />

11%<br />

„Klassische<br />

Verfahren“<br />

69%<br />

Umsatz > 100 Mio. Euro<br />

§ 270b<br />

Verfahren<br />

22%<br />

§ 270a<br />

Verfahren<br />

20%<br />

Anteil bei Großinsolvenzen zwischen 2012 und <strong>2016</strong><br />

„Klassische<br />

Verfahren“<br />

58%<br />

Besonders größere Unternehmen nutzen die Vorteile des Schutzschirmverfahrens<br />

zur Sanierung.<br />

Quelle: Perspektiv GmbH<br />

Investor übt Druck aus<br />

auf Stada-Führung<br />

Beim Arzneimittelhersteller<br />

Stada<br />

spitzt sich der Streit<br />

um die Unternehmensführung<br />

vor<br />

der Ende August<br />

anstehenden Hauptversammlung<br />

weiter<br />

zu. Zwar befindet sich Großaktionär Active Ownership Capital<br />

(AOC) nun mit dem Management um Vorstandschef Dr.<br />

Matthias Wiedenfels (Foto) über die künftige Zusammensetzung<br />

des Aufsichtsrats im Gespräch. AOC-Mitgründer Klaus<br />

Röhrig erneuerte allerdings seine Kritik an Martin Abend,<br />

dem Vorsitzenden des Kontrollgremiums, die Aktionäre nicht<br />

in den Nominierungsprozess für die neuen Aufsichtsratsmitglieder<br />

eingebunden zu haben. Zudem will der Investor neue<br />

und „renommierte“ Wirtschaftsprüfer mit der Abschlussprüfung<br />

des MDax-Konzerns beauftragen. AOC hält mehr als<br />

fünf Prozent beim Generikahersteller.<br />

www.stada.de<br />

Foto: Stada<br />

6 7<br />

<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16


AKTUELLES<br />

AKTUELLES<br />

Neue Rettungshilfen genutzt<br />

Aktuelle Studie: Sanierungen<br />

Eine aktuelle Studie wertet insgesamt 394 Insolvenzverfahren<br />

von mittelständischen Unternehmen aus, die seit<br />

dem 1. März 2012 unter der neuen ESUG-Gesetzgebung<br />

geführt wurden. Hierzu wurden insbesondere die realisierten<br />

Lösungen analysiert. Für die Auswertung wurden Verfahren<br />

einbezogen, bei denen bis zum 30. Juni <strong>2016</strong> eine Lösung<br />

umgesetzt war – entweder eine Übertragungs- bzw. Insolvenzplanlösung<br />

oder eine Liquidation. Verfahren, deren Lösungsweg<br />

bis zu dem genannten Termin nicht bekannt war,<br />

wurden ausgeklammert.<br />

Darüber hinaus wurden realisierte Fortführungslösungen als<br />

Übertragungs- oder Planlösung dahingehend untersucht, ob<br />

im Betrachtungszeitraum ein erneuter Antrag gestellt wurde.<br />

Die analysierte Phase nach Umsetzung der jeweils realisierten<br />

Fortführungslösung beträgt somit bei einigen Verfahren<br />

bis zu vier Jahren, während dieser Zeitraum bei den aktuellen<br />

Verfahren nur wenige Wochen betragen kann.<br />

Ein zentrales Ergebnis lautet: Die Eigenverwaltung ist als<br />

Sanierungsinstrument in der Praxis angekommen. Rund 32<br />

Art der Sanierung<br />

Regelinsolvenzen<br />

266<br />

68%<br />

Eigenverwaltung<br />

128<br />

32%<br />

Übertragende<br />

Sanierung<br />

47%<br />

Insolvenzplan<br />

44%<br />

Verfahren insolventer Mittelständler nach gewählter Lösungen<br />

Text: Andreas Fröhlich<br />

Übertragende<br />

Sanierung<br />

75%<br />

Liquidation<br />

9%<br />

Auswertung von 394 Insolvenzverfahren bei Unternehmen mit über 20 Millionen Euro<br />

Umsatz und mit mehr als 100 Mitarbeitern, für die zwischen März 2012 und Februar<br />

<strong>2016</strong> der Antrag gestellt wurde.<br />

Prozent der untersuchten Insolvenzverfahren starteten unter<br />

Eigenverwaltung. In 68 Prozent der Fälle begann der<br />

Sanierungsprozess als Regelverfahren. Aber welche Sanierungswege<br />

beschritten die Verantwortlichen im weiteren<br />

Verfahrensverlauf? Die Übertragende Sanierung war in den<br />

klassischen Verfahren mit 75 Prozent noch immer die bevorzugte<br />

Gestaltungsform. Auch in den Eigenverwaltungsverfahren<br />

war der Verkauf an einen externen Investor im Zuge<br />

eines Asset-Deals mit 47 Prozent der häufigste Lösungsweg.<br />

Schon bei 44 Prozent der Eigenverwaltungsverfahren war<br />

allerdings der Insolvenzplan das gewählte Lösungsinstrument<br />

– mit oder ohne Einbezug eines externen Investors.<br />

Liquidation<br />

20%<br />

Insolvenzplan<br />

4%<br />

Quelle: Perspektiv GmbH<br />

Erfolgreiche Fortführung<br />

wie bei Centrotherm<br />

Die neuen Möglichkeiten des Insolvenzrechts sorgen offensichtlich<br />

für eine höhere Rettungsquote: In mehr als acht<br />

von zehn Insolvenzverfahren für Unternehmen mit über 20<br />

Millionen Euro Umsatz konnte der<br />

Geschäftsbetrieb fortgeführt werden.<br />

Ein besonderer Blick auf die<br />

Erfolgsquoten in den unterschiedlichen<br />

Verfahrensarten förderte interessante<br />

Ergebnisse zutage: So<br />

konnten in allen Schutzschirmverfahren<br />

nach Paragraph 270b der Insolvenzordnung<br />

passende Lösungen<br />

zur Fortführung gefunden und umgesetzt<br />

werden. Als ein prominentes<br />

Beispiel steht hier das Verfahren der<br />

Centrotherm-Gruppe.<br />

Auch in den unter Paragraph 270a<br />

der Insolvenzordnung begonnenen<br />

Verfahren lag die Fortführungsquote<br />

mit 86 Prozent höher als in den klassisch<br />

geführten Verfahren. Bei der<br />

letztgenannten Variante beträgt die<br />

Fortführungsquote 81 Prozent. Die<br />

schwächere Quote bei den klassischen<br />

Verfahren zeigt nach Ansicht<br />

der Autoren, dass Regelinsolvenzverfahren<br />

auch ein Instrument sind,<br />

um den geordneten Marktaustritt<br />

von nicht mehr wettbewerbsfähigen<br />

Unternehmen umzusetzen.<br />

Auffällig ist die relativ hohe<br />

„Rückfallquote“ bei Eigenverwaltungsverfahren<br />

von zunächst<br />

erfolgreich umgesetzten Fortführungslösungen<br />

in Höhe von acht<br />

Prozent. Das bedeutet: Erneute<br />

Insolvenzanträge werden hier<br />

häufiger gestellt als in Regelinsolvenzverfahren,<br />

wo dies in nur vier<br />

Prozent der Fälle eintrat. Bekannte<br />

Beispiele für solche Anschlussinsolvenzverfahren,<br />

die zunächst<br />

unter Eigenverwaltung eine Fortführung<br />

ermöglichten: Strauss<br />

Innovation, Frick Fachmärkte,<br />

Nordseewerke oder Stürtz. In der<br />

Sanierungsbranche sprechen Insider<br />

deshalb schon vom „erfolgreichen“<br />

Double oder Tripel.<br />

Das Eröffnungsverfahren konnte<br />

offensichtlich nicht genutzt werden,<br />

um die Zukunftsträchtigkeit<br />

kritisch zu hinterfragen, wenn im Eigenverwaltungsverfahren<br />

nach Lösungen gesucht wurde. So ist die Anschlussinsolvenzquote<br />

von Verfahren, die zum Eröffnungszeitpunkt<br />

in Eigenverwaltung fortgeführt wurden und für die zunächst<br />

eine Fortführungslösung umgesetzt werden konnte, mit<br />

neun Prozent deutlich höher als bei Verfahren, die als Regelinsolvenz<br />

eröffnet wurden. Hier beträgt die Quote nur<br />

drei Prozent. Geringfügige Unterschiede gibt es bei einer<br />

Erfolgsquoten der Sanierung<br />

Alle<br />

Verfahren<br />

Kein<br />

Verfahren<br />

100%<br />

§ 270b<br />

Schutzschirm<br />

86%<br />

§ 270a Eigenverwaltung<br />

Fortführungen der Unternehmen in Prozent<br />

nach Verfahrensarten<br />

In Sanierungsverfahren von insolventen Unternehmen<br />

gelang unter Schutzschirm immer eine Fortführung, in<br />

Eigenverwaltung immerhin noch in 86 Prozent der Fälle.<br />

Arbeitsplatzerhalt nach Sanierung<br />

Fortgeführte Beschäftigungsverhältnisse im Mitarbeitern in Prozent<br />

Die Übergangsquoten erhaltener Arbeitsplätze zeigen, dass in der Regel 30 Prozent und mehr<br />

der Stellen zur Umsetzung einer Lösung gestrichen werden müssen.<br />

81%<br />

Klassisches<br />

Verfahren<br />

Art des Verfahrens<br />

69% 69%<br />

§ 270b<br />

Schutzschirm<br />

Quelle: Perspektiv GmbH<br />

63%<br />

Klassisches<br />

Verfahren<br />

71%<br />

Art der Lösung<br />

64%<br />

§ 270a Eigenverwaltung<br />

Planverfahren<br />

Übertragungslösung<br />

Betrachtung der Anschlussinsolvenzquote, wenn man die<br />

Fortführungsvarianten der Plansanierung oder übertragenden<br />

Sanierung betrachtet: Sieben Prozent der mittels Plan<br />

sanierten Unternehmen mussten später erneut einen Insolvenzantrag<br />

stellen. Fünf Prozent betrug die Quote in den<br />

mittels Übertragungslösung sanierten Unternehmen.<br />

Ein weiterer Befund ist, dass in Insolvenzplanlösungen, die<br />

in Eigenverwaltung umgesetzt werden, regelmäßig eine höhere<br />

Anzahl von Mitarbeitern in den sanierten Unternehmen<br />

weiterbeschäftigt wird. In klassischen Verfahren umgesetzte<br />

Übertragungslösungen kommen hier auf geringere Werte.<br />

Dieser Fakt erlaubt zwei unterschiedliche Interpretationsansätze:<br />

Einerseits führen Eigenverwaltungsverfahren erfreulicherweise<br />

zunächst zu einem geringeren Mitarbeiterabbau<br />

in dem Schuldnerunternehmen, in denen Fortführungslösungen<br />

umgesetzt werden. Andererseits muss angesichts der<br />

hohen Anschlussinsolvenzquote kritisch hinterfragt werden,<br />

ob die Sanierung tatsächlich nachhaltig gestaltet war oder ob<br />

alte Risiken mit in das vermeintlich sanierte Unternehmen<br />

übertragen wurden.<br />

Es ist zu konstatieren, dass das gesamte insolvenzrechtliche<br />

Instrumentarium umfassend genutzt gehört, um Sanierungen<br />

auch in Eigenverwaltungs- und in Planverfahren erfolgreich<br />

umsetzen zu können. Dabei dürfen auch „harte<br />

Einschnitte“ nicht ausgeschlossen bleiben, beispielsweise<br />

durch eine Neuausrichtung der Organisationsstruktur. Nur<br />

so kann „das Unternehmen nachhaltig wettbewerbsfähig“<br />

aufgestellt sein, um auch in Zukunft erfolgreich fortgeführt<br />

zu werden. Die Belastbarkeit von Fortführungskonzepten<br />

in Eigenverwaltungsverfahren ist mit Blick auf die erhöhten<br />

Rückfallquoten intensiv zu prüfen. Denn „eine dritte<br />

Chance“, ein Unternehmen neu aufzustellen, gibt es in den<br />

meisten Fällen nicht. ~<br />

Quelle: Perspektiv GmbH<br />

8 9<br />

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AKTUELLES<br />

AKTUELLES<br />

Sanierungsmonitor<br />

Aktuelle Fälle erfolgreicher Lösungen<br />

Quelle: Perspektiv GmbH<br />

10 11<br />

<strong>03</strong>/16 <strong>03</strong>/16


AKTUELLES<br />

AKTUELLES<br />

Mehr grün als rot<br />

Creditreform: Finanzlandkarte zeigt stabile Zahlungsfähigkeit<br />

Text: Michael Bretz<br />

Einseitiger<br />

Übernahmetrend<br />

Text: Ralf-Dieter Brunowsky<br />

Bonitätsatlas deutscher Unternehmen<br />

Durchschnittlicher<br />

Bonitätsindex auf<br />

PLZ-Ebene<br />

unter 260<br />

260 bis unter 270<br />

270 bis unter 280<br />

280 bis unter 290<br />

290 bis unter 300<br />

300 bis unter 310<br />

310 bis unter 320<br />

320 und mehr<br />

Kartengrundlage:<br />

© microm Consumer Marketing<br />

Bonität, die Zahlungsfähigkeit der Betriebe,<br />

ist der entscheidende Gradmesser<br />

für die Stabilität und Überlebensfähigkeit<br />

der Betriebe. Denn Insolvenz<br />

– das bedeutet Zahlungsunfähigkeit. Die<br />

Karte gibt wieder, wie es regional im<br />

Durchschnitt um die Bonität bestellt ist.<br />

Je dunkler das Rot desto flauer die durchschnittliche<br />

Bonität in der markierten Region.<br />

Über Gelb (mittlere Bonität) reicht<br />

die Palette bis zum satten Grün einer<br />

sehr guten Bonitätsbewertung im Durchschnitt<br />

des lokalen Ausschnitts.<br />

Dabei zeigt ein grober Überblick, dass<br />

sich ein breites Band schwächerer Bonität<br />

durch die Mitte Deutschlands zieht, das<br />

vom Rhein-Ruhr Gebiet und dem pfälzischen<br />

Südwesten über Sachsen-Anhalt<br />

bis nach Berlin-Brandenburg im Osten<br />

reicht. Vor allem im Süden präsentiert sich<br />

ein grünes Feld guter Stabilität vom östlichen<br />

Baden-Württemberg, über Bayern<br />

bis nach Sachsen.<br />

Zu bemerken ist auch, dass Ballungsgebiete<br />

eine größere Zahl gefährdeter Betriebe<br />

aufweisen als ländliche Regionen.<br />

Rot nimmt ab, Grün wird stärker. Diese<br />

Aussage betrifft nicht die parteipolitischen<br />

Verhältnisse in Deutschland, sondern<br />

die Bonität der Unternehmen: Ein<br />

Vergleich der Karten über die letzten Jahre<br />

hinweg macht deutlich, dass die Unternehmen<br />

mit guter Bonität zunehmen. ~<br />

Der Autor ist Mitglied<br />

der Geschäftsleitung<br />

im Verband der Vereine<br />

Creditreform e.V.<br />

Zu Deutschlands erfolgreichsten Unternehmen gehört<br />

Kuka, ein marktführender Maschinenbauer mit weltweit<br />

25 Tochterunternehmen. Eine deutsche Industrieperle,<br />

die unter anderem raffinierte Industrieroboter und automatisierte<br />

Produktionslösungen fertigt.<br />

Nun haben Chinesen die Firma entdeckt: Am<br />

17. Mai <strong>2016</strong> legte der chinesische Haushaltsgerätehersteller<br />

Midea ein Übernahmeangebot<br />

über 4,6 Milliarden Euro oder 115 Euro je<br />

Aktie vor. Seitdem diskutiert Deutschland den<br />

Ausverkauf deutscher Industrieperlen an China.<br />

Plötzlich meldet sich die Politik zu Wort. Wollen<br />

wir wirklich unser Tafelsilber an die Chinesen<br />

verscherbeln? Es ist nicht die erste Aktion dieser Art. Am<br />

24. Mai sprang der Kurs der Aixtron-Aktie um 16 Prozent<br />

in die Höhe. Was war passiert? Auch der Aachener Chipanlagenbauer<br />

hatte mit dem chinesischen Investmentfonds<br />

FGC einen Käufer gefunden. Die chinesische Firma Fujian<br />

Grand Chip Investment wurde als Retter des verlustreichen<br />

Hightech-Unternehmens gefeiert. Drei Tage später wieder<br />

eine Meldung: Der Staatskonzern ChemChina will offenbar<br />

den defizitären Graphit-Spezialisten SGL Group kaufen.<br />

Die Meldungen lassen aufhorchen.<br />

Einer Studie zufolge sind chinesische Investitionen in Europa<br />

von praktisch Null im Jahr 2000 auf rund 18 Milliarden<br />

Euro im Jahr 2014 gestiegen. Zwischen 2000 und 2014 hat<br />

es mehr als 1.000 Neugründungen, Fusionen und Übernahmen<br />

im Umfang von 46 Milliarden Euro gegeben. Beispiele<br />

für Übernahmen chinesischer Unternehmen in Deutschland<br />

gibt es viele: Lenovo etwa übernahm den deutschen Computer-Hersteller<br />

Medion für rund 530 Millionen Euro. Der<br />

Flugzeughersteller AVIC kaufte den Automobilzulieferer<br />

Hilite International für 473 Millionen, und Weichai Power<br />

Euro übernahm den Maschinenbau- und Logistikkonzern<br />

Kion für 467 Millionen.<br />

Eine exportorientierte Nation wie Deutschland muss auch<br />

offen für ausländische Investoren sein. Was aber, wenn Investoren<br />

unser ganzes Know-how kaufen, um uns eines Tages<br />

überflüssig zu machen? Wenn staatlich finanzierte Fonds wie<br />

der chinesische CIC in Deutschland gezielt finanzschwache<br />

Technologie-Perlen kaufen – weniger aus Renditegründen,<br />

sondern schlicht um sich Patente und Märkte anzueignen.<br />

Seit Jahren drängen immer mehr Staatsfonds als Aktionäre<br />

in deutsche Großunternehmen. Dubai, Singapur und vor<br />

allem China mit seinem Staatsfonds CIC, der 690 Milliarden<br />

US-Dollar in seiner Kasse hat, screenen den deutschen<br />

Markt, um attraktive Beteiligungen zu finden. Ähnlich ist<br />

seit Jahren der norwegische Staatsfonds „Statens pensjonsfond“<br />

unterwegs, der rund 734 Milliarden Euro aus den<br />

Einnahmen des Ölgeschäfts verwaltet. Experten<br />

warnen schon lange vor den Risiken eines Missbrauchs<br />

der Marktmacht durch staatliche Investoren,<br />

gerade im Umfeld niedriger Zinsen.<br />

Laut „manager magazin“ liegen derzeit über<br />

56 Prozent der Dax-Konzerne in den Händen<br />

ausländischer Investoren, die auch immer mehr<br />

mitreden. Der Druck auf deutsche Konzerne wächst<br />

– auch bei Gehältern und Boni. Die Deutschland AG, das<br />

einstige Bollwerk gegen zu viel ausländischen Einfluss, gibt<br />

es schon lange nicht mehr. Jetzt steht die lange Liste der<br />

„Hidden Champions“, vorwiegend der Maschinenbau, zur<br />

Disposition. Hier dominieren Familien-Unternehmen, die<br />

nur dann verkaufen, wenn die Firma anders nicht gerettet<br />

werden kann. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften<br />

sieht die Sache anders aus.<br />

Der entscheidende neue Faktor ist die Digitalisierung unter<br />

dem Stichwort Industrie 4.0. Er verlangt von unserer Industrie<br />

in den nächsten Jahren ungeheure finanzielle Anstrengungen,<br />

wenn sie sich auf den Weltmärkten behaupten<br />

wollen. Da sind ausländische Investoren zunehmend gefragt.<br />

Dagegen ist nichts zu sagen, solange deutsche Investoren<br />

auch chinesische Firmen problemlos kaufen können. Das<br />

aber ist nicht der Fall. Die Wirtschaftspolitik muss sich etwas<br />

einfallen lassen. ~<br />

Der Autor war Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Capital“ und<br />

ist heute Kommunikationsberater.<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

„Systeme schaffen,<br />

die Emotionen erkennen“<br />

Prof. Andreas Dengel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz<br />

(DFKI) optimiert die Wissensarbeit – indem er „Maschinenhirnen“ das Lernen beibringt.<br />

Text: Armin Hingst<br />

Herr Prof. Dengel, beim Wissensmanagement des DFKI<br />

in Kaiserslautern beschäftigen Sie sich intensiv mit Assoziationen<br />

– denen von Menschen und denen von Maschinen.<br />

Sie wollen zum Beispiel im „Semantic Desktop“<br />

die Büroarbeit der Zukunft erleichtern, indem Sie das<br />

System den arbeitstäglich anfallenden Informationswust<br />

quasi von selbst ordnen lassen.<br />

Wie muss man sich das<br />

vorstellen?<br />

Andreas Dengel: Sie können<br />

einfach alles – Mails, Dateien,<br />

Texte, Präsentationen – in einen<br />

großen Topf werfen, und<br />

das System verbindet selbsttätig<br />

sämtliche Konzepte miteinander.<br />

Mit den Beschreibungssprachen,<br />

die wir nutzen,<br />

können wir Zusammenhänge zwischen Objekten, Institutionen,<br />

Themen, Projekten, Terminen modellieren. Damit<br />

mache ich mich unabhängig von jeder Anwendung. Dann<br />

weiß ich zum Beispiel, dass sich die Menschen zu diesem<br />

Termin über jene Themen unterhalten haben, weil da ein<br />

Zusammenhang mit einem Projekt besteht. Ich kann später<br />

aus jeder Perspektive anfragen: Wer hat sich getroffen? Über<br />

was wurde gesprochen, wann haben wir uns getroffen, warum<br />

haben wir uns getroffen?<br />

„Mit dem klassischen<br />

Schulbuch kann man kaum die<br />

Potenziale heben, die wir als<br />

Wissensexportnation brauchen.“<br />

Kapitel interessiert hat. Beziehen wir also Aufmerksamkeitsdaten<br />

beim Lesen mit ein, können wir deutlich die Assistenz<br />

verbessern, die solche Systeme liefern.<br />

Weil Sie Maschinen assoziatives Lernen beibringen wollen,<br />

haben Sie sich damit beschäftigt, wie Lernen funktioniert.<br />

Wie denn?<br />

Aufmerksamkeit ist für mich<br />

die Grundvoraussetzung für<br />

das Lernen. Wir müssen erst<br />

einmal aufmerksam sein, um<br />

Dinge zu erfahren, zu verstehen<br />

und im Gedächtnis zu verankern.<br />

Wir forschen daher seit<br />

Jahren zum Thema Aufmerksamkeit.<br />

Beim „erweiterten<br />

Verstehen“ oder „augmented<br />

understanding“ geht es zum Beispiel darum, Texte dadurch<br />

leichter verständlich machen, dass es die Augenbewegungen<br />

des Lesers via Datenbrille ermittelt – mit diesem „eyetracking“<br />

stellt das System fest, an welchen Stellen ungewöhnlich<br />

lange gezögert wird und schlägt zu den entsprechenden<br />

Textpassagen Erläuterungen in einem Bereich rechts neben<br />

dem Text vor. Dort bietet mir das System verschiedene Services<br />

an, ob das Übersetzungen sind, Wikipedia-Erklärungen,<br />

Videos.<br />

Professor Andreas Dengel, Chef des DFKI-Standortes Kaiserslautern, hat zwar in der Pfalz auch Informatik<br />

und Wirtschaftswissenschaften studiert, seine wissenschaftliche Karriere führte ihn aber immer wieder ins<br />

Ausland. Unter anderem gehörte er zu den Gründern des „Institut for Document Analysis and Knowledge<br />

Science“ an der Universität Osaka, wo er auch noch eine weitere Professur hat. Ebenfalls mitgegründet hat<br />

er das TUKL-NUST Research Center in Islamabad, ein von der Uni Kaiserslautern und dem pakistanischen<br />

Partner 2015 ins Leben gerufenes Forschungsinstitut für Computerwissenschaften.<br />

Foto: DFKI GmbH<br />

Was kann man mit diesen Erkenntnissen anfangen?<br />

Weil ich alle diese Aspekte verknüpft habe, kann ich aus<br />

diesen W-Dimensionen wie im mentalen Modell des Menschen<br />

auch im Unternehmensgedächtnis Zusammenhänge<br />

verstehen. Kombiniert man das Semantic Desktop etwa mit<br />

einer Datenbrille, die Augenbewegungen analysiert, dann<br />

erkennt es, an welchen Stellen besonders intensiv gelesen<br />

wurde. Wir könnten digitale Assistenten bauen, die sich die<br />

abgelegten Dokumente anschauen, Klassen bilden und lernen,<br />

was diese Klassen ausmacht. Manchmal haben sie lange<br />

Berichte in ihren Datenablagen, obwohl sie nur das dritte<br />

Welchen Nutzen sehen Sie in der Praxis?<br />

Wir setzen das gerade bei Schulen ein, wenn es um individualisiertes<br />

Lernen geht. Also etwa um Schüler, die besser sind,<br />

wenn sie sich kurze erklärende Videos anschauen statt Texte<br />

zu lesen. Mich stört am starren Schulsystem, dass es viel zu<br />

wenig auf die unterschiedlichen Lerntypen eingeht und immer<br />

noch zu sehr auf klassische Schulbücher setzt. Damit<br />

kann man kaum die Potenziale heben, die man braucht, um<br />

als Wissensexportnation auf Dauer bestehen zu können. Für<br />

uns ein Grund mehr, neue dynamisierte Formen von antizipierenden<br />

Schulbüchern zu entwickeln.<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Oben: Der sechsbeinige Laufroboter MANTIS in Manipulationshaltung,<br />

entwickelt am Bremer Standort des DFKI.<br />

Mitte: Mit Kameras ausgestattete Datenbrillen als Schnittstellen zur<br />

Künstlichen Intelligenz.<br />

Unten: Optimierte Realität: Schwierige Montageaufgaben lassen sich<br />

durch Einblendung von Experten-Handgriffen leichter lösen.<br />

Also Schulbücher, die dank eyetracking von selbst merken,<br />

wo es hakt – und ihrem Leser dann passend auf die<br />

Sprünge helfen?<br />

Genau.<br />

Und wie bringen Sie solchen Maschinen bei, immer besser<br />

zu werden, zu lernen?<br />

Das DFKI hat auf meine Initiative hin gerade ein neues<br />

Deep Learning Center gegründet. Das soll maschinelle Intelligenz<br />

schaffen, die es bisher nicht gibt. So geht es unter<br />

anderem darum, Emotionen in Bildern selbstständig zu<br />

erkennen. Solche Systeme programmiert man nicht mehr,<br />

Foto: DFKI GmbH, Foto: Daniel Kühn<br />

man trainiert sie. Das müssen Sie sich vorstellen wie bei einem<br />

Kind, dem man beibringt, zwischen Früchten zu unterscheiden.<br />

Man sagt: Das hier ist eine Birne, dies ein Apfel.<br />

Und wenn sie genügend Beispiele von Äpfeln und Birnen<br />

gezeigt haben, die sich in Farbe und Form leicht unterscheiden,<br />

dann weiß das Kind irgendwann, was ein Apfel ist,<br />

wenn sie ihm eine Sorte zeigen, die es noch nicht gesehen<br />

hat. Ähnlich ist das mit solchen KI-Systemen. Sie können<br />

Beispiele extrapolieren. So gelingt es eben auch, Emotionen<br />

verlässlich zu erkennen.<br />

Wie soll das gehen, dass Software Emotionen erkennt?<br />

Das ist für Maschinen natürlich nicht einfach. Denken Sie<br />

an Konzepte wie „schöner Strand“ oder „schönes Auto“.<br />

Beides soll als schön beschrieben werden, aber in beiden<br />

Fällen sind jeweils ganz andere Bedingungen dafür entscheidend.<br />

Das System soll aber in der Lage sein, etwas als<br />

schön einzustufen, ohne dass ihm das der Mensch im Einzelnen<br />

vorgibt. Auch das lässt sich durch ein selbstlernendes<br />

System hinbekommen.<br />

Was haben denn Unternehmen von Mustererkennung<br />

und Deep Learning?<br />

Ein Anwendungsbereich ist die Wartung komplizierter<br />

Maschinen. Ich habe gelernt, dass zum Beispiel viele Aufzüge<br />

Unikate sind. Technische Elemente wie die Platinen<br />

sind oft individuell zusammengebaut. Da hilft es einem<br />

Wartungsingenieur sehr, der das erste Mal davorsteht, wenn<br />

er jemanden an seiner Seite hätte, der ihm zeigen kann, wie<br />

es geht – das wäre dann ein ,digital companion‘. Im Grunde<br />

ein Erklär-Video der besonderen Art: Bevor es zum Einsatz<br />

kommt, hat ein Experte mit einer Datenbrillen- oder<br />

Kopfkamera die zentralen, korrekten Arbeitsgänge aufgenommen.<br />

Die werden dem Wartungstechniker beim Einsatz<br />

vor Ort in seine Datenbrille eingeblendet. Weil auch<br />

die Handgriffe des Technikers aufgenommen werden, kann<br />

das System beide Aktionen vergleichen und auf Unterschiede<br />

aufmerksam machen: Grün eingefärbte Hände zeigen<br />

zum Beispiel an, dass der Techniker auf dem richtigen Weg<br />

ist. Der Clou dabei: Das Experten-Video wird automatisch<br />

von der KI des Systems in Einzelhandgriffe zerlegt und abgelegt,<br />

sodass die Mustererkennung des Systems optimal<br />

darauf zugreifen kann. Auf diese Weise schrumpft der Aufwand<br />

für die Erstellung des gesamten Erklär-Videos auf ein<br />

Minimum.<br />

Das DFKI setzt als Public Private Partnership-Projekt<br />

vor allem auf Anwendungsnähe ...<br />

Wir sind an Erkenntnis und Mehrwert im Transfer-Umfeld<br />

interessiert. Es geht um Ausbildung von Mitarbeitern<br />

für die Wirtschaft. Aber wir übernehmen auch Aufträge<br />

für die Industrie und fördern Spin-Off-Unternehmen.<br />

Wir haben schon über 70 Start-ups gegründet, die alle<br />

sehr erfolgreich am Markt agieren. Eines davon, die Firma<br />

IOXP, hat für das eben erwähnte System einen Landmaschinenhersteller<br />

als Kunden gewonnen. Es assistiert hier<br />

den Mechanikern beim Reparieren von Mähdreschern und<br />

Spezialmaschinen. Ein anderes Unternehmen ist „3digify“,<br />

wie IOXP eine Ausgründung aus dem Forschungsbereich<br />

„Augmented Vision“. Hier spielt sich automatische Mustererkennung<br />

gleich dreidimensional ab. Stellen Sie sich<br />

vor, Sie haben eine kaputte Steckdose oder brauchen ein<br />

Plastikersatzteil für die Waschmaschine, das der Hersteller<br />

nicht mehr hat. Dann fotografieren Sie dieses Teil, machen<br />

daraus mit 3digify ein 3D-Modell und lassen sich das dann<br />

ausdrucken.<br />

Nicht jeder DFKI-Angehörige kann oder will eine Firma<br />

gründen, aber Ihre Mitarbeiter sind sicher auch sonst<br />

gefragt …<br />

Ja, Beispiele gibt es genug. Eine Gruppe hat schon in den<br />

neunziger Jahren die Suchmaschine TREX für SAP entwickelt.<br />

Danach ist ein Teil des Teams zu SAP gewechselt und<br />

SAP setzt dieses Tool heute noch ein.<br />

Auch Sie selbst sind ja mehrfach angesprochen worden,<br />

zuletzt wollte Sie Siemens abwerben. Warum sind Sie<br />

geblieben?<br />

Wir Professoren haben hier viel kreative Freiräume. Das ist<br />

unschätzbar. Ich muss zugeben, dass mir es gerade Siemens<br />

besonders schwergemacht hat. Das war schon eine sehr interessante<br />

Aufgabe. Aber die Arbeit hier und auch private<br />

Lebensumstände haben mich dann doch gehalten.<br />

Apropos Freiräume: Engt es nicht ein, wenn es beim<br />

DFKI vor allem um rasche Verwertbarkeit geht?<br />

Wir sind gern ein Schnellboot. Und wir stellen uns bei Forschungsanträgen<br />

schon dem Wettbewerb untereinander,<br />

denn wir müssen auch nach außen im Wettbewerb der Ideen<br />

bestehen, wir leben von der Inspiration. Zudem erstellen<br />

wir eigene Technologie-Roadmaps, die acht Jahre in die<br />

Zukunft weisen und unsere Forschung leiten.<br />

Wie sähe die dann aus?<br />

Wir werden beispielsweise künftig – ob in der Ausbildung<br />

oder an der Arbeit – von Kreativräumen sprechen. Dabei<br />

wird der Raum an sich als Ganzes mit einbezogen.<br />

Er ist nicht nur reaktiv, nicht nur Display, sondern er vereint<br />

alle aktiven Komponenten, die mich bei der Arbeit<br />

unterstützen, und mir helfen, meine Kreativität besser einzusetzen.<br />

Indem ich Informationsunterstützung, Prioritätsunterstützung,<br />

Kommunikationsunterstützung habe, sodass<br />

ich meine Kollegen sehe, als ob wir tatsächlich zusammenstehen.<br />

Ich bin zwar da, virtuell, aber ich muss im Office<br />

der Zukunft nicht mehr präsent sein. Natürlich sieht vieles<br />

dann noch so aus wie heute. Dennoch werden wir einen<br />

Evolutionsprozess durchmachen, vielleicht auch einen Re-<br />

Evolutionsprozess, bei dem es zurückgeht auf die viele Jahrhunderte<br />

erprobte Form der Erzeugung von Information,<br />

der Umsetzung von Kreativität. Und womöglich haben wir<br />

dann gar keine Smartphones mehr, weil wir die Informationsschnittstelle<br />

auf der Nase tragen. ~<br />

Weltweit größtes Zentrum<br />

für Künstliche Intelligenz<br />

„Derzeit bauen wir gerade unsere Berliner Präsenz aus“,<br />

sagt Prof. Andreas Dengel. Dann wird das einstige Projektbüro<br />

zum vierten offiziellen Standort. Neben Kaiserslautern<br />

als Hauptsitz, nur wenige hundert Meter<br />

vom Uni-Campus entfernt, gibt es noch einen Standort<br />

in Saarbrücken und einen in Bremen. Eigener Darstellung<br />

zufolge ist das<br />

DFKI, „gemessen<br />

an Mitarbeiterzahl<br />

und Drittmittelvolumen“,<br />

das weltweit<br />

größte Forschungszentrum<br />

für Künstliche<br />

Intelligenz. Hier<br />

arbeiten „478 Wissenschaftler<br />

und<br />

337 studentische<br />

„B-Human“ ist wertvollster Teamplayer Mitarbeiter aus<br />

einer Fußball-Auswahl aus Robotern. mehr als 60 Nationen<br />

an 180 Forschungsprojekten“,<br />

heißt es auf der Website. Während in<br />

Kaiserslautern und Saarbrücken unter anderem semantische<br />

Informationsverarbeitung auf dem Forschungsplan<br />

steht, ist Bremen ein Zentrum für Robotik. Pünktlich<br />

zum zehnjährigen Bestehen des Bremer Standorts ist<br />

jüngst eine große Testhalle fertiggeworden, in der Geländeformationen<br />

anderer Planeten als Übungsfeld für<br />

Roboter aufgebaut werden können.<br />

Das DFKI wurde 1988 als Public Private Partnership<br />

gegründet und hat aktuell 18 privatwirtschaftliche Anteilseigner<br />

– vom Familienunternehmen bis zum Weltkonzern.<br />

Seit Herbst 2015 ist auch Google mit einer<br />

Einlage vertreten. „Im selben Umfang wie jeder andere<br />

privatwirtschaftliche Gesellschafter“, betont Dengel. Im<br />

Fokus des DFKI steht die anwendungsorientierte Technologieforschung.<br />

Ein eigenes Transfer-Zentrum kümmert<br />

sich darum, dass der wissenschaftliche Fortschritt<br />

bei der künstlichen Intelligenz möglichst rasch auch zu<br />

wirtschaftlicher Entfaltung kommt.<br />

Verteilt auf Vertragsjahre bearbeitete das DFKI laut Bundesanzeiger<br />

im Jahr 2014 Forschungsaufträge in Höhe<br />

von knapp 40 Millionen Euro. Knapp die Hälfte davon<br />

waren Bundesmittel, rund 5 Millionen Projektförderung<br />

des Landes, gut 8 Millionen kamen von der EU und rund<br />

vier Millionen aus der Industrie.<br />

Technisch-wissenschaftlicher Geschäftsführer und<br />

Vorsitzender der Geschäftsführung des DFKI ist Prof.<br />

Wolfgang Wahlster, Dr. Walter Olthoff verantwortet die<br />

kaufmännische Geschäftsführung. Prof. Andreas Dengel<br />

ist seit 2004 Mitglied der 5-köpfigen Unternehmensleitung<br />

und seit 2008 Standortleiter in Kaiserslautern sowie<br />

Leiter des Bereichs Wissensmanagement.<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Die Talentförderin<br />

Fähige Köpfe zu entwickeln und Spitzenteams zu bilden – darin sieht<br />

Martina Koederitz als erste Frau an der Spitze von IBM Deutschland ihre Kernaufgabe.<br />

Magisches Dreieck: Neues schaffen, Innovation fördern<br />

und Kräfte entfesseln, möchte Martina Koederitz.<br />

Text: Peter Hanser<br />

Fotos: IBM Deutschland<br />

Auf der diesjährigen Cebit drängelten sich die Besuchermassen<br />

durch die engen Gänge des IBM-Messestandes,<br />

um sich über die neuesten Entwicklungen und Lösungsansätze<br />

des Unternehmens und seiner Partner zu informieren.<br />

Zu den zentralen Themen gehörten Industrie 4.0, Big Data<br />

Analytics, Cloud, Mobile oder Security. Weit ruhiger ging<br />

es auf der oberen Ebene des Standes zu, wo die Besprechungsräume<br />

liegen. Hier hatte Martina Koederitz für die<br />

fünf Messetage ihr helles Büro in der 4. Etage der Ehninger<br />

IBM-Zentrale mit der fensterlosen Besprechungszelle auf<br />

dem Messestand getauscht.<br />

Die 52-Jährige gehört einer eher seltenen Spezies von Frauen<br />

in deutschen Großunternehmen an. Während die wenigen<br />

Frauen, die es in die Vorstände schaffen, sich meistens mit<br />

Themen abseits des Kerngeschäfts wie Recht oder Personal<br />

beschäftigen, steht sie an der Spitze von IBM Deutschland<br />

mit Verantwortung für die D-A-CH-Region und mehrere<br />

tausend Mitarbeiter.<br />

„In einer dynamischen Welt ist man<br />

angreifbar, aber wir greifen auch an.“<br />

Die eher zurückhaltende, aber als durchsetzungsstark und<br />

zielstrebig geltende Betriebswirtin kennt das Unternehmen<br />

von der Pike auf. Schon während des Studiums hatte sie den<br />

Computerkonzern als zukünftigen Arbeitgeber ins Auge<br />

gefasst. Was die Studentin damals an dem amerikanischen<br />

Computer-Konzern faszinierte, waren sein Image als innovativer<br />

Arbeitgeber, die guten Qualifizierungsangebote für die<br />

Mitarbeiter und die Talententwicklung.<br />

Ihre Karriere startete sie 1987 in Stuttgart als Systemberaterin<br />

und stieg nach mehreren Aufgaben im Vertrieb 1998 zur<br />

Sales Managerin im Financial-Services-Sektor auf. Seit 1999<br />

leitete sie dann als Business Executive die Vertriebsorganisation<br />

für den genossenschaftlichen Finanzverbund. Vier Jahre<br />

später wurde Koederitz Vice President zSeries Sales IBM<br />

EMEA und 2006 Vice President System zSales in Deutschland.<br />

Als sie danach für sieben Monate als Client Advocacy<br />

in das Büro des damaligen IBM-CEO Sam Palmisano in die<br />

Konzernzentrale nach Armonk wechselte, war für Insider<br />

klar, dass sie zu Höherem berufen war. Spekulationen, die<br />

im Mai 2011 mit der Ernennung zur Vorsitzenden der Geschäftsführung<br />

der IBM Deutschland Realität wurden. Zwei<br />

Jahre später übernahm Koederitz als General Manager zudem<br />

die Verantwortung für die Geschäfte in Österreich und<br />

in der Schweiz. In der mehr als hundertjährigen Geschichte<br />

der deutschen Landesvertretung des weltgrößten Computer-<br />

Konzerns ist sie die erste Frau an der Spitze überhaupt.<br />

Bei der Frage, ob es für sie schwierig war, in der männerdominierten<br />

IT-Welt diesen Weg zu gehen, muss sie lachen.<br />

Ein Thema, über das sie eigentlich nie nachgedacht hätte,<br />

wenn man ihr nicht immer wieder diese Frage stellen würde.<br />

„Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, mich hier nicht weiterentwickeln<br />

zu können, dann hätte ich vielleicht ganz andere<br />

Entscheidungen getroffen“, umschreibt Koederitz, was sie<br />

dazu bewegt hat, dem amerikanischen Konzern die Treue zu<br />

halten.<br />

Auf strategischer Ebene steht Koederitz vor der großen Aufgabe,<br />

die IBM-Strategie für die Themen Industrie 4.0, Internet<br />

of Things oder Cognitive Business mit ihrem Team<br />

für die deutschsprachigen Regionen umzusetzen. Die Managerin,<br />

die sich nicht als „die euphorischste Produkt- und<br />

Lösungsstrategin“ beschreibt, fokussiert sich dabei auf die<br />

Markt- und Kundenentwicklung. Dazu gehört der Aufbau<br />

langfristiger Partnerschaften wie mit Lufthansa, Allianz,<br />

Deutscher Bank oder der Bundeswehr und zahlreichen<br />

mittelständischen Unternehmen. „Die langfristig angelegten<br />

Partnerschaften müssen entwickelt und gemeinsam mit<br />

den Kunden ausgebaut werden“, weiß die Managerin um<br />

den Wert der Beziehungen und dass die Konkurrenz nicht<br />

schläft.<br />

In den nun fast 30 Jahren, die Koederitz in dem amerikanischen<br />

Konzern tätig ist, hat sie auch erlebt, wie sich die<br />

Führungskultur wandelte. Während sich Manager-Generationen<br />

früher daran orientierten, fachlich die richtigen<br />

Entscheidungen vorzubereiten und umzusetzen, nehmen<br />

sie heute eher die Rolle eines Coaches oder Orchesterleiters<br />

ein. „Jetzt sehe ich meine Führungsaufgabe darin, für unsere<br />

Herausforderungen die Teams so zu unterstützen, dass sie<br />

ein Spitzenteam sind in dem, wie sie miteinander arbeiten<br />

und in dem, was sie an Ergebnissen produzieren. Und die<br />

richtigen Talente frühzeitig zu erkennen und zu entwickeln<br />

sowie an die richtige Stelle zu bekommen“, hebt sie einen<br />

Schwerpunkt ihrer Führungsaufgabe hervor.<br />

Koederitz‘ Handeln wird geleitet von den IBM-Werten<br />

„Engagement für den Erfolg jedes Kunden“, „Innovationen,<br />

die etwas bedeuten für unser Unternehmen und für die<br />

Welt“ sowie „Vertrauen und persönliche Verantwortung in<br />

sämtlichen Beziehungen“. Werte, die die IBM-Mitarbeiter<br />

20<strong>03</strong> online in einem weltweiten „Value Jam“ erarbeiteten<br />

und moderne Formulierungen der Werte darstellen, wie sie<br />

schon der legendäre IBM-Chef Thomas J. Watson prägte.<br />

Diese Werte beeinflussen, wie die Managerin neue Themen<br />

wahrnimmt, wie sie Innovation antizipiert, wie sie sich mit<br />

dem Team einsetzt, um erfolgreich am Markt zu sein und<br />

wie sie mit den Menschen in ihrem Team und der IBM um-<br />

geht. „Man ist Teil dessen, wie die Werte gelebt werden“,<br />

bekennt Koederitz: „Man kann sich dem nicht entziehen“.<br />

Die deutsche IBM-Chefin prägt auch eine Eigenschaft, die<br />

nur wenigen männlichen Manager innewohnt: der Mut, sich<br />

selbst infrage zu stellen. „Ich führe sehr gerne Coaching-<br />

Gespräche und lasse mir gerne mal den Spiegel vorhalten“,<br />

zeigt sie sich offen, um zu lernen. Wohl wissend, dass morgen<br />

nicht mehr richtig sein muss, was gestern erfolgreich<br />

war. Ein Beispiel dafür liefert der amerikanische Konzern<br />

selber. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wandelte sich IBM<br />

vom Hard- und Softhersteller zum Beratungs- und Dienstleistungsanbieter.<br />

Auf die Frage nach Höhen und Tiefen in ihrer Zeit bei<br />

IBM antwortet Koederitz: „Tiefen sind immer das, wenn<br />

man feststellt, dass man trotz viel Zeit, viel Arbeit und viel<br />

Energie die Kundenerwartungen nicht erfüllen kann.“ Bei<br />

der Antwort auf die Frage nach möglichen Entlassungen bei<br />

der deutschen IBM verweist sie auf die Flexibilität des Unternehmens,<br />

das mit der Entwicklung zum Dienstleistungsanbieter<br />

schon aufgezeigt hat, wohin die Entwicklung geht:<br />

in eine digital vernetzte, instrumentalisierte Welt. Kognitiv,<br />

heißt hierfür das Schlagwort bei IBM.<br />

Hoher Besuch: Auf der Cebit 2014 zeigte Martina Koederitz Kanzlerin<br />

Angela Merkel, wie IT- und Automotive-Branche zusammenarbeiten.<br />

„Wir werden aus der Hypervernetzung und dem Phänomen<br />

Big Data neue intelligente Lösungen und Ansätze entwickeln“,<br />

skizziert Koederitz die IBM-Perspektiven. „Aber es<br />

ist klar, in so einer dynamischen Welt ist man angreifbar,<br />

aber wir greifen auch an“, gibt sie sich kämpferisch. Und mit<br />

Blick auf die Mitbewerber lautet für die Betriebswirtin dabei<br />

die entscheidende Frage: „Sind wir attraktiv genug für unsere<br />

Kunden, und sind sie bereit, sich für unser Angebot zu entscheiden<br />

oder nicht?“<br />

Für die Zukunft hat die IT-Managerin, die sich in zahlreichen<br />

Verbänden engagiert, noch eine große Vision. Sie<br />

möchte noch einige bahnbrechende Projekte in Deutschland<br />

anstoßen. Dabei liegt ihr insbesondere am Herzen, das<br />

Know-how der amerikanischen Mutter im Bereich der Medizin<br />

und Life Sciences auf dem deutschen Markt voranzubringen.<br />

„Technologie kann heute für uns als Gesellschaft<br />

ganz relevant werden, um Krankheiten früher zu erkennen,<br />

das Alter lebenswerter zu machen und damit Lebensqualität<br />

und Wohlstand zu unterstützen“, sieht sie einen realen<br />

Nutzwert in der Technik von morgen. ~<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Wettlauf gegen die Zeit<br />

