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Wagnereinmalig No. 1

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Wagner’sche. Das Buchmagazin Bücher der Wagner’schen seit 1639 Universitätsbuchhandlung — 10.2015<br />

Wagner<br />

eı˙nmalı˙g<br />

#<strong>No</strong>.1


Impressum<br />

Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich:<br />

Wagner’sche Universitätsbuchhandlung, Medici Buchhandels GmbH,,<br />

Museumstraße 4, 6020 Innsbruck<br />

info@wagnersche.at — www.wagnersche.at<br />

Redaktion: Robert Renk<br />

© der Textbeiträge bei den Autorinnen und Autoren<br />

Grafische Ausstattung: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau / Tirol<br />

Fotografie (so nicht anders angegeben): Thomas Schrott<br />

© der Abbildungen bei den jeweiligen Rechteinhabern<br />

„Schaufensterpuppe im Papierkleid“ (Titel) von Gracia Kasenbacher-Harar<br />

Druck: Alpina Druck, Innsbruck<br />

Fehler, Änderungen und Irrtümer vorbehalten.<br />

2<br />

© 10.2015 – alle Rechte vorbehalten<br />

Bücher seit 1639<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Fast auf den Tag genau<br />

vor 376 Jahren konnte<br />

sich Michael Wagner<br />

seinen Traum erfüllen, am<br />

13. Oktober 1639 hielt er den<br />

Freibrief von der Tiroler<br />

Landesfürstin Claudia<br />

von Medici in den Händen.<br />

Die Wagner’sche, seit<br />

376 Jahren Stätte der<br />

Buch druckerkunst und des<br />

Buchhandels in Innsbruck,<br />

war geboren! – Auch für uns<br />

geht ein großer Traum in<br />

Erfüllung, mit der Möglichkeit,<br />

die älteste Buchhandlung<br />

Tirols in eine neue Zukunft<br />

zu führen. Die Wagner’sche<br />

soll wieder Wagner’sche<br />

werden und weit über die<br />

Grenzen Tirols hinaus Lust<br />

aufs Lesen verbreiten.<br />

Begleiten Sie uns auf diesem<br />

spannenden Weg und freuen<br />

Sie sich auf die neue<br />

Wagner’sche.<br />

Markus Renk (re.), Markus Hatzer<br />

Inhalt<br />

5 Was war, was wird<br />

8 Das Buch im Mittelpunkt<br />

Markus Renk im Gespräch mit Gabriele Grießenböck<br />

10 Bücher sind meine Welt<br />

Markus Hatzer im Gespräch mit Gerlinde Tamerl<br />

12 Alt aber Neueröffnung<br />

Ein Fest mit vielen Überraschungen am 22./23./24. Oktober<br />

14 1639. Die Meierei<br />

Nina Rettenbacher im Gespräch mit Robert Renk<br />

18 Christoph W. Bauer<br />

im Gespräch mit Anna Rottensteiner und Gabriele Wild<br />

20 Michael Köhlmeier<br />

im Gespräch mit Dorothea Zanon<br />

22 Karl-Markus Gauß<br />

im Gespräch mit Robert Renk<br />

24 Fiktion oder nicht?<br />

Das neue Buch von Raoul Schrott<br />

25 Zwischen Satire und Front<br />

Die Ukrainischen Autoren Andrej Kurkow und Serhij Zhadan<br />

26 Showdown und meine Lust<br />

Lydia Mischkulnig über Ilija Trojanows Roman Macht und Widerstand<br />

28 Wir Wagnerianer<br />

30 Cover sei Dank.<br />

Ein Essay von Vea Kaiser<br />

32 Mit den besten Empfehlungen<br />

36 3×7 Best aber Seller<br />

38 MINDFUCK.Job<br />

Die Coachin Petra Bock im Gespräch mit Christine Edenstrasser<br />

39 Autorinnen & Autoren<br />

40 Buchkultur ist zeitlos<br />

Der Grafikdesigner Kurt Höretzeder im Gespräch mit Susanne Gurschler


© Thomas Schrott<br />

Aus kaum<br />

einem Leben<br />

sind Bücher<br />

wegzudenken.<br />

Christine Oppitz-Plörer<br />

4 Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Sehr geehrte<br />

LiteraturliebhaberInnen,<br />

mit der Erfindung des Buchdrucks<br />

in Europa durch den Goldschmied<br />

Johannes Gutenberg wurde uns eine<br />

komplett neue Türe geöffnet: Durch<br />

Literatur und Bücher haben wir die<br />

Möglichkeit, in eine unglaublich breite<br />

Vielfalt an unterschiedlichen Welten<br />

einzutauchen, ohne das Haus zu verlassen.<br />

Texte und Bücher lassen uns in<br />

die Vergangenheit und in die Zukunft,<br />

in ferne Länder und an ausgedachte<br />

Orte reisen. Wir können mit Figuren<br />

mitleben und -fühlen und gleichzeitig<br />

haben wir den Zugang zu einer schier<br />

unendlichen Menge an Wissen und<br />

Informationen bekommen. Aus kaum<br />

einem Leben sind Bücher wegzudenken:<br />

Sei es die „Gute-Nacht-Geschichte“<br />

am Abend, das Schul- oder<br />

Lehrbuch, der Roman, der Thriller<br />

oder einfach nur das Telefonbuch.<br />

Technische Entwicklungen wie<br />

das Internet und E-Book-Reader<br />

haben einiges verändert: Infos werden<br />

„gegoogelt“ und weniger oft nachgeschlagen.<br />

Ein Buch wird oftmals<br />

„downgeloaded“ und nicht mehr in<br />

der Buchhandlung gekauft. Man hat<br />

sich an neue Rahmenbedingungen<br />

und Gegebenheiten angepasst und<br />

sich darauf eingestellt. Das beweist<br />

die Tatsache, dass die Verwendung<br />

eines E-Books nicht dazu führt, dass<br />

die Buchhandlungen leer sind. Viele<br />

KundInnen kommen genau deshalb:<br />

Service und Hilfestellung in inspirierender<br />

Umgebung sind das beste<br />

Rezept.<br />

Die „Wagner’sche“ steht in<br />

Innsbruck für Tradition. Seit 1639 hilft<br />

sie den LeserInnen mittels Bücher<br />

auf Reisen zu gehen und Abenteuer<br />

zu erleben. Mit der Übernahme durch<br />

Markus Renk ist die Traditionsbuchhandlung<br />

wieder in Tiroler Hand. Zur<br />

Eröffnung wünsche ich alles Gute!<br />

Christine Oppitz-Plörer<br />

Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck<br />

5<br />

Was war, was wird<br />

Die Buchkultur in Innsbruck und<br />

die Wagner’sche haben viel miteinander<br />

zu tun. Und das seit 1639.<br />

Der portugiesische Dichter Fernando<br />

Pessoa hat einmal den schönen Satz geprägt:<br />

„Lesen heißt durch fremde Hand träumen“.<br />

Ganz nach diesem Motto soll die neue<br />

Wagner’sche unsere Kundinnen und Kunden<br />

in Zukunft aus dem Alltag reißen und<br />

ihnen das Abenteuer Lesen noch reizvoller<br />

gestalten. Alt aber neu, steht seit Tagen auf<br />

unseren Plakaten, und dieser Werbeclaim<br />

sagt genau aus, was wir unseren Kunden<br />

vermitteln wollen!<br />

Ein Haus mit Geschichte …<br />

Die Wagner’sche ist ein Haus mit einer<br />

376-jährigen Buchtradition, welches viele<br />

Generationen in Innsbruck, in Tirol und<br />

über dessen Grenzen hinaus mit wunderbaren<br />

Büchern erfreuen konnte. Ein Haus<br />

mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber<br />

vor allem mit Besitzern, welches Innsbruck<br />

mitgeprägt haben, ob als Bürgermeister,<br />

Stadtrichter, Wirtschafts kammerpräsidenten,<br />

Förderern oder Mäzenen. Ein Haus mit einer<br />

beachtlichen Geschichte:<br />

1667 Michael Wagner übernimmt den<br />

zweiten Druckereibetrieb in Innsbruck<br />

und wird Hofbuchdrucker<br />

in Innsbruck. Mit der Übernahme<br />

dieses Unternehmens, der ersten<br />

„Staatsdruckerei“ der Welt, reicht<br />

die Geschichte der Firma bis ins<br />

Jahr 1548. So gesehen ist die<br />

Wagner’sche die älteste Buchhandlung<br />

Österreichs.<br />

1723 Michael Wagners Enkel Michael<br />

Anton Wagner wird der Titel eines<br />

Universitätsbuchdruckers verliehen.<br />

1802 Mit dem Tod von Michael Alois<br />

Wagner endet eine Ära im Unternehmen<br />

der Wagner’schen; Wagners<br />

Schwager Casimir Schumacher, um<br />

1809 unter Andreas Hofer Bürgermeister<br />

von Innsbruck, übernimmt<br />

den Betrieb.<br />

1830 Casimir Schumachers Sohn Johann<br />

errichtet nach einer Schriftgießerei<br />

und einer Lithographie-Anstalt die<br />

erste Schnellpresse in Österreich;<br />

das Unter nehmen erlebt eine Phase<br />

der Expansion.<br />

1875 Die Wagner’sche Buchhandlung<br />

übersiedelt aus der Altstadt an ihren<br />

heutigen Standort in der Museumstraße.<br />

1889 Nach einem verheerenden Brand<br />

der Druckerei eröffnet das Unternehmen<br />

ein neues Geschäftslokal<br />

in der Erlerstraße.<br />

1916 Eckart Schumacher verkauft den<br />

Universitätsverlag Wagner und die<br />

Druckerei, nur noch die Buchhandlung<br />

in der Museumstraße verbleibt<br />

im Familienbesitz.<br />

1945 Durch die Bombardierung Innsbrucks<br />

wird das Unternehmen<br />

schwer getroffen, die Druckerei und<br />

das Verlagsarchiv werden teilweise<br />

vernichtet.<br />

2006 Nach 367 Jahren im Familienbesitz<br />

verkauft die Besitzerin<br />

Maria Hasenöhrl die Wagner’sche<br />

Buchhandlung an die Buchhandelskette<br />

Thalia.<br />

2015 Markus Renk übernimmt gemeinsam<br />

mit Markus Hatzer die inzwischen<br />

376 Jahre alte Wagner’sche<br />

Universitätsbuchhandlung.<br />

… und mit Zukunft.<br />

Was wir uns aber vor allem vornehmen:<br />

Aus der Wagner’schen wieder ein Haus mit<br />

Zukunft zu machen! Sie soll wieder als<br />

die Buchhandlung in Innsbruck positioniert<br />

werden. Die Zeit der Skateboards und<br />

Sandkübel gehört der Vergangenheit an.<br />

Auf über 1.000 m² werden Buchliebhaber<br />

nun wieder voll auf ihre Kosten kommen<br />

und in die Welt der Bücher eintauchen<br />

können. Die Wagner’sche soll wieder die<br />

Wagner’sche, alte Tugenden sollen wiederbelebt<br />

werden. So werden die Bereiche<br />

Literatur, Geschichte, Politikwissenschaft,<br />

Medizin, Musik und Kinderbuch spürbar<br />

ausgebaut. Nachhaltigen Trends fühlen<br />

auch wir uns in Form neuer Themenschwerpunkte<br />

verbunden: Kulinarik, Green Living<br />

und Green Gardening wären hier etwa zu<br />

nennen. Garant dafür ist u.a. Nina Rettenbacher<br />

und ihre „1639. Die Meierei in der<br />

Wagner’schen“. –<br />

Tauchen Sie mit uns ein in die Welt der<br />

Bücher und begleiten Sie uns auf diesem<br />

spannenden Weg in die Zukunft der Buchkultur<br />

in Innsbruck!


Liebe BücherliebhaberInnen!<br />

wagnersche.at<br />

Der Online-Shop der Wagner’schen.<br />

Bücher bestellen rund um die Uhr!<br />

Bücherkauf als multimediales<br />

Einkaufserlebnis. Videos, Rezensionen,<br />

Lese- und Hörproben zu<br />

Hundert tausenden Büchern und eBooks.<br />

Die Wagner’sche Buchhandlung präsen -<br />

tiert sich auch im Internet mit einem neuen,<br />

vollständig überarbeiteten Online-Shop.<br />

Auf www.wagnersche.at erwarten die<br />

Kunden ab sofort zahlreiche attraktive<br />

Neuerungen und eine Riesenauswahl an<br />

Produkten. Über 6 Millionen Artikel<br />

umfasst der Shop. Der Bücherkauf wird<br />

bei der Wagner’schen zu einem multimedialen<br />

Einkaufserlebnis – mit Videoclips,<br />

Autorenporträts sowie Hör- und Lese -<br />

proben zu Hunderttausenden Büchern und<br />

eBooks. Die Kunden lädt die Wagner’sche<br />

künftig stärker zum Mitmachen ein:<br />

Sie können Rezensionen schreiben, Bücher<br />

und sonstige Produkte kommentieren und<br />

sie über Social-Media-Kanäle teilen.<br />

„Wir haben bei der Konzeption des neuen<br />

Internetauftritts immer aus der Sicht unserer<br />

Kunden gedacht und uns genau an ihren<br />

Wünschen und Anforderungen orientiert“,<br />

sagt Markus Renk, geschäftsführender<br />

Gesellschafter von der Wagner’schen.<br />

„Wir wollen ihnen eine noch größere<br />

Auswahl an Artikeln bieten und gleichzeitig<br />

unsere wichtigsten Produkte, die Bücher,<br />

noch attraktiver präsentieren.<br />

Kostenlose Lieferung<br />

nach Hause<br />

Beim Bestellen haben die Kunden die Wahl,<br />

ob sie sich die Bücher zur Abholung in<br />

die Wagner’sche oder nach Hause liefern<br />

lassen wollen. Dieser Service ist bei der<br />

Wagner’schen im Inland immer kostenlos.<br />

„Wer zu lesen versteht, besitzt den<br />

Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten<br />

Möglichkeiten“, so der<br />

britische Schriftsteller Aldous Huxley<br />

(1894–1963). Den Menschen einen<br />

Zugang zur Welt der Bücher zu ermöglichen<br />

– diese schöne, bereichernde<br />

Aufgabe erfüllt die Wagner’sche<br />

Buchhandlung bereits seit mehr als<br />

375 Jahren. 1639 vom Buchdrucker<br />

der Medici Michael Wagner gegründet,<br />

ist die Wagner’sche die<br />

älteste Buchhandlung Tirols und<br />

eine Institution, die vielen Tirolerinnen<br />

und Tirolern bestens vertraut ist.<br />

Ich freue mich sehr, dass diese<br />

Traditionsbuchhandlung nun wieder in<br />

Tiroler Hand ist und mit Markus Renk<br />

und Markus Hatzer zwei exzellente<br />

Kenner der Tiroler Buchbranche die<br />

Wagner’sche in eine gute Zukunft<br />

führen werden. In unserer multimedialen<br />

Welt steht der Buchhandel unter<br />

großem Druck und es wird immer<br />

wieder die Frage aufgeworfen, ob<br />

Bücher überhaupt noch zeitgemäß<br />

sind. Ich beantworte diese Frage mit<br />

einem entschiedenen „Ja!“ – Es mag<br />

sein, dass E-Books etwa auf Reisen<br />

„praktisch“ sind. Aber die Faszination<br />

von Büchern, die man immer wieder<br />

gerne zur Hand nimmt, die einen<br />

über Jahre begleiten, bleibt für mich<br />

ungebrochen.<br />

Bücher vermitteln nicht nur Bildung,<br />

sie eröffnen neue Welten, lassen<br />

uns an den Erlebnissen und Gedankenwelten<br />

anderer Menschen teilhaben<br />

und in fremde Kulturen und vergangene<br />

Jahrhunderte eintauchen. Und das<br />

aus meiner Sicht wertvollste Geschenk<br />

der Literatur: Jeder/jede kann in ihr<br />

eine Familie finden und eine Heimat.<br />

Darin liegt die besondere Schönheit<br />

des Lesens, wie es der Schriftsteller<br />

F. Scott Fitzgerald (1896 –1940) trefflich<br />

zum Ausdruck brachte: „Lesend<br />

wird man gewahr, dass die eigenen<br />

Bedürfnisse universelle Bedürfnisse<br />

sind und man weder einsam noch<br />

isoliert ist. Sondern dass man dazugehört.“<br />

–<br />

In diesem Sinne hoffe ich, dass<br />

die Wagner’sche Buchhandlung ein<br />

lebendiger Ort der Begegnung<br />

sein möge, und wünsche den neuen<br />

Eigen tümern viel Erfolg!<br />

Beate Palfrader<br />

Landesrätin für Bildung, Familie und Kultur<br />

Tirol6 Wagner’sche.<br />

© Land<br />

Bücher seit 1639<br />

7<br />

Bücher<br />

vermitteln<br />

nicht nur<br />

Bildung, sie<br />

eröffnen neue<br />

Welten.<br />

Beate Palfrader


Das Buch im Mittelpunkt<br />

Nach neun Jahren hat die Traditionsbuchhandlung<br />

wieder Tiroler Eigentümer. Der Geschäftsführer<br />

Markus Renk im Gespräch mit Gabriele Grießenböck.<br />

© Thomas Schrott<br />

Persönliche<br />

Beratung<br />

ist unsere<br />

Stärke.<br />

Markus Renk<br />

8<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Als operativer Geschäftsführer will<br />

