Wagnereinmalig No. 1
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Wagner’sche. Das Buchmagazin Bücher der Wagner’schen seit 1639 Universitätsbuchhandlung — 10.2015<br />
Wagner<br />
eı˙nmalı˙g<br />
#<strong>No</strong>.1
Impressum<br />
Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich:<br />
Wagner’sche Universitätsbuchhandlung, Medici Buchhandels GmbH,,<br />
Museumstraße 4, 6020 Innsbruck<br />
info@wagnersche.at — www.wagnersche.at<br />
Redaktion: Robert Renk<br />
© der Textbeiträge bei den Autorinnen und Autoren<br />
Grafische Ausstattung: hœretzeder grafische gestaltung, Scheffau / Tirol<br />
Fotografie (so nicht anders angegeben): Thomas Schrott<br />
© der Abbildungen bei den jeweiligen Rechteinhabern<br />
„Schaufensterpuppe im Papierkleid“ (Titel) von Gracia Kasenbacher-Harar<br />
Druck: Alpina Druck, Innsbruck<br />
Fehler, Änderungen und Irrtümer vorbehalten.<br />
2<br />
© 10.2015 – alle Rechte vorbehalten<br />
Bücher seit 1639<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Fast auf den Tag genau<br />
vor 376 Jahren konnte<br />
sich Michael Wagner<br />
seinen Traum erfüllen, am<br />
13. Oktober 1639 hielt er den<br />
Freibrief von der Tiroler<br />
Landesfürstin Claudia<br />
von Medici in den Händen.<br />
Die Wagner’sche, seit<br />
376 Jahren Stätte der<br />
Buch druckerkunst und des<br />
Buchhandels in Innsbruck,<br />
war geboren! – Auch für uns<br />
geht ein großer Traum in<br />
Erfüllung, mit der Möglichkeit,<br />
die älteste Buchhandlung<br />
Tirols in eine neue Zukunft<br />
zu führen. Die Wagner’sche<br />
soll wieder Wagner’sche<br />
werden und weit über die<br />
Grenzen Tirols hinaus Lust<br />
aufs Lesen verbreiten.<br />
Begleiten Sie uns auf diesem<br />
spannenden Weg und freuen<br />
Sie sich auf die neue<br />
Wagner’sche.<br />
Markus Renk (re.), Markus Hatzer<br />
Inhalt<br />
5 Was war, was wird<br />
8 Das Buch im Mittelpunkt<br />
Markus Renk im Gespräch mit Gabriele Grießenböck<br />
10 Bücher sind meine Welt<br />
Markus Hatzer im Gespräch mit Gerlinde Tamerl<br />
12 Alt aber Neueröffnung<br />
Ein Fest mit vielen Überraschungen am 22./23./24. Oktober<br />
14 1639. Die Meierei<br />
Nina Rettenbacher im Gespräch mit Robert Renk<br />
18 Christoph W. Bauer<br />
im Gespräch mit Anna Rottensteiner und Gabriele Wild<br />
20 Michael Köhlmeier<br />
im Gespräch mit Dorothea Zanon<br />
22 Karl-Markus Gauß<br />
im Gespräch mit Robert Renk<br />
24 Fiktion oder nicht?<br />
Das neue Buch von Raoul Schrott<br />
25 Zwischen Satire und Front<br />
Die Ukrainischen Autoren Andrej Kurkow und Serhij Zhadan<br />
26 Showdown und meine Lust<br />
Lydia Mischkulnig über Ilija Trojanows Roman Macht und Widerstand<br />
28 Wir Wagnerianer<br />
30 Cover sei Dank.<br />
Ein Essay von Vea Kaiser<br />
32 Mit den besten Empfehlungen<br />
36 3×7 Best aber Seller<br />
38 MINDFUCK.Job<br />
Die Coachin Petra Bock im Gespräch mit Christine Edenstrasser<br />
39 Autorinnen & Autoren<br />
40 Buchkultur ist zeitlos<br />
Der Grafikdesigner Kurt Höretzeder im Gespräch mit Susanne Gurschler
© Thomas Schrott<br />
Aus kaum<br />
einem Leben<br />
sind Bücher<br />
wegzudenken.<br />
Christine Oppitz-Plörer<br />
4 Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Sehr geehrte<br />
LiteraturliebhaberInnen,<br />
mit der Erfindung des Buchdrucks<br />
in Europa durch den Goldschmied<br />
Johannes Gutenberg wurde uns eine<br />
komplett neue Türe geöffnet: Durch<br />
Literatur und Bücher haben wir die<br />
Möglichkeit, in eine unglaublich breite<br />
Vielfalt an unterschiedlichen Welten<br />
einzutauchen, ohne das Haus zu verlassen.<br />
Texte und Bücher lassen uns in<br />
die Vergangenheit und in die Zukunft,<br />
in ferne Länder und an ausgedachte<br />
Orte reisen. Wir können mit Figuren<br />
mitleben und -fühlen und gleichzeitig<br />
haben wir den Zugang zu einer schier<br />
unendlichen Menge an Wissen und<br />
Informationen bekommen. Aus kaum<br />
einem Leben sind Bücher wegzudenken:<br />
Sei es die „Gute-Nacht-Geschichte“<br />
am Abend, das Schul- oder<br />
Lehrbuch, der Roman, der Thriller<br />
oder einfach nur das Telefonbuch.<br />
Technische Entwicklungen wie<br />
das Internet und E-Book-Reader<br />
haben einiges verändert: Infos werden<br />
„gegoogelt“ und weniger oft nachgeschlagen.<br />
Ein Buch wird oftmals<br />
„downgeloaded“ und nicht mehr in<br />
der Buchhandlung gekauft. Man hat<br />
sich an neue Rahmenbedingungen<br />
und Gegebenheiten angepasst und<br />
sich darauf eingestellt. Das beweist<br />
die Tatsache, dass die Verwendung<br />
eines E-Books nicht dazu führt, dass<br />
die Buchhandlungen leer sind. Viele<br />
KundInnen kommen genau deshalb:<br />
Service und Hilfestellung in inspirierender<br />
Umgebung sind das beste<br />
Rezept.<br />
Die „Wagner’sche“ steht in<br />
Innsbruck für Tradition. Seit 1639 hilft<br />
sie den LeserInnen mittels Bücher<br />
auf Reisen zu gehen und Abenteuer<br />
zu erleben. Mit der Übernahme durch<br />
Markus Renk ist die Traditionsbuchhandlung<br />
wieder in Tiroler Hand. Zur<br />
Eröffnung wünsche ich alles Gute!<br />
Christine Oppitz-Plörer<br />
Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck<br />
5<br />
Was war, was wird<br />
Die Buchkultur in Innsbruck und<br />
die Wagner’sche haben viel miteinander<br />
zu tun. Und das seit 1639.<br />
Der portugiesische Dichter Fernando<br />
Pessoa hat einmal den schönen Satz geprägt:<br />
„Lesen heißt durch fremde Hand träumen“.<br />
Ganz nach diesem Motto soll die neue<br />
Wagner’sche unsere Kundinnen und Kunden<br />
in Zukunft aus dem Alltag reißen und<br />
ihnen das Abenteuer Lesen noch reizvoller<br />
gestalten. Alt aber neu, steht seit Tagen auf<br />
unseren Plakaten, und dieser Werbeclaim<br />
sagt genau aus, was wir unseren Kunden<br />
vermitteln wollen!<br />
Ein Haus mit Geschichte …<br />
Die Wagner’sche ist ein Haus mit einer<br />
376-jährigen Buchtradition, welches viele<br />
Generationen in Innsbruck, in Tirol und<br />
über dessen Grenzen hinaus mit wunderbaren<br />
Büchern erfreuen konnte. Ein Haus<br />
mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber<br />
vor allem mit Besitzern, welches Innsbruck<br />
mitgeprägt haben, ob als Bürgermeister,<br />
Stadtrichter, Wirtschafts kammerpräsidenten,<br />
Förderern oder Mäzenen. Ein Haus mit einer<br />
beachtlichen Geschichte:<br />
1667 Michael Wagner übernimmt den<br />
zweiten Druckereibetrieb in Innsbruck<br />
und wird Hofbuchdrucker<br />
in Innsbruck. Mit der Übernahme<br />
dieses Unternehmens, der ersten<br />
„Staatsdruckerei“ der Welt, reicht<br />
die Geschichte der Firma bis ins<br />
Jahr 1548. So gesehen ist die<br />
Wagner’sche die älteste Buchhandlung<br />
Österreichs.<br />