Hohe Verschuldung und eine gute Auftragslage führten den Automobilzulieferer<br />

Scherer & Trier in die Insolvenz. Ein Jahr blieb zur Rettung.<br />

Text: Peter Hanser<br />

Der Automobilzulieferer Scherer & Trier, heute unter Samvardhana Motherson<br />

Innovative Autosystems (SMIA) firmierend, steht für Kompetenz und Innovationsfähigkeit<br />

bei der Entwicklung und Herstellung hochwertiger Kunststoffteile.<br />

Doch hausgemachte Probleme führten in die Krise.<br />

Fotos: Imagefilm scherer-trier.de<br />

Die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009<br />

ging nicht spurlos an Scherer & Trier vorbei. Eine<br />

Phase, in der der Hersteller thermoplastischer Formteile für<br />

die Autoindustrie 350 Mitarbeiter entlassen musste. Doch<br />

gerade in dieser Phase, sprang der Markt wieder an und<br />

brachte im Jahr 2011 dem<br />

Michelauer Unternehmen<br />

extrem viele Aufträge.<br />

Eine Situation, die dem Zulieferer<br />

sämtlicher namhafter<br />

Autohersteller eigentlich Anlass<br />

zum Jubeln geben sollte.<br />

Doch stattdessen führte die<br />

hervorragende Auftragslage<br />

in die Krise. Denn vom Zeitpunkt der Auftragserteilung bis<br />

zu dem Zeitpunkt der Serienbelieferung vergehen je nach<br />

Bauteil und Komplexität bis zu drei Jahre, in denen neben<br />

der Konzept- und Konstruktionsphase auch die Fertigung<br />

von Prototypen und Vorserien stattfindet sowie die Produktionswerkzeuge<br />

und Montagelinien hergestellt werden. Und<br />

wenn die Serie erst mal am Laufen ist, heißt es noch lange<br />

nicht zurücklehnen. „Dieses Spiel zwischen Serienproduktion,<br />

die laufen muss, und zwischen Abspannen, Aufspannen<br />

der neuen Werkzeuge, Optimieren der neuen Werkzeuge,<br />

fordert die Mannschaft voll und treibt ihre Belastbarkeit an<br />

die Grenzen“, beschreibt Berater Wolfgang Feibig, der ehemalige<br />

für die Produktion verantwortliche Geschäftsführer,<br />

den aufwendigen Prozess.<br />

Gerade zu dieser Zeit, in der die Mannschaft in Michelau<br />

voll gefordert war, um die eigenen Aufträge zu bewältigen,<br />

gab es Probleme mit dem Werk in den USA. Dort reichten<br />

die Kapazitäten nicht für die Belieferung zweier Großkunden<br />

aus. Die Maschinen und Werkzeuge mussten von den<br />

Michelauer Mitarbeitern optimiert sowie die Fertigungsprozesse<br />

neu gestaltet werden, um möglichst viel Kapazität<br />

herauszuholen. Letztlich musste eine neue Maschine gebaut<br />

werden, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen.<br />

Doch damit nicht genug der Baustellen. Probleme verursachte<br />

noch eine neue Lackieranlage. Der akquirierte Produktmix<br />

führte dazu, dass die erhofften Stückzahlen nicht<br />

realisiert werden konnten, was alle Kalkulationen obsolet<br />

werden ließ. In dieser Phase unterstützte BMW seinen Zu-<br />

„Wir mussten es schaffen,<br />

im Ausnahmezustand<br />

Normalität zu leben.“<br />

Joachim Exner, Dr. Beck und Partner<br />

lieferer mit technischem Know-how, das Scherer & Trier<br />

technologisch und technisch wieder auf die Beine half.<br />

So hatten die Kunststofftechniker mehrere Baustellen, die<br />

viel Geld verschlangen, während man sich eigentlich in einer<br />

Phase befand, in der man Geld hätte verdienen können und<br />

müssen. All diese Baustellen<br />

führten zu einem erhöhten<br />

Kapitalbedarf. Nachdem<br />

die Gespräche über eine<br />

Anschlussfinanzierung bei<br />

dem bereits über Jahrzehnte<br />

hoch verschuldeten kapitalintensiven<br />

Unternehmen<br />

gescheitert waren, blieb<br />

dem oberfränkischen Unternehmen im März 2014 nichts<br />

anderes übrig, als einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht<br />

Coburg zu stellen.<br />

Zum Vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte das Amtsgericht<br />

den in der Automobilzuliefererbranche erfahrenen<br />

Rechtsanwalt Joachim Exner von der Kanzlei Dr. Beck und<br />

Partner. Nachdem sich Exner mit seinem Team einen Überblick<br />

über die Lage des<br />

Unternehmens verschafft<br />

hatte, war für ihn klar, dass<br />

ein Insolvenzplan faktisch<br />

nicht möglich war. „Die<br />

Situation zwischen den<br />

Shareholdern und den<br />

Verfahrensbeteiligten war<br />

nicht geeignet, den Erfolg<br />

eines Insolvenzplans<br />

Rechtsanwalt Joachim Exner von der<br />

Kanzlei Dr. Beck und Partner.<br />

zu prognostizieren“, umschreibt<br />

der Sanierungsexperte<br />

den vorgefundenen<br />

Status. Deshalb blieb als Alternative nur der Verkauf des Unternehmens.<br />

Damit begann für Insolvenzverwalter Exner ein Rennen gegen<br />

die Zeit, denn für den Verkauf des Unternehmens hatte<br />

man ihm ein Jahr Zeit gewährt und damit gegen den Verlust<br />

des Umsatzes der Zukunft. Denn die Herausforderung bestand<br />

darin, die Umsatzlinie auch in den Folgejahren zu halten.<br />

Die Sanierung eines Automobilzulieferers ist aufgrund<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Funktionalität und Design sind keine Widersprüche für den Automobilzulieferer. Die eigene Produktentwicklung ermöglicht die Umsetzung komplexer<br />

Kundenwünsche.<br />

Autos werden immer leichter durch neue Werkstoffe. Durch seine mit Kunststoff ummantelten Aluminium- und Edelstahldachzierleisten leistet SMIA<br />

einen Beitrag zur Gewichtsreduzierung.<br />

der langen Vorlaufzeiten vom Auftrag bis zur Industrialisierung<br />

immer problematisch, insbesondere, wenn wie im Fall<br />

von Scherer & Trier, das Unternehmen auf Business-Stop<br />

gesetzt wurde. Das bedeutet, dass trotz gefüllter Auftragsbücher<br />

am Ende der Lifetime-Periode eines Produkts ein großes<br />

Umsatzloch droht, wenn für eine gewisse Dauer keine<br />

ausreichenden neuen Aufträge hereingeholt werden können.<br />

Als erste Aufgabe galt es, eine Schwachstellenanalyse zu erstellen<br />

und die Schwachstellen sofort zu beseitigen. Aufgesetzt<br />

wurde ein Exzellenzprogramm mit einem Restrukturierungsumfang<br />

von bis zu 35 Millionen Euro über drei Jahre. Dazu<br />

gehörten eine Reduzierung der Aufwendungen durch eine<br />

Kostenkontrolle sowie eine Optimierung der Kostenstrukturen,<br />

der Abbau von Leiharbeitnehmern, die Rückholung von<br />

Fremdvergaben im Lackierbereich, Reduzierung der Materialkosten<br />

durch Verbesserung der Einkaufsprozesse, Steigerung<br />

der finanziellen Transparenz, Einsatz von Mitarbeitern<br />

für interne Optimierungsprojekte, weitere Verschlankungen<br />

der Produktionsprozesse und Neuproduktentwicklungen, um<br />

nur einige zu nennen. Die Optimierungsmaßnahmen wurden<br />

mit dem Quality-Award von Volvo belohnt, worauf Ex-Produktionschef<br />

Feibig besonders stolz zurückblickt, der heute<br />

wieder als Berater tätig ist.<br />

Vorbeugen ist<br />

besser als heilen<br />

XXIn Branchen, in denen die Erfüllung von Aufträgen<br />

eine hohe Vorfinanzierung erfordert, ist darauf zu<br />

achten, dass keine zu hohe Verschuldung entsteht.<br />

XXBei Neuaufträgen sind die Risiken im Hinblick auf<br />

die Auftragserfüllung abzuschätzen, damit keine<br />

Abhängigkeiten entstehen.<br />

XXIm Ernstfall: Schnell Vertrauen zu Lieferanten und<br />

Kunden in eine erfolgreiche Sanierung aufbauen, indem<br />

zügig ein Lösungsmodell entwickelt und an alle<br />

beteiligten Gruppen kommuniziert wird.<br />

XXDen Mitarbeitern Vertrauen in die Zukunft geben,<br />

damit sie die notwendigen Veränderungen mittragen.<br />

XXSchnelle und termingerechte Umsetzung der im<br />

Lösungsmodell entwickelten Sanierungsmaßnahmen.<br />

XXEine Insolvenz ist nur schwer planbar, man muss immer<br />

auf Überraschungen gefasst sein. Deshalb gilt es,<br />

Probleme frühzeitig zu erkennen und vorausschauend<br />

zu handeln.<br />

Die Sanierungsmaßnahmen konnten ohne finanzielle Hilfe<br />

von Dritten abgewickelt werden. „Wir waren immer mit<br />

dem Ebitda positiv und der Ebitda ist gleichbedeutend mit<br />

dem insolvenzspezifischen Ergebnis“, betont Exner. In dieser<br />

Phase stimmten sogar alle beteiligten Gläubigergruppen<br />

einer Lohnerhöhung für die Mitarbeiter zu. Und weil das<br />

Verfahren so hervorragend lief, finanzierte ein Kunde sogar<br />

Millionen für die Anschaffung von Maschinen und Anlagentechnik<br />

bei Scherer & Trier, um seine eigenen Kapazitäten<br />

hochfahren zu können.<br />

Bei allen Beteiligten<br />

Vertrauen schaffen<br />

Die sofortige Beseitigung der Schwachstellen aus eigenen<br />

Finanzmitteln stellte für Exner ein wichtiges Element im<br />

Sanierungsprozess dar. „Dann kann das Unternehmen auch<br />

investieren“, begründet der Rechtsanwalt diesen Schritt,<br />

„weil die Banken das erwarten“. Der Gläubigerausschuss<br />

genehmigte alle Investitionen, die beantragt wurden und<br />

sinnvoll waren. Das hat natürlich einen nicht ganz uneigennützigen<br />

Grund, denn bei einem Unternehmen, bei dem der<br />

Restrukturierungsaufwand bereits abgearbeitet ist, lässt sich<br />

ein höherer Kaufpreis erzielen. „Und der war am Ende des<br />

Tages für das Unternehmen nicht unerheblich“, verrät Exner<br />

mit einem erfreuten Schmunzeln.<br />

Eine weitere entscheidende Voraussetzung für eine erfolgversprechende<br />

Sanierung bestand darin, Mitarbeiter, Lieferanten<br />

und Kunden bei der Stange zu halten. Denn wenn<br />

es nicht gelingt, die 500.000 Teile täglich und korrekt herauszubringen,<br />

steht bei Kunden irgendwo die Automobilproduktion<br />

still. „Durch Falsch- oder Nichtlieferungen können<br />

Schadensersatzansprüche entstehen, die jegliche Insolvenzquote<br />

atomisieren“, weiß Exner. Deshalb galt es erst einmal,<br />

die verunsicherte Belegschaft zu beruhigen und Vertrauen<br />

in eine erfolgreiche Sanierung aufzubauen. „Wir mussten es<br />

schaffen, im Ausnahmezustand Normalität zu leben“, beschreibt<br />

der Insolvenzverwalter sein Rezept. „Wenn schon im<br />

eigenen Betrieb nicht mehr der Glaube an das Unternehmen<br />

vorhanden ist, kann man das Unternehmen nicht fortführen<br />

oder verkaufen.“ Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen<br />

gehörte in der Startphase die Einführung neuer Managementstrukturen.<br />

So übernahm mit Rolf Graf ein erfahrener<br />

Automobilzulieferer- und Restrukturierungsmanager den<br />

Vorsitz der Geschäftsführung. Die Bereichsleiter wurden<br />

zu Geschäftsleitern aufgewertet und zudem intensiv in den<br />

M&A-Prozess eingebunden. Existenzielle Bedeutung hatten<br />

die Gespräche mit den Lieferanten. „Um das Vertrauen in<br />

die Zulieferer reinzubringen, ging es dabei nicht um Wochen,<br />

sondern das musste schon in einem Gespräch sitzen“, betont<br />

Feibig, unter welchem Druck der Zulieferer stand.<br />

Für die Aufrechterhaltung der Umsatzlinie galt es vor allem,<br />

die Autohersteller – die die Michelauer auf „on hold“ gesetzt<br />

hatten – davon zu überzeugen, dem Unternehmen weiterhin<br />

zu vertrauen und ihm neue Aufträge zu erteilen. Den<br />

Oberfranken gelang es, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.<br />

Sie zeigten die Zeithorizonte für die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen<br />

auf, hielten die Planungen ein,<br />

setzten einen professionellen Investoren-Prozess auf und<br />

erzielten Einsparungen aus den Optimierungsmaßnahmen<br />

für die OEM. Als die Hersteller sahen, dass Technik und<br />

Investitionen weiterlaufen, kamen nach neun Monaten die<br />

ersten Neuaufträge herein. Und sie waren sogar bereit, die<br />

Werkzeuge für die neuen Aufträge vorzufinanzieren, damit<br />

die Produktion hochgefahren werden konnte.<br />

Das Aufrechterhalten der Umsatzlinie spielte für den Investorenprozess<br />

eine bedeutende Rolle, denn schließlich sind<br />

sich die Investoren dieses Risikos durchaus bewusst. Bricht<br />

nach drei bis vier Jahren die Umsatzlinie ab, sind teure Entlassungen<br />

erforderlich. Zudem gab es für den Verkauf einige<br />

erschwerende Faktoren:<br />

XXEin bereits gescheiterter vorinsolvenzlicher Verkauf.<br />

XXKein international ausgeprägter Footprint, außer einem<br />

Betrieb mit 100 Mitarbeitern in Mexiko. Die verlustreiche<br />

US-Tochter konnte zwischenzeitlich an ein kanadisches<br />

Zulieferunternehmen verkauft werden.<br />

XXKonzentration der Produktionsstätte auf das Hochlohnland<br />

Deutschland.<br />

Bereits 14 Tage nach Stellung des Insolvenzantrags wurde<br />

der M&A-Prozess aufgesetzt. Nach einem schwungvollen<br />

Beginn des Investorenprozesses blieben zum Schluss zwei<br />

ernsthafte Investoren übrig. Die Entscheidung fiel letztlich<br />

auf den international agierenden Automotive-Konzern Samvardhana<br />

Motherson Group, der mit 75.000 Mitarbeitern<br />

und Standorten in 25 Ländern zu den 50 größten Automobilzulieferern<br />

weltweit zählt. Die Insolvenz konnte abgeschlossen<br />

werden, ohne die Entlassung eines Mitarbeiters.<br />

Die Zukunft im indischen Motherson-Konzern sieht für<br />

Scherer & Trier, das heute unter Samvardhana Motherson<br />

Innovative Autosystems – kurz SMIA – firmiert, erfreulich<br />

aus. Die Nachfrage nach Produkten aus Michelau ist seit der<br />

Übernahme stark angestiegen und der neue Geschäftsführer<br />

Andreas Heuser macht sich Gedanken über eine Expansion.<br />

„Aktuell investieren wir in neue Maschinen, Optimierung<br />

von Prozessen und innovative Technologien wie Hochleistungsoberflächen<br />

für Kunststoffteile und integrierte LED-<br />

Beleuchtung“, berichtet Heuser. Und er hat klare Vorstellungen<br />

von der langfristigen Strategie des Unternehmens:<br />

„Wachstum durch Ausrichtung der Unternehmensstrategie<br />

an den Strategien der Kunden, Nutzen von gruppeninternen<br />

Synergieeffekten und dem Vertrauen in die Mitarbeiter.“ ~<br />

XX<br />

Lesen Sie zur Zukunft von SMIA das Interview mit Geschäftsführer<br />

Andreas Heuser auf www.<strong>return</strong>-online.de.<br />

Vom Kleinbetrieb zur<br />

internationalen Firmengruppe<br />

Andreas Scherer, Georg Scherer und Lothar Trier<br />

gründeten 1967 das Unternehmen im oberfränkischen<br />

Michelau. Die extrudierten Kunststoffprofile wurden<br />

hauptsächlich für die heimische Korb- und Kleinmöbelindustrie<br />

hergestellt. 1993 ging das Unternehmen in den<br />

Besitz der Familie Trier über.<br />

Scherer & Trier entwickelt sich zu einem Anbieter von<br />

Komplettlösungen für komplexe und designorientierte<br />

Kunststoff- und Hybridbauteile mit Tochterunternehmen<br />

in Mexiko, Skandinavien und den USA. Hauptabnehmer<br />

ist die internationale Automobilindustrie.<br />

Im März 2014 musste das Unternehmen, das rund 250<br />

Millionen Umsatz machte, Insolvenzantrag stellen. Im<br />

Februar 2015 wurde der Automobilzulieferer von der indischen<br />

Samvardhana Motherson Gruppe gekauft (Umsatz<br />

2014/2015: 6,9 Milliarden US-Dollar) und firmiert<br />

nun unter Samvardhana Motherson Innovative Autosystems<br />

(SMIA). Alle rund 2.000 Arbeitsplätze konnten<br />

erhalten werden. Der Standort Michelau soll zum<br />

Entwicklungszentrum für andere Geschäftsbereiche der<br />

Gruppe ausgebaut werden.<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MUSTERTEXT<br />

Vorm Untergang bewahrt<br />

Bosnien: Arbeiter und Konkursverwalter kämpfen um Dita<br />

Text: Thomas Roser, Belgrad<br />

Geschäftig kurvt ein einsamer Gabelstapler auf der Laderampe.<br />

Etwas verloren wirken die Rufe der wenigen<br />

Arbeiter in den weitläufigen Hallen des Wasch- und Spülmittelherstellers<br />

Dita im<br />

bosnischen Tuzla. Zu jugoslawischen<br />

Zeiten sei Dita<br />

mit fast 800 Mitarbeitern<br />

und einer Produktionskapazität<br />

von über 50.000<br />

Tonnen im Jahr noch „ein<br />

Gigant“ gewesen, berichtet<br />

Logistikchef Dzevad Mehmedovic.<br />

Doch obwohl die<br />

Belegschaft auf ein Zehntel<br />

geschrumpft ist, und<br />

die Maschinen und Hallen<br />

eher notdürftig ausgebessert<br />

scheinen, spricht der<br />

Gewerkschafter von einem<br />

„Erfolg“: „Wir Arbeiter haben<br />

Dita bewahrt. Wenn es so gelaufen wäre, wie es vorgesehen<br />

war, wäre unsere Fabrik längst abgerissen.“<br />

Rückkehr in Regale: Dita-Produkte wie das Waschmittel „Tenzo“ erobern<br />

trotz Insolvenz des Herstellers wieder erste Handelsfilialen in Bosnien.<br />

Unzählige Industrie-Riesen<br />

ins Aus befördert<br />

Die Folgen des Bosnienkriegs und kriminelle Privatisierungen<br />

haben in dem gebeutelten Vielvölkerstaat unzählige<br />

Industrie-Riesen ins Aus befördert. Raffgierige Neubesitzer,<br />

veruntreute Sozialbeträge, nicht ausbezahlte Löhne und mit<br />

Hilfe korrupter Banker und Politiker gezielt überschuldete<br />

Unternehmen: Auch Dita häufte bis 2012 Schulden in Höhe<br />

von über 15 Millionen Euro auf. Bevor der Gerichtsvollzieher<br />

die ersten Maschinen des zahlungsunfähigen Unternehmens<br />

verpfänden konnte, besetzen damals die Beschäftigten<br />

ihre Fabrik. „Wir schützten das Werk gegen Plünderer und<br />

seine drohende Demontage“, erzählt Verkaufsleiter Nedzad<br />

Gavranovic.<br />

Das Schicksal von Dita sei in Bosnien „leider kein Einzelfall“,<br />

sagt der 64-jährige Konkursverwalter Hajrudin Kunalic.<br />

Mit gezielter Überschuldung seien oft völlig gesunde<br />

Firmen von ihren Besitzern „mit Absicht in den Bankrott“<br />

geführt worden: „Die Eigentümer zogen so Mittel aus den<br />

Firmen, um sie in die eigenen Taschen abzuzweigen.“ Doch<br />

Dita habe bessere Perspektiven als andere bankrotte Firmen,<br />

die weitgehend ausgebeint seien: „Für demontierte Betriebe<br />

kommt das Konkursverfahren meist zu spät. Doch die Dita-<br />

Arbeiter haben bewiesen, dass es für ihre Firma einen Markt<br />

gibt.“ Bis zur Wiederaufnahme<br />

der Produktion<br />

war es für die Belegschaft<br />

ein langer und harter Weg.<br />

Zwar lehnt sich das bosnische<br />

Konkursrecht laut<br />

Kunalic an das deutsche<br />

an, doch seien Beschäftigte<br />

„viel schlechter geschützt“.<br />

Vier Jahre erhielten sie<br />

weder Lohn noch wurden<br />

für sie Sozialabgaben abgeführt:<br />

Ihre Forderungen<br />

machen rund ein Zehntel<br />

der Verbindlichkeiten von<br />

Dita aus.<br />

Im Februar 2014 stand der<br />

Protest der Dita-Arbeiter an der Wiege von heftigen, aber<br />

kurzen Unruhen. Die Protestwelle ebbte rasch wieder ab.<br />

Die Dita-Beschäftigen stritten jedoch weiter unbeirrt für<br />

den Erhalt ihrer Fabrik. Mit der Kantonsverwaltung und<br />

dem Konkursverwalter konnte sich die Belegschaft schließlich<br />

im Frühjahr 2015 auf die Eröffnung des Konkursverfahrens<br />

und den Versuch eines Neustarts in Eigenverwaltung<br />

einigen. „Der Erlös für eine Fabrik, die läuft, ist immer höher<br />

als der für eine, die stillliegt“, erläutert Kunalic die Entscheidung<br />

zur Wiederaufnahme der Produktion. Auch die Erfahrung<br />

und Kenntnisse der Mitarbeiter sollten helfen, einen<br />

strategischen Partner für Dita ausfindig zu machen: „Unser<br />

Ziel war und ist es, einen Käufer aus der Branche zu finden,<br />

der die Produktion fortsetzt und genügend Kapital hat, um<br />

in die Fabrik zu investieren.“<br />

Auf der Startseite („pocetna“) des eigenen Internetauftritts dita.ba wird das Unternehmen und seine Produkte beworben. Doch hinter der durchaus<br />

professionell anmutenden Marketing-Kommunikation steht ein Sanierungsfall auf Käufersuche.<br />

Die große Frage sei vor einem Jahr gewesen, wie Dita ohne<br />

Eigenmittel die Produktion wieder ans Laufen bringen<br />

könne, erzählt Gavranovic: „Wir riefen die Bürger und die<br />

Wirtschaft dazu auf, uns zu helfen“. Nicht nur weil Dita zu<br />

Zeiten des Bosnienkriegs (1992-95) die Bevölkerung mit<br />

Gratis-Waschmitteln versorgt hatte, stieß der Appell auf ein<br />

enormes Echo. Es waren auch die allen Bosniern nur allzu<br />

gut vertrauten Ursachen des Kampfs der Dita-Arbeiter<br />

um ihre Jobs, die der Firma eine Welle der Solidarität bescherten.<br />

Zulieferer stundeten die Gelder zum Erwerb von<br />

Rohstoffen auch ohne Vorkasse. Angesichts des „großen<br />

Kampfs“ der Arbeiter für den Erhalt ihrer Firma habe er sich<br />

entschlossen, Dita auch ohne Zahlgarantien mit Rohstoffen<br />

zu beliefern, berichtet Muhidin Muratovic, Direktor des Zulieferers<br />

„forEks“ in Tuzla. Bislang habe seine Firma Rohstoffe<br />

im Wert von einer Million Euro an das Werk geliefert,<br />

von denen mittlerweile rund die Hälfte beglichen worden<br />

seien: „Dita ist der Beweis, dass man auf dem heimischen<br />

Markt mit kleinen Mitteln und selbst veralteter Technik viel<br />

erreichen kann.“ Auch die bosnische Handelskette „Bingo“<br />

unterstützt die Rückkehr in die Kaufregale. Außer bei der<br />

Vorfinanzierung der Produktion unterstütze ihr Unternehmen<br />

Dita mit der prominenten Platzierung der Produkte,<br />

berichtet Tatjana Paunoski, die Chefin der Bingo-Marketingabteilung.<br />

Das Waschmittel „Tenzo“ und das Spülmittel<br />

„3de“ seien das bestverkaufte in der Filial-Kette.<br />

Vertrauensvorschuss<br />

durch Konsumenten<br />

Andere Firmen halfen mit Sachleistungen bei der Überholung<br />

des Maschinenparks und leck geregneter Hallendächer.<br />

Doch letztendlich waren es die Konsumenten, die<br />

dem revitalisierten Dita-Werk den entscheidenden Vertrauensvorschuss<br />

gaben – und die Produkte kauften. Habe Dita<br />

zunächst vom Sympathie-Vorschuss der Kunden profitiert,<br />

habe es seine Marktposition inzwischen dank „der hohen<br />

Qualität bei niedrigen Preisen“ gefestigt, so Gavranovic:<br />

„Die Leute kaufen nun unsere Produkte, weil sie deren Qualität<br />

überzeugt hat.“ Die Erfolgsbilanz von Dita kann sich<br />

sehen lassen. In den ersten elf Monaten wurden Produkte in<br />

Wert von 1,8 Millionen Euro verkauft, der Wert der Lagerbestände<br />

wird von Gavranovic auf eine weitere Million Euro<br />

beziffert: „Gleichzeitig erfüllen wir alle Verpflichtungen<br />

gegenüber dem Staat, Zulieferern und den Beschäftigten.“<br />

Das derzeit 75 Mitarbeiter zählende Unternehmen arbeite<br />

zwar „ohne Verlust“ und bestreite laufende Reparaturkosten<br />

aus eigener Tasche, so Konkursverwalter Kunalic. Doch<br />

ohne Eigenmittel und der Möglichkeit, Kredite aufzunehmen,<br />

lasse sich die Fabrik kaum modernisieren. Dita habe<br />

inzwischen schon nach Kosovo, Serbien und Albanien geliefert,<br />

so Gavranovic. Doch aus Kontakten in Österreich,<br />

Deutschland und dem Nahen Osten seien leider noch keine<br />

Geschäftsabschlüsse gefolgt. Der bosnische Markt sei zu<br />

klein: „Für Großaufträge aus dem Ausland fehlt uns aber die<br />

Kontinuität in der Produktion – und das Kapital, um diese<br />

vorzufinanzieren.“<br />

Wiederauferstehung<br />

stört Wettbewerb<br />

Die Konkurrenz habe nicht unbedingt positiv auf die Wiederauferstehung<br />

von Dita reagiert: „Manche stört es, dass wir<br />

wieder da sind. Immer wenn wir ein neues Produkt ankündigen,<br />

senken sie ihre Preise und verteilen Gratisproben. Bis<br />

wir dann auf den Markt kommen, ist die Nachfrage meist<br />

gesättigt.“ Trotzdem bezeichnet der Verkaufsleiter das Beispiel<br />

Dita als „Hoffnungsfunken für das ganze Land“: „Wir<br />

sind ein Vorbild für alle in ähnlicher Situation. Wir wollten<br />

beweisen, dass unser Werk lebensfähig ist – und das ist uns<br />

gelungen.“<br />

Die Hoffnung der Dita-Mitarbeiter auf einen Partner hat<br />

sich bisher allerdings nicht erfüllt. Ein erster Verkaufstermin<br />

im Juni verstrich ergebnislos. Einige internationale Unternehmen<br />

aus der Branche hätten zwar die Unterlagen angefordert<br />

und die Fabrik angeschaut, aber kein Gebot für das<br />

zunächst für 8,5 Millionen Euro angebotene Werk abgegeben,<br />

berichtet Kunalic. Ein neuer Tender sei ausgeschrieben,<br />

der Preis werde vermutlich etwas gesenkt.<br />

Es wäre für Dita schwer, längerfristig mit dem derzeitigen<br />

Geschäftsmodell zu operieren, räumt der Konkursverwalter<br />

offen ein. Zwar sei es „nicht leicht“, einen Käufer zu finden.<br />

Doch das Unternehmen verfüge über eine intakte Fabrik,<br />

ausreichend Flächen- und Produktionskapazitäten und über<br />

einen eigenen Bahnanschluss, schlägt er die Werbetrommel:<br />

„Dita könnte für einen Käufer, der die Produktion fortsetzt,<br />

sehr schöne Zukunftsperspektiven bieten.“ ~<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Tüftelnde Gründer mit<br />

Durchhaltevermögen<br />

Entrepreneure revolutionieren mit einigen Erfindungen ganze Branchen inklusive<br />

neuen Geschäftsmodellen. Mister Spex, Magazino oder Ergobag eint der lange Atem.<br />

Text: Vera Hermes<br />

Gemeinsam läuft‘s besser: In erfolgreichen Gründerteams arbeiten meist Menschen<br />

mit ganz verschiedenen Talenten zusammen. Es leuchtet ein, dass zum Beispiel eine<br />

Mischung aus Software-Experte, Ingenieur und Betriebswirt ein Unternehmen weiter<br />

bringt als drei Software-Experten, drei Ingenieure oder drei Betriebswirte.<br />

Foto: Magazino<br />

Wenn Vertriebswege, Produkte oder Services hochgradig<br />

innovativ sind, haben es junge Gründer und<br />

Erfinder oft besonders schwer, Geldgeber und Unterstützer<br />

zu finden. Zweifel und Skepsis schlagen ihnen entgegen.<br />

Oft werden staatliche Fördergelder erst nach mehrfachen<br />

Anläufen gewährt, Wettbewerbe<br />

gewinnen andere, Investoren geben<br />

sich zugeknöpft.<br />

Sind endlich Kapitalgeber gefunden,<br />

beginnt meist das nervenaufreibende<br />

Prozedere, alle sechs Monate<br />

handfeste Erfolge vorweisen<br />

zu müssen. Die Gründer von Startups<br />

wie Magazino, Mister Spex und<br />

Ergobag waren mitunter gefühlt<br />

nur Tage von der Pleite entfernt.<br />

Wie brillant eine Idee oder Erfindung<br />

auch immer sein mag: Diese<br />

Drei beweisen, dass Brillanz allein<br />

nicht ausreicht, um eine Idee in ein<br />

funktionierendes Geschäftsmodell<br />

zu verwandeln. Sie waren mutig,<br />

überzeugt, leidenschaftlich, begeisterungsfähig,<br />

begeisternd. Sie haben<br />

durchgehalten und sich von Fehlschlägen nicht beirren lassen.<br />

Einige von ihnen hätten sehr viel besser schlafen, weniger<br />

arbeiten und mehr Geld verdienen können, wenn sie<br />

als Angestellte in ihren alten Jobs geblieben wären. Was sie<br />

antreibt? Ihre Vision, ihr Elan und der Spaß. Als Erfolgsfaktor<br />

sehen sie das Arbeiten im Gründungsteam. Erstens ist es<br />

klug, verschiedene Talente zu vereinen, zweitens lassen sich<br />

Durststrecken zusammen besser überbrücken.<br />

Ein gutes Beispiel dafür ist Magazino. Die Ursprungsidee,<br />

einen innovativen Kommissionier-Roboter zu bauen, hatte<br />

Frederik Brantner im Jahr 2011. Ursprünglich schwebte<br />

ihm ein Roboter vor, der Schränke selbsttätig aufräumt. Nach<br />

kurzer Recherche war klar, dass derlei Technik für das Endkundengeschäft<br />

zu teuer sein würde. Für Apotheken indes,<br />

die schon mit einfachen Kommissionier-Automaten arbeiten,<br />

könnte ein intelligenter Roboter mit Greifarmen und<br />

Kamera wertvoll sein. Brantner, ausgestattet mit Doppelstudienabschlüssen<br />

in Management und seinerzeit Assistent<br />

der Geschäftsführung in einer Großbäckerei, organisierte<br />

ein Creative-Thinking-Wochenende mit Freunden. Einer<br />

brachte den Maschinenbauingenieur Lukas Zanger mit, der<br />

für Brantners Idee entflammte. Dritter<br />

im Bunde wurde der Informatiker<br />

Nikolas Engelhard.<br />

Gemeinsam starteten sie Magazino,<br />

um einen intelligenten Automaten<br />

zu entwickeln. Der sollte in der Lage<br />

sein, Teile stückgenau zu greifen und<br />

wieder abzulegen. Dieses stückgenaue<br />

Handling ist technisch schwierig,<br />

denn es setzt quasi eine menschliche<br />

Hand-Auge-Koordination voraus.<br />

Die Drei mieteten sich in einem<br />

16-Quadratmeter-Coworking-Raum<br />

ein und begannen zu schrauben.<br />

Foto: Magazino<br />

Wertvolle Erfindung: Der Roboter Toru ist in der Lage,<br />

Teile einzeln zu greifen und abzulegen.<br />

Später nutzten sie den „Makerspace“<br />

der TU München, eine Hightech-<br />

Werkstatt mit Maschinen, Werkzeugen<br />

und Software. Ihr Ziel haben sie<br />

erreicht. Florin Wahl, den Magazino<br />

jetzt als PR-Mann beschäftigt, betont: „Drei Frederiks, drei<br />

Lukasse oder drei Nikolasse hätten das nicht gekonnt.“ Es<br />

bedurfte der klugen Mischung aus Management-Expertise,<br />

Maschinenbau-Wissen und Software-Kompetenz.<br />

Nach einigen gescheiterten Versuchen, an Geld zu kommen,<br />

ergatterte das Team im Jahr 2014 ein Gründerstipendium<br />

und gründete die Magazino GmbH; zudem steuerten zwei<br />

Business Angels sowie der High-Tech-Gründerfonds weiteres<br />

Geld bei. Der Gründerfonds gab den jungen Entrepreneuren<br />

vor, sich auf den Apothekenmarkt zu konzentrieren.<br />

Das erwies sich als Flop, denn der Markt ist fragmentiert und<br />

somit letztlich unattraktiv.<br />

Auf einem Gründertreffen im Jahr 2015 mischte sich Brantner<br />

an der Grillwurstbude in ein Gespräch über Bilderkennung<br />

ein. Die Menschen, die er belehrte, waren von Siemens<br />

Novel Business. Es folgte eine Einladung, 13 Verhandlungs-<br />

26<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Finanziell sorgenlos seit dem Siemens-Einstieg sind die Magazino-<br />

Gründer Nikolas Engelhard, Lukas Zanger und Frederik Brantner (v.l.).<br />

runden später übernahm Siemens die Anteile von High-<br />

Tech-Gründerfonds und Business Angels und legte noch<br />

finanziell drauf. Heute gehören dem Konzern 49,9 Prozent<br />

von Magazino, die drei Gründer halten 50,1 Prozent. „Das ist<br />

schon was Anderes, als wenn man alle sechs Monate überlegt,<br />

wie man über die Runden kommen soll“, kommentiert Wahl.<br />

Magazino zählt mittlerweile über 50 Mitarbeiter, darunter<br />

mehrheitlich Softwareentwickler, Maschinenbauer und<br />

Elektrotechniker. Im Oktober hatte der Roboter „Toru“ seinen<br />

ersten Testeinsatz bei einem Pilotkunden.<br />

Romantische Vorstellung von<br />

Unternehmensgründungen<br />

Einen genialen Tüftler durchfährt ein Geistesblitz, er entwickelt<br />

einen Prototyp und macht dank seiner bahnbrechenden<br />

Erfindung ein Riesengeschäft – das ist die romantische<br />

Vorstellung einer Unternehmensgründung. Und es ist die<br />

Variante, die in der Regel nicht funktioniert. Konrad Zuse<br />

etwa hat zwar den Computer erfunden, aber kein Geschäft<br />

damit gemacht. Gleiches gilt für die allesamt deutschen Erfinder<br />

von Fax, Scanner, Hybrid-Auto und MP3-Player –<br />

super Techniken, mit denen andere viel Geld verdienten.<br />

Magazino GmbH<br />

Magazino entwickelt und baut wahrnehmungsgesteuerte<br />

mobile Roboter für die Intralogistik. Mit Magazinos<br />

Technologie können über 2D- und 3D-Kameras einzelne<br />

Objekte im Regal identifiziert und lokalisiert, sicher gegriffen<br />

und schließlich präzise an ihrem Bestimmungsort<br />

wieder abgelegt werden.<br />

Mitarbeiter: > 50<br />

Umsatz 2015: sechsstellig<br />

Erste Idee: 2011<br />

Gründung: 2014<br />

Gründer: Frederik Brantner, Lukas Zanger und<br />

Nikolas Engelhard (50,1 Prozent)<br />

Mitinhaber: Siemens Innovative Ventures<br />

(49,9 Prozent)<br />

Foto: Siemens AG<br />

Auf der Suche nach einer profitablen Nische im E-Commerce setzte das<br />

Gründerteam von Mister Spex auf den Onlinehandel mit Brillen.<br />

Andersherum gibt es Gründer wie bei Mister Spex, entstanden<br />

im Jahr 2007. Damals kam gerade das erste iPhone auf<br />

den Markt, Zalando gab es noch nicht, die Business-Angel-<br />

Szene war klein und „E-Commerce war noch ein Synonym<br />

für Ebay-Powerseller, die im Jogginganzug ihre Pakete zur<br />

Post schleppen“, lacht Björn Sykora, Mitgründer des ersten<br />

Online-Brillenhändlers in Deutschland.<br />

Gemeinsam mit Dirk Graber war er davon überzeugt, dass<br />

das Internet den Handel grundlegend verändern würde. „Die<br />

Frage war: Wo glauben wir mit unserem BWL-Studium<br />

besser zu sein als andere? Wir haben strategisch geguckt,<br />

welche Branchen sich eignen“, erzählt Sykora. Einen Bezug<br />

zur Augenoptik hatten beide nicht, wenn man mal davon<br />

absieht, dass Grabers Schwiegermutter Augenärztin ist.<br />

Der Markt erschien ihnen attraktiv für den Einstieg in den<br />

E-Commerce: Der Branchenumsatz mit Augenoptik liegt<br />

nach aktuellem Stand bei gut 5,8 Milliarden Euro. Allerdings<br />

war der Brillenkauf via Internet vor gut zehn Jahren schwer<br />

vorstellbar: Der Besuch beim Optiker rangierte damals „kurz<br />

hinter dem Termin beim Kieferchirurgen“, frotzelt Sykora,<br />

vom Lustkauf war der Brillenerwerb weit entfernt. Zudem<br />

ist das Produkt beratungsintensiv. Entsprechende Ungläubigkeit<br />

schlug Graber und Sykora entgegen. Venture Capi-<br />

Mister Spex GmbH<br />

Mister Spex ist europäischer Marktführer im Online-<br />

Handel mit Markenbrillen und -sonnenbrillen. Seit 2011<br />

kooperiert das Unternehmen mit europaweit mittlerweile<br />

rund 600 lokalen Optikern, seit Februar <strong>2016</strong> betreibt es<br />

einen eigenen stationären Laden in Berlin.<br />

Mitarbeiter: > 400<br />

Umsatz 2014: 65 Millionen Euro (seit 2015 wird<br />

nicht mehr gemeldet)<br />

Erste Idee: 2007<br />

Gründung: 2007<br />

Gründer: Dirk Graber, Björn Sykora,<br />

Philipp Frenkel, Thilo Hardt<br />

Mitinhaber: Scottish Equity Partners, Goldman<br />

Sachs, Grazia Equity, XAnge,<br />

DN Capital, High-Tech Gründerfonds<br />

Für Kinder gab es lange Zeit nur mehr oder weniger rückenfeindliche<br />

Tornister. Ergobag hat dies ein für allemal geändert.<br />

talists winkten müde ab. Drei Business Angels konnte das<br />

Team schließlich von ihrem Geschäftsmodell überzeugen.<br />

Sykora und Graber holten sich die zwei IT-Profis Philipp<br />

Frenkel und Thilo Hardt ins Gründungsteam. Im April<br />

2008 war Mister Spex erstmals online.<br />

Ein gutes halbes Jahr später ging Lehman Brothers pleite<br />

und die Wirtschaft brach ein. „Viel Luft hatten wir im Dezember<br />

2008 nicht mehr, dann kam doch noch eine Zusage<br />

von einem Venture Capitalist – sonst hätten wir zumachen<br />

müssen“, berichtet Sykora.<br />

Der überzeugte Teamplayer rät allen Gründern, an die eigene<br />

Vision zu glauben und zugleich flexibel zu bleiben: „Den<br />

Kunden haben wir immer sehr ernst genommen, denn der<br />

entscheidet. Du kannst in der Theorie noch so oft definieren,<br />

was der Kunde will, oft entscheidet er anders als erwartet<br />

und darauf musst du reagieren und das Geschäftsmodell<br />

anpassen.“ Wichtig sei zudem eine „pragmatische Entscheidungsfreude,<br />

denn es muss ja vorangehen“, das wiederum<br />

setze eine gute Fehlerkultur voraus, denn es sei „blöd, wenn<br />

sich keiner traut, Entscheidungen zu treffen.“ Die Entscheidung,<br />

in den Online-Brillenhandel einzusteigen, war auf jeden<br />

Fall richtig: Mister Spex hat Brillenkäufern einen neuen<br />

Vertriebsweg eröffnet und die Optikerbranche für immer<br />

F. O. BAGS GmbH<br />

Die F.O. Bags GmbH ist aus der Ergobag GmbH hervorgegangen<br />

und bietet unter den Marken Affenzahn, Satch,<br />

Aevor, Pinqponq und AEP ergonomische Taschen, die<br />

bei über 4.000 ausgesuchten Fachhändlern in mehr als 20<br />

Ländern zu haben sind. Unlängst übernahm das Unternehmen<br />

zudem die Traditionsmarke Offermann.<br />

Mitarbeiter: > 150<br />

Umsatz 2015/16: vor.: > 45 Millionen Euro<br />

Erste Idee: 2008<br />

Gründung: 2010<br />

Gründer und Inhaber: Juliaan Cazin, Florian<br />

Michajlezko, Sven-Oliver Pink<br />

und Oliver Steinki (100 Prozent)<br />

(Ausgeschieden: Melanie Gabriel)<br />

Foto: Fonds of bags<br />

verändert. Die Gründer mussten allerdings auf dem Weg<br />

zum Erfolg den Löwenanteil ihres Unternehmens an Investoren<br />

abgeben.<br />

Insbesondere Geschäftsmodelle, bei denen Produkte vorfinanziert<br />

werden müssen, erfordern viel Kapital. So ist es auch<br />

den Gründern von Ergobag ergangen. Deren Geschäftsidee<br />

war so simpel wie einleuchtend: die Entwicklung und der<br />

Vertrieb von ergonomischen Schultaschen. Die gab es bis<br />

zum Start von Ergobag im Jahr 2010 nicht. Während Bergsteiger<br />

schon längst gesundes Gepäck auf ihrem Rücken trugen,<br />

ächzten Kinder noch unter herkömmlichen Tornistern.<br />

Auch in diesem Gründerteam war der Wille zur Unternehmensgründung<br />

zuerst da: „Wir haben vorher immer wieder<br />

darüber gesprochen, uns gemeinsam selbstständig zu<br />

machen, wir waren auf Sendung“, sagt Mitgründer Sven-<br />

Oliver Pink. Die Idee zu den ergonomischen Schultaschen<br />

entstand auf einer Party; einen Bezug zum Produkt gab es<br />

nicht: „Wir hatten keine Kinder und waren auch nicht unbedingt<br />

die besten Schüler“. Die mittlerweile zwecks Familiengründung<br />

ausgestiegene Miterfinderin Melanie Gabriel<br />

absolvierte damals ihren Master of Science in Physiotherapie<br />

und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an<br />

der Universitätsklinik in Marburg. Sie entwickelte das Produkt.<br />

Der Wirtschaftswissenschaftler Florian Michajlezko<br />

und Diplom-Kaufmann Sven-Oliver Pink kümmerten sich<br />

um den Business-Plan.<br />

Hilfe holen – ein Merkmal<br />

erfolgreicher Gründer<br />

Sie holten sich, auch ein Merkmal erfolgreicher Gründer,<br />

Hilfe von allen Seiten. Denn sie hatten weder Ahnung von<br />

Handel noch von Fertigung. Die Entrepreneure besuchten<br />

also zig Veranstaltungen, beschafften Unterstützung von<br />

staatlichen Förderprogrammen und Uni-Initiativen, erhielten<br />

ein Gründerstipendium und lernten immer mehr Hilfreiche<br />

kennen, darunter einen Designer von Jack Wolfskin, eine<br />

Einkaufsgenossenschaft, einen Finanzprofi der BASF AG<br />

und deren Aufsichtsratschef Dr. Jürgen Hambrecht.<br />

Letztgenannter erwies sich als Glücksfall: Er beteiligte sich<br />

mit 25 Prozent an Ergobag und schoss bei Bedarf immer<br />

wieder Geld zu günstigen Konditionen nach. Als Ergobag<br />

gut lief, verkaufte Hamprecht seine Anteile an die Gründer<br />

zurück, sodass sie heute komplett eigenfinanziert sind.<br />

Nur gut sechs Jahre nach dem Start vereinen sie heute unter<br />

der Dachmarke F.O. Bags sechs Marken. Sie erzielen im<br />

laufenden Geschäftsjahr voraussichtlich 45 Millionen Euro<br />

Umsatz. Mittlerweile bieten sämtliche Anbieter von Schultaschen<br />

ergonomische Modelle an.<br />

Sven-Oliver Pink sagt rückblickend: „Gerade im ersten Jahr<br />

war es ein extremes Auf und Ab. Oft habe ich gedacht: Jetzt<br />

sind wir pleite. Jetzt ist das Leben vorbei. Aber eigentlich hat<br />

es zu jeder Zeit auch Spaß gemacht und immer eine große<br />

Dynamik gehabt.“ Und er resümiert: „Man muss einmal anfangen,<br />

Mut haben und darf nicht aufhören. Und man muss<br />

das Vertrauen haben, dass sich immer eine Lösung findet.“ ~<br />

28 29<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MUSTERTEXT<br />

Verlorene Innovationskraft?<br />

<strong>return</strong> kontrovers: Diskurs und Debatte<br />

Den offenen Meinungsaustausch wünschen sich die Medienmacher<br />

dieses Magazins für Unternehmensführung und<br />

Sanierung unter dem Titel „<strong>return</strong> kontrovers“. Diskurs und<br />