Markus Renk das Traditionsunternehmen<br />

in eine erfolgreiche Zukunft führen. Worauf<br />

er dabei achtet, welchen Kurs er mit seinem<br />

Team einschlägt und warum es für Tiroler<br />

bald keinen Grund mehr gibt, bei Amazon<br />

zu kaufen, das verrät er im Interview.<br />

Die Wagner’sche ist eine der<br />

ältesten Buchhandlungen Europas.<br />

Fühlt man als neuer Hausherr<br />

den Druck der Geschichte?<br />

Die Wagner’sche gibt es seit 375 Jahren, sie<br />

ist ein wichtiger Teil der Geschichte Innsbrucks.<br />

Das Haus war immer schon prägend<br />

für die Museumstraße. Die Gründer der<br />

Wagner’schen waren sehr intensiv bei der<br />

Entwicklung der Stadt beteiligt. Dabei denke<br />

ich auch daran, dass zwei Bürgermeister<br />

aus dem Haus der Wagner’schen gekommen<br />

sind. Der Geist von Michael Wagner ist in<br />

dieser Buch handlung noch lebendig. Also<br />

es ist eine sehr große Ehre, so ein Haus<br />

zu besitzen und in die Zukunft zu führen.<br />

Für mich geht ein Traum in Erfüllung.<br />

Worauf werden Sie Ihren<br />

Schwerpunkt legen?<br />

Ich habe den Vorteil, dass ich den Markt<br />

seit 30 Jahren kenne. Welche Stärken und<br />

Schwächen die Branche hat und welches<br />

Potential in ihr steckt. Verglichen mit<br />

der Konkurrenz würde ich sagen, spricht<br />

die Wagner’sche eher den Vielleser und<br />

Buchliebhaber an. Und darauf werden<br />

wir uns konzentrieren. Wir werden Lyrik<br />

sehr großzügig führen, dem Fachbuch<br />

einen besonderen Stellenwert einräumen<br />

und der Spezialist in Sachen Bücher werden.<br />

Das Buch steht wieder im Mittelpunkt.<br />

Es werden literarische Events stattfinden<br />

und die Fachbuchabteilung wird wieder<br />

verstärkt ausgebaut. Gerade hier wollen<br />

wir die Themenführerschaft übernehmen.<br />

9<br />

Welches Zielpublikum wollen<br />

Sie erreichen?<br />

Die Tiroler sind vielseitige, treue und<br />

fleißige Leserinnen und Leser. Der Innsbrucker<br />

Markt gibt noch viel Potential<br />

her. Die Wagner’sche ist in den Köpfen<br />

der Menschen stark verankert. Viele sind<br />

mit dieser Buchhandlung groß geworden.<br />

Was wird neu?<br />

Es wird ein Gastronomiekonzept in der<br />

Buchhandlung geben. Mit Nina Rettenbacher<br />

haben wir eine junge, engagierte Gastronomin<br />

im Haus, die für ihre frische und<br />

biologische Küche bereits bekannt ist. Das<br />

kleine Restaurant heißt dem Gründungsjahr<br />

der Buchhandlung entsprechend „1639 –<br />

Die Meierei in der Wagner’schen“. Ein Bistro<br />

samt Dachterrasse mit rund 50 Sitzplätzen.<br />

Unser Lesepublikum kann ein leckeres<br />

Frühstück oder Mittagessen genießen und<br />

dabei in unserem Buchangebot stöbern.<br />

Welchen Stellenwert wird das<br />

Thema Kulinarik bekommen?<br />

Einen sehr großen. Unser Ziel ist es,<br />

die größte Kochbuchabteilung zwischen<br />

München und Wien zu haben. Aber auch interaktiv<br />

wird was geboten. Unter dem Motto<br />

„Das lebendige Kochbuch“ wollen wir<br />

Kulinarik und Literatur vereinen. Die Vision<br />

ist, dass wir aus Kochbüchern Rezepte heraussuchen<br />

und unseren Gästen servieren.<br />

Kann eine Buchhandlung ohne<br />

Zusatzartikel auskommen?<br />

Ja, definitiv. Der Buchhandel hat hier<br />

einen Riesenfehler begangen. Weil man die<br />

Buchhandlungen mit Zusatzartikeln gefüllt<br />

hat, für die das Haus nicht steht. Man kann<br />

kein Experte für Sachbücher und Skateboards<br />

in einem sein. Natürlich muss man<br />

mit der Zeit gehen. Aber wir wollen dem<br />

Kunden einen anderen Zusatznutzen geben,<br />

als Sandkübel oder Badematten. Wir glauben<br />

ans Buch und besinnen uns auf unsere<br />

Kernkompetenz.<br />

Wie kann eine Buchhandlung in<br />

Zeiten von Internet überleben?<br />

Viele Kunden wollen hybrid einkaufen.<br />

Im Laden und im Internet. Deshalb gibt es<br />

einen Wagner’schen Internetshop, der<br />

Amazon die Stirn bieten kann. Wir haben<br />

nachweislich ein größeres Sortiment, kürzere<br />

Lieferzeiten und sind billiger als der Online-<br />

Riese. Für Tiroler gibt es eigentlich keinen<br />

Grund mehr, bei Amazon einzukaufen.<br />

Der Buchhandel war auch in Tirol<br />

in den vergangenen Jahren einem<br />

starken Umbruch ausgesetzt.<br />

Der Online-Handel verschärfte<br />

den Druck. Welche Maßnahmen<br />

setzen Sie dem entgegen?<br />

Die persönliche Beratung zählt natürlich<br />

zu unseren Stärken. Bei uns läuft kein<br />

Algorithmus im Hintergrund, der berechnet,<br />

welches Buch dem Kunden gefallen könnte.<br />

Unsere Mitarbeiter sind absolute Profis.<br />

Bücher kosten überall gleich viel. Deshalb<br />

muss man sich durch vermehrte Serviceleistung<br />

abheben. Neben der emotionalen<br />

und persönlichen Ansprache durch unsere<br />

Experten im Haus ist unser Sortiment<br />

entscheidend. Solange man eine gute<br />

Auswahl hat, treibt man den Kunden nicht<br />

ins Internet. Wir haben gut 60.000 Artikel<br />

auf Lager, haben also einiges anzubieten.<br />

Schön wäre, wenn die Leute sagen: „Geh<br />

zur Wagner’schen, die haben das bestimmt.“<br />

Wenn uns das gelingt, dann haben wir<br />

gewonnen!<br />

Welche Aktionen und<br />

Events sind geplant?<br />

In punkto Literatur ist viel geplant. Wir<br />

versuchen namhafte Literaten ins Haus zu<br />

holen. Wir wollen als Plattform dienen und<br />

Leute bewegen. Literaturzirkel sind geplant.<br />

Menschen sollen sich bei uns austauschen<br />

können. Literatur soll Kulinarik treffen.<br />

Wo sehen Sie die Wagner’sche<br />

Buchhandlung in Zukunft?<br />

Ich sehe sie als das Buchhaus in Innsbruck.<br />

Wir sind keine Kette, wir sind eine Buchhandlung,<br />

die privat geführt wird. Wir<br />

wollen ganz nahe am Kunden sein, denn das<br />

Persönliche ist mir wichtig. Das, was die<br />

Wagner’sche einst groß gemacht hat, soll in<br />

Zukunft weitergeführt werden. Darauf freue<br />

ich mich.<br />

Markus Renk, geb. 1969, vom Lehrling bis zum<br />

Vorstand bei Tyrolia, Fachgruppenobmann der Buch-<br />

& Medienwirtschaft Tirol, Wirtschaftskammer Tirol,<br />

Vorstand des Hauptverbandes des österreichischen<br />

Buchhandels. Seit 1. Oktober 2015 alleiniger operativer<br />

Geschäftsführer der Wagner’schen in Innsbruck.


Bücher sind meine Welt<br />

Haymon-Verleger Markus Hatzer<br />

über die Beweggründe seines Engagements.<br />

Ein Gespräch mit Gerlinde Tamerl.<br />

© Thomas Schrott<br />

Lesen ist wie<br />

Reisen ohne<br />

wegzufahren.<br />

Markus Hatzer<br />

10 Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Warum beteiligen Sie sich an<br />