1723 Michael Wagners Enkel Michael<br />
Anton Wagner wird der Titel eines<br />
Universitätsbuchdruckers verliehen.<br />
1802 Mit dem Tod von Michael Alois<br />
Wagner endet eine Ära im Unternehmen<br />
der Wagner’schen; Wagners<br />
Schwager Casimir Schumacher, um<br />
1809 unter Andreas Hofer Bürgermeister<br />
von Innsbruck, übernimmt<br />
den Betrieb.<br />
1830 Casimir Schumachers Sohn Johann<br />
errichtet nach einer Schriftgießerei<br />
und einer Lithographie-Anstalt die<br />
erste Schnellpresse in Österreich;<br />
das Unter nehmen erlebt eine Phase<br />
der Expansion.<br />
1875 Die Wagner’sche Buchhandlung<br />
übersiedelt aus der Altstadt an ihren<br />
heutigen Standort in der Museumstraße.<br />
1889 Nach einem verheerenden Brand<br />
der Druckerei eröffnet das Unternehmen<br />
ein neues Geschäftslokal<br />
in der Erlerstraße.<br />
1916 Eckart Schumacher verkauft den<br />
Universitätsverlag Wagner und die<br />
Druckerei, nur noch die Buchhandlung<br />
in der Museumstraße verbleibt<br />
im Familienbesitz.<br />
1945 Durch die Bombardierung Innsbrucks<br />
wird das Unternehmen<br />
schwer getroffen, die Druckerei und<br />
das Verlagsarchiv werden teilweise<br />
vernichtet.<br />
2006 Nach 367 Jahren im Familienbesitz<br />
verkauft die Besitzerin<br />
Maria Hasenöhrl die Wagner’sche<br />
Buchhandlung an die Buchhandelskette<br />
Thalia.<br />
2015 Markus Renk übernimmt gemeinsam<br />
mit Markus Hatzer die inzwischen<br />
376 Jahre alte Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung.<br />
… und mit Zukunft.<br />
Was wir uns aber vor allem vornehmen:<br />
Aus der Wagner’schen wieder ein Haus mit<br />
Zukunft zu machen! Sie soll wieder als<br />
die Buchhandlung in Innsbruck positioniert<br />
werden. Die Zeit der Skateboards und<br />
Sandkübel gehört der Vergangenheit an.<br />
Auf über 1.000 m² werden Buchliebhaber<br />
nun wieder voll auf ihre Kosten kommen<br />
und in die Welt der Bücher eintauchen<br />
können. Die Wagner’sche soll wieder die<br />
Wagner’sche, alte Tugenden sollen wiederbelebt<br />
werden. So werden die Bereiche<br />
Literatur, Geschichte, Politikwissenschaft,<br />
Medizin, Musik und Kinderbuch spürbar<br />
ausgebaut. Nachhaltigen Trends fühlen<br />
auch wir uns in Form neuer Themenschwerpunkte<br />
verbunden: Kulinarik, Green Living<br />
und Green Gardening wären hier etwa zu<br />
nennen. Garant dafür ist u.a. Nina Rettenbacher<br />
und ihre „1639. Die Meierei in der<br />
Wagner’schen“. –<br />
Tauchen Sie mit uns ein in die Welt der<br />
Bücher und begleiten Sie uns auf diesem<br />
spannenden Weg in die Zukunft der Buchkultur<br />
in Innsbruck!
Liebe BücherliebhaberInnen!<br />
wagnersche.at<br />
Der Online-Shop der Wagner’schen.<br />
Bücher bestellen rund um die Uhr!<br />
Bücherkauf als multimediales<br />
Einkaufserlebnis. Videos, Rezensionen,<br />
Lese- und Hörproben zu<br />
Hundert tausenden Büchern und eBooks.<br />
Die Wagner’sche Buchhandlung präsen -<br />
tiert sich auch im Internet mit einem neuen,<br />
vollständig überarbeiteten Online-Shop.<br />
Auf www.wagnersche.at erwarten die<br />
Kunden ab sofort zahlreiche attraktive<br />
Neuerungen und eine Riesenauswahl an<br />
Produkten. Über 6 Millionen Artikel<br />
umfasst der Shop. Der Bücherkauf wird<br />
bei der Wagner’schen zu einem multimedialen<br />
Einkaufserlebnis – mit Videoclips,<br />
Autorenporträts sowie Hör- und Lese -<br />
proben zu Hunderttausenden Büchern und<br />
eBooks. Die Kunden lädt die Wagner’sche<br />
künftig stärker zum Mitmachen ein:<br />
Sie können Rezensionen schreiben, Bücher<br />
und sonstige Produkte kommentieren und<br />
sie über Social-Media-Kanäle teilen.<br />
„Wir haben bei der Konzeption des neuen<br />
Internetauftritts immer aus der Sicht unserer<br />
Kunden gedacht und uns genau an ihren<br />
Wünschen und Anforderungen orientiert“,<br />
sagt Markus Renk, geschäftsführender<br />
Gesellschafter von der Wagner’schen.<br />
„Wir wollen ihnen eine noch größere<br />
Auswahl an Artikeln bieten und gleichzeitig<br />
unsere wichtigsten Produkte, die Bücher,<br />
noch attraktiver präsentieren.<br />
Kostenlose Lieferung<br />
nach Hause<br />
Beim Bestellen haben die Kunden die Wahl,<br />
ob sie sich die Bücher zur Abholung in<br />
die Wagner’sche oder nach Hause liefern<br />
lassen wollen. Dieser Service ist bei der<br />
Wagner’schen im Inland immer kostenlos.<br />
„Wer zu lesen versteht, besitzt den<br />
Schlüssel zu großen Taten, zu unerträumten<br />
Möglichkeiten“, so der<br />
britische Schriftsteller Aldous Huxley<br />
(1894–1963). Den Menschen einen<br />
Zugang zur Welt der Bücher zu ermöglichen<br />
– diese schöne, bereichernde<br />
Aufgabe erfüllt die Wagner’sche<br />
Buchhandlung bereits seit mehr als<br />
375 Jahren. 1639 vom Buchdrucker<br />
der Medici Michael Wagner gegründet,<br />
ist die Wagner’sche die<br />
älteste Buchhandlung Tirols und<br />
eine Institution, die vielen Tirolerinnen<br />
und Tirolern bestens vertraut ist.<br />
Ich freue mich sehr, dass diese<br />
Traditionsbuchhandlung nun wieder in<br />
Tiroler Hand ist und mit Markus Renk<br />
und Markus Hatzer zwei exzellente<br />
Kenner der Tiroler Buchbranche die<br />
Wagner’sche in eine gute Zukunft<br />
führen werden. In unserer multimedialen<br />
Welt steht der Buchhandel unter<br />
großem Druck und es wird immer<br />
wieder die Frage aufgeworfen, ob<br />
Bücher überhaupt noch zeitgemäß<br />
sind. Ich beantworte diese Frage mit<br />
einem entschiedenen „Ja!“ – Es mag<br />
sein, dass E-Books etwa auf Reisen<br />
„praktisch“ sind. Aber die Faszination<br />
von Büchern, die man immer wieder<br />
gerne zur Hand nimmt, die einen<br />
über Jahre begleiten, bleibt für mich<br />
ungebrochen.<br />
Bücher vermitteln nicht nur Bildung,<br />
sie eröffnen neue Welten, lassen<br />
uns an den Erlebnissen und Gedankenwelten<br />
anderer Menschen teilhaben<br />
und in fremde Kulturen und vergangene<br />
Jahrhunderte eintauchen. Und das<br />
aus meiner Sicht wertvollste Geschenk<br />
der Literatur: Jeder/jede kann in ihr<br />
eine Familie finden und eine Heimat.<br />
Darin liegt die besondere Schönheit<br />
des Lesens, wie es der Schriftsteller<br />
F. Scott Fitzgerald (1896 –1940) trefflich<br />
zum Ausdruck brachte: „Lesend<br />
wird man gewahr, dass die eigenen<br />
Bedürfnisse universelle Bedürfnisse<br />
sind und man weder einsam noch<br />
isoliert ist. Sondern dass man dazugehört.“<br />
–<br />
In diesem Sinne hoffe ich, dass<br />
die Wagner’sche Buchhandlung ein<br />
lebendiger Ort der Begegnung<br />
sein möge, und wünsche den neuen<br />
Eigen tümern viel Erfolg!<br />
Beate Palfrader<br />
Landesrätin für Bildung, Familie und Kultur<br />
Tirol6 Wagner’sche.<br />
© Land<br />
