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Ich träumte vom Meer<br />
„Sebastian? Sebastian, wo steckst du denn schon wieder?“, die Stimme seiner Mutter<br />
hallte durch das Haus.<br />
„Hier!“<br />
„In deinem Zimmer - warum frage ich auch!“ Ohne Nachzufragen war die zierliche<br />
Frau in seinen Raum geplatzt. Nun gut, sie hatte ihn ja mehr oder weniger vorgewarnt.<br />
„Mama. Was gibt es denn?“, fragte der Blonde betont freundlich, als er aufschaute.<br />
Unschwer konnte man den genervten Ton in seiner Stimme heraushören. Aus<br />
dem flimmernden Laptop auf seinen Knien ertönte ein lautes Krachen. „Ach, verdammt!“<br />
Er hatte gerade sein bestes Auto zu Schrott gefahren.<br />
„Wenn du dich mal aus deinem Bett heraus bewegen würdest, wüsstest du es! Weißt<br />
du eigentlich, wie spät es schon wieder ist? Es ist fast Nachmittag und du hast immer<br />
noch deine Schlafsachen an! Noch nicht einmal zu den Gardinen hast du es geschafft!“<br />
Mit energischen Schritten stakste sie über das wüst aussehende Durcheinander und riss<br />
geradezu die Vorhänge auf, sodass gleißendes Licht den Raum erfüllte.<br />
„Junge, es wird Zeit, dass du mal Verantwortung übernimmst! Hier sieht es aus!<br />
Wäsche waschen, einkaufen, kochen und Müll rausbringen erledigt sich schließlich nicht<br />
von allein!<br />
Und setz' doch mal deine Brille auf, du Krummbuckel! Du hängst ja mit deiner Nase<br />
schon am Bildschirm. Du hast nur ein paar Augen.“<br />
So kam es also, dass Sebastian nicht einmal zwei Wochen später mit gepackten<br />
Sachen auf der Straße stand. Nun gut, nicht auf der Straße, vielmehr auf einem<br />
Bahnsteig, doch fühlte es sich für ihn doch irgendwie eigenartig an.<br />
Während er in den bereit stehenden Zug stieg, fragte er sich noch immer in seinen<br />
Gedanken vertieft, welche Maus seiner Mutter an dem Morgen über die Leber gelaufen<br />
war. Ja, er wohnte noch mit sechsundzwanzig im Haus seiner Eltern und er war auch<br />
sicherlich nicht stolz darauf. Aber es hatte ihn bisher auch nie in den Fingern gejuckt,<br />
auszuziehen und etwas anderes zu sehen. Dass er jetzt dazu genötigt worden war, bei<br />
Freunden auf dem Hof zu arbeiten, gefiel ihm ganz und gar nicht. Er liebte sein Leben so<br />
wie es war. Liebte das städtische Nachtleben, die Freiheit so lange zu schlafen wie er<br />
wollte und immer einen gefüllten Kühlschrank zu haben. Und dann musste es auch noch<br />
ein Reiterhof sein. Pferde. Warum konnte es keine Hühnerfarm sein? Oder ein<br />
Kaninchenzüchter? Aber Pferde? Er hatte diese großen Tiere noch nie leiden können – und<br />
oft sie ihn auch nicht. Pferde konnten ihre Kraft nicht einschätzen und kuscheln konnten<br />
sie auch nicht. Was hatte sich seine Mutter nur dabei gedacht?<br />
Die Landschaft zog am Fenster vorbei und ließ ihn schläfrig werden. Sein Gesicht<br />
spiegelte sich im Glas des Zuges wider. Seine blonden Haare waren raspel kurz geschoren.<br />
Seine Mutter hatte mit den Worten: „Damit du wenigstens halbwegs anständig<br />
aussiehst“, dafür gesorgt. Seine grünen Augen stellten einen starken Kontrast zu seiner<br />
hellen Haut dar und seine Sommersprossen ließen ihn kindlich wirken, ja fast schon<br />
mädchenhaft. Er hasste sie. Früher wurde er deswegen immer geärgert. Dann hatte er<br />
angefangen sich zurückzuziehen und sich den Computerspielen zu widmen. Und jetzt war