der Wagner’schen Buchhandlung?<br />

Viele Menschen haben neuerdings diese<br />

nostalgische Sehnsucht nach individuell<br />

gestalteten Buchhandlungen. Ich beobachte<br />

diesen Trend schon seit einiger Zeit<br />

und die Herausforderung begeistert mich,<br />

gemeinsam mit Markus Renk die Idee zu<br />

verwirklichen, aus der Wagner’schen eine<br />

unab hängige Qualitätsbuchhandlung zu<br />

machen. Das Verweilen und Abtauchen in<br />

die Welt der Bücher erzeugen eine außergewöhnliche<br />

Intensität, die mich schon<br />

seit jeher fasziniert. Diesem Gefühl kann<br />

kein Online-Shop gerecht werden. Den<br />

Menschen ist es offensichtlich auch wieder<br />

wichtiger geworden, nachhaltig zu denken.<br />

Sie möchten sinnvoll einkaufen und dabei<br />

wissen, wohin ihr Geld fließt. Wir schaffen<br />

attraktive Arbeitsplätze, investieren in die<br />

Lehrlingsausbildung und leisten darüber<br />

hinaus einen wichtigen kulturellen Beitrag<br />

für die Stadt Innsbruck. Die Wagner’sche<br />

ist die älteste Buchhandlung Tirols, der wir<br />

mit dem Motto „Alt aber neu“ eine Verjüngungskur<br />

verschrieben haben, ohne dabei<br />

ihre Traditionen aus den Augen zu verlieren.<br />

Die Wagner’sche Buchhandlung gehört<br />

zu dieser Stadt, zu den Menschen, die hier<br />

leben, und zu jenen, die sie besuchen.<br />

Sind Sie mehr Buchhändler<br />

oder mehr Verleger?<br />

Ich bin immer Buchhändler und Verleger<br />

zugleich. Mir ist der Erfahrungsaustausch<br />

mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern<br />

sehr wichtig, sie sind es, die unseren Büchern<br />

ein Gesicht verleihen und den persönlichen<br />

Kontakt mit unserem Lese publikum<br />

pflegen. Inhabergeführte Geschäfte haben<br />

den Vorteil, dass sie individueller auf die<br />

Wünsche von Kundinnen und Kunden<br />

eingehen können, dabei gleichzeitig ein<br />

umfangreiches Sortiment anbieten.<br />

11<br />

Wie lange wird es Bücher noch<br />

geben? Lesen Sie E-Books?<br />

Als Verleger biete ich E-Books an und als<br />

Privatperson lese ich sie vor allem dann,<br />

wenn ich reise. Man kann technischen<br />

Errungenschaften – und dazu gehören<br />

selbstverständlich auch E-Books – nicht<br />

den Rücken kehren. Wenn ich jedoch mit<br />

Genuss lesen möchte, dann geht für mich<br />

nichts über ein gedrucktes Buch. Es ist<br />

immer verfügbar, preiswert und ich finde<br />

die natürliche Interaktion zwischen Mensch<br />

und Buch einfach wunderbar. Das Buch<br />

an sich ist eine großartige Erfindung, man<br />

kann sich darin meditativ vertiefen, es anfassen,<br />

vor- und zurückblättern. Ich glaube<br />

nicht, dass es aussterben wird – zumindest<br />

nicht in den nächsten Jahrzehnten. Viele<br />

Bücher sind sehr ansprechend gestaltet,<br />

und wir Menschen lieben es, schöne Dinge<br />

zu sammeln.<br />

Wird es Buchhandlungen<br />

noch lange geben?<br />

Online-Shops sind praktisch, aber Buchhandlungen<br />

sind romantische Orte. Man<br />

kann sich in ihnen verlieren oder im Gespräch<br />

mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern<br />

Leseerfahrungen austauschen.<br />

Das Kauf erlebnis ist in einer behaglichen<br />

Atmosphäre schöner. Abgesehen davon ist<br />

es interessant, in einer Buchhandlung zu<br />

schmökern, um am Ende mit einem völlig<br />

anderen Buch, als man eigentlich gesucht<br />

hat, nach Hause zu gehen. Lesen ist wie<br />

Reisen ohne wegzufahren, es entspannt,<br />

erweitert den Horizont und macht Spaß!<br />

Achten Sie auch einmal darauf, wie Menschen<br />

Bücher in den Händen halten. Ich<br />

garantiere Ihnen, dass diese Beobachtung<br />

aufschlussreich sein wird!<br />

Was bedeutet Lesen für<br />

Sie persönlich?<br />

„Ein Wort in der Nacht ist wie ein Lichtstrahl“,<br />

das schreibt der italienische Schriftsteller<br />

Italo Svevo in seinem Jahrhundertroman<br />

„Zenos Gewissen“. Wir alle kennen<br />

diese Nächte, die uns nicht schlafen lassen,<br />

da kann Lesen trostspendend sein. Man<br />

sollte sich deshalb vorbeugend immer genug<br />

Lesestoff in unserer Buchhandlung besorgen,<br />

das hebt die Stimmung! Der Schweizer<br />

Schriftsteller Klaus Merz schrieb in einem<br />

Vers: „Es gibt Sätze, die heilen, und Tage<br />

leichter als Luft.“ Ich wünsche mir,<br />

dass all jene, die der Wagner’schen Buchhandlung<br />

einen Besuch abstatten, so<br />

empfinden.<br />

Markus Hatzer ist gelernter Buchhändler<br />

und seit 1988 Verleger (Studienverlag und<br />

Haymon Verlag).<br />

Buchtipp:<br />

Klaus Merz:<br />

Aus dem Staub. Gedichte<br />

Haymon Verlag, 84 S., € 16,90<br />

„buch-handlungen:<br />

schatz-inseln<br />

aus echt-silber<br />

und gold-imitat.“<br />

Barbara Hundegger<br />

Schriftstellerin, Hall in Tirol


© Thomas Schrott<br />

Alt<br />

aber<br />

Neueröffnung.<br />

12<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Feiern Sie mit uns<br />

die Eröffnung der<br />

neuen Wagner’schen<br />

Buchhandlung:<br />

Am 22./23./24. Oktober<br />

erwartet Sie ein<br />

literarisch-musikalischkulinarisches<br />

Fest mit<br />

vielen Überraschungen.<br />

Donnerstag, 22. Oktober<br />

16:00 – 18:00 Uhr<br />

Kinderprogramm<br />

Zeichnungen und Gedichte werden zum<br />

Buch! – Workshop für 10- bis 15-Jährige<br />

mit Monika Knoflach und José F.A. Oliver.<br />

19:30 Uhr<br />

Eröffnungslesung<br />

und Buchpräsentation<br />

Michael Köhlmeier:<br />

Das Lied von den Riesen<br />

Im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten<br />

der „neuen/alten“ Buchhandlung präsentiert<br />

Michael Köhlmeier sein neuestes Buch in<br />

der Wagner’schen. Leichtfüßig und brillant<br />

erweckt er darin die Welt der Riesen zum<br />

Leben. Eine kurzweilige Reise, die jedes<br />

Herz erwärmt.<br />

Freitag, 23. Oktober<br />

19:00 Uhr<br />

Offizielle Eröffnung<br />

Die offizielle Eröffnungsfeier der neuen<br />

Wagner’schen mit einem abwechslungsreichen<br />

Programm und literarischen Interventionen.<br />

13<br />

Samstag, 24. Oktober<br />

19:30 Uhr<br />

Buchpräsentation<br />

Christoph W. Bauer:<br />

stromern<br />

Christoph W. Bauer, aktueller Preisträger<br />

des Tiroler Landespreises für Kunst, präsentiert<br />

seinen neuen Gedichtband. Mal rau,<br />

mal sanft, immer aber augenzwinkernd und<br />

schelmisch, schreibt er mit poetischer Kraft<br />

von Leben, Liebe und Sehnsucht.<br />

Buchtipps:<br />

Erfolgskurs Englisch<br />

Hueber Verlag, € 20,60<br />

Bildwörterbuch Deutsch<br />

Hueber Verlag, € 16,50<br />

Sprachentag:<br />

v. a. für Lehrer und Pädagogen<br />

Fr., 13.11.2015, 11–17 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

„Man muss nicht<br />

pathetisch werden,<br />

um zu erklären,<br />

warum der Neustart<br />

der Wagner’schen<br />

Buchhandlung<br />

zu begrüßen ist. Nur<br />

in einer aufgeklärten<br />

Gesellschaft gibt es<br />

Buchkultur. Nur in<br />

einer Buchhandlung<br />

gibt es Bücher.<br />

Nur in einer guten<br />

Buchhandlung gibt<br />

es gute Bücher. Nur<br />

gute Bücher erinnern<br />

die abgeklärte<br />

Gesellschaft an die<br />

Aufklärung. Nur gute<br />

Buchhandlungen<br />

verkaufen die Bücher<br />

von guten Autoren.<br />

Von irgendetwas<br />

müssen auch die<br />

guten Autoren leben!“<br />

Robert Menasse<br />

Schriftsteller, Wien<br />

„Gewiss bin ich nicht<br />

der Richtige, um zum<br />

Thema Mut etwas<br />

Kluges zu sagen. Ein<br />

Leben lang habe ich<br />

bei großen Entscheidungen<br />

immer wieder<br />

gehadert, an den<br />

Folgen, die sie haben<br />

könnten, gezweifelt.<br />

Dennoch würde ich<br />

sagen, dass Leidenschaft<br />

ohne Mut<br />

nirgendwo hinführt<br />

und dass Mut, neben<br />

der Liebe und dem<br />

Humor, die wichtigste<br />

Tugend ist.“<br />

Philipp Keel<br />

diogenes verlag


1639. Die Meierei<br />

Nina Rettenbacher, bestens bekannt aus dem „crumble“<br />

am Wiltener Platzl, kocht im ersten Stock der Wagner’schen.<br />

Ein neuer kulinarischer Leckerbissen in der Mitte der Stadt.<br />

Ein Gespräch mit Robert Renk.<br />

Ich bin<br />

sozusagen<br />

ein begehbares<br />

Kochbuch.<br />

Nina Rettenbacher<br />

Wir betreten die Buchhandlung und folgen<br />

den Treppen in den ersten Stock. Eine<br />

gut sortierte Fachbuch abteilung rund ums<br />

Kochen veranlasst uns zum Schmökern –<br />

mit einigen ausgesuchten Büchern betreten<br />

wir das „1639“.<br />

Am Fenster ist Platz für den Bücherturm,<br />

dazu gesellen sich alsbald eine große<br />

Tasse Kaffee und ein köstlicher Imbiss.<br />

Am großen Tisch, der das Zentrum des<br />

Raumes bildet, beobachten wir ein entspanntes<br />

Kommen und Gehen verschiedenster<br />

Menschen, die sich bei gutem Essen<br />

kurz aus ihrem Alltag ausklinken wollen.<br />

Zum „1639“ gehört auch der einzigartige<br />

Dachgarten mit einer urbanen Kleinstlandwirtschaft.<br />

Hier wachsen – natürlich biologisch<br />

– schon fast vergessene Nutzpflanzen,<br />

Salate, Beeren und Kräuter. Mitten drinnen<br />

stehen gedeckte Tische und gemüt liche<br />

Liegestühle ... und: Nina Rettenbacher.<br />

Seit 2008 lebt die gebürtige Wienerin in<br />

Innsbruck und hat ab 2010 im „crumble“<br />

den Brunch nach Innsbruck gebracht und<br />

das Wiltener Platzl gastronomisch geprägt.<br />

Seit Mitte Oktober kocht sie in ihrer „Meierei“<br />

im ersten Stock der Wagner’schen.<br />

Du bist vom Wiltener Platzl in die<br />

Innenstadt übersiedelt, 1997 war<br />

der Weg von Wien, wo du geboren<br />

bist, wohl etwas weiter.<br />

Ja, vor 23 bin ich in Lermoos gelandet und<br />

war dort plötzlich mit einem Tourismusbetrieb<br />

konfrontiert. Aber auch in Wien war<br />

ich früh in der Gastronomie, servierte mit<br />

12 schon die ersten Kaffees, war mit meiner<br />

Mutter auf Reisen, wenn sie Lebensmittel<br />

in Südafrika oder der Türkei kaufte. Meine<br />

Mutter hat beruflich Lebensmittel aus der<br />

ganzen Welt nach Österreich importiert.<br />

Das klingt aufregend.<br />

Nein, gar nicht so. Das war nicht meine Welt,<br />

meine Welt war die Küche meiner Tante in<br />

der Steiermark. Meine Mutter hat immer<br />

gesagt: Ich koche schön, die Tante kocht gut.<br />

Und du kochst schön und gut?<br />

Ich koche anders. Aber ich komme aus einer<br />

Familie, in der die Qualität von Lebensmitteln<br />

immer einen hohen Stellenwert hatte.<br />

In Lermoos hast du alle Stationen<br />

des Hotelgewerbes durchgemacht?<br />

Ja, ich habe geputzt, serviert, gekocht,<br />

auf Gästekinder aufgepasst, war an<br />

der Rezeption und habe in Spitzenzeiten<br />

mit bis zu 30 Mitarbeitern gearbeitet.<br />

Wir haben damals gegen viele Regeln der<br />

traditionellen Tourismusbranche verstoßen,<br />

aber wir waren überzeugt, konsequent –<br />

und es hat sich gelohnt!<br />

Und als du 2008 schließlich<br />

nach Innsbruck kamst,<br />

was hast du dir dann überlegt?<br />

Mein Ziel war, einen Ort zu schaffen,<br />

wo du gut frühstücken kannst. Das war für<br />

unsere Familie die wichtigste Mahlzeit.<br />

So etwas hat es in Innsbruck nicht gegeben,<br />

das hab ich schnell gemerkt. Es gab immer<br />

nur Semmerl mit Darbomarmelade im<br />

Glaserl und Honig aus der Plastikdose. Und<br />

der ganze Müll auf dem Tisch nach dem<br />

Frühstück hat mich am meisten aufgeregt.<br />

Ja, das stimmt, dieser ewige<br />

Plastikmüll am Esstisch, das gab<br />

es im „crumble“ tatsächlich nicht.<br />

Genau. Aber mir war auch wichtig, einen<br />

Ort zu schaffen, wo auch Frauen allein oder<br />

mit Kindern sich zuhause fühlen.<br />

Und das ist dir für das<br />

„1639“ auch wichtig?<br />

Natürlich. Aber es soll mehr sein.<br />

Wie mehr? Was soll die „Meierei<br />

in der Wagner’schen“ sein?<br />

Ein Platz zum gut Essen und zum zu Gast<br />

Sein, zum Schmökern, oder einfach ein<br />

Freiraum für kulinarische Zeitgeister, immer<br />

begleitet von einem großen Bewusstsein für<br />

unsere Natur und dem Anspruch an höchste<br />

Qualität.<br />

ihn, möchte ich erzählen können, was<br />

ich koche und woher die Sachen kommen.<br />

Die Terrasse allerdings ist ganzjährig<br />

benutzbar, dort wächst alles Gemüse, das<br />

man für die Küche braucht, von Zucchini<br />

über Feigen bis zum Safran.<br />

Wie es ursprünglich bei<br />

einer Meierei sein soll – oder?<br />

Genau.<br />

Und das Essen …<br />

… wird die Hauptrolle spielen: Der Gast<br />

kann kommen, kosten, schauen.<br />

Auch in die Küche?<br />

Ja klar, du kommst mit einem Kochbuch<br />

und fragst: Kennst du das? Hast du das<br />

schon mal probiert? Das ist mir früher bei<br />

Stammgästen oft passiert. Ich möchte mir<br />

den Spielraum geben, das zu probieren –<br />

wenn es die Zeit erlaubt. Meine Gäste<br />

können in die Küche und gern in die Töpfe<br />

schauen und wir können gemeinsam auch<br />

das eine oder andere Rezept eigenwillig und<br />

kreativ starten, mit den Zutaten, die hier<br />

lagern oder wachsen. Ich bin sozusagen ein<br />

begehbares Kochbuch!<br />

Öffnungszeiten<br />

Montag bis Freitag: 9 – 17 Uhr<br />

Samstag: 9 – 14 Uhr<br />

Sonn- & Feiertage geschlossen<br />

An den 4 Adventsamstagen<br />

jeweils bis 17 Uhr geöffnet<br />

© Thomas Schrott<br />

14<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

15<br />

Du bist räumlich nicht größer<br />

geworden. Wieso?<br />

Ich möchte meinen Gästen gerne erklären,<br />

was sie essen, woher das Essen kommt.<br />

Ich möchte jedem erzählen können, was<br />

ich mache. Vorausgesetzt, es interessiert<br />

Ninas Buchtipp:<br />

Margareta Schildt-Landgren:<br />

Die neue nordische Küche<br />

AT-Verlag, 238 Seiten, € 25,60


Kalender waren<br />

schon immer<br />

ein wichtiger<br />

Bestandteil des<br />

Sortiments in der<br />

Wagner’schen.<br />

Seit Jahrzehnten<br />

finden Kalenderliebhaber<br />

eine<br />

große Auswahl an<br />

verschiedensten<br />

Bildkalendern,<br />

aber schon Eckart<br />

Schumacher setzte<br />

in der schwierigen<br />

Zeit nach dem<br />

Ersten Weltkrieg<br />

auf Reiseführer<br />

und Kalender<br />

und konnte das<br />

Unternehmen<br />

damit wieder auf<br />

solide wirtschaftliche<br />

Beine stellen.<br />

Mit zwei Eigenproduktionen<br />

möchten wir<br />

diese Tradition<br />

wieder aufleben<br />

lassen:<br />

Kalender<br />

Bernhard Aichner<br />

13 wunderschöne Aufnahmen des<br />

bekannten Tiroler Autors und Fotografen<br />

Bernhard Aichner schmücken diesen<br />

Innsbruck-Kalender. Dabei können selbst<br />

Einheimische neue Blick winkel<br />

de’<br />

unserer<br />

Medici in Händen, in<br />

Stadt entdecken.<br />

Monatskalender, € 14,90<br />

Exklusiv erhältlich in der<br />

LitArena, Franz Reichel<br />

Wagner’schen Buchhandlung!<br />

Kalender<br />

Lukas Morscher<br />

Ein unterhaltsamer Streifzug<br />

durch die Geschichte des<br />

Buches und Büchermachens,<br />

zugleich die Geschichte der<br />

Wagner’schen Buchhandlung<br />

und Hofdruckerei: In seiner<br />

leichtfüßigen Erzählung schickt<br />

Christoph W. Bauer den Buchdruckergesellen<br />

Michael Wagner<br />

selbst auf die Reise. Inmitten<br />

der Wirren des Dreißigjährigen<br />

Krieges lässt dieser sich in<br />

Innsbruck nieder. Wenig später<br />

hält Wagner einen Brief der<br />

Tiroler Landesfürstin Claudia<br />

dem sie ihn zum Hofdrucker<br />

ernennt. Eine mitreißende Tour<br />

d’Horizon durch fast 400 Jahre<br />

Geschichte nimmt ihren Lauf.<br />

„Ein großes Lesevergnügen.“<br />

Aus dem reichen Fundus des Innsbrucker<br />

Stadtarchivs hat DDr. Lukas Morscher<br />

27 ganz besondere Aufnahmen ausgewählt.<br />

Begleitet werden sie mit humorvollen,<br />

spannenden und interessanten Texten.<br />

14-tägiges Kalendarium, € 19,90<br />

Exklusiv erhältlich in der<br />

Wagner’schen Buchhandlung!<br />

Christoph W. Bauer,<br />

geboren 1968 in Kärnten,<br />

aufgewachsen in Tirol. Verfasst<br />

Lyrik, Prosa, Essays,<br />

Hörspiele und Übersetzungen.<br />

Zahlreiche Veröffentlichungen,<br />

mehrere Auszeichnungen,<br />

u.a. Reinhard-Priessnitz-Preis<br />

(2001), Publikumspreis beim<br />

Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb<br />

(2002), zuletzt Outstanding<br />

Artist Award und Tiroler<br />

Landespreis für Kunst (beide<br />

2015). Bei Haymon erschienen<br />

u.a. „Im Alphabet der Häuser.<br />

Roman einer Stadt“ (2007,<br />

HAYMONtb 2012), die Erzählungen<br />

„In einer Bar unter dem<br />

Meer“ (2013) und der Gedichtband<br />

„stromern“ (2015).<br />

www.cewebe.com<br />

Das vollständige<br />

Verlagsprogramm und<br />

viele weitere Informationen<br />

finden Sie auf:<br />

www.haymonverlag.at<br />

€ 7.95<br />

ISBN 978-3-7099-7842-9<br />

Christoph W. Bauer Der Buchdrucker der Medici<br />

HAYMON tb 98<br />

Christoph<br />

W. Bauer<br />

Der<br />

Buchdrucker<br />

der<br />

Erzählung<br />

Medici<br />

HAYMON tb<br />

7842_HAYtb_titel_bauer_der-buchdrucker-der-medici_3.0.indd Alle Seiten 25.08.15 16:49<br />

antiquarische<br />

Bücher<br />

Christoph W. Bauer<br />

Der Buchdrucker der Medici<br />

Wohl kein anderes Buch beschreibt so lebendig die Geschichte der<br />

1639 gegründeten Wagner’schen. Folgen Sie dem Hofbuchdrucker auf<br />

seiner mitreißenden Tour d’Horizon durch fast 400 Jahre Geschichte:<br />

Tauchen Sie ein in das Getümmel des barocken Innsbruck, erleben Sie<br />

die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, den Ausbruch der Pest, den<br />

Tiroler Volksaufstand 1809 und die unrühmlichen Irrwege des Ersten und<br />

Zweiten Weltkrieges aus der Sicht des Buchdruckers, der über seinem<br />

Geschäft und seinen Nachfahren wacht – und so manches Mal ungläubig<br />

den Kopf schüttelt, die Augen verschließt oder sich ärgert.<br />

Speziell zur Neueröffnung :<br />

16<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

17<br />

Alt aber neu. Ganz nach diesem Motto gibt es in der<br />

Wagner’schen rund 60.000 lieferbare Bücher und<br />

Neuerscheinungen, aber auch, anlässlich der Eröffnungstage,<br />

1639 antiquarische und nicht mehr erhältliche Bücher.<br />

Speziell für unsere Kunden haben wir uns auf die Suche<br />

gemacht und alte Ausgaben des Universitätsverlags Wagner<br />

besorgt. Somit haben Sie Gelegenheit, Raritäten,<br />

Schnäppchen, wertvolle Tirolensien, Schlernschriften oder<br />

Ähnliches zu erwerben. Solange der Vorrat reicht!<br />

Sie wollten immer schon einmal ein signiertes Buch<br />

von Umberto Eco, Martin Suter, Walter Moers oder Stefanie<br />

Meyer besitzen? Dann haben Sie jetzt die Gelegenheit!<br />

Anlässlich unserer Eröffnungsfeier haben wir die wichtigsten<br />

Bestsellerverlage angesprochen und signierte Bücher besorgt.<br />

Somit hat man erstmals in Innsbruck die Möglichkeit, aus<br />

375 Bestsellern sein Lieblingswerk signiert herauszusuchen.<br />

Für jedes Jahr Wagner’sche ein signiertes Buch! Aktion läuft<br />

vom 22. bis 24. Oktober bzw. solange der Vorrat reicht!<br />

handsignierte<br />

Bücher


Christoph W. Bauer, geboren<br />

1968 in Kärnten, aufgewachsen in<br />

Tirol. Verfasst Lyrik, Prosa, Essays,<br />

Hörspiele und Übersetzungen.<br />

Zahlreiche Veröffentlichungen,<br />

mehrere Auszeichnungen, u.a.<br />

Reinhard-Priessnitz-Preis (2001),<br />

Publikumspreis beim Ingeborg-<br />

Bachmann-Wettbewerb (2002),<br />

Preis des Kärntner Schriftstellerverbands<br />

(2010), Kärntner Lyrikpreis<br />

(2014) sowie zuletzt Outstanding<br />

Artist Award und Tiroler<br />

Landespreis für Kunst (beide 2015).<br />

Bei Haymon erschienen u.a. der<br />

Gedichtband „mein lieben mein<br />

hassen mein mittendrin du“ (2011),<br />

die Erzählungen „In einer Bar<br />

unter dem Meer“ (2013) sowie der<br />

Gedichtzyklus „orange sind die<br />

äpfel blau“ (2015).<br />

www.cewebe.com<br />

Der Vagabund unter den Lyrikern: Mal rau, mal sanft,<br />

immer aber augenzwinkernd und schelmisch –<br />

Christoph W. Bauer schreibt mit durchschlagender<br />

poetischer Kraft von Leben, Liebe und Sehnsucht<br />

ebenso wie von der Zumutung des Daseins.<br />

„fintenreicher Vermittler des Wortes, ein Compositeur<br />

der Sprache, ein kundiger Verführer zur Literatur hin“<br />

ORF, Martin Sailer<br />

„Christoph W. Bauer hat sich in die erste Reihe der<br />

deutschsprachigen Lyrik geschrieben.“<br />

Literatur und Kritik, Cornelius Hell<br />

Das vollständige<br />

Verlagsprogramm und<br />

viele weitere Informationen<br />

finden Sie auf:<br />

www.haymonverlag.at<br />

ISBN 978-3-7099-7022-5<br />

HAYMON<br />

Christoph W. Bauer<br />

„sag an villon komm sprich mit<br />

mir“ – nicht von ungefähr steht<br />

François Villon den vier Gedichtzyklen<br />

von Christoph W. Bauer Pate.<br />

Motor von Bauers Versen sind das<br />

Unterwegssein, das Vagabundieren,<br />

die Angst vor dem Stillstand. So<br />

treibt das lyrische Ich durch Kindheitslandschaften<br />

bis in die Stadt<br />

der Dichter, nach Paris. Streunt<br />

lustvoll durch die Geschichte der<br />

Poesie, gibt Wegbegleitern wie<br />

Rimbaud, Trakl und Heine eine<br />

zeitgenössische Sprache.<br />

Mal rau, mal sanft, dann wieder lakonisch<br />

oder laut zeigt Christoph W.<br />

Bauer sich in seinen Gedichten, immer<br />

aber augenzwinkernd. „ein schelm<br />

bist du und ich dein kind“ – zum<br />

Vaganten geworden wendet er<br />

sich an Till Eulenspiegel und hält<br />

unserer Zeit schonungslos den<br />

Spiegel vor. Ungezwungen wechselt<br />

Bauer die Stimmungen und Tonlagen<br />

und erzählt mit durchschlagender<br />

poetischer Kraft von Leben,<br />

Liebe und Sehnsucht ebenso wie<br />

von der Zumutung des Daseins.<br />

7022_hay_schutzus_bauer_stromern_quantum_7.0.indd Alle Seiten 07.07.15 11:02<br />

© 2quadr.at<br />

ich mag nicht<br />

über kastanien<br />

dichten. *<br />

18<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

In deinem vor Kurzem erschienenen<br />

Gedichtband „stromern“<br />

verwendest du eine sehr direkte<br />

Sprache, die formale Struktur<br />

deiner Gedichte erscheint verstärkt.<br />

Was war deine Intention?<br />

In diesem Gedichtband ging es mir vor<br />

allem darum, Worte zu verwenden, die ich<br />

noch nicht verwendet habe. Das ist der Reiz<br />

für mich beim Schreiben: Wie weit kann<br />

ich gehen? – Die Gegenwart, die mediale<br />

Gegenwart und Wirklichkeit sind so stark,<br />

dass ich mich frage: Wie kann ich heute<br />

noch schreiben? Und, vor allem: wie kann<br />

ich heute noch ein Gedicht schreiben? Dann<br />

geht es natürlich auch darum: Was verleidet<br />

mir das Gedichtschreiben? Diese falsche,<br />

vermeintliche Moral, die ich in meinen<br />

Gedichten immer wieder anprangere, wollte<br />

ich in sehr direkte Worte fassen und diesen<br />

eine Songstruktur geben. Ich habe noch nie<br />

so viele alte Formen wie Sonett oder Terzine<br />

verwendet wie in diesem Gedichtband.<br />

Diese Herangehensweise war für mich eine<br />

Möglichkeit, erneut Gedichte zu schreiben.<br />

Indem ich auf die Zeit hinweise, aber keine<br />

Auswege suche, keine schönen Bilder und<br />

mich direkt den Fragen der Gegenwart<br />

stelle. Ich sehe die Gedichte als Reaktion<br />

auf die Zeit, in der wir heute leben, und als<br />

Möglichkeit, den aufgeladenen Bildern, die<br />

gerade in der derzeitigen Flüchtlingskrise<br />

produziert werden, entgegenzuarbeiten.<br />

Christoph<br />

W. Bauer<br />

Der moderne<br />

Vagant zwischen<br />

Lyrik und Prosa<br />

im Gespräch mit<br />

Anna Rottensteiner<br />

und Gabriele Wild.<br />

* Zitiert aus: stromern.<br />

Haymon Verlag 2015, S. 129<br />

19<br />

In vielen deiner Texte kommt<br />

das Element Wasser vor. Was<br />

fasziniert dich an diesem Element?<br />

Das Wasser als Element durchzieht alle<br />

meine Arbeiten, ist als „Fließprinzip“ immer<br />

vorhanden, vor allem in meinen Gedichten.<br />

Die Bewegung des Wassers, diese Fortbewegung<br />

ist als dynamischer Prozess immer<br />

in meinem Schreiben vorhanden. Es ist das<br />

Vorandrängen, das ich versuche, in meine<br />

Gedichte zu bringen. Selbst, wenn ich das<br />

Gedicht in eine starre Form gieße, ist das<br />

zwar wie ein Fluss, der in einem Flussbett<br />

fließt und dadurch einen bestimmten Lauf<br />

nimmt, aber trotzdem vorandrängt. Genau<br />

dieses treibende Element ist für mich ein<br />

wichtiges literarisches Prinzip. Das Fließen<br />

an sich ist für mich das permanente Jetzt.<br />

Die vielen Metaphern im Zusammenhang<br />

mit Wasser, vor allem mit dem Meer, stellen<br />

sich für mich in der Gegenwart auch als<br />

problematisch dar. Wer würde heute bei der<br />

Insel Lesbos noch an Sappho denken? Oder<br />

bei Lampedusa noch an den großartigen<br />

Schriftsteller Giuseppe Tommasi di Lampedusa<br />

und seinen Roman „Der Leopard“ ?<br />

Auch das Gestein, das Gemäuer<br />

spielt in deinen Arbeiten eine<br />

wichtige Rolle. In deinen<br />

Prosawerken wie „Im Alphabet<br />

der Häuser“ oder „Graubart<br />

Boulevard“ trägst du als Chronist<br />

und Erzähler Gesteinsschichten<br />

ab, beschäftigst dich mit der<br />

Geschichte der Stadt, in der du<br />

lebst. Worin liegt für dich die<br />

<strong>No</strong>twendigkeit oder der Wunsch<br />

für diese Auseinandersetzung<br />

begründet?<br />

Ich glaube, dass auch die angesprochenen<br />

Bücher sehr viel mit Bewegung zu tun<br />

haben. Da werden Zeiträume durchwandert,<br />

auch „stromernd“. Immer wieder geht<br />

es dabei um sehr zeitgemäße Themen, um<br />

Migration, um Ausgrenzung, um Flüchtlinge,<br />

um große Bewegungen. Mich hat<br />

interessiert, dieser Vergangenheit nicht blind<br />

oder in Stereotypen zu begegnen. Ich habe<br />

versucht, eine Stadt, in der ich oft bin, in<br />

der ich lebe, lebendig zu machen, und ich<br />

glaube ja auch an diesen oft zitierten Satz,<br />

dass man die Gegenwart ohne die Vergangenheit<br />

nicht begreifen kann.<br />

In „Der Buchdrucker der Medici“<br />

setzt du Michael Wagner ein<br />

schriftstellerisches Denkmal.<br />

Dich verbindet aber auch eine<br />

persönliche Geschichte mit dem<br />

Haus in der Museumstraße<br />

Nummer 4. Was kommt dir in den<br />

Sinn, wenn du heute vor diesen<br />

traditionellen Gemäuern stehst?<br />

Mit dem Haus in der Museumstraße 4<br />

bin ich wirklich seit vielen Jahren in enger<br />

Verbindung. Die „Wagner’sche“ Buchhandlung<br />

war einfach eine Adresse, ein klingender<br />

Name. Ich habe in dieser Buchhandlung<br />

gelesen, habe die Zeitschrift „Wagnis“<br />

betreut, habe Lesungen veranstalten dürfen,<br />

so durfte ich z.B. Inger Christensen in die<br />

„Wagner’sche“ einladen. Das alles verbindet<br />

mich mit dieser Buchhandlung. Die andere<br />

Sache ist, dass ich fasziniert bin vom Buch,<br />

vom Buchdruck und von der Dynamik<br />

und Entwicklung des Buchmarktes. Diese<br />

kleine Geschichte von Michael Wagner, der<br />

als literarische Figur durch die Zeiträume<br />

spaziert, ich zwinge ihn ja als Erzähler dazu,<br />

sich diese Entwicklung des Hauses und<br />

des Büchermachens mit mir anzuschauen.<br />

Es war interessant, über die Freude am<br />

Büchermachen etwas zu schreiben. Insofern<br />

verbindet mich nicht nur dieses Buch mit<br />

der Buchhandlung, sondern vieles.<br />

HAYMON christoph w. bauer stromern<br />

christoph w. bauer<br />

stromern<br />

gedichte<br />

stromern<br />

Buchtipp:<br />

Christoph W. Bauer:<br />

stromern<br />

Haymon Verlag, 136 S., € 17,90<br />

Buchpräsentation:<br />

Mit Christoph W. Bauer<br />

Einführung: Dorothea Zanon<br />

Sa., 24. 10. 2015, 19:30 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

Universitäts buchhandlung


© Rita Newman<br />

Ich fühle mich<br />

nie verloren<br />

unter Büchern.<br />

Sie stehen<br />

mir bei.<br />

20<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Eine ganze Generation ist mit<br />