Debatte drehen sich jeweils um strittige Fragen mit aktuellem<br />

Bezug. Leser-Wünsche sind willkommen.<br />

Die Redaktion übernimmt dabei sachlich-fachlich die Einführung<br />

ins Thema, hier nachfolgend beginnend unter der<br />

Zwischenüberschrift „Gutachter sehen KMU nur noch im<br />

Mittelmaß“ und sammelt darüber hinaus diverse Stimmen<br />

und kontroverse Stellungnahmen in vielfältiger Form. In<br />

diesem Fall der „Standpunkt“ auf der gegenüberliegenden<br />

Seite und das Pro & Kontra auf den Seiten 32 und 33. Weitere<br />

Meinungsformen sind denkbar – erlaubt ist alles, was der<br />

Aufklärung, Orientierung und Meinungsbildung dient. Anregungen<br />

und Leserbriefe an: redaktion@<strong>return</strong>-online.de<br />

Standpunkt<br />

Helmut Ahr,<br />

Mitglied des Vorstands der Managementberatung<br />

Horváth & Partners<br />

Pro & Kontra<br />

Dietmar Harhoff,<br />

Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation<br />

und Wettbewerb<br />

versus<br />

Nikolaus Franke,<br />

Professor der Wirtschaftsuniversität Wien<br />

Gutachter sehen KMU<br />

nur noch im Mittelmaß<br />

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gelten als starkes<br />

Rückgrat der deutschen Wirtschaft. In Begründungen wird<br />

vor allem auf die große Bedeutung für Beschäftigung und für<br />

Innovationen hingewiesen. Nach dem jüngsten Gutachten<br />

der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI)<br />

zeigen sich KMU in ihrer „Innovationsleistung jedoch heterogen“,<br />

in „Innovationsintensität und Innovationsausgaben<br />

im internationalen Vergleich gering“ und erreichen in „Patentintensität“<br />

und „Umsatzanteil mit neuen Produkten“ im<br />

europäischen Vergleich nur einen Platz im Mittelfeld. Die<br />

„am weitesten verbreiteten“ Hemmnisse: zu hohe Innovationskosten<br />

und zu hohe wirtschaftliche Risiken gefolgt von<br />

Fachkräfte-Mangel und fehlenden internen Finanzierungsquellen.<br />

Verbesserte Förderung und<br />

Wagniskapital-Bedingungen<br />

Die EFI-Gutachter beraten die Bundesregierung wissenschaftlich<br />

zu Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik.<br />

In ihrem Gutachten weisen sie unter „Kernthemen<br />

<strong>2016</strong>“ darauf hin, dass in anderen Ländern neben direkten<br />

Förderungen auch steuerliche FuE-Förderungen bestehen.<br />

Dort sei der Anteil der aus staatlichen Quellen finanzierten<br />

FuE-<strong>Ausgabe</strong>n von KMU „wesentlich höher als in Deutschland“,<br />

wo es keine steuerlichen Anreize dafür gebe. Die Expertenkommission<br />

empfiehlt unter anderem, die bisherigen<br />

Instrumente um steuerliche Vorteile für KMU-Belange im<br />

FuE-Bereich zu ergänzen. Deutschland müsse zudem „Anstrengungen<br />

unternehmen, um dem Rückgang der Gründungsraten<br />

entgegenzuwirken“ – auch durch Gründer aus<br />

dem Ausland. Die private Finanzierung von Unternehmensgründungen<br />

müsse erleichtert werden. Die Bedingungen für<br />

Wagniskapital und damit die Finanzierungsmöglichkeit für<br />

innovative Unternehmen seien zu verbessern. KMU-Förderprogramme<br />

müssten „nach aktuellen wissenschaftlichen<br />

Standards evaluiert werden“.<br />

Rückläufige Aktivitäten,<br />

Defizite in der Robotik<br />

Auch das vorliegende „Gutachten zu Forschung, Innovation<br />

und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands“ konstatiert<br />

wie schon jenes aus dem Vorjahr, dass die „Innovations-<br />

und Forschungsaktivitäten in den letzten zehn Jahren<br />

rückläufig gewesen“ seien. In ihrer Untersuchung beleuchten<br />

die Wissenschaftler wieder die aktuelle Rolle von Digitalisierung<br />

und Vernetzung, diesmal insbesondere der Robotik<br />

als Schlüsseltechnologie. Ergebnis: Deutschland sei im internationalen<br />

Vergleich beim industriellen Roboter-Einsatz<br />

derzeit zwar „noch gut aufgestellt“, bei der schnell wachsenden<br />

Service-Robotik gebe es „aber Defizite“ in Forschung<br />

und Innovation. Die Experten raten der Bundesregierung<br />

zur Entwicklung einer „expliziten Roboterstrategie“ und zu<br />

einer Aufwertung des Themas an Hochschulen und in der<br />

Aus- und Fortbildung. ~<br />

„Systematische Steuerung<br />

der Innovationsarbeit“<br />

Standpunkt<br />

„Aus meiner Sicht läuft der Mittelstand in der D-A-CH-Region Gefahr, seine bislang überragende Innovationskraft<br />

peu à peu einzubüßen. Viele Mittelständler sind exzellent darin, in bestehenden Geschäftsmodellen innovative Produkte<br />

zu entwickeln. Mit der Digitalisierung entstehen aber zunehmend radikale, disruptive Innovationen, die das Potenzial<br />

haben, Märkte gänzlich neu zu ordnen. Unternehmen müssen die Fähigkeit entwickeln, derartige Innovationen<br />

entweder selbst hervorzubringen oder diese frühzeitig zu erkennen und darauf strategisch zu reagieren. Verbesserungspotenzial<br />

sehe ich insbesondere in der systematischen Steuerung der Innovationsarbeit.“<br />

Helmut Ahr, Mitglied des Vorstands der Managementberatung Horváth & Partners, ist unter anderem für Innovation<br />

zuständig und berät im Schwerpunkt in strategischer und operativer Unternehmenssteuerung.<br />

Foto: Horváth & Partners<br />

30<br />

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MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

MENSCH & UNTERNEHMEN<br />

Mittelstand nur im Mittelfeld<br />

Engpässe bei Fachkräften und Innovationsfinanzierung<br />

Mittelstand ist innovativ<br />

Inhaber treiben als Motor neue Projekte in Unternehmen<br />

Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb:<br />

Nikolaus Franke, Professor der Wirtschaftsuniversität Wien:<br />

Der Mittelstand wird gemeinhin als eine der besonderen<br />

Stärken der deutschen Volkswirtschaft charakterisiert.<br />

Dabei wird vor allem auf seine große Bedeutung für Beschäftigung<br />

und Innovation verwiesen. Besonders hervorgehoben<br />

wird regelmäßig die Rolle der sogenannten Hidden Champions.<br />

Diese machen jedoch nur einen kleinen Teil des Mittelstands<br />

aus. Die Gesamtgruppe des Mittelstands ist in ihrer<br />

Innovationsleistung heterogen.<br />

Im Vergleich zum Ausland zeigt sich, dass die durchschnittlichen<br />

Innovationsausgaben von kleinen und mittleren Unternehmen<br />

(KMU) in Deutschland geringer sind als in wichtigen<br />

europäischen Vergleichsländern. Patentaktivitäten und<br />

Innovationserfolge weisen im europäischen Vergleich ein gemischtes<br />

Bild auf: Während deutsche KMU bei der Häufigkeit<br />

der Produkt- oder Prozessinnovationen führen, erreichen<br />

sie bezüglich der Patentintensität und des Umsatzanteils mit<br />

neuen Produkten nur einen Platz im Mittelfeld.<br />

Die Expertenkommission Forschung und Innovation ist in<br />

Sorge, dass ein großer Teil des Mittelstands die Relevanz des<br />

digitalen Wandels unterschätzt. Die Bedeutung innovativer<br />

Geschäftsmodelle, die auf software- und internetbasierten<br />

Technologien aufbauen, hat sehr stark zugenommen und<br />

wird weiter deutlich zunehmen. Bei Unternehmen, die diese<br />

Entwicklung nicht aufgreifen, besteht die Gefahr, dass sie<br />

ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Besonders wichtige digitale<br />

Technologien sind Big Data und Cloud Computing,<br />

da beide Technologien die bestehenden Technologien, Produkte<br />

oder Dienstleistungen verdrängen. KMU nutzen Big<br />

Data und Cloud Computing seltener als große Unterneh-<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

men. Deutsche Unternehmen zählen hier im internationalen<br />

Vergleich ohnehin nicht zur Spitzengruppe. Daher sollte die<br />

Innovationspolitik unterstützen, neue Wertschöpfungspotenziale<br />

in der internetbasierten Wirtschaft zu erschließen und<br />

hier Schwächen auszugleichen. Des Weiteren sollte die Innovationspolitik<br />

an weit verbreiteten Innovationshemmnissen<br />

ansetzen. Hierzu zählen der zunehmende Mangel an Fachkräften<br />

und der Mangel an internen Finanzierungsquellen.<br />

Durch diese Innovationshemmnisse liegt vorhandenes Innovationspotenzial<br />

von KMU in Deutschland brach.<br />

Innovationshemmnisse<br />

abbauen<br />

Der zunehmende Fachkräftemangel hat seine Ursache in der<br />

demografischen Entwicklung und der Wissensintensivierung<br />

der Wirtschaft. Er stellt mittlerweile für rund ein Drittel der<br />

innovationsaktiven KMU ein Innovationshemmnis dar. Politik,<br />

Kammern und Verbände sollten ihre Unterstützungsmaßnahmen<br />

für KMU, die ausländische Fachkräfte rekrutieren,<br />

intensivieren und eine Informationskampagne starten.<br />

Auch der Mangel an internen Finanzierungsquellen behindert<br />

die Innovationsaktivitäten von fast einem Drittel der innovationsaktiven<br />

KMU. Hierzulande werden nur 14 Prozent<br />

der <strong>Ausgabe</strong>n für Forschung und Entwicklung (FuE) von<br />

KMU aus staatlichen Quellen finanziert. In den meisten Vergleichsländern,<br />

die neben der direkten Förderung auch über<br />

eine steuerliche FuE-Förderung verfügen, ist dieser Anteil<br />

mehr als doppelt so hoch. Bei dieser Förderung wird den Unternehmen<br />

eine Steuergutschrift proportional zur Höhe ihrer<br />

FuE-<strong>Ausgabe</strong>n gewährt. Das Instrument steht Unternehmen<br />

in den meisten OECD-Ländern zur Verfügung, Deutschland<br />

jedoch macht noch keinen Gebrauch. Die Förderinstrumente<br />

sollten durch die Einführung einer steuerlichen FuE-Förderung<br />

unter besonderer Beachtung der KMU-Belange ergänzt<br />

werden. Zudem sollte die Politik die Rahmenbedingungen<br />

für Wagniskapitel und damit die Finanzierungsmöglichkeiten<br />

für innovative Unternehmensgründungen verbessern. ~<br />

Der Autor ist Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation<br />

(EFI), die für die Bundesregierung wissenschaftliche Politikberatung<br />

zu Fragen der Forschungs- und Innovationspolitik leistet. Er ist<br />

Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb.<br />

Die ideologischen Antipoden Joseph Schumpeter und<br />

Karl Marx eint eine historische Fehlprognose: beide<br />

glaubten an das baldige Ende des Mittelstands. „The capitalist<br />

process unavoidably attacks the economic standing<br />

ground of the small producer“, schrieb der Entdecker des<br />

Prinzips der schöpferischen Zerstörung. Und „Die Konkurrenz<br />

(…) endet stets mit Untergang vieler kleinerer Kapitalisten”,<br />

ergänzte der Urvater des Kommunismus.<br />

Heute, Jahrzehnte nach diesen düsteren Prognosen, ist ihr<br />

Irrtum evident. Der Mittelstand existiert nicht nur weiterhin,<br />

sondern ist kerngesund und nimmt an Bedeutung<br />

sogar weiter zu. Für den Erfolg des Mittelstands gibt es<br />

zahlreiche Gründe. Einer der wichtigsten ist, dass kleine<br />

und wendige Unternehmen im heute besonders wichtigen<br />

Wettbewerbsfaktor Innovation entscheidende Vorteile gegenüber<br />

Großunternehmen haben. Ihre geringere Unternehmensgröße<br />

begünstigt schnelle Reaktionen auf neue<br />

Trends und disruptive Veränderungen. In einer flachen<br />

Organisationstruktur ist die Kommunikation direkt und<br />

informell. Und für Innovationserfolge ist entscheidend,<br />

dass man eine sich bietende Gelegenheit schnell nutzt und<br />

nicht in endlosen Gremiensitzungen, Strategiemeetings<br />

und Lenkungsausschüssen zu einem faulen Kompromiss<br />

zerredet – Alltag in Großunternehmen. Eine entscheidende<br />

Rolle im mittelständischen Innovationsmanagement<br />

nimmt aber die Unternehmerpersönlichkeit ein. Der Unternehmer<br />

hat im Mittelstand einen weitaus größeren Einfluss<br />

auf das tatsächliche Unternehmensgeschehen als Manager<br />

in Großunternehmen. Er kennt Prozesse, Personen,<br />

Foto: Stephan Huger<br />

Technologie und Markt. Glaubt er an ein Innovationsprojekt,<br />

dann kann er als „Machtpromotor“ innerbetriebliche<br />

Widerstände schnell und effektiv überwinden.<br />

Beeindruckende Energie<br />

und Kreativität<br />

Als wissenschaftlicher Leiter des größten deutschen Innovationswettbewerbs<br />

im Mittelstand (TOP 100) habe ich seit<br />

15 Jahren genaue Einblicke in deren Strukturen, Strategien<br />

und Leistungen. Und Jahr für Jahr bin ich beeindruckt, mit<br />

welcher Energie und welcher Kreativität sich diese Unternehmen<br />

permanent neu erfinden. Es ist keine Seltenheit,<br />

wenn hier 30 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung<br />

fließen und 80 Prozent des Umsatzes und Gewinns<br />

mit Innovationen der letzten drei Jahre gemacht werden. Die<br />

innovativsten Großunternehmen der Welt wären stolz, wenn<br />

sie diese Werte auch nur annähernd erreichen würden. Viele<br />

der TOP 100 Unternehmen treiben die Entwicklung von<br />

Spitzentechnologien, sind Weltmarktführer in ihren Bereichen,<br />

führen disruptive Innovationen ein und schaffen mit<br />

ihrer konsequenten Innovationsorientierung Arbeitsplätze<br />

und Wohlstand.<br />

Trotzdem unterschätzen viele Menschen die Innovationsleistung<br />

des Mittelstands. Dies hat systematische Gründe.<br />

Zunächst bieten Mittelständler häufig Investitionsgüter an.<br />

Man kann sie nicht im Supermarkt kaufen, vielen Menschen<br />

sind ihre Produkte fremd und abstrakt. Auch in den Medien<br />

spielen sie eine weitaus kleinere Rolle, als ihrer Bedeutung<br />

entspricht. Und schließlich ist die klassische Tugend der<br />

Bescheidenheit hier noch sehr stark verankert. Vielleicht zu<br />

sehr? Der typische Mittelständler schätzt Understatement<br />

und konzentriert sich auf die „eigentliche“ Arbeit. Die Konsequenz<br />

ist, dass seine Innovationsleistungen und -potenziale<br />

oft nicht bekannt sind. Aus meiner Sicht ist das bedauerlich.<br />

Dürfte ich mir etwas wünschen, dann wäre dies, dass der innovative<br />

Mittelstand seine Innovationskraft auch auf seine<br />

Unternehmenskommunikation ausdehnt. Nur dann wird er<br />

die Anerkennung bekommen, die er verdient. ~<br />

Der Autor forscht und lehrt in Österreich am Institut für Entrepreneurship<br />

und Innovation. Er fungiert in Deutschland als wissenschaftlicher Leiter<br />

des Wettbewerbs „Top 100“.<br />

32 33<br />

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MUSTERTEXT<br />

MUSTERTEXT<br />

www.brandeins.de<br />

Anstieg des Umsatzes der amerikanischen Seafood-Kette<br />

Red Lobster innerhalb von drei Tagen, nachdem die Sängerin<br />

Beyoncé ein Lied veröffentlichte, indem sie angab, nach dem<br />

Sex dort essen zu gehen, in Prozent: 33<br />

913<br />

Weitaus mehr als nur Zahlen<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Zukunft<br />

im Blick?<br />

Gezielte Vorschau mit Vorstellungen<br />

vom Morgen, systematisches Abstimmen<br />

von Strategie und Geschäftsmodell,<br />

rechtzeitiges Vorantreiben geeigneter<br />

Innovationen: Die nachfolgenden rund<br />

30 Seiten handeln von Vorreitern im<br />

fortschrittlichen Unternehmertum.<br />

Schwerpunkt<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Wort folgt Tat<br />

Von der Schwierigkeit, Innovationen praktisch umzusetzen<br />

Selten sind Organisationen so schlau und fähig wie die<br />

Summe der beteiligten Akteure. Und genau das macht<br />

sie so spannend. Es ist ähnlich wie beim Fußball: England<br />

hat zwar die besseren Einzelspieler, aber Island gewinnt.<br />

Was ist der Grund, und warum kann die exakt gleiche Idee<br />

in der einen Organisation eine Revolution bewirken, während<br />

sie in einer anderen als Generve abgetan wird?<br />

Vor einiger Zeit war ich Berater eines großen Herstellers von<br />

Hausgeräten. Es ging um den Haushalt, vor allem um dessen<br />

Zukunft. Das war 2005, Kaffeefiltermaschinen waren das<br />

Maß der Dinge. Kaffeevollautomaten, die Kaffee aus frisch<br />

gemahlenen Bohnen brühen, gab es damals nur in Bars und<br />

Restaurants. In dem Workshop kam nun die Idee auf, einen<br />

Kaffeeautomaten für den Privathaushalt zu entwickeln. Die<br />

Workshop-Teilnehmer waren begeistert – das wäre eine echte<br />

Innovation. Aber das Projekt wurde nicht angepackt. Ein<br />

Jahr später kam ein Konkurrent, die Firma Saeco, mit so<br />

einer Maschine auf den<br />

Markt. Und wurde Weltmarktführer.<br />

Warum hat<br />

es bei der einen Firma<br />

gezündet und bei der<br />

anderen nicht? Grundbausteine<br />

der Veränderung<br />

sind Wort und Tat.<br />

Die Zukunftsforschung<br />

ist per se Wort: Es geht<br />

um Gedanken, Visionen,<br />

Pläne. Erst wenn ich diese<br />

umsetze, materialisieren<br />

sie sich, ermöglichen<br />

Teamwork zwischen Mensch und<br />

Roboter hier mit dem „LBR iiwa“.<br />

Foto: KUKA Aktiengesellschaft<br />

ein Ergebnis. Aber der<br />

Übergang zum Handeln<br />

ist schwierig. Oft liegt in<br />

der Praxis viel zu sehr der<br />

Schwerpunkt auf dem<br />

Wort: Paralyse durch Analyse. Man begutachtet und bewertet<br />

das Geschriebene. Aber es passiert – nichts.<br />

Wer passiv bleibt, muss sich mit dem abfinden, was geschieht.<br />

Wer sich hingegen nicht gern überraschen lässt,<br />

muss selbst die Initiative ergreifen. Allerdings geht, wenn<br />

man die Zukunftsforschung abgeschlossen hat, die Arbeit<br />

erst richtig los. Das vergessen die meisten. Handlungsdruck<br />

ist erst da, wenn es ein Problem gibt. Deshalb ist Lernen vor<br />

Text: Ulf Pillkahn, Mitarbeit: Christine Mattauch<br />

der Krise viel schwieriger als nach der Krise. Im Unternehmen<br />

kann Zukunftsforschung in verschiedenen Bereichen<br />

zu Ergebnissen führen. Am einfachsten funktioniert es im<br />

Marketing: Da werden grandiose Präsentationen angefertigt,<br />

womöglich wird eigens ein Künstler angeheuert. Man geht<br />

damit auf eine Messe oder auf eine Konferenz, die Kunden<br />

sind beeindruckt, manchmal wollen sie die Vision auch<br />

gleich kaufen, was unbequem ist, weil man dann eingestehen<br />

muss, dass es das so noch nicht gibt.<br />

Ideen entstehen<br />

automatisch<br />

Der zweite Bereich ist Innovation. Wenn man über Zukunft<br />

nachdenkt, entstehen automatisch Ideen. An die muss dann<br />

aber im Unternehmen jemand glauben. Bei dem Hausgerätehersteller,<br />

den ich eingangs beschrieb, konnte sich der<br />

Chef des Unternehmens nicht vorstellen, dass es für diesen<br />

Kaffeeautomaten einen Markt geben könnte. Also ist die<br />

Idee gestorben. Alle Zukunftsforschung bringt nichts, wenn<br />

es im Unternehmen keine Leute gibt, die an eine Vision<br />

glauben und über die erforderlichen Ressourcen verfügen.<br />

Siemens entwickelte 2001 das „SimPad“. Das ist in Vergessenheit<br />

geraten. Aber alle kennen das iPad, das 2010 auf den<br />

Markt kam. Von Kleinigkeiten abgesehen, kam Siemens also<br />

neun Jahre früher auf die gleiche Idee, trotzdem wurde es<br />

ein Flop. Warum? Weil das Management nur halbherzig<br />

an das SimPad-Projekt glaubte, was sich unter anderem im<br />

geringen Budget ausdrückte. Wer innerhalb einer großen<br />

Organisation etwas Neues wagen will, muss um Ressourcen<br />

kämpfen, um Freiräume, um Mitarbeiter. Diese Verhandlung<br />

raubt Unternehmen unendlich viel Kraft. In kleinen Unternehmen<br />

sind die Wege kürzer. Wenn es einem Mitarbeiter<br />

gelingt, den Chef von einer Vision zu überzeugen, oder wenn<br />

es der Chef selbst ist, der die Impulse gibt, kann das ähnlich<br />

produktiv sein wie bei Apple. Steve Jobs musste sich nicht<br />

arrangieren. Er musste auch zu niemandem nett sein, um sich<br />

ein Budget für sein Projekt zu sichern. Die Frage ist doch, wie<br />

Innovationen entstehen. Ein Weg ist, dass jemand regelrecht<br />

besessen ist von einer Idee. Das sind die Gutenbergs, Edisons<br />

und Jobs dieser Welt. Der andere Weg ist der systematische:<br />

Innovations-, Ideen- und Kreativitätsmanagement. Es gibt<br />

Handbücher und Pläne, wie man es angeblich zu machen hat,<br />

aber die Erfolge sind dürftig. Siemens Healthcare hat einmal<br />

Künstliche Ameisen zeigen, wie sie kommunizieren und als vernetztes Gesamtsystem komplexe Aufgaben lösen.<br />

im eigenen Haus untersucht, wie Neuheiten entstehen. Vor<br />

allem weil es Tüftler und Querdenker gab, bei deren Arbeit<br />

die Innovation sozusagen als Nebenprodukt anfiel. Und das<br />

ist die dritte Komponente der Innovation: der Zufall. Er hat<br />

bei vielen bahnbrechenden Entwicklungen eine Rolle gespielt,<br />

sei es bei der Entdeckung des Penizillins oder der Entwicklung<br />

von Teflon.<br />

Wie geht das? Dem Zufall eine Chance geben? Google zum<br />

Beispiel lenkt 70 Prozent seiner Forschungs- und Entwicklungsausgaben<br />

in die Suchmaschine, das ist ihre Cashcow.<br />

20 Prozent gehen in Randbereiche wie Google Docs, die<br />

Traffic generieren. Aber zehn Prozent gehen in Aktivitäten,<br />

bei denen die Manager Neuland betreten. Da wollen sie lernen.<br />

Diese Haltung fehlt vielen Unternehmen.<br />

Echte Chance<br />

für den Zufall<br />

Oder nehmen wir Hyperloop, den superschnellen Zug, den<br />

ein besessener Innovator zwischen San Francisco und Los<br />

Angeles bauen will. Für die technische Lösung wurde im vergangenen<br />

Jahr ein Open-Source-Wettbewerb ausgeschrieben.<br />

Teams aus aller Welt konnten sich bewerben. Die Texas<br />

A&M University sichtete die Bewerbungen. Soweit die Systematik.<br />

Jetzt wetteifern 22 Teams miteinander, bauen Prototypen.<br />

Da hat der Zufall eine echte Chance.<br />

Zurück zur Zukunftsforschung. Sie ist auch wichtig für die<br />

Strategie. Warum mache ich denn Prognosen und entwerfe<br />

Szenarien? Damit ich schneller auf Veränderungen reagieren<br />

oder sie sogar vorwegnehmen kann. Ohne Zukunftsbetrachtung<br />

muss mein Unternehmen theoretisch so flexibel sein,<br />

dass es jede Veränderung rasend schnell aufnehmen kann.<br />

Das ist allerdings selten der Fall. Organisationen sind träge.<br />

Spätestens wenn die Unsicherheiten zunehmen, wenn Veränderung<br />

in der Luft liegt – dann ist es Zeit, das Umfeld zu<br />

analysieren und die eigene Position zu hinterfragen. Und das<br />

regelmäßig ein- oder zweimal im Jahr. Wenn dabei herauskommt,<br />

es passt alles, der Markt ist stabil, wir sind auf einem<br />

guten Weg – wunderbar. Wenn man aber feststellt, der Markt<br />

ist im Umbruch, unsere Position verschlechtert sich, wird es<br />

höchste Zeit, sich Gedanken über Szenarien zu machen. Sie<br />

sollten gleichwertig und gleich wahrscheinlich sein. Es ist<br />

nicht die Frage, ob sie einem gefallen. Szenarien sind Denkübungen.<br />

Sie verhindern, dass man überrascht wird.<br />

Ich habe lange vor der Nuklearkatastrophe in Fukushima einen<br />

Workshop mit einem Energieversorger gemacht, in dem<br />

wir vier Szenarien entwickeln wollten. Eines davon war, dass<br />

Atomenergie von der Bevölkerung nicht mehr akzeptiert<br />

wird. Der Vorstandsvorsitzende hat das nicht zugelassen. Jetzt<br />

hat der Konzern durch die Energiewende riesige Probleme.<br />

Shell – Pionier der<br />

Szenario-Technik<br />

Ein Gegenbeispiel ist Shell, ein Pionier der Szenario-Technik.<br />

Das Unternehmen war damit schon in den 1970er-<br />

Jahren extrem erfolgreich. Damals erhöhten sich Nachfrage<br />

und Ölförderung jedes Jahr. Alle gingen davon aus, dass das<br />

so bleiben würde. Shell jedoch entwickelte ein alternatives<br />

Szenario und ergänzte seine Verträge mit Speditionen um<br />

ein Sonderkündigungsrecht bei veränderter Marktlage. Als<br />

die OPEC die Fördermenge drosselte, der Ölpreis stieg und<br />

die Nachfrage einbrach, hatte der Konzern einen enormen<br />

Wettbewerbsvorteil. In Deutschland begeistern mich Automatisierungsspezialisten<br />

wie Festo oder Kuka. Auch ein<br />

handfester Mittelständler wie die Maschinenfabrik Reinhausen<br />

bei Regensburg hat den Mut, einfach mal ein Projekt<br />

zu machen und zu fragen: Was ändert sich? Stimmt unser<br />

Geschäftsmodell noch? Welche Innovationen brauchen wir?<br />

Und damit das dann nicht einfach liegen bleibt, gehört ein<br />

Action Plan dazu: kurz-, mittel- und langfristige Aktivitäten,<br />

gestaffelt nach Prioritäten. Anfangen, sonst ist der<br />

Schwung raus. Aber nicht das ganze Unternehmen lahmlegen,<br />

lieber kontinuierlich etwas ändern. Die Tat anschließen<br />

an das Wort. Darin liegt das ganze Geheimnis. Es klingt so<br />

einfach und ist doch so schwer zu machen. ~<br />

Der Autor ist Professor für Innovations- und<br />

Technologiemanagement, schrieb Bücher wie<br />

„Innovation zwischen Planung und Zufall“ und<br />

war zuvor mehr als 20 Jahre bei der Siemens AG<br />

unter anderem als Leiter Trend-Monitoring für<br />

Strategie, Innovation und Foresight zuständig.<br />

Foto: Festo AG & Co. KG<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

„Freiräume geben –<br />

Fehler akzeptieren“<br />

3M gilt als eines der innovativsten Unternehmen der Welt. Wie die Führung den Ideenreichtum<br />

fördert, erklärt Geschäftsführer Dr. Joerg Dederichs.<br />

Text: Thorsten Garber<br />

Dr. Joerg Dederichs verantwortet bei 3M für Deutschland, Österreich und die Schweiz seit 2015 die<br />

„Industrial Business Group“, größter Geschäftsbereich des Unternehmens mit Produktgruppen wie<br />

Industrie-Klebebänder und Klebstoffe, Schleif- und Poliersysteme oder Filtrationssysteme. Er begann<br />

seine Karriere vor fast 20 Jahren im US-Multitechnologiekonzern und gehört seit 2007 als Mitglied zur<br />

Geschäftsleitung. Er führte schon das „Health Care“-Geschäft und war auch Personalchef. Die Hochschule<br />

Niederrhein ernannte ihn 2015 zum Honorarprofessor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften,<br />

wo er einen Lehrauftrag im MBA-Studiengang „Management“ wahrnimmt.<br />

Foto: Bernd Hegert<br />

Herr Dr. Dederichs, 3M war zwar europaweit mehrfach<br />

bestes Unternehmen in der Technologiefrüherkennung,<br />

aber waren echte Durchbruchsinnovationen dabei?<br />

Joerg Dederichs: Ja, häufiger. (lacht) Aber das sind selten<br />

spektakuläre Erfindungen für<br />

die Tagesschau. Wir haben den<br />

Markt für Schleifmittel mehrfach<br />

revolutioniert. Zum Teil<br />

ist dadurch die Produktivität<br />

unserer Kunden um 50 Prozent<br />

gestiegen. Unser Schleifkorn<br />

Cubitron II ähnelt einem Dreieck,<br />

dass beim Arbeitsprozess<br />

bricht und ein neues Dreieck<br />

entstehen lässt. Solche Entwicklungen<br />

sind extrem wichtig<br />

und nur mit eigenem Manufacturing<br />

so innovativ voranzutreiben.<br />

Wir leiten beim Schleifen<br />

demnächst die nächste Revolution ein.<br />

Wie hoch ist heute Ihre Quote verkaufter Neuprodukte<br />

am Umsatz, die jünger als drei Jahre sind?<br />

Jünger als fünf Jahre sind 35 bis 38 Prozent, wir wollen 40<br />

Prozent erreichen. Das ist nur ein Aspekt, um Innovationskraft<br />

zu bewerten. Die Zahl der Launches neuer Produkte<br />

erachte ich ebenfalls für wichtig. Für jedes Geschäftsfeld<br />

ist zudem eine gesunde Verteilung als „Health of Pipeline“<br />

überaus relevant, um über Diversität die Zukunft zu sichern.<br />

Nicht nur für das Dach des Olympiastadions in Kiew kamen mit<br />

robustem 3M-Werkstoff beschichtete Membranen zum Einsatz.<br />

Die FuE-Aufwendungen im vergangenen Jahr beziffert<br />

3M auf rund 1,8 Milliarden US-Dollar. Steht der Aufwand<br />

zum Ertrag in gutem Verhältnis?<br />

Ach, wissen Sie, es gibt immer mal Projekte, die nicht funktionieren.<br />

Auch wir müssen aufgeben, wenn wir nach fünf Jahren<br />

keine Lösung für ein Problem gefunden haben. Das können<br />

technologische oder marktbedingte Gründe sein. Es passiert,<br />

aber bei uns selten, weil 3M jeweils einen guten Prozess verfolgt.<br />

Mit fällt es zudem schwer, einen proportionalen Zusammenhang<br />

zu den 1,8 Milliarden Dollar herzustellen. Generell<br />

gibt es keine feste Korrelation zwischen FuE-Investition und<br />

Innovationserfolg. Auch bei den erfindungsreichsten Unternehmen<br />

der Welt nicht. Microsoft investiert unheimlich<br />

viel, aber nach meiner Beobachtung<br />

kommt dabei wenig heraus.<br />

Gleichwohl ist Microsoft erfolgreich,<br />

weil Produkte wie Windows<br />

eine hohe Durchdringung<br />

im Markt haben.<br />

Foto: 3M<br />

Von den jährlich mehr als 1.000<br />

Produkten, die 3M neu auf den<br />

Markt bringt, entwickeln sich<br />

wie viele zum Flop?<br />

Das kann ich nicht sagen, weil<br />

dazu auch erst ein Flop definiert<br />

werden müsste. Vom Markt<br />

nehmen wir ein Produkt so gut<br />

wie nie. Der Begriff greift wohl auch eher bei Fast Moving<br />

Consumer Goods (FMCG), also Verbrauchsgüter des täglichen<br />

Bedarfs. Ich schätze die Zahl unserer erfolgreichen<br />

Innovationen sicher auf mehr als 80 Prozent.<br />

Die ehemaligen Henkel-Manager Tina Müller und<br />

Hans-Willi Schroiff kritisieren in ihrem Buch „Warum<br />

Produkte floppen“ die hohe Ausfallquote bei sechs von<br />

zehn Neuheiten und zählen zu kurze Entwicklungszeiten<br />

zu den Todsünden. Sehen Sie Druck auch als Killer?<br />

Bei Henkel und bei Schnelldrehern mag der Wert passen,<br />

aber für 3M kann ich die Zahl nicht im Ansatz bestätigen.<br />

Wir würden eher Produkt-Launches verschieben, als mit einem<br />

neuen Produkt nicht zur richtigen Zeit auf den Markt<br />

zu kommen. Ihre Frage nach dem Zeitdruck kann ich also<br />

für uns nur verneinen.<br />

Forscher und Entwickler dürfen in Ihrem Unternehmen<br />

15 Prozent ihrer Arbeitszeit frei nutzen. Wie fällt die Erfolgsquote<br />

in Quantität und Qualität aus?<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Wir messen es nicht, sondern dies ist uns kulturell wichtig.<br />

Sie können sogar Teams bilden und Mittel aus einem eigens<br />

eingerichteten Fonds für Equipment anfordern. Wir wissen<br />

allerdings, wie viele Erfindungen mit welchem Anteil auf<br />

unsere Ergebnisse wirken – und da ergeben die 15 Prozent<br />

Freiheit gute Werte. Unser Dauerbrenner Post-it ist ja zum<br />

Beispiel so entstanden. Unserem Forscher Art Frey sind aus<br />

seinem Gesangsbuch immer die Zettel herausgefallen, so dass<br />

er auf die Idee kam, die gelben Erinnerungsmarken mit Klebstoff<br />

zu entwickeln. Nur hat 3M immer mehr Ideen als Ressourcen,<br />

sodass sein Vorschlag es nicht durchs Priorisierungs-<br />

Meeting schaffte. Allerdings blieb Art Frey hartnäckig und<br />

hat mehr als 100 Sekretärinnen von CEOs in US-Firmen<br />

angeschrieben, die sein Produkt zur Kommunikation begeistert<br />

ausprobierten. Ihre positiven Antworten legte er beim<br />

nächsten Meeting vor. Heute generieren wir mit Post-it nach<br />

40 Jahren immer noch ein Geschäft im dreistelligen Millionen-Bereich.<br />

Ihr langjähriger Präsident und Aufsichtsratschef William<br />

L. McKnight fand für Wachstum wichtig, mehr Verantwortung<br />

an Mitarbeiter zu delegieren und zur Eigeninitiative<br />

aufzufordern. Macht das im Kern die DNA aus, die<br />

3M den Ruf als das Innovationsunternehmen einbrachte?<br />

Ja, das ist der Kern unserer Innovationskraft. Die Führung<br />

von Mitarbeitern ist entscheidend. Die „McKnight Principles“<br />

aus den 1950er-Jahren gelten als Grundsätze heute<br />

immer noch – ob bei Einstellungsgesprächen oder anderen<br />

Anlässen sind sie Thema. Freiräume zu geben und Verantwortung<br />

zu übertragen, prägt unsere DNA. Dabei auch Fehler<br />

zu akzeptieren, bringt übrigens unterm Strich im Saldo<br />

eindeutig Positives.<br />

Aber sind Führungskräfte<br />

nicht damit überfordert,<br />

weil sie eigentlich<br />

auch die Fehlervermeidung<br />

verantworten?<br />

(lacht) Wir werden so sozialisiert<br />

vom Eintritt in die<br />

Firma bis zur Rente. Befehlsempfänger hören bei uns in den<br />

ersten zwei Jahren auf, ansonsten liegt die Fluktuation bei<br />

unter einem Prozent. Wir sind große Freiheiten gewohnt. Im<br />

Prinzip können Sie bei uns besser nachher um Entschuldigung<br />

bitten als vorher um Erlaubnis.<br />

Töten Ängste vorm Scheitern sogar zündende Ideen?<br />

Unter Druck bin ich nicht kreativ. Wo kommen uns denn<br />

die besten Ideen? Beim Autofahren oder unter der Dusche.<br />

Selbst in Unternehmen, denen es schlecht geht, sollte die<br />

Führung den Druck versuchen herauszunehmen. Denn als<br />

Hemmschuh ist er nicht zielführend.<br />

„Freiräume zu geben und Verantwortung<br />

zu übertragen, prägt unsere DNA.<br />

Dabei Fehler zu akzeptieren, bringt<br />

unterm Strich eindeutig Positives.“<br />

Gut sichtbare Reflektoren wie Speichenclips mit „Scotchlite“ bieten<br />

Fahrradfahrern zusätzlichen Schutz.<br />

Innovationskultur muss aber auch effizientes und terminorientiertes<br />

Arbeiten einfordern, oder?<br />

Schauen Sie auf unseren Weg von der Idee bis zum Launch:<br />

Am Anfang setzen wir nach dem Trichter für Ideen auf Effektivität<br />

durch Priorisierungen in mehreren Schritten. Je weiter<br />

wir uns zum Launch bewegen, desto stärker achten wir auf<br />

Effizienz im Sinne von umgesetzten Milestones. Der Beginn<br />

ist für uns „the fuzzy front end“ des Innovationsprozesses; hier<br />

begangene Fehler sind später kaum auszumerzen. Zuerst gilt<br />

„Doing the right things“, später „doing the things right“.<br />

Sind Innovationsziele besser in kleinen Teams als in Konzernstrukturen<br />

zu erreichen?<br />

Ja, wir wollen Unternehmen im Unternehmen. Dann erhalten<br />

die Prozesse den richtigen Schwung. In unseren fünf Business<br />

Groups, wie in meiner Verantwortung „Industrial“, gibt<br />

es verschiedene „Divisions“ wie in meinem Fall etwa Schleifmittel<br />

oder Klebstoffe. Jede Division ist eine Unternehmung;<br />

dort werden die Entscheidungen getroffen. Zu kleine Divisionen<br />

müssen wir größeren zuschlagen wie zuletzt die Einheit<br />

für Windelverschluss-Systeme an den Klebstoff-Bereich.<br />

Gelingen neue Geschäftsmodelle<br />

oder disruptive Innovationen<br />

bei 3M auch mit<br />

externen Entrepreneuren?<br />

Nein, auch diese bauen wir<br />

nur intern innerhalb einer<br />

Division auf und aus. Seltsamerweise ist das für Medienredaktionen<br />

offensichtlich nicht sexy genug. Von externen<br />

Start-ups scheint mehr Reiz auszugehen. Wenn in einem<br />

Wirtschaftsmagazin mal ein Beitrag über eines unserer Minderheitsinvestments<br />

in einem externen Start-up steht, brechen<br />

gleich die Telefonleitungen zusammen.<br />

Foto: 3M<br />

Der Sensor des „SpotOn“-Systems bleibt bei Bedarf bis nach der OP an<br />

der Patienten-Stirn - etwa zum Temperatur-Messen.<br />

Worauf führen Sie das zurück?<br />

Vielleicht liegt der Hype daran, dass aus Start-ups im Internetzeitalter<br />

in kurzer Zeit auch Giganten wie Facebook<br />

entstanden sind. Für 3M zählt dieses Engagement aber zu<br />

Randaktivitäten. Wir helfen den Start-ups vor allem dabei,<br />

namhafte Kunden zu finden, die auf uns eher reagieren.<br />

Jungunternehmer nutzen also unser Netzwerk. Unser<br />

finanzielles Engagement ist überschaubar: Wir investieren<br />

in die Gründerszene pro Jahr global mehrere Millionen, in<br />

unsere eigene FuE aber 1,8 Milliarden. Und von den weltweit<br />

90.000 Mitarbeitern bilden zehn den kleinen Bereich<br />

„New Ventures“.<br />

Wie stellen Sie sicher, dass Forschungszentren und Geschäftsbereiche<br />

sich gegenseitig befruchten?<br />

Zum einen strukturell: Es gibt nur eine 3M. Die volle Integration<br />

ist in allen 70 Ländern gewährleistet. Zum zweiten<br />

personell: Wir legen Wert auf regelmäßige Wechsel unserer<br />

Menschen, die verschiedene Stationen und Geschäftsbereiche<br />

durchlaufen. Das ist wichtig, weil Neue immer andere<br />

Fragen stellen. Ich selbst war erst im Geschäftsbereich<br />

Healthcare, dann im europäischen Marketing, dann Master<br />

Black Belt in Deutschland, die übergreifend Prozesse verbessern,<br />

dann war ich Personalchef und jetzt führe ich unseren<br />

Industriezweig. Insbesondere in FuE bietet 3M viele<br />

Austausch-Foren etwa zu neuen Technologien, den Zugriff<br />

auf umfangreiche Datenbanken und einen internationalen<br />

Austausch der Labore.<br />

Google nutzt intern Erkenntnisse von Wirtschaftsnobelpreisträger<br />

Daniel Kahneman, wonach das menschliche<br />

Verhalten wesentlich auf Instinkten basiert, und steuert<br />

damit Verhalten. Worauf setzt 3M beim Einzelnen?<br />

Auf sechs Erfolgsfaktoren für gute Zusammenarbeit. Es sind<br />

unsere sechs Regeln für „Leadership Behavior“. Eine lautet<br />

beispielsweise „play to win“. Weitere bedeuten „Innoviere!“,<br />

„Kollaboriere!“ oder „Entwickle andere und dich selbst!“.<br />

Wir stellen Bekanntheit und Transparenz zu den Inhalten<br />

sicher, denn jeder unserer 90.000 Mitarbeiter spricht mit seinem<br />

Vorgesetzten darüber. Wir wissen, dass ein gutes Miteinander<br />

für Erfolge sorgt. Jeder bekommt jeweils nach seinem<br />

Gespräch ein schriftliches Feedback, woran er noch arbeiten<br />

muss und wo seine Stärken liegen.<br />

Stärken stärken – der Leitsatz Ihrer Mitarbeiterführung?<br />

Ja, weil wir wissen wollen, wofür Mitarbeiter ihre größte<br />

Leidenschaft entwickeln. Wenn wir ihre Stärken für eine<br />

Aufgabe stärken, dann machen sie diese gerne. Für einen<br />

lausigen Projektmanager könnten wir weltweit die besten<br />

Fortbildungsangebote buchen, es würde niemandem nutzen.<br />

Wir streben nach Exzellenz. Ist der Mitarbeiter am richtigen<br />

Platz zufrieden, erzielen wir eine Win-win-Situation. Es geht<br />

Foto: 3M<br />

im Kern also um Persönlichkeiten passend für Kundenbetreuung,<br />

Controlling, Unternehmenskommunikation oder Labor.<br />

Welche Stärken zählen künftig stärker?<br />

Wir lassen uns nicht von Trends treiben. Die Kernkompetenzen<br />

zählen immer, was ich nach mehr als 20 Jahren bei 3M<br />

unterstreiche. Klar beobachten auch wir beim Nachwuchs,<br />

dass manche keine Karriere mehr machen wollen, weil ihnen<br />

Work-Life-Balance wichtiger ist. Wer nicht zu Standortwechseln<br />

bereit ist, bleibt aber in seiner Karriere limitiert.<br />

Wie steuert 3M bei Krisen entgegen?<br />

Krise verstanden als schlechte Entwicklung eines Geschäftsbereichs<br />

erkennen wir sehr früh. Kennzahlen unserer Leading<br />

Indicators signalisieren das manchmal als gut funktionierendes<br />

Frühwarnsystem. Wir gehen rechtzeitig rein, wenn die<br />

Profitabilität nicht mehr stimmt. Anders gesagt: Wir reparieren<br />

das Dach, solange die Sonne noch scheint. In den meisten<br />

Fällen können wir eine Negativentwicklung umdrehen.<br />

Alle zehn bis 15 Jahre müssen wir vielleicht auch mal einen<br />

Bereich schließen. Aber wir haben ein sehr ausgefeiltes Controlling.<br />

Preisentwicklungen und Marktindikatoren muss man<br />

auf dem Schirm haben. So gehen wir zum Beispiel davon aus,<br />

dass der Verbrennungsmotor in 20 Jahren eine untergeordnete<br />

Rolle spielt. Unser Mantra zur Krisenvermeidung heißt<br />

auch: Wir müssen die besten Kunden haben, denn sie sind<br />

zwar anspruchsvoll, aber auch strategisch gut aufgestellt. ~<br />

u Mehr unter www.<strong>return</strong>-online.de<br />

Erfinder-Gigant<br />

aus Minnesota<br />

Fünf Partner gründeten im Jahr 1902 die „Minnesota<br />

Mining & Manufacturing Company“ (3M), um Mineralvorkommen<br />

zum Herstellen von Schleifpapier zu<br />

nutzen. Vom Hauptsitz St. Paul im US-Bundesstaat<br />

Minnesota legte das Unternehmen früh mit Innovationen<br />

in Technik und in Marketing die Basis für den<br />

weltweiten Erfolg. Heute nutzen rund 8.000 Forscher<br />

insgesamt 45 eigene Technologie-Plattformen, um Erfindungen<br />

für Arbeit, Medizin und Freizeit hervorzubringen;<br />

bis jetzt verbrieft in 100.000 registrierten Patenten.<br />

Weltweit erzielt 3M in 70 Ländern mit knapp<br />

90.000 Mitarbeitern mehr als 30 Milliarden US-Dollar<br />

Umsatz; davon in Deutschland mit rund 6.700 Beschäftigten<br />

mehr als zwei Milliarden Euro.<br />

www.3mdeutschland.de<br />

Foto: Bernd Hegert<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Majority Report<br />

Krankheiten vorhersagen und entgegenwirken – das ist eine Vision von Philips, weshalb<br />

der Konzern jetzt radikal für den digitalen Megamarkt im Gesundheitswesen umbaut.<br />