Bücher seit 1639<br />
7<br />
Bücher<br />
vermitteln<br />
nicht nur<br />
Bildung, sie<br />
eröffnen neue<br />
Welten.<br />
Beate Palfrader
Das Buch im Mittelpunkt<br />
Nach neun Jahren hat die Traditionsbuchhandlung<br />
wieder Tiroler Eigentümer. Der Geschäftsführer<br />
Markus Renk im Gespräch mit Gabriele Grießenböck.<br />
© Thomas Schrott<br />
Persönliche<br />
Beratung<br />
ist unsere<br />
Stärke.<br />
Markus Renk<br />
8<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Als operativer Geschäftsführer will<br />
Markus Renk das Traditionsunternehmen<br />
in eine erfolgreiche Zukunft führen. Worauf<br />
er dabei achtet, welchen Kurs er mit seinem<br />
Team einschlägt und warum es für Tiroler<br />
bald keinen Grund mehr gibt, bei Amazon<br />
zu kaufen, das verrät er im Interview.<br />
Die Wagner’sche ist eine der<br />
ältesten Buchhandlungen Europas.<br />
Fühlt man als neuer Hausherr<br />
den Druck der Geschichte?<br />
Die Wagner’sche gibt es seit 375 Jahren, sie<br />
ist ein wichtiger Teil der Geschichte Innsbrucks.<br />
Das Haus war immer schon prägend<br />
für die Museumstraße. Die Gründer der<br />
Wagner’schen waren sehr intensiv bei der<br />
Entwicklung der Stadt beteiligt. Dabei denke<br />
ich auch daran, dass zwei Bürgermeister<br />
aus dem Haus der Wagner’schen gekommen<br />
sind. Der Geist von Michael Wagner ist in<br />
dieser Buch handlung noch lebendig. Also<br />
es ist eine sehr große Ehre, so ein Haus<br />
zu besitzen und in die Zukunft zu führen.<br />
Für mich geht ein Traum in Erfüllung.<br />
Worauf werden Sie Ihren<br />
Schwerpunkt legen?<br />
Ich habe den Vorteil, dass ich den Markt<br />
seit 30 Jahren kenne. Welche Stärken und<br />
Schwächen die Branche hat und welches<br />
Potential in ihr steckt. Verglichen mit<br />
der Konkurrenz würde ich sagen, spricht<br />
die Wagner’sche eher den Vielleser und<br />
Buchliebhaber an. Und darauf werden<br />
wir uns konzentrieren. Wir werden Lyrik<br />
sehr großzügig führen, dem Fachbuch<br />
einen besonderen Stellenwert einräumen<br />
und der Spezialist in Sachen Bücher werden.<br />
Das Buch steht wieder im Mittelpunkt.<br />
Es werden literarische Events stattfinden<br />
und die Fachbuchabteilung wird wieder<br />
verstärkt ausgebaut. Gerade hier wollen<br />
wir die Themenführerschaft übernehmen.<br />
9<br />
Welches Zielpublikum wollen<br />
Sie erreichen?<br />
Die Tiroler sind vielseitige, treue und<br />
fleißige Leserinnen und Leser. Der Innsbrucker<br />
Markt gibt noch viel Potential<br />
her. Die Wagner’sche ist in den Köpfen<br />
der Menschen stark verankert. Viele sind<br />
mit dieser Buchhandlung groß geworden.<br />
Was wird neu?<br />
Es wird ein Gastronomiekonzept in der<br />
Buchhandlung geben. Mit Nina Rettenbacher<br />
haben wir eine junge, engagierte Gastronomin<br />
im Haus, die für ihre frische und<br />
biologische Küche bereits bekannt ist. Das<br />
kleine Restaurant heißt dem Gründungsjahr<br />
der Buchhandlung entsprechend „1639 –<br />
Die Meierei in der Wagner’schen“. Ein Bistro<br />
samt Dachterrasse mit rund 50 Sitzplätzen.<br />
Unser Lesepublikum kann ein leckeres<br />
Frühstück oder Mittagessen genießen und<br />
dabei in unserem Buchangebot stöbern.<br />
Welchen Stellenwert wird das<br />
Thema Kulinarik bekommen?<br />
Einen sehr großen. Unser Ziel ist es,<br />
die größte Kochbuchabteilung zwischen<br />
München und Wien zu haben. Aber auch interaktiv<br />
wird was geboten. Unter dem Motto<br />
„Das lebendige Kochbuch“ wollen wir<br />
Kulinarik und Literatur vereinen. Die Vision<br />
ist, dass wir aus Kochbüchern Rezepte heraussuchen<br />
und unseren Gästen servieren.<br />
Kann eine Buchhandlung ohne<br />
Zusatzartikel auskommen?<br />
Ja, definitiv. Der Buchhandel hat hier<br />
einen Riesenfehler begangen. Weil man die<br />
Buchhandlungen mit Zusatzartikeln gefüllt<br />
hat, für die das Haus nicht steht. Man kann<br />
kein Experte für Sachbücher und Skateboards<br />
in einem sein. Natürlich muss man<br />
mit der Zeit gehen. Aber wir wollen dem<br />
Kunden einen anderen Zusatznutzen geben,<br />
als Sandkübel oder Badematten. Wir glauben<br />
ans Buch und besinnen uns auf unsere<br />
Kernkompetenz.<br />
Wie kann eine Buchhandlung in<br />
Zeiten von Internet überleben?<br />
Viele Kunden wollen hybrid einkaufen.<br />
Im Laden und im Internet. Deshalb gibt es<br />
einen Wagner’schen Internetshop, der<br />
Amazon die Stirn bieten kann. Wir haben<br />
nachweislich ein größeres Sortiment, kürzere<br />
Lieferzeiten und sind billiger als der Online-<br />
Riese. Für Tiroler gibt es eigentlich keinen<br />
Grund mehr, bei Amazon einzukaufen.<br />
Der Buchhandel war auch in Tirol<br />
in den vergangenen Jahren einem<br />
starken Umbruch ausgesetzt.<br />
Der Online-Handel verschärfte<br />
den Druck. Welche Maßnahmen<br />
setzen Sie dem entgegen?<br />
Die persönliche Beratung zählt natürlich<br />
zu unseren Stärken. Bei uns läuft kein<br />
Algorithmus im Hintergrund, der berechnet,<br />
welches Buch dem Kunden gefallen könnte.<br />
Unsere Mitarbeiter sind absolute Profis.<br />
Bücher kosten überall gleich viel. Deshalb<br />
muss man sich durch vermehrte Serviceleistung<br />
abheben. Neben der emotionalen<br />
und persönlichen Ansprache durch unsere<br />
Experten im Haus ist unser Sortiment<br />
entscheidend. Solange man eine gute<br />
Auswahl hat, treibt man den Kunden nicht<br />
ins Internet. Wir haben gut 60.000 Artikel<br />
auf Lager, haben also einiges anzubieten.<br />
Schön wäre, wenn die Leute sagen: „Geh<br />
zur Wagner’schen, die haben das bestimmt.“<br />
Wenn uns das gelingt, dann haben wir<br />
gewonnen!<br />
Welche Aktionen und<br />
Events sind geplant?<br />
In punkto Literatur ist viel geplant. Wir<br />
versuchen namhafte Literaten ins Haus zu<br />
holen. Wir wollen als Plattform dienen und<br />
Leute bewegen. Literaturzirkel sind geplant.<br />
Menschen sollen sich bei uns austauschen<br />
können. Literatur soll Kulinarik treffen.<br />
Wo sehen Sie die Wagner’sche<br />
Buchhandlung in Zukunft?<br />
Ich sehe sie als das Buchhaus in Innsbruck.<br />
Wir sind keine Kette, wir sind eine Buchhandlung,<br />
die privat geführt wird. Wir<br />
wollen ganz nahe am Kunden sein, denn das<br />
Persönliche ist mir wichtig. Das, was die<br />
Wagner’sche einst groß gemacht hat, soll in<br />
Zukunft weitergeführt werden. Darauf freue<br />
ich mich.<br />
Markus Renk, geb. 1969, vom Lehrling bis zum<br />
Vorstand bei Tyrolia, Fachgruppenobmann der Buch-<br />
& Medienwirtschaft Tirol, Wirtschaftskammer Tirol,<br />
Vorstand des Hauptverbandes des österreichischen<br />
Buchhandels. Seit 1. Oktober 2015 alleiniger operativer<br />
Geschäftsführer der Wagner’schen in Innsbruck.