Michael Köhlmeiers Stimme im Ohr<br />

aufgewachsen, hat gebannt den<br />

abenteuerlichen Geschichten aus<br />

Mythen- und Sagenwelten gelauscht.<br />

Seine leidenschaftliche Freude am<br />

Erzählen spürt man in seinen berühmten<br />

Nacherzählungen klassischer Stoffe<br />

ebenso wie in seinen Romanen.<br />

Gerade ist sein „Lied von den Riesen“<br />

im Haymon Verlag erschienen, eine<br />

fantastische Geschichte, die mit der Sage<br />

der Frau Hitt ihren Anfang nimmt.<br />

In deinem neuen Buch schickst<br />

du den Sohn von Frau Hitt, einen<br />

kleinen Riesen, auf die Reise,<br />

seine Mutter aus der Versteinerung<br />

zu retten – hat sie<br />

die Strafe nicht verdient?<br />

Oh nein! Sie wurde in Stein verwandelt,<br />

weil sie gegen das Brot gesündigt hat.<br />

In meiner Geschichte weiß sie nicht, wozu<br />

Brot dient, und sie wischt damit den Hintern<br />

ihres Söhnchens. Eine zärtliche Mama.<br />

Was fasziniert dich an der Arbeit<br />

mit Mythen- und Sagenstoffen,<br />

oder auch mit der Bibel – sind<br />

es die Figuren und deren<br />

Geschichten, oder sind es die<br />

besonderen Erzähltraditionen?<br />

Der Philosoph Hans Blumenberg war der<br />

Meinung, Kultur sei Arbeit am Mythos.<br />

Es ist eine Herkulesarbeit, wir müssen die<br />

Bilder der Mythen in Begriffe umwandeln<br />

und aus dem Halbdämmer ins grelle Licht<br />

des Bewusstseins heben. Als poetisch<br />

denkender Mensch möchte ich hinzufügen:<br />

ohne dabei die Poesie dieser Bilder zu<br />

beschädigen oder gar auszulöschen. Das<br />

wiederum ist eine Sisyphosarbeit. Am Ende<br />

werden wir wissen, dass ohne Analyse und<br />

Abstraktion Denken nicht möglich ist, dass<br />

aber ohne die Bilder und die Geschichten<br />

das Denken ohne Wert ist, weil es uns nicht<br />

berührt und nicht betrifft.<br />

Hast du einen persönlichen Bezug<br />

zu Tirol bzw. zu Innsbruck,<br />

abgesehen von deiner Freundschaft<br />

mit unserer steinernen Frau Hitt?<br />

Michael<br />

Köhlmeier<br />

In seinem<br />

neuesten Buch<br />

widmet er sich<br />

fantastischen<br />

Figuren:<br />

den Riesen.<br />

Michael<br />

Köhlmeier im<br />

Gespräch mit<br />

Dorothea Zanon.<br />

21<br />

In Lans oberhalb von Innsbruck spielt ein<br />

erheblicher Teil meines Romans „Abendland“.<br />

Ich habe mir die Gegend erwandert.<br />

Außerdem hat Innsbruck ein Puff. Als<br />

Jugendlicher habe ich mich nicht getraut<br />

einzutreten, später hatte ich kein Interesse<br />

mehr. Ein bisschen von dem jugendlichen<br />

Kitzel hat Innsbruck für mich behalten,<br />

etwas Sündiges.<br />

Du bist ein großer Freund der<br />

Bücher, in einem umfassenden<br />

Sinn – deine Leidenschaft gilt<br />

ja nicht nur der Literatur selber,<br />

sondern auch ihrem Gewand.<br />

Was bedeutet das für deinen<br />

Bücherkasten?<br />

Bücherkasten? Was ist das für ein Wort?<br />

Gibt es dieses Wort? Ich kenne nur Bücherschrank.<br />

Wir würden viele Bücherschränke<br />

benötigen, um unsere Bibliothek unterzubringen.<br />

Monika, meine Frau, liebt Bücher<br />

nicht weniger als ich. Wir haben ein gut<br />

isoliertes Haus, jede Wand ist mit Lesestoff<br />

ausgepolstert. Wenn wir abstürzen, werden<br />

wir aufgefangen.<br />

In einer traditionsreichen Buchhandlung<br />

wie der Wagner’schen,<br />

in der du ja dein neuestes<br />

Werk „Das Lied von den Riesen“<br />

vorstellst – wie fühlst du dich<br />

an so einem Ort? Selig und verloren<br />

zugleich?<br />

Ich fühle mich nie verloren unter Büchern.<br />

Sie stehen mir bei. Und sie stehen mir zu.<br />

Manchen Büchern sehe ich an, dass sie auf<br />

mich warten. Die muss ich dann kaufen. Auch<br />

wenn ich nicht gleich dazu komme, sie zu<br />

lesen. In einem Buch stellt mir ein Mensch<br />

sein Bewusstsein zur Verfügung, seine<br />

Visionen, Bedrängungen, Lösungen, Fragen.<br />

Dein „Lied von den Riesen“<br />

geht ins Ohr wie ein gutes Stück<br />

Musik. Gemeinsam mit Reinhold<br />

Bilgeri bist du viele Jahre auch<br />

als Musiker aufgetreten – gibt es<br />

noch Gelegenheiten, dich mit der<br />

Gitarre auf der Bühne zu sehen?<br />

Dreimal im Jahr. Da spielt ein Dutzend<br />

Vorarlberger Rockmusiker für die Krebshilfe.<br />

Sonst sitze ich in unserem Stiegenhaus<br />

auf einer Stufe und spiele zu meiner und<br />

hoffentlich auch zu Monikas Freude. Und<br />

manchmal zusammen mit Oliver, unserem<br />

ältesten Sohn, dem Bruder von Lorenz,<br />

dem Maler, der die Zeichnungen zum „Lied<br />

von den Riesen“ gemacht hat.<br />

Bist du dem Stoff für dein nächstes<br />

Werk schon begegnet? Und verrätst<br />

uns vielleicht etwas darüber?<br />

Der Stoff meines Buches? Das macht mich<br />

verlegen. Ich weiß nie, was für einen Stoff<br />

meine Bücher haben. Den Personen bin<br />

ich begegnet, ja. Mich interessieren nur die<br />

Personen. Sie bringen die Handlung mit,<br />

und am Ende kann man vielleicht sagen,<br />

was der Stoff war. Ein anderer soll das<br />

meinetwegen sagen, ich nicht.<br />

Buchtipps:<br />

Michael Köhlmeier:<br />

Das Lied von den Riesen<br />

Haymon Verlag, 184 S., € 17,90<br />

Zwei Herren am Strand<br />

Hanser Verlag, 256 S., € 18,40<br />

Buchpräsentation:<br />

„Das Lied von den Riesen“<br />

mit Michael Köhlmeier<br />

Do., 22. 10. 2015, 19:30 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

Universitäts buchhandlung


© Kurt Kaindl / Paul Zsolnay Verlag<br />

Ich bin<br />

ein Mensch,<br />

keine<br />

Instanz.<br />

22<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Im Ihrem Buch „Der Mann, der<br />

ins Gefrierfach wollte“ erzählen<br />

Sie von Kaayo, dem letzten<br />

des Volkes der El-Molo in Kenia,<br />

der die Sprache seines Volkes<br />

bewusst mit ins Grab nimmt.<br />

Ja, dieser Mann hat eines Tages den sprachlichen<br />

Austausch mit der Welt abgebrochen,<br />

er hat sich entschieden, auch nichts mehr<br />

dafür zu tun, dass seine eigenen Enkelkinder<br />

El-Molo verstehen und sprechen mögen.<br />

Ich denke mir, er muss genau gewusst und<br />

gespürt haben, dass mit ihm eine ganze Welt<br />

stirbt, und ein unsäglich trauriger und weiser<br />

Mann gewesen sein.<br />

Gibt es richtiges und<br />

falsches Reisen?<br />

Richtig und falsch, wer soll das bestim -<br />

men? Ich bin keiner von denen, die ihren<br />

Hochmut gegen die „Ach-so-dummen<br />

Touristen“ kultivieren. Jeder Reisende,<br />

selbst der Massentourist, wird auch von<br />

Einer der<br />

bedeutendsten<br />

literarischen<br />

Spurensucher<br />

unserer Zeit<br />

im Gespräch mit<br />

Robert Renk.<br />

Auszüge aus Quart Nr. 20/12:<br />

Brenner-Gespräch (8)<br />

23<br />

etwas urtümlich Archaischem angetrieben,<br />

jedes Reisen ist ein gewisser Aufbruch<br />

und mit einer gewissen Mühe verbunden.<br />

Natürlich gibt es aber zahllose Reisende,<br />

die genauso vorurteilsbeladen heimkehren<br />

wie sie losgefahren sind.<br />

Gab es gefährliche Situationen<br />

während Ihrer Reisen?<br />

Ich bin natürlich öfter in die Gefahr<br />

geraten, dass eine Reise scheitert, und zwar<br />

an meiner Unfähigkeit und meiner Ungeduld.<br />

Wenn man so reist, wie ich es tue, um<br />

über diese Reisen dann zu schreiben, muss<br />

man sich vor allem in einer Fähigkeit ausbilden,<br />

in der Geduld. Und das ist bei mir<br />

eine heikle Sache, denn ich bin ein ziemlich<br />

ungeduldiger Mensch.<br />

Das merkt man Ihren Texten<br />

kaum an!<br />

Danke. Es war aber schon so: dass ich mich<br />

in irgendeinem Dorf in Mazedonien oder<br />

Kalabrien aufgehalten habe und sich nichts,<br />

rein gar nichts getan hat. Sodass ich mich<br />

dazu zwingen musste, trotzdem dort zu<br />

bleiben, so lange, bis das Nichtstun schon<br />

schmerzhaft wurde. Nach vier Stunden<br />

geht man zum vierten Mal dieselbe Straße<br />

hinauf, kein Mensch redet einen<br />

an, man sitzt am Ortsbrunnen,<br />

man geht ins Café und es<br />

geschieht nichts. Und dann,<br />

wenn es schon fast unerträglich<br />

geworden ist, wenn man nichts<br />

wie weiterziehen will, geht<br />

eine uralte Frau vorbei, fragt:<br />

„Was machst eigentlich du da?“, und dann<br />

nimmt sie mich mit nach Hause und nach<br />

zehn Minuten sind 25 Leute da, Freunde,<br />

Nachbarn, Verwandte. Und jeder möchte<br />

dir seine ganz persönliche Liebesgeschichte<br />

und Lebensgeschichte erzählen. (...) Geduld<br />

ist für mich eine Arbeitshaltung, zu der<br />

ich mich diszipliniert nötigen muss. Ich bin<br />

sozusagen professionell geduldig und privat<br />

ein unangenehm ungeduldiger Kerl.<br />

Dann wechseln wir lieber rasch<br />

das Thema. Karl Kraus schätzte<br />

eine Literaturzeitschrift aus Tirol<br />

ganz besonders, nämlich den<br />

„Brenner“. Deren Herausgeber,<br />

Ludwig von Ficker, hatte ein ganz<br />

anderes Konzept als Kraus, er<br />

hat sich selbst ja nicht als Autor<br />

gesehen, sondern als Entdecker<br />

und Förderer.<br />

Als ich vor ein paar Jahren zu der schönen<br />

„Gaußiade“ nach Innsbruck eingeladen<br />

wurde, bin ich natürlich auch nach Mühlau<br />

hinaus gezogen. Der Friedhof ist tatsächlich<br />

sehr stimmungsvoll, aber auch eine Stätte<br />

mit symbolischer Rangordnung. Ganz oben<br />

sind die Gräber von Ficker und Trakl. Die<br />

Frau von Ficker liegt erst drei Reihen weiter<br />

unten. Man könnte meinen, Ludwig von<br />

Ficker wäre nicht mit ihr, sondern mit Trakl<br />

verheiratet gewesen.<br />

In Tirol hatten Sie eine enge<br />

Verbindung zu Paul Flora.<br />

Ja, er war tatsächlich der geborene Erzähler.<br />

Und er ist ja auch als Zeichner eigentlich<br />

ein Erzähler. (...) Er war ein großer Könner,<br />

der im Unterschied zu vielen Könnern<br />

sein eigenes Schaffen mit viel Selbstironie<br />

betrachtet hat. Auf meine Frage, woran<br />

er gerade arbeite, hat er mir einmal mit dem<br />

grandiosen Satz geantwortet: „Derzeit bin<br />

ich nicht in Hochform, da zeichne ich am<br />

Vormittag einen Raben und am Nachmittag<br />

verkauf ich ihn.“ So was kann nur einer sagen,<br />

der Größe hat und sie sich nicht durch<br />

geniale Attitüden beweisen muss.<br />

Können Sie mit dem Begriff<br />

„moralische Instanz“, als die Sie<br />

auch bezeichnet werden, etwas<br />

anfangen?<br />

Sogar in eitlen Momenten nicht allzu viel.<br />

Das Wort hat doch etwas Abtötendes. Ich<br />

bin ein Mensch, keine Instanz. Wenn mich<br />

jemand loben würde, indem er mich als<br />

seine „stilistische Instanz“ bezeichnet, täte<br />

ich mir leichter. Es ist mir nicht angenehm,<br />

wenn mir jemand einen politischen Irrtum<br />

oder einen Fehler in der politischen Argumentation<br />

nachweist; aber wenn er mir eine<br />

schlechte Formulierung oder einen stilistischen<br />

Fehler nachweist, würde mich das<br />

weit mehr beschäftigen.<br />

Soeben erschienen:<br />

Karl-Markus Gauß:<br />

Der Alltag der Welt<br />

Zsolnay Verlag, 336 S., € 23,60<br />

Im Gespräch:<br />

Lesung und Gespräch von<br />

Karl-Markus Gauß mit Quart-<br />

Herausgeber und Franui-Chef<br />

Andreas Schett, das Gespräch<br />

führt Klaus Zeyringer.<br />

Do., 29. 10. 2015, 19:00 Uhr<br />

Stadt bücherei Innsbruck<br />

(Colingasse 5a).<br />

Eine Kooperation mit<br />

der Stadtbücherei Innsbruck<br />

und 8ungKultur.<br />

Eintritt frei


Fiktion oder nicht?<br />

Raoul Schrott und sein neues Buch<br />

„Die Kunst an nichts zu glauben“. Von Joe Rabl.<br />

Zwischen Satire und Front<br />

Die beiden ukrainischen Autoren Andrej Kurkow<br />

und Serhij Zhadan – ein Porträt zweier<br />

Schriftstellergenerationen von Hans Ruprecht.<br />

wer möchte es so genau wissen, statt die<br />

kunstvolle Konstellation zu genießen;<br />

und was würde eine Antwort auf die Frage<br />

grundlegend ändern? –, wesentlich ist<br />

der fruchtbringende Dialog, den Schrott<br />

solcherart in Gang setzt.<br />

Sowohl die Auszüge aus dem „Manuale“<br />

als auch die Gedichte können als Bestandsaufnahme<br />

gelesen werden, als Selbstvergewisserung<br />

ohne Ausflucht in religiöse<br />

Deutungen und Tröstungen („… alles<br />

leid resultiert aus dem glauben / sich<br />

seines unglücks erwehren zu müssen /<br />

statt schönheit im scheitern zu finden …“).<br />

Ein mosaik artiges Panorama des hic et nunc,<br />

verdichtet in poetischen Kurzporträts<br />

„ganz normaler“ Menschen (der Busfahrer,<br />

die Kassiererin …), das dem Prinzip des<br />

Gött lichen eine profane Sicht entgegensetzt.<br />

Zwei Autoren aus der Ukraine, die die<br />

gegenwärtige Situation der ukrainischen<br />

Gesellschaft präsentieren: Andrej Kurkow<br />

(wie auch Jurij Andruchowytsch) vertritt<br />

eine ältere Generation, der die Vergangenheit<br />

mit der sowjetischen Besatzung<br />

sowie die postsowjetische Zeit aufarbeiten:<br />

Er benützt dazu meisterhaft die Form<br />

der Satire. Im Gegensatz dazu schreibt die<br />

jüngere Generation, wie Serhij Zhadan, über<br />

die heutige Zeit. Die Trümmer der Sowjetzeit<br />

stehen und liegen immer noch herum,<br />

werden aber nicht mehr kommentiert. Die<br />

Autoren schreiben aus der Zeit, in der sie<br />

leben mit ihren Sehnsüchten, Träumen und<br />

Hoffnungen.<br />

Redakteur, Gefängniswärter,<br />

Kameramann<br />

typen, die sich treiben lassen, die das Leben<br />

bloß nicht in die eigene Hand nehmen<br />

wollen, Menschen, denen skurrile Dinge<br />

widerfahren und die merkwürdige Sachen<br />

tun, um zu überleben.<br />

Diese postsowjetische Mentalität,<br />

welche in der Ukraine noch weit verbreitet<br />

ist, äußert sich auch in dem, was Kurkow<br />

den „Zookomplex“ nennt: Passiv sein und<br />

auf Nahrung warten. Eine Tendenz, die<br />

in seinen Romanen eine nicht unerhebliche<br />

Rolle spielt. Man sitzt im Käfig und zeigt<br />

keine Initiative. Trotz abstruser, ins Extreme<br />

oder Surreale verfremdeter Situationen<br />

aus dem ukrainischen oder russischen Alltag<br />

verliert Kurkow nie den ernsthaft-liebevollen<br />

Blick auf seine Figuren.<br />

Eine Lenin-Statue absägen<br />

© Fotowerk Aichner<br />

Buchtipp:<br />

Raoul Schrott:<br />

Die Kunst an<br />

nichts zu glauben<br />

Hanser Verlag, 168 Seiten,<br />

€ 18,40<br />

Lesung:<br />

„Von den Rändern der Erde –<br />

von Gilgamesh, finis terrae,<br />

tristan da cunha und der fünften<br />

Welt“ – Ein Abend mit Raoul<br />

Schrott<br />

Do., 5.11.2015, 19:30 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

Universitäts buchhandlung<br />

Raoul Schrott, Schriftsteller, Übersetzer<br />

und Literaturwissenschaftler, hat seit seinem<br />

Debüt „DADA 21/22“ (1988) die verschiedensten<br />

poetischen Pfade beschritten und<br />

in seinen Romanen, Gedichten, Essays<br />

und den Übertragungen antiker Stoffe stets<br />

die Sachkenntnis des Wissenschaftlers mit<br />

der Inspiration des Dichters zu verbinden<br />

gewusst. Sein jüngstes Buch „Die Kunst an<br />

nichts zu glauben“ steht in der Tradition,<br />

alte Quellen zu befragen – wobei in diesem<br />

Fall durchaus unterstellt werden darf, dass<br />

die Quelle, auf die er sich bezieht, Teil der<br />

Fiktion ist.<br />

Bestandsaufnahme,<br />

Selbstvergewisserung<br />

Wie der Leser den einleitenden Ausführungen<br />

entnimmt, ist Schrott in der Biblioteca<br />

Classense in Ravenna auf ein Manuskript<br />

gestoßen, das „Manuale Dell’ Esistenza<br />

Transitoria (De Arte Nihil Credendi)“, ein<br />

Werk aus der Zeit um 1700, das der Finder/<br />

Autor in einen Kanon atheistischer Literatur<br />

einreiht, um es sodann ins Deutsche<br />

zu übertragen und mit eigenen Gedichten<br />

darauf zu antworten. Fiktion oder nicht –<br />

© Lareina Greussing<br />

Ein atheistisches Manifest<br />

Der Dichter nennt die Dinge beim Namen,<br />

er bringt sie auf den Punkt; die Poesie,<br />

fern jeglichen dogmatischen Impetus,<br />

generiert so eine höchst diesseitige Moral.<br />

Die Sentenzen und Verse beziehen sich –<br />

einmal mehr, einmal weniger vordergründig<br />

– aufeinander, sie kommentieren und<br />

hinterfragen einander, es gibt unterschwellige<br />

Korrespondenzen, auch über viele Seiten<br />

hinweg. Die „historische Beglaubigung“<br />

verleiht den Aussagen quasi zusätzliches<br />

Gewicht. Und so ist das Spiel, das der<br />

poeta doctus Raoul Schrott mit dem Leser<br />

treibt, jenes, sein atheistisches Manifest<br />

(„ … ich dem jede religion fremd der aus<br />

den reihen verstossen und doch heilig ist:<br />

profan …“) mit den Mitteln der Poesie<br />

ins Werk zu setzen, was darauf hinausläuft,<br />

die Poesie selbst als moralische Haltung<br />

zu legitimieren.<br />

24 25<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Andrej Kurkow ist einer der faszinierendsten<br />

