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zwischen kult und kommerz. architektur als erfahrbarer raum

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180| WIEBKE FRIESE<br />

4. RITUALSOMATIK UND ARCHITEKTONISCHE UM-<br />

SETZUNG<br />

Kult ist ein multidimensionales Erlebnis, welches nicht allein <strong>als</strong><br />

spirituelle, sondern auch <strong>als</strong> physische bzw. somatische Erfahrung<br />

wahrgenommen werden kann – oder wie die englische Prähistorikerin<br />

R. Whitehouse es formuliert: „Biology is always culturally<br />

mediated, so that cultural <strong>und</strong>erstanding of the body and it’s functions,<br />

in relation to society and the cosmos, profo<strong>und</strong>ly affects the<br />

way we physically experience the world”. 35<br />

Wenn wir auch keine schriftlichen Überlieferungen von dem<br />

Ritualablauf des herakleischen Totenorakels besitzen, so ist es<br />

durchaus nachvollziehbar, dass ein in die Höhle hinabsteigender<br />

Orakelklient eine stark bewusstseinsverändernde Erfahrung durchlebte.<br />

Durch das Überschreiten der Höhlenschwelle verwandelt<br />

sich eine Welt der Helligkeit <strong>und</strong> freien Beweglichkeit in eine dunkle,<br />

schwer einzuschätzende, einengende <strong>und</strong> damit angsterregende<br />

Erfahrung. Selbst Fackellicht würde in einer solchen Umgebung<br />

nur einen Teil der Höhle erleuchten <strong>und</strong> die Effekte, die das flackernde<br />

Licht auf die Wände wirft, den unheimlichen Eindruck<br />

noch steigern. Auch die anderen, durch das eingeschränkte Sehverhalten<br />

verstärkten Sinneseindrücke – das Gehör, der Geruch <strong>und</strong><br />

der Tastsinn – vermitteln dem Eintretenden wenig Vertrautes. In<br />

einigen Höhlen wird ein Geräusch durch das Echo verstärkt, in<br />

anderen vollständig verschluckt. Die Feuchtigkeit in vielen Höhlen<br />

verändert nicht nur den Geruch, sondern auch die Berührung der<br />

Umgebung. Zusammengenommen stellt sich noch beim heutigen<br />

Menschen häufig ein Gefühl der zunehmenden Desorientierung<br />

ein. 36 Die hierbei erfahrenen natürlichen bzw. naturähnlichen<br />

Wahrnehmungen standen <strong>und</strong> stehen in jedem Fall im klaren Gegensatz<br />

zu den Sinneseindrücken der “normalen” Umgebung des<br />

“zivilisierten” Klienten, der sich spätestens seit dem 8. – 7. Jh. v.<br />

Chr. immer weiter an das Leben innerhalb eines siedlungsähnlichen<br />

35 WHITEHOUSE (2001) 161.<br />

36 siehe hierzu auch die Forschungen von R. Whitehouse in<br />

prähistorisch besiedelten Höhlen Süditaliens: WHITEHOUSE (2001)<br />

161–162. Zu <strong>kult</strong>ischen Höhlen allgemein auch: USTINOVA (2009).<br />

Zum Ritualerlebnis in den Höhlen griechischer Totenorakel siehe:<br />

FRIESE (2010a).

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