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schlief.<br />
Sie durchstöberten Schränke, rissen Schubladen aus den Kommoden und stopften was<br />
ihnen gerade gefiel in große Säcke und Bananenkartons.<br />
Dafür, dass sie über fast alles die Nase rümpften, es für wertlosen Schund hielten,<br />
steckten sie erstaunlich viel davon ein. Man hätte glauben können, sie wären eine<br />
hungrige Diebesbande, die hier Wertsachen für ihr dürftiges Überleben zusammen klaute.<br />
In Wahrheit hatten sie mehr, als sie brauchten. Vermutlich würde der ganze Krempel in<br />
einer feuchten Ecke im Keller landen, und dort vor sich hin schimmeln. Hauptsache,<br />
niemand anderer hatte das Zeug.<br />
Ich stand an die Wand gedrückt und beobachtete das alles wie einen Verkehrsunfall<br />
den man in Zeitlupe wahrnahm und in den man dennoch nicht eingreifen konnte.<br />
„Du kannst hier nicht wohnen“, erklärte meine Mutter beiläufig, während sie eine Kiste<br />
altmodisch bestickter Tischdecken fand und ein gieriges Funkeln in ihre Augen trat. Nicht<br />
wegen der Tücher, diese durchwühlte sie nur grob auf der Suche nach Bargeld. Alte Leute<br />
deponierten es, wie Eichhörnchen, überall in ihren Wohnhöhlen, für schlechte Zeiten und<br />
weil sie den Banken nicht vertrauten. Zurecht.<br />
Ich hatte bisher nicht gewagt danach zu suchen, hätte es als Entweihung, gar als<br />
Diebstahl empfunden. Nun landeten Hunderte Euro aus allerlei Verstecken in den bereits<br />
gefüllten Taschen meiner Familie.<br />
„Wie meinst du das? Opa hat doch verfügt, dass ich …“, stammelte ich.<br />
„Opa war senil! Außerdem steht die Eigentumswohnung als seine Tochter doch mir<br />
zu“, erklärte sie und fand, wonach sie gesucht hatte. Mit flinken, gierigen Fingern klaubte<br />
sie die Hunderter, die zwischen den Tischtüchern eingeklemmt waren, heraus und zählte<br />
sie. Es mußten mindestens achthundert Euro sein.<br />
„Aber“, murmelte ich und ließ meine Schultern hängen.<br />
„Spätestens morgen früh bist du raus!“, stellte sie mit harter Stimme ihre Bedingung.<br />
Sie hatte mich bisher nicht eines Blickes gewürdigt, als wäre ich ihre polnische<br />
Hausangestellte, an der sie ebenfalls immer vorbei redete.<br />
„Ich weiß nicht wo ich hin soll“, flüsterte ich, damit nur sie es hören konnte. Ich wollte<br />
nicht, dass alle davon Wind bekamen. Die Show auf der Beerdigung war peinlich genug<br />
gewesen.<br />
„Du kannst ja zu einem deiner Lover ziehen“, meinte sie schnippisch und zog den<br />
nächsten Karton, diesmal jenen mit muffigen Vorhängen, unter dem Bett hervor und<br />
begann darin zu wühlen.<br />
„Ich hab keinen …“, begann ich und seufzte hoffnungslos. Warum auch immer, vor<br />
allem meine Eltern unterstellten mir, ein ausschweifendes Sexualleben zu führen. Dabei<br />
hatte ich nichts dergleichen – nie gehabt.<br />
Nachdem herausgekommen war, dass ich schwul bin, wurde ich zu meinem Opa<br />
umgesiedelt was ein etwas freundlicherer Ausdruck für 'Rauswurf' war. Sie hatten mich<br />
nicht etwa mit einem anderen Jungen erwischt, oder so etwas, sondern … Fotoschnipsel.<br />
Ich hatte aus den ausrangierten Zeitschriften meiner Schwestern heimlich die Fotos süßer<br />
Jungs ausgeschnitten, und sie in meinem Buch 'Hundert Jahre Eisenbahn' versteckt. Eines<br />
dieser uninteressanten, nichtssagenden Bücher, die vermutlich jeder Junge irgendwann<br />
geschenkt bekam. Wie der Teufel so wollte, mußte eine meiner Schwestern ein Referat<br />
zum Thema Eisenbahn schreiben und hatte sich das Buch – ohne nachzufragen –