sich heimlich in Hosen schlich und in Ärmel kroch, in Handschuhe hauchte und in Mäntel gähnte – Schwermut, die sich auf Decken legte und Kissen niederdrückte; alles Erinnerung, dachte er, Erinnerung, die sich schamlos aufblähte, sodass die Gegenwart immer kleiner wird und sich in die hinterste Ecke der untersten Schublade verdrückt: verknülltes Papier, unentfaltbar. Und nun also, an diesem Frühlingstag, nachdem er grad noch so glücklich war, als hätte sich all die schlechte Erinnerung aus dem <strong>St</strong>aub gemacht und in milder Frühlingsluft aufgelöst – Mantel für Mantel abgetragen und Kissen für Kissen ausgeträumt, Erinnerung für Erinnerung ausgelüftet und Buch für Buch abgestaubt –, nun also, wie er so ausgedacht und ausgetragen, abgestaubt und ausgewaschen im <strong>St</strong>rassencafé sass, entdeckte er diesen Mann. Einen schwarzen Hut auf dem Kopf, Hals und Kinn versteckt hinter einem herausragenden Kragen, stand er da und schaute von der anderen <strong>St</strong>rassenseite auf Leonhard, in dessen aufgerissene Augen, in denen vor Sekunden noch ein Glanz gewesen sein musste. Es war diese abgrundtiefe Ernsthaftigkeit, mit der ihn der Mann fixierte, die Leonhard augenblicklich in seine Schwermut zurückversetzte, eine <strong>St</strong>renge, die sich wie ein grosser Schatten über diese frühlingshafte Leichtigkeit geworfen hatte, sodass Leonhard auf der <strong>St</strong>elle den Ort des Geschehens verlassen wollte. <strong>St</strong>attdessen sass er wie angewurzelt da, die Tasse noch immer vorm halbgeöffneten Mund, halb vor staunendem Erschrecken, halb noch, um einen Schluck zu nehmen, derweil der schwarze Mann in unsäglicher Feierlichkeit über die <strong>St</strong>rasse auf ihn zuging, ein Immuner, dachte Leonhard, so geht nur einer über die <strong>St</strong>rasse, der durch nichts und niemanden in weltliche Angelegenheiten zu verstricken ist. Leonhard stellte die Tasse auf die Untertasse. Rundherum nahm der Tag seinen Lauf, Autos fuhren vorbei, städtische Trams und Busse, Passanten, die eilten, hinkten oder vereinzelt schlenderten, nebenan las eine ältere Dame mit Hündchen in der Handtasche in einer Modezeitschrift, und ein – 30 – Verkehrspolizist schob gerade einen Bussenzettel unter einen Scheibenwischer. Leonhard ahnte, was kommen würde. Der Immune würde sagen, dass nun Zeit sei, zu zahlen, um dann einige Schritte zu tun und vor einer Tolle stehen zu bleiben, wo er ihn auffordern würde, den Deckel zu heben und neben die Öffnung auf den Asphalt zu legen, die Leiter zu betreten und in den Untergrund zu steigen. Leonhard wusste, er würde beim Hinabsteigen noch einmal aufwärts schauen und den blauen Frühlingshimmel sehen, eingerundet von der Tollenöffnung, und das Gesicht des Immunen mitsamt dem Hut würde in dieses Blau ragen, wie ausgeschnitten, würde Leonhard denken, ausgeschnitten und auf den blauen Hintergrund geklebt, und später, wenn er nochmals hinaufschauen würde, wäre der runde Himmel mit dem aufgeklebten Kopf und dem Hut zusammengeschrumpft. Irgendwann, so ahnte Leonhard, würde er an der untersten <strong>St</strong>ufe angelangt sein und Boden betreten und sich in einer grossen Finsternis befinden, es würde Licht werden und Leonhard mitten in einem grossen Saal stehen, in dem nun also die diversen Abfälle ausgestellt wären, die er in seinem bisherigen Leben auf sträfliche Weise entsorgt hatte: 317 Raviolibüchsen, die er in städtische Kehrichtsäcke verstaut hatte; bunte Haufen mit tausenden von Bananen-, Mandarinen- und Orangenschalen, die er in Säcke abgefüllt hatte; eine Wand vollgeklebt mit glitzerndem Aluminiumpapier; und in der Mitte eine weisse Gletscherlandschaft aus 728 zusammengeknüllten Papiersäcken, die sich kaum hörbar entfalten würden… So würde es sein, dachte Leonhard, als er das <strong>St</strong>rassen café verlassen hatte. Ich werde all das, was ich derart entsorgt hatte, in tausenden von <strong>St</strong>unden wiedergutmachen und der Immune wird all dies überprüfen und nicht Ruhe geben, bis nicht alles seine Richtigkeit haben würde. Und nachdem endlich alles seine Ordnung haben würde, würde ich wieder ans Tageslicht treten, es würde Frühling sein und ich könnte nochmals von vorne beginnen. Leicht wird alles sein, dachte Leonhard – und ging seines Wegs.
Im Rahmen des Masterplans Cleantech wird das Recycling von Wertstoffen wie Papier, Karton, Verpackungsglas, Alu/Dosen, Altmetalle, Elektronikschrott usw. noch wichtiger. – 31 –