Bücher sind meine Welt<br />
Haymon-Verleger Markus Hatzer<br />
über die Beweggründe seines Engagements.<br />
Ein Gespräch mit Gerlinde Tamerl.<br />
© Thomas Schrott<br />
Lesen ist wie<br />
Reisen ohne<br />
wegzufahren.<br />
Markus Hatzer<br />
10 Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Warum beteiligen Sie sich an<br />
der Wagner’schen Buchhandlung?<br />
Viele Menschen haben neuerdings diese<br />
nostalgische Sehnsucht nach individuell<br />
gestalteten Buchhandlungen. Ich beobachte<br />
diesen Trend schon seit einiger Zeit<br />
und die Herausforderung begeistert mich,<br />
gemeinsam mit Markus Renk die Idee zu<br />
verwirklichen, aus der Wagner’schen eine<br />
unab hängige Qualitätsbuchhandlung zu<br />
machen. Das Verweilen und Abtauchen in<br />
die Welt der Bücher erzeugen eine außergewöhnliche<br />
Intensität, die mich schon<br />
seit jeher fasziniert. Diesem Gefühl kann<br />
kein Online-Shop gerecht werden. Den<br />
Menschen ist es offensichtlich auch wieder<br />
wichtiger geworden, nachhaltig zu denken.<br />
Sie möchten sinnvoll einkaufen und dabei<br />
wissen, wohin ihr Geld fließt. Wir schaffen<br />
attraktive Arbeitsplätze, investieren in die<br />
Lehrlingsausbildung und leisten darüber<br />
hinaus einen wichtigen kulturellen Beitrag<br />
für die Stadt Innsbruck. Die Wagner’sche<br />
ist die älteste Buchhandlung Tirols, der wir<br />
mit dem Motto „Alt aber neu“ eine Verjüngungskur<br />
verschrieben haben, ohne dabei<br />
ihre Traditionen aus den Augen zu verlieren.<br />
Die Wagner’sche Buchhandlung gehört<br />
zu dieser Stadt, zu den Menschen, die hier<br />
leben, und zu jenen, die sie besuchen.<br />
Sind Sie mehr Buchhändler<br />
oder mehr Verleger?<br />
Ich bin immer Buchhändler und Verleger<br />
zugleich. Mir ist der Erfahrungsaustausch<br />
mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern<br />
sehr wichtig, sie sind es, die unseren Büchern<br />
ein Gesicht verleihen und den persönlichen<br />
Kontakt mit unserem Lese publikum<br />
pflegen. Inhabergeführte Geschäfte haben<br />
den Vorteil, dass sie individueller auf die<br />
Wünsche von Kundinnen und Kunden<br />
eingehen können, dabei gleichzeitig ein<br />
umfangreiches Sortiment anbieten.<br />
11<br />
Wie lange wird es Bücher noch<br />
geben? Lesen Sie E-Books?<br />
Als Verleger biete ich E-Books an und als<br />
Privatperson lese ich sie vor allem dann,<br />
wenn ich reise. Man kann technischen<br />
Errungenschaften – und dazu gehören<br />
selbstverständlich auch E-Books – nicht<br />
den Rücken kehren. Wenn ich jedoch mit<br />
Genuss lesen möchte, dann geht für mich<br />
nichts über ein gedrucktes Buch. Es ist<br />
immer verfügbar, preiswert und ich finde<br />
die natürliche Interaktion zwischen Mensch<br />
und Buch einfach wunderbar. Das Buch<br />
an sich ist eine großartige Erfindung, man<br />
kann sich darin meditativ vertiefen, es anfassen,<br />
vor- und zurückblättern. Ich glaube<br />
nicht, dass es aussterben wird – zumindest<br />
nicht in den nächsten Jahrzehnten. Viele<br />
Bücher sind sehr ansprechend gestaltet,<br />
und wir Menschen lieben es, schöne Dinge<br />
zu sammeln.<br />
Wird es Buchhandlungen<br />
noch lange geben?<br />
Online-Shops sind praktisch, aber Buchhandlungen<br />
sind romantische Orte. Man<br />
kann sich in ihnen verlieren oder im Gespräch<br />
mit Buchhändlerinnen und Buchhändlern<br />
Leseerfahrungen austauschen.<br />
Das Kauf erlebnis ist in einer behaglichen<br />
Atmosphäre schöner. Abgesehen davon ist<br />
es interessant, in einer Buchhandlung zu<br />
schmökern, um am Ende mit einem völlig<br />
anderen Buch, als man eigentlich gesucht<br />
hat, nach Hause zu gehen. Lesen ist wie<br />
Reisen ohne wegzufahren, es entspannt,<br />
erweitert den Horizont und macht Spaß!<br />
Achten Sie auch einmal darauf, wie Menschen<br />
Bücher in den Händen halten. Ich<br />
garantiere Ihnen, dass diese Beobachtung<br />
aufschlussreich sein wird!<br />
Was bedeutet Lesen für<br />
Sie persönlich?<br />
„Ein Wort in der Nacht ist wie ein Lichtstrahl“,<br />
das schreibt der italienische Schriftsteller<br />
Italo Svevo in seinem Jahrhundertroman<br />
„Zenos Gewissen“. Wir alle kennen<br />
diese Nächte, die uns nicht schlafen lassen,<br />
da kann Lesen trostspendend sein. Man<br />
sollte sich deshalb vorbeugend immer genug<br />
Lesestoff in unserer Buchhandlung besorgen,<br />
das hebt die Stimmung! Der Schweizer<br />
Schriftsteller Klaus Merz schrieb in einem<br />
Vers: „Es gibt Sätze, die heilen, und Tage<br />
leichter als Luft.“ Ich wünsche mir,<br />
dass all jene, die der Wagner’schen Buchhandlung<br />
einen Besuch abstatten, so<br />
empfinden.<br />
Markus Hatzer ist gelernter Buchhändler<br />
und seit 1988 Verleger (Studienverlag und<br />
Haymon Verlag).<br />
Buchtipp:<br />
Klaus Merz:<br />
Aus dem Staub. Gedichte<br />
Haymon Verlag, 84 S., € 16,90<br />
„buch-handlungen:<br />
schatz-inseln<br />
aus echt-silber<br />
und gold-imitat.“<br />
Barbara Hundegger<br />
Schriftstellerin, Hall in Tirol
© Thomas Schrott<br />
Alt<br />
aber<br />
Neueröffnung.<br />
12<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Feiern Sie mit uns<br />
die Eröffnung der<br />
neuen Wagner’schen<br />
Buchhandlung:<br />
Am 22./23./24. Oktober<br />
erwartet Sie ein<br />
literarisch-musikalischkulinarisches<br />
Fest mit<br />
vielen Überraschungen.<br />
Donnerstag, 22. Oktober<br />
16:00 – 18:00 Uhr<br />
Kinderprogramm<br />
Zeichnungen und Gedichte werden zum<br />
Buch! – Workshop für 10- bis 15-Jährige<br />
mit Monika Knoflach und José F.A. Oliver.<br />
19:30 Uhr<br />
Eröffnungslesung<br />
und Buchpräsentation<br />
Michael Köhlmeier:<br />
Das Lied von den Riesen<br />
Im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten<br />
der „neuen/alten“ Buchhandlung präsentiert<br />
Michael Köhlmeier sein neuestes Buch in<br />
der Wagner’schen. Leichtfüßig und brillant<br />
erweckt er darin die Welt der Riesen zum<br />
Leben. Eine kurzweilige Reise, die jedes<br />
Herz erwärmt.<br />
Freitag, 23. Oktober<br />
19:00 Uhr<br />
Offizielle Eröffnung<br />
Die offizielle Eröffnungsfeier der neuen<br />
Wagner’schen mit einem abwechslungsreichen<br />
Programm und literarischen Interventionen.<br />
13<br />
Samstag, 24. Oktober<br />
19:30 Uhr<br />
Buchpräsentation<br />
Christoph W. Bauer:<br />
stromern<br />
Christoph W. Bauer, aktueller Preisträger<br />
des Tiroler Landespreises für Kunst, präsentiert<br />
seinen neuen Gedichtband. Mal rau,<br />
mal sanft, immer aber augenzwinkernd und<br />
schelmisch, schreibt er mit poetischer Kraft<br />
von Leben, Liebe und Sehnsucht.<br />
Buchtipps:<br />
Erfolgskurs Englisch<br />
Hueber Verlag, € 20,60<br />
Bildwörterbuch Deutsch<br />
Hueber Verlag, € 16,50<br />
Sprachentag:<br />
v. a. für Lehrer und Pädagogen<br />
Fr., 13.11.2015, 11–17 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
„Man muss nicht<br />
pathetisch werden,<br />
um zu erklären,<br />
warum der Neustart<br />
der Wagner’schen<br />
Buchhandlung<br />
zu begrüßen ist. Nur<br />
in einer aufgeklärten<br />
Gesellschaft gibt es<br />
Buchkultur. Nur in<br />
einer Buchhandlung<br />
gibt es Bücher.<br />