Text: Armin Hingst<br />

Kabellose Schmerztherapie, per App<br />

gesteuert: Einmal aufgeladen, liefert<br />

das Gerätetandem „PulseRelief“<br />

smartphone-überwacht transkutane<br />

elektrische Nervenstimulation<br />

(TENS). Das lindert laut Philips „geringe<br />

bis moderate Muskel- und Skelettschmerzen,<br />

Arthrose oder allgemeine<br />

chronische Schmerzen.“<br />

Fotos: Philips<br />

Ob LED-Lampe, Kopfhörer, DVD-Rohlinge, Rasierer,<br />

Küchenmaschine, Staubsauger, Fernseher oder Tischgrill<br />

– irgendein Produkt mit dem Schriftzug Philips findet<br />

sich vermutlich in jedem deutschen Haushalt. Eher selten<br />

fällt der Blick dagegen<br />

auf einen Magnetresonanztomographenn<br />

oder<br />

ein Ultraschallgerät.<br />

Dabei setzt das Unternehmen<br />

insbesondere<br />

auf Medizintechnik und<br />

Produkte fürs Gesundheitswesen.<br />

Dies gilt vor<br />

allem für Deutschland.<br />

Hier hat der niederländische<br />

Traditionskonzern<br />

etwa 4.900 Mitarbeiter,<br />

die deutsche<br />

Gesellschaft ist überdies<br />

auch Leitwolf für den gesamten deutschsprachigen Markt.<br />

Vom Allzweck-Elektrogerätehersteller zum Gesundheitsspezialisten,<br />

den Weg hat Philips schon früh eingeschlagen.<br />

Bereits 2007 schwor sich der Konzern in der „Vision 2010“<br />

auf die drei Kernbereiche Gesundheitswesen, Konsumelektronik<br />

und Beleuchtung ein und schafft es damit, einer veritablen<br />

Krise zu entgehen. Dieser Weg der Fokussierung wurde<br />

auf Konzernebene nicht nur weiterverfolgt, sondern noch<br />

intensiviert: Philips bot Teile seiner Lichtsparte über die<br />

Börse Euronext zum Verkauf, nachdem der Plan scheiterte,<br />

das Beleuchtungsgeschäft außerbörslich an Investoren zu<br />

veräußern – unter anderem hatten amerikanische Aufsichtsbehörden<br />

Widerstand signalisiert. Der Börsengang lief zwar<br />

etwas zäher als gedacht, in zwei Tranchen konnte der Konzern<br />

Ende Mai und Anfang Juni aber doch über 43 Millionen<br />

Aktien der Lichtsparte mit LED und Autolicht-Komponenten<br />

für insgesamt gut 860 Millionen Euro verkaufen.<br />

Jetzt hält er noch gut 71 Prozent an seinen Lichtaktivitäten.<br />

Der Konzernumbau beschränkt sich nicht auf abstrakte<br />

Zahlen, sondern ist insbesondere in Deutschland auch mit<br />

konkreten Veränderungen vor Ort verbunden. Im neuen Bürogebäude<br />

in Hamburg-Fuhlsbüttel zum Beispiel hat – ganz<br />

ähnlich wie bei vielen Start-ups – keiner mehr einen eigenen<br />

Wearables und Apps fürs persönliche Gesundheitsmanagement: Bei Philips laut<br />

eigener Aussage keine Trend-Gimmicks, sondern „geprüfte Medizinprodukte“.<br />

Raum. Den Chef eingeschlossen. Peter Vullinghs, Vorsitzender<br />

der Geschäftsleitung von Philips Deutschland: „Workplace<br />

Innovation, kurz WPI, ist ein Konzept, das Philips<br />

bereits in über 30 Standorten in der Welt lebt. In Hamburg<br />

ist es sehr positiv angekommen,<br />

ebenso wie<br />

vorher in Wien. Auch in<br />

unseren Entwicklungsstandorten<br />

finden Sie offene<br />

Arbeitsflächen. Uns<br />

ist es wichtig, dass die<br />

Mitarbeiter eine intensive<br />

Kommunikation untereinander<br />

leben – hier<br />

hat sich jede Abteilung<br />

so eingerichtet, wie es<br />

für sie am effizientesten<br />

ist.“ Vullinghs ist seit gut<br />

einem Jahr in Hamburg,<br />

zuvor leitete der Manager, der ein Philips-Eigengewächs ist,<br />

die russische Landesgesellschaft. Er kam, um den Umbau<br />

voranzutreiben, der von der Aufteilung des Unternehmens<br />

in den Medizintechnik- und den Konsumgüterbereich einerseits<br />

und die zum Börsenverkauf aufzustellende Philips<br />

Lighting geprägt war. Das hat offenbar geklappt. Vullinghs<br />

führt das auf offenes Miteinander zurück. „Kommunikation<br />

und Transparenz ist für mich am wichtigsten. Wir haben<br />

viele Monate der Umstrukturierung hinter uns. Unsere Mitarbeiter<br />

haben wir von Beginn an mit auf diese Reise genommen<br />

und in regelmäßigen gemeinsamen Terminen oder<br />

auf einer eigens aufgesetzten Intranet-Seite permanent auf<br />

dem Laufenden gehalten. Heute freuen wir uns sehr über die<br />

wenige Tage alte Aussage unseres CEOs Frans van Houten,<br />

dass für Philips der Markt in der D-A-CH-Region einer der<br />

ersten ist, der unsere neue Strategie verstanden hat, und wo<br />

erste Projekte implementiert werden.<br />

Dazu gehört auch eine Kooperation mit dem Startupbootcamp<br />

Digital Health Berlin. Dieses ist eines von inzwischen<br />

weltweit 13 „Beschleuniger“-Programmen der Initiative Startupbootcamp,<br />

der es darum geht, schnell Ideen und Investoren<br />

zusammenzubringen. Für Philips ist die angekündigte Zusammenarbeit<br />

nur folgerichtig. „Wir suchen uns Partner, mit<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Vorher - nachher: In einem Projekt mit der Charité steuert Philips seine Kompetenzen bei der Licht- und Medizintechnik bei, um Intensivstationen<br />

angenehmer zu machen – das hilft nachweislich auch diesen Patienten, wie Studien zeigen.<br />

Magnetresonanztomographen sind bei Nutzern weniger präsent als<br />

Fernseher, die gar nicht mehr zum Philips-Konzern gehören.<br />

CareSage: Mit vernetzten Krankendaten soll das Philips-System in der<br />

Lage sein, Krankheitsverläufe vorherzusagen.<br />

denen wir die digitale Reise im Gesundheitsmarkt beschreiten<br />

und mit denen wir gemeinsam im Sinne des Menschen<br />

neue Lösungen entwickeln“, erläutert Vullinghs: „Das hat ein<br />

komplettes Umdenken als Voraussetzung.“<br />

Die Berliner Start-up-Kooperation ist laut Vullinghs einer<br />

der Instrumente, um zu vermeiden, dass man als erfahrener<br />

Player auf seinem eigenen Marktsegment von disruptiven<br />

Newcomern so überholt wird, wie das den Zimmervermietern<br />

mit Airbnb ergangen ist. Allerdings legt der Chef von<br />

Philips Deutschland auch Wert darauf, nicht einfach irgendwelche<br />

Health Apps oder hippe Wearables zu verkaufen.<br />

Nutzer als alleiniger<br />

Herr über Daten<br />

Der bestehenden Konkurrenz wie der Fitnessarmbänder<br />

habe man tiefe Einblicke in den Medizinmarkt voraus:<br />

„Erstens sind unsere Produkte, die Körperwerte aufzeichnen,<br />

offiziell anerkannt und geprüfte Medizinprodukte<br />

– das ist ein großer Unterschied. Zum zweiten sind diese<br />

Produkte in Zukunft alle vernetzt – die Werte werden in<br />

unsere ,Health Suite Digital’-Plattform eingespeist. Wichtig<br />

ist, dass der Nutzer alleiniger Herr über diese Daten ist<br />

und selbst entscheiden kann, wer diese einsehen und weiter<br />

auswerten darf.<br />

Wie konkret diese Vernetzungsideen schon sind, lässt sich<br />

an der Anfang Juni ins Leben gerufenen Kooperation mit<br />

der Rostocker Universitätsmedizin erkennen. Vullinghs:<br />

„Stellen Sie sich vor, Sie leiden unter einer chronischen<br />

Krankheit, wohnen in einem kleinen Dorf auf dem Lande<br />

und müssen bei einem akuten Problem immer wieder viele<br />

Kilometer ins Krankenhaus oder zum Arzt fahren.<br />

Heute werden Sie immer wieder von vorne durchgecheckt.<br />

Eine permanente Kontrolle erkennt frühzeitig, wenn eine<br />

medizinische Behandlung ansteht. So sparen Sie Zeit,<br />

Nerven und Geld. Das gilt auch für die Arztseite. Die<br />

Zukunft sieht so aus, dass diese Möglichkeiten für viele<br />

Krankheiten bestehen und das gesamte Bundesgebiet abdecken<br />

– eine komplett integrierte Versorgung, die sämtliche<br />

Gesundheitsdienstleister miteinander vernetzt. Krankheiten<br />

werden in Zukunft nicht mehr nur bei akuten Symptomen<br />

behandelt. Statt also auf den Trend zu individueller,<br />

gesundheitlicher Selbstoptimierung durch Smartwatches<br />

und Wearables zu setzen, kümmert sich Philips mit seiner<br />

Medizintechnik-Kompetenz lieber darum, Lösungen<br />

für die strukturellen Probleme im Gesundheitsmarkt anzubieten.<br />

Von diesen Problemen gibt es reichlich. Gleich<br />

mehrere Studien konstatierten kürzlich Nachholbedarf in<br />

der deutschen Krankenhaus-Landschaft. Sie stellten finanzielle<br />

Schieflagen in vielen Häusern fest und kommen zum<br />

Schluss, dass die deutsche Krankenhauslandschaft noch<br />

längst nicht über den Berg ist. Zu wenige Investitionen, zu<br />

ineffizient, zu wenig digital, heißt es unisono in der „Krankenhausstudie<br />

<strong>2016</strong>“ von Roland Berger und dem „Krankenhaus<br />

Rating Report <strong>2016</strong>“ des Rheinisch Westfälischen<br />

Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), die Anfang Juni<br />

vorgestellt wurde. Mitträger dieser Untersuchung war Philips<br />

– insofern darf das Resümee natürlich nicht überraschen.<br />

Immerhin kommen die Berater von Roland Berger<br />

aber nahezu zeitgleich auf ähnliche Ergebnisse.<br />

Konsequent stellt Philips sein Engagement im Gesundheitssektor<br />

auf diese strukturellen Probleme ab. Vullinghs<br />

schildert, wie das gehen soll: „In Zukunft verkaufen wir<br />

als Philips nicht mehr nur Geräte an die Krankenhäuser,<br />

sondern fungieren als Berater – wir schauen uns gemeinsam<br />

mit den Klinikbetreibern den Gesamtkomplex Krankenhaus<br />

an und erarbeiten Komplettlösungen, wie sich das<br />

Krankenhaus oder einzelne Abteilungen effizienter aufstellen<br />

sollten. Das startet mit einem Business-Plan, geht über<br />

die Analyse der Infrastruktur von Gebäude und Ausstattung<br />

bis hin zu IT, Service, Coaching der Mitarbeiter und<br />

der Finanzierung.“<br />

Philips in Konkurrenz zu<br />

Toshiba und Siemens<br />

Damit wird Philips kaum allein bleiben, große Medizintechnik-Konkurrenten<br />

mit ähnlich guten Verbindungen<br />

in die deutsche Gesundheitslandschaft wie Toshiba und –<br />

noch verwurzelter – Siemens dürften ähnliche Pläne in der<br />

Schublade haben. Philips sieht sich näher am Endnutzer<br />

und seine Vorteile im Kampf um den Gesundheitsmarkt der<br />

Zukunft vor allem darin, die Potenziale der Datenschätze<br />

zu heben, über die das Unternehmen verfügt. Allein über<br />

die Magnetresonanztomographen seien inzwischen rund<br />

15 Petabytes an Diagnosedaten zusammengekommen,<br />

schätzt man bei Philips.<br />

In den USA analysiert Philips schon seit längerem die Notrufdaten<br />

seiner dort eingesetzten Geräte. Das erlaubt dem<br />

Unternehmen inzwischen schon abzuschätzen, wann demnächst<br />

bei einem Patienten mit einem Sturz zu rechnen ist.<br />

Vullinghs will das fortschreiben: „Alle chronischen Krankheiten,<br />

von Bluthochdruck über Cholesterin bis hin zu<br />

Asthma können permanent überwacht werden. Aber selbstverständlich<br />

auch Krankheitsdaten zu Herz-Kreislauf- oder<br />

auch Krebserkrankungen. Aus all diesen Daten und mit<br />

Hilfe sinnvoller Algorithmen können Diagnosen gestellt<br />

werden, die schon bei der Früherkennung helfen.<br />

Ein sehr gutes Beispiel aus unserem Hause ist CareSage.<br />

Dieser smarte Algorithmus basiert auf unserem Hausnotruf.<br />

Das lernende System kann einen sich verschlechternden<br />

Gesundheitszustand vorhergesagen. CareSage wird<br />

in den USA bereits länger genutzt. Studien belegen, dass<br />

dadurch Kosten eingespart werden, da Krankentransporte<br />

und Krankenhausaufenthalte reduziert werden.“ Dass sich<br />

die Aktivitäten in den USA nicht einfach aufs datensensible<br />

Deutschland übertragen lassen, ist dem Neu-Hamburger<br />

Vullinghs natürlich klar. Auch wenn Philips in allen Fällen<br />

„die höchstmögliche Sicherheit der Daten der Anwender“<br />

gewährleiste, stelle Deutschland bei diesem Thema Philips<br />

„vor größere Herausforderungen als zum Beispiel Amerika.“<br />

Zudem bedeutet die Ausgliederung der Lichtsparte nicht,<br />

dass Philips seine Lichtkompetenz für seine Ausrichtung<br />

auf Medizintechnik und Gesundheit außen vorlässt. So bietet<br />

Philips spezielle Geräte an, die zu Hause mit blauem<br />

LED-Licht Rückenschmerzen lindern. Auch im klinischen<br />

Umfeld spielt Licht eine Rolle. In einem Projekt mit der<br />

Berliner Charité geht es laut Vullinghs um die „fundamentale<br />

Umgestaltung von Intensivzimmern“, Lichttechnik von<br />

Philips sowie großformatige LED-Screens sorgen für variable,<br />

angenehme Lichtatmosphäre.<br />

Angenehm sieht inzwischen auch die wirtschaftliche Zukunft<br />

von Philips Deutschland aus (siehe Kasten) – der Weg<br />

ins digitalisierte Gesundheitswesen scheint also auch fürs<br />

Unternehmen heilende Wirkung zu haben. ~<br />

Analysten noch unsicher,<br />

Philips aber zuversichtlich<br />

Konkrete Zahlen zu einzelnen Märkten gebe man<br />

nicht heraus, verweist Philips-Deutschlandchef Peter<br />

Vullinghs (im Bild) auf Konzerngepflogenheiten. Man<br />

sei aber in Deutschland auf einem guten Weg. „Trotz der<br />

Umstrukturierungsmaßnahmen<br />

verbuchten wir 2015 ein gutes<br />

einstelliges Wachstum. Auch in<br />

diesem Jahr beschäftigen wir uns<br />

neben dem so wichtigen Kerngeschäft<br />

mit unserer neuen strategischen<br />

Ausrichtung. Ich blicke<br />

erneut positiv auf den Abschluss<br />

dieses Geschäftsjahres. Für eine<br />

definitive Aussage ist es selbstverständlich<br />

noch viel zu früh.“ Die Analysten sind sich<br />

uneins, wie sie den Weg von Philips bewerten sollen.<br />

Während Ian Douglas-Pennant von der UBS Mitte Juni<br />

sein Kursziel für die Philips-Aktie leicht reduzierte, weil<br />

er die Börsenverkäufe der Lighting Sparte für zu gering<br />

hielt, sieht das Kollege Gael De Bray von der Deutschen<br />

Bank anders. Schon im März betonte er, dass Philips ja<br />

eigentlich schon kein Industriewert mehr sei, sondern<br />

als Medizintechnikwert beurteilt werden müsse, der<br />

von der Erholung des Markts profitiere. Das daraus resultierende<br />

höhere Kursziel behielt die Deutsche Bank<br />

bei. In der Tat sieht der Medizinmarkt in Deutschland<br />

recht passabel aus. Im aktuellen Branchenbericht des<br />

Bundesverbands Medizintechnologie ist zwar zu lesen,<br />

dass man den Heimatmarkt Deutschland stärken müsse.<br />

Im Bericht steht aber auch, dass der Inlandsumsatz<br />

um 13 Prozent auf über 9 Milliarden Euro gestiegen<br />

sei. Die größten Veränderungen erwartet der Verband<br />

im Bereich der Digitalisierung. Philips hat also offenbar<br />

seine Hausaufgaben gemacht. Statista zufolge geht es<br />

nach der Ausgliederung der TV-Sparte 2011 jedenfalls<br />

mit den Gesamtumsätzen in Deutschland langsam, aber<br />

stetig nach oben. Der Dienst weist für 2015 1,357 Milliarden<br />

Euro aus, etwas mehr als im Vorjahr.<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Reine Zukunftsmusik<br />

China: Vorausschau nur in erlaubten Szenarien<br />

Text: Finn Mayer-Kuckuk, Peking<br />

Innovator auf Überschallreisen<br />

USA: Dirk Ahlborn schafft mit Hyperloop neue Mobilität<br />

Text: Kerstin Zilm, Los Angeles<br />

Chinas Manager verfolgen bisher mehrheitlich einen<br />

praktischen Ansatz: Was heute funktioniert, wird heute<br />

gemacht. Der Gegenwartsbezug ist zum Teil eine Lehre<br />

aus der jüngeren Geschichte: Die staatliche Ideologie und<br />

damit die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft haben<br />

sich im Zickzack zwischen totaler Kollektivierung und<br />

hemmungsloser Marktwirtschaft bewegt. „Ich sehe in China<br />

nach dem amerikanischen Experiment einen neuen Managementstil<br />

heranwachsen“, sagt Charles-Édouard Bouée,<br />

Vorstandsvorsitzender der Strategieberatung Roland Berger<br />

und Autor des Buches „China‘s Management Revolution“.<br />

Wichtiger als eine ausgefeilte Strategie seien in China „Visionen<br />

und Taktik“.<br />

Für die Suchmaschine Baidu entsteht in China eine eigene Abteilung für<br />

Futurologie unter dem klangvollen Namen „Verne-Projekt“.<br />

Doch was in den Boom-Jahrzehnten gut funktioniert hat,<br />

weicht langsam einer langfristigeren Perspektive. Die Wirtschaftslenker<br />

gewöhnen sich an den Gedanken, dass es ihre<br />

Firmen auch in der nächsten Generation noch geben wird.<br />

Die Frage nach der Zukunft rückt daher langsam in den<br />

Vordergrund. „Immer mehr Firmen beschäftigen sich mit<br />

diesem Thema, obwohl Futurologie in China meist noch ein<br />

Fremdwort ist“, sagt Qin Linzheng, Chefberater der Chinesischen<br />

Gesellschaft für Zukunftsstudien und Professor an<br />

der Chinese Academy of Social Sciences (CASS).<br />

Qin ist ein Veteran der chinesischen Zukunftsforschung.<br />

Schon in den 60er-Jahren hat die Kommunistische Partei<br />

ihn beauftragt, sich dazu international zu vernetzen. Sie<br />

erhoffte sich davon wertvolle Erkenntnisse für den Aufbau<br />

des Sozialismus. Sein Projekt kam jedoch wegen politischer<br />

Wirren immer wieder unter die Räder. In den vergangenen<br />

Jahren blühte die Disziplin aber auf. „Selbst im Militär gab<br />

es eine Einheit für Zukunftsstudien, doch sie wurde wegen<br />

der heiklen Natur ihrer Erkenntnisse wieder geschlossen“,<br />

erzählt Qin. In den meisten Firmen geht es bisher nicht<br />

um eine große Vision, wie Gesellschaft und Lebensweise<br />

in mehreren Jahrzehnten aussehen. „Oft stehen einfach<br />

Marktprojektionen am Anfang der Beschäftigung mit der<br />

Zukunft“, sagt Qin. Doch gerade Technikunternehmen wird<br />

dabei schnell klar, dass der künftige Markt einerseits vom<br />

Lebensumfeld abhängt, andererseits vom technischen Fortschritt.<br />

Ergebnis: Langfristplanung ist nicht ohne Erkenntnisse<br />

zu den künftigen Rahmenbedingungen möglich.<br />

Doch dieser Ansatz stößt heute – wie schon damals in den<br />

Pioniertagen von Professor Qin – auf ideologische Probleme.<br />

Denn aus Sicht der Partei in Peking ist nur eine Variante von<br />

Zukunftsszenarien erlaubt: Solche, in denen die allein regierende<br />

Partei das Volk in eine wohlhabende und glückliche<br />

Zukunft führt. Ein Machtverlust der Kommunisten oder ein<br />

zwischenzeitlicher Zusammenbruch sind Themen, die Forscher<br />

oder Journalisten ins Gefängnis bringen können.<br />

Großer Markt für<br />

Profi-Vorausschau<br />

Unter chinesischen Science-Fiction-Autoren kursiert daher<br />

ein Witz: Das größte Problem für chinesische Zukunftsromane<br />

ist die Zukunft. Im Idealfall handeln ihre Storys von<br />

Szenarien, in denen China weltweit enorme Bedeutung<br />

erlangt hat, während die Partei international großen Respekt<br />

genießt. Auch Qin kennt die Grenzen seiner Arbeit<br />

genau: „Unsere Zukunftsstudien beschäftigen sich nicht mit<br />

Ideologie.“ Am einfachsten seien Projektionen im Bereich<br />

Technik oder Konsumentenverhalten. Die Gesellschaft für<br />

Zukunftsstudien ist staatlich finanziert, doch in fünf Jahren<br />

soll sie unabhängig werden und sich durch Auftragsarbeiten<br />

und Dienstleistungen selbst tragen. Bis dahin, hofft Qin, ist<br />

ein ausreichend großer Markt für professionelle Vorausschau<br />

entstanden.<br />

Die Suchmaschine Baidu geht derweil mit dem Aufbau einer<br />

eigenen Abteilung für Futurologie voran, auch wenn diese<br />

bisher dem Vernehmen nach nur aus einem Mitarbeiter<br />

besteht. Einen klangvollen Namen hat sie jedoch schon: Das<br />

„Verne-Projekt“ soll einmal künstliche Intelligenz nutzen,<br />

um ähnlich visionäre Voraussagen zu liefern wie der französische<br />

Schriftsteller Jules Verne im 19. Jahrhundert. ~<br />

Dirk Ahlborn lehnt entspannt im Stuhl, Hände hinter<br />

dem Kopf verschränkt, während Mitglieder seines<br />

Teams Zitate und Sprüche an die fast weiße Bürowand<br />

schreiben. „Wird die Geschichte deinen Namen kennen?“,<br />

lautet das Motto für die Bonmots<br />

zur Motivation in der neuen<br />

Hyperloop-Zentrale von Los<br />

Angeles. Die Magnetbahn soll<br />

Passagiere wie Rohrpost transportieren.<br />

Der Plan ist, dass sie<br />

in Kapseln durch ein Rohr jagen<br />

und zwar mit einer Geschwindigkeit<br />

von mehr als tausend<br />

Stundenkilometern. „Ich will<br />

große Probleme lösen“, erklärt<br />

der Chef von Hyperloop Transportation<br />

Technologies (HTT):<br />

„Effektive Transportmöglichkeiten zu schaffen, mit denen<br />

Reisende eine gute Erfahrung verbinden, ist eine der größten<br />

Herausforderungen unserer Zeit.“ Der 49 Jahre alte Berliner<br />

stellt sich dieser Herausforderung mit einer leidenschaftlichen<br />

Crew, dessen Mitglieder bisher kein Geld bekommen,<br />

sondern die Option auf Aktienanteile. Sie wollen alle vor allem<br />

dabei sein, bei der Überschallreise in die Zukunft.<br />

Für Ahlborn ist der Hyperloop auch ein Test seiner Vision<br />

von moderner Unternehmensbildung. Er will via Crowdsourcing<br />

größte Talente aus aller Welt zu einer Bewegung<br />

zusammenbringen, die die Welt verändert. Dafür gründete<br />

er 2012 die Plattform „JumpStartFund“. Wenig später<br />

brachte Tesla-Gründer Elon Musk die Idee einer Art Überschall-Rohrpost<br />

für die Strecke zwischen San Francisco und<br />

Los Angeles ins Gespräch. Ahlborn ging ein Licht auf: „Das<br />

war das ideale Projekt, um unsere Plattform zu testen.“<br />

Keine Musk-Millionen<br />

für revolutionäre Ideen<br />

Musk selber sei an HTT nicht beteiligt, betont Ahlborn<br />

mehrfach. Das ist so wichtig, weil es dem Sohn eines Tischlers<br />

und einer Bäckereiverkäuferin auch darum geht zu beweisen,<br />

dass man keine Millionen braucht, um revolutionäre<br />

Ideen umzusetzen: „Wenn dir jemand sagt, etwas ist nicht<br />

machbar, heißt das ja nur, dass er nicht weiß, wie es geht. Du<br />

kannst es herausfinden.“ Kaum hatte Ahlborn seine Hyperloop-Plattform<br />

ins Netz gestellt, bekam er 200 Bewerbungen.<br />

Mit rund 100 Mitstreitern aus aller Welt entwickelte er<br />

das Projekt bis zur Machbarkeitsstudie. Investorenangebote<br />

lehnte er in dieser ersten Phase ab. Er jobbte als „Uber“-<br />

Fahrer und vermietete seine Wohnung in Strandnähe bis<br />

er rausflog und auf Sofas von<br />

Freunden schlafen musste. Das<br />

Fazit des Unternehmers: „Wenn<br />

du ein Team von Menschen zusammenstellst,<br />

die mit Leidenschaft<br />

an dasselbe Ziel glauben<br />

wie du, macht es Spaß und du<br />

schaffst es.“<br />

Früh hatte er herausgefunden,<br />

dass er nicht zum Angestellten<br />

taugt. „Ich wollte schon immer<br />

Dirk Ahlborn „will große Probleme lösen“ mit dem Transportsystem<br />

Hyperloop.<br />

etwas Eigenes machen, arbeite<br />

viel, bin eher rebellisch, stelle<br />

alles infrage und kann mich schlecht an Regeln halten.“ Die<br />

ersten Start-ups gründete er in Italien, 2009 folgte er einer<br />

Freundin nach Kalifornien. Sie heirateten und bekamen<br />

zwei Kinder. Seine Ersparnisse waren schnell verbraucht, er<br />

kellnerte, half als Buchhalter in einem Start-up und hatte<br />

zweitweise drei Jobs. Nebenher entwickelte Ahlborn eigene<br />

Geschäftsideen. „Ich glaube, selbst wenn ich alleine auf einer<br />

einsamen Insel mit nur einer Kokospalme wäre, würde<br />

ich überlegen, wie man damit Geld verdienen kann.“ Die<br />

Ehe zerbrach, doch Ahlborn blieb in Kalifornien, auch um<br />

in der Nähe seiner zwei Söhne zu sein. Dann kam die Idee<br />

mit dem Hyperloop.<br />

Inzwischen arbeiten mehr als 550 Mitarbeiter aus über 40<br />

Firmen in aller Welt an dem Konzept. Die Machbarkeitsstudie<br />

ist abgeschlossen und ergab: Mit der Vakuum-Magnetbahn<br />

können Passagiere die 570 Kilometer in gut einer<br />

halben Stunde zurücklegen. HTT akzeptiert nun Investorengelder<br />

und entwickelt erste Strecken.<br />

Ahlborn arbeitet mit der slowakischen Regierung an einer<br />

Acht-Minuten-Verbindung zwischen Bratislava und Wien.<br />

Außerdem soll noch diesen Sommer der Bau des ersten Hyperloops<br />

im kalifornischen Quay Valley beginnen. Dieser<br />

Ort existiert nur auf dem Reißbrett als Vision eines anderen<br />

Innovators, der dort eine energieautarke Stadt bauen will.<br />

„Impossible enough to be possible“, hat Dirk Ahlborn an<br />

seine Bürowand geschrieben. Unmöglich genug, um möglich<br />

zu sein. Für ihn bedeute das: Es ist leichter, die Welt zu<br />

verändern, als das zigste WhatsApp zu bauen. ~<br />

Foto: Hyperloop Transportation Technologies<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Fahrerlose Zukunft<br />

Singapur: Autonome Autos als nationale Mission<br />

Text: Mathias Peer, Bangkok<br />

„Anderes Risiko“<br />

Südafrika: Dieter Ammer sieht Chancen<br />

Text: Claudia Bröll, Kapstadt<br />

Wenn Karl Iagnemma in Singapur die Fortbewegungsmittel<br />

der Zukunft testet, ist das eine emotionale Angelegenheit.<br />

„Zu Beginn herrscht die totale Angst“, sagt der<br />

Unternehmer über den Gefühlszustand<br />

der Passagiere, die er<br />

erstmals mit fahrerlosen Autos<br />

auf die Straßen des südostasiatischen<br />

Stadtstaates schickt. Das<br />

Erlebnis ist gewöhnungsbedürftig:<br />

Das Lenkrad des umgerüsteten<br />

Mitsubishi bewegt sich automatisch,<br />

eine Software steuert<br />

den Wagen im Alleingang durch<br />

den Verkehr.<br />

Nach dem anfänglichen Schrecken<br />

legen die meisten Tester<br />

ihre Berührungsängste laut Iagnemma<br />

aber schnell ab. Die Passagiere<br />

spielten sogar aus Neugier am Lenkrad herum – nur<br />

um zu sehen, was passiert, erzählt der Gründer des Start-ups<br />

„nuTonomy“. Dass Singapurs Einwohner schnell Vertrauen<br />

in die Technologie gewinnen, ist für ihn von großer Bedeutung:<br />

Schon 2018 soll „nuTonomy“ in der Lage sein, den Regelbetrieb<br />

einer fahrerlosen Taxi-Flotte zu starten.<br />

Pilotprojekte zentral<br />

koordiniert und gefördert<br />

Die schnellen Fortschritte des erst drei Jahre alten Unternehmens,<br />

das Investoren als einen der wichtigsten Pioniere des<br />

autonomen Fahrens neben Konzernen wie General Motors<br />

und der Google-Mutter Alphabet beschreiben, verdankt das<br />

Start-up auch einem Standortvorteil: Während die Tech-<br />

Firmen in Europa und den USA weitgehend isoliert voneinander<br />

an ihren selbstfahrenden Autos arbeiten, hat sich<br />

Singapurs Regierung vorgenommen, eine Vielzahl von Pilotprojekten<br />

zentral zu koordinieren und zu fördern.<br />

Pang Kin Keong, Staatssekretär in Singapurs Transportministerium,<br />

tritt bei dem Thema als oberster Innovationsmanager<br />

seiner Heimat auf. „Wir laden Firmen und Forschungseinrichtungen<br />

ein, ihre Technologien in realen Verkehrsverhältnissen<br />

zu testen“, sagt er und preist die Möglichkeiten der<br />

zentralistischen Regierung: „Wir stellen finanzielle Ressourcen<br />

bereit und sind in der Lage, Genehmigungsverfahren<br />

zu beschleunigen, damit die Tests mit minimalem Aufwand<br />

schnell auf die Straße kommen.“ Damit möchte Singapur sein<br />

Ziel erreichen, selbstfahrende Autos innerhalb der nächsten<br />

Dekade als festen Bestandteil des Verkehrssystems zu etablieren.<br />

Das Land will so mehrere<br />

Probleme auf einen Schlag<br />

lösen: die überfüllten Straßen<br />

entlasten, den Fachkräftemangel<br />

im Transportgewerbe bekämpfen<br />

und durch die effizientere<br />

Fahrzeugnutzung mehr Platz<br />

für Grünflächen schaffen. Ende<br />

2015 stellte Pang den Fahrplan<br />

Singapurs zur Etablierung der<br />

autonomen Mobilität vor. Inzwischen<br />

sind Pilotprojekte bereits<br />

in vielen Teilen der Stadt<br />

Das Team des Start-ups „nuTonomy“ testet auf Singapurs Straßen<br />

seine Selbstfahrerautos – gefördert durch die Regierung. ein Thema.<br />

In der Parkanlage „Gardens by<br />

the Bay“ kutschierte ein selbstfahrender Bus schon Touristen<br />

über das 100 Hektar große Gelände. Der Service soll in<br />

diesem Jahr den regulären Betrieb starten. Zudem will das<br />

halbstaatliche Transportunternehmen SMRT gemeinsam<br />

mit der niederländischen Technologiefirma „2getthere“ bis<br />

zum Jahresende fahrerlose Minibusse etablieren – etwa für<br />

den Einsatz auf großen Firmengeländen. Auch in der Logistikbranche<br />

gibt es Experimente: Entlang einer Autobahn<br />

will die Regierung den Einsatz fahrerloser Lastwagen testen<br />

lassen. „nuTonomy“ ist die erste private Firma mit der Erlaubnis,<br />

ihr System auf Singapurs öffentlichen Straßen zu<br />

testen. Dass die Regierung auch mit anderen Partnern auf<br />

dem Gebiet zusammenarbeitet, sieht das Unternehmen als<br />

Vorteil. Die staatliche Koordinierung ermögliche es, mehr<br />

Tests abzuschließen, als es eine Firma alleine leisten könnte,<br />

sagt Doug Parker, der bei dem Start-up für das operative<br />

Geschäft zuständig ist. Das ermögliche eine schnellere Weiterentwicklung.<br />

Zudem schätzt der Manager, dass der Stadtstaat auch Pilotversuche<br />

unter realen Bedingungen unbürokratisch ermöglicht.<br />

„Dadurch können wir zeigen, dass die Technik wirklich<br />

funktioniert“, sagt Parker. Zumindest Singapurs Behörden<br />

scheinen davon fest überzeugt zu sein: Neben Risikokapitalgebern<br />

beteiligte sich bei der jüngsten Finanzierungsrunde<br />

auch eine staatliche Investmentgesellschaft an „nuTonomy“.<br />

Wenn die selbstfahrenden Taxis bald Erfolg haben, ist das für<br />

Singapur dann auch finanziell ein Gewinn. ~<br />

Foto: nuTonomy<br />

Der Ex-Tchibo-Chef ist ein Afrika-Kenner. Seit 15 Jahren ist er als<br />

Unternehmer dort tätig. Seine Private-Equity-Gesellschaft TriVest<br />

investiert in Pharma, erneuerbare Energien und Financial Services.<br />

Herr Ammer, McKinsey hat Afrikas Volkswirtschaften<br />

2010 als „Lions on the move“ bezeichnet. Sind die Löwen<br />

noch in Bewegung?<br />

Dieter Ammer: Aktuell ist die Lage wegen der niedrigen<br />

Rohstoffpreise nicht gut. Ich glaube dennoch, dass sich der<br />

Kontinent auf gutem Wege befindet. Die politische Lage ist<br />

stabiler als früher, es gibt bessere Infrastruktur,<br />

die Mittelschicht wächst. Auf<br />

der „Ease of Doing Business“-Rangliste<br />

der Weltbank liegen acht Länder aus<br />

dem südlichen Afrika vor Brasilien. Das<br />

bedeutet gute Geschäftschancen, aber<br />

man muss anders vorgehen als in Deutschland.<br />

Und zwar wie?<br />

In Deutschland konzentrieren sich Unternehmer auf ein<br />

spezielles Geschäft. In Afrika ändern sich die Dinge zu<br />

schnell. Dort braucht man ein anderes, an Afrika angepasstes<br />

Risikomanagement.<br />

Also eine breite Diversifizierung?<br />

Ja, man kann entweder in verschiedenen Ländern oder Branchen<br />

aktiv sein. Erfolgreiche afrikanische Unternehmer bauen<br />

Konglomerate auf, die beispielsweise von Telekommunikation<br />

über Zement bis zu Dienstleistungen reichen. Das<br />

kann man auch im Kleinen nachahmen.<br />

Welche Branchen haben Zukunftspotenzial?<br />

Hoch interessante Bereiche sind Bildung, Sicherheit, Erneuerbare<br />

Energien und Infrastruktur. Auch Konsumgüter sind<br />

spannend, allerdings tritt man gegen eine starke Konkurrenz<br />

internationaler Konzerne an.<br />

„Erfolgreiche afrikanische<br />

Unternehmer bauen<br />

Konglomerate auf.“<br />

Egal, wo man in Afrika hinkommt, die Chinesen sind immer<br />

schon da. Haben deutsche Unternehmen eine Chance?<br />

China ist ein großer Wettbewerber und ein großes Problem.<br />

Aber China stabilisiert auch Afrika. Das ist ein wichtiger<br />

positiver Nebeneffekt. Die Chinesen kommen mit dem<br />

schwierigen, manchmal korrupten Wirtschaftsleben in Afrika<br />

besser zurecht als wir. Sie gehen härter vor. Das macht sie<br />

nicht beliebt, aber oft sind sie die Sieger.<br />

Ist Korruption aus dem Wirtschaftsleben wirklich nicht<br />

wegzudenken?<br />

Das Verständnis von Demokratie ist ein anderes als in Europa.<br />

In Afrika wird die Wahl in eine politische Position als<br />

Berechtigung verstanden, sich Wohlstand zu verschaffen.<br />

Man versucht deshalb, lange an der Macht zu bleiben und<br />

ein dichtes Beziehungsnetz in der Wirtschaft zu spannen.<br />

Gilt das auch in Südafrika?<br />

Die Korruption hat sehr zugenommen. Sie reicht heute bis<br />

zur obersten Regierungsebene. Auch die<br />

Politik des Black Economic Empowerment<br />

trägt dazu bei. Leider ist daraus<br />

ein Bereicherungsprogramm für eine<br />

kleine schwarze Elite geworden.<br />

Was bedeutet das für den deutschen Mittelständler?<br />

Fast jedes Unternehmen braucht schwarze Lieferanten und<br />

Geschäftspartner, um die BEE-Vorgaben zu erfüllen. Das<br />

stellt vor allem für ausländische Betriebe eine Herausforderung<br />

dar. Man muss sorgfältig prüfen, ob diese Partner wirklich<br />

existieren, ob sie Steuern bezahlen, welche Beziehungen<br />

zur Regierung bestehen. Wir haben daher eine Wirtschaftsauskunftei<br />

aufgebaut. Compliance, die Einhaltung unternehmerischer<br />

Regeln, ist ein schwieriges Thema in ganz<br />

Afrika, aber lösbar.<br />

Die Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa reißen<br />

nicht ab. Hat dies Auswirkung auf die dortigen Geschäfte?<br />

Aus deutscher Sicht sind die vielen Flüchtlinge Besorgnis<br />

erregend, aber nicht aus afrikanischer Sicht. Nicht die hoch<br />

qualifizierten Kräfte flüchten. Die Bevölkerung wächst stark.<br />

Die deutsche Regierung muss jedoch in der Entwicklungspolitik<br />

umdenken. Deutsche Mittelständler, die dort Arbeitsplätze<br />

schaffen und ausbilden, wo die Flüchtlinge herkommen,<br />

sollten Unterstützung bekommen. ~<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Vision possible<br />

Fantasien aus Film oder Buch – heute Realität<br />

Text: Rahel Willhardt<br />

Foto: Leia Display<br />

Foto: Daimler AG<br />

Stufen vorm Beamen<br />

Träume vom Transit<br />

Im Raumschiff Enterprise hieß es: „Auf den Schirm!“ –<br />

bar jeder räumlichen Distanz half dann die große Leinwand,<br />

mit Abwesenden zu kommunizieren. Captain Kirk<br />

ist zweifellos der prominenteste Vorreiter – aber mitnichten<br />

der erste.<br />

Schon 1911 erzählt Hugo Gernsback in der Zukunftsnovelle<br />

„Ralph 124C 41“ von einem „Telephot“, einer Videoleinwand,<br />

die per Knopfdruck mit anderen verbindet.<br />

Im Stummfilmklassiker „Metropolis“ (1927) werden Befehle<br />

übers Bildtelefon erteilt. Keine sechs Jahre später nimmt<br />

die Deutsche Reichspost eine „Gegenseh-Fernsprechanlage“<br />

in ausgesuchten Ämtern in Betrieb. Heimtaugliche Modelle<br />

kündigt Amerikas Telefontechnikgesellschaft Western<br />

Electric ab 1958 an. Trotz jahrelanger Forschung blieben die<br />

Apparate zu teuer, zu klobig und lieferten zu wenig Bild.<br />

Heute gelten sie als eine der kostspieligsten Entwicklungsflops<br />

in der Telekommunikation.<br />

Was die visuelle Fernkommunikation doch noch im Massenmarkt<br />

ankommen ließ, war die Computertechnik. Genau<br />

genommen machten kostenlose Auslandsgespräche von<br />

„Sky peer-to-peer“, kurz: Skype, die Bildtelefonie populär.<br />

Das Unternehmen war vor zehn Jahren Ebay 2,6 Milliarden<br />

US-Dollar wert, fünf Jahre drauf übernahm Microsoft für<br />

8,5 Milliarden.<br />

Bildschirme sind nur ein Zwischenbehelf. Das lassen „Microsoft<br />

Holoportation“ oder das von Leia Display angekündigte<br />

Hologramm-Telefon erahnen. Über 3-D-Screens (im<br />

Bild) kommuniziert man mit Gesprächspartnern: lebensgroß<br />

und interaktiv. Schon gesehen? Genau: In „Star Wars“<br />

nimmt Ki-Adi-Mundis Konterfei am Jedi-Meeting teil. ~<br />

Lachende Gesichter im futuristischen Fahrzeug-Rund.<br />

Als Comic ist der Traum vom unfallfreien und genussvollen<br />

Transport gezeichnet. Was nach einer aktuellen<br />

Kampagne für fahrerlose Autos klingt, war vor 60 Jahren<br />

im Zukunfts-Advertorial des US-Magazins „A Boys Life“<br />

zu sehen. In einem Punkt lag die Vision jedoch falsch: Sie<br />

verortete Lenktechnik in der Straße – das erste, von Google<br />

vor drei Jahren vorgestellte, autonome Auto, koordiniert<br />

eine selbstleitende Kamera, Algorithmen und Daten.<br />

Filmvisionen folgend steht die Autointelligenz erst am<br />

Anfang: 1968 schuf Disney mit dem tollen Käfer Herbie<br />

eine menschliche Persönlichkeit. Ab 1982 bekämpft der<br />

sprechende Sportwagen „K.I.T.T.“ mit David Hasselhoff<br />

in „Knight Rider“ das Übel der Welt. Und in „Total Recall“<br />

treibt ein sprachgesteuerter E-Chauffeur fast Arnold<br />

Schwarzenegger zum Wahnsinn – der erste seiner Art war<br />

1911 im Kurzfilm „The Automatic Motorist“ zu sehen. Allen<br />

Blechvisionen gemein ist die emphatische Weitsicht,<br />

mit der sie Unwägbares meistern. Eben das beschäftigt die<br />

Googles und die Teslas dieser Welt.<br />

Behält „IHS Automotiv“ recht, sind 2025 bereits 4,5 Millionen<br />

computergesteuerte Autos in China unterwegs. Ob<br />

das Land dann das Innovationslead übernimmt, ist offen.<br />

Sicher ist: Konzerne wie Changan machen dem Silicon<br />

Valley ernsthaft Konkurrenz. Auch deutsche Hersteller<br />

rüsten mit Modellen wie dem Mercedes F 015 Luxury (im<br />

Bild) allmählich auf – und kehren damit gewissermaßen<br />

zurück zu den Wurzeln. Denn vor 125 Jahren prognostizierte<br />

Gottlieb Daimler den Autobedarf auf maximal eine<br />

Million Stück – weil es an Chauffeuren mangele. ~<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Foto: Italian Co-op‘s Press office<br />

Foto: Henn-na Hotel<br />

Verständnis von Kunden<br />

Empfehlung von Maschinen<br />

Werbung flimmert entlang der Gänge des Shopping<br />

Centers. Zu sehen bekommen Passanten aber nur,<br />

was ihren Interessen, Gemütslagen oder Gewohnheiten entspricht.<br />

Die Iris-Erkennung macht’s möglich – zumindest<br />

im Film „Minority Report“, den Steven Spielberg 2002 nach<br />

Philip K. Dicks Geschichte von 1956 drehte.<br />

Automatische Identifizierung verbietet der deutsche Datenschutz,<br />

aber die Vision vom gläsernen Konsumenten hält<br />

das nicht auf. Digitale Warenhausriesen wie Amazon zeigen,<br />

welche Absatzmacht in Individualdaten über Such- und<br />

Kaufverhalten steckt. Nun ersinnt der Flächenhandel Wege,<br />

Einkäufer zu verstehen. Im Herbst stellte Coop ihren Supermarkt<br />

der Zukunft auf der Expo in Mailand vor (im Bild).<br />

Per Handwink verraten hier Displays überm Obststand Eigenschaften<br />

wie etwa Herkunftsland, Chemikalien oder den<br />

ökologischen Früchte-Foodprint. Zeitgleich erfasst Technik<br />

die Interaktion und zieht konsumrelevante Rückschlüsse.<br />

Und bei „Westfield“ in Australien kennt der Shoppingmall-<br />

Betreiber zumindest jene Kunden gut, die Einkäufe in der<br />

„Searchable Mall“ online vorbereiten. Vorselektiert im Netz<br />

führt die App vor Ort direkt zum Wunschprodukt – und<br />

zeigt Alternativen und Cross-Selling-Angebote auf. Ergebnis:<br />

Bons und Besuchshäufigkeit stiegen.<br />

Scanner-Kassen waren der erste Meilenstein zum bedarfsorientierten<br />

Einkauf: Strichcodes machten jedes Produkt unverwechselbar.<br />

Und die Kassentechnik tagesaktuell klar, wann<br />

und wie oft was gekauft wurde. Das leitet seither Einkaufsund<br />

Sortimentspolitik. Bis Händler, Hersteller und Kassenhersteller<br />

vom Strichcode überzeugt waren, dauerte es indes:<br />

1948 erfunden, verständigte man sich in Deutschland erst<br />

1977 auf einen einheitlichen Strichcode, und bis weit in die<br />

80er-Jahre hinein zauderten Hersteller und große Ketten. ~<br />

Der Rezeptionist begrüßt den Gast des „Henn-na Hotel“<br />

auf Hario Island: „Kann ich Ihnen helfen?“. In der<br />

weltweit ersten Roboter-Herberge stellt die Frage allerdings<br />

ein menschartiger Blechkollege oder ein Dino (im Bild). Im<br />

Vorreiterland Japan ist das nur ein Beispiel für Maschinen,<br />

die „geistige“ Arbeit verrichten. In der „Soft Bank“ beraten<br />

die ersten Andoiden, die Emotionen lesen können. Bei Hitachi<br />

optimieren beflissene „Big Data“-Verwerter die Prozesse<br />

und weisen Mitarbeiter ein. Das sparte acht Prozent Kosten.<br />

Die Wissenschaft meint, im Jahr 2<strong>03</strong>0 sind Mensch und<br />

Maschine gleich klug. Ein Quantensprung gelang der künstlichen<br />

Intelligenz 2011, als der IBM-Supercomputer „Watson“<br />

die humanen Champions in der US-Quizshow „Jeopardy!“<br />

schlug. Das bewies: E-Hirne verstehen unbekannte<br />

Fragen und speisen die richtige Antwort schneller aus ihren<br />

Daten als topfitte Homo sapiens. Heute arbeitet Watson als<br />

E-Doktor: Gefüttert mit zigtausenden Falldaten, diagnostiziert<br />

er Krebs und unterbreitet Therapien. Dabei gelingt ihm<br />

in wenigen Minuten, wozu Ärzteteams Tage brauchen. Aber<br />

fehlt da nicht Einfühlungsvermögen? Im Massachusetts Institute<br />

of Technology ist man da optimistisch. In einem Versuch<br />

unterwiesen Manager die eine und Roboter die andere<br />

Gruppe. Anschließend befragt, fühlten sich Mitarbeiter vom<br />

E-Chef besser verstanden.<br />

Erdacht wurden die menschgleichen Maschinen vor fast 100<br />

Jahren: 1921 lässt Karel Capek im Drama „R.U.R.“ die zu<br />

stumpfsinniger Arbeit gezwungenen Roboter rebellieren.<br />

Gut 60 Jahre später ist der Auftritt des Wissenschaftsoffiziers<br />

„Ash“ im Horrorfilm „Alien“ derart menschlich, dass<br />

es sein Cyborg-Wesen verschleiert. Enterprise-Bordoffizier<br />

„Lt. Commander Data“ statuiert ab 1987 gar neue Führungsexempel:<br />

Er empfiehlt statt zu befehlen. ~<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Zukunft managen<br />