russischsprachigen Schriftsteller der<br />

Gegenwart. Er verbrachte seine Kindheit<br />

und Jugend in Kiew und schloss 1983 seine<br />

Ausbildung am staatlichen pädagogischen<br />

Fremdspracheninstitut ab. Er spricht heute<br />

noch sieben Fremdsprachen und arbeitete<br />

in unterschiedlichen Berufen: als Redakteur,<br />

Gefängniswärter und Kameramann.<br />

Seine Romane und Erzählungen wurden<br />

in zahlreiche Sprachen übersetzt. Nach Einschätzung<br />

der französischen Literaturzeitschrift<br />

‚Lire‘ ist er einer der 50 wichtigsten<br />

Schriftsteller der Welt, welche die Literatur<br />

des 21. Jahrhunderts ganz wesentlich mitbestimmen.<br />

Kurkows Romane zeichnen sich durch<br />

einen scharfen, ironischen Blick auf das<br />

Leben in der postsowjetischen Gesellschaft<br />

aus. In diesem heutigen Kiew lässt Kurkow<br />

seine Geschichten spielen mit Figuren, die<br />

nicht unbedingt sympathisch sind: Versager-<br />

Serhij Zhadan wurde in Starobilsk in der<br />

Bergbauregion der Ostukraine geboren<br />

und war an den Protesten auf dem zentralen<br />

Platz der Bürgerrevolution, dem Majdan,<br />

beteiligt. Eines seiner aktuellen Projekte:<br />

Mit ein paar Freunden die Lenin-Statue<br />

in Charkiw absägen. Diese Idee hat in<br />

der russischsprachigen Stadt zu lebhaften<br />

Auseinandersetzungen geführt, die so weit<br />

gingen, dass Serhij Zhadan am 1. März 2014<br />

bei einer Demonstration durch pro-russische<br />

Aktivisten brutal niedergeschlagen und<br />

schwer verletzt wurde.<br />

Serhij Zhadan ist kein Spurenleser. Sein<br />

literarischer Raum ist das Hier und Jetzt,<br />

das pralle Leben. Er erzählt Geschichten<br />

von seiner Generation – urban und ohne<br />

<strong>No</strong>s talgie. Er wird in seiner Heimat als<br />

ukrainischer Rimbaud, als proletarischer<br />

Post-Punk gefeiert. Von der Ungewissheit<br />

und Ver lorenheit in Zeiten des äußeren<br />

und inneren Umbruchs erzählt er in seinen<br />

Lyrikbänden und Prosawerken.<br />

In seinem neuen Roman „Mesopotamien“<br />

porträtiert er ein modernes Babylon, seine<br />

Heimatstadt Charkiw, indem er poetisch<br />

und sprachgewaltig von Menschen erzählt,<br />

die im „Zweistromland“ leben: zwischen<br />

dem ukrainischen Dnjepr im Westen und<br />

dem russischen Don im Osten.<br />

Zhadan ist einer der innovativsten und<br />

beliebtesten Autoren der neuen ukrainischen<br />

Literatur.<br />

© Rafal Komorowski/SuhrkampVerlag<br />

Buchtipps:<br />

Andrej Kurkow: Die Kugel<br />

auf dem Weg zum Helden<br />

Haymon Verlag, 392 S., € 22,90<br />

Serhij Zhadan: Mesopotamien<br />

Suhrkamp, 362 S., € 23,60<br />

Lesung:<br />

Serhij<br />

Zhadan<br />

Suhrkamp<br />

Roman<br />

Lesung der beiden Autoren<br />

im Rahmen des<br />

Ukraine-Schwerpunkts.<br />

Gespräch: Christian Jentsch<br />

Fr., 20. 11. 2015, 19:30 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

Universitätsbuchhandlung


Showdown und meine Lust<br />

Zu Ilija Trojanows Roman Macht und Widerstand.<br />

Lektüreeindrücke von Lydia Mischkulnig.<br />

© Thomas Dorn / S. Fischer Verlag<br />

Die<br />

Verteidigung<br />

der Moral<br />

ist die Erfüllung<br />

der Moral. *<br />

Ilija Trojanow<br />

26<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Nachdem ich vor Monaten die Fahnen<br />

des Romans „Macht und Widerstand“<br />

durchgelesen hatte, um Ilija Trojanow zum<br />

Gespräch meiner Reihe „Werk-Leben“<br />

ins literarische Quartier der Alten Schmiede<br />

einzuladen, und ich nun nach einer Einschätzung<br />

meiner Leseerfahrung gebeten<br />

worden bin, versuche ich, die Nachhaltigkeit<br />

der Lektüre in folgenden Sätzen darzulegen:<br />

Gegen die sentimentale, selbstmitleidige<br />

Stimme eines Opportunisten erschüttern<br />

die monologisch gehaltenen Repliken<br />

eines Dissidenten, der um die Erinnerung<br />

kämpft. Gerechtigkeit geht übers Grab<br />

hinaus. Die Stimme der Süffisanz sirrt über<br />

den Machtsümpfen des Kommunismus<br />

und Kapitalismus, sie geht ins Ohr, um den<br />

Geist zu entfachen, der sich mit Konstantin,<br />

dem Anarchisten, verbindet und damit den<br />

Helden feststellt, der Widerstand leistet<br />

und eine Sprache hervorbringt, die sich als<br />

Frage nach dem Umgang Bulgariens mit<br />

seiner jüngeren Geschichte entfaltet. Um<br />

die identifikatorische Lese-Haltung geht<br />

es hier nicht, obwohl Konstantin die Figur<br />

ist, die man gern bekleidet hätte in der<br />

Geschichte um Macht und Widerstand.<br />

Vielmehr wird durch Reflexion und philosophische<br />

und politisch-literarische Anspielung<br />

dauernd daran erinnert, dass auch der<br />

bulgarische Mensch, also ich, aus einem<br />

krummen Holz geschnitzt ist. Was bedeutet<br />

also Widerständigkeit? Ab wann wird<br />

der Kampf zwischen Gut und Böse zur<br />

Groteske? Was bedeutet es, sich um einen<br />

aufrechten Gang zu bemühen? Wer beherrscht<br />

die Erinnerung? Und was setzt sie<br />

durch? Ein Buch wie „Macht und Widerstand“?<br />

* Zitiert aus: Ilija Trojanow,<br />

Macht und Widerstand, S. 298<br />

27<br />

Zwischen Gut und Böse<br />

Zum Showdown zwischen Gut und Böse<br />

kommt es nach dem Duell der Erzählebenen<br />

auf dem Friedhof, wo die Handlungsstränge<br />

zusammengeführt werden und sich Rache<br />

einstellt, eine wohltuende Rache, wenn<br />

die Gerechtigkeit mit der Täter-Opfer-<br />

Umkehrung und der Selbstverklärung endlich<br />

Schluss macht, weil das Verschweigen<br />

dann doch gebrochen wird. Die Würde,<br />

die sich gegen die Infamie, gegen die Häme<br />

und gegen die Unterwerfung durch den<br />

dauernden Zynismus der Macht behauptet,<br />

lässt sich in schlagenden Sätzen finden, die<br />

einer unmissverständlichen Haltung entsprechen,<br />

die Trojanow in Schlüssen auf den<br />

letzten Seiten wie Sinnsprüche zum Auswendiglernen<br />

festlegt. Das Gute ist radikal,<br />

und es schlägt Wurzeln im und durch den<br />

Kampf um Selbstbestimmung. Die Widersetzung<br />

wird mit essayistischen Ausflügen<br />

in die Schriften Bakunins, mit Protokollen<br />

der Staatssicherheit und Lebensberichten<br />

aufgeführt und in den Sprachfluss verwoben,<br />

so dass ein Strom psychologisch<br />

einfühlsamer Bewusstmachung beim Leser<br />

entsteht. Korruption und Maßlosigkeit,<br />

Geheimdienst, Kontrolle, Vergewaltigung<br />

und Folter sind die Mechanismen des<br />

bürokratisch verordneten und fleißig ausgeführten<br />

Verbrechens der Denunziation,<br />

das in den verschiedenen Textsorten auf<br />

den Erzählebenen der Kontrahenten zu<br />

einer erweckenden Lektüre organisiert wird.<br />

Erweckend, weil Überwachungsstrukturen<br />

im Zeitalter des Daten-Raffens aufzudecken<br />

sind und ein persistenter Widerstand zu<br />

leisten ist gegen die Kleptokratie und gegen<br />

jeden, auch religiösen, Faschismus, somit<br />

gegen Systeme jeder Verdachtsgesellschaft.<br />

Wie kommen wir zur Freiheit? Durch Erinnerung,<br />

die zum Beispiel durch Schreiben<br />

gemacht, geübt, in Frage gestellt wird.<br />

Die Geschichte von „Macht und Widerstand“<br />

ist zu so lesen.<br />

Kein Rezept,<br />

keine Katharsis<br />

Das semantische Reich der Trojanow’schen<br />

Sprache, die sich einfühlt in das Denken<br />

des Karrierismus und in das Denken der<br />

Haltung eines Geistes gegen die dauernde<br />

Unterwerfung durch Borniertheit, Abwertung<br />

und Spitzelei, legt Überzeugungswege<br />

frei, die die Protagonisten beschreiten und<br />

im besetzten Bulgarien über seine kommunistische<br />

Diktatur bis hin zum EU- und<br />

Natoland ableben. Es gibt kein Rezept für<br />

den Leser und auch keine Katharsis, aber<br />

Sätze, die man zusammenfassen kann,<br />

zum Showdown am Friedhof, wo Gericht<br />

gehalten und die Strafe verkündet wird,<br />

mittels Megaphon, und wo Rachlust,<br />

zumindest meine, gestillt wird – und dieser<br />

Sachverhalt stellt mich in Frage, das ist<br />

die List des Buches. „Und weil du dich der<br />

gerechten Strafe entzogen hast, wirst du zur<br />

schlimmsten aller Höllen verdammt, der<br />

Verachtung der Nachfahren, für alle Zeit.“<br />

Somit ist der Anarchist Konstantin gerächt<br />

und die Erinnerung eines Dissidenten in<br />

Literatur aufgehoben.<br />

Buchtipp:<br />

Ilija Trojanow:<br />

Macht und Widerstand<br />

Fischer Verlag, 480 S., € 25,70<br />

Lesung:<br />

Ilija Trojanow liest aus<br />

seinem neuen Roman<br />

„Macht und Widerstand“.<br />

Einführung und Gespräch:<br />

Klaus Zeyringer.<br />

Freitag, 13. 11. 2015, 19:30 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