Nur in einer guten<br />
Buchhandlung gibt<br />
es gute Bücher. Nur<br />
gute Bücher erinnern<br />
die abgeklärte<br />
Gesellschaft an die<br />
Aufklärung. Nur gute<br />
Buchhandlungen<br />
verkaufen die Bücher<br />
von guten Autoren.<br />
Von irgendetwas<br />
müssen auch die<br />
guten Autoren leben!“<br />
Robert Menasse<br />
Schriftsteller, Wien<br />
„Gewiss bin ich nicht<br />
der Richtige, um zum<br />
Thema Mut etwas<br />
Kluges zu sagen. Ein<br />
Leben lang habe ich<br />
bei großen Entscheidungen<br />
immer wieder<br />
gehadert, an den<br />
Folgen, die sie haben<br />
könnten, gezweifelt.<br />
Dennoch würde ich<br />
sagen, dass Leidenschaft<br />
ohne Mut<br />
nirgendwo hinführt<br />
und dass Mut, neben<br />
der Liebe und dem<br />
Humor, die wichtigste<br />
Tugend ist.“<br />
Philipp Keel<br />
diogenes verlag
1639. Die Meierei<br />
Nina Rettenbacher, bestens bekannt aus dem „crumble“<br />
am Wiltener Platzl, kocht im ersten Stock der Wagner’schen.<br />
Ein neuer kulinarischer Leckerbissen in der Mitte der Stadt.<br />
Ein Gespräch mit Robert Renk.<br />
Ich bin<br />
sozusagen<br />
ein begehbares<br />
Kochbuch.<br />
Nina Rettenbacher<br />
Wir betreten die Buchhandlung und folgen<br />
den Treppen in den ersten Stock. Eine<br />
gut sortierte Fachbuch abteilung rund ums<br />
Kochen veranlasst uns zum Schmökern –<br />
mit einigen ausgesuchten Büchern betreten<br />
wir das „1639“.<br />
Am Fenster ist Platz für den Bücherturm,<br />
dazu gesellen sich alsbald eine große<br />
Tasse Kaffee und ein köstlicher Imbiss.<br />
Am großen Tisch, der das Zentrum des<br />
Raumes bildet, beobachten wir ein entspanntes<br />
Kommen und Gehen verschiedenster<br />
Menschen, die sich bei gutem Essen<br />
kurz aus ihrem Alltag ausklinken wollen.<br />
Zum „1639“ gehört auch der einzigartige<br />
Dachgarten mit einer urbanen Kleinstlandwirtschaft.<br />
Hier wachsen – natürlich biologisch<br />
– schon fast vergessene Nutzpflanzen,<br />
Salate, Beeren und Kräuter. Mitten drinnen<br />
stehen gedeckte Tische und gemüt liche<br />
Liegestühle ... und: Nina Rettenbacher.<br />
Seit 2008 lebt die gebürtige Wienerin in<br />
Innsbruck und hat ab 2010 im „crumble“<br />
den Brunch nach Innsbruck gebracht und<br />
das Wiltener Platzl gastronomisch geprägt.<br />
Seit Mitte Oktober kocht sie in ihrer „Meierei“<br />
im ersten Stock der Wagner’schen.<br />
Du bist vom Wiltener Platzl in die<br />
Innenstadt übersiedelt, 1997 war<br />
der Weg von Wien, wo du geboren<br />
bist, wohl etwas weiter.<br />
Ja, vor 23 bin ich in Lermoos gelandet und<br />
war dort plötzlich mit einem Tourismusbetrieb<br />
konfrontiert. Aber auch in Wien war<br />
ich früh in der Gastronomie, servierte mit<br />
12 schon die ersten Kaffees, war mit meiner<br />
Mutter auf Reisen, wenn sie Lebensmittel<br />
in Südafrika oder der Türkei kaufte. Meine<br />
Mutter hat beruflich Lebensmittel aus der<br />
ganzen Welt nach Österreich importiert.<br />
Das klingt aufregend.<br />
Nein, gar nicht so. Das war nicht meine Welt,<br />
meine Welt war die Küche meiner Tante in<br />
der Steiermark. Meine Mutter hat immer<br />
gesagt: Ich koche schön, die Tante kocht gut.<br />
Und du kochst schön und gut?<br />
Ich koche anders. Aber ich komme aus einer<br />
Familie, in der die Qualität von Lebensmitteln<br />
immer einen hohen Stellenwert hatte.<br />
In Lermoos hast du alle Stationen<br />
des Hotelgewerbes durchgemacht?<br />
Ja, ich habe geputzt, serviert, gekocht,<br />
auf Gästekinder aufgepasst, war an<br />
der Rezeption und habe in Spitzenzeiten<br />
mit bis zu 30 Mitarbeitern gearbeitet.<br />
Wir haben damals gegen viele Regeln der<br />
traditionellen Tourismusbranche verstoßen,<br />
aber wir waren überzeugt, konsequent –<br />
und es hat sich gelohnt!<br />
Und als du 2008 schließlich<br />
nach Innsbruck kamst,<br />
was hast du dir dann überlegt?<br />
Mein Ziel war, einen Ort zu schaffen,<br />
wo du gut frühstücken kannst. Das war für<br />
unsere Familie die wichtigste Mahlzeit.<br />
So etwas hat es in Innsbruck nicht gegeben,<br />
das hab ich schnell gemerkt. Es gab immer<br />
nur Semmerl mit Darbomarmelade im<br />
Glaserl und Honig aus der Plastikdose. Und<br />
der ganze Müll auf dem Tisch nach dem<br />
Frühstück hat mich am meisten aufgeregt.<br />
Ja, das stimmt, dieser ewige<br />
Plastikmüll am Esstisch, das gab<br />
es im „crumble“ tatsächlich nicht.<br />
Genau. Aber mir war auch wichtig, einen<br />
Ort zu schaffen, wo auch Frauen allein oder<br />
mit Kindern sich zuhause fühlen.<br />
Und das ist dir für das<br />
„1639“ auch wichtig?<br />
Natürlich. Aber es soll mehr sein.<br />
Wie mehr? Was soll die „Meierei<br />
in der Wagner’schen“ sein?<br />
Ein Platz zum gut Essen und zum zu Gast<br />
Sein, zum Schmökern, oder einfach ein<br />
Freiraum für kulinarische Zeitgeister, immer<br />
begleitet von einem großen Bewusstsein für<br />
unsere Natur und dem Anspruch an höchste<br />
Qualität.<br />
ihn, möchte ich erzählen können, was<br />
ich koche und woher die Sachen kommen.<br />
Die Terrasse allerdings ist ganzjährig<br />
benutzbar, dort wächst alles Gemüse, das<br />
man für die Küche braucht, von Zucchini<br />
über Feigen bis zum Safran.<br />
Wie es ursprünglich bei<br />
einer Meierei sein soll – oder?<br />
Genau.<br />
Und das Essen …<br />
… wird die Hauptrolle spielen: Der Gast<br />
kann kommen, kosten, schauen.<br />
Auch in die Küche?<br />
Ja klar, du kommst mit einem Kochbuch<br />
und fragst: Kennst du das? Hast du das<br />
schon mal probiert? Das ist mir früher bei<br />
Stammgästen oft passiert. Ich möchte mir<br />
den Spielraum geben, das zu probieren –<br />
wenn es die Zeit erlaubt. Meine Gäste<br />
können in die Küche und gern in die Töpfe<br />
schauen und wir können gemeinsam auch<br />
das eine oder andere Rezept eigenwillig und<br />
kreativ starten, mit den Zutaten, die hier<br />
lagern oder wachsen. Ich bin sozusagen ein<br />
begehbares Kochbuch!<br />
Öffnungszeiten<br />
Montag bis Freitag: 9 – 17 Uhr<br />
Samstag: 9 – 14 Uhr<br />
Sonn- & Feiertage geschlossen<br />
An den 4 Adventsamstagen<br />
jeweils bis 17 Uhr geöffnet<br />
© Thomas Schrott<br />
14<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
15<br />
Du bist räumlich nicht größer<br />
geworden. Wieso?<br />
Ich möchte meinen Gästen gerne erklären,<br />
was sie essen, woher das Essen kommt.<br />
Ich möchte jedem erzählen können, was<br />
ich mache. Vorausgesetzt, es interessiert<br />
Ninas Buchtipp:<br />
Margareta Schildt-Landgren:<br />
Die neue nordische Küche<br />
AT-Verlag, 238 Seiten, € 25,60
Kalender waren<br />
schon immer<br />
ein wichtiger<br />
Bestandteil des<br />
Sortiments in der<br />
Wagner’schen.<br />
Seit Jahrzehnten<br />
finden Kalenderliebhaber<br />
eine<br />
große Auswahl an<br />
verschiedensten<br />
Bildkalendern,<br />
aber schon Eckart<br />
Schumacher setzte<br />
in der schwierigen<br />
Zeit nach dem<br />
Ersten Weltkrieg<br />
auf Reiseführer<br />
und Kalender<br />
und konnte das<br />
Unternehmen<br />
damit wieder auf<br />
solide wirtschaftliche<br />
Beine stellen.<br />
Mit zwei Eigenproduktionen<br />
möchten wir<br />
diese Tradition<br />
wieder aufleben<br />
