Wagnereinmalig No. 1
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© Kurt Kaindl / Paul Zsolnay Verlag<br />
Ich bin<br />
ein Mensch,<br />
keine<br />
Instanz.<br />
22<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Im Ihrem Buch „Der Mann, der<br />
ins Gefrierfach wollte“ erzählen<br />
Sie von Kaayo, dem letzten<br />
des Volkes der El-Molo in Kenia,<br />
der die Sprache seines Volkes<br />
bewusst mit ins Grab nimmt.<br />
Ja, dieser Mann hat eines Tages den sprachlichen<br />
Austausch mit der Welt abgebrochen,<br />
er hat sich entschieden, auch nichts mehr<br />
dafür zu tun, dass seine eigenen Enkelkinder<br />
El-Molo verstehen und sprechen mögen.<br />
Ich denke mir, er muss genau gewusst und<br />
gespürt haben, dass mit ihm eine ganze Welt<br />
stirbt, und ein unsäglich trauriger und weiser<br />
Mann gewesen sein.<br />
Gibt es richtiges und<br />
falsches Reisen?<br />
Richtig und falsch, wer soll das bestim -<br />
men? Ich bin keiner von denen, die ihren<br />
Hochmut gegen die „Ach-so-dummen<br />
Touristen“ kultivieren. Jeder Reisende,<br />
selbst der Massentourist, wird auch von<br />
Einer der<br />
bedeutendsten<br />
literarischen<br />
Spurensucher<br />
unserer Zeit<br />
im Gespräch mit<br />
Robert Renk.<br />
Auszüge aus Quart Nr. 20/12:<br />
Brenner-Gespräch (8)<br />
23<br />
etwas urtümlich Archaischem angetrieben,<br />
jedes Reisen ist ein gewisser Aufbruch<br />
und mit einer gewissen Mühe verbunden.<br />
Natürlich gibt es aber zahllose Reisende,<br />
die genauso vorurteilsbeladen heimkehren<br />
wie sie losgefahren sind.<br />
Gab es gefährliche Situationen<br />
während Ihrer Reisen?<br />
Ich bin natürlich öfter in die Gefahr<br />
geraten, dass eine Reise scheitert, und zwar<br />
an meiner Unfähigkeit und meiner Ungeduld.<br />
Wenn man so reist, wie ich es tue, um<br />
über diese Reisen dann zu schreiben, muss<br />
man sich vor allem in einer Fähigkeit ausbilden,<br />
in der Geduld. Und das ist bei mir<br />
eine heikle Sache, denn ich bin ein ziemlich<br />
ungeduldiger Mensch.<br />
Das merkt man Ihren Texten<br />
kaum an!<br />
Danke. Es war aber schon so: dass ich mich<br />
in irgendeinem Dorf in Mazedonien oder<br />
Kalabrien aufgehalten habe und sich nichts,<br />
rein gar nichts getan hat. Sodass ich mich<br />
dazu zwingen musste, trotzdem dort zu<br />
bleiben, so lange, bis das Nichtstun schon<br />
schmerzhaft wurde. Nach vier Stunden<br />
geht man zum vierten Mal dieselbe Straße<br />
hinauf, kein Mensch redet einen<br />
an, man sitzt am Ortsbrunnen,<br />
man geht ins Café und es<br />
geschieht nichts. Und dann,<br />
wenn es schon fast unerträglich<br />
geworden ist, wenn man nichts<br />
wie weiterziehen will, geht<br />
eine uralte Frau vorbei, fragt:<br />
„Was machst eigentlich du da?“, und dann<br />
nimmt sie mich mit nach Hause und nach<br />
zehn Minuten sind 25 Leute da, Freunde,<br />
Nachbarn, Verwandte. Und jeder möchte<br />
dir seine ganz persönliche Liebesgeschichte<br />
und Lebensgeschichte erzählen. (...) Geduld<br />
ist für mich eine Arbeitshaltung, zu der<br />
ich mich diszipliniert nötigen muss. Ich bin<br />
sozusagen professionell geduldig und privat<br />
ein unangenehm ungeduldiger Kerl.<br />
Dann wechseln wir lieber rasch<br />
das Thema. Karl Kraus schätzte<br />
eine Literaturzeitschrift aus Tirol<br />
ganz besonders, nämlich den<br />
„Brenner“. Deren Herausgeber,<br />
Ludwig von Ficker, hatte ein ganz<br />
anderes Konzept als Kraus, er<br />
hat sich selbst ja nicht als Autor<br />
gesehen, sondern als Entdecker<br />
und Förderer.<br />
Als ich vor ein paar Jahren zu der schönen<br />
„Gaußiade“ nach Innsbruck eingeladen<br />
wurde, bin ich natürlich auch nach Mühlau<br />
hinaus gezogen. Der Friedhof ist tatsächlich<br />
sehr stimmungsvoll, aber auch eine Stätte<br />
mit symbolischer Rangordnung. Ganz oben<br />
sind die Gräber von Ficker und Trakl. Die<br />
Frau von Ficker liegt erst drei Reihen weiter<br />
unten. Man könnte meinen, Ludwig von<br />
Ficker wäre nicht mit ihr, sondern mit Trakl<br />
verheiratet gewesen.<br />
In Tirol hatten Sie eine enge<br />
Verbindung zu Paul Flora.<br />
Ja, er war tatsächlich der geborene Erzähler.<br />
Und er ist ja auch als Zeichner eigentlich<br />
ein Erzähler. (...) Er war ein großer Könner,<br />
der im Unterschied zu vielen Könnern<br />
sein eigenes Schaffen mit viel Selbstironie<br />
betrachtet hat. Auf meine Frage, woran<br />
er gerade arbeite, hat er mir einmal mit dem<br />
grandiosen Satz geantwortet: „Derzeit bin<br />
ich nicht in Hochform, da zeichne ich am<br />
Vormittag einen Raben und am Nachmittag<br />
verkauf ich ihn.“ So was kann nur einer sagen,<br />
der Größe hat und sie sich nicht durch<br />
geniale Attitüden beweisen muss.<br />
Können Sie mit dem Begriff<br />
„moralische Instanz“, als die Sie<br />
auch bezeichnet werden, etwas<br />
anfangen?<br />
Sogar in eitlen Momenten nicht allzu viel.<br />
Das Wort hat doch etwas Abtötendes. Ich<br />
bin ein Mensch, keine Instanz. Wenn mich<br />
jemand loben würde, indem er mich als<br />
seine „stilistische Instanz“ bezeichnet, täte<br />
ich mir leichter. Es ist mir nicht angenehm,<br />
wenn mir jemand einen politischen Irrtum<br />
oder einen Fehler in der politischen Argumentation<br />
nachweist; aber wenn er mir eine<br />
schlechte Formulierung oder einen stilistischen<br />
Fehler nachweist, würde mich das<br />
weit mehr beschäftigen.<br />
Soeben erschienen:<br />
Karl-Markus Gauß:<br />
Der Alltag der Welt<br />
Zsolnay Verlag, 336 S., € 23,60<br />
Im Gespräch:<br />
Lesung und Gespräch von<br />
Karl-Markus Gauß mit Quart-<br />
Herausgeber und Franui-Chef<br />
Andreas Schett, das Gespräch<br />
führt Klaus Zeyringer.<br />
Do., 29. 10. 2015, 19:00 Uhr<br />
Stadt bücherei Innsbruck<br />
(Colingasse 5a).<br />
Eine Kooperation mit<br />
der Stadtbücherei Innsbruck<br />
und 8ungKultur.<br />
Eintritt frei