Qualität entscheidet über unternehmerischen Erfolg<br />

Text: Pero Mićić<br />

Den Blick gezielt auf Menschen wie die eigenen Führungskräfte richten, in deren Köpfen schon jetzt Zukunftsbilder bestehen, sollten Unternehmen.<br />

Foto: eternalcreative<br />

Die Zukunft managen? Was für ein Unsinn, könnte man<br />

denken. Wie naiv, ein Unternehmen über fünf oder gar<br />

zehn Jahre vorauszuplanen. Zudem: Was man nicht greifen,<br />

messen, zählen und wiegen kann, das kann man auch nicht<br />

managen. Heutzutage muss man doch auf Sicht segeln, da<br />

im Nebel einer schnellen komplexen Umwelt in allen Richtungen<br />

Überraschungen auftauchen können. Oder? Meine<br />

Antwort ist ein entschiedenes Nein. Denn je schneller sich<br />

das geschäftliche Umfeld ändert, je komplexer es wird, umso<br />

größer wird der Bedarf an und<br />

die Sehnsucht nach Orientierung,<br />

Sicherheit, Chancen und Vision.<br />

Aber womöglich irren gestandene<br />

Führungskräfte in ihrer Einschätzung,<br />

was die Bedeutung eines<br />

systematischen Zukunftsmanagements<br />

angeht.<br />

Ein zentrales Problem im Umgang<br />

mit der Zukunft sind Begriffsverwirrungen. Denn es<br />

gilt festzulegen, was „die Zukunft“ aus unternehmerischer<br />

Perspektive ist. Zukunft wird im Wesentlichen so verstanden,<br />

dass es darum ginge, sie vorauszusagen oder darum, sehr<br />

langfristige Pläne zu machen. Dabei ist beides vergleichsweise<br />

sinnlos. Denn es geht weder um das Eine, noch um das<br />

Andere – weder um Vorhersage noch um Langfristplanung.<br />

Im Gegenteil: Zukunftsmanagement hat für das menschliche<br />

Gehirn vor allem dann einen Wert, wenn es im Hier und<br />

Jetzt eine Wirkung hat. Deshalb ist Zukunftsmanagement<br />

nichts anderes als der zielgerichtete Umgang mit den Zukunftsbildern<br />

in den Köpfen von Menschen im Hier und<br />

Jetzt. Jede Einschätzung, jede Entscheidung und jede Tat<br />

wird bestimmt vom Bild der Zukunft, das der Handelnde<br />

im Kopf hat. Nicht nur die Wahrnehmung der Gegenwart<br />

bestimmt unser Denken und Handeln, sondern auch die<br />

Wahrnehmung der Zukunft.<br />

Beobachtet und befragt man Menschen danach, was sie an der<br />

Zukunft interessiert, treten regelmäßig genau fünf verschiedene<br />

Bedürfnisse zutage. Diese fünf Sehnsüchte sind tief emotional<br />

verankert. Wer die Zukunft denken, Strategie entwickeln<br />

und vor allem Menschen für die Zukunft interessieren und sie<br />

mitnehmen will, kann an diesen fünf „Zukunftsbrillen“, wie<br />

wir sie nennen, nicht vorbei. Genau diese fünf Bedürfnisse<br />

zählen auch bei Unternehmern und Führungskräften. Sie lassen<br />

sich in fünf Kernfragen zusammenfassen:<br />

„Zukunftsmanagement hat für<br />

das menschliche Gehirn dann<br />

einen Wert, wenn es im Hier<br />

und Jetzt eine Wirkung hat.“<br />

Was kommt auf uns zu? Die gesamte europäische Solarzellen-Industrie<br />

hatte offenbar die Zukunftsannahme, dass<br />

die asiatischen Konkurrenten nicht schnell genug und nicht<br />

gut genug bleiben werden. Ex-Microsoft-Chef Steve Ballmer<br />

lachte laut, als er von Apples Plan erfuhr, ein Telefon<br />

ohne Tastatur für über 500 Dollar auf den Markt zu bringen.<br />

Bei Loewe dominierte die Zukunftsannahme, dass Röhrenfernseher<br />

noch sehr lange die von Konsumenten gegenüber<br />

Flachbildschirmen bevorzugte Fernsehtechnik sein werden.<br />

Unternehmen scheitern primär<br />

wegen falscher Zukunftsannahmen<br />

über den Kundenbedarf, die<br />

Marktentwicklung, Technologien<br />

oder politisch-gesellschaftliche<br />

Rahmenbedingungen. Unternehmer<br />

können wunderbar ohne<br />

Zukunftsforschung auskommen.<br />

Aber niemand kommt ohne Annahmen<br />

über die Zukunft aus. Unternehmerische Entscheidungen<br />

sind zwangsläufig mehr oder minder starke Festlegungen<br />

für die Zukunft. Stellt man Mitarbeiter ein oder<br />

entlässt sie, investiert man in eine Niederlassung oder macht<br />

es nicht, erschließt man ein neues Geschäftsfeld oder nicht<br />

– diese Entscheidungen basieren immer auf Zukunftsannahmen.<br />

Jedes Führungsteam hat meist unausgesprochene, nicht aufgeschriebene<br />

und oft sogar unbewusste Annahmen darüber,<br />

was kommt, was bleibt und was geht. Zukunftsannahmen, im<br />

Unterschied zu Prognosen, sind in erster Linie Werkzeuge<br />

der Frühwarnung. Ihr Zweck ist, sie gegen die heute wahrnehmbaren<br />

Umfeld-Veränderungen zu spiegeln und damit so<br />

früh wie möglich zu erkennen, wann und dass Strategie geändert<br />

werden muss. Das ist nicht Prognostik, sondern auf gezielter<br />

Aufmerksamkeit basierende Diagnostik. Verwunderlich,<br />

dass die meisten Unternehmen den Zukunftsannahmen<br />

ihrer Führungskräfte so wenig Aufmerksamkeit widmen.<br />

Was könnte uns überraschen? Wenig ist der menschlichen<br />

Natur wichtiger als das Gefühl von Sicherheit. Die Angst vor<br />

dem Ungewissen lässt sich lindern, indem man sich bewusst<br />

den potenziellen Überraschungen und Bedrohungen stellt.<br />

Nur so kann eine Ausrichtung, Vision und Strategie nach<br />

bestem Wissen zukunftsrobust gemacht werden.<br />

Kaum ein Produkt, kaum eine Dienstleistung und kaum ein<br />

Geschäftsmodell ist vor plötzlicher Substitution und Disruption<br />

geschützt. Das Mobil-Telefon hat unzählige Produkte<br />

ersetzt wie Kameras, Taschenrechner oder Navigationsgeräte.<br />

Plattform-Geschäfte wie Uber und AirBnB zerstören traditionelle<br />

Branchen wie Taxis und Hotels. Und wenn Blockchain<br />

erst in der Breite genutzt wird, werden Notare, Buchhalter,<br />

Banker und Dutzende anderer Berufe ihrer Grundlage beraubt.<br />

Gerade weil es immer mehr Überraschungen gibt,<br />

müssen verantwortungsbewusste Entscheider existenziell bedrohliche<br />

Überraschungen auf den Schirm holen.<br />

Welche Chancen haben wir, unsere Zukunft zu gestalten?<br />

Hierzulande drängt sich besonderes die Frage auf, wie die<br />

nahezu vollständig auf Verbrennungsmotoren ausgerichteten<br />

Automobil-Zulieferer die nächsten Jahrzehnte mit zunehmender<br />

Elektrifizierung des Antriebs überstehen. Das dritte<br />

menschliche Bedürfnis in Sachen Zukunft gilt den Chancen<br />

und Optionen, den Gestaltungsmöglichkeiten einer besseren<br />

Zukunft. Die Grenzen der Vorstellungskraft sind die Grenzen<br />

des Erfolges. Antworten sind gefragt, wovon das Unternehmen<br />

und seine Mitarbeiter morgen leben wird, was man<br />

aus dem Unternehmen entwickeln kann und was mit Geschäftsbereichen<br />

und Produkten geschehen soll.<br />

Wer Chancen sucht, muss erkennen, wofür Kunden heute<br />

wirklich zahlen. Und man muss Gestaltungspielraum dafür<br />

schaffen, wofür sie morgen zahlen. Dann ist besser zu kalkulieren,<br />

mit welchen Technologien, Lösungen, Produkten,<br />

Leistungen und Geschäftsmodellen die erwünschten Wirkungen<br />

zu erzielen sind. Es gilt konkret zu begreifen, welche<br />

Kundenprobleme durch 3D-Druck, Kurzpuls-Laser, Datenbrillen,<br />

preiswerte Gentests, die Blockchain und andere Technologien<br />

preiswerter oder überhaupt erst lösbar sein werden.<br />

Die ganze Welt der Kreativität und der Innovation ist dieser<br />

schöpferischen Zukunftsperspektive anzusiedeln.<br />

Wo führen wir hin? Mehr als jemals zuvor sehnen sich Menschen<br />

heute nach Orientierung. Die Warema AG sagt, dass<br />

sie nicht mehr Sonnenschutz-Spezialist, sondern Sonnenlicht-Manager<br />

sind. Das ist eine klare und besondere Mission<br />

und Positionierung. Der führende Sonnenlicht-Manager zu<br />

sein und das Beste aus Sonnenlicht zu machen – dies ist ein<br />

faszinierendes und langfristig sinnstiftendes Zukunftsbild.<br />

Wer Menschen führt, muss viele Fragen beantworten können:<br />

Wo er sie hinführen will, auf welches gemeinsame Zu-<br />

kunftsbild alle Projekte und Initiativen zulaufen, zu welchem<br />

Zweck alle Ressourcen eingesetzt werden, welches anziehende<br />

Zukunftsbild die Führungskräfte ihren Mitarbeitern anzubieten<br />

haben, und wofür sie sich engagieren und begeistern<br />

sollen. Es geht um den Sinn – heute und auf absehbare Zukunft.<br />

Und darum, wie motivierend und robust die Ausrichtung,<br />

Mission, Vision und Strategie ist. Die ferne Zukunft<br />

ist dabei weniger wichtig als die Vision in Sichtweite, aber<br />

noch außer Reichweite. Die Ausrichtung und Vision ist der<br />

Kern jeder Unternehmensstrategie. Ohne Vision verzetteln<br />

sich Leidenschaften, Energien und Ressourcen. Deshalb geht<br />

eine schwache Vision auf Kosten der Ertragskraft.<br />

Was tun wir als nächstes? Die Zeit des Langfristplans, groß<br />

und durchgerechnet, ist vorbei. Agilität gilt als Maxime der<br />

Gegenwart. Agil ist die Strategie, die in kurzen Intervallen<br />

– Sprints genannt – ein langfristiges Zukunftsbild verfolgt.<br />

Nach jedem Sprint wird die Situation neu analysiert und der<br />

nächste Sprint geplant. So wird Zukunft ganz pragmatisch<br />

gemacht.<br />

Zukunftsmanagement<br />

ist nicht delegierbar<br />

Es sind die fünf menschlichen Bedürfnisse, die den Kern<br />

dessen ausmachen, was wir Zukunftsmanagement nennen.<br />

Das Zukunftsbild der Führungskräfte ist die Grundlage aller<br />

Entscheidungen. Zukunftsmanagement kann und muss man<br />

als zentrale unternehmerische Aufgabe sehen. Als Aufgabe,<br />

die nicht delegierbar ist. Denn das eigene, tief in der Psyche<br />

verankerte Zukunftsbild kann man sich nicht einkaufen.<br />

Man kann es nur in sich entstehen lassen. Deshalb bestimmt<br />

die Qualität des Zukunftsmanagements den unternehmerischen<br />

Erfolg. ~<br />

Der Autor ist Gründer und Vorstand der FutureManagementGroup<br />

AG, gegründet im<br />

Jahr 1991 und damit Pionier für Zukunftsmanagement<br />

im deutschen Sprachraum.<br />

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SCHWERPUNKT<br />

Ihr Spezialist für die neuen Möglichkeiten<br />

der Sanierung unter Insolvenzschutz<br />

Guru oder Wissenschaftler<br />

Gastkommentar: Zukunftsforschung statt Trendsuche<br />

Text: Reinhold Popp, Salzburg<br />

hww wienberg wilhelm Insolvenzverwalter<br />

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und am Erfolg der Sanierung<br />

lasse ich mich messen.“<br />

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Sanierungsberater - Insolvenzverwalter<br />

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E-Mail: wilhelm@hww.eu<br />

Die heutige öffentliche Kommunikation über die Zukunft<br />

wird leider weniger von der Zukunftswissenschaft,<br />

sondern vor allem von Trend-Gurus geprägt. Seit<br />

der US-amerikanische Autor<br />

John Naisbitt im Jahr 1982 den<br />

scheinwissenschaftlichen Bestseller<br />

„Megatrends“ publizierte,<br />

steht dieser Begriff für einen<br />

simplifizierenden Zukunftsdiskurs.<br />

Dabei wird die Komplexität<br />

und Dynamik zukunftsrelevanter<br />

Entwicklungsprozesse<br />

auf eine kleine Zahl von unausweichlich<br />

wirkenden und alles<br />

bestimmenden Trends reduziert.<br />

Gegentrends werden nicht berücksichtigt<br />

und die Zukunft<br />

erscheint als eine von wenigen<br />

Megatrends erzwungene Entwicklung.<br />

In dieser simplen Logik ist die Entwicklung der<br />

Zukunft quasi alternativlos und deshalb recht einfach vorherzusagen.<br />

Dazu passen auch die religionsähnlich anmutenden posthumanistischen<br />

Zukunftsvisionen des Direktors der Entwicklungsabteilung<br />

von Google, Raymond Kurzweil, der im Silicon<br />

Valley von einer künstlichen Super-Intelligenz träumt<br />

und den Menschen als Auslaufmodell betrachtet.<br />

Auch im Bereich der strategischen Frühaufklärung stellt sich<br />

das schon vom Trend-Diskurs bekannte leidige Problem ein,<br />

dass seriöse Konzepte wie das vom Management-Theoretiker<br />

Igor Ansoff entwickelte Konzept der „weak signals“<br />

letztlich von manchen selbsternannten Zukunftsexperten<br />

bis zur Unkenntlichkeit verkürzt werden. So wird mithilfe<br />

des Begriffs „schwache Signale“ der Mythos kultiviert, dass<br />

die mit einem hellseherischen Sensorium ausgestatteten<br />

Prognose-Profis schon in der Gegenwart die zukünftigen<br />

Entwicklungen erspüren und so die Chancen und Gefahren<br />

für Wirtschaft und Politik frühzeitig erkennen könnten. Von<br />

manchen Zukunfts-Beratern wird der fragwürdige Begriff<br />

„Zukunftsradar“ verwendet. Dieser Begriff soll die Fähigkeit<br />

zum Anpeilen von Objekten in der Zukunft und zum Empfang<br />

von Signalen aus der Zukunft suggerieren.<br />

Einige dieser Zukunfts-Gurus bezeichnen sich übrigens<br />

selbst gerne als „Zukunftsforscher“. Da die benutzte Berufsbezeichnung<br />

der Forscher nicht rechtlich geschützt ist, bleibt<br />

der seriösen Zukunftswissenschaft gar nichts anderes übrig,<br />

als möglichst viele Menschen von der qualitätssichernden<br />

Forderung zu überzeugen: „Wo Forschung draufsteht, muss<br />

auch Forschung drin sein!“<br />

Die Zukunftswissenschaft bzw.<br />

Zukunftsforschung ist eine junge<br />

Disziplin, die sich seit rund sieben<br />

Jahrzehnten von den USA<br />

aus global verbreitet hat und eng<br />

verwandt ist mit Ansätzen wie<br />

der Innovationsforschung, der<br />

strategischen Planung, der Technikvorausschau,<br />

der Technikfolgenforschung<br />

und der Risikoforschung.<br />

Forschungsprojekte<br />

und Lehrangebote zum weiten<br />

Man muss kein Einstein sein, um die Zukunft zu erforschen,<br />

Themenspektrum gibt es heute<br />

sollte das Morgen aber wissenschaftlich erkunden.<br />

weltweit. An 23 Universitäten in<br />

18 Ländern gibt es auch entsprechende<br />

Studiengänge, in Deutschland am Institut Futur der<br />

Freien Universität Berlin. Außerdem existieren 13 zukunftswissenschaftliche<br />

Zeitschriften und eine wissenschaftliche<br />

Fachgesellschaft zur internationalen Vernetzung der Zukunftsforscherinnen<br />

und -forscher, die „World Futures Studies<br />

Federation“.<br />

Zukunftsforschung kann für die Vorausschau und Planung in<br />

wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Institutionen<br />

wichtige Beiträge leisten, indem sie wissenschaftlich<br />

fundiertes plausibles Wissen über Entwicklungsmöglichkeiten<br />

und Handlungsoptionen produziert, Chancen, Risiken<br />

und Gefahren herausarbeitet, Handlungsspielräume aufzeigt<br />

und erste Innovationsschritte wissenschaftlich begleitet. Genau<br />

das – nicht mehr und nicht weniger – kann Zukunftsforschung<br />

leisten. Nicht leisten kann sie dagegen die von<br />

den Zeitgeistmedien so sehnsüchtig nachgefragte und von<br />

wissenschaftsfernen Foresight-Beratern so bereitwillig angebotene<br />

Vorhersage, wie die Zukunft wirklich wird. ~<br />

Foto: istock.com/Antoniooo<br />

Der Autor erforscht als Hochschullehrer systematisch<br />

Zukunftswissenschaft, vor allem in<br />

Salzburg, Wien und Innsbruck. Derzeit<br />

lehrt er am Institut Futur der Freien Universität<br />

Berlin und an der „Sigmund Freud<br />

PrivatUniversität Wien“.<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Richtig erarbeitete Szenarien lassen für Unternehmen „echte Landkarten künftiger Möglichkeiten“ entstehen.<br />

Unangenehme Erwartungen zählen auch dazu, um daraus realistische Strategien abzuleiten.<br />

Landkarten der Zukunft<br />

Wie Neues überrascht, ohne zu überrumpeln<br />

Viele Unternehmen versuchen, ihre langfristige Zukunftsplanung<br />

auf Prognosen aufzubauen, die mehr<br />

oder weniger aus Erfahrungen und vergangenheitsorientiertem<br />

Datenmaterial gespeist werden. „Big Data“ und „Predictive<br />

Analytics“ gelten als Heilsbringer auf dem Weg zur<br />

perfekten Vorhersage. Das mag in eng umgrenzten Themenfeldern<br />

und bei kurzfristigen Fragestellungen genau der richtige<br />

Weg sein – bei der mittel- und langfristigen Ausrichtung<br />

von Unternehmen gleicht der Einsatz von Prognosen nur zu<br />

oft der Fahrt auf einer kurvenreichen Bergstraße. Allerdings<br />

mit verklebter Frontscheibe und angestrengtem Blick in den<br />

Rückspiegel.<br />

Dies zeigt sich deutlich an Fehlurteilen renommierter Experten.<br />

So prognostizierte eine große Beratungsgesellschaft für<br />

das Jahr 2000 einen weltweiten Bedarf an Mobiltelefonen von<br />

900.000 Stück – der Produktion von drei Tagen. Microsoft-<br />

Gründer Bill Gates hielt 1995 das Internet für „just a hype“.<br />

Ben Bernanke, später US-Notenbankchef, glaubte noch 2004<br />

daran, die Politik könne die Konjunktur so weit im Griff haben,<br />

„dass sie keine schweren Krisen mehr verursachen kann.“<br />

Die Zunahme von Vielfalt und Dynamik in Märkten, Branchen<br />

und unternehmerischen Umfeldern lässt selbst verbesserte<br />

Prognose-Instrumente scheitern. Daher kommt einem<br />

zweiten Instrument große Bedeutung zu – den Zukunftsszenarien.<br />

Sie bilden nicht mehr ab, was sein wird, sondern was<br />

sein könnte. Dabei ist es das Ziel, alternative Möglichkeiten<br />

vorauszudenken, um auf diese Weise bessere Entscheidungen<br />

treffen zu können. Szenarien sind keine Strategien. Sie<br />

stellen mögliche Rahmenbedingungen fest, auf die ein Un-<br />

Text: Alexander Fink<br />

ternehmen künftig stoßen könnte. Etwa wie der Branchenwettbewerb<br />

sich entwickelt, wie Kundenanforderungen und<br />

Marktstrukturen sich verändern, oder wie die Wertschöpfung<br />

aussieht. Für sie betrachtet man zudem, wie sich generelle<br />

Einflussfaktoren auf Unternehmen auswirken – Demografie,<br />

Regulierung, Digitalisierung oder globale Sicherheit.<br />

Wie ein Wetterbericht<br />

für künftiges Geschäft<br />

Szenarien sind also so etwas wie ein Wetterbericht für künftiges<br />

Geschäft. Im Unterschied zu Trends und Prognosen, die<br />

häufig von Beratern und Trendforschern erstellt und geliefert<br />

werden, entstehen Szenarien in einem offenen Dialogprozess<br />

im Unternehmen. Dazu wird ein Szenarioteam zusammengestellt,<br />

dem Personen aus unterschiedlichen Geschäfts- und<br />

Funktionsbereichen angehören – nach Möglichkeit auch<br />

Personen mit unterschiedlichen Hintergründen, Perspektiven<br />

und Meinungen. In dem Szenarioprozess wird somit<br />

das Zukunftswissen der Organisationen strukturiert und zusammengeführt.<br />

Das Szenarioteam kann um Kunden, Lieferanten,<br />

Netzwerkpartner oder andere externe Innovatoren<br />

erweitert werden, um zusätzliche Impulse zu berücksichtigen.<br />

Zur Entwicklung von Szenarien ist es wichtig, sich vom klassischen<br />

Prognose-Denken zu verabschieden: Wahrscheinlichkeiten<br />

spielen keine Rolle. Stattdessen müssen die Teilnehmer<br />

lernen, in Szenarien zu denken. Die Szenarien selbst<br />

sind dann wie Bildbände aus der Zukunft. Sie vermitteln<br />

eine Vorstellung davon, wie ein Unternehmen in der Zukunft<br />

Foto: ktsimage<br />

agieren muss. Mit Szenarien ist es möglich, sich in eine bestimmte<br />

Zukunft hineinzuversetzen, um deren Dynamik zu<br />

verstehen. Sie helfen, Chancen und Gefahren besser zu erkennen<br />

und auf Veränderungen<br />

zu reagieren.<br />

Aus einzelnen Szenarien lassen<br />

sich strategische Entscheidungen<br />

schwierig ableiten. Unwägbarkeiten<br />

greifen, ob ein Szenario<br />

so eintreten wird oder ob es<br />

doch anders kommt. Daher ist es für Unternehmer und Planer<br />

wichtig, neben den einzelnen Szenarien auch den kompletten<br />

Raum im Blick zu haben. Dazu zählen Weggabelungen,<br />

Marktumfeld-Entwicklungen oder Pfad-Erkennungen.<br />

Wenn Szenarien richtig erarbeitet werden, dann entstehen<br />

nicht nur spannende Bildbände, sondern auch echte Landkarten<br />

künftiger Möglichkeiten. Dazu ist es notwendig,<br />

unterschiedliche Szenarien zu entwickeln – auch mit unangenehmen<br />

oder weniger wahrscheinlichen Zukünften. Die<br />

Erfahrung in vielen Szenario-Prozessen zeigt, dass die Visualisierung<br />

von großer Bedeutung ist.<br />

Szenarien – Jahre nutzen,<br />

aber stets neu bewerten<br />

Szenarien werden so entwickelt, dass sie mehrere Jahre genutzt<br />

werden können. Um aber die vielfach schnellen Veränderungen<br />

erfassen zu können, werden die Szenarien in regelmäßigen<br />

Abständen bewertet – nach jeweils heutigem Stand<br />

und/oder geänderten Zukunftserwartungen. Dieser Abgleich<br />

zur Bewertung ähnelt dem Finger auf der Landkarte.<br />

Szenarien sind Denk-Werkzeuge, aus denen Chancen, Gefahren<br />

und Handlungsoptionen abgeleitet werden können.<br />

Im Strategieprozess wird aber auch die Frage gestellt, auf<br />

Basis welcher Szenarien die eigenen Entscheidungen zu treffen<br />

sind. Dabei kommt abermals die Szenario-Bewertung<br />

ins Spiel. Denn sie beeinflusst maßgeblich die Entscheidung<br />

zwischen der fokussierten Planung, die auf einzelne Szenarien<br />

gestützt ist, und zukunftsrobuster Planung, die mehreren<br />

Umfeld-Entwicklungen gerecht wird.<br />

Je flexibler ein Unternehmen ist, desto eher kann es fokussiert<br />

agieren. Je ungewisser das Umfeld ist, desto stärker ist<br />

der Druck, sich zukunftsrobust aufzustellen. Szenarien sind<br />

also ein Werkzeug, mit dem Komplexität und Ungewissheit<br />

handhabbar gemacht werden.<br />

Zusätzlich zu den beschriebenen Umfeld-Szenarien können<br />

zwei weitere Formen von Szenarien genutzt werden: So lassen<br />

sich die eigenen Handlungsmöglichkeiten in Form von<br />

konsistenten Zukünften entwickeln und aufbereiten. Solche<br />

Strategieszenarien verdeutlichen den eigenen Strategieraum<br />

und erleichtern die Loslösung von tradierten Strategiekonzepten.<br />

Kann ein Unternehmen seine Branchen- und<br />

Rahmenbedingungen aktiv beeinflussen, können zudem<br />

Systemszenarien entworfen werden, mit denen neue Wertschöpfungsarchitekturen<br />

oder zukünftige Ökosysteme dargestellt<br />

werden. Nicht alle Ergebnisse eines Szenario prozesses<br />

müssen umgehend zu Entscheidungen führen. Es geht ums<br />

„Denken auf Vorrat ist wertvoll,<br />

um für die Zukunft schnelle und<br />

flexible Entscheidungen zu treffen.“<br />

Generieren von Orientierungswissen. Das Denken auf Vorrat<br />

ist ebenfalls wertvoll, um für die Zukunft schnelle und<br />

flexible Entscheidungen zu treffen. Die Zeit, die Unternehmen<br />

in eine gemeinsame Diskussion<br />

von zukunftsrelevanten<br />

Themen investieren, ist meist<br />

zu gering. Das liegt daran, dass<br />

negative Erfahrungen mit nicht<br />

zielgerichteten Diskussionen gesammelt<br />

wurden. Der systematische<br />

Prozess der Szenario-Entwicklung enthält verschiedene<br />

Foren, führt zu einem gemeinsamen Ergebnis und schafft<br />

zielführende Zukunftsdiskussionen. Bekannte Instrumente<br />

der Unternehmensführung wie Prognosemodelle, Simulationen<br />

oder einfache Trendbetrachtungen scheitern, wenn es um<br />

komplexe Fragestellungen wie die Zukunft der Mobilität, des<br />

Gesundheitswesens oder der Digitalisierung geht. Da in Szenarien<br />

qualitative Entwicklungen einzelner Schlüsselfaktoren<br />

betrachtet und verknüpft werden, eignet sich dieses Instrument<br />

für komplexe Fragestellungen.<br />

Viele Veränderungsprozesse scheitern nicht an der Einsicht,<br />

sondern an der inneren Vorstellung. Doch im Umgang mit<br />

der Zukunft ist es notwendig, sich von Erfahrungen zu lösen.<br />

Es gilt, offen für neue Sichtweisen zu sein. Szenarien können<br />

diesen Prozess nachhaltig unterstützen.<br />

Unternehmensstrategie<br />

kein Monopol der Spitze<br />

Strategische Unternehmensentwicklung darf nicht ein Monopol<br />

von Vorständen und Geschäftsführungen sein. Mit<br />

Szenarien lässt sich das Wissen weiterer Führungskräfte auf<br />

eine inspirierende Weise in den Prozess integrieren. Das bedeutet<br />

nicht, dass die oberste Führungsebene die finale Entscheidung<br />

aus der Hand gibt. Aber die Umsetzungsebene<br />

muss heute integriert sein. Szenarien sind dazu da, dass Unternehmen<br />

ihre Zukunftsbilder besser verstehen und damit<br />

ihre Möglichkeit erkennen, mit Kunden, Partnern, Politikern<br />

oder der breiten Öffentlichkeit in einen Dialog zu treten. Sie<br />

verstehen sich insofern als Kartografen der Zukunft und öffnen<br />

damit das Unternehmen. ~<br />

Weitere Informationen:<br />

Alexander Fink / Andreas Siebe:<br />

Szenario-Management – Von strategischem<br />

Vorausdenken zu zukunftsrobusten Entscheidungen,<br />

Campus, Frankfurt, <strong>2016</strong><br />

Der Autor ist Gründungsinitiator und Mitglied<br />

des Vorstands der Scenario Management International<br />

AG, eine der führenden Dienstleister<br />

für die Entwicklung und Anwendung von Zukunftsszenarien.<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Agil führen<br />

Neues Leadership für veränderungsfähige Organisationen<br />

Text: Moritz von Campenhausen<br />

Nudge Management<br />

Moderne Führung steuert Verhalten mit sanften Stupsern<br />

Text: Wolfgang Freibichler<br />

Die Vorstellung, was gute Führung bedeutet und wie<br />

das Ideal einer guten Führungskraft aussieht, ändert<br />

sich so schnell wie die Anforderungen der Umwelt an die<br />

Entscheider. War in den 80er-Jahren eher der stringente,<br />

durchsetzungsstarke, auf Prozess und Effizienz getrimmte<br />

Manager gefordert, wünschte man sich in den 90ern und<br />

2000ern den unternehmerischen Typ, der als Visionär neue<br />

Wege beschreiten sollte.<br />

Frühere Führungskonzepte basierten auf relativ klaren und<br />

stabilen Rahmenbedingungen. Wenn Ziele festgelegt und<br />

die Situation analysiert waren, griffen bestimmte Maßnahmen<br />

aus einem definierten Methodenbaukasten. Das funktioniert<br />

heute nicht mehr. Angesichts der extremen Veränderungsgeschwindigkeit<br />

und der Tiefe der Umwälzungen<br />

der neuen Welt aus Volatility, Uncertainty, Complexity and<br />

Ambiguity (VUCA) stoßen herkömmliche Führungsrezepte<br />

an ihre Grenzen.<br />

Einer allein kann es nicht schaffen: Die Vorstellung vom charismatischen<br />

Führer, der alle Probleme bewältigen kann, ist überholt.<br />

Die Unsicherheit bleibt als einzige Konstante. Damit ändert<br />

sich der Blick auf die Führungskraft. Beurteilte man sie<br />

früher allein anhand ihrer Kompetenzen und damit an gezeigten<br />

Fähigkeiten, tritt jetzt als entscheidende Größe das<br />

Potenzial in den Fokus – also das, was noch werden kann:<br />

Wie groß ist ihre Fähigkeit, sich auf Neues, bisher nicht Bekanntes<br />

einzulassen und mit unvorhergesehenen Situationen<br />

fertigzuwerden?<br />

Dazu braucht es Neugier und Mobilisierungskraft, den Willen<br />

zur Selbstreflexion und Offenheit, eine hohe Frustrationstoleranz<br />

und die notwendige Entschlossenheit. Klar ist<br />

auch: Einer alleine kann es nicht schaffen. Die Vorstellung<br />

eines charismatischen Führers, der eine Organisation komplett<br />

hinter sich bringt und so alle Probleme bewältigen kann,<br />

Foto: Jakub Jirsak<br />

ist überholt. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit, Teams<br />

zusammenzustellen, zu orchestrieren und das Beste aus ihnen<br />

herauszuholen. Während 1980 nur ein Fünftel aller Arbeiten<br />

im Team erfolgten, waren es 2010 bereits vier Fünftel. Tendenz<br />

stark steigend. Die hochkomplexen und undurchsichtigen<br />

Situationen der Zukunft verlangen nach ungewöhnlichen<br />

Teams. Das kann so weit gehen, dass diese Teams keine<br />

Führungskräfte im traditionellen Sinne mehr haben, sondern<br />

diese zurücktreten, um denjenigen den Vortritt zu lassen, die<br />

für die jeweilige Aufgabe am geeignetsten sind.<br />

Das Neue aufbauen,<br />

aber das Alte erhalten<br />

Für das Unternehmen bedeutet die Gründung solcher Teams<br />

doppelten Stress. Denn diese thematisch motivierten Gruppen<br />

stehen in der Regel quer zu bestehenden organisatorischen<br />

Strukturen. Aber egal, wie wichtig das Ausprobieren<br />

des neuen Terrains sein mag: Die alte, effiziente Unternehmenswelt<br />

muss weiter funktionieren. Das Neue aufbauen,<br />

aber das Alte erhalten, wo es angemessen ist und es behutsam<br />

weiterentwickeln – diese Spannbreite auszuhalten, ist<br />

die vielleicht größte Herausforderung für Organisationen<br />

und ihre Führungskräfte. Ein Patentrezept für das richtige<br />

Maß gibt es nicht. Hier helfen nur individuelle Lösungen.<br />

Ein radikaler Bruch über Nacht ist weder möglich noch<br />

wünschenswert, denn er bedingt einen Kulturwandel, den<br />

man nicht einfach verordnen kann und der auch nicht für<br />

jeden Bereich gleich angemessen erscheint. Wenn aber alle<br />

zusammen – allen voran die Führungspersönlichkeiten –<br />

verstanden haben, dass Hierarchien und organisierte Strukturen<br />

geringere Bedeutung haben als Fähigkeiten, Einsatzwille<br />

und eine gewisse Fehlertoleranz, dann spricht man von<br />

einem „agilen“ Unternehmen. Darin trägt jeder Einzelne auf<br />

jeder Ebene mehr Verantwortung als früher. Ein Unternehmen<br />

kann sich so flexibler und aktiver in einem stets unvorhersehbaren<br />

Umfeld bewegen. ~<br />

Der Autor leitet die Praxisgruppe „Leadership<br />

Services“ bei Egon Zehnder, der internationalen<br />

Personalberatung für Top-Führungskräfte.<br />

Ein Blick auf die Uhr. Die letzte Stunde ist wie im Flug<br />

vergangen. Das Gehirn hat auf Hochtouren gearbeitet,<br />

die Ideen sprudelten geradezu und jetzt ist der Lösungsweg<br />

glasklar vorgezeichnet: Psychologen sprechen dann vom<br />

„Flow-Zustand“, einer Phase<br />

höchster Konzentration und<br />

Produktivität. Diesen Arbeitsmodus<br />

gezielt anzuregen und<br />

so das Beste aus den Wissensarbeitern<br />

herauszuholen,<br />

avanciert zum wichtigen Management-Ziel<br />

in der digitalisierten<br />

Arbeitswelt. Schließlich<br />

erwarten Kunden eine weitere<br />

Individualisierung und Flexibilisierung<br />

von Produkten und<br />

Dienstleistungen. In Branchen,<br />

in denen die Produktion weitgehend<br />

optimiert wurde, sind<br />

indirekte Bereiche schon heute<br />

ausschlaggebend im Wettbewerb. Als Managementberater<br />

haben meine Kollegen und ich Einblicke in die unterschiedlichsten<br />

Firmen weltweit. Dabei sehen wir, dass der digitale<br />

Wandel vor allem eines auslöst: Verunsicherung. Doch wer<br />

zu lange zögert, riskiert unter Umständen, dass branchenfremde<br />

Firmen das eigene Geschäftsmodell durch ein anderes<br />

ersetzen. Um mit der neuen Geschwindigkeit Schritt<br />

halten zu können, müssen Wertschöpfungsketten vom Lieferanten<br />

bis zum Kunden rationalisiert und automatisiert<br />

werden.<br />

Mitreisende in die richtige Richtung zu lenken, gelingt fähigen<br />

Führungskräften heute auch behutsam.<br />

Agilität bei Google<br />

und Samsung<br />

Diese Aufgabe bereitet so manchem Manager schlaflose<br />

Nächte. Doch es gibt auch Unternehmenslenker, die sich<br />

über die dramatischen Veränderungen freuen. Technologiegrößen<br />

wie Samsung und Google verfügen über einen<br />

entscheidenden Vorteil in unruhigen Zeiten: Agilität. Auf<br />

Veränderungen können sie schnell reagieren und dadurch<br />

profitabel wachsen.<br />

Wie gelingt es diesen Unternehmen, dass ihre Wissensarbeiter<br />

um ein vielfaches produktiver arbeiten, als der durchschnittliche<br />

Ingenieur oder Kaufmann? Klassische Ansätze<br />

zur Produktivitätssteigerung stoßen hier an ihre Grenzen.<br />

Statt Abläufe immer weiter zu standardisieren, werden Freiräume<br />

gezielt geschaffen. Also eher freier Jazz statt strenge<br />

Klassik. Google macht sich beispielsweise die Erkenntnisse<br />

von Vernon L. Smith und Daniel Kahneman, Wirtschaftsnobelpreisträger<br />

des Jahres 2002,<br />

zunutze: Die Tatsache, dass<br />

ein Großteil des menschlichen<br />

Verhaltens auf Instinkten basiert,<br />

wird gezielt eingesetzt,<br />

um Verhalten zu steuern.<br />

Auch einige deutsche Konzerne<br />

und Mittelständler sind dabei,<br />

Erkenntnisse der Verhaltensökonomie<br />

zu nutzen, um<br />

ihre Mitarbeiter sanft in die<br />

Foto: Porsche<br />

richtige Richtung zu lenken.<br />

Der gesunde Salat ist in der<br />

Kantine einfacher zu erreichen<br />

als das fettige Fleisch – denn<br />

auch am Nachmittag wird das<br />

Blut im Kopf benötigt. Wird es in Meetings zu laut, leuchtet<br />

eine rote Lampe – hitzige Debatten beruhigen sich dadurch<br />

schneller. Vor Sitzungen von Arbeitsgruppen werden<br />

kurze Satirefilme gezeigt, bei denen alle über die „ewigen<br />

Bewahrer“ lachen. Die Botschaft kommt an: Bitte Neuland<br />

betreten.<br />

Im angloamerikanischen Raum wird diese Form der Verhaltensbeeinflussung<br />

als „Nudging“, also „Stupsen“, bezeichnet.<br />

Die Politik hat dies bereits aufgegriffen. Im Weißen Haus<br />

gibt es Nudge Units. Und auch die Bundesregierung ist dabei,<br />

Erkenntnisse der Verhaltensökonomie systematisch zu<br />

nutzen. Für Unternehmen bietet Nudging große Chancen,<br />

denn ein Großteil der Lösungen erfordert keine Investitionen.<br />

Zudem sind die „Stupser“ gut skalierbar, können also<br />

schnell im Unternehmen ausgerollt werden. Und da niemand<br />

zu einem bestimmten Verhalten gezwungen wird, ist<br />

mit guter Akzeptanz zu rechnen. ~<br />

Der Autor ist Partner in der Managementberatung<br />

Porsche Consulting mit den Branchenschwerpunkten<br />

Industriegüter und Private<br />

Equity.<br />

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SCHWERPUNKT<br />

SCHWERPUNKT<br />

Ulf Pillkahn,<br />

Professor für Innovationsmanagement und<br />

ehemaliger Leiter Trend-Monitoring Siemens AG:<br />

„Wenn man die Zukunftsforschung abgeschlossen hat,<br />

geht die Arbeit erst richtig los. Das vergessen die meisten.<br />

Handlungsdruck ist erst da, wenn es ein Problem gibt.<br />

Deshalb ist Lernen vor der Krise viel schwieriger<br />

als nach der Krise.“<br />

Reinhold Popp,<br />

Zukunftswissenschaftler aus Salzburg:<br />

„Zukunftsforschung kann wichtige Beiträge<br />

leisten, indem sie plausibles Wissen über<br />

Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen<br />

produziert, Chancen, Risiken und<br />

Gefahren herausarbeitet, Handlungsspielräume<br />

aufzeigt und erste Innovationsschritte<br />

wissenschaftlich begleitet.“<br />

Mathias Peer,<br />

„<strong>return</strong>“-Korrespondent, Bangkok:<br />

„Während die Tech-Firmen in Europa und<br />

den USA weitgehend isoliert voneinander<br />

an ihren selbstfahrenden Autos arbeiten, hat<br />

sich Singapurs Regierung vorgenommen,<br />

eine Vielzahl von Pilotprojekten zentral<br />

zu koordinieren und zu fördern.“<br />

Statements:<br />

Zukunft<br />

managen<br />

Wie Unternehmen mit Agilität und mit Systematik<br />

im Zukunfts- und Innovationsmanagement rechtzeitig<br />

richtig auf Entwicklungen reagieren und<br />

damit frühzeitig Bedürfnisse erkennen –<br />

dafür liefern unsere Interviewpartner und<br />

Autoren im Heft-Schwerpunkt<br />

zahlreiche Beispiele.<br />

Kerstin Zilm,<br />

„<strong>return</strong>“-Korrespondentin, Los Angeles,<br />

in ihrem Porträt über Hyperloop-Chef Dirk Ahlborn:<br />

„Die Magnetbahn soll Passagiere wie Rohrpost<br />

transportieren. Der Plan ist, dass sie in Kapseln durch<br />

ein Rohr jagen und zwar mit einer Geschwindigkeit<br />

von mehr als tausend Stundenkilometern.“<br />

Joerg Dederichs,<br />

Geschäftsführer 3M Deutschland:<br />

„Wir gehen rechtzeitig rein,<br />

wenn die Profitabilität nicht mehr stimmt.<br />

Anders gesagt: Wir reparieren das Dach,<br />

solange die Sonne noch scheint.“<br />

Peter Vullinghs,<br />

Vorsitzender der Geschäftsleitung<br />

von Philips Deutschland:<br />

„Wir suchen uns Partner, mit denen wir<br />

die digitale Reise im Gesundheitsmarkt<br />

beschreiten und mit denen wir gemeinsam<br />

im Sinne des Menschen neue Lösungen<br />

entwickeln. Das hat ein komplettes<br />

Umdenken als Voraussetzung.“<br />

Wolfgang Freibichler,<br />

Partner in der Managementberatung<br />

Porsche Consulting:<br />

„Technologiegrößen wie Samsung und Google<br />

verfügen über einen entscheidenden Vorteil in unruhigen<br />

Zeiten: Agilität. Auf Veränderungen können sie schnell<br />

reagieren und dadurch profitabel wachsen.“<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

„In die Wertschöpfung<br />

des Kunden einbinden“<br />

Digital getriebenen Wandel in der Wirtschaft und passende Dienste für Unternehmen<br />

betont Dr. Ulrich Hermann, scheidender Chef von Wolters Kluwer Deutschland.<br />

Text: Thorsten Garber<br />

66<br />

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Dr. Ulrich Hermann suchte seit seinem Antritt im Jahr 2005 für Kunden nach Expertenwissen<br />

für die Entscheidungsfindung, um mit Inhalten zur Wertschöpfung beizutragen. Der scheidende<br />

Vorsitzende der Geschäftsführung von Wolters Kluwer Deutschland und Mitglied des<br />

europäischen Konzern-Spartenvorstandes war zuvor bei Bertelsmann und im Süddeutschen<br />