Universitätsbuchhandlung


Wir Wagnerianer.<br />

Obwohl vieles neu ist an der Wagner’schen, eines bleibt gleich:<br />

Alle ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern<br />

sich auch in Zukunft darum, Ihre literarischen Vorlieben<br />

bestens zu bedienen.<br />

Barbara Wittauer<br />

Peter<br />

Walder-Gottsbacher<br />

Astrid Eme<br />

Carmen<br />

Gschwandtner-Lang<br />

Marija Milicevic<br />

Franz Haas<br />

Markus Renk<br />

Robert Renk<br />

Claudia Kamleitner<br />

Carmen<br />

Gschwandtner-Lang<br />

Silvia Spiegl<br />

Ute Faserl<br />

Nina Rettenbacher<br />

Sabine Peer<br />

28<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

29<br />

Andrea Scheiber<br />

Boris Schön<br />

Irmtraut Widder<br />

Mimi Grünberger<br />

Magdalena Naschberger<br />

Marlene Walder<br />

Michaela Weiler<br />

Michaela Aigner<br />

Weitere<br />

Mitarbeiterinnen


Cover<br />

sei<br />

Dank.<br />

Von Vea Kaiser<br />

30<br />

Wagner’sche.<br />

Wenn man in einem abgeschiedenen niederösterreichischen Dorf<br />

aufwächst, wo sich die Mädchen bereits am Montag zu über legen<br />

beginnen, welches im Versandkatalog bestellte Outfit sie zum<br />

Fußballmatch der Burschen am Sonntag anziehen, dann liest man<br />

entweder nur, wenn man muss, oder immer, wenn man kann.<br />

Seit ich lesen konnte, verschlang ich alles, was ich im Jugendzimmer<br />

meines Onkels fand. Karl May, Enid Blyton,<br />

ganz egal was, Hauptsache, es zeigte mir eine Welt, die<br />

nicht von blonden, blauäugigen Sandkastendominas und<br />

der Tennisplatzmafia regiert wurde. Als ich jedoch in die Pubertät<br />

kam, ging mir der Nachschub aus. Das Jugendzimmer meines<br />

Onkels war ausgelesen, die paar interessanten Werke im schmalen<br />

Regal meiner Eltern auch, und die Dorfbücherei, die sonntags im<br />

Anschluss an die Kirchmesse geöffnet hatte, boykottierte ich. Ich<br />

hatte panische Angst, würde ich dieselben Bücher lesen wie die<br />

Dorfbewohner, würde ich eines Tages meinen Cousin heiraten, ein<br />

Fertigteilhaus bauen und Tupperwarepartys entgegenfiebern.<br />

Meine Hoffnung war, dass mir im katholischen Privatgymnasium,<br />

auf das ich nach der Volksschule wegen meiner guten <strong>No</strong>ten<br />

wechseln durfte, der Weg in die Welt der Erwachsenenliteratur<br />

geebnet werden würde. Doch meine Klasse wurde von der Unterstufe<br />

bis zur Matura von einem gescheiterten Dichter unterrichtet.<br />

Unser Lehrer war in seiner Studienzeit mit der Wiener Gruppe<br />

im Café Hawelka abgehangen. Hatte mit H. C. Artmann, Friedrich<br />

Achleitner und Co. über die Erneuerung der Literatur philosophiert,<br />

war jedoch nie bei einem Verlag gelandet, sondern an unserer<br />

Schule – und die einzigen Texte, die er uns zu lesen gab, waren<br />

seine eigenen. Und zu besonderen Anlässen die seiner früheren<br />

Freunde. Hausübungen mussten wir keine schreiben, da er ohnehin<br />

jede Aufgabe selbst löste und uns in der folgenden Stunde einen<br />

von ihm verfassten „Musteraufsatz“ austeilte.<br />

Mit dreizehn schließlich entdeckte ich nicht nur, dass ich Brüste<br />

bekam, sondern auch, dass sich ein kleines bisschen Mut darunter<br />

befand, und so schlich ich nach der Schule regelmäßig in die kleine<br />

Buchhandlung in der Fußgängerzone. Meine dortigen Besuche<br />

waren beeinträchtigt vom Zeitdruck, rechtzeitig zum Bahnhof zu<br />

kommen. Ein Zug fuhr zwar stündlich, doch der eine Bus, der vom<br />

Bahnhof an der Westbahnstrecke hinein in die Voralpen zu meinem<br />

kleinen Dorf fuhr, nur vier Mal täglich. Ich hatte große Angst,<br />

die Buchhändler würden mich irgendwann für eine Diebin halten,<br />

wenn ich mich lediglich hektisch umsähe, aber nie etwas kaufte,<br />

und so beschloss ich eines Tages, nicht hinauszugehen, ohne ein<br />

Buch zu erwerben. Auf Samtpfoten wanderte ich um die freistehenden<br />

Tische, betrachtete immer nur die in Plastik eingeschweißten<br />

Exemplare, damit die Buchhändler nicht schimpften, ich würde sie<br />

schmutzig machen, und dann hatte ich plötzlich dieses eine Buch<br />

in der Hand. Auf dem in Blautönen gehaltenen Cover schlug ein<br />

kleines Mädchen oder ein langhaariger Bursche mit einem überdimensionalen<br />

Hammer auf ein am Amboss liegendes Herz ein und<br />

hatte dabei ein diebisches Lächeln im Gesicht. Ich hatte natürlich<br />

keinen Schimmer, dass das eine Darstellung Eros’ war, ich – mitten<br />

in der Pubertät, den Hormonen zum Abschuss ausgeliefert – dachte<br />

nur daran, wie zerbrechlich Herzen sind und wie manche rücksichtslos<br />

mit ihnen spielen, gleich diesem abgebildeten Kind. Wie viel<br />

Weisheit alleine das Cover enthielt! Wer der Autor war, was für ein<br />

Landsmann, das war mir alles egal. Er hieß Jeffrey Eugenides und<br />

gehört hatte ich noch nie von ihm. Den Klappentext ignorierte ich,<br />

was ein Pulitzer-Preis war, wusste ich ohnehin nicht, es klang aber<br />

immerhin nach etwas Wichtigem, und dass der Titel dieses Romans,<br />

nämlich Middlesex, das Wort „Sex“ beinhaltete, machte mich erst<br />

recht neugierig. Also hastete ich zum Tresen, bezahlte unter Zuhilfenahme<br />

aller Cent-Stücke, die sich am Boden meiner Schultasche<br />

fanden, die für mich damals astronomische Summe von 20,45 und<br />

lief aus der Buchhandlung, ehe mich jemand fragte, was ein junges<br />

Mädchen wie ich mit einem Buch für Erwachsene wolle, und ob<br />

mir meine Eltern überhaupt erlaubten, etwas zu kaufen, auf dem<br />

das Wort „Sex“ stand. Im Kopf hatte ich dabei die Stimme meines<br />

Vaters, der mich rügte, warum ich nicht auf die Veröffentlichung<br />

des Taschenbuchs gewartet hätte, wenn es schon nicht in unserer<br />

Dorfbücherei erhältlich sei.<br />

<strong>No</strong>ch im Zug begann ich zu lesen. Selbst im nach<br />

nassem Hund riechenden Bus hörte ich nicht auf, und<br />

drei Tage später war ich nicht nur mit den siebenhundert<br />

Seiten fertig, sondern ein anderer Mensch geworden.<br />

Als ob mich mein erstes Buch für Erwachsene selbst erwachsen<br />

gemacht hätte.<br />

In Middlesex geht es um Cal, der durch den Inzest seiner griechischen<br />

Großeltern als Hermaphrodit geboren und als Mädchen<br />

Calliope erzogen wird, ehe er in seiner Pubertät beschließt, als<br />

Mann leben zu wollen. Ausgehend von dieser Figur wird die Geschichte<br />

der gesamten Familie und all ihrer Mitglieder erzählt.<br />

Beim Lesen erfuhr ich nicht nur von der Vertreibung der Griechen<br />

aus Klein asien, dem Leben in der griechischen Diaspora, dem<br />

American Dream, nein, ich lernte auch, dass man seiner Familie,<br />

egal, ob man ein enges Verhältnis mit ihr pflegt oder vor ihr flüchtet,<br />

nie ent kommen kann. Familie ist immer da, und die Entscheidung<br />

eines Einzelnen beeinflusst schlussendlich alle. Als ich las, wie<br />

Cal seinen Großeltern ihren Inzest vergibt, versöhnte ich mich<br />

mit dem Leben, in das mich meine Familie geboren hatte. Genauso<br />

wie Cals Großeltern nicht ausgesucht hatten, sich ineinander zu<br />

verlieben, hatten meine Großeltern keine andere Wahl gehabt, als<br />

in diesem niederösterreichischen Dorf zu leben, in dem sie geboren<br />

wurden, wie auch meine Eltern, die nunmal einen Baugrund von<br />

meinen Urgroßeltern vermacht bekommen hatten und zum Teufel<br />

gejagt worden wären, wenn sie das Erbe verkauft hätten. Ich weiß,<br />

es ist unfair, die Folgen einer Genmutation mit den Widrigkeiten<br />

des Landlebens in einen Topf zu werfen, aber zu meiner Entschuldigung:<br />

ich war dreizehn. Nicht gerade ein Alter, das sich durch<br />

Weitsicht und emotionale Reife auszeichnet.<br />

Doch am Allerwichtigsten sollte eine ganz bestimmte<br />

Szene für mich werden. Eine Figur namens Milton<br />

kommt während einer Verfolgungsjagd im Auto von der<br />

Straße ab. Zunächst heißt es, dass der Wagen plötzlich<br />

von alleine fährt, gar nicht mehr gelenkt werden muss, Milton zurückführt<br />

an die einzelnen Stationen seines Lebens – und plötzlich<br />

merkt man, dass die Figur gerade gestorben ist. Dieser erzählerische<br />

Kunstgriff beeindruckte mich so massiv, dass ich ihn stehlen<br />

musste. Und so schrieb ich die erste Kurzgeschichte meines Lebens.<br />

Sie handelt von einer jungen Frau, die sich ständig in Schwierigkeiten<br />

bringt, weil sie denkt, dass ihr Vater sie nicht liebt. Und als<br />

ihr der Vater schließlich zu Hilfe eilt, kommt er mit seinem Wagen<br />

vom Weg ab und wundert sich, dass das Auto plötzlich von alleine<br />

fährt. Kurze Zeit später las ich in der Lokalzeitung von einem<br />

Schreibwettbewerb für Vierzehn- bis Vierundzwanzigjährige, sandte<br />

die Geschichte ein und hoffte, niemandem fiele auf, dass ich erst<br />

dreizehn war. Mein Deutschlehrer meinte, die Geschichte sei scheiße,<br />

und empfahl mir, ich solle anrufen und sie zurück ziehen. Zum<br />

Glück traute ich mich nicht. Die Jury nämlich fand die Geschichte<br />

so gut, dass sie mir das Jugendamt vor die Tür schickte. Man<br />

dachte, eine Dreizehnjährige könne sich so etwas nicht ausdenken.<br />

Nachdem das Jugendamt jedoch festgestellt hatte, dass meine Eltern<br />

glücklich verheiratet waren und ich keine Drogen nahm, bekam<br />

ich den ersten Preis: tausend Euro. Panisch beichtete ich daraufhin<br />

der Jury, dass ich die Szene mit dem Tod des Vaters gestohlen hatte.<br />

Die jedoch meinte, diese Szene habe ihr ohnehin am wenigsten<br />

gefallen, sie habe wie ein Fremdkörper gewirkt, und ich hätte den<br />

Preis für die Schilderung der Beziehung zwischen Vater und Tochter<br />

erhalten. Daraufhin investierte ich das Geld in einen Laptop und<br />

begann, aus dieser Kurzgeschichte einen Roman zu machen.<br />

Natürlich scheiterte ich kläglich. Doch ich gab nicht auf, las<br />

zur Ermutigung noch viele Male Middlesex, bis zehn Jahre später<br />

tatsächlich mein erster Roman fertig war und sogar veröffentlicht<br />

wurde.<br />

Je mehr ich nachdenke, desto mehr Episoden fallen mir ein, in<br />

denen Middlesex Einfluss auf mich hatte: als ich beschloss, für ein<br />

halbes Jahr nach Detroit zu gehen, wo das Buch spielt, oder als<br />

ich sechs Stunden lang durch die Buchhandlungen Triests lief, um<br />

meinem Geliebten die italienische Übersetzung zu schenken. Oder<br />

die Nacht, in der besagter Geliebter und ich bis in den Sonnenaufgang<br />

über dieses Buch redeten und ich verstand, was Glück<br />

bedeutet, nämlich in einem Moment an keinem anderen Ort,<br />

mit keinem anderen Menschen, in keiner anderen Situation sein<br />

zu wollen.<br />

Nachdem mein zweiter Roman auch eine griechische Familiengeschichte<br />

erzählt, taufte ich Jeffrey Eugenides zu Ehren eine<br />

meiner Hauptfiguren nach einer seiner Hauptfiguren: Eleftherios,<br />

von allen Lefti gerufen.<br />

Das einzige Problem: Wenn man so sehr an einem Buch<br />

hängt, verleitet es einen zu kruden Handlungen. Letztes<br />

Jahr gab ich mein als Dreizehnjährige erstandenes<br />

Exemplar zum Zeichen meiner Liebe einem Mann, von<br />

dem ich dachte, wir würden den Rest unseres Lebens miteinander<br />

verbringen. Natürlich endete diese Beziehung im Drama, und auch<br />

wenn wir nicht mehr miteinander reden, mein Middlesex will ich<br />

wiederhaben. Und wenn das bedeutet, dass ich in seine Wohnung<br />

einbrechen muss. Liebschaften kommen und gehen. Doch dieses<br />

eine Buch, das mein Leben von Grund auf verändert hat, muss auf<br />

ewig an meiner Seite bleiben.<br />

Original-Text erschien<br />

in NEON 10/14<br />

Bücher seit 1639<br />

31


Mit<br />

den<br />

besten<br />

Empfehlungen:<br />

Nach „Stoner“ legt dtv<br />

den nächsten Roman des<br />

US-amerikanischen Autors<br />

John Williams (1922–1994) vor.<br />

Es geht um Will Andrews, der<br />

in den „Wilden Westen“ zieht,<br />

um sich selbst zu finden.<br />

„Butcher’s Crossing“ erzählt<br />

vom Untergang einer Gesellschaft,<br />

die sich selbst die<br />

Lebensgrundlage entzieht, von<br />

einem „Wilden Westen“, dessen<br />

Ende naht. In atmosphärisch<br />

dichten Bildern entwickelt<br />

das Buch einen Sog, dem der<br />

Leser nicht entkommt –<br />

min destens so überwältigend<br />

wie „Stoner“. Und das will<br />

etwas heißen. Susanne Gurschler<br />

John Williams:<br />

Butcher’s Crossing<br />

dtv, 365 S., € 22,60<br />

Reeve ist tot. Seit dem Verlust<br />

ihrer großen Liebe kapselt sich<br />

Jam vom Rest der Welt ab und<br />

nimmt das Leben nur mehr am<br />

Rande wahr. Der Aufenthalt<br />

in einem Internat für „emotional<br />

fragile, hochintelligente Teenager“<br />

soll dem traumatisierten<br />

Mädchen helfen, wieder neuen<br />

Lebensmut zu gewinnen. – Sich<br />

auf die gescheiten Gedankengänge<br />

von Meg Wolitzers junger<br />

Heldin einzulassen, ist wie die<br />

Fahrt auf einer emotionalen<br />

Hochschaubahn. Hubert Flattinger<br />

Meg Wolitzer:<br />

Was uns bleibt ist jetzt<br />

cbj, 384 S., € 18,50<br />

Jack London, das ist Erinnerung<br />

an Jugendlektüre, an Hunde,<br />

Kälte und Gold. In gewohnten<br />

Bahnen glaubt man sich, greift<br />

man zur wundertollen Neuübersetzung<br />

von Lutz-W. Wolff<br />

– und staunt. Über die Aktualität<br />

eines Romans, in dem der<br />

bärenstarke Burning Daylight<br />

das gelbe Metall nutzt, um mit<br />

Grund- und Immobilienspekulation<br />

zu Alaskas reichstem<br />

Mann und dann zum Börsenhai<br />

zu werden, der Kapital und nicht<br />

mehr seine Hände arbeiten lässt.<br />

Der Absturz ist vorprogrammiert,<br />

Erlösung liegt – no na –<br />

in der Liebe und in der Hände<br />

Arbeit. Andreas Hauser<br />

Jack London:<br />

Lockruf des Goldes<br />

dtv, 416 S., € 13,30<br />

Der arbeitslose Webdesigner<br />

Clay Jannon heuert in einer<br />

Buchhandlung an, die sich als<br />

Treffpunkt obskurer Gestalten<br />

entpuppt, die in rätselhaften<br />

Folianten nach dem Schlüssel<br />

zum ewigen Leben suchen. Clay<br />

beschließt, der Geheimgesellschaft<br />

zu helfen, unterstützt von<br />

seiner Freundin Kat und deren<br />

Google-Task-Force – ein lustvolles<br />

Aufeinandertreffen zweier<br />

Welten, das mit einer Liebeserklärung<br />

an Buchhandlungen<br />

endet: „Ein Verkäufer und eine<br />

Leiter und ein warmes, goldenes<br />

Licht, und dann: genau das richtige<br />

Buch … “ Andreas Hauser<br />

Robin Sloan:<br />

Die sonderbare Buchhandlung<br />

des Mr. Penumbra<br />

Heyne, 432 S., € 10,30<br />

Massei-Ermittler Mollel landet<br />

strafversetzt im kenianischen<br />

Niemandsland nahe dem<br />

Nationalpark Hell’s Gate. Für<br />

seine neuen Kollegen ist er ein<br />

Fremdkörper, der die Alltagskorruption<br />

zu stören droht,<br />

ebenso ungelegen kommt eine<br />

ermordete Rosenpflückerin.<br />

Auf sich allein gestellt beginnt<br />

Mollel zu ermitteln – und befindet<br />

sich bald in einer tödlichen<br />

Gemengelage von Landraub,<br />

Ausbeutung, Rassismus, Wilderei<br />

und Umweltsünden. Ein<br />

würdiger Nachfolger für Cromptons<br />

Power-Erstling „Wenn der<br />

Mond stirbt“. Andreas Hauser<br />

Richard Crompton:<br />

Hell’s Gate<br />

dtv premium, 300 S., € 15,40<br />

Da schreibt einer erfolgreiche<br />

Krimis, ist noch dazu Österreicher<br />

– und ist hierzulande fast<br />

unbekannt, den kiminophilen<br />

Rezensenten eingeschlossen.<br />

Vielleicht liegt’s daran, dass<br />

Andreas Gruber seine Bücher<br />

– aktuell „Racheherbst“ – im<br />

Paperback veröffentlicht. Er<br />

hetzt seine Leser und den Leipziger<br />

Kriminaldauerdienstler<br />

Walter Pulaski durch Deutschland,<br />

Prag und Wien, immer<br />

einen Schritt hinter Mikaela,<br />

einer verzweifelten Mutter, der<br />

eine Tochter ermordet, die andere<br />

entführt wurde. Bald wird<br />

klar, der Täter braucht frisches<br />

Blut … Andreas Hauser<br />

Andreas Gruber:<br />

Racheherbst<br />

Goldmann, 506 S., € 10,30<br />

CLEMENS J.<br />

SETZ<br />

Die STUNDE<br />

ZWISCHEN<br />

FRAU und<br />

GITARRE<br />

SUHRKAMP<br />

R O M A N<br />

32<br />

Wagner’sche.<br />

Die Bücher aus der Reihe „Gebrauchsanweisung“<br />

sind keine<br />

Reiseführer, sondern, wenn es<br />

gut läuft, großes Kino! „Neapel“<br />

ist so ein Fall. Maria Morese<br />

beschreibt Antikes Erbe und<br />

Gegenwartskunst, Kultur und<br />

organisiertes Verbrechen. Obwohl<br />

die Autorin die Schattenseiten<br />

der Stadt und der Region<br />

keineswegs ausspart, gelingt es<br />

ihr zu faszinieren. Die schmalen<br />

Gassen, Bars, die wahre Pizza,<br />

Pompeji und das Archäologische<br />

Museum. Apropos großes<br />

Kino: Luchino Visconti lebte<br />

im Sommer auf Ischia, heute ist<br />

in seiner Villa ein Filmmuseum<br />

untergebracht. Franz Haas<br />

Maria Carmen Morese:<br />

Gebrauchsanweisung für Neapel<br />

und die Amalfi-Küste<br />

Piper, 237 S., € 15,50<br />

Monique Schwitter will es<br />

genau wissen: Woher kommt<br />

die Liebe und vor allem, wohin<br />

geht die Liebe, wenn sie geht?<br />

In diesem Sinne schickt<br />

Schwitter ihre Protagonistin<br />

auf eine tour d’amour durch<br />

ihre Liebesvergangenheit.<br />

12 Verflossene gibt es, die<br />

(zufällig?!) die Namen der<br />

12 Apostel tragen. Schwitters<br />

Liebes- und Glaubensrecherche<br />

„Eins im Andern“ ist ein<br />

geistreich erzählter Roman,<br />

der mit Witz und Tiefgang<br />

die (liebenden) Herzen erobert.<br />

Gabriele Wild<br />

Monique Schwitter:<br />

Eins im Andern<br />

Droschl 2015, 232 S., € 19,00<br />

Bernhard Aichner hat es höchstpersönlich<br />

bei seiner Lesung in<br />

Telfs geschafft, mich neugierig<br />

zu machen auf Brünhilde Blum.<br />

Sie ist Bestatterin in Innsbruck,<br />

ebenso Ehefrau, Mutter und<br />

auch Mörderin – aber mögen<br />

muss man sie trotzdem. Von<br />

Anfang an liest sich das Buch<br />

in hohem Tempo, oft fühlt man<br />

sich fast atemlos. Wer oder was<br />

ist eigentlich gut oder böse?<br />

Blums sicheres, schönes Leben<br />

wird ihr von einer Sekunde auf<br />

die andere zerstört. Sie muss<br />

sich doch rächen, als sie die<br />

Wahrheit erkennt? „Totenhaus“<br />

ist unglaublich spannend, mitreißend<br />

und sehr ungewöhnlich.<br />

Nadja Fenneberg<br />

Bernhard Aichner:<br />

Totenhaus<br />

btv, 413 S., € 20,60<br />

Pip Tyler hat keine Ahnung,<br />

wer ihr Vater ist. Über Umwege<br />

gerät sie an einen geheimnisvollen<br />

Whistleblower und erhofft<br />

sich hilfreiche Informationen bei<br />

ihrer Vatersuche. Die Abgründe<br />

moderner Kommunikationstechnologien,<br />

der Kampf der<br />

Geschlechter und das alles umspannende<br />

Thema Schuld durchdringen<br />

diesen monumental<br />

angelegten Roman. Ein geistreiches<br />

neues Lesevergnügen des<br />

amerikanischen Bestsellerautors<br />

Jonathan Franzen. Markus Jäger<br />

Jonathan Franzen:<br />

Unschuld<br />

Rowohlt, 829 S., € 27,80<br />

Dieser Roman, der mit den<br />

Kindheitserinnerungen von<br />

Anton Winter, seinem Aufwachsen<br />

in einer paradiesischen Gartenkolonie<br />

und einer idyllischen<br />

Großfamilie beginnt, dreht sich<br />

schnell ins Gegenteil. Die bevorstehende<br />

Apokalypse bildet<br />

den Hintergrund für eine Liebesgeschichte,<br />

der die Gegenwart<br />

nichts verspricht und für die die<br />

Zukunft womöglich ein Traum<br />

bleiben wird. Auffällig ist die<br />

Sprache von Valerie Fritsch, ihre<br />

beeindruckenden Schilderungen<br />

einer harmonischen Kindheit<br />

ebenso wie die ausufernden<br />

Sequenzen des drohenden<br />

Untergangs. Gabi Unterberger<br />

Valerie Fritsch:<br />

Winters Garten<br />

Suhrkamp, 154 S., € 17,50<br />

Natalie (21, Synästhetin,<br />

DIY-Charakter) arbeitet als<br />

Bezugi in einem Betreuungsheim.<br />

Sie hat ein Faible für<br />

Worte, Geräusche und schwierige<br />

Beziehungen und taucht<br />

ein in die Geschichten ihrer<br />

Klienten. Z. B. Herr Dorm:<br />

Stalker, Schwuler, Rollstuhlfaher<br />

– einst Täter, nun Opfer<br />

von Herrn Hellberg. In über<br />

1000 Seiten breitet Clemens J.<br />

Setz in seinem neuen Roman<br />

Unerhörtes, Paranormales und<br />

ungemein Unterhaltsames auf<br />

seine magische Art aus. Fett!<br />

Markus Köhle<br />

Clemens J. Setz:<br />

Die Stunde zwischen Frau und Gitarre<br />

Suhrkamp, 1.021 S., € 30,80


Ein Entblößen der Vorvergangenheiten<br />

unter der Dichterinnenlupe<br />

nachgebürtiger Wissensstufen<br />

angesichts einer politischen<br />

Steinschlag-Gegenwart, um<br />

doch noch den hundeggerschen<br />

Hoffnungston in eine Herzenszukunft<br />

zu splittern. Dantes<br />

Fegefeuer reloaded. Im Vergänglichen<br />

heutig. Wie der sozialen<br />

Hölle entkommen zwischen<br />

Lampedusa und menschensperrigen<br />

Vertragsgeschicken, die Tod<br />

bedeuten? Zwischen Mann,<br />

Frau, Frau, Frau und Vers?<br />

Eine wundpoetische Absage<br />

an die Lügenhaft der Zeit(en).<br />

Grandios. José F.A. Oliver<br />

Barbara Hundegger:<br />

wie ein mensch der umdreht geht<br />

Dantes Läuterungen reloaded. Gedichte.<br />

Haymon-Verlag. 120 S., € 17,90<br />

Die junge Bäckerin Sage ver -<br />

liert bei einem Autounfall ihre<br />

Mutter. Entstellt durch eine<br />

Narbe lebt sie sehr zurückgezogen,<br />

bis sie in einer Trauerselbsthilfegruppe<br />

den 90-jährigen<br />

Josef kennenlernt, der eine<br />

schwere Last aus der Vergangenheit<br />

mit sich trägt. In diesem<br />

Buch geht es um die Judenverfolgung,<br />

Leben und Überleben,<br />

Schuld und Vergebung, und<br />

wo Sage die Grenzen ziehen<br />

kann. Eine Geschichte voller<br />

Kontraste, die hervorragend<br />

recheriert ist und sehr unter die<br />

Haut geht. Gabi Unterberger<br />

Jodi Picoult:<br />

Bis ans Ende der Geschichte<br />

C. Bertelsmann, 560 S., € 20,60<br />

Der neueste Wortwurf des<br />

Tiroler Autors und PoetrySlam-<br />

Pionier Markus Köhle. 52 Wolpertinger<br />

erörtert er in seiner<br />