lassen:<br />
Kalender<br />
Bernhard Aichner<br />
13 wunderschöne Aufnahmen des<br />
bekannten Tiroler Autors und Fotografen<br />
Bernhard Aichner schmücken diesen<br />
Innsbruck-Kalender. Dabei können selbst<br />
Einheimische neue Blick winkel<br />
de’<br />
unserer<br />
Medici in Händen, in<br />
Stadt entdecken.<br />
Monatskalender, € 14,90<br />
Exklusiv erhältlich in der<br />
LitArena, Franz Reichel<br />
Wagner’schen Buchhandlung!<br />
Kalender<br />
Lukas Morscher<br />
Ein unterhaltsamer Streifzug<br />
durch die Geschichte des<br />
Buches und Büchermachens,<br />
zugleich die Geschichte der<br />
Wagner’schen Buchhandlung<br />
und Hofdruckerei: In seiner<br />
leichtfüßigen Erzählung schickt<br />
Christoph W. Bauer den Buchdruckergesellen<br />
Michael Wagner<br />
selbst auf die Reise. Inmitten<br />
der Wirren des Dreißigjährigen<br />
Krieges lässt dieser sich in<br />
Innsbruck nieder. Wenig später<br />
hält Wagner einen Brief der<br />
Tiroler Landesfürstin Claudia<br />
dem sie ihn zum Hofdrucker<br />
ernennt. Eine mitreißende Tour<br />
d’Horizon durch fast 400 Jahre<br />
Geschichte nimmt ihren Lauf.<br />
„Ein großes Lesevergnügen.“<br />
Aus dem reichen Fundus des Innsbrucker<br />
Stadtarchivs hat DDr. Lukas Morscher<br />
27 ganz besondere Aufnahmen ausgewählt.<br />
Begleitet werden sie mit humorvollen,<br />
spannenden und interessanten Texten.<br />
14-tägiges Kalendarium, € 19,90<br />
Exklusiv erhältlich in der<br />
Wagner’schen Buchhandlung!<br />
Christoph W. Bauer,<br />
geboren 1968 in Kärnten,<br />
aufgewachsen in Tirol. Verfasst<br />
Lyrik, Prosa, Essays,<br />
Hörspiele und Übersetzungen.<br />
Zahlreiche Veröffentlichungen,<br />
mehrere Auszeichnungen,<br />
u.a. Reinhard-Priessnitz-Preis<br />
(2001), Publikumspreis beim<br />
Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb<br />
(2002), zuletzt Outstanding<br />
Artist Award und Tiroler<br />
Landespreis für Kunst (beide<br />
2015). Bei Haymon erschienen<br />
u.a. „Im Alphabet der Häuser.<br />
Roman einer Stadt“ (2007,<br />
HAYMONtb 2012), die Erzählungen<br />
„In einer Bar unter dem<br />
Meer“ (2013) und der Gedichtband<br />
„stromern“ (2015).<br />
www.cewebe.com<br />
Das vollständige<br />
Verlagsprogramm und<br />
viele weitere Informationen<br />
finden Sie auf:<br />
www.haymonverlag.at<br />
€ 7.95<br />
ISBN 978-3-7099-7842-9<br />
Christoph W. Bauer Der Buchdrucker der Medici<br />
HAYMON tb 98<br />
Christoph<br />
W. Bauer<br />
Der<br />
Buchdrucker<br />
der<br />
Erzählung<br />
Medici<br />
HAYMON tb<br />
7842_HAYtb_titel_bauer_der-buchdrucker-der-medici_3.0.indd Alle Seiten 25.08.15 16:49<br />
antiquarische<br />
Bücher<br />
Christoph W. Bauer<br />
Der Buchdrucker der Medici<br />
Wohl kein anderes Buch beschreibt so lebendig die Geschichte der<br />
1639 gegründeten Wagner’schen. Folgen Sie dem Hofbuchdrucker auf<br />
seiner mitreißenden Tour d’Horizon durch fast 400 Jahre Geschichte:<br />
Tauchen Sie ein in das Getümmel des barocken Innsbruck, erleben Sie<br />
die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, den Ausbruch der Pest, den<br />
Tiroler Volksaufstand 1809 und die unrühmlichen Irrwege des Ersten und<br />
Zweiten Weltkrieges aus der Sicht des Buchdruckers, der über seinem<br />
Geschäft und seinen Nachfahren wacht – und so manches Mal ungläubig<br />
den Kopf schüttelt, die Augen verschließt oder sich ärgert.<br />
Speziell zur Neueröffnung :<br />
16<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
17<br />
Alt aber neu. Ganz nach diesem Motto gibt es in der<br />
Wagner’schen rund 60.000 lieferbare Bücher und<br />
Neuerscheinungen, aber auch, anlässlich der Eröffnungstage,<br />
1639 antiquarische und nicht mehr erhältliche Bücher.<br />
Speziell für unsere Kunden haben wir uns auf die Suche<br />
gemacht und alte Ausgaben des Universitätsverlags Wagner<br />
besorgt. Somit haben Sie Gelegenheit, Raritäten,<br />
Schnäppchen, wertvolle Tirolensien, Schlernschriften oder<br />
Ähnliches zu erwerben. Solange der Vorrat reicht!<br />
Sie wollten immer schon einmal ein signiertes Buch<br />
von Umberto Eco, Martin Suter, Walter Moers oder Stefanie<br />
Meyer besitzen? Dann haben Sie jetzt die Gelegenheit!<br />
Anlässlich unserer Eröffnungsfeier haben wir die wichtigsten<br />
Bestsellerverlage angesprochen und signierte Bücher besorgt.<br />
Somit hat man erstmals in Innsbruck die Möglichkeit, aus<br />
375 Bestsellern sein Lieblingswerk signiert herauszusuchen.<br />
Für jedes Jahr Wagner’sche ein signiertes Buch! Aktion läuft<br />
vom 22. bis 24. Oktober bzw. solange der Vorrat reicht!<br />
handsignierte<br />
Bücher
Christoph W. Bauer, geboren<br />
1968 in Kärnten, aufgewachsen in<br />
Tirol. Verfasst Lyrik, Prosa, Essays,<br />
Hörspiele und Übersetzungen.<br />
Zahlreiche Veröffentlichungen,<br />
mehrere Auszeichnungen, u.a.<br />
Reinhard-Priessnitz-Preis (2001),<br />
Publikumspreis beim Ingeborg-<br />
Bachmann-Wettbewerb (2002),<br />
Preis des Kärntner Schriftstellerverbands<br />
(2010), Kärntner Lyrikpreis<br />
(2014) sowie zuletzt Outstanding<br />
Artist Award und Tiroler<br />
Landespreis für Kunst (beide 2015).<br />
Bei Haymon erschienen u.a. der<br />
Gedichtband „mein lieben mein<br />
hassen mein mittendrin du“ (2011),<br />
die Erzählungen „In einer Bar<br />
unter dem Meer“ (2013) sowie der<br />
Gedichtzyklus „orange sind die<br />
äpfel blau“ (2015).<br />
www.cewebe.com<br />
Der Vagabund unter den Lyrikern: Mal rau, mal sanft,<br />
immer aber augenzwinkernd und schelmisch –<br />
Christoph W. Bauer schreibt mit durchschlagender<br />
poetischer Kraft von Leben, Liebe und Sehnsucht<br />
ebenso wie von der Zumutung des Daseins.<br />
„fintenreicher Vermittler des Wortes, ein Compositeur<br />
der Sprache, ein kundiger Verführer zur Literatur hin“<br />
ORF, Martin Sailer<br />
„Christoph W. Bauer hat sich in die erste Reihe der<br />
deutschsprachigen Lyrik geschrieben.“<br />
Literatur und Kritik, Cornelius Hell<br />
Das vollständige<br />
Verlagsprogramm und<br />
viele weitere Informationen<br />
finden Sie auf:<br />
www.haymonverlag.at<br />
ISBN 978-3-7099-7022-5<br />
HAYMON<br />
Christoph W. Bauer<br />
„sag an villon komm sprich mit<br />
mir“ – nicht von ungefähr steht<br />
François Villon den vier Gedichtzyklen<br />
von Christoph W. Bauer Pate.<br />
Motor von Bauers Versen sind das<br />
Unterwegssein, das Vagabundieren,<br />
die Angst vor dem Stillstand. So<br />
treibt das lyrische Ich durch Kindheitslandschaften<br />
bis in die Stadt<br />
der Dichter, nach Paris. Streunt<br />
lustvoll durch die Geschichte der<br />
Poesie, gibt Wegbegleitern wie<br />
Rimbaud, Trakl und Heine eine<br />
zeitgenössische Sprache.<br />
Mal rau, mal sanft, dann wieder lakonisch<br />
oder laut zeigt Christoph W.<br />
Bauer sich in seinen Gedichten, immer<br />
aber augenzwinkernd. „ein schelm<br />
bist du und ich dein kind“ – zum<br />
Vaganten geworden wendet er<br />
sich an Till Eulenspiegel und hält<br />
unserer Zeit schonungslos den<br />
Spiegel vor. Ungezwungen wechselt<br />
Bauer die Stimmungen und Tonlagen<br />
und erzählt mit durchschlagender<br />
poetischer Kraft von Leben,<br />
Liebe und Sehnsucht ebenso wie<br />