Verlag tätig, studierte Ingenieurwissenschaft an der RWTH Aachen und promovierte in Wirtschaftswissenschaften<br />

an der Universität St. Gallen.<br />

Fotos: Wolters Kluwer<br />

Herr Dr. Hermann, nach mehr als zehn Jahren verlassen<br />

Sie Wolters Kluwer. Wie fällt Ihre Bilanz aus?<br />

Ulrich Hermann: Wolters Kluwer Deutschland hat sich unter<br />

meiner Führung vollständig verändert. Als ich 2005 begann,<br />

waren wir ein reines Printhaus,<br />

mit neun starken Verlagsmarken<br />

über elf Standorte verteilt. Das<br />

Geschäft war rückläufig. Heute<br />

wird in Summe über 70 Prozent<br />

des Umsatzes in Deutschland<br />

mit digitalen Lösungen erzielt.<br />

Die Anzahl der Standorte ist<br />

halbiert, gleichzeitig die Belegschaft und der Umsatz verdoppelt<br />

sowie das Ergebnis verdreifacht. Wolters Kluwer<br />

Deutschland operiert konsistent unter einer globalen Marke<br />

und nutzt die Kompetenzen der skalierten Organisation im<br />

internationalen Technologiekonzern.<br />

Was war besonders schwierig zu managen, was erachten<br />

Sie als besonders gelungen?<br />

Die Herausforderung bestand für Wolters Kluwer unter anderem<br />

darin, in ihrem historisch angestammten Geschäftsfeld<br />

im Bereich Recht und Öffentliche Verwaltung eine digitale<br />

Kundenbasis aufzubauen. Die Kunden hier sind immer<br />

noch mehrheitlich traditionelle Printnutzer. Als Nummer<br />

drei in diesem spezifischen Markt gelingt es uns erst seit etwa<br />

zwei Jahren, mit digitalen Lösungen wie Jurion, Smart Law<br />

oder Anwalt 24 eine neue Generation von digitalen Kunden<br />

aufzubauen. Besonders gelungen ist der Aufbau von neuen<br />

Märkten, etwa in Steuerberatersoftware oder im Großkundengeschäft<br />

mit der AOK und seit Neuestem der DGUV.<br />

All dies wäre ohne einen fundamentalen Werte- und Kulturwandel<br />

hin zu einer auf den Kunden ausgerichteten Belegschaft<br />

nicht möglich gewesen. Die Kundenorientierung<br />

kombiniert mit digitaler Kompetenz ist das Fundament der<br />

Zukunft von Wolters Kluwer Deutschland.<br />

Welchen Aufgaben widmen Sie sich künftig?<br />

Nach dem Medienbereich hat die digitale Transformation<br />

„Unternehmensführer müssen<br />

mehr Risikobereitschaft in ihrer<br />

Belegschaft zulassen und lernen,<br />

besser mit Risiken umzugehen.“<br />

heute verschiedene Industrien erfasst. Als nächstes trifft<br />

der Wandel vor allem solche produzierende Unternehmen,<br />

die nicht nur Equipment, sondern ein Service-Geschäft<br />

betreiben. Als Maschinenbau-Ingenieur mit verschiedenen<br />

Mandaten an der RWTH Aachen<br />

beobachte ich die Industrie<br />

4.0 bereits länger. Die digitale<br />

Transformation eines serviceorientierten<br />

Unternehmens wird<br />

meine nächste Aufgabe.<br />

Warum halten Sie die digitale<br />

Transformation in Unternehmen für das Megathema?<br />

Mit der digitalen Transformation können Unternehmen<br />

etwa Kundendaten besser nutzen, weil technische Barrieren<br />

überwunden sind. Zum zweiten erlaubt sie in der Industrie<br />

4.0, Teile der Wertschöpfung zu verbinden, was Abläufe<br />

effizienter gestaltet. Drittens sind damit für Unternehmen<br />

eigene Leistungen besser in die Wertschöpfung des<br />

Kunden einzubinden, was diesen einen höheren Nutzen<br />

bringt und den Anbietern klare Wettbewerbsvorteile. Denn<br />

daraus resultiert vor allem mehr Kundenloyalität, die sich<br />

letztlich als Preisvorteil abbildet. Die digitale Transformation<br />

verändert also ganze Produktionssysteme, Leistungen<br />

und Organisationen.<br />

Maschinenproduzenten kooperieren künftig mit Softwarefirmen,<br />

um Kundenbeziehungen im digitalen Kontext<br />

zu gestalten. Was setzt dies bei Käufern voraus?<br />

Sie selbst treiben doch diese Entwicklung. Denn sie wiederum<br />

sind von drei Megatrends getrieben: Erstens mehr<br />

mit weniger Mitteleinsatz flexibler zu produzieren. Zweitens<br />

auf neuen Wettbewerb durch digitale Anbieter zu reagieren.<br />

Drittens „Disruption“ in ihren Märkten zu antizipieren,<br />

weil etwa alte Regulierungen fallen. Jede Firma ist<br />

diesen Entwicklungen ausgesetzt, die mehr Transparenz,<br />

neue Logik und innovative Geschäftsmodelle hervorbringen.<br />

Ein Teile-Zulieferer wird dann nicht mehr pro Teil<br />

bezahlt, sondern partizipiert an der Vermeidung von Still-<br />

<strong>03</strong>/16<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Nancy McKinstry gelang als CEO die Transformation von Wolters Kluwer.<br />

standzeiten seines Kunden. Gemeinsam mehr Produktivität<br />

bei höherem Kundennutzen zu schaffen, verspricht für alle<br />

Beteiligten große Chancen.<br />

Industrie 4.0 vernetzt nicht nur Produktion, sondern<br />

schafft Geschäftsmodelle und prägt Organisationen.<br />

Welche Anforderungen stellt dies an die Unternehmensführung?<br />

Die Abkehr von Durchführungs- und Durchsetzungsorganisationen<br />

zählt zu den großen Herausforderungen der neuen<br />

Unternehmensführung. Es geht nicht mehr darum, allein<br />

zu liefern wie bestellt. In heutigen Industriebetrieben klappt<br />

die Arbeitsteilung nach vorgedachten Prozessen – stets weiter<br />

optimiert in Qualität, Zeit, Kosten. Häufig hierarchische<br />

Strukturen mit klaren Zuständigkeiten zählen in diesen<br />

Leistungsorganisationen. Nach der digitalen Transformation<br />

funktionieren Organisationen aber anders. Nicht die eigene<br />

Produktproduktion sondern der Produkteinsatz beim<br />

Kunden ist maßgeblich. Der Unternehmer hat mit Blick auf<br />

Kundenprozesse das Unternehmen zu optimieren. Entwicklungen<br />

finden nicht mehr linear, sondern exponentiell statt.<br />

Planungen werden kurzfristiger, die Organisation flexibler,<br />

die Dynamik stärker, die Lernfähigkeit ausgeprägter, die<br />

Fehlertoleranz höher.<br />

Steigt damit auch die Risikobereitschaft?<br />

Ja. Unternehmensführer müssen mehr Risikobereitschaft in<br />

ihrer Belegschaft zulassen und lernen, anders mit Risiken<br />

umzugehen. Lange Kommunikationswege und starre Hierarchien<br />

sind dann hinderlich. Denn für Neuentwicklungen<br />

steht weniger Zeit zur Verfügung. Verhalten und Kultur<br />

müssen sich ändern. Im Kern wird man Wertvorstellungen<br />

erkennen, analysieren und anpassen müssen. Das wird elementar.<br />

Oder wie Management-Vordenker Peter Drucker<br />

formulierte: „Culture eats strategy for breakfast.“<br />

Sinnvoll in Arbeitsprozessen integriert sind Anwendungen bei Addison.<br />

Komplexität sei der Hauptgrund für die wachsende Zahl<br />

von Krisen, warnt Management-Experte Fredmund<br />

Malik, aber das Wissen um Komplexität und wie man sie<br />

meistert, sei die wichtigste Ressource für funktionierende<br />

Organisationen. Stimmen Sie ihm zu?<br />

Absolut. Mit Internettechnologien ist uns der echte Produktivitätssprung<br />

doch noch gar nicht gelungen. Komplexität<br />

scheint erst Fehlfunktionen zu verursachen, bevor wir sie<br />

richtig zu nutzen wissen.<br />

Wie empfehlen Sie, sinnvoll mit Komplexität als Rohstoff<br />

für Intelligenz, Innovation und Evolution umzugehen?<br />

Komplexität gilt es zu beherrschen. Dazu muss man in der<br />

Wertschöpfung den Nutzen verstehen. Priorisieren lernen,<br />

Relevanz schaffen, Standards setzen. Oder Fertigungen modularisieren.<br />

Fahrzeug-Plattformen in der Automobilindustrie<br />

sind bewährte Beispiele für Wiederverwertbarkeit. Aus<br />

Big Data die relevanten Führungsinformationen zur Verfügung<br />

zu stellen, schafft ebenfalls Lösungen aus Komplexität.<br />

Im Vorteil ist, wer nicht in Komplexität versinkt. Man kann<br />

übrigens auch in kleinen Etappen zum Ziel kommen.<br />

„Data Analytics“ beschreibt den nächsten Schritt für<br />

Wolters Kluwer. Worin wird dafür verstärkt investiert?<br />

Heute arbeiten die Mitarbeiter von Wolters Kluwer mehrheitlich<br />

als Softwareingenieure, im Produktmanagement, im<br />

Vertrieb und im Marketing. Ein Merkmal früher war, dass<br />

der Kundenkontakt vollständig fehlte. Der lag beim Handel.<br />

Heute ist der Kunde allgegenwärtig. Jetzt wird in der dritten<br />

Phase unserer Transformation geschaut, was der Nutzer<br />

mit WK-Anwendungen erarbeitet. Die Daten, die daraus zu<br />

ziehen sind, werden in neue Anwendungen übersetzt. Aus<br />

der WK-Produktwelt eignet sich ein Beispiel in den USA,<br />

um den nächsten Schritt zu zeigen: Tymetrix und Passport<br />

sind Plattformen für Rechtsabteilungen. Eine Anwendung<br />

ermöglicht, Rechnungen von Anwaltskanzleien auszuwerten<br />

hinsichtlich der aufgeführten Arbeitsstunden und Vergütungen.<br />

Nach einem Auftrag ist jede Transaktion, die etwa in<br />

New York angefallen ist, USA-weit nach Stundensätzen zu<br />

vergleichen. Mit diesem Datenstamm sind Ausschreibungen<br />

zu steuern. Kurzum: Hier entstehen neue Lösungen.<br />

Statt Verfügbarkeit ist Produktivität entscheidend. Gibt<br />

es hierfür modellhaft ein Beispiel?<br />

Nehmen wir das ehemalige Inhalte-Angebot in klassischen<br />

Loseblatt-Sammlungen zu aktuellen Rechtsprechungen.<br />

Das Geschäftsmodell adressierte den Wert der Verfügbarkeit<br />

solcher Inhalte. Der Kunde zahlt nicht für Inhalte, sondern<br />

für einen produktiven Arbeitsvorgang, in dem solche Inhalte<br />

verarbeitet werden. Zum Arbeitsvorgang gehören zudem die<br />

Einbindung von Mitarbeitern, Dokumentations- und Freigabeprozesse.<br />

Neu für die Wertschöpfung ist die Unterstützung<br />

über die gesteigerte Produktivität, indem jetzt etwa für<br />

einen Fall Informationen direkt im Schriftsatz eingebunden<br />

werden können – inklusive Kommentierungen durch geöffnete<br />

Fenster am Rand. Anwender sparen Zeit und gewinnen<br />

an Effektivität.<br />

Für die Klientel aus Wirtschaft, Recht und Steuern – worin<br />

wandeln sich Arbeitswelten wesentlich?<br />

Die Möglichkeiten des Workflows erlauben, über neue IT-<br />

Lösungen für weniger Geld etwa Cloud-Dienste zu nutzen.<br />

Zweitens gibt es hohe Anforderungen an diese Berufe nach<br />

der Devise „More for less“, also mehr mit weniger Aufwand<br />

zu liefern, wodurch etwa jede Anwaltsstunde spitz kalkuliert<br />

sein muss, um die Wertschöpfung aufrechtzuerhalten. Drittens<br />

hält die Liberalisierung auch in Recht und Steuern verstärkt<br />

Einzug, wie das von neuen digitalen Lösungsanbietern<br />

etwa aus der Mobilität oder in der Hotellerie bekannt ist.<br />

Neue Player ohne Lizenz kommen auf, die ihre Rechtsdienste<br />

im Internet am Anwalt vorbei anbieten. Bewertungsportale<br />

übernehmen verstärkt die Qualitätssicherung, was sie zu<br />

einem attraktiven Vertriebskanal macht.<br />

Brauchen wir grundsätzlich mehr Gründergeist?<br />

Ja, da kann ich nur zustimmen. Allerdings sehe ich den<br />

Wunsch nach Selbstständigkeit in der neuen Generation<br />

stark ausgeprägt. Die Hochschulabsolventen sind förmlich<br />

angefixt, ihr eigenes Geschäftsmodell zu entwickeln und<br />

auszuprobieren. Ganze Gründerszenen entwickeln sich<br />

hierfür und stehen bereit mit Finanzierung und Know-how.<br />

Eine Maschinenbau-Fabrik ist bekanntlich schwieriger zu<br />

gründen als ein Internet-Start-up im E-Commerce oder<br />

Dienstleistungsbereich. Ehemalige Existenzgründer in traditionellen<br />

Industriebetrieben aufzunehmen, kann übrigens<br />

ein Segen sein. Engpässe für neues Unternehmertum sehe<br />

ich in puncto Führung und Kommunikation. Reine Spezialisten<br />

sind damit überfordert, weil das in den allermeisten<br />

Ausbildungen noch ausgebaut gehört.<br />

Ist eine neue Haltung nötig, die ein Scheitern und eine<br />

zweite Chance zulässt?<br />

Ja, aber ich unterscheide zwei Seiten. Zum einen Familienunternehmen,<br />

die über Generationen hinweg auch für<br />

Sicherheit in einer sozialen Marktwirtschaft stehen. Mit<br />

dieser Kultur dürfen Inhaber nicht leichtfertig umgehen.<br />

Zum anderen von Spezialisten gegründete Start-ups, denen<br />

diese Sozialisation fremd ist und denen Führungsfähigkeiten<br />

häufig noch fehlen. Sie investieren Risiko-Kapital und<br />

sehen Scheitern als Teil ihres Geschäftsmodells. Ich persönlich<br />

schätze vor allem aber die Familienunternehmer,<br />

die Risiken vor dem Hintergrund ihrer Unternehmenstradition<br />

und der damit verbundenen sozialen Verantwortung<br />

eingehen; sie sollten wir weiter unterstützen – und der<br />

Staat sie nicht melken.<br />

Welche Unternehmer inspirieren Sie?<br />

Ich sympathisiere mit einem konservativen Unternehmerbild<br />

im Mittelstand, denn sie übernehmen Verantwortung<br />

und stehen für eine wichtige Säule unserer Gesellschaft.<br />

Dieser Typ führt seine Firma glaubwürdig meist als Inhaber<br />

erfolgreich fort. Letztlich sind daraus über Generationen<br />

auch große Konzerne entstanden wie unsere Top-Autobauer<br />

Mercedes, Porsche, BMW und VW, die alle auch in Zukunft<br />

ihre Position verteidigen werden. An amerikanischen Unternehmern<br />

schätze ich diejenigen, die es gegen jeden Widerstand<br />

schaffen, Neues zu etablieren. Wie Elon Musk mit<br />

PayPal, SpaceX und Tesla Motors.<br />

Was genau finden Sie an ihm faszinierend?<br />

Musk zeigt mit Tesla vor allem, dass es heute nicht alleine<br />

ausreicht, fachlich oder technisch gut zu sein, um als Unternehmen<br />

Bestand zu haben. Unternehmen müssen beantworten<br />

können, warum sie handeln. Musk will nicht nur<br />

Elektroautos bauen, er will die Welt retten. Deshalb hat er so<br />

einen Zulauf auf sein unausgereiftes Produkt.<br />

Gute Unternehmer sind diejenigen, die nicht nur erklären,<br />

was sie tun und wie sie es tun, sondern warum sie es tun.<br />

Musk kann Letzteres überzeugend. (lächelnd). Ich halte übrigens<br />

auch die CEO des globalen Konzerns Wolters Kluwer,<br />

Nancy McKinstry, für vorbildlich. Sie hat früh klargemacht,<br />

dass wir angetreten sind, um die digitale Transformation<br />

für unsere Kunden umzusetzen. Ohne sie an der Spitze mit<br />

den von ihr gewährten Freiräumen wäre mir als Unternehmer<br />

zum Teil gegen das Establishment diese tiefgreifende<br />

digitale Transformation eines juristischen Verlagshauses in<br />

Deutschland kaum gelungen. ~<br />

u Mehr unter www.<strong>return</strong>-online.de<br />

Wissen weltweit<br />

an Profis vermitteln<br />

Der Multimediakonzern Wolters Kluwer mit Hauptsitz<br />

in den Niederlanden erzielte zuletzt mit weltweit rund<br />

19.000 Mitarbeitern 4,2 Milliarden Euro Jahresumsatz<br />

in 170 Ländern. Inhalte und Services in den vier Sparten<br />

„Legal & Regulatory“, „Governance, Risk & Compliance“,<br />

„Tax & Accounting“ und „Health“ unterstützen<br />

Anwender wie Ärzte, Anwälte, Steuerberater oder Unternehmensführer;<br />

davon 70 Prozent als digitale Lösung. In<br />

Deutschland steht das Unternehmen für Marken wie Addison,<br />

Carl Heymanns, Jurion oder Luchterhand.<br />

www.wolterskluwer.de<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Mentalitätswandel notwendig<br />

Studien zu Insolvenz und Scheitern: Experten fordern neue Fehlerkultur<br />

Wie ein Puzzleteil fehlt Deutschen zum ganzheitlichen Verständnis<br />

von Unternehmertum die Akzeptanz fürs Scheitern.<br />

Eine Zeit, in der die Zahl der Unternehmensinsolvenzen<br />

in Deutschland stetig abnimmt, bedeutet eigentlich<br />

Grund zur Freude. Doch Zweifel bleiben, ob dieses Glücksgefühl<br />

von Dauer sein kann. Denn in Wirtschaft und in Gesellschaft<br />

scheint man jede Pleite zu ächten, statt eine zweite<br />

Chance einzuräumen. Das negative Image des Scheiterns<br />

könnte sogar zu einem permanenten Wettbewerbsnachteil<br />

für deutsche Unternehmen werden. In Deutschland wurden<br />

seit Einführung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999<br />

noch nie so wenige Unternehmensinsolvenzen gezählt wie<br />

Text: Ingo Reich<br />

im vergangenen Jahr. Insgesamt 23.230<br />

Unternehmen gingen nach Erhebungen<br />

der Neusser Creditreform Wirtschaftsforschung<br />

im vergangenen Jahr pleite, nachdem<br />

2014 noch 24.<strong>03</strong>0 Fälle registriert<br />

worden waren. Gegenüber dem Höchststand<br />

im Jahr 20<strong>03</strong> hat sich die Zahl der<br />

Unternehmensinsolvenzen fast halbiert.<br />

Die Schäden für die Insolvenzgläubiger<br />

summierten sich aber immerhin auf 19,6<br />

Milliarden Euro. Im Vorjahr betrug das<br />

Schadensvolumen sogar noch 26,1 Milliarden<br />

Euro. Infolge der rückläufigen Insolvenzen<br />

waren auch weniger Arbeitsplatzverluste<br />

zu beklagen. Insgesamt 225.000<br />

Arbeitnehmer waren 2015 von der Insolvenz<br />

des Arbeitgebers betroffen. Im Vorjahr<br />

waren es noch 264.000. Das entspricht<br />

einem Minus von 14,8 Prozent.<br />

Imtech, Strauss, Kettler<br />

als prominente Opfer<br />

Zu den größten Unternehmensinsolvenzen<br />

des Jahres 2015 zählte die Hamburger<br />

Imtech Deutschland GmbH & Co.<br />

KG: Gut 3.500 Mitarbeiter des Anbieters<br />

technischer Gebäudeausstattungen waren<br />

davon berührt. Die rheinische Handelskette<br />

Strauss Innovation sowie der Traditionshersteller<br />

Kettler („Kettcar“) gehören<br />

ebenfalls zu den prominenten Opfern des<br />

Wirtschaftsgeschehens.<br />

Der Sauerländer Hersteller von Fahrrädern<br />

sowie Sport- und Freizeitgeräten Heinz Kettler GmbH &<br />

Co. KG entschied sich für ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.<br />

Aus der Heinz Kettler GmbH &. Co. KG wurde<br />

mit Wirkung vom 1. April <strong>2016</strong> die Kettler GmbH. Inhaberin<br />

Karin Kettler hat sich in diesem Zusammenhang ganz<br />

aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Die Alleinerbin<br />

hatte mit Geld aus dem Privatvermögen mitgeholfen,<br />

den zwischenzeitlich ernsthaft befürchteten Ausverkauf des<br />

Traditionsunternehmens an Investoren zu vermeiden. Den<br />

Schlusspunkt unter das Insolvenzverfahren wird aber wohl<br />

Foto: digitalista<br />

erst das Landgericht Arnsberg setzen, vor dem noch Klagen<br />

auf eine rückwirkende Erhöhung der Insolvenzmasse und<br />

eine Schadensersatzforderung gegenüber der Familienunternehmerin<br />

verhandelt werden sollen. Nach Beobachtungen<br />

von Creditreform nutzen immer häufiger in die Krise geratene<br />

Unternehmen die neuen Sanierungsinstrumente (ESUG)<br />

der geltenden Insolvenzordnung wie die „Eigenverwaltung<br />

unter Aufsicht eines Sachwalters“. Die Akzeptanz hat rund<br />

vier Jahre nach Einführung der Regelung zwar zugenommen.<br />

Dennoch ist die Eigenverwaltung nicht etabliert und<br />

scheint für betroffene Unternehmen in einer drohenden<br />

Zahlungsunfähigkeit bisher nur selten eine Wahl zu sein.<br />

Nach wie vor gehen viele deutsche Unternehmer den Gang<br />

„Scheitern gehört<br />

zum Start-up-Leben<br />

wie das Gegentor zum Fußball.<br />

Aber wenn man daraus lernt,<br />

bringt es langfristig weiter.“<br />

in die Insolvenz erst dann, wenn nichts mehr zu retten ist.<br />

Denn hierzulande existiert eine ganz grundsätzliche Angst<br />

vor dem Scheitern, resümiert eine Studie der Universität<br />

Hohenheim in Zusammenarbeit mit der Karl-Schlecht-<br />

Stiftung. Dagegen helfe auch nicht, dass die Deutschen in<br />

den letzten Jahrzehnten ein durchaus positives Bild von Unternehmern<br />

und ihrer Bedeutung für den wirtschaftlichen<br />

Erfolg Deutschlands gewonnen hätten, so das Stuttgarter<br />

Forscherteam unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Kuckertz<br />

vom Lehrstuhl für Unternehmensgründungen am Institut<br />

für Marketing und Management.<br />

Deutsche scheuen<br />

Risiko der Gründung<br />

Es sei ernüchternd, dass sich in internationalen Vergleichsstudien<br />

immer wieder herausstelle, dass viele Deutsche trotz<br />

Idee, Kompetenz und grundsätzlichem Interesse am Unternehmertum<br />

aufgrund des mit einer Unternehmensgründung<br />

einhergehenden Risikos auf die Umsetzung ihres Traums<br />

verzichten würden, erklären die Wissenschaftler.<br />

Eine neue Unternehmerkultur, die das Scheitern als Möglichkeit<br />

zum Lernen betrachte statt sie zu stigmatisieren,<br />

benötige deshalb als allererstes ein besseres Verständnis darüber,<br />

wie in der deutschen Gesellschaft unternehmerische<br />

Fehlschläge überhaupt bewertet werden, stellen die Wirtschaftswissenschaftler<br />

ihrer repräsentativen Untersuchung<br />

voran. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass die Einstellung<br />

der Deutschen zum Scheitern gar nicht so übel ist,<br />

wie dies oftmals gerne propagiert wird. Trotzdem gibt es erheblichen<br />

Verbesserungsbedarf. Zwar geben die Deutschen<br />

generell an, Fehlschlägen positiv gegenüberzustehen, und<br />

sie erkennen auch an, wie wertvoll diese als Lernerfahrung<br />

sind. Gleichzeitig decken die Ergebnisse jedoch eine große<br />

Skepsis auf, mit gescheiterten Unternehmern Geschäfte zu<br />

machen. Besonders junge Menschen zeigen dabei eine vergleichsweise<br />

tolerante Haltung Auch lässt sich erkennen,<br />

dass diejenigen, die gewagt haben und gescheitert sind, dieses<br />

Erlebnis als durchaus wertvoll empfinden, beschreibt die<br />

Untersuchung.<br />

Was muss also nach Ansicht der Hohenheimer Wirtschaftsforscher<br />

konkret geschehen?<br />

XXDas Thema tolerante und fehlerfreundliche Unternehmerkultur<br />

muss allgemein eine erhöhte Aufmerksamkeit<br />

in Politik, Wirtschaft und Medien erhalten und durch<br />

flächendeckende und fortlaufende Kampagnen in der<br />

Öffentlichkeit verankert werden.<br />

XXEs müssen erfahrene und weniger erfolgreiche Personen<br />

den Mut aufbringen, sich mehr in die Öffentlichkeit<br />

einzuschalten, um ihre Geschichte zu erzählen.<br />

XXEs muss ein freiwilliges und gefördertes Gründerjahr für<br />

Schüler, Studierende oder Hochschulabsolventen in einer<br />

risikoreduzierten und experimentierfreudigen Umgebung<br />

geschaffen werden, um einen vereinfachten Einstieg<br />

in das Unternehmertum zu ermöglichen und positives<br />

Scheitern zu lernen.<br />

Gescheiterten vertrauen<br />

IT-Profis sogar mehr<br />

„Scheitern gehört zum Start-up-Leben wie das Gegentor<br />

zum Fußball. Keiner mag es, keiner will es, aber wenn man<br />

daraus lernt, dann bringt es einen langfristig weiter auf<br />

dem Weg zum besseren Saisonziel“, sagt Tobias Kollmann,<br />

Professor am Lehrstuhl für E-Business und E-Entrepreneurship<br />

der Universität Duisburg-Essen und Vorsitzender<br />

des Beirates „Junge Digitale Wirtschaft“ beim Bundeswirtschaftsministerium<br />

(BMWi).<br />

Obwohl das Wort „Scheitern“ in Deutschland im Gegensatz<br />

zum amerikanischen Sprachgebrauch negativ besetzt<br />

ist, haben deutsche IT-Professionals inzwischen sogar mehr<br />

Vertrauen zu Personen, die schon einmal gescheitert sind.<br />

Mehr als 80 Prozent der Befragten einer aktuellen Studie<br />

der Nürnberger „Developer Week“, eine der größten Konferenzen<br />

für Softwareentwicklung in Europa, gaben an, gescheiterten<br />

Kollegen oder Vorgesetzten eher zu vertrauen<br />

als solchen, bei denen bisher immer alles glatt lief.<br />

Viele Experten sehen im negativen Image des Scheiterns<br />

auch einen dauerhaften Wettbewerbsnachteil für deutsche<br />

Unternehmer und eine der Ursachen dafür, warum<br />

Deutschland bei den Unternehmensgründungen mit rund<br />

elf Prozent deutlich unter dem EU-Durchschnitt von etwa<br />

15 Prozent liegt. Laut Deutschland-Bericht des letzten<br />

Global Entrepreneurship Monitor (GEM) fürchtet sich<br />

in den USA nur etwa ein Drittel der Gründer vor einer<br />

Pleite, in Deutschland ist es fast die Hälfte. Ein genereller<br />

Mentalitätswandel nach US-Vorbild sei daher dringend<br />

notwendig. ~<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Stakeholder als Könige<br />

Reputation von Unternehmen beeinflusst Geschäftserfolg<br />

Schachmatt setzen sich Unternehmen, die ihre Reputation allein<br />

am König Kunde ausrichten statt an allen wichtigen Stakeholdern.<br />

Text: Markus Renner, Basel<br />

Foto: ChristianChan<br />

Positive Einstellungen gegenüber Unternehmen wirken<br />

positiv auf die Beurteilung der von diesen Unternehmen<br />

angebotenen Produkte und Dienstleistungen. Die Gesamtheit<br />

der Einstellungen, die Stakeholder – also wichtige<br />

Anspruchsgruppen wie Kunden, Geschäftspartner oder Investoren<br />

– bewusst oder unbewusst gegenüber einer Firma<br />

beeinflussen, ist die Unternehmensreputation. Allgemein<br />

auch als guter Ruf, als Ansehen oder als Renommee verstanden.<br />

Wichtig für die Unternehmensführung ist die Erkenntnis,<br />

dass der gute Ruf und die damit verbundenen positiven Einstellungen<br />

gegenüber dem Unternehmen nicht nur eitler<br />

Selbstzweck sind, sondern einen konkreten Beitrag leisten<br />

zum Geschäftsergebnis. Weil eine positive Unternehmensreputation<br />

beispielsweise das Empfehlungs- oder Kaufverhalten<br />

von Kunden oder Aktionären der jeweiligen Firma messbar<br />

steigert. Darüber hinaus ist die Reputation ein wichtiger<br />

Faktor, um das Vertrauen der Stakeholder in die jeweilige<br />

Firma, seine Führungsmannschaft, seine Mitarbeiter und<br />

letztendlich seine Produkte und Dienstleistungen aufzubauen<br />

oder zu stärken.<br />

Dieser durch empirische Studien belegte Kausalzusammenhang<br />

zwischen Unternehmensreputation, Vertrauen und<br />

Geschäftsergebnis funktioniert aber nicht nur in die positive<br />

Richtung, sondern auch umgekehrt: Das finanzielle Ergebnis<br />

leidet messbar unter einer negativen Unternehmensreputation,<br />

wie sich anhand zahlreicher Beispiele immer wieder<br />

zeigt. So nähern sich etwa die Absatzzahlen von Volkswagen-Dieselautos<br />

in den USA seit der in breiter Öffentlichkeit<br />

ausgetragenen – und von Volkswagen unprofessionell<br />

gemanagten – „Dieselgate“-Krise der Nullprozentmarke.<br />

Firmen, die sich systematisch um ihre Reputation kümmern,<br />

wissen das und handeln entsprechend, um ihren guten<br />

Ruf kontinuierlich auf- und auszubauen. Dabei muss dieses<br />

Kümmern nicht zwangsläufig mit großen Investments betrieben<br />

werden. Entscheidend ist, sich regelmäßig ehrliches<br />

Feedback der wichtigsten Stakeholder einzuholen – und dieses<br />

Feedback systematisch und unvoreingenommen zu analysieren<br />

sowie die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.<br />

Ein häufiger Fehler ist, dass ausschließlich die bestehenden<br />

Kunden befragt werden. Natürlich ist deren Feedback<br />

sehr wichtig. Für Hinweise zur Verbesserung des Geschäfts<br />

aufschlussreicher ist jedoch, auch die potenziellen Kunden<br />

zu befragen, welche aktuell noch die Produkte oder Dienstleistungen<br />

der Wettbewerber nutzen – um dann mit zeitgemäßen<br />

Analysemethoden herauszufinden, wie sich diese<br />

Gruppe zum Wechsel von der Konkurrenz hin zur eigenen<br />

Firma bewegen lassen.<br />

Geschäftsergebnis nicht<br />

nur von Kunden bestimmt<br />

Ein anderer weit verbreiteter Fehler bei Befragungen ist die<br />

generelle Beschränkung auf die Kunden oder Konsumenten<br />

– gemäß dem althergebrachten Motto: „Der Kunde ist<br />

König“. Diese Verengung der Perspektive lässt jedoch völlig<br />

außer Acht, dass die Unternehmensreputation und damit das<br />

Geschäftsergebnis nicht alleine von dieser Gruppe bestimmt<br />

wird, sondern auch von anderen wichtigen Stakeholdern wie<br />

Geschäftspartnern, Regulatoren, Wettbewerbern, Lieferanten,<br />

Mitarbeitern oder Investoren.<br />

Auch potenzielle Firmenkäufer wissen, dass ein Unternehmen<br />

nur nachhaltig erfolgreich ist, wenn die zentralen Stakeholder-Gruppen<br />

dem Unternehmen vertrauen und wenn<br />

es über eine gute Reputation verfügt. Im Rahmen der Unternehmensbewertung<br />

ist es daher sinnvoll, sich ein möglichst<br />

präzises Bild über die Reputation der Firma und das Vertrauen<br />

der Kunden in eine Firma zu machen.<br />

Kann der Verkäufer aufgrund eines systematischen Reputationsmanagements<br />

entsprechende Messdaten vorlegen, so<br />

kann er die Glaubwürdigkeit in seine künftigen Geschäftserwartungen<br />

damit untermauern.<br />

Findet der Käufer<br />

stattdessen Anhaltspunkte<br />

für das Unternehmen, dass<br />

es um Reputation und<br />

Vertrauen bei zentralen<br />

Bezugsgruppen nicht gut<br />

bestellt ist, sollte er sich bewusst sein, dass die angestrebte<br />

Geschäftsentwicklung mehr Zeit braucht. Zeit, in der<br />

das Unternehmen sich nicht mit der Geschwindigkeit des<br />

Marktes und damit der Wettbewerber entwickeln wird. Hier<br />

ist ein Abschlag beim Kaufpreis gerechtfertigt.<br />

Ein weiterer wichtiger Aspekt, insbesondere beim Kauf und<br />

Verkauf von kleinen und mittelständischen Unternehmen,<br />

ist die Rolle der Führungspersönlichkeiten oder bei privaten<br />

und inhabergeführten Familienunternehmen der sogenannten<br />

„Patrons“. Insbesondere im B-to-B-Geschäft beruhen<br />

viele Stakeholder-Beziehungen und somit auch ein Teil der<br />

Gesamtreputation auch auf der Persönlichkeit des Unternehmers<br />

selbst.<br />

Eigenbeschreibung<br />

und Außensicht<br />

In diesem Zusammenhang kommt der Unternehmensmarke<br />

eine zentrale Rolle zu, in welcher die Grundwerte, das<br />

Selbstverständnis sowie Ziele und Mission der Firma und<br />

seiner Führungsriege fest verankert und allen Mitarbeitern<br />

vertraut und verpflichtend sein sollten. Während die Unternehmensmarke<br />

das Leistungsversprechen darstellt, ist die<br />

Unternehmensreputation das messbare Feedback, inwiefern<br />

Unternehmen ihre eigenen Versprechen in den Augen der<br />

Stakeholder tatsächlich erfüllen oder welche Erwartungen<br />

und Einstellungen diese gegenüber diesem Unternehmen<br />

haben. Marke und Reputation von Unternehmen sind in<br />

diesem Sinne zwei Seiten einer Medaille: die Marke als Eigenbeschreibung<br />

und gewünschte Positionierung der Unternehmen,<br />

die Reputation als tatsächliche Außensicht der<br />

Stakeholder auf die Firma.<br />

Doch wie lässt sich glaubhaft aufzeigen, dass Unternehmensreputation<br />

nicht nur „nice to have“ ist, sondern ein<br />

handfester strategischer Faktor, der professionell zu managen<br />

ist und damit angemessene Aufmerksamkeit sowie<br />

Ressourcen rechtfertigt. Die Skepsis ist aufgrund mangelnder<br />

empirischer Belege verständlich; doch das Thema rückt<br />

„Es geht im Kern darum,<br />

Erwartungen präzise zu kennen –<br />

und passgenau zu entsprechen.“<br />

nun im Zuge der „predictive analytics“ in den Fokus der<br />

praxisorientierten Reputationsforschung. Besonders vielversprechend<br />

sind dabei die sogenannten kausalanalytischen<br />

Ansätze, welche die Ursachen und Wirkungen von Unternehmensreputation<br />

evidenzbasiert berechnen. Anhand von<br />

Stakeholder-Befragungen werden mithilfe dieser Methode<br />

die wesentliche Erfolgsfaktoren der Reputation einzelner<br />

Firmen für deren Geschäftserfolg identifiziert.<br />

Vereinfacht gesagt, wird in einem ersten Schritt berechnet,<br />

welche Teilaspekte der Unternehmensreputation – beispielsweise<br />

„Servicequalität“, „Produktqualität“, „Innovationskraft“,<br />

„gesellschaftliche Verantwortung“, „Nachhaltigkeit“<br />

oder „Managementqualität“<br />

– zentral sind für das<br />

Vertrauen der Stakeholder<br />

gegenüber dem jeweiligen<br />

Unternehmen sowie für ihr<br />

künftiges Handeln gegenüber<br />

der Firma. In einem<br />

zweiten Schritt werden dann mit einem entsprechenden<br />

Algorithmus die einzelnen konkreten Faktoren identifiziert,<br />

welche für die positive Wahrnehmung der im ersten Schritt<br />

berechneten wichtigen Teilaspekte – beispielsweise „Servicequalität“<br />

– maßgeblich sind.<br />

Auf diese Weise erhält die Unternehmensführung verlässliche<br />

Informationen, wie ihre Firma von den wichtigsten Stakeholder-Gruppen<br />

wahrgenommen wird und welche Elemente<br />

der Unternehmensreputation geschäftsrelevant sind.<br />

Und zusätzlich: Was konkret getan werden muss, um diese<br />

entscheidenden Wahrnehmungen positiv(er) zu gestalten.<br />

Dadurch können die Ressourcen zielgenau und fokussiert<br />

eingesetzt werden – ohne die üblichen Streuverluste. Durch<br />

die kausalanalytische Methodik lassen sich – anders als bei<br />

herkömmlichen rein deskriptiven oder nur auf Korrelationen<br />

basierenden Verfahren – zuverlässig konkrete Handlungsempfehlungen<br />

ableiten, die das Vertrauen und Verhalten der<br />

Stakeholder positiv beeinflussen und damit messbar zum<br />

Geschäftserfolg beitragen.<br />

Wichtig hierbei zu betonen ist, dass dieses Vorgehen keine<br />

Schönfärberei ist, denn die abgeleiteten Maßnahmen basieren<br />

ja auf dem ehrlichen Feedback und den konkreten Erwartungshaltungen<br />

der Stakeholder gegenüber den jeweiligen<br />

Firmen. Es geht also im Kern darum, die Erwartungen der<br />

Stakeholder möglichst präzise zu kennen – und diesen dann<br />

passgenau zu entsprechen. Konsequent angewandt ist dieses<br />

Vorgehen eine wissenschaftlich basierte Weiterentwicklung<br />

der etwas verstaubten Parole „Der Kunde ist König“. Künftig<br />

sollte es heißen: „Der Stakeholder ist König“. ~<br />

Der Autor ist Miteigner der Branding-Institute<br />

AG und berät Unternehmen im Marken- und<br />

Reputationsmanagement, strategischer Kommunikation<br />

und Marketing. Zudem ist er<br />

Gastprofessor für Marketing und Reputation<br />

an der Henley Business School in England.<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Legal Tech<br />

Gastkommentar: Gewinn für effiziente Rechtsberatung<br />

Text: Holger Zscheyge, Moskau<br />

Lernen aus Krisen<br />

Forscher erkunden Entscheidungen unter Druck<br />

Text: Oliver Ibert<br />

Die Waage halten sich Juristen in der Bewertung neuer Technologien: eine<br />

Hälfte sieht darin den Untergang, eine Hälfte meint, überlegen zu sein.<br />

Juristen sind eine konservative Bruderschaft, auch wenn<br />

es um zukunftsgewandte Technologien geht. Das ist bekannt.<br />

Das Ergebnis unserer Umfrage im November 2015<br />

in Moskau während eines Forums für Unternehmensjuristen<br />

hat uns aber doch erstaunt. Wir wollten wissen, mit welchen<br />

Softwarelösungen russische Rechtabteilungen ihre Prozesse<br />

managen. 70 Prozent der Abteilungen verlassen sich<br />

auf Outlook, Word und Excel. Anwaltskanzleien arbeiten<br />

nicht fortschrittlicher. Legal Tech – also Technologien, die<br />

Rechtsdienstleistungen effizienter machen – wird in Russland,<br />

ähnlich wie in Deutschland, allmählich zu einem vieldiskutierten<br />

Thema. Nachdem anfangs vor allem Fachmedien<br />

den Begriff aufgenommen haben, ist er jetzt auch im<br />

Medien-Mainstream angelangt.<br />

Vor dem Festpreis<br />

graust’s dem Anwalt<br />

Legal Tech ist sowohl für Anbieter als auch für Nutzer von<br />

Rechtsberatung von erheblicher Bedeutung. Den Kanzleien<br />

helfen Technologien, ihr unter Druck geratenes Geschäftsmodell<br />

der „billable hours“ anzupassen und somit zumindest<br />

teilweise zu retten. Die Alternative wäre Rechtsberatung<br />

zum Festpreis, ein Gedanke, vor dem es dem Anwalt graust.<br />

Wenn Prozesse durch Automatisierung erheblich beschleunigt<br />

werden, dann werden auch weniger Stunden in Rechnung<br />

gestellt. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt ist<br />

die Entlastung von jüngeren Anwälten, die bisher vor allem<br />

mit endloser juristischer Routinearbeit beschäftigt waren.<br />

Die wird mehr und mehr von Software übernommen, was<br />

es vielen Junior Associates ermöglicht, ihre Kinder auch mal<br />

persönlich ins Bett zu bringen. Auch wenn man es angesichts<br />

der vielen Anwaltsserien im TV nicht glaubt – Work-Life-<br />

Foto: enzozo<br />

Balance wird auch in Kanzleien zum Thema. Nutznießer der<br />

Kosteneinsparung bei Kanzleien sind die Rechtsabteilungen<br />

von Unternehmen. Diese stehen unter Druck seitens des<br />

Managements und der Eigentümer, mehr Leistungen für<br />

weniger Geld zu erbringen – sowohl inhouse als auch bei<br />

den Vertragskanzleien. Für viele Rechtsabteilungen bietet<br />

eine spezielle Management-Software auch die Möglichkeit<br />

zu beweisen, dass die Unternehmensjuristen nicht nur ein<br />

Kostenfaktor sind, sondern auch Geld verdienen können. So<br />

hat DuPont durch Analyse bestehender Verträge und deren<br />

Erfüllung durch seine Rechtsabteilung innerhalb eines Jahres<br />

offene Posten in Höhe von drei Milliarden US-Dollar für das<br />

Unternehmen eingetrieben.<br />

Die Juristen sind in ihrer Position gegenüber neuen Technologien<br />

gespalten. Während die eine Hälfte Legal Tech als<br />

Vorboten des Untergangs der Anwaltszunft sieht, hält sich<br />

die andere Hälfte für intellektuell überlegen gegenüber allen<br />

Technologien. Die Wahrheit liegt, wie meist, in der Mitte.<br />

Natürlich werden noch einige Jahre vergehen, bevor Roboter<br />

und künstliche Intelligenz den Anwalt auch nur ansatzweise<br />

ersetzen können. Die Presse liebt es zwar, von „Robo-Anwälten“<br />

zu schreiben; eine amerikanische Kanzlei hat sogar<br />

schon einen auf der Watson-Technologie von IBM basierenden<br />

künstlichen Anwalt „eingestellt“. Aber für die meisten<br />

Kanzleien wäre schon eine funktionierende Kanzleimanagement-Software<br />

ein großer Schritt in die Zukunft.<br />

Andererseits sind nach Einschätzung von McKinsey & Co.<br />

bereits heute verfügbare Technologien in der Lage, 30 bis 40<br />

Prozent der Arbeit von Anwaltskanzleien effizienter zu erledigen<br />

als Menschen. In einem gemeinsamen Bericht haben<br />

das Hamburger „Bucerius Center on the Legal Profession“<br />

und „The Boston Consulting Group“ aufgezeigt, wie Legal<br />

Tech das Geschäft mit Rechtsdienstleistungen verändern<br />

wird. Danach werden Technologien das Geschäftsmodell<br />

substanziell beeinflussen, Rechtsberatung erschwinglicher<br />

machen und Anwälten neue Erwerbsmodelle eröffnen. Ein<br />

Gewinn für alle Beteiligten. ~<br />

Der Anwalt schreibt als „<strong>return</strong>“-Korrespondent<br />

aus Russland und ist Managing Director<br />

von Infotropic Media.<br />

Entscheidungsträger reiben sich auf im anhaltenden Krisenmanagement.<br />

Kaum haben sie eine Krise überwunden,<br />

dräut schon die nächste am Horizont. Entscheidungen,<br />

so scheint es, fallen immer häufiger<br />

unter krisenhaften Vorzeichen<br />

auf Krisengipfeln oder in Interventionsstäben.<br />

Zudem sind oft in<br />

den Krisenlösungen von heute die<br />

Ursachen für die Krisen von morgen<br />

angelegt.<br />

So hat die Milderung der drohenden<br />

Wirtschaftskrise im Nachgang<br />

an die Finanzkrise von 2008<br />

direkt in eine staatliche Verschuldungskrise<br />

geführt. Die „Entspannung“<br />

in der aktuellen Flüchtlingskrise<br />

deutet ihr Potenzial an,<br />

neue außenpolitische Krisen auszulösen. Krisen sind nicht<br />

mehr isoliert zu fassen, sondern als vielfältig und im globalen<br />

Maßstab vernetzt zu begreifen.<br />

Lehren ziehen<br />

aus Ähnlichkeiten<br />

Vor diesem Hintergrund hat sich in der Leibniz Gemeinschaft<br />

ein interdisziplinärer Forschungsverbund „Krisen<br />

einer globalisierten Welt“ gegründet. Unter der Leitung<br />

der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung<br />

(HSFK) beteiligen sich 20 Forschungseinrichtungen aus den<br />

Sozial-, Wirtschafts-, Politik- und Raumwissenschaften,<br />

den Natur-, Umwelt- sowie Geschichtswissenschaften. Sie<br />

wollen das Phänomen „Krise“ in verschiedenen Sektoren,<br />

im historischen Vergleich und räumlich differenziert, besser<br />

verstehen. Die gemeinsame Forschung ist von der Idee geleitet,<br />

dass es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Krisen gibt.<br />

Unabhängig von konkreten Krisensituationen lassen sich<br />

übergreifende Lehren ziehen.<br />

Krisen können als existenziell bedrohliche Situationen, in<br />

denen unter hoher Unsicherheit, unter großem Zeitdruck<br />

und kritischer öffentlicher Beobachtung Lösungen jenseits<br />

von bestehenden Routinen gefunden werden müssen. Unabhängig<br />

ob es um Wirtschafts- oder Umweltkrisen geht, ihr<br />

Verlauf folgt oft einer typischen Dramaturgie. Während die<br />

zugrundeliegenden problematischen Prozesse, wie der Klimawandel<br />

oder anwachsende Spekulationsblasen sich lang-<br />

Krisenmanagement war bei der Reaktorkatastrophe in<br />

Fukushima übergreifend für viele Lebensbereiche gefragt.<br />

sam entfalten, geschieht die krisenhafte Eskalation meist<br />

sehr schnell und für die Beteiligten überraschend. Auslöser<br />

sind oft eher zufällige Anlässe, wie ein Pressebericht, eine<br />

Klage, eine Havarie oder das Überschreiten<br />

eines Grenzwerts. Auch<br />

lassen sich in Krisen typische wiederkehrende<br />

Rollen identifizieren.<br />

Im Zentrum einer Krise stehen<br />

meist Entscheidungsträger. Sie<br />

sehen sich konfrontiert mit Akteuren,<br />

die an einer krisenhaften<br />

Zuspitzung ein Interesse haben.<br />

Foto: picture alliance / AP Images<br />

So können Umweltverbände ein<br />

Interesse haben, die krisenhafte Situation<br />

von Energiekonzernen zu<br />

eskalieren. Ebenso können Krisen<br />

von Entscheidungsträgern oder<br />

deren Agenten heraufbeschworen werden. Ist das nicht oft<br />

die Rolle von Unternehmensberatungen? Sie kreieren doch<br />

Situationen, in denen effektiv, unkonventionell und durchaus<br />

konfliktträchtig entschieden werden kann, ja muss. Krisendiagnosen<br />

sind daher grundsätzlich umstritten.<br />

Die Projektgruppe „Experten in Krisen“ interessiert sich<br />

besonders für die Rolle von wissenschaftlicher Beratung in<br />

Krisen. Berater sind fachliche Experten, die Entscheidungsträgern<br />

und anderen Krisenbeteiligten guten Rat geben, aber<br />

selber nicht unmittelbar beteiligt sind. Sie bringen wichtiges<br />

Fachwissen für Entscheidungen mit, tragen aber keine<br />

direkte Verantwortung für die Folgen von Entscheidungen.<br />

Wie verändert sich die Beziehung zwischen Entscheidungsträgern<br />

und Beratern im Krisenkontext? Welche Rolle spielen<br />

Berater bei Krisendiagnosen? Wie verschieben sich im<br />

Krisenfall die Kräfteverhältnisse zwischen etablierten und<br />

neuen Beratern? Zu diesen und ähnlichen Fragestellungen<br />

wird die Projektgruppe in den kommenden vier Jahren<br />

Ergebnisse erarbeiten und in wissenschaftliche ebenso wie<br />

praktische Kontexte hereintragen. ~<br />

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsgeographie<br />

an der FU Berlin, Leiter der Abteilung<br />

Dynamiken von Wirtschaftsräumen am<br />

Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung<br />

und Sprecher der Projektgruppe<br />

„Experten in Krisen“.<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Zahlungen anfechtbar<br />

Teil 11: Umgang mit säumigen Schuldnern<br />

Was haben<br />

säumige Schuldner<br />

mit Insolvenz<br />

zu tun?<br />

Was bedeutet<br />

das konkret?<br />

Sehr viel, denn oftmals folgt der Säumnis einige Zeit später die Insolvenz und damit<br />

stellt sich immer die Frage, welche vor Eintritt der Insolvenz vorgenommenen Zahlungen<br />

möglicherweise insolvenzrechtlich anfechtbar sind. Ist das der Fall, können<br />

die empfangenen Leistungen vom Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung<br />

zurückgefordert werden. Die Frist für solche Anfechtungen reicht bis zu zehn<br />

Jahren zurück. Sie ist für viele Unternehmen bitterer Alltag – mit teilweise gravierenden<br />

Folgen für die eigene Liquidität.<br />

Der Grundsatz der Insolvenzanfechtung nach den Paragraphen 129ff. der Insolvenzordnung:<br />

Wer als Gläubiger wissentlich von einem zahlungsunfähigen Schuldner<br />

Zahlungen entgegennimmt, weiß damit auch, dass bei einem gewerblichen Schuldner<br />

die Zahlung an ihn die Befriedigungsmöglichkeiten anderer Gläubiger vereiteln,<br />

erschweren oder verzögern kann.<br />

Woher soll ein<br />

Gläubiger die<br />

Zahlungsunfähigkeit<br />

kennen?<br />

Auf das „Kennen“ im Sinne von Wissen kommt es nicht wirklich an. Vielmehr reicht<br />

es auch, dass der Gläubiger „Umstände kennt“, aus denen ein umsichtiger Gläubiger<br />

auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen muss. Dabei kann es sich um einzelne, aber<br />

auch um mehrere Umstände handeln, sogenannte Indizien.<br />

Was sind<br />

wichtige<br />

Indizien oder<br />

Umstände?<br />

Im Grundsatz: Wichtige Indizien sind alle Tatsachen, die einen Rückschluss auf ein<br />