unnachahmlichen Art, in der er<br />

den Buchstaben in die Kiemen<br />

schaut und die Doppeldeutigkeit<br />

der Sprache liebevoll entlarvt.<br />

Wir lernen durch den Zusatz oft<br />

nur eines Buchstabens die irrwitzigsten<br />

Tierverschmelzungen<br />

kennen: Wir lernen etwa, dass<br />

das Kiwiesel „einer der flinksten<br />

Rollobstnager überhaupt“ ist …<br />

Mit Zeichnungen von Sabine<br />

Freitag wird das Buch zum<br />

hochvergnüglichen, spielerischen<br />

Gesamtkunstwerk. –<br />

Eine Freude! Robert Renk<br />

Markus Köhle, Sabine Freitag:<br />

Kuhu, Löwels, Mangoldhamster<br />

Sonderzahl-Verlag, 140 S., € 18,00<br />

„Im ersten Stock wurde alemannisch<br />

gesprochen und im zweiten<br />

andalusisch. Wenn sich eine<br />

sternenklare Nacht abzeichnete<br />

und man den Mond am Himmel<br />

sah, hieß er im zweiten Stock<br />

‚la luna‘ und war weiblich.<br />

Betrachtete man ‚la luna‘<br />

vom ersten Stock aus, war sie<br />

plötzlich männlich und hieß ‚der<br />

Mond‘. Ein paar Treppenstufen<br />

genügten und aus der Frau wurde<br />

ein Mann – oder umgekehrt“,<br />

liest man im Eröffnungsessay.<br />

Ein paar Zeilen genügen, um<br />

zu wissen: Hier schreibt einer,<br />

der etwas zu sagen hat und das<br />

grandios tut, mit Zuneigung,<br />

Kritik und Stil! Robert Renk<br />

José Oliver:<br />

Fremdenzimmer, Essays<br />

Verlag Weissbooks, 130 S., € 17,50<br />

Richard David Precht schafft<br />

in der Philosophie, die Theorie<br />

mittels Geschichte ins Jetzt<br />

zu holen und die Aktualität von<br />

bis zu 3000 Jahre alten Gedankengängen<br />

gleichermaßen<br />

tiefgründig wie leicht lesbar zu<br />

vermitteln. Im ersten Teil seiner<br />

dreibändigen Geschichte der<br />

Philosophie beschreibt er die<br />

Entwicklung des abendländischen<br />

Denkens von der Antike<br />

bis zum Mittelalter. Dabei<br />

bettet er die Philosophie in die<br />

politischen, wirtschaftlichen und<br />

sozialen Fragen der jeweiligen<br />

Zeit ein. – Was bin ich und<br />

wenn doch, was les ich? Auf<br />

jeden Fall: Precht. Robert Renk<br />

Richard David Precht:<br />

Erkenne die Welt – Eine Geschichte<br />

der Philosophie, Band 1<br />

Goldmann Verlag, 576 S., € 23,70<br />

Colum McCann verknüpft<br />

drei reale historische Ereignisse,<br />

mit der fiktiven Geschichte<br />

dreier Generationen und 150<br />

Jahren irisch-amerikanischer<br />

Beziehungen. Die in den Hintergrund<br />

getretene Historie wird<br />

durch im Handlungsmittelpunkt<br />

stehende Frauen zum Leben<br />

erweckt. Der anfangs geradlinig<br />

erzählte Roman bekommt durch<br />

seine Vielschichtigkeit einen<br />

immer höheren Grad an Komplexität.<br />

In dieser technisch<br />

genialen literarischen Konstruktion<br />

kann man viel entdecken.<br />

Boris Schön<br />

Colum McCann:<br />

Transatlantik<br />

Rowohlt TB, 381 S., € 10,30<br />

Ein riesiges Autokino in der<br />

texanischen Einöde wird<br />

während der freitäglichen All-<br />

Night-Horror-Show durch einen<br />

Meteor von der Außenwelt<br />

abgeschnitten. Die anfängliche<br />

Verunsicherung der Kinobesucher<br />

weicht kontinuierlich<br />

Gewaltexzessen und Kannibalismus.<br />

Zwischen (Marlen)<br />

Haushofer’schem Gedankenexperiment<br />

und (Stephen)<br />

King’scher Perfidität entwickelt<br />

Lansdale einen humorigen,<br />

treibenden Roman, der allen<br />

Freunden der Abartigkeit große<br />

Lust bereiten wird. Boris Schön<br />

Joe R. Lansdale:<br />

Drive-In<br />

Heyne Hardcore, 736 S., € 15,50<br />

Im elften Band der Serie um<br />

den Woman’s Murder Club<br />

muss sich Lindsay Boxer gleich<br />

um 2 Fälle kümmern. Zum<br />

einen werden am Anwesen eines<br />

berühmten Schauspielers<br />

2 Totenschädel in einem<br />

Blumenarrangement gefunden.<br />

Gleichzeitig hat es die nun<br />

schwangere Lindsay mit einem<br />

Rächer zu tun, der Drogendealer<br />

hinrichtet. Das pikante daran:<br />

die Tatwaffen stammen aus<br />

der Asservatenkammer ...<br />

Diese Serie ist vielen auch<br />

durch die Verfilmung mit<br />

Angie Harmon bekannt und<br />

ist gewohnt spannender<br />

Thrillergenuß. Robert Renk<br />

James Patterson:<br />

Die 11. Stunde<br />

blanvalet Verlag, 380 S. € 9,30<br />

Auf gleich zwei neue Commissario-Montalbano-Bücher<br />

können sich Camillerileser<br />

freuen. In „Das Lächeln der<br />

Signorina“ treibt Montalbano<br />

einmal nicht die Wut, sondern<br />

die Liebe an. Auch dafür ist er<br />

nicht zu alt. Ganz jung hingegen<br />

lernen wir den Commissario in<br />

„Der ehrliche Dieb“ kennen. In<br />

acht raffinierten Geschichten<br />

begegnen wir Italiens erfolgreichstem<br />

Ermittler und dem<br />

Sizilien der 80er. Da möchte<br />

man gerne anstoßen, mit einem<br />

feinen Whiskey auf der Terasse<br />

in Vigàta. Markus Renk<br />

Andrea Camilleri:<br />

Der ehrliche Dieb<br />

Bastei Lübbe, 319 S., € 18,50<br />

Das Lächeln der Signorina<br />

Bastei Lübbe, 256 S., € 22,70<br />

Zurück an den Herd! Was<br />

unterscheidet uns von allen anderen<br />

Lebewesen? Wir kochen.<br />

Wir wurden, was wir sind,<br />

seit wir nicht mehr den Großteil<br />

der Energie fürs Verdauen von<br />

Rohem brauchten, sondern in<br />

die Gehirn-Entwicklung investieren<br />

konnten. Michael Pollan<br />

ist ein intellektueller Praktiker,<br />

ja, so etwas gibt’s, und genau<br />

so schreibt er: höchst gescheit<br />

und gebildet, zupackend, sinnlich.<br />

Da lodert die Begeisterung<br />

hell wie das Herdfeuer.<br />

„Kochen“ – sehr heisze Empfehlung!<br />

Irene Heisz<br />

Michael Pollan:<br />

Kochen. Eine Naturgeschichte<br />

der Transformation<br />

Verlag Antje Kunstmann,<br />

524 S., € 30,80<br />

Joe Coughlin, nach außen<br />

ehrbarer Bürger von Tampa,<br />

Florida, nach innen unersetzbarer<br />

Consigliere des organisierten<br />

Verbrechens, fürchtet um sein<br />

Leben – am Aschermittwoch des<br />

Jahres 1943 soll es ein Killer<br />

beenden. Coughlin begibt sich<br />

auf die Suche nach dem potenziellen<br />

Mörder und merkt zu<br />

spät, dass er bloß eine Figur auf<br />

einem Schachbrett der Intrige<br />

ist. Mit „Am Ende einer Welt“<br />

setzt Dennis Lehane seine lose<br />

Coughlin-Reihe fort und<br />

kreiert dabei ein fulminantes<br />

Kaleidoskop mörderischer<br />

Seelen … Andreas Hauser<br />

Dennis Lehane:<br />

Am Ende einer Welt<br />

Diogenes, 394 S., € 24,70<br />

Rachel sieht die Gärten einer<br />

Mittelstandsgesellschaft, sie<br />

kennt die Fassaden und träumt<br />

von der heilen Welt dazwischen,<br />

von der sie einmal Teil war. Jetzt<br />

leben Megan und Anna dort. Die<br />

Autorin Paula Hawkins erzählt<br />

aus der Sicht von drei Frauen<br />

eine Geschichte von Lügen, die<br />

sich hinter menschlichen und<br />

Backsteinfassaden auftun. Klar<br />

und ohne unnötige Umschweife<br />

nimmt sie LeserInnen auf eine<br />

Reise in die Tiefen menschlicher<br />

Psyche und bietet ver- und zerstörende<br />

Einblicke. Ein fesselnder<br />

Psychothriller. David Bullock<br />

Paula Hawkins:<br />

The Girl on the Train<br />

blanvalet, 448 S., € 13,40<br />

Der „Marathonmann der<br />

heimischen Literatur“ (profil)<br />

wird mit einer mehrbändigen<br />

Ausgabe seiner Rezensionen<br />

gewürdigt. Dieses Wahnsinnsprojekt<br />

des kleinen sisyphus-<br />

Verlages gehört mit einer<br />

Rezension gewürdigt. Helmuth<br />

Schönauer, eine Tiroler Instanz<br />

in Sachen Literatur, Bibliothekar<br />

und Schriftsteller rezensiert<br />

schneller als sein Schatten,<br />

und das schon seit 1982. Es<br />

sind so über 4000 Rezensionen<br />

entstanden. Knapp 1000 sind im<br />

ersten Band, verziert mit einem<br />

Vorwort von Franzobel, nun<br />

zu lesen. Robert Renk<br />

Helmuth Schönauer:<br />

Tagebuch eines Bibliothekars.<br />

Band I, 1982–1998<br />

Sisyphus, 870 S., € 49,90<br />

Dass die bekannte Schauspielerin<br />

sich auch in ziemlich<br />

abgefahrene Rollen hineinleben<br />

kann, beweist sie einmal mehr<br />

mit ihrem neuesten Thriller.<br />

Um Beobachten und Beobachtet-Werden<br />

dreht sich der neue<br />

Fall von Kommissarin Melanie<br />

Fallersleben. Eine Immobilienbesitzerin<br />

mit durchtrennter<br />

Kehle, eine gequälte Seele und<br />

verstörende Botschaften für die<br />

Frau Kommissar. Spannend.<br />

Markus Renk<br />

Andrea Sawatzki:<br />

Der Blick fremder Augen<br />

Droemer, 304 S., € 20,60<br />

Zwei neue Kochbücher aus<br />

dem GU Verlag halten,<br />

was ihre Titel versprechen:<br />

„Die am liebsten jeden Tag einfach<br />

lecker Veggie Küche“<br />

von Stevan Paul ist wirklich<br />

unkompliziert und kann herrlich<br />

mit Gegrilltem kombiniert werden<br />

(jeden Tag Veggie muss ja<br />

auch nicht sein). „Reise hunger“<br />

von Nicole Stich wiederum<br />

schickt den ambitionierten Koch<br />

auf eine kulinarische Weltreise.<br />

Sehr fein! Robert Renk<br />

Stevan Paul:<br />

Die am liebsten jeden Tag<br />

einfach lecker Veggie Küche<br />

GU, 192 S., € 20,60<br />

Nicole Stich:<br />

Reisehunger<br />

GU, 240 S., € 25,70<br />

Ein Buch, das mit einem Bob-<br />

Dylan-Zitat beginnt, kann nicht<br />

schlecht sein. Ein Buch allerdings,<br />

das Holland durch eine<br />

Flut fast verschwinden lässt, ist<br />

für einen persönlich an Holland<br />

Gebundenen schwer zu lesen.<br />

Die vertrackte Liebesgeschichte,<br />

gepaart mit dem dystopischen<br />

Szenario, das absolut nachvollziehbar<br />

daherkommt, machen<br />

diesen Roman der Holländerin<br />

Eva Moraal absolut lesenswert<br />

für Menschen ab 15 Jahren.<br />

Robert Renk<br />

Eva Moraal:<br />

Zwischen uns die Flut<br />

Oetinger, 511 S., € 15,50


Faul,<br />

fauler,<br />

am faulsten.<br />

7 Anleitungen<br />

zum Nichtstun:<br />

Hohl,<br />

höher,<br />

Alkohol.<br />

7 Shots zum<br />

Treibstoff Alkohol:<br />

Welt,<br />

Europa,<br />

Österreich.<br />

7 Tipps aus der<br />

Ö1-Bestenliste:<br />

3×7<br />

Best<br />

aber<br />

Seller:<br />

36<br />

Wagner’sche.<br />

1<br />

2<br />

Oblomow<br />

3<br />

Robert<br />

4<br />

Anleitung<br />

5<br />

Einfach<br />

6<br />

Buntspecht<br />

7<br />

Die<br />

Plädoyer des Müßiggangs<br />

Miguel de Unamuno<br />

Droschl € 11,90<br />

Iwan Gontscharow<br />

dtv € 15,40<br />

Walser für Müßiggänger<br />

Susanne Schaber (Hrsg.)<br />

Insel € 6,20<br />

zum Müßiggang<br />

Tom Hodgkinson<br />

Insel € 9,30<br />

liegen lassen<br />

John Perry<br />

Goldmann € 8,30<br />

Tom Robbins<br />

Rowohlt € 9,30<br />

schlafenden Schönen<br />

Yasunari Kawabata<br />

Suhrkamp € 7,20<br />

1<br />

2<br />

Das<br />

3<br />

Giraffen<br />

4<br />

Die<br />

5<br />

Schluckspecht<br />

6<br />

Panzerschokolade<br />

7<br />

Träumen<br />

Die Reise nach Petuschki<br />

Wenedikt Jerofejew<br />

Piper € 10,30<br />

verlorene Wochenende<br />

Charles Jackson<br />

Dörlemann € 25,60<br />

Anne Philippi<br />

Rogner & Bernhard € 19,95<br />

Legende vom heiligen Trinker<br />

Joseph Roth<br />

Diogenes € 6,10<br />

Peter Wawerzinek<br />

btb € 11,30<br />

Rachel Rep<br />

Milena € 18,90<br />

Karl Ove Knausgard<br />

Luchterhand € 25,70<br />

1<br />

2<br />

Der<br />

3<br />

Die<br />

4<br />

Postskriptum<br />

5<br />

Die<br />

6<br />

Gehen,<br />

7<br />

So<br />

CLEMENS J.<br />

SETZ<br />

Die STUNDE<br />

ZWISCHEN<br />

FRAU und<br />

GITARRE<br />

SUHRKAMP<br />

R O M A N<br />

Die Stunde zwischen<br />

Frau und Gitarre<br />

Clemens J. Setz<br />

(38 Punkte) Suhrkamp € 30,80<br />

Alltag der Welt<br />

Karl-Markus Gauß<br />

(25 Punkte) Zsolnay € 23,60<br />

Farbe des Granatapfels<br />

Anna Baar<br />

(19 Punkte) Wallstein € 20,50<br />

Alain Claude Sulzer<br />

(17 Punkte) Galiani € 20,60<br />

Nacht, als ich sie sah<br />

Drago Jančar<br />

(15 Punkte) Folio € 19,90<br />

ging, gegangen<br />

Jenny Erpenbeck<br />

(11 Punkte) Knaus € 20,60<br />

fängt das Schlimme an<br />

Javier Marías<br />

(8 Punkte) Fischer € 25,70


MINDFUCK.Job<br />

Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe<br />

Petra Bock gehört zu den bekanntesten Coaches<br />

in Deutschland. Auch mit ihrem jüngsten Buch gelang ihr<br />

ein internationalen Bestseller.<br />

Ein Gespräch mit Christine Edenstrasser.<br />

Buchtipp:<br />

Petra Bock:<br />

MINDFUCK.Job<br />

Knaur HC, 256 S., € 15,50<br />

Buchpräsentation:<br />

„MINDFUCK.Job“, Petra Bock<br />

Di., 24.11.2015, 19:30 Uhr<br />

Wagner’sche<br />

Universitätsbuchhandlung<br />

Ihre Bücher zu MINDFUCK<br />

sind Bestseller und wurden<br />

bereits in zahlreiche Sprachen der<br />

Welt übersetzt. Ihr neues Buch<br />

MINDFUCK.Job wurde nun schon<br />

vor dem Erscheinungstermin<br />

von managementbuch.de als<br />

„Trainerbuch des Jahres“<br />

ausgezeichnet. Wie erklären Sie<br />

sich diesen Erfolg?<br />

Ich denke, dass so gut wie jeder Mensch<br />

Gedanken kennt, mit denen wir uns selbst<br />

blockieren. Auch wenn wir es vielleicht<br />

nicht gerne zugeben, kennen wir alle diese<br />

innere Stimme, mit der wir uns kleiner<br />

halten als wir sind und die uns immer<br />

wieder davon abhält, das zu verwirklichen,<br />

was wir wirklich wollen und unsere ganzen<br />

PS auf die Straße zu bringen. „Das schaffst<br />

du doch eh nicht“ , „mehr ist einfach nicht<br />

drin“, „wer hat schon auf dich gewartet ...“.<br />

Es ist wie eine angezogene innere Handbremse.<br />

© Constanze Wild<br />

Was bringt es uns, wenn<br />

wir Selbstblockaden beenden?<br />

Es bringt eine vollkommen neue Dimension<br />

von Wirksamkeit und Lebensqualität<br />

in allen Lebensbereichen. Es ist das Lösen<br />

der inneren Handbremse. Wir werden –<br />

buchstäblich – erwachsen und sehen, was<br />

wirklich möglich ist. In jedem von uns<br />

steckt so viel mehr als wir glauben, solange<br />

wir noch mit MINDFUCK beschäftigt sind.<br />

In dieser Hinsicht liegen auch in Unternehmen,<br />

Wirtschaft und Gesellschaft noch<br />

viele Potenziale brach. Es ist nach immensem<br />

technischen Fortschritt höchste Zeit<br />

für einen echten menschlichen Fortschritt.<br />

Und der liegt genau da.<br />

Sie wurden bereits nach<br />

dem Erscheinen des ersten<br />

MINDFUCK-Bandes 2012 mit<br />

dem Coaching Award in der<br />

höchsten Kategorie ausgezeichnet.<br />

Was ist das Besondere an Ihrem<br />

Ansatz?<br />

Hinter dem provokanten Wort verbirgt<br />

sich eine neue, wissenschaftlich fundierte<br />

Theorie, ein neues Menschenbild und eine<br />

hochfunktionale Methode menschlicher<br />

Veränderung auf einer sehr tiefen Ebene. Sie<br />

erklärt zum ersten Mal, wie wir uns selbst<br />

stören und wie wir diese Störungen beenden<br />

und unser hinter den Blockaden liegendes<br />

tatsächliches Potenzial an Lebensqualität,<br />

Lern- und Wachstumsmöglichkeiten freilegen<br />

können. Die Ergebnisse sind bahnbrechend<br />

und revolutionieren das Coaching<br />

von einzelnen, Gruppen und Teams. Ich<br />

freue mich sehr über die Anerkennung, die<br />

der Ansatz international erfährt.<br />

38 39<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Dave Bullock, Gunners-Fan, ehem.<br />

Journalist (u.a. Echo), mittlerweile tätig<br />

im PR- und Kommunikationsbereich,<br />

lebt in Innbruck.<br />

Christine Edenstrasser, ist erfolgreiche<br />

Geschäftsfrau und Markenexpertin. Sie<br />

coacht und berät Privatklienten/innen &<br />

Unternehmer/innen in Wien, München und<br />

ihrem Anwesen nahe Wörgl in Tirol, die ihr<br />

volles berufliches und persönliches Potential<br />

entfalten wollen. Für mehr Informationen:<br />

www.autonomietraining.at<br />

Nadja Fenneberg, Bibliotheksleiterin in der<br />

Öffentl. Bücherei & Spielothek Telfs und<br />

(von der Familie geprüfte) Vorleserin aus<br />

und mit Leidenschaft; liest alles – zumindest<br />

einmal; immer auf der Suche nach dem<br />

Buch, das man nicht mehr weglegen kann;<br />

gehört zu den glücklichen Menschen, deren<br />

größtes Hobby gleichzeitig auch Beruf ist.<br />

Hubert Flattinger, Journalist, Zeichner<br />

und Autor mehrerer Bücher, darunter<br />

Kinder- und Jugendromane. Langjähriger<br />

Gestalter der Kinderseite („TeTe“) der<br />

Tiroler Tageszeitung. Zuletzt erschien<br />

beim Limbus Verlag „Der größte Fisch<br />

entwischt – Redaktionsgeschichten“. Brandneu:<br />

„Baboon“ bei Werner Eglis neu gegründetem<br />

Jugendbuchverlag ARAVAIPA.<br />

Gabriele Grießenböck ist Pressefoto grafin,<br />

freie Journalistin und gerade im Bereich<br />

der Kulturvermittlung seit Jahren<br />

in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit tätig.<br />

Susanne Gurschler, freie Journalistin<br />

und Autorin, lebt in Innsbruck.<br />

2016 erscheint im Kölner Emons Verlag<br />

ihr Buch „111 Orte in <strong>No</strong>rdtirol, die man<br />

gesehen haben muss“. Weitere Infos unter:<br />

www.susannegurschler.at<br />

Franz Haas mag Schifahren, Bergwandern,<br />

Inseln der Ägäis & die Gitarrensolos von<br />

David Gilmour. Einer seiner Lieblingsschriftsteller:<br />

Patrick Leigh Fermor.<br />

Er ist der Sport- und Reiseexperte der<br />

Wagner’schen.<br />

Andreas Hauser, Innsbrucker des Jahrgangs<br />

1969, erbte die Liebe zur Kriminalliteratur<br />

von seinem Vater, schrieb 15 Jahre<br />

lang im Tiroler Magazin ECHO – neben<br />

Beiträgen zur Wissenschaft und Zeitgeschichte<br />

– Empfehlungen von Krimis,<br />

Thrillern und guter Literatur. Seit 2015<br />

Mitarbeiter und CP-Redakteur der KULTIG<br />

Werbeagentur in Innsbruck.<br />

Irene Heisz, Journalistin, Moderatorin<br />

und eine chronisch neugierige Leserin und<br />

Köchin. Am liebsten kocht sie zusammen<br />

mit ihrem 14-jährigen Sohn.<br />

Markus Jäger ist Autor, Kabarettist<br />

und arbeitet als Bibliothekar in der Stadtbücherei<br />

Innsbruck.<br />

Vea Kaiser, geb. 1988 in Österreich,<br />

wurde 2012 mit ihren Debütroman Blasmusikpop<br />

oder Wie die Wissenschaft<br />

in die Berge kam, zum sympathischsten<br />

Shootingstar der Saison. Ihr zweiter Roman<br />

Makarionissi oder Die Insel der Seligen<br />

ist im Mai 2015 erschienen. Nach einer ausgedehnten<br />

Lesereise in über 100 Städte<br />

und 10 Länder wird sie nun einmal ihr Altgriechischstudium<br />

beenden.<br />

Gracia Kasenbacher-Harar, Choreografin<br />

und Tanzpädagogin, geboren in Utrecht,<br />

wohnt in Innsbruck und betreut seit neuestem<br />

die Schaufenster in der Wagner’schen.<br />

Markus Köhle ist Sprachinstallateur,<br />

Poetry Slammer und Literaturzeitschriftenaktivist.<br />

Im 20er schreibt er die „Briefe aus<br />

Wien“. In Summe schreibt er, um gehört<br />

zu werden. www.autohr.at<br />

Lydia Mischkulnig, geboren 1963<br />

in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien.<br />

Mehrfach ausgezeichnet. Bei Haymon<br />

erschienen: „Hollywood im Winter“. Roman<br />

(1996), „Macht euch keine Sorgen“. Neun<br />

Heimsuchungen (2009), „Schwestern der<br />

Angst“. Roman (2010) und zuletzt „Vom<br />

Gebrauch der Wünsche“. Roman (2014).<br />

www.lydiamischkulnig.net<br />

José F.A. Oliver, Dichter, Übersetzer und<br />

Kurator des Hausacher LeseLenz. Hielt in<br />

der Wagner’schen dieser Tage einen Workshop<br />

für Jugendliche zum Lyrischen Schreiben<br />

ab, was er nicht zum ersten Mal tat!<br />

Joe Rabl, geboren in Kufstein; Studium<br />

der Komparatistik und Germanistik in Innsbruck;<br />

war in diversen Verlagen beschäftigt;<br />

arbeitet als freier Lektor; veranstaltet zusammen<br />

mit Birgit Holzner die Innsbrucker<br />

Wochenendgespräche.<br />

Markus Renk, seit 30 Jahren in der Buchbranche,<br />

begann 1985 als Buchhändlerlehrling<br />

und war annähernd 10 Jahre in der<br />

Geschäftsführung der Verlagsanstalt Tyrolia.<br />

Außerdem ist er Fachgruppen-Obmann der<br />

Buch- und Medienwirtschaft Tirol und seit<br />

Oktober 2015 neuer Chef der Wagner’schen.<br />

Robert Renk, Buchhändler und Kulturveranstalter.<br />

Seit 1. Oktober Sortimentsleiter<br />

in der Wagner’schen. Zuletzt erschien<br />

„Stilistische Instanzen. Zu Karl-Markus<br />

Gauß und Alois Hotschnig“ in Text + Kritik<br />

Sonderband Österreich IX/15.<br />

Anna Rottensteiner, 1962 in Bozen geboren.<br />

Nach dem Studium der Germanistik<br />

und Slawistik Tätigkeit als Buchhändlerin<br />

und Lektorin, seit 2003 Leiterin des Literaturhauses<br />

am Inn. Schriftstellerische Tätigkeit<br />

seit 2009. Publikationen: Lithops. Lebende<br />

Steine. Roman (edtion laurin 2013).<br />

Im Frühjahr erscheint der neue Roman „Nur<br />

ein Wimpernschlag“ (edition laurin).<br />

Hans Ruprecht leitet seit 2005 das<br />

Internationale Literaturfestival Leukerbad,<br />

seit 2006 das Berner Literaturfestival.<br />

2011 begann er mit dem Projekt<br />

„Absolut Zentral“ und vor ein paar Tagen<br />

(29.9. – 5.10.2015) hat er (gem. mit Ulrich<br />

Schreiber) äußerst erfolgreich das 1. Internationale<br />

Literaturfestival ODESSA<br />

beendet. www.sprachform.ch<br />

Boris Schön, geboren 1983, Germanist<br />

und Buchhändler. Geht zu Fuß in die<br />

Wagner’sche ohne i und arbeitet dort seit<br />

2013.<br />

Gerlinde Tamerl ist Pressesprecherin<br />

des Haymon Verlages.<br />

Gabi Unterberger, teilzeitbeschäftigte<br />

Reisebüroangestellte und ehrenamtliche<br />

Bibliothekarin vom Lande mit umfassendem<br />

Hausbestand und Hausverstand.<br />

Gabriele Wild, geboren 1982, Studium<br />

der Germanistik und Slawistik, Literaturvermittlerin<br />

und -veranstalterin, verschiedene<br />

Arbeiten zur Gegenwartsliteratur,<br />

seit 2009 im Literaturhaus am Inn für<br />

Programm-Gestaltung zuständig.<br />

Dorothea Zanon, geboren 1980, Studium<br />

der Literaturwissenschaft in Innsbruck und<br />

Wien. War beim ORF, im Literaturarchiv<br />

der Österreichischen Nationalbibliothek<br />

und im Innsbrucker Brenner-Archiv tätig.<br />

Seit 2008 Lektorin im Haymon Verlag.