von der Zumutung des Daseins.<br />
7022_hay_schutzus_bauer_stromern_quantum_7.0.indd Alle Seiten 07.07.15 11:02<br />
© 2quadr.at<br />
ich mag nicht<br />
über kastanien<br />
dichten. *<br />
18<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
In deinem vor Kurzem erschienenen<br />
Gedichtband „stromern“<br />
verwendest du eine sehr direkte<br />
Sprache, die formale Struktur<br />
deiner Gedichte erscheint verstärkt.<br />
Was war deine Intention?<br />
In diesem Gedichtband ging es mir vor<br />
allem darum, Worte zu verwenden, die ich<br />
noch nicht verwendet habe. Das ist der Reiz<br />
für mich beim Schreiben: Wie weit kann<br />
ich gehen? – Die Gegenwart, die mediale<br />
Gegenwart und Wirklichkeit sind so stark,<br />
dass ich mich frage: Wie kann ich heute<br />
noch schreiben? Und, vor allem: wie kann<br />
ich heute noch ein Gedicht schreiben? Dann<br />
geht es natürlich auch darum: Was verleidet<br />
mir das Gedichtschreiben? Diese falsche,<br />
vermeintliche Moral, die ich in meinen<br />
Gedichten immer wieder anprangere, wollte<br />
ich in sehr direkte Worte fassen und diesen<br />
eine Songstruktur geben. Ich habe noch nie<br />
so viele alte Formen wie Sonett oder Terzine<br />
verwendet wie in diesem Gedichtband.<br />
Diese Herangehensweise war für mich eine<br />
Möglichkeit, erneut Gedichte zu schreiben.<br />
Indem ich auf die Zeit hinweise, aber keine<br />
Auswege suche, keine schönen Bilder und<br />
mich direkt den Fragen der Gegenwart<br />
stelle. Ich sehe die Gedichte als Reaktion<br />
auf die Zeit, in der wir heute leben, und als<br />
Möglichkeit, den aufgeladenen Bildern, die<br />
gerade in der derzeitigen Flüchtlingskrise<br />
produziert werden, entgegenzuarbeiten.<br />
Christoph<br />
W. Bauer<br />
Der moderne<br />
Vagant zwischen<br />
Lyrik und Prosa<br />
im Gespräch mit<br />
Anna Rottensteiner<br />
und Gabriele Wild.<br />
* Zitiert aus: stromern.<br />
Haymon Verlag 2015, S. 129<br />
19<br />
In vielen deiner Texte kommt<br />
das Element Wasser vor. Was<br />
fasziniert dich an diesem Element?<br />
Das Wasser als Element durchzieht alle<br />
meine Arbeiten, ist als „Fließprinzip“ immer<br />
vorhanden, vor allem in meinen Gedichten.<br />
Die Bewegung des Wassers, diese Fortbewegung<br />
ist als dynamischer Prozess immer<br />
in meinem Schreiben vorhanden. Es ist das<br />
Vorandrängen, das ich versuche, in meine<br />
Gedichte zu bringen. Selbst, wenn ich das<br />
Gedicht in eine starre Form gieße, ist das<br />
zwar wie ein Fluss, der in einem Flussbett<br />
fließt und dadurch einen bestimmten Lauf<br />
nimmt, aber trotzdem vorandrängt. Genau<br />
dieses treibende Element ist für mich ein<br />
wichtiges literarisches Prinzip. Das Fließen<br />
an sich ist für mich das permanente Jetzt.<br />
Die vielen Metaphern im Zusammenhang<br />
mit Wasser, vor allem mit dem Meer, stellen<br />
sich für mich in der Gegenwart auch als<br />
problematisch dar. Wer würde heute bei der<br />
Insel Lesbos noch an Sappho denken? Oder<br />
bei Lampedusa noch an den großartigen<br />
Schriftsteller Giuseppe Tommasi di Lampedusa<br />
und seinen Roman „Der Leopard“ ?<br />
Auch das Gestein, das Gemäuer<br />
spielt in deinen Arbeiten eine<br />
wichtige Rolle. In deinen<br />
Prosawerken wie „Im Alphabet<br />
der Häuser“ oder „Graubart<br />
Boulevard“ trägst du als Chronist<br />
und Erzähler Gesteinsschichten<br />
ab, beschäftigst dich mit der<br />
Geschichte der Stadt, in der du<br />
lebst. Worin liegt für dich die<br />
<strong>No</strong>twendigkeit oder der Wunsch<br />
für diese Auseinandersetzung<br />
begründet?<br />
Ich glaube, dass auch die angesprochenen<br />
Bücher sehr viel mit Bewegung zu tun<br />
haben. Da werden Zeiträume durchwandert,<br />
auch „stromernd“. Immer wieder geht<br />
es dabei um sehr zeitgemäße Themen, um<br />
Migration, um Ausgrenzung, um Flüchtlinge,<br />
um große Bewegungen. Mich hat<br />
interessiert, dieser Vergangenheit nicht blind<br />
oder in Stereotypen zu begegnen. Ich habe<br />
versucht, eine Stadt, in der ich oft bin, in<br />
der ich lebe, lebendig zu machen, und ich<br />
glaube ja auch an diesen oft zitierten Satz,<br />
dass man die Gegenwart ohne die Vergangenheit<br />
nicht begreifen kann.<br />
In „Der Buchdrucker der Medici“<br />
setzt du Michael Wagner ein<br />
schriftstellerisches Denkmal.<br />
Dich verbindet aber auch eine<br />
persönliche Geschichte mit dem<br />
Haus in der Museumstraße<br />
Nummer 4. Was kommt dir in den<br />
Sinn, wenn du heute vor diesen<br />
traditionellen Gemäuern stehst?<br />
Mit dem Haus in der Museumstraße 4<br />
bin ich wirklich seit vielen Jahren in enger<br />
Verbindung. Die „Wagner’sche“ Buchhandlung<br />
war einfach eine Adresse, ein klingender<br />
Name. Ich habe in dieser Buchhandlung<br />
gelesen, habe die Zeitschrift „Wagnis“<br />
betreut, habe Lesungen veranstalten dürfen,<br />
so durfte ich z.B. Inger Christensen in die<br />
„Wagner’sche“ einladen. Das alles verbindet<br />
mich mit dieser Buchhandlung. Die andere<br />
Sache ist, dass ich fasziniert bin vom Buch,<br />
vom Buchdruck und von der Dynamik<br />
und Entwicklung des Buchmarktes. Diese<br />
kleine Geschichte von Michael Wagner, der<br />
als literarische Figur durch die Zeiträume<br />
spaziert, ich zwinge ihn ja als Erzähler dazu,<br />
sich diese Entwicklung des Hauses und<br />
des Büchermachens mit mir anzuschauen.<br />
Es war interessant, über die Freude am<br />
Büchermachen etwas zu schreiben. Insofern<br />
verbindet mich nicht nur dieses Buch mit<br />
der Buchhandlung, sondern vieles.<br />
HAYMON christoph w. bauer stromern<br />
christoph w. bauer<br />
stromern<br />
gedichte<br />
stromern<br />
Buchtipp:<br />
Christoph W. Bauer:<br />
stromern<br />
Haymon Verlag, 136 S., € 17,90<br />
Buchpräsentation:<br />
Mit Christoph W. Bauer<br />
Einführung: Dorothea Zanon<br />
Sa., 24. 10. 2015, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitäts buchhandlung
© Rita Newman<br />
Ich fühle mich<br />
nie verloren<br />
unter Büchern.<br />
Sie stehen<br />
mir bei.<br />
20<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Eine ganze Generation ist mit<br />
Michael Köhlmeiers Stimme im Ohr<br />
aufgewachsen, hat gebannt den<br />
abenteuerlichen Geschichten aus<br />
Mythen- und Sagenwelten gelauscht.<br />
Seine leidenschaftliche Freude am<br />
Erzählen spürt man in seinen berühmten<br />
Nacherzählungen klassischer Stoffe<br />
ebenso wie in seinen Romanen.<br />
Gerade ist sein „Lied von den Riesen“<br />
im Haymon Verlag erschienen, eine<br />
fantastische Geschichte, die mit der Sage<br />
der Frau Hitt ihren Anfang nimmt.<br />
In deinem neuen Buch schickst<br />
du den Sohn von Frau Hitt, einen<br />
kleinen Riesen, auf die Reise,<br />
seine Mutter aus der Versteinerung<br />
zu retten – hat sie<br />
die Strafe nicht verdient?<br />
Oh nein! Sie wurde in Stein verwandelt,<br />
weil sie gegen das Brot gesündigt hat.<br />
In meiner Geschichte weiß sie nicht, wozu<br />
Brot dient, und sie wischt damit den Hintern<br />
ihres Söhnchens. Eine zärtliche Mama.<br />
Was fasziniert dich an der Arbeit<br />
mit Mythen- und Sagenstoffen,<br />
oder auch mit der Bibel – sind<br />