Operieren des Unternehmens des Schuldners am Rande des finanzwirtschaftlichen<br />

Abgrunds erlauben. Dies gilt natürlich immer dann, wenn der Schuldner selbst einräumt,<br />

nicht oder nicht mehr zahlen zu können. Die Entgegennahme jeder Zahlung<br />

nach einer solchen Erklärung führt im Insolvenzfall immer zur Rückforderung, auch<br />

Jahre später.<br />

Wie können<br />

solche Erklärungen<br />

in der Praxis<br />

aussehen?<br />

Etwa ein Gesuch um Ratenzahlung oder Stundung verbunden mit der Erklärung,<br />

anders die fälligen Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können. Oder ein monatelanges<br />

Schweigen des Schuldners auf Rechnungen und Mahnungen. Dies deutet<br />

nämlich nicht auf eine andauernde Forderungsprüfung hin, sondern auf schwerwiegende<br />

Liquiditätsprobleme. Auch die Inkaufnahme eines aussichtslosen Rechtsstreits<br />

lässt den Schluss zu, dass der Schuldner mangels flüssiger Mittel sich lieber verklagen<br />

lässt, um Zeit zu gewinnen.<br />

Was folgt aus<br />

der Gläubigerkenntnis?<br />

Weiß ein Gläubiger von einem oder mehreren dieser Umstände, so wird vermutet,<br />

dass er die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners kennt und damit die<br />

Voraussetzungen einer Anfechtung gegeben sind, auch wenn er einen Anspruch auf<br />

die Zahlung hatte.<br />

Das Insolvenzrecht gehört zu den komplexen Gebieten im deutschen Wirtschaftsrecht.<br />

Es zählt zugleich zu den wichtigsten Normierungen, die mit darüber<br />

bestimmen, inwieweit ein Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen<br />

darf. In dieser Serie vermittelt „<strong>return</strong>“ solides Basiswissen, praktische Tipps<br />

zur Umsetzung und sachdienliche Hinweise zum Umgang.<br />

Foto: Inked Pixels<br />

Welche Gegenmaßnahmen<br />

helfen?<br />

Was gilt im<br />

Sanierungsvergleich?<br />

Es ist angesichts einer sich verschärfenden Rechtsprechung dazu angeraten, mit der<br />

gerichtlichen Beitreibung einer „überfälligen“ Forderung nicht zu lange zu warten.<br />

Ein Forderungsmanagement mit straffen Reaktionszeiten und die zügige Einleitung<br />

gerichtlicher Schritte bei Nichtzahlung ist wohl die einzige Möglichkeit. Denn<br />

es geht darum, den Vorwurf zu entkräften, man habe die Zahlungsunfähigkeit des<br />

Schuldners gekannt und mit der Entgegennahme der Zahlung auch gewusst, dass<br />

dadurch andere Gläubiger geschädigt werden. Jede Form der Gewährung von Ratenzahlungen<br />

oder Stundungen steht daher unter hohen Anfechtungsrisiken.<br />

Bietet ein Schuldner in einer außergerichtlichen Sanierung gegen Verzicht auf einen<br />

Teil der Forderungen vergleichsweise Zahlungen an, so ist die Annahme einer<br />

solchen Zahlung nur bei bestimmten Voraussetzungen anfechtungsgeschützt. Dazu<br />

zählt ein schlüssiges Sanierungskonzept von einem versierten fachlichen Berater,<br />

aus dem nicht von vornherein ein voraussichtliches Scheitern zu entnehmen ist.<br />

Mehr dazu in der Entscheidung des BGH vom 12.05.<strong>2016</strong> – IX ZR 65/14 (siehe in<br />

dieser „<strong>return</strong>“-<strong>Ausgabe</strong> auf Seite 87).<br />

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<strong>03</strong>/16<br />

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MUSTERTEXT<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Wissensquiz für Entscheider<br />

Sachgebiet: Haftung<br />

Text: Jasper Stahlschmidt, Olaf Hiebert<br />

Gewusst wie …<br />

Die Lösungen finden Sie im Internet:<br />

www.<strong>return</strong>-online.de<br />

Der Sanierungsgeschäftsführer (CRO) erhält<br />

den Bericht, dass eine Filteranlage im Produktionsteil<br />

A defekt ist. Der unverzügliche Austausch<br />

des Filters wird vom zuständigen Ingenieur dringend<br />

empfohlen, weil andernfalls mit einer Luftverschmutzung zu<br />

rechnen ist und der Betrieb mit defektem Filter einen erheblichen<br />

Verstoß gegen Umweltvorschriften darstellt. Der Austausch<br />

der Filteranlage würde bei dem mittelständischen Betrieb<br />

mit 70.000 Euro zu Buche schlagen und die Liquidität<br />

erheblich belasten. Der CRO lehnt den Austausch des Filters<br />

mit der Begründung ab, nach Stellung des Insolvenzantrages<br />

sei die Schuldnerin im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung<br />

zuallererst verpflichtet, die Masse im Interesse der<br />

Insolvenzgläubiger „zusammenzuhalten“. Eine Strafbarkeit<br />

der Geschäftsführung bei Missachtung der umweltrechtlichen<br />

Vorschriften scheide aus und Schadenersatzforderungen<br />

seien als bloße Insolvenzforderungen zu behandeln.<br />

Hat der CRO Recht?<br />

a) Ja, die Masseerhaltungspflicht und der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz<br />

sind unumstößliche Grundsätze<br />

der Insolvenzordnung, die anderweitige Erwägungen und<br />

Rechtsvorschriften nach Stellung eines Insolvenzantrages<br />

ersetzen.<br />

b) Nein, ungeachtet dieser Grundsätze ist das Insolvenzrecht<br />

nicht in der Lage und auch nicht dafür konzipiert,<br />

umweltrechtliche Normen und entsprechende Strafvorschriften<br />

außer Kraft zu setzen.<br />

Der CEO der Schuldnerin, eine GmbH, und<br />

der seit längerem mit der Sanierung befasste<br />

Berater B kommen zu dem Ergebnis, dass eine<br />

außergerichtliche Sanierung nicht mehr möglich ist. Sie<br />

planen, für die GmbH einen Insolvenzantrag zu stellen.<br />

Um die schwierige Phase nach dem Insolvenzantrag besser<br />

„überstehen“ zu können, beschließen Sie, noch einmal<br />

zahlreiche Bestellungen auszubringen. Insbesondere bestellen<br />

sie bei der W-GmbH Schrauben mit einem Wert<br />

von 100.000 Euro. Dies entspricht dem Monatsverbrauch<br />

des Unternehmens. Der CEO und B wissen, dass die<br />

Schuldnerin die bestellten Schrauben bei Fälligkeit nicht<br />

wird bezahlen können. Die Ware wird geliefert und in den<br />

Lagerräumen der GmbH deponiert. Zwischen den Parteien<br />

sind die AGB der Lieferantin vereinbart, die einen verlängerten<br />

Eigentumsvorbehalt vorsehen. Eine Abwehrklausel<br />

enthalten die AGB der Schuldnerin nicht. Nach Eingang<br />

der Ware stellen die Geschäftsführer zufrieden den Insolvenzantrag,<br />

um eine Erfolg versprechende Sanierung einzuleiten.<br />

Die zwei Wochen später eingehende Rechnung<br />

bezahlen sie nicht.<br />

Frage 1: Muss die gelieferte Ware bezahlt werden?<br />

a) Ja. Verträge sind bindend.<br />

b) Nein. Es handelt sich um eine bloße Insolvenzforderung.<br />

Frage 2: Die Lieferantin ist erzürnt, aber heilfroh, dass<br />

die Ware zumindest noch vollständig vorhanden ist. Was<br />

kann die Lieferantin machen, um ihren Schaden möglichst<br />

gering zu halten, und welche Aussagen sind zutreffend?<br />

a) Sie kann die Verarbeitung der Ware untersagen und ihr<br />

Eigentum herausverlangen. Sollte das Insolvenzverfahren<br />

eröffnet sein, hat sie ein Aussonderungsrecht.<br />

b) Das Insolvenzrecht schützt hier die Schuldnerin. Sie<br />

kann die Ware behalten und verwenden. Die Lieferantin<br />

wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich<br />

vor allen anderen Gläubigern bevorrechtigt befriedigt.<br />

c) Die Lieferantin kann die Ware nicht herausverlangen,<br />

hat nach Eröffnung aber ein Absonderungsrecht.<br />

d) Die Schuldnerin kann die Ware verwenden, muss diese<br />

aber auch bezahlen. Die Lieferantin kann dies hinnehmen,<br />

ohne dass der Sachwalter die Bezahlung der<br />

Ware nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechten<br />

(§§ 129 ff. InsO) kann.<br />

Frage 3: Ändert sich etwas, wenn die Ware bereits zur<br />

Hälfte verbraucht ist?<br />

a) Ja, soweit die Ware verbraucht ist, ist das Sicherungsrecht<br />

Eigentumsvorbehalt untergegangen.<br />

b) Nein, die Lieferantin hat die gleichen Rechte.<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Krisenstadien<br />

Bilanz-Check: Planungsstandards<br />

Kennzahlen von Unternehmen liefern wichtige<br />

Erkenntnisse und nützliche Dienste, um<br />

Krisen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig<br />

zu bewältigen. Für diese „<strong>return</strong>“-Reihe<br />

unterzieht Wirtschaftsprüfer, Steuerberater<br />

und Diplom-Kaufmann Christoph Hillebrand<br />

das Wertewerk an Beispielen brauchbaren<br />

Bilanz-Checks.<br />

Text: Christoph Hillebrand<br />

Foto: bigstockphoto/Ksander<br />

In der vergangenen <strong>Ausgabe</strong> „<strong>return</strong> 02/<strong>2016</strong>“ sind an dieser<br />

Stelle vor allem Fragen danach beantwortet worden,<br />

welche absoluten und relativen Kennzahlen zur Bewertung<br />

welches Krisenstadiums geeignet sind. Eine Feststellung lautete:<br />

Sogenannte Kennzahlensysteme wie das Depotschema<br />

haben ausgehend von Return und Investment (RUI) die beste<br />

Aussagekraft.<br />

Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW)<br />

e.V. hat in seinem „Standard S6“ festgehalten, dass die Überwindung<br />

einer Krise erfordert, das konkrete Krisenstadium<br />

festzustellen. Weiterhin regelt der Standard, dass die Feststellung<br />

der Sanierungsfähigkeit anhand einer konkreten<br />

integrierten Unternehmensplanung zu erfolgen hat. Eine<br />

solche integrierte Unternehmensplanung besteht aus einer<br />

Rentabilitäts-, einer Liquiditäts- und einer Bilanzplanung,<br />

die im Sinne eines integrierten Ansatzes ineinandergreifen.<br />

Das heißt, es werden nicht drei separierte Planungen erstellt,<br />

sondern es existiert eine Gesamtplanung mit entsprechenden<br />

Teilplänen, die aufeinander aufbauen.<br />

Eine solche integrierte Unternehmensplanung wird insbesondere<br />

zur Plausibilisierung mit Kennzahlen ergänzt. Die<br />

Kennzahlen dienen zur Verdeutlichung und Kommentierung<br />

des geplanten Sanierungsverlaufs. Sie werden zur Beurteilung<br />

der Fortführungs- und Sanierungsfähigkeit herangezogen<br />

und sind Kontrollgrößen für den Grad der Zielerreichung<br />

des Sanierungskonzeptes. Gleichzeitig dienen sie als Eckpunkte<br />

für die Beurteilung des Sanierungskonzeptes durch<br />

Dritte. Wesentlicher Gegenstand der integrierten Unternehmensplanung<br />

sind die Finanzlage inklusive der Liquidität,<br />

die Vermögenslage, die Ertragslage inklusive der Rentabilität<br />

als auch die Covenants.<br />

Die verschiedenen Kennzahlen haben bezüglich ihrer Aussagefähigkeit<br />

einen unterschiedlichen Darstellungsgrad bzw.<br />

eine unterschiedliche Eignung. In Bezug auf die unterschiedlichen<br />

Lagen empfiehlt der Standard S6 die Differenzierung<br />

nach Kennzahlen in der nachfolgend dargestellten Grafik.<br />

In der nächsten <strong>Ausgabe</strong> „<strong>return</strong> 4/<strong>2016</strong>“ widmet sich der<br />

Autor dann der Frage, welche Probleme bei der Herleitung<br />

der einzelnen Kennzahlen auftreten können und welche gegebenenfalls<br />

eingeschränkte Aussagekraft solche Kennzahlen<br />

in einem Sanierungskonzept haben können. ~<br />

Kennzahlen verschiedener Krisenstadien<br />

Verschiedene Krisenstadien nach Gefahrenlage<br />

Liquiditätskennzahlen<br />

Ertragskennzahlen<br />

Vermögenskennzahlen<br />

Ertragskennzahlen<br />

Stakeholderkrise<br />

XXLiquiditätsgrade<br />

I-III<br />

XXCashflow in Prozent<br />

vom Umsatz<br />

XXSchuldentilgungs-<br />

dauer in Jahren<br />

XXKapitaldeckungs-<br />

fähigkeit<br />

XXGesamtkapitalren-<br />

tabilität<br />

XXEK-Rentabilität<br />

XXUmsatzrentabilität<br />

XXMaterial-/Fremd-<br />

leistungsquote<br />

XXPersonalaufwands-<br />

quote<br />

XXEBITDA in Prozent<br />

vom Umsatz<br />

XXEigenmittelquote<br />

XXVerschuldungsgrad<br />

XXAnlagendeckung<br />

XXWorking Capital<br />

XXLaufzeit der Debitoren<br />

und Kreditoren<br />

in Tagen<br />

XXVorratsreichweite<br />

in Tagen<br />

XXVertraglich<br />

vereinbarte<br />

Kennzahlen im<br />

Rahmen der<br />

Covenants<br />

Handlungsspielraum<br />

Strategiekrise<br />

Marktanteilsverlust<br />

Gefährdung der<br />

Erfolgspotenziale<br />

Produkt- und<br />

Absatzkrise<br />

Umsatzrückgang<br />

Ergebnisverschlechterung<br />

Kapazitätsunterauslastung<br />

Ertragskrise<br />

Operativer Verlust<br />

Nachfragerückgang<br />

Preisverfall<br />

Kostensteigerungen<br />

Liquiditätskrise<br />

Gefährdung der<br />

Zahlungsfähigkeit<br />

Insolvenz<br />

potenzielle Gefahr<br />

latente Gefahr aktue Gefahr aktue Gefahr Zahlungsunfähigkeit<br />

oder Überschuldung<br />

Sanierung ohne Kapitalzufuhr kaum möglich<br />

Bestandsgefährdung<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Zentrale Zahnräder<br />

der additiven Fertigung<br />

Eintritt für einen: Jedes Unternehmen sollte<br />

sich für additive Fertigungen den Zugang zur<br />

Druckvorlage sichern.<br />

Was Mittelständler beim 3D-Druck beachten müssen<br />

Text: Andreas Leupold<br />

Foto: www.colourbox.de<br />

Industrie 4.0 und Smart Manufacturing werden die Herstellung<br />

und den Vertrieb von Erzeugnissen tiefgreifend<br />

verändern. Kaum ein Unternehmen wird davon nicht betroffen<br />

sein. Inmitten dieser Entwicklung steht der industrielle<br />

3D-Druck, der Produkte ohne Fräsmaschinen und Gussformen<br />

aus Metall, Kunststoff und weiteren Werkstoffen „additiv“<br />

Schicht um Schicht aufbaut.<br />

Dieses Verfahren hat gegenüber herkömmlichen, „subtraktiven“<br />

Fertigungsverfahren viele Vorteile. Zu denen gehört<br />

neben der Materialeinsparung, dass damit völlig neue Konstruktionen<br />

und Leichtbauteile möglich sind. 3D-Druckverfahren<br />

werden inzwischen auch zur Herstellung von Endprodukten<br />

eingesetzt und sind aus der Luftfahrtindustrie<br />

ebenso nicht mehr wegzudenken wie aus der Herstellung<br />

von Medizinprodukten. Die technische Entwicklung ist<br />

sprunghaft und das Tempo rasant, mit dem der Markteintritt<br />

neuer Verfahren und Anlagen zur additiven Fertigung<br />

gelingt. Kleine und mittlere Unternehmen können davon<br />

besonders profitieren. Wer noch nicht geprüft hat, ob sich<br />

eine additive Fertigung seiner Produkte lohnen könnte, sollte<br />

dies bald tun und unabhängig vom Ausgang dieser Prüfung<br />

die weitere Entwicklung im Auge behalten. Dabei dürfen<br />

rechtliche Überlegungen nicht zu kurz kommen, denn<br />

eine Vernachlässigung kann gravierende Folgen bis hin zum<br />

Produktionsstopp haben.<br />

Verarbeitung von<br />

Informationen<br />

Ist die Entscheidung für die Nutzung additiver Herstellungsverfahren<br />

gefallen, muss neben technischen Fragen zu<br />

deren Integration in die Produktion berücksichtigt werden:<br />

Der industrielle 3D-Druck beruht auf der Verarbeitung von<br />

Informationen. Die dafür genutzten Anlagen erzeugen selbst<br />

eine Vielzahl von Informationen, die nicht in falsche Hände<br />

geraten sollten. Dazu zählen vor allem das 3D-Modell,<br />

und die STL-Datei, in der es gespeichert wird. Wer darüber<br />

verfügt, kann auch das darin verkörperte Produkt herstellen.<br />

Die Absicherung der additiven Fertigung vor einem ungewollten<br />

Informationsabfluss mit technischen Mitteln ist<br />

unverzichtbar. Sie wird aber nicht immer verhindern, dass<br />

Produktionsdaten unbefugt kopiert und dann zum Nachbau<br />

vom Original nicht mehr unterscheidbarer Produkte benutzt<br />

werden. Sind die Nachbauten von minderer Qualität, und<br />

kommt dadurch der Erwerber eines fehlerhaften Nachbaus<br />

zu Schaden, so kann dies zur Folge haben, dass gegen den<br />

Originalhersteller zu Unrecht Ansprüche geltend gemacht<br />

werden, deren Abwehr sich als zeit- und kostenintensiv erweisen<br />

kann. Verfügt der Hersteller des Originalprodukts<br />

nicht über die ausschließlichen Rechte am 3D-Modell, kann<br />

er dessen Nutzung anderen nicht untersagen und seinerseits<br />

zur Einstellung der Produktion gezwungen werden, wenn<br />

Dritte diese Rechte erfolgreich für sich beanspruchen.<br />

Dass letztlich Verträge in der digitalen Produktion darüber<br />

entscheiden, wer was herstellen darf, hat verschiedene Gründe.<br />

Zum einen gibt es derzeit (noch) kein dem Eigentum an<br />

Sachen vergleichbares Eigentum an Daten, sondern lediglich<br />

ein Eigentum an Datenträgern, also der Festplatte oder<br />

CD-ROM/DVD, auf der sie gespeichert sind. Angesichts<br />

der Tatsache, dass Produktionsdaten heute kaum mehr dauerhaft<br />

auf Datenträgern, sondern in der Cloud gespeichert<br />

und rund um den Erdball versandt werden, genügt ein an<br />

Datenträger gebundener Eigentumsbegriff aber nicht mehr<br />

den Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft.<br />

Unternehmen müssen deshalb umso mehr darauf achten,<br />

sich die Rechte an den Druckvorlagen und den darin enthaltenen<br />

3D-Modellen zu sichern. 3D-Modelle können<br />

urheberrechtlich geschützt sein. Ist dies der Fall, stehen die<br />

Nutzungsrechte daran aber nicht etwa automatisch dem<br />

Auftraggeber, sondern dem freien Mitarbeiter oder externen<br />

Dienstleister zu, der sie mit einem CAD-Programm<br />

geschaffen hat. Will der Auftraggeber ausschließlich zur Benutzung<br />

des 3D-Modells berechtigt sein, so muss er dazu<br />

mit (dem) Urheber(n) einen Lizenzvertrag schließen, der<br />

dies sicherstellt.<br />

Rechte an der<br />

Druckvorlage sichern<br />

Das ist insbesondere dann ratsam, wenn – wie nicht selten –<br />

in der additiven Auftragsfertigung bewährte Produkte vom<br />

Dienstleister oder Zulieferer neu konstruiert oder verbessert<br />

werden. Denn dann erwirbt der Auftraggeber ohne vertragliche<br />

Absicherung regelmäßig keine Rechte an den neuen<br />

Konstruktionsdetails. Aber auch wenn das 3D-Modell keinen<br />

Urheberrechtsschutz genießt: In der digitalen Wertschöpfungskette<br />

muss durch vertragliche Absprachen mit allen<br />

Geschäftspartnern, Dienstleistern und Auftragnehmern<br />

mit Zugriff auf die Druckvorlage sichergestellt werden, dass<br />

sie nur mit Zustimmung des beauftragenden Unternehmens<br />

zur Herstellung von Produkten benutzt wird. Dazu gehört<br />

die Regelung der Frage, wer Zugang zur Druckvorlage erhält<br />

und wem Lese- und Schreibrechte gewährt werden. Solche<br />

Regelungen gehen weit über das hinaus, was in üblichen<br />

Vertraulichkeitsvereinbarungen, sogenannten „Non-Disclosure<br />

Agreements“, festgehalten wird.<br />

Mit der Sicherung der ausschließlichen Rechte am 3D-Modell<br />

ist es aber nicht getan. Während des Fertigungsprozesses<br />

fällt eine Vielzahl von Daten an, die vertrauliche Informationen<br />

enthalten und vor einer Ausspähung geschützt werden<br />

müssen. So erzeugen industrielle 3D-Drucker Geräuschemissionen,<br />

die mit einem Smartphone aufgezeichnet und<br />

im Wege des „Reverse Engineering“ für den Nachbau additiv<br />

gefertigter Originalprodukte verwendet werden können.<br />

Forschern der University of California, Irvine, gelang damit<br />

kürzlich die Herstellung von Kopien eines Objekts mit einer<br />

Genauigkeit von fast 90 Prozent.<br />

Der Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen etwa<br />

durch unzufriedene oder gekündigte Mitarbeiter ist zwar<br />

strafbar, Unternehmen die ihren Arbeitnehmern die Nutzung<br />

privater Endgeräte in der Firma gestatten, sollten aber<br />

ihre „Bring Your Own Device“-Richtlinien überdenken und<br />

Vorsorge gegen eine solche Betriebsspionage treffen. Es<br />

versteht sich von selbst, dass das Erstellen von Kopien der<br />

Druckvorlage nur einem eingeschränkten Personenkreis gestattet<br />

und die Bearbeitung von 3D-Modellen auf privaten<br />

Rechnern untersagt werden sollte.<br />

Vorgehen gegen<br />

Trittbrettfahrer<br />

Auch eine vorausschauende vertragliche Absicherung<br />

der digitalen Produktion kann sich nur dann als scharfes<br />

Schwert gegen Produktpiraten erweisen, wenn die daraus<br />

fließenden Rechte im Ernstfall auch durchgesetzt werden.<br />

Bevor auf dem Rechtsweg gegen Trittbrettfahrer vorgegangen<br />

wird, müssen Firmen allerdings sorgfältig prüfen, ob<br />

ein Verstoß gegen vertragliche Vereinbarungen und/oder<br />

eine Verletzung von gesetzlichen Schutzrechten nachgewiesen<br />

werden kann. Ist dies der Fall, empfiehlt es sich, den<br />

Betreffenden vorgerichtlich abzumahnen und ihn zur Unterlassung,<br />

Auskunftserteilung über den Umfang der Verletzungshandlungen<br />

und Schadensersatzleistung aufzufordern.<br />

Kann damit keine Abhilfe geschaffen werden, sollte<br />

nicht gezögert werden, gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung<br />

aller Forderungen in Anspruch zu nehmen, um größere<br />

Schäden zu vermeiden und Dritten zu signalisieren,<br />

dass sich Übergriffe nicht lohnen. ~<br />

Buchtipp: Den Praxisratgeber über „3D-<br />

Druck, Additive Fertigung und Rapid Manufacturing“<br />

veröffentlichte Dr. Leupold<br />

kürzlich mit Silke Glossner im Verlag Franz<br />

Vahlen, München <strong>2016</strong>, 79 Euro.<br />

Als Industrieanwalt vertritt der Autor Unternehmen<br />

im 3D-Druck & Recht, bei Lizenzverträgen,<br />

im IT-Recht und im Medienrecht.<br />

Er schreibt mit mehr als 20-jähriger Erfahrung<br />

zahlreiche Fachbeiträge, darunter auf <strong>return</strong>online.de<br />

in unserer Rubrik „Expertenwissen“<br />

eine dreiteilige Serie.<br />

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<strong>03</strong>/16<br />

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HINTERGRUND & WISSEN<br />

HINTERGRUND & WISSEN<br />

Führung im Wandel<br />

Verantwortung auf allen Unternehmensebenen<br />

Text: Jeffrey Beeson<br />

Anne’s Corner<br />

Unternehmen auf Trab halten<br />

Text: Anne Koark<br />

Die aktuellen Herausforderungen der digitalen Revolution<br />

zwingen Unternehmensverantwortliche dazu, ihr<br />

Verständnis dessen, was eine gute Führung ausmacht, neu<br />

zu überdenken. Vor noch nicht allzu langer Zeit gehörte es<br />

zu den Kernaufgaben eines Managers<br />

der mittleren Führungsebene,<br />

Informationen im Unternehmen<br />

weiterzugeben. Die meisten dieser<br />

Informationen kamen von der<br />

obersten Führungsebene. Heutzutage<br />

sind viele dieser Informationen<br />

überall in einem Unternehmen<br />

jederzeit per Mausklick verfügbar.<br />

Nach wie vor müssen sich<br />

Führungskräfte auf Kernaufgaben<br />

konzentrieren: Die Richtung vorgeben,<br />

den Weg zeigen und klarstellen,<br />

wohin die Reise geht.<br />

Schwierigste Rolle<br />

einer Führungskraft<br />

Das „Alignment“, also die Anpassung, zu schaffen, zählt vermutlich<br />

zur schwierigsten Rolle einer Führungskraft − und<br />

ist doch absolut unerlässlich für den Erfolg. Dieser Prozess<br />

der gemeinsamen Ausrichtung erfordert hohe kommunikative<br />

Kompetenz und Klarheit sowie große Beharrlichkeit. Zu<br />

Engagement zu inspirieren ist bedeutend: Außergewöhnliche<br />

Ergebnisse werden nur dann erzielt, wenn sich die Beteiligten<br />

eigenverantwortlich für ein Vorhaben engagieren<br />

und es gewissermaßen zu ihrer eigenen Sache machen. Der<br />

zentrale Wandel besteht in einer Neuverteilung der Führung<br />

innerhalb des Unternehmens. Heutzutage ist Führung nicht<br />

mehr die Domäne einiger weniger Auserwählter − sie findet<br />

auf allen Unternehmensebenen statt.<br />

Dieser Führungswandel und seine Auswirkung lassen sich<br />

anhand von zwei Unternehmen veranschaulichen, die in der<br />

gleichen Branche tätig sind beziehungsweise waren: dm und<br />

Schlecker. Bei Schlecker herrschte ein traditionell autoritärer<br />

Führungsstil. Sämtliche Entscheidungen wurden von wenigen<br />

Vorstandsmitgliedern getroffen. Das Unternehmen dm<br />

dagegen setzt auf eine dialogische Führungskultur. So werden<br />

die Mitarbeiter ermutigt, sich an Entscheidungsprozessen<br />

auf Ladenebene zu beteiligen − und übernehmen damit<br />

Führungsrollen innerhalb des Unternehmens.<br />

Führung ist nicht mehr die Domäne einiger weniger Auserwählter<br />

− sie findet auf allen Unternehmensebenen statt.<br />

Für dm-Gründer Götz Werner ist die Qualität der Arbeitsumgebung<br />

nach eigenen Worten wichtiger als der Profit.<br />

Ein von kooperativer Führung geprägtes Arbeitsumfeld<br />

ist deshalb so erfolgreich, weil es etwas anspricht, das uns<br />

als Menschen zutiefst motiviert.<br />

Neueste Forschungsergebnisse<br />

Foto: portishead1<br />

haben bestätigt, dass unsere Motivation<br />

aus drei Triebfedern entspringt:<br />

Selbstbestimmung, Perfektionierung<br />

und Sinnerfüllung.<br />

Alle drei Motivationstreiber werden<br />

durch die kooperative Führungspraxis<br />

begünstigt, denn sie<br />

bietet den Mitarbeitern Gelegenheit<br />

zu eigenständigem Handeln<br />

und Mitdenken. Der Erwerb von<br />

Führungskompetenzen trägt zur<br />

Selbst-Perfektionierung der Mitarbeiter bei. Die Teilhabe an<br />

den Entscheidungsprozessen fördert die Sinnerfüllung. Top-<br />

Manager brauchen daher neue Instrumentarien, mit denen<br />

Organisationsleiter den Kurs vorgeben können. Eines dieser<br />

unverzichtbaren Instrumente ist die Rahmengebung.<br />

Organisationsleiter müssen imstande sein, Rahmen zu<br />

schaffen, in denen Selbstbestimmung, Perfektionierung und<br />

Sinnerfüllung gedeihen können. Ebenso wichtig sind die Instrumente<br />

der Inklusion. Traditionelle Führung arbeitet in<br />

erster Linie auf der Basis von Teams und größeren Gruppen.<br />

Auch wenn diese weiterhin im Fokus bleiben, muss sich<br />

die Aufmerksamkeit einer kooperativen Führung verstärkt<br />

auf die Art und Dimension der Netzwerke innerhalb eines<br />

Unternehmens richten. Die Verknüpfung einer großen Zahl<br />

von Menschen auf sinnvolle Weise vermittelt ein Gefühl der<br />

Gemeinschaft und für das Ganze. Diese sind die ersten und<br />

wichtigsten Schritte, um den Wandel hin zu diesem neuen<br />

Führungsansatz anzustoßen, der besonders gut geeignet ist<br />

− wenn nicht unverzichtbar −, um mit unserer zunehmend<br />

digitalisierten Welt Schritt zu halten. ~<br />

Foto: Ingrid Theis<br />

Der Autor ist „Chief Alignment Enabler“ der<br />

Unternehmensberatung „Ensemble Enabler“<br />

aus München.<br />

Die Zukunft ist die noch unbekannte Zeit,<br />

die der bekannten Gegenwart nachfolgt.<br />

Innovation stammt aus dem Lateinischen<br />

„innovare“, was so viel wie Neuerung<br />

oder Erneuerung heißt. Demnach wäre<br />

Zukunftsmanagement das Management<br />

des Unbekannten aus Sicht des Bekannten.<br />

Innovationsmanagement wäre dann die<br />

Steuerung von dem, was es noch nicht gibt. So<br />

betrachtet, könnte man meinen, dass die anspruchsvollen<br />

Aufgaben des Zukunfts- und Innovationsmanagements<br />

hellseherischer Fähigkeiten bedürfen. Und doch sind<br />

diese Steuerungsinstrumente bedeutende strategische Werkzeuge,<br />

die äußerst wichtig für den Fortbestand eines jeden<br />

Unternehmens sind.<br />

Innovationen sind der Motor des Fortschritts. Ohne Fortschritt<br />

gibt es faktische und passive Rückschritte. Sie entstehen<br />

dadurch, dass man stehen<br />

bleibt, während die Konkurrenz<br />

sich weiterentwickelt. Der<br />

Fortschritt lebt von Mut, von<br />

Weitsicht und von fundierter<br />

strategischer Planung. In einer<br />

Arbeitsumgebung, in der bislang<br />

unbekannte Ideen sich entwickeln<br />

können, entstehen Erneuerungen, die Unternehmen<br />

erfolgreich Zukunft bescheren.<br />

Wie jedoch erreicht man am besten das Management des<br />

noch nicht Bekannten? Und ruft das Unbekannte eher Ängste<br />

hervor? Dafür hatte der chinesische Philosoph Konfuzius<br />

eine vielversprechende Lösung: „Wer das Ziel kennt, kann<br />

entscheiden. Wer entscheidet, der ist sicher. Wer sicher ist,<br />

kann überlegen. Wer überlegt, kann verbessern.“ Um eine<br />

managebare Zukunft zu sichern, müssen die richtigen Ziele<br />

identifiziert und gesetzt werden. Noch wichtiger: Es sollten<br />

mutige Entscheidungen getroffen werden, um diese Ziele zu<br />

erreichen. Die ständige Suche nach Verbesserungen befeuert<br />

Innovationen, die für die Weiterentwicklung eines Unternehmens<br />

lebensnotwendig sind.<br />

Der Nobelpreisträger Albert von Szent-Györgyi Nagyrápolt<br />

sagte sinngemäß: Die Entdeckung sei „das Treffen eines Unfalls<br />

auf einen vorbereiteten Geist“. Das ist die darwinsche<br />

Weiterentwicklung eines Unternehmens, in der eine Organisation<br />

sich ständig an die sich verändernde Wirtschaftswelt<br />

anpasst. Das ist ein wichtiger Teil der Evolutionsökonomik,<br />

„Der Fortschritt lebt von Mut,<br />

von Weitsicht und von fundierter<br />

strategischer Planung.“<br />

die Joseph Schumpeter im Zusammenhang mit<br />

Innovation als Begriff prägte. Zukunfts- und<br />

Innovationsmanagement bedarf des Mutes<br />

zur Veränderung gepaart mit der strategischen<br />

Planung der entstehenden Ideen. Quasi eine<br />

geplante Bewegung aus der Komfortzone des<br />

„business as usual“ ins strategische Management<br />

des ideenzündenden Unbekannten.<br />

Für „Zukunftsknüller“ reicht kein „Wir haben<br />

es immer so gemacht”. Die Atmosphäre muss so<br />

beschaffen sein, dass Angst vor Unbekanntem erst gar nicht<br />

entsteht. Kalkulierte Risiken müssen mit Erneuerungen<br />

eingegangen werden, um Fähigkeiten zu entwickeln, die in<br />

die richtigen Innovationsprozesse münden. Dies sichert die<br />

Tragfähigkeit von Neuem. Dies fordert eine offene und lebendige<br />

Kommunikation in interdisziplinärer Zusammenarbeit.<br />

Es gilt das Noch-Nicht-Gedachte denkbar und das<br />

Noch-Nicht-Gemachte machbar<br />

zu machen – und zwar koordiniert.<br />

Auf seinen Lorbeeren sich<br />

auszuruhen, passt dazu nicht. Autobauer<br />

Henry Ford schreibt man<br />

das Zitat zu: „Wenn ich die Leute<br />

gefragt hätte, was sie brauchen,<br />

hätten sie geantwortet, ,bessere<br />

Pferde’.“ Er verlangte stattdessen: „Besorgt mir Ingenieure,<br />

die noch nicht gelernt haben, was nicht geht.“ Das Verbinden<br />

von Erfahrungen aus bekannten und unbekannten<br />

Pfaden zählt zu den zentralen Maßgaben von Erfolg. Unternehmen<br />

sollten mit gemanagten Querdenkern auf Trab<br />

gehalten werden, die den Raum für bahnbrechende Neuerungen<br />

durch ständige Grenzschiebung eröffnen. In diesem<br />

Raum entstehen nicht nur Produktneuheiten, sondern auch<br />

die nötigen strategisch auswertbaren und kontrollierbaren<br />

Prozessfortentwicklungen.<br />

Den Unternehmenslenkern sollten die Pferde dabei nicht<br />

durchbrennen, sie sollten ganz gezielt auf Trab gehalten werden.<br />

Gefragt sind Wirtschaftsentdecker, die bereit sind, wie<br />

beim Ei des Kolumbus dazwischen unterscheiden zu können<br />

– „es getan zu haben“ oder „es hätten tun können“. So setzt<br />

man strategisches Können zum wirtschaftlichen Vorteil ein. ~<br />

Die Autorin schrieb nach eigener Insolvenz Bücher wie „Zurück auf<br />

Start“ und arbeitet heute als Unternehmensberaterin und Übersetzerin.<br />

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Luchterhand Verlag<br />

Ohne ihn geht es nicht!<br />

NEU<br />

Rechtsprechung<br />

Aus der Praxis richterlicher Entscheidungen<br />

SERVICE<br />

Auch die Neuauflage zeichnet sich in<br />

besonderem Maße durch die Fokussierung<br />

auf die höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung, die praxisorientierte<br />

Auseinandersetzung mit der InsO sowie<br />

einer aktuellen Kommentierung samt<br />

Nebengesetze aus. Durch den erlesenen<br />

Herausgeber- und Autorenkreis<br />

von anerkannten Experten aus Wissenschaft,<br />

Richter- und Anwaltschaft<br />

gewährleistet sie höchste Kompetenz.<br />

Der transparente Aufbau der Kommentierungen<br />

und der lösungsorientierte<br />

Stil mit vielen Beispielen verschaffen<br />

dem Nutzer einen schnellen Zugang<br />

zur gesuchten Information.<br />

Jetzt neu: Für die dritte Auflage des<br />

Kommentars wird erstmals das Sanierungsrecht<br />

kompakt als Anhang umfassend<br />

systematisch dargestellt. Sanierungs-<br />

und Finanzierungsmaßnahmen,<br />

Sanierungsarbeits- und Sanierungssteuerrecht<br />

werden ebenso dargestellt<br />

wie der Sachstand zum vorinsolvenzlichen<br />

Sanierungsverfahren.<br />

Die neue EuInsVO, die ab dem<br />

26.06.2017 gilt und einige interessante<br />

Neuerungen insbesondere für die<br />

Konzerninsolvenz enthält, ist ebenso<br />

kommentiert.<br />

Neben der Insolvenzordnung (InsO)<br />

werden kommentiert und bearbeitet:<br />

■ EuInsVO mit Art. 102-110 EGInsO<br />

■ InsVV ■ AnfG ■ §§ 66a, 67c GenG<br />

■ Insolvenzstrafrecht (§§ 283-283d<br />

StGB) ■ Vorschriften über das Insolvenzgeld<br />

(§§ 165-172, 358-362 SGB III)<br />

■ §§ 1 – 23 KredReorgG ■ systematische<br />

Darstellung der gesellschaftsrechtlichen<br />

Haftung der Gesellschafter und<br />

Geschäftsführer in der GmbH-Insolvenz.<br />

Herausgeber:<br />

Prof. Dr. Martin Ahrens, Universität Göttingen;<br />

Prof. Dr. Markus Gehrlein, RiBGH,<br />

Karlsruhe; Dr. Andreas Ringstmeier, RA/<br />

FA für Insolvenzrecht und für Arbeitsrecht,<br />

Köln.<br />

Wolters Kluwer Deutschland GmbH • Kundenservice • Heddesdorfer Str. 31 a • 56564 Neuwied<br />

Telefon 02631 8012222 • Fax 02631 8012223 • info-wkd@wolterskluwer.com • www.wolterskluwer.de<br />

Mit Ausblick auf die Reform<br />

zum Insolvenzanfechtungsund<br />

Konzerninsolvenzrecht<br />

Bereits berücksichtigt:<br />

die neue EuInsVO<br />

Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier (Hrsg.)<br />

Insolvenzrecht<br />

Kommentar<br />

3. Auflage 2017, ca. 2.900 Seiten,<br />

gebunden, ca. € 189,–<br />

ISBN 978-3-472-08669-7<br />

Vorauflagen erschienen unter<br />

»Fachanwalts-Kommentar<br />

Insolvenzrecht«<br />

In Vorbereitung für Oktober <strong>2016</strong><br />

Versandkostenfrei bestellen<br />

shop.wolterskluwer.de<br />

<br />

Anforderungen an ein schlüssiges Sanierungskonzept<br />

für ein Unternehmen in der<br />

Krise aus Sicht eines Gläubigers<br />

BGH, Urt. v. 12. 05.<strong>2016</strong> – IX ZR 65/14, ZInsO <strong>2016</strong>,<br />

1251ff.<br />

Leitsätze des Gerichts:<br />

1. Den Gläubiger, der die (drohende) Zahlungsunfähigkeit<br />

des Schuldners und die Benachteiligung der Gläubiger<br />

kennt, trifft die Darlegungs- und Beweislast, dass er<br />

spätere Zahlungen auf der Grundlage eines schlüssigen<br />

Sanierungskonzeptes erlangt hat.<br />

2. Der Gläubiger kann nur dann von einem schlüssigen<br />

Sanierungskonzept des Schuldners ausgehen, wenn er<br />

in Grundzügen über die wesentlichen Grundlagen des<br />

Konzeptes informiert ist; dazu gehören die Ursachen der<br />

Insolvenz, die Maßnahmen zu deren Beseitigung und<br />

eine positive Fortführungsprognose.<br />

3. Der Gläubiger, der im Rahmen eines Sanierungsvergleichs<br />

quotal auf seine Forderungen verzichtet in der<br />

Annahme, andere Gläubiger verzichteten in ähnlicher<br />

Weise, kann von einer Sanierung des Schuldnerunternehmens<br />

allein durch diese Maßnahme nur ausgehen,<br />

wenn nach seiner Kenntnis die Krise allein auf Finanzierungsproblemen<br />

beruht, etwa dem Ausfall berechtigter<br />

Forderungen des Schuldners.<br />

4. Der Gläubiger ist nicht verpflichtet, das Sanierungskonzept<br />

des Schuldners fachmännisch zu prüfen oder prüfen<br />

zu lassen; er darf sich auf die Angaben des Schuldners<br />

oder dessen Berater zu den Erfolgsaussichten des Konzeptes<br />

verlassen, solange er keine Anhaltspunkte dafür<br />

hat, dass er getäuscht werden soll oder dass der Plan keine<br />

Chancen auf dauerhaften Erfolg bietet.<br />

5. Der Sanierungsplan des Schuldners muss nicht den formalen<br />

Erfordernissen entsprechen, wie sie das Institut<br />

für Wirtschaftsprüfer e.V. in dem IDW Standard S6<br />

(IDWS6) oder das Institut für die Standardisierung von<br />

Unternehmenssanierungen (ISU) als Mindestanforderungen<br />

an Sanierungskonzepte (MaS) aufgestellt haben.<br />

Auszug aus der Begründung:<br />

a) Der Gläubiger ist hinsichtlich eines ernsthaften Sanierungsversuchs<br />

in der Regel auf die Informationen angewiesen,<br />

die ihm der Schuldner zur Verfügung stellt. Auf<br />

die Erteilung der erforderlichen Informationen muss der<br />

Gläubiger im Vorfeld einer Sanierungsvereinbarung im eigenen<br />

Interesse bestehen. Verzichtet er hierauf, handelt er<br />

mit Anfechtungsrisiko.<br />

aa) Der Gläubiger, dem ein Teilverzicht auf seine Forderung<br />

abverlangt wird, hat zum Inhalt des Sanierungsplans<br />

allerdings kein Auskunftsrecht gegen seinen Schuldner, insbesondere<br />

auch nicht zu dem wesentlichen Inhalt des Plans<br />

und zu der Frage, welche anderen Gläubiger mit welcher<br />

Quote bedient werden sollen und ob sie diesem Vorgehen<br />

zugestimmt haben. Der Schuldner muss einem Gläubiger<br />

auch keine entsprechende Prüfung ermöglichen (BGH,<br />

Urteil vom 24. Mai 2007 – IX ZR 97/06, WM 2007, 1579<br />

Rn. 9). Andererseits ist ein Gläubiger nicht verpflichtet,<br />

auf seine Forderung ganz oder teilweise zu verzichten und<br />

sich mit einer Quote zu begnügen (gegebenenfalls teilweise<br />

gegen Besserungsschein). Lässt er sich auf einen Vergleich<br />

ein, mit dem er deutlich besser gestellt werden soll, muss<br />

er zumindest so viele Informationen verlangen, dass er die<br />

Frage der möglichen Benachteiligung anderer Gläubiger<br />

nach dem Konzept des Schuldners einschätzen kann.<br />

Das Sanierungskonzept des Schuldners muss der Gläubiger<br />

allerdings nicht selbst fachmännisch überprüfen oder<br />

durch Sachverständige überprüfen lassen. Er darf vielmehr<br />

den Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters<br />

vertrauen, solange er keine (erheblichen)<br />

Anhaltspunkte dafür hat, dass er getäuscht werden soll oder<br />

dass der Sanierungsplan keine Aussicht auf Erfolg hat.<br />

b) Eine Gläubigerbenachteiligung ist jedoch mit einem<br />

Sanierungskonzept nur dann nicht verbunden, wenn das<br />

Schuldnerunternehmen auf der Grundlage der gegenwärtigen<br />

Erkenntnisse dauerhaft saniert wird. Arbeitet das Unternehmen<br />

ständig mit Verlust, ist eine Sanierungsvereinbarung,<br />

mit der lediglich der gegenwärtige Schuldenstand<br />

reduziert wird, von vornherein nicht tragfähig, weil dann<br />

der erneute Anstieg der Schulden unausweichlich und der<br />

erneute Eintritt der Insolvenzreife absehbar ist.<br />

Anmerkung:<br />

Die Entscheidung des BGH ist eine der wichtigsten Weichenstellungen<br />

für Gläubiger, die von einem Unternehmen<br />

in der Krise außergerichtlich mit einem Vergleichsvorschlag<br />

konfrontiert werden, um eine Insolvenz abzuwenden und/<br />

oder das Unternehmen nachhaltig zu sanieren. Werden<br />

die darin niederlegten Grundsätze nicht beachtet, droht in<br />

einem nachfolgenden Insolvenzverfahren die Anfechtung<br />

geleisteter Zahlungen durch den Insolvenzverwalter. ~<br />

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Im Buchhandel erhältlich.