Buchkultur ist zeitlos<br />

Der Grafikdesigner Kurt Höretzeder hat das<br />

Erscheinungsbild der neuen alten Wagner’schen gestaltet.<br />

Ein Herzensprojekt, bei dem die Typografie die Hauptrolle<br />

spielt. Ein Gespräch mit Susanne Gurschler.<br />

© Thomas Schrott<br />

Typografie ist<br />

das zentrale Element<br />

in der visuellen<br />

Kommunikation<br />

der Wagner’schen.<br />

Wir vertrauen ganz<br />

auf die Wirkung<br />

gestalteter Schrift.<br />

Kurt Höretzeder<br />

40<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Du hast hat das Corporate<br />

Design für die Wagner’sche<br />

gestaltet. Wie hat sich die Idee<br />

entwickelt?<br />

Zunächst ging es darum, eine visuelle<br />

Codierung für die Buchhandlung zu finden.<br />

Die anderen Buchhandlungen der Innenstadt<br />

sind rot, schwarz oder ockergelb. Es war<br />

also naheliegend, das bekannte Wagner’sche<br />

Blau als Grundfarbe zu behalten. Die nächste<br />

Frage war: Welche anderen Elemente aus<br />

dem bisherigen Erscheinungsbild können<br />

beibehalten werden, welche nicht? Die<br />

Wagner’sche ist die älteste Buchhandlung<br />

Innsbrucks. Indem man bestimmte Elemente<br />

aus der Zeit vor dem Thalia-Intermezzo<br />

wiederverwendet, knüpft man an diese<br />

Geschichte an. Es gab einige ältere modernistische<br />

Schriftzüge, die heute nicht<br />

mehr adäquat wären. Also haben wir sie<br />

nicht weiter verfolgt. Allerdings kam in den<br />

1990er-Jahren eine Eule dazu. Ein schönes<br />

Zeichen für Bücher. Diese Eule war grafisch<br />

wunderbar umgesetzt, wir haben sie ohne<br />

Änderung beibehalten – als „sekundäres“<br />

visuelles Element.<br />

41<br />

Besonderes Augenmerk liegt<br />

auf der Typografie. Warum?<br />

Buchkultur ist untrennbar mit Schrift<br />

verbunden. Die Typografie ist also zentrales<br />

Element in der visuellen Kommunikation<br />

der Wagner’schen. Wir vertrauen auf die<br />

Wirkung der Schrift – auch im Magazin. Bei<br />

den Headlines haben wir uns für eine ganz<br />

und gar klassische Schrift entschieden, die<br />

Superior – auch wenn diese Schrift eigentlich<br />

ganz neu auf dem Markt ist, eine Arbeit<br />

des aus den USA stammenden Typedesigners<br />

Jeremy Mickel. Die Superior ist eine<br />

typische Barockantiqua, auf uns wirkt sie<br />

heute zeitlos und elegant. Sie ist eine selbstbewusste<br />

und trotzdem sympathisch „kleinlaute“<br />

Manifestation der Schriftkultur, und<br />

genau das wollten wir. So sind der Schriftzug<br />

Wagner’sche mit dem Auslassungszeichen<br />

für das „i“ und der Zusatz „Bücher seit<br />

1639“ sowie die visuell prägende Headlinetypografie<br />

entstanden.<br />

Neben dem bekannten<br />

Wagner’schen Blau spielt Weiß<br />

eine zentrale Rolle im neuen<br />

Erscheinungsbild.<br />

Weiß steht gleichbedeutend neben Blau.<br />

Ich bin hier vom Buchentwurf ausgegangen.<br />

Da dreht sich alles um Typografie und<br />

um weiße, also unbedruckte Flächen – mit<br />

einem Fachbegriff nennt man diese „Weißraum“.<br />

Bei einem Buch wäre der Umschlag<br />

– abstrakt gedacht – das Blau, das Innere<br />

weiß mit den typografischen Elementen.<br />

Um den Aspekt des Neuen zu verdeutlichen,<br />

sind dem Weiß und dem Blau kräftige,<br />

frische Farben zur Seite gestellt. Die stehen<br />

unschwer erkennbar für das Neue an der<br />

Wagner’schen. Der Claim für die Neueröffnung<br />

der Wagner’schen lautet „Alt aber<br />

neu“. Das Schöne an der Sprache ist ja, dass<br />

man Widersprüche formulieren kann und<br />

dabei trotzdem ein sinnvoller Satz entsteht.<br />

Du entwirfst seit vielen Jahren<br />

Bücher, bist Buchliebhaber.<br />

Was verbindet dich mit der<br />

Wagner’schen?<br />

Die Wagner’sche war lange „meine“ Buchhandlung,<br />

während des Studiums und auch<br />

danach. Kein Stadtspaziergang, an dem ich<br />

nicht hineingegangen bin. In den letzten<br />

Jahren waren meine Besuche seltener,<br />

wobei mir die Abteilung für Grafikdesign<br />

– die immer gut bestückt war – trotzdem oft<br />

einen Besuch Wert war. Nun wird sie wieder<br />

die Buchhandlung, die ich und viele andere<br />

gekannt haben, mit einem guten Sortiment,<br />

wo Menschen genussvoll stöbern und<br />

Bücher entdecken können. Überleben tut<br />

heute eben nicht Billigware, sondern die<br />

hochwertige Buchhandlung, die Bücher<br />

in Szene setzt. Und natürlich freue ich mich<br />

auch auf Ninas Meierei.<br />

Das klingt nach einem<br />

Herzensprojekt.<br />

Ja, das ist es. Seit Jahren setze ich mich als<br />

Grafiker und im Rahmen des Designforums<br />

„WEI SRAUM“ dafür ein, das Thema<br />

Typografie und Buchgestaltung in die<br />

Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb war klar,<br />

dass ich die Wagner’sche bei diesem Projekt<br />

unterstützen würde. Wenn eine Buchhandlung<br />

so lange besteht wie die Wagner’sche,<br />

dann ist das ein kulturelles Kapital und ein<br />

Zeichen: Buchkultur ist zeitlos. Da engagiert<br />

man sich gerne.<br />

Wie würdest du generell<br />

deinen Zugang zur grafischen<br />

Gestaltung beschreiben?<br />

Grafikdesign ist etwas Eigenständiges,<br />

es kann Kunst sein, muss aber nicht. Eine<br />

klare, schlichte Formensprache, die mit<br />

den Mitteln des Grafischen und ohne viel<br />

Tamtam das Wesentliche trifft, das finde ich<br />

schön. Und natürlich auch das Spiel mit der<br />

Sprache. Bilder interessieren mich dagegen<br />

eher weniger, sie machen mich müde. Wir<br />

haben übrigens noch einige schöne Ideen für<br />

die Wagner’sche für die kommende Zeit …<br />

es bleibt spannend.<br />

Kurt Höretzeder, Grafiker, Typograf, Gestalter.<br />

Studium der Philosophie, Politik und Geschichte an der<br />

Universität Innsbruck; Mitinitiator mehrerer Kulturprojekte<br />

(u. a. Kulturzeitschriften „Trümmer“ und<br />

„Feldforschung Tirol“, Theater Pandora); 1996 Mitbegründer<br />

von „Circus. Büro für Kommunikation und<br />

Gestaltung“, Artdirection und Leitung Grafik; 2002<br />

Gründung des eigenen Büros „höretzeder grafische<br />

gestaltung“ in Scheffau; verschiedene Lehraufträge<br />

und Lehrtätigkeiten; Initiator und Vorsitzender von<br />

„WEI SRAUM. Forum für visuelle Gestaltung<br />

Innsbruck“.<br />

Buchtipp:<br />

Anita Kern,<br />

Kurt Höretzeder (Hrsg.):<br />

Ikonen und Eintagsfliegen<br />

Arthur Zelger und das<br />

Grafik-Design in Tirol<br />

Haymon Verlag, 464 S., € 39,90


„Mit der Neuübernahme<br />

der Innsbrucker Traditionsbuchhandlung<br />

Wagner’sche<br />

durch Markus Renk und<br />

Markus Hatzer wird die<br />

Vielfalt der Buchhandlungen<br />

vor Ort massiv gestärkt<br />

und dadurch eine Monopolisierung<br />

verhindert.<br />

Heimische Buchhändlerinnen<br />

und Buchhändler gilt es<br />

verstärkt zu unterstützen und<br />

auch zu fördern.“<br />

Alberta Krabacher-<br />

Kuprian<br />

Leiterin der AK Bibliothek<br />

„Die jahrhundertelange<br />

Tradition der Wagner’schen<br />

Buchhandlung spiegelt die<br />

Geschichte des Buchdrucks<br />

und des Buchhandels auf<br />

einzigartige Weise, und sie ist<br />

Ausdruck dafür, dass das<br />

gedruckte Buch alle erdenklichen<br />

Krisen überdauert hat<br />

und auch in Zukunft überdauern<br />

wird. Das ist nicht<br />

zuletzt den inhabergeführten<br />

Buchhandlungen zu verdanken,<br />

die mit kompetenter<br />

Beratung ebenso wie mit<br />

inspirierenden Veranstaltungen<br />

Leserinnen und Leser für<br />

unsere Bücher finden. Wir<br />

gratulieren der Wagner’schen<br />

Buchhandlung zur Wiederund<br />

Neueröffnung!“<br />

Jonathan Landgrebe<br />

Verlagsleitung Suhrkamp / Insel<br />

„Markus Renk und die<br />

Wagner’sche. Eine spannende<br />

Mischung aus Innovation<br />

und Tradition.“<br />

Hannes Steiner<br />

Ecowin Verlag<br />

„Bücher verknüpfen das<br />

eigene Leben mit anderen<br />

Lebensfäden und -welten; sie<br />

geben einem die Zeit, die sie<br />

einem während des Lesens<br />

gestohlen haben, vervielfacht<br />

zurück. Bücher sind ein großes<br />

Glück, Buchhandlungen<br />

willkommene Glücksmultiplikatoren!<br />

– Alles Gute für<br />

Euren Neustart!“<br />

Sabine Gruber<br />

Schriftstellerin, Wien<br />

„Ein großes großes Dankeschön<br />

für die Lebenserhaltung<br />

der Wagner’schen, somit<br />

des stationären Buchhandels<br />

und der greifbaren, riechbaren,<br />

fühlbaren Liebe zum<br />

Buch. Wir könnten alle<br />

einpacken, wenn es Euren<br />

Mut und Willen nicht gäbe.<br />

Von Herzen alles Gute und<br />

einen fulminanten Neustart!“<br />

Thomas Raab<br />

Schriftsteller, Wien<br />

„Buchhandlungen sind<br />

Tauchstationen, Verschwindenszitatellen<br />

vor den Kruditäten<br />

der Banalität, sie sind<br />

Verschwörungsnester, in<br />

welchen der Aufstand gegen<br />

Unwissen heit und Barbarei<br />

seinen Anfang nehmen kann.<br />

Sie können einen beträchtlichen<br />

Unterhaltungswert<br />

entwickeln, wenn zwei Brüder<br />

in ihnen drinnenstehen.<br />

Salve der Wagner’ schen<br />

Universirenkbuchhandlung,<br />

die ab dem farbenfrohen<br />

Oktober von Viva trufen<br />

einbegleitet werden wird.“<br />

Robert Schindel<br />

Schriftsteller, Wien<br />

„Die Wagner’sche<br />

war mir schon als<br />

Kind ein Begriff,<br />

einerseits wegen des<br />

auffälligen Namens<br />

mit dem Apostroph<br />

(sic!), andrerseits weil<br />

unsre Familie ganz<br />

in der Nähe ein Geschäft<br />

hatte und mit<br />

Eckhart Hittmayr,<br />

einem der damaligen<br />

Miteigentümer, eng<br />

befreundet war. Als<br />

ich kritisch zu lesen<br />

begann, Anfang der<br />

1970er Jahre, war die<br />

Wagner’sche ein Hort<br />

der Liberalität und<br />

Moderne im damals<br />

noch konservativen<br />

Innsbruck und Treffpunkt<br />

der Intellektuellen<br />

und Künstler.<br />

Als die Eingliederung<br />

in einen Konzern und<br />

die damit verbundene<br />

Verflachung des<br />

Angebots erfolgte,<br />

war es, wie wenn ein<br />

Stück Innsbruck verloren<br />

gegangen wäre.<br />

Umso mehr freut es<br />

mich, dass sich mit<br />

Markus Hatzer<br />

und Markus Renk<br />

zwei Innsbrucker<br />

Unternehmer und<br />

Fachleute den Mut<br />

gefasst haben, diese<br />

Institution neu zu<br />

beleben und damit<br />

zur Entwicklung der<br />

urbanen Qualität<br />

unserer Stadt<br />

beitragen.“<br />

Karl Gostner<br />

Obmann Innsbruck Tourismus<br />

42 43<br />

Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

„Vor genau zwanzig Jahren,<br />

am 25. September 1995,<br />

kam ich nach Innsbruck,<br />

um hier Germanistik und<br />

Geschichte zu studieren.<br />

Mein Vater ließ mich vor dem<br />

Studentenheim in Kranebitten<br />

aussteigen, er selbst<br />

musste gleich geschäftlich<br />

weiter nach München. Da<br />

war ich nun in der Stadt der<br />

Berge, eine Woche zu früh,<br />

die Vorlesungen sollten erst<br />

am 2. Oktober beginnen.<br />

Ich kannte niemanden und<br />

musste mir schnell eingestehen,<br />

dass ich mich einsam<br />

fühlte. Beim Bummeln durch<br />

die Altstadt entdeckte ich<br />

die Wagner’sche und betrat<br />

sie, ich stöberte mehr als<br />

eine Stunde lang herum und<br />

fühlte mich in dieser großen<br />

Altbaubuchhandlung, inmitten<br />

der Bücher, sehr wohl.<br />

Das Gefühl der Einsamkeit<br />

war verschwunden und mit<br />

Nabokovs Lolita und Boyles<br />

Willkommen in Wellville,<br />

beide zählen heute immer<br />

noch zu meinen Lieblingsbüchern,<br />

verließ ich die<br />

Buchhandlung. Es war<br />

sehr warm und sonnig, ich<br />

setzte mich an den Inn und<br />

begann zu lesen. Mit der<br />

Wagner’schen verbinde<br />

ich meine Anfangszeit als<br />

Studentin in meiner<br />

neuen Heimat.“<br />

Judith Taschler<br />

Schriftstellerin, Innsbruck<br />

„Jeder Mensch ist ein<br />

Buch, das ge lesen sein<br />

will. Wir lesen und<br />

erkennen uns in den<br />

Geschichten der anderen,<br />

die wir sind, die wir<br />

auch sind. Jedes Buch ist<br />

ein Ort, ist ein Weg zu<br />

den anderen und zu uns<br />

selbst. Der Ort, an dem<br />

wir lesen, sind die anderen.<br />

Der Ort, an dem wir<br />

lesen, sind wir selbst. Und<br />

die Wagner’sche ist so ein<br />

Ort, so ein Lese-Ort, an<br />

dem die Bücher einander<br />

als die Menschen begegnen,<br />

aus denen sie kamen,<br />

leibhaftig, und lesen und<br />

hören und sehen und<br />

ineinander aufgehen in<br />

allen Sprachen und damit<br />

in der Sprache, die jeder<br />

versteht.<br />

Und sollte – aus den<br />

entferntesten intergalaktischen<br />

Tiefen heraus<br />

– nach literarischen<br />

Lebensformen Ausschau<br />

gehalten werden, es<br />

könnte ja sein, so möge<br />

die Wagner’sche als<br />

literarisches Quellgebiet<br />

ersten Ranges ausgemacht<br />

werden können.<br />

Das wünsche ich Euch<br />

und uns allen – und<br />

den vielleicht noch zu<br />

entdeckenden Freunden<br />

dort draußen in den<br />

literaturfernen Weiten.“<br />

Alois Hotschnig<br />

Schriftsteller, Innsbruck<br />

„Reisefertig! Alles an Bord:<br />

Urteilskraft, Standfestigkeit,<br />

Mut und Zuversicht.<br />

Dann kann’s ja losgehen, Ihr<br />

Wagner’schen. Was Ihr jetzt<br />

noch braucht, wünsche ich<br />

Euch im Überfluss: Glück,<br />

Glück, Glück und günstige<br />

Winde fur die große Fahrt!“<br />

Monique Schwitter<br />

Schriftstellerin und Schauspielerin, Hamburg<br />

„ ,Natürlich kann das Papierbuch<br />

verdrängt werden, wenn<br />

die Dummheit überhandnimmt.‘<br />

(Friedrich Forssman)<br />

– Nach einem längeren<br />

Ausflug in den Handel mit<br />

Plüschbären, Gartenzubehör<br />

und Nippes aller Art ist<br />

unsere alt-ehrwürdige<br />

Wagnerische unter neuer<br />

Führung zu ihrer Kernkompetenz,<br />

dem Handel mit<br />

Büchern, zurück gekehrt. Bei<br />

diesem wünschen wir ihr und<br />

uns viel Glück und Erfolg!“<br />

Stefanie Holzer<br />

& Walter Klier<br />

Schriftstellerin & Schriftsteller, Innsbruck<br />

„ ,Und vielleicht gehört es<br />

überhaupt zum Genuß des<br />

Lesens , daß der Leser vor<br />

allem den Reichtum seiner<br />

eignen Gedanken entdeckt.‘<br />

(Max Frisch) – Das Brenner-<br />

Archiv wünscht in diesem<br />

Sinne viele glück liche,<br />

reich beschenkte Leserinnen<br />

und Leser!“<br />

Ulrike Tanzer<br />

Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Innsbruck


Wagner’sche.<br />

Bücher seit 1639<br />

Museumstraße 4<br />

6020 Innsbruck<br />

T. +43 512 59505 0<br />

info@wagnersche.at<br />

www.wagnersche.at

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