SERVICE<br />

SERVICE<br />

Medien<br />

Bücher und Zeitschriften<br />

Termine & Tools<br />

Veranstaltungen und Onlinequellen<br />

Svenja Hofert<br />

Agiler führen<br />

„Das Teamklima für Leistung und Innovation<br />

entscheidend verbessern“ möchte<br />

die Geschäftsführerin einer Karriereberatung<br />

mit ihrem Buch. Leser sollen Instrumente<br />

kennen- und nutzen lernen.<br />

Zusätzlich hilft ein „Wertecheck“ bei<br />

der Einschätzung, welche Methode für ein Unternehmen<br />

passt. Agile Ideen und Maßnahmen lassen, verspricht die<br />

Verlagsankündigung, in kleinen Schritten und großen Experimenten<br />

„ausprobieren und einführen“ – und zwar unabhängig<br />

von der Branche und Firmengröße.<br />

272 Seiten, 29,99 Euro, seit Juni <strong>2016</strong>,<br />

ISBN 978-3-658-12756-5, Springer Gabler<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Kathrin Niewiarra/Dorette Segschneider<br />

Balanceakt Compliance<br />

Abgas-Affäre, Panama Papers, Fifa-<br />

Korruptionsskandal – Anlässe gab es<br />

zuletzt zuhauf, die zeigten: „Recht und<br />

Gesetz sind nicht genug“, wie der Untertitel<br />

dieses „interdisziplinären Leitfadens<br />

für Entscheider“ warnt. Die<br />

erstgenannte Rechtsanwältin und die<br />

diplomierte Betriebswirtin und Kommunikationsberaterin<br />

als ihre Mitautorin wollen ihren ganzheitlichen Ansatz als<br />

Teil der Unternehmensstrategie und -kultur verankert wissen.<br />

Sie vermitteln Lösungen, um den „täglichen Seiltanz für<br />

Manager“ zum Gelingen zu bringen und zum Wettbewerbsvorteil<br />

auszubauen.<br />

245 Seiten, 24,90 Euro, seit Juli <strong>2016</strong>,<br />

ISBN 978-3-95601-154-2, Frankfurter Allgemeine Buch<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Thorsten Petry<br />

Digital Leadership<br />

„Bausteine“ für den Erfolg in der digitalen<br />

Transformation von Unternehmen hat der<br />

Professor für Organisation und Personalmanagement<br />

zusammengetragen. Als Herausgeber<br />

hat er dafür Beiträge von Peter<br />

Borchers über Thomas Jenewein bis Sacha<br />

Wolff zusammengetragen. Darin geht es vor allem um Fallbeispiele<br />

mit neuen Ansätzen in Strategie und Führung aus Großunternehmen<br />

und Start-ups. Antworten aus Theorie und Praxis<br />

beziehen sich auf agiles und partizipatives Management oder<br />

auf Herausforderungen der Digitalisierung. Zusätzlich gibt es<br />

„Konzepte und Tools“.<br />

472 Seiten, 49,95 Euro, seit April <strong>2016</strong>,<br />

ISBN 978-3-648-08057-3, Haufe Lexware<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Alexander J. Wurzer/Theo Grünewald/<br />

Wolfgang Berres<br />

360° IP-Strategie<br />

„So sichern Sie Ihren Innovationserfolg<br />

langfristig“, verspricht das Autorentrio<br />

im Untertitel des Buches, das in der Reihe<br />

„Management Competence“ erschienen<br />

ist. IP steht für Intellectual Property,<br />

also geistiges Eigentum insbesondere<br />

unter Patentschutz. Dessen systematische Integration in den<br />

Innovationsprozess garantiere auch Mittelständlern, für ihre<br />

Produkte den Kundennutzen zu schützen und damit dauerhaft<br />

Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Methoden und<br />

Werkzeuge gehören hier zum Inhalt.<br />

320 Seiten, 78,00 Euro, seit Juli <strong>2016</strong>,<br />

ISBN 978-3-8006-5157-3, Vahlen<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Alexander Wahlers<br />

Vorinsolvenzliches<br />

Sanierungsverfahren<br />

Muss Deutschland einen zusätzlichen<br />

gesetzlichen Rahmen schaffen, um<br />

Krisen in Unternehmen frühzeitig entgegenwirken<br />

zu können? Mit dieser<br />

strittigen Frage setzt sich der Autor auf<br />

der Grundlage einer Untersuchung von<br />

rechtlich verbrieften Pflichten der Geschäftsführer und der<br />

Gesellschafter einer GmbH auseinander. Denn sie dienen<br />

der Vermeidung und Bewältigung von Krisen.<br />

247 Seiten, 64,00 Euro, seit Juni <strong>2016</strong>,<br />

ISBN 978-3-8487-3097-1, Nomos<br />

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Peter Kranzusch<br />

Das eigenverwaltete Insolvenzverfahren<br />

als Sanierungsweg<br />

Der Verfasser präsentiert die höchst instruktiven Ergebnisse<br />

einer Erhebung des Instituts für Mittelstandsforschung<br />

(IfM) in Bonn zur deutlich veränderten Nutzung der Eigenverwaltung<br />

und einer Sanierung unter Insolvenzschutz seit<br />

dem Jahr 2012.<br />

Original erschienen in ZInsO <strong>2016</strong>, 1077<br />

Gipfel<br />

Restrukturierung<br />

Zum 25. Mal treffen sich Führungskräfte aus Unternehmen,<br />

Krisen- und Restrukturierungsmanager, Insolvenzrechtler<br />

und Wissenschaftler zum „Restrukturierungsgipfel“ des<br />

Kieler Instituts für Krisenforschung, das bei der Frankfurt<br />

School of Finance & Management zu Gast ist. Das Tagungsprogramm<br />

ist unterteilt in Themen rund um Trends im Unternehmens-<br />

und Bankenumfeld sowie im Insolvenzrecht.<br />

Termin: 12. September <strong>2016</strong><br />

Ort: Frankfurt a.M.<br />

www.restrukturierungsgipfel.de<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Konferenz<br />

Sanierungspraxis<br />

Die SRH Hochschule Heidelberg lädt in Kooperation mit<br />

dem Institut für Unternehmenssanierung und -entwicklung<br />

(IfUS) wieder zur Jahreskonferenz, die aktuelle Entwicklungen<br />

beleuchtet. Das Referenten-Spektrum reicht von Repräsentanten<br />

der Unternehmensberatung Roland Berger, der<br />

Commerzbank und betroffener Unternehmen.<br />

Termin: 16. September <strong>2016</strong><br />

Ort: Heidelberg<br />

www.hochschule-heidelberg.de<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Tagung<br />

Kanzleimanagement<br />

Disruptive Entwicklungen im Anwaltsmarkt, „Legal Tech“<br />

und Unternehmertum gehören zu den Tagungsthemen der<br />

Universität St. Gallen.<br />

Termin: : 5. Oktober <strong>2016</strong><br />

Ort: Zürich<br />

www.lam.unisg.ch<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Symposium<br />

Restrukturierung<br />

Die diesmal 5. internationale Jahrestagung der Fachhochschule<br />

Kufstein war im vergangenen Jahr ausgebucht und<br />

zog aus Österreich, Deutschland und der Schweiz rund<br />

400 Teilnehmer. Ein Zeichen für die Akzeptanz des grenzüberschreitenden<br />

und interdisziplinären Dialog. Themenrahmen<br />

„heuer“: Restrukturieren als permanente Managementaufgabe.<br />

Termin: 7. Oktober <strong>2016</strong><br />

Ort: Kufstein<br />

www.fh-kufstein.ac.at<br />

ZIP<br />

Insolvenzrecht<br />

Ob europäische Perspektive, ob Eigenverwaltung in der<br />

BGH-Rechtsprechung oder ob Insolvenzverwalter-Haftung<br />

– der Themenmix der Veranstaltung ist so vielfältig wie die<br />

Zielgruppe von Anwälten über Banker und Berater bis Krisenmanager.<br />

Termin: 25. November <strong>2016</strong> <br />

Ort: Frankfurt a.M.<br />

www.rws-seminare.de<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

KMU-Förderung<br />

Das bundesweite Förderprogramm für mittelständische Unternehmen<br />

wird hier präsentiert. Dort finden sich Projektträger<br />

und Beratungsstellen. Darüber hinaus gibt es noch<br />

eine Förderberatung des Bundes für Forschung und Innovation<br />

(siehe hierzu www.foerderinfo.bund.de).<br />

www.zim-bmwi.de<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

GTAI-Analysen<br />

Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik<br />

Deutschland heißt „Germany Trade & Invest“, unterhält weltweit<br />

50 Standorte, unterstützt deutsche Firmen beim Gang<br />

ins Ausland und wirbt umgekehrt bei ausländischen Unternehmen<br />

für den hiesigen Standort. Dazu liefert die Website<br />

interessantes Datenmaterial zu Unternehmen und Märkten.<br />

www.gtai.de<br />

––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

BMBF-Datenportal<br />

Zahlen, Daten, Fakten auch zu Forschung, Entwicklung und<br />

Innovation bietet das Bundesministerium für Bildung und<br />

Forschung (BMBF) auf einem eigenen Datenportal: internationale<br />

Vergleiche, Statistiken, Suchmaschinen, Glossar.<br />

www.datenportal.bmbf.de<br />

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MUSTERTEXT<br />

RETURN BIS Z<br />

RETURN BIS Z<br />

Faulenzer oder Führungskraft?<br />

Viele Leistungsträger wünschen sich die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten.<br />

Deutsche Unternehmen gewähren dies, bislang ist der Umfang aber noch gering.<br />

Text: Geraldine Friedrich<br />

Arbeiten in angenehmer Atmosphäre: Was zählt ist das Ergebnis produktiver<br />

Leistung, nicht die Anwesenheit im Unternehmen an Tagen<br />

und in Stunden.<br />

Foto: vitaliymateha<br />

Rainer Stoll, Inhaber dreier Reiseveranstalter in Südbaden,<br />

die sich unter anderem auf Costa Rica und Familienfernreisen<br />

spezialisieren, sieht Heimarbeit kritisch: „Wenn<br />

ich keine andere Möglichkeit habe, dann ja, aber die interne<br />

Kommunikation wird dadurch schwieriger“, erklärt der<br />

54-jährige Diplom-Betriebswirt aus Ballrechten-Dottingen.<br />

Konkret arbeiten derzeit zwei seiner Führungskräfte von<br />

insgesamt 27 Mitarbeitern im Home-Office, beides Frauen,<br />

beide mit Marketingaufgaben<br />

betraut und beide mit kleinen Kindern.<br />

Stoll: „Ich mach’s, auch weil<br />

wir uns als Anbieter von Familienreisen<br />

natürlich auch als familienfreundliches<br />

Unternehmen präsentieren<br />

wollen. Als Zwischenlösung<br />

ist Heimarbeit super, aber der Koordinationsaufwand<br />

per E-Mail,<br />

Telefon und Skype ist erheblich.“<br />

Dennoch zeigt sich der Unternehmer<br />

flexibel: Da die Marketingleiterin<br />

für sein Unternehmen „For<br />

Family“-Reisen in Köln sitzt und<br />

zwei kleine Kinder hat, führte dies<br />

letztlich sogar dazu, dass das Unternehmen<br />

ganz nach Köln zog. „Das<br />

ist ein sehr junges Team und wir<br />

haben jedem schon beim Vorstellungsgespräch<br />

gesagt, dass ein Umzug<br />

von Südbaden nach Köln anstehen könnte“, erklärt Stoll.<br />

Der Wunsch, seine Mitarbeiter zu kontrollieren, oder gar der<br />

Verdacht, dass diese nicht genügend arbeiten, sei für ihn kein<br />

Hindernisgrund: „Wir sind ein Unternehmen mit praktisch<br />

null Hierarchien, und ich lasse meinen Mitarbeitern total<br />

freie Hand. Die Leute schreiben ihre Stunden und Urlaubstage<br />

selbst auf. Da habe ich keinen Bock drauf.“<br />

Damit ist Stoll kein Prototyp des deutschen Chefs. „Viele<br />

Vorgesetzte legitimieren sich dadurch, dass sie ihre Mitarbeiter<br />

um sich herum scharen. Sie empfinden Heimarbeit als<br />

Kontrollverlust“, erklärt Karl Brenke, Mitarbeiter des Deutschen<br />

Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin<br />

Rainer Stoll, Touristikunternehmer<br />

„Wir sind ein Unternehmen<br />

mit praktisch null Hierarchien,<br />

und ich lasse meinen Mitarbeitern<br />

total freie Hand. Die Leute<br />

schreiben ihre Stunden und<br />

Urlaubstage selbst auf.“<br />

und Autor der Studie „Home Office: Möglichkeiten werden<br />

bei weitem nicht ausgeschöpft“. Der Einsatz von Heimarbeit<br />

erfordere ein Umdenken und das Verlassen „alter Pfade“.<br />

Brenke: „Die Unternehmen müssen weg von der zeitorientierten<br />

Leistungsbewertung hin zur sachorientierten Bewertung<br />

der Leistung.“ Konkret: Was zählt ist der Output eines<br />

Mitarbeiters, und nicht die Anwesenheit in Stunden und Minuten<br />

im Unternehmen.<br />

Rainer Stoll bevorzugt als Arbeitgeber<br />

denn auch, mit seinen Führungskräften<br />

konkrete Ziele zu<br />

vereinbaren. So bekommt eine der<br />

Home-Office-Marketingleiterinnen<br />

ein Budget von 100.000 Euro und<br />

muss damit unter anderem erreichen,<br />

dass der Name „travel-to-nature“,<br />

Stolls erstes Reiseunternehmen, bei<br />

dem Suchbegriff „Costa Rica“ auf<br />

Platz eins der Google-Suchtreffer<br />

lande. Stoll: „Wie und vor allem von<br />

wo sie das schafft, ist mir vollkommen<br />

egal.“<br />

Für DIW-Experte Brenke steht<br />

Deutschland im europäischen Vergleich<br />

nur in der unteren Hälfte der<br />

Rangliste, was Heimarbeit angeht.<br />

Der Anteil von Angestellten, die<br />

manchmal zu Hause arbeiten, ist in<br />

Island, Schweden und Luxemburg am höchsten. Bei den<br />

Arbeitnehmern, die regulär zu Hause arbeiten, führen Luxemburg<br />

und Niederlande die Liste an. In den Niederlande<br />

existiert seit 1. Juli 2015 sogar das Recht auf Homeoffice,<br />

wenn das Arbeitsverhältnis bestimmte Bedingungen erfüllt.<br />

Erstens, wenn der Betrieb mindestens zehn Mitarbeiter hat.<br />

Zweitens, wenn durch Heimarbeit keine Sicherheitsrisiken<br />

entstehen. Drittens, wenn betrieblichen Gründe nicht<br />

zwingend dagegensprechen. Die Betreuerin eines Betriebskindergartens<br />

könnte ihre Arbeit beispielsweise nicht von<br />

zu Hause leisten. Für weltweit über 1.500 Mitarbeiter mit<br />

rund gut 1.100 Beschäftigten in der Stuttgarter Zentrale hat<br />

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MUSTERTEXT<br />

RETURN BIS Z<br />

RETURN BIS Z<br />

Fotos: Netflix<br />

Foto: Brandon Clark ©ABImages<br />

Foto: MSL<br />

Warum nicht mal die Beine hochlegen, um gute Ideen kreativ zu verarbeiten?<br />

Gute Einfälle gelingen auch beim Duschen.<br />

Wohnzimmer oder Büro - Arbeitsplatz im Hauptsitz des Streamingdienstes<br />

Netflix in Los Gatos. Das perfekte Büro ist fast so gemütlich wie zu Hause.<br />

Clevere Unternehmer statten die Büros so lässig schick aus, dass die Angestellten<br />

gar nicht mehr nach Hause möchten.<br />

Birgit Söllner vom Managementteam bei MSL Deutschland findet variables<br />

Arbeiten auch geeignet, um Staus zu umgehen.<br />

das Softwareunternehmen Vector Informatik vor eineinhalb<br />

Jahren eine für deutsche Verhältnisse großzügige Regelung<br />

für Heimarbeit eingeführt. Unter dem Namen „Flex ao“ (=<br />

flexibler Arbeitsort) dürfen alle Mitarbeiter, auch Führungskräfte,<br />

20 Prozent ihrer Arbeitszeit zu Hause arbeiten, ohne<br />

dies jedes Mal mit ihrem Vorgesetzten abstimmen zu müssen.<br />

Einschränkungen gelten logischerweise für Jobs, die eine<br />

Präsenz voraussetzen, dazu gehören Mitarbeiter am Empfang<br />

oder in der Kantine. Zudem haben Vector-Mitarbeiter<br />

nicht den Anspruch an jeweils demselben Wochentag von zu<br />

Hause aus zu arbeiten. „Die Arbeitserfordernisse stehen über<br />

dem Wunsch nach dem flexiblen Arbeitsort“, betont Thomas<br />

Riegraf, Geschäftsführer der Vector Informatik GmbH. Passt<br />

alles, muss der Vorgesetzte jedoch die souveräne Entscheidung<br />

des Mitarbeiters pro Heimarbeit akzeptieren.<br />

Pro und Kontra zur Heimarbeit<br />

Vorteile<br />

XXBessere Chancen im Kampf um Talente, etwa in den<br />

mit Fach- und Führungskräften rar gesäten Segmenten<br />

wie Softwareentwicklern.<br />

XXMehr motivierte und leistungswillige Mitarbeiter<br />

durch mehr Freiheiten, die zum Teil freiwillig unbezahlte<br />

Mehrarbeit verrichten; zeitliche Autonomie<br />

wünschen sich Singles, Väter und Mütter.<br />

XXGrößere Produktivität bei Kreativarbeitern wie Designern<br />

oder Programmierern, die gerne zu ungewöhnlichen<br />

Uhrzeiten arbeiten<br />

Was wie ein Zugeständnis an die Mitarbeiter klingt, hat<br />

aber auch handfeste Vorteile für das Unternehmen. So zahlt<br />

sich die flexible Arbeitszeitregelung gerade im Bereich Softwareentwicklung<br />

aus. „Wir beschäftigen dort sehr viele Kreativarbeiter,<br />

die neue Produktkonzepte entwickeln. Diese anspruchsvolle<br />

Arbeit geht nicht auf Knopfdruck. Viele unserer<br />

Softwareentwickler arbeiten gerne abends oder samstags von<br />

zu Hause aus, wenn sie Ruhe haben. Damit können unsere<br />

Mitarbeiter ihre Produktivitätsphasen viel besser ausschöpfen“,<br />

erläutert Riegraf. Auch in Vorstellungsgesprächen sei<br />

Home-Office ein gefragtes Thema. Riegraf: „Gute Softwareentwickler<br />

sind gesucht. Mit dieser Arbeitsortregelung<br />

sind wir als Arbeitgeber attraktiver als andere Unternehmen,<br />

die das nicht bieten.“ Zusätzlich bietet Vector eine Regelung<br />

„Flex ao plus“, die für Mitarbeiter in „besonderen Lebenssituationen“<br />

greift. „Wir haben Mitarbeiter, die ihre Eltern pflegen<br />

oder kleine Kinder haben, in solchen Fällen können bis<br />

zu 60 Prozent der Arbeitszeit zu Hause gearbeitet werden“,<br />

erklärt Riegraf. Diese ausgeweitete Form des Arbeitens von<br />

zu Hause ist allerdings zeitlich limitiert und sollte drei bis<br />

vier Jahre nicht überschreiten.<br />

Die Kommunikationsberatung MSL Deutschland beschäftigt<br />

65 Mitarbeiter und hat vor gut einem Jahr eine Arbeitsregelung<br />

geschaffen, die neben flexiblen Arbeitszeiten, Regelungen<br />

für Kinder- und Elternpflege auch gelegentliche<br />

Heimarbeit vorsieht. So dürfen Führungskräfte und Mitarbeiter<br />

nach Rücksprache mehrere Tage pro Monat von zu<br />

Hause aus arbeiten. Sei es, weil ein Arztbesuch ansteht, sei<br />

es, weil sich der Handwerker angekündigt hat oder einfach,<br />

weil ein Mitarbeiter eine komplexe Aufgabe hat, bei der er<br />

nicht ständig unterbrochen werden möchte.<br />

„Wir arbeiten hier in einem Großraumbüro. Unsere Mitarbeiter<br />

nutzen das Homeoffice vor allem dann, wenn sie Texte<br />

in Ruhe schreiben wollen oder an einer strategischen Aufgabe<br />

arbeiten“ erklärt Birgit Söllner, Mitglied des Managementteams<br />

bei MSL Deutschland. Bei Führungskräften ab<br />

der Teamleiterebene gehe es insgesamt weniger um Homeoffice<br />

als um ein Mobiloffice.<br />

Nachteile<br />

XXWenig sich überschneidende Arbeitszeiten von Mitarbeitern,<br />

je höher der Anteil von Heimarbeit, sodass ein<br />

Zeitfenster für geplante oder zufällige Gespräche zum<br />

Informationsaustausch (auch „Flurfunk“) kleiner wird.<br />

XXSteigender Koordinationsaufwand, wenn Heimarbeiter<br />

und Officeworker an einem Projekt arbeiten.<br />

XXStörende Diskussionen zwischen Heim- und Nichtheim-Arbeitern<br />

vor allem dann, wenn ein Vorgesetzter<br />

einen Heimarbeiter als Leistungsträger ansieht<br />

und diesen mit einer Beförderung belohnt.<br />

Söllner verantwortet innerhalb des Managements die Standorte<br />

Frankfurt und München und fährt zudem als Beraterin<br />

auch zu Kunden. Das bedeutet für sie praktisch zwei bis drei<br />

Reisetage pro Woche. Söllner reist stets per Zug und nutzt<br />

die Fahrtzeiten, um zu arbeiten. „Dort erledige ich auch<br />

meine Korrespondenz,<br />

vorzugsweise<br />

per E-Mail und<br />

nicht telefonisch.<br />

Mein Laptop hat<br />

eine Sichtschutzfolie.<br />

Das diskrete<br />

mobile Arbeiten<br />

funktioniert im Zug<br />

übrigens viel einfacher<br />

als im Flugzeug“,<br />

findet die<br />

39-Jährige. Söllner<br />

ist zudem Mutter<br />

von zwei kleinen<br />

Kindern, die sie,<br />

wenn es die Arbeit<br />

erlaubt, auch mal<br />

um 15 Uhr abholt<br />

um mit ihnen den<br />

Nachmittag zu verbringen.<br />

Allerdings<br />

sei sie auch dann<br />

Heimarbeit erhöht Zufriedenheit<br />

telefonisch immer<br />

für ihre Kollegen<br />

erreichbar. Ob und<br />

wie viel Homeoffice<br />

der einzelne Kollegen nehmen kann, hängt von der Kunden-<br />

und der Teamstruktur ab. Söllner: „Tatsächlich ist es<br />

aber so, dass die Mitarbeiter das Angebot gar nicht so nutzen<br />

wie man es erwarten würde. Viele Kollegen arbeiten gerne<br />

im Büro und schätzen auch die Trennung von Arbeit und<br />

Freizeit.“<br />

Letztendlich geht es darum, dass jeder seine Arbeit schafft.<br />

Häufig seien es auch einfach Kleinigkeiten, die das Arbeitsleben<br />

des einzelnen angenehmer machen.<br />

So wohnt eine Frankfurter Teamleiterin relativ weit außerhalb<br />

und pendelt täglich ins Büro. Söllner: „Die Kollegin<br />

kann ihre Arbeitszeiten so variieren, dass sie nicht täglich<br />

zweimal im Stau steht.“ Wenn jeder nun aber, wenn auch nur<br />

eingeschränkt, seine Arbeits- und Präsenzzeiten seinen individuellen<br />

Lebensbedürfnissen anpasst: Wird die Schnittmenge,<br />

bei denen alle Kollegen da sind, logischerweise kleiner?<br />

Das zufällige<br />

informelle Schwätzchen<br />

auf dem Flur<br />

entfällt, das schnelle<br />

Klären eines Problems<br />

beim Kaffeeholen<br />

wird seltener.<br />

„Das stimmt natürlich.<br />

Aber ich greife<br />

deswegen auch zwischendurch<br />

bewusst<br />

zum Telefon, um mit<br />

den Mitarbeitern<br />

Kontakt zu halten.<br />

Auch wenn konkret<br />

nichts anliegt“, erklärt<br />

Söllner.<br />

Technisch betrachtet<br />

sind Argumente<br />

gegen Heimarbeit<br />

heute kaum noch<br />

berechtigt. Sämtliche<br />

erwähnten<br />

Unternehmen setzen<br />

auf sogenannte<br />

VPN-Tunnel, also<br />

in sich geschlossene,<br />

private Netzwerke, auf die Mitarbeiter überall Zugriff haben.<br />

Vielmehr gehe es darum, mehr Akzeptanz bei den Vorgesetzten<br />

und Unternehmenschefs zu schaffen.<br />

Wirtschaftsforscher Brenke: „Es geht nicht nur um die Vereinbarkeit<br />

von Beruf und Familie. Zunehmend wünschen<br />

sich auch Singles mehr zeitliche Autonomie.“ Allerdings sei<br />

nicht jeder für Heimarbeit geeignet: „Heimarbeit erfordert<br />

Selbstdisziplin und die Fähigkeit, sich nicht leicht ablenken<br />

zu lassen. Nicht jeder kann das und nicht jeder will das. Es<br />

gibt auch Angestellte und Führungskräfte, die sehr viel Wert<br />

auf die Trennung von Arbeit und Wohnort legen.“ ~<br />

Arbeitnehmer mit und ohne Homeoffice-Möglichkeit befragte das Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) um ihre Beurteilungen - mit eindeutigem Ergebnis.<br />

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RETURN BIS Z<br />

RETURN BIS Z<br />

Teure Flügel zum Singen bringen<br />

Für Weltstar-Pianisten hat Manfred Kalina ein offenes Ohr. Der geschätzte Klavierkenner<br />

erlebte trotzdem beruflich Dissonanzen, war aber nur kurz verstimmt.<br />

Text: Wilhelm Klaas Lünstroth<br />

Sommerferien im Konzerthaus Dortmund. Zeit und Gelegenheit<br />

für Manfred Kalina, seine beiden „Schützlinge“<br />

wieder in Topform zu bringen: den vier und den 14 Jahre<br />

alten D-Flügel. Pedalen, Mechanik, Tastatur – in den Wochen<br />

bis zum Saisonauftakt Anfang September nimmt Kalina<br />

jedes winzige Teilchen der Steinways in die Hand. Prüft,<br />

repariert, wo nötig, fügt alles<br />

wieder an seinen Platz – quasi<br />

ein Trainingslager für die<br />

beiden schwarz-glänzenden<br />

Musikinstrumente.<br />

Die beiden jeweils mehr als<br />

100.000 Euro teuren Instrumente<br />

müssen fit sein, wenn<br />

die Saison wieder startet.<br />

Schließlich ist das für seine<br />

Akustik gerühmte Konzerthaus<br />

längst eine der angesagten Adressen für die Top-Pianisten<br />

dieser Welt. In den vergangenen Jahren waren sie fast<br />

alle da: die Grand Dame Elisabeth Leonskaja, Wunderkind<br />

Daniil Trifonov, Grigory Sokolov, der chinesische Weltstar<br />

Lang Lang, Beethoven-Spezialist Rudolf Buchbinder oder<br />

die in Caracas geborene Gabriela Montero.<br />

Die meisten Künstler kennt Manfred Kalina seit vielen Jahren.<br />

Martin Stadtfeld, der ehemals „junge Wilde“ des Konzerthauses<br />

habe sich zum Beispiel auf „alte“ Klangfarben<br />

spezialisiert, erklärt der Klavierstimmer: „Stadtfeld liebt einen<br />

unserer Flügel ganz besonders, hat sogar schon CDs bei<br />

uns aufgenommen“. Natürlich erst, nachdem er das Spielgerät<br />

nach den Vorgaben des mittlerweile 35-jährigen Künstlers<br />

in Bachs Stimmwelten zurückversetzt hat.<br />

Beim Einsatz zählt immer nur eines: Den Flügel exakt nach<br />

den Vorstellungen des Künstlers vorzubereiten. Manche von<br />

ihnen kommen deshalb schon Stunden vor dem eigentlichen<br />

Konzertbeginn zusammen mit ihm auf die Bühne. Ohne<br />

Frack, dafür aber mit genauen Vorstellungen über Klangfarben<br />

und Anschlagsstärke des Instruments.<br />

Grigory Sokolov ist einer dieser anspruchsvollen Tasten-<br />

Virtuosen: Der 66-Jährige aus St. Petersburg arbeitet mehr<br />

als 20 Jahre mit Kalina zusammen. Wer die beiden auf der<br />

Bühne sieht, spürt enges Vertrauen und tiefen Respekt. Für<br />

„Ich war im ersten Moment sprachlos,<br />

völlig durch den Wind. Das war<br />

erschreckend.“ – „Man muss sich<br />

auch selbst etwas zutrauen.“<br />

Sokolov, den stillen Feingeist, genügen fünf Worte, um Kalina<br />

in den Klavierstimmer-Himmel zu heben: „Er hat das<br />

andere Gehör.“ Dann formuliert er lächelnd, aber energisch<br />

eine Bitte: „Bitte bleiben Sie während meines gesamten<br />

Konzertes erreichbar – am besten bis morgen früh.“<br />

Egal mit wem Manfred Kalina arbeitet, ohne Vertrauen<br />

ins gegenseitige Können<br />

würde das Teamwork zwischen<br />

Klavierstimmer und<br />

Künstler nicht funktionieren.<br />

Wenn alles passt, gibt<br />

es sogar von anspruchsvollen<br />

Weltstars großes Lob: Lang<br />

Lang bescheinigte ihm ein<br />

„wonderful, great piano“.<br />

Mitunter gerät Kalina selbst<br />

ins Schwärmen. Etwa über<br />

Arcadi Volodos: Der 44-Jährige Russe habe seinen Flügel<br />

zum Singen gebracht.<br />

Zuerst schien nichts darauf hinzudeuten, dass Kalinas berufliche<br />

Virtuosität einmal auf 88 Tasten spielen würde.<br />

Geboren im Dortmunder Norden – mit Fördertürmen und<br />

Kohlenhalden malochen Nachbarn für Zeche, Kokerei oder<br />

Stahlwerk. Was also liegt näher, als eine Ausbildung zum<br />

Bergmann, Kfz-Mechaniker oder Elektriker in Erwägung<br />

zu ziehen?<br />

Treffen des<br />

guten Tons<br />

Wenn da nicht die Musik gewesen wäre. Kalinas Vater ist<br />

sehr musikalisch, bringt dem Sohn schon in der Volksschulzeit<br />

das Klavierspielen bei. Sein Filius ist Feuer und Flamme<br />

– und wird vom Schulleiter in die richtige Bahn gelenkt.<br />

„Er hat mir geraten, mich beim Dortmunder Klavierbauer<br />

Reinelt zu bewerben.“ Kalina wird angenommen, ist mit 14<br />

Jahren der jüngste Klavierbau-Lehrling der Stadt.<br />

Kalina kniet sich in die dreieinhalbjährige Ausbildung. Auch<br />

nach Ludwigsburg schickt ihn der Meister, in die Fachschule<br />

für Instrumentenbau. Später kommt das Intonieren dazu, die<br />

Kunst, das Instrument auf den perfekten Ton einzustimmen.<br />

In Topform bringt Klavierstimmer Manfred Kalina zur Konzertsaison die ihm<br />

anvertrauten Instrumente wie diesen Steinway.<br />

Darin zeigt sich Kalina talentiert wie wenige. Das Treffen<br />

des guten Tons – bei der Bundeswehr ist das weniger gefragt,<br />

erfährt Kalina, als er zum Grundwehrdienst eingezogen<br />

wird. Als er nach fast zwei Jahren zurückkommt, steht<br />

er vor geschlossenen Türen. Der Ausbildungsbetrieb musste<br />

den Geschäftsbetrieb aufgeben. Die erste kleine Krise. Doch<br />

Glück im Unglück: Der Obermeister der Dortmunder Klavierbauer-Innung<br />

empfiehlt ihn an einen Traditionsbetrieb<br />

mit gutem Ruf weit über die Stadtgrenzen hinaus: das Pianohaus<br />

van Bremen.<br />

Im August 1972 betritt er die große Werkstatt des Familienbetriebs.<br />

Dort sieht er seine Chance. Kalina hat ausgezeichnete<br />

Lehrmeister. Doch aus seiner Sicht wichtig: „Man muss<br />

sich auch selbst etwas zutrauen.“ Insgesamt 33 Jahre bleibt<br />

er dem Traditionshaus treu – bis ihn die Hiobsbotschaft erreicht:<br />

Van Bremen entlässt aus wirtschaftlichen Gründen<br />

alle Klavierstimmer. „Ich war im ersten Moment sprachlos,<br />

völlig durch den Wind.“ Plötzlich plagen ihn Existenz-<br />

Ängste. Wie soll es weitergehen? Im Juni 2005 verlässt er die<br />

Werkstatt, zum ersten Mal in seinem Leben ist er arbeitslos.<br />

„Das war erschreckend“, erinnert er sich.<br />

Aber Kalina denkt positiv. Ehefrau Rosemarie und die Familie<br />

geben ihm den nötigen Rückhalt. Nach wenigen Tagen<br />

macht er einen Termin beim Dortmunder Arbeitsamt. Dort<br />

fragt man ihn, in welchem räumlichen Einzugsgebiet er mit<br />

seinen speziellen Qualifikationen vermittelt werden dürfe.<br />

Manfred Kalinas Antwort verblüfft den Berater: „Von mir<br />

aus weltweit.“<br />

Rückblickend war genau dies die Initialzündung für seinen<br />

beruflichen Neustart, sagt er. Ihm wird schlagartig klar, dass<br />

er mit seinen speziellen Fähigkeiten, seinen Kontakten und<br />

der Bereitschaft, sich auf die zeitlichen Anforderungen seiner<br />

Kunden flexibel einzustellen zu können, gute Chancen<br />

für den Start in eine Selbstständigkeit hat. Das betriebswirtschaftliche<br />

Know-how dafür holt sich Kalina in Gesprächen<br />

mit einem Steuerberater. Der Business-Plan ist schnell skizziert:<br />

Kalina gibt sich sechs Monate, um von den Einnahmen<br />

leben zu können.<br />

Bei Künstlern bekannt<br />

fürs Händchen<br />

Ein Ziel, das er mit Punktlandung erreicht. Was sicher auch<br />

an der seit 2002 bestehenden intensiven Verbindung zum<br />

Dortmunder Konzerthaus liegt. Die Fachleute dort wissen,<br />

was sie an ihm haben: „Falls erforderlich ist Manfred Kalina<br />

von morgens bis abends im Saal, um unsere Flügel – seine<br />

‚Kinder‘ – zu pflegen. Bei den Künstlern ist er für sein<br />

Händchen bekannt“, sagt Kommunikationschef Dr. Jan Boecker.<br />

Wertvolle Unterstützung ist ihm auch die im Laufe der<br />

Jahre immer engere Zusammenarbeit mit dem Klavierhaus<br />

Maiwald, der Steinway-Vertretung in Nordrhein-Westfalen.<br />

Sein Kundenstamm wird kontinuierlich größer. Viele private<br />

Musikfreunde im Ruhrgebiet, Münster- und Sauerland<br />

schätzen ihn. Zahlreiche Konzertveranstalter engagieren<br />

ihn. Pro Jahr ist er mehr als 35.000 Kilometer unterwegs.<br />

Überraschungen inklusive. So mochte er in Münster seinen<br />

Ohren nicht trauen. Sein Auftrag: Nachstimmen eines Flügels.<br />

Doch das Instrument, das er vorfindet, klingt so außergewöhnlich<br />

brillant, dass Kalina nachfragt, wer der Stimmer<br />

vor ihm gewesen sei – und erfährt: Es war ein bekannter<br />

Kollege, der noch mit dem legendären Virtuosen Arthur<br />

Rubinstein unterwegs war. „Diesen Flügel zu hören, das war<br />

eine Offenbarung“, schwärmt Kalina. Und man spürt, das<br />

„Chapeau“ an den Kollegen kommt aus vollster Seele. ~<br />

Foto: Bernd Hegert<br />

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RETURN BIS Z<br />

RETURN BIS Z<br />

Vorschau 04/16<br />

Die nächste <strong>Ausgabe</strong> von „<strong>return</strong> – Magazin für<br />

Unternehmensführung und Sanierung“ erscheint am<br />

10. November <strong>2016</strong>.<br />

Schwerpunkt:<br />

Allein durchboxen? –<br />

Wie starke Selbstständige in freien<br />

Berufen siegen<br />

XXMarkt: Angebot und Nachfrage freiberuflicher Dienste<br />

XXErfolgsforschung: Gewinner unter Architekten, Ingenieuren,<br />

Ärzten, Anwälten, Steuerberatern, Künstlern<br />

XXVorbilder: Benchmark-Storys für andere Selbstständige<br />

XXGeschäftsideen: Mit mehr Leistungen begeistern<br />

XXAnalyse: Wie Qualitäten zu entwickeln sind<br />

XXStatus: Lage, Meinungsbilder, Alleinstellungsmerkmale<br />

XXOrganisation: Im Kleinen das Große ordnen<br />

XXKooperation: Besser Arbeiten in Netzwerken<br />

XXRisiken: Wie gefährlich wird die Liberalisierung?<br />

Foto: Volodymyr Krasyuk<br />

<strong>return</strong>-online.de<br />

XX<br />

Neue Rubrik: Expertenwissen versierter Autoren<br />

XX<br />

Digitalisierung: Mark Lambertz über Wachstum<br />

XX<br />

Krisenregie: Peter Brandl über Pilotenvorbilder<br />

XX<br />

News: Täglich frische Nachrichten für Firmenchefs<br />

XX<br />

Newsletter: Wochen-„Best of“ mit Exklusiv-Interview<br />

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Beilagenhinweis<br />

Mit dieser <strong>Ausgabe</strong> verteilen wir eine Beilage der Schultz GmbH & Co.KG.<br />

Wir bitten um freundliche Beachtung.<br />

–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––<br />

Werbekundenversteher<br />

Unsere Rubrik über<br />

„<strong>return</strong>“-Interna richtet sich<br />

diesmal insbesondere an die<br />

Werbebudget-Verantwortlichen<br />

in der Leserschaft.<br />

Denn das Geld, das Verlag<br />

und Redaktion für Qualitätsjournalismus<br />

aufwenden,<br />

muss schließlich auch über<br />

Anzeigen refinanziert werden. Wo, wenn nicht hier<br />

investieren? Entscheider der Wirtschaft stellen unsere<br />

interessante Zielgruppe, welche aufmerksamkeitsstark<br />

im attraktiven Umfeld erreicht wird.<br />

Mit Christian Derix (im Bild) als neuer Media Sales<br />

Manager steht nun konkret der Ansprechpartner für<br />

„<strong>return</strong>“ zur Verfügung, um an Inseraten interessierte<br />

Werbekunden zu beraten. „Individuell und passgenau“<br />

möchte er nach eigenem Bekunden potenzielle Auftraggeber<br />

begleiten, denn „jeder bringt auch ganz eigene<br />

Strategien und USP mit“. Dafür eigne sich „<strong>return</strong>“<br />

als hochwertiges Magazin und Dank der Praxisrelevanz<br />

zur vorbildlichen Unternehmensführung hervorragend<br />

„als Trägermedium“ unter anderem für Werbebotschaften.<br />

Christian Derix muss es wissen, denn schon<br />

zuvor zeichnete er als Leiter Marketing und Vertrieb<br />

für Medien verantwortlich, die sich an Chefs von Unternehmen<br />

im Mittelstand richten. Und dass er guten<br />

Geschmack hat, belegt nicht nur sein Studium an der<br />

Sorbonne, jener namhaften Universität von Paris.<br />

http://<strong>return</strong>-online.de/magazin/werbung-schalten<br />

Leserservice<br />

„<strong>return</strong> – Magazin für Unternehmensführung und<br />

Sanierung“ erscheint vier Mal pro Jahr und ist im<br />

Abonnement zu beziehen. Verbände, Vereinigungen<br />

und Organisationen erhalten ab einer gewissen<br />

Größenordnung für Mitglieder auch Heftkontingente<br />

zu Sonderkonditionen.<br />

Jahresabonnement (Print-Preis)<br />

80 Euro zzgl. Versandkosten<br />

Für weitere Informationen wenden Sie sich<br />

bitte direkt an den Verlag:<br />

Wolters Kluwer Deutschland GmbH<br />

Angela Bühs (angela.buehs@wolterskluwer.com)<br />

Luxemburger Str. 449, 50939 Köln<br />

Telefon: (02 21) 9 43 73-71 26<br />

Fax: (02 21) 9 43 73-1 71 26<br />

Detaillierte Informationen zu den Abonnements<br />

finden Sie im Internet:<br />

www.<strong>return</strong>-online.de<br />

Partner<br />

Impressum<br />

„<strong>return</strong> – Magazin für Unternehmensführung und<br />

Sanierung“ erscheint im Carl Heymanns Verlag in<br />

Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für<br />

angewandtes Insolvenzrecht e.V. (DIAI).<br />

Geschäftsführende Herausgeber<br />

Prof. Dr. Hans Haarmeyer<br />

RA / StB / FAStR Oliver Holzinger<br />

Chefredakteur<br />

Thorsten Garber<br />

Redaktion und ständige Mitarbeit<br />

Claudia Bröll (Kapstadt), Alexander Busch (São<br />

Paulo), Geraldine Friedrich (Basel), Dr. Andreas<br />

Fröhlich, Peter Hanser, Michael Henning, Vera<br />

Hermes, Christoph Hillebrand, Armin Hingst,<br />

Julica Jungehülsing (Sydney), Norbert Kuls, (New<br />

York), Christiane Kühl (Peking), Wilhelm Klaas<br />

Lünstroth, Christine Mattauch, Philipp Mattheis<br />

(Istanbul), Hilja Müller (Peking), Mathias Peer<br />

(Bangkok), Ingo Reich, Thomas Roser (Belgrad),<br />

Jürgen Spreemann, Frederic Spohr (Bangkok),<br />

Peter Stäuber (London), Rahel Willhardt, Kerstin<br />

Zilm (Los Angeles), Holger Zscheyge (Moskau)<br />

Kolumnisten<br />

Ralf-Dieter Brunowsky, Anne Koark<br />

Cartoons<br />

Stephan Rürup<br />

Grafik<br />

Carina Harbarth, www.designplus.de<br />

Coverfoto<br />

Montage, Foto: Eugene Sergeev<br />

Artikel-Nr.: 585656<strong>03</strong> ISSN: 2199-8841<br />

Lektorat<br />

Katrin Holzinger<br />

Verlag und Redaktionsanschrift<br />

Wolters Kluwer Deutschland GmbH<br />

Angela Bühs (angela.buehs@wolterskluwer.com)<br />

Luxemburger Str. 449, 50939 Köln<br />

Telefon: (02 21) 9 43 73-71 26<br />

Telefax: (02 21) 9 43 73-1 71 26<br />

Erscheinungsweise<br />

vier Mal pro Jahr<br />

Anzeigenverkauf<br />

Christian Derix<br />

Telefon: (02 21) 9 43 73 7270<br />

Mobil: 0172 5 42 58 49<br />

christian.derix@wolterskluwer.com<br />

Anzeigendisposition<br />

Stefanie Szillat<br />

Telefon (02 21) 9 43 73-74 26<br />

Telefax (02 21) 9 43 73-1 74 26<br />

anzeigen-delr@wolterskluwer.com<br />

Textnachweis<br />

Beiträge ohne Autorennennung stammen<br />

von der Redaktion.<br />

Urheber- und Verlagsrechte<br />

Annahme nur von Originalaufsätzen, die ausschließlich<br />

dem Verlag zur Alleinverwertung in allen Medien<br />

angeboten werden. Mit der Annahme des Manuskripts<br />

durch den Verlag überträgt der Autor dem Verlag<br />

für die Dauer von vier Jahren das ausschließliche,<br />

danach das einfache Nutzungsrecht. Das Nutzungsrecht<br />

umfasst insbesondere auch die Befugnis zur<br />

Einspeicherung in Datenbanken sowie zur weiteren<br />

Vervielfältigung im Wege foto-mechanischer oder<br />

elektronischer Verfahren, einschl. Disketten, CD-<br />

ROM, DVD und Online-Diensten. Die Zeitschrift<br />

und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen<br />

sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der<br />

gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne<br />

Einwilligung des Verlages unzulässig.<br />

Autorenverzeichnis<br />

Thorsten Garber,<br />

S.3, 6, 7, 30, 36, 40, 64, 66, 88, 89, 96<br />

Chefredakteur<br />

Dr. Andreas Fröhlich, S.7, 8, 10<br />

Geschäftsführer der perspektiv GmbH<br />

Stephan Rürup, S.11<br />

Cartoonist<br />

Michael Bretz, S. 12<br />

Mitglied der Geschäftsleitung<br />

im Verband der Vereine Creditreform e.V.<br />

Ralf-Dieter Brunowsky, S. 13<br />

Publizist und Kommunikationsberater<br />

Armin Hingst, S. 14, 44<br />

Freier Journalist<br />

Peter Hanser, S. 18, 20<br />

Freier Journalist<br />

Thomas Roser, S. 24<br />

Freier Journalist<br />

Vera Hermes, S. 26<br />

Freie Journalistin<br />

Helmut Ahr, S. 31<br />

Mitglied des Vorstands der Horváth AG<br />

Prof. Dietmar Harhoff, S. 32<br />

Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und<br />

Wettbewerb<br />

Prof. Nikolaus Franke, S. 33<br />

Vorstand am Institut für Entrepreneurship & Innovation<br />

der Wirtschaftsuniversität Wien<br />

Christine Mattauch, S. 38<br />

Freie Journalistin<br />

Prof. Ulf Pillkahn, S. 38<br />

Professor für Innovations- und Technologiemanagement<br />

an der FOM Hochschule für Ökonomie &<br />

Management in München<br />

Finn Mayer-Kuckuk, S. 48<br />

China-Korrespondent, Peking<br />

Kerstin Zilm, S. 49<br />

USA-Korrespondentin, Los Angeles<br />

Mathias Peer, S. 50<br />

Südostasien-Korrespondent, Bangkok<br />

Claudia Bröll, S. 51<br />

Südafrika-Korrespondentin, Kapstadt<br />

Rahel Willhardt, S. 52<br />

Freie Journalistin<br />

Dr. Pero Mićić, S. 56<br />

Vorstand der FutureManagementGroup AG<br />

Prof. Reinhold Popp, S. 59<br />

Zukunftsforscher Salzburg, Wien, Berlin<br />

Dr. Alexander Fink, S. 60<br />

Vorstand der ScMI AG<br />

Moritz von Campenhausen, S. 62<br />

Leiter „Leadership Services“ der Personalberatung<br />

Egon Zehnder<br />

Wolfgang Freibichler, S. 63<br />

Partner Industrial Goods & Private Equity bei<br />

Porsche Consultiing<br />

Ingo Reich, S. 70<br />

Freier Journalist<br />

Dr. Markus Renner, S. 72<br />

Managing Partner der Branding-Institute CMR AG<br />

Holger Zscheyge, S. 74<br />

Russland-Korrespondent, Moskau<br />

Prof. Oliver Ibert, S. 75<br />

Professor für Wirtschaftsgeographie an der FU Berlin<br />

Prof. Hans Haarmeyer, S. 76, 87, 88<br />

Herausgeber<br />

Dr. Jasper Stahlschmidt, S. 78<br />

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht<br />

Buchalik Brömmekamp<br />

Dr. Olaf Hiebert, S. 78<br />

Steuerberater, Spezialist für Insolvenzanfechtung<br />

Buchalik Brömmekamp<br />

Christoph Hillebrand, S. 80<br />

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer<br />

Dr. Andreas Leupold, S. 82<br />

Industrieanwalt spezialisiert auf Rechtsfragen zu<br />

3D-Druck, Lizenzen, IT und Medien<br />

Jeffrey Beeson, S. 84<br />

„Chief Alignment Enabler“ der Unternehmensberatung<br />

„Ensemble Enabler“<br />

Anne Koark, S. 85<br />

Buchautorin und Unternehmensberaterin<br />

Geraldine Friedrich, S. 90<br />

Freie Journalistin<br />

Wilhelm Klaas Lünstroth, S. 94<br />

Freier Journalist<br />

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<strong>03</strong>/16<br />

97


RETURN BIS Z<br />

Gewinnen und genießen<br />

Kulinarisch-kultureller Genuss – Heute: Berlin<br />

IN LETZTER SEKUNDE<br />

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„<strong>return</strong>“-Leser lockt eine ungewöhnliche Führung durch die Hauptstadt<br />

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Namen, Adresse und Telefonnummer nicht vergessen.<br />

Der Gewinner wird per E-Mail benachrichtigt.<br />

Der Rechtsweg und eine Barauszahlung des Gewinns sind<br />

ausgeschlossen. Einsendeschluss ist der 30.09.<strong>2016</strong>.<br />

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