es die Figuren und deren<br />
Geschichten, oder sind es die<br />
besonderen Erzähltraditionen?<br />
Der Philosoph Hans Blumenberg war der<br />
Meinung, Kultur sei Arbeit am Mythos.<br />
Es ist eine Herkulesarbeit, wir müssen die<br />
Bilder der Mythen in Begriffe umwandeln<br />
und aus dem Halbdämmer ins grelle Licht<br />
des Bewusstseins heben. Als poetisch<br />
denkender Mensch möchte ich hinzufügen:<br />
ohne dabei die Poesie dieser Bilder zu<br />
beschädigen oder gar auszulöschen. Das<br />
wiederum ist eine Sisyphosarbeit. Am Ende<br />
werden wir wissen, dass ohne Analyse und<br />
Abstraktion Denken nicht möglich ist, dass<br />
aber ohne die Bilder und die Geschichten<br />
das Denken ohne Wert ist, weil es uns nicht<br />
berührt und nicht betrifft.<br />
Hast du einen persönlichen Bezug<br />
zu Tirol bzw. zu Innsbruck,<br />
abgesehen von deiner Freundschaft<br />
mit unserer steinernen Frau Hitt?<br />
Michael<br />
Köhlmeier<br />
In seinem<br />
neuesten Buch<br />
widmet er sich<br />
fantastischen<br />
Figuren:<br />
den Riesen.<br />
Michael<br />
Köhlmeier im<br />
Gespräch mit<br />
Dorothea Zanon.<br />
21<br />
In Lans oberhalb von Innsbruck spielt ein<br />
erheblicher Teil meines Romans „Abendland“.<br />
Ich habe mir die Gegend erwandert.<br />
Außerdem hat Innsbruck ein Puff. Als<br />
Jugendlicher habe ich mich nicht getraut<br />
einzutreten, später hatte ich kein Interesse<br />
mehr. Ein bisschen von dem jugendlichen<br />
Kitzel hat Innsbruck für mich behalten,<br />
etwas Sündiges.<br />
Du bist ein großer Freund der<br />
Bücher, in einem umfassenden<br />
Sinn – deine Leidenschaft gilt<br />
ja nicht nur der Literatur selber,<br />
sondern auch ihrem Gewand.<br />
Was bedeutet das für deinen<br />
Bücherkasten?<br />
Bücherkasten? Was ist das für ein Wort?<br />
Gibt es dieses Wort? Ich kenne nur Bücherschrank.<br />
Wir würden viele Bücherschränke<br />
benötigen, um unsere Bibliothek unterzubringen.<br />
Monika, meine Frau, liebt Bücher<br />
nicht weniger als ich. Wir haben ein gut<br />
isoliertes Haus, jede Wand ist mit Lesestoff<br />
ausgepolstert. Wenn wir abstürzen, werden<br />
wir aufgefangen.<br />
In einer traditionsreichen Buchhandlung<br />
wie der Wagner’schen,<br />
in der du ja dein neuestes<br />
Werk „Das Lied von den Riesen“<br />
vorstellst – wie fühlst du dich<br />
an so einem Ort? Selig und verloren<br />
zugleich?<br />
Ich fühle mich nie verloren unter Büchern.<br />
Sie stehen mir bei. Und sie stehen mir zu.<br />
Manchen Büchern sehe ich an, dass sie auf<br />
mich warten. Die muss ich dann kaufen. Auch<br />
wenn ich nicht gleich dazu komme, sie zu<br />
lesen. In einem Buch stellt mir ein Mensch<br />
sein Bewusstsein zur Verfügung, seine<br />
Visionen, Bedrängungen, Lösungen, Fragen.<br />
Dein „Lied von den Riesen“<br />
geht ins Ohr wie ein gutes Stück<br />
Musik. Gemeinsam mit Reinhold<br />
Bilgeri bist du viele Jahre auch<br />
als Musiker aufgetreten – gibt es<br />
noch Gelegenheiten, dich mit der<br />
Gitarre auf der Bühne zu sehen?<br />
Dreimal im Jahr. Da spielt ein Dutzend<br />
Vorarlberger Rockmusiker für die Krebshilfe.<br />
Sonst sitze ich in unserem Stiegenhaus<br />
auf einer Stufe und spiele zu meiner und<br />
hoffentlich auch zu Monikas Freude. Und<br />
manchmal zusammen mit Oliver, unserem<br />
ältesten Sohn, dem Bruder von Lorenz,<br />
dem Maler, der die Zeichnungen zum „Lied<br />
von den Riesen“ gemacht hat.<br />
Bist du dem Stoff für dein nächstes<br />
Werk schon begegnet? Und verrätst<br />
uns vielleicht etwas darüber?<br />
Der Stoff meines Buches? Das macht mich<br />
verlegen. Ich weiß nie, was für einen Stoff<br />
meine Bücher haben. Den Personen bin<br />
ich begegnet, ja. Mich interessieren nur die<br />
Personen. Sie bringen die Handlung mit,<br />
und am Ende kann man vielleicht sagen,<br />
was der Stoff war. Ein anderer soll das<br />
meinetwegen sagen, ich nicht.<br />
Buchtipps:<br />
Michael Köhlmeier:<br />
Das Lied von den Riesen<br />
Haymon Verlag, 184 S., € 17,90<br />
Zwei Herren am Strand<br />
Hanser Verlag, 256 S., € 18,40<br />
Buchpräsentation:<br />
„Das Lied von den Riesen“<br />
mit Michael Köhlmeier<br />
Do., 22. 10. 2015, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitäts buchhandlung
© Kurt Kaindl / Paul Zsolnay Verlag<br />
Ich bin<br />
ein Mensch,<br />
keine<br />
Instanz.<br />
22<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Im Ihrem Buch „Der Mann, der<br />
ins Gefrierfach wollte“ erzählen<br />
Sie von Kaayo, dem letzten<br />
des Volkes der El-Molo in Kenia,<br />
der die Sprache seines Volkes<br />
bewusst mit ins Grab nimmt.<br />
Ja, dieser Mann hat eines Tages den sprachlichen<br />
Austausch mit der Welt abgebrochen,<br />
er hat sich entschieden, auch nichts mehr<br />
dafür zu tun, dass seine eigenen Enkelkinder<br />
El-Molo verstehen und sprechen mögen.<br />
Ich denke mir, er muss genau gewusst und<br />
gespürt haben, dass mit ihm eine ganze Welt<br />
stirbt, und ein unsäglich trauriger und weiser<br />
Mann gewesen sein.<br />
Gibt es richtiges und<br />
falsches Reisen?<br />
Richtig und falsch, wer soll das bestim -<br />
men? Ich bin keiner von denen, die ihren<br />
Hochmut gegen die „Ach-so-dummen<br />
Touristen“ kultivieren. Jeder Reisende,<br />
selbst der Massentourist, wird auch von<br />
Einer der<br />
bedeutendsten<br />
literarischen<br />
Spurensucher<br />
unserer Zeit<br />
im Gespräch mit<br />
Robert Renk.<br />
Auszüge aus Quart Nr. 20/12:<br />
Brenner-Gespräch (8)<br />
23<br />
etwas urtümlich Archaischem angetrieben,<br />
jedes Reisen ist ein gewisser Aufbruch<br />
und mit einer gewissen Mühe verbunden.<br />
Natürlich gibt es aber zahllose Reisende,<br />
die genauso vorurteilsbeladen heimkehren<br />
wie sie losgefahren sind.<br />
Gab es gefährliche Situationen<br />
während Ihrer Reisen?<br />
Ich bin natürlich öfter in die Gefahr<br />
geraten, dass eine Reise scheitert, und zwar<br />
an meiner Unfähigkeit und meiner Ungeduld.<br />
Wenn man so reist, wie ich es tue, um<br />
über diese Reisen dann zu schreiben, muss<br />
man sich vor allem in einer Fähigkeit ausbilden,<br />
in der Geduld. Und das ist bei mir<br />
eine heikle Sache, denn ich bin ein ziemlich<br />
ungeduldiger Mensch.<br />
Das merkt man Ihren Texten<br />
kaum an!<br />
Danke. Es war aber schon so: dass ich mich<br />
in irgendeinem Dorf in Mazedonien oder<br />
Kalabrien aufgehalten habe und sich nichts,<br />
rein gar nichts getan hat. Sodass ich mich<br />
dazu zwingen musste, trotzdem dort zu<br />
bleiben, so lange, bis das Nichtstun schon<br />
schmerzhaft wurde. Nach vier Stunden<br />
geht man zum vierten Mal dieselbe Straße<br />
hinauf, kein Mensch redet einen<br />
an, man sitzt am Ortsbrunnen,<br />
man geht ins Café und es<br />
geschieht nichts. Und dann,<br />
wenn es schon fast unerträglich<br />
geworden ist, wenn man nichts<br />
wie weiterziehen will, geht<br />
eine uralte Frau vorbei, fragt:<br />
„Was machst eigentlich du da?“, und dann<br />
nimmt sie mich mit nach Hause und nach<br />
zehn Minuten sind 25 Leute da, Freunde,<br />
Nachbarn, Verwandte. Und jeder möchte<br />
dir seine ganz persönliche Liebesgeschichte<br />
und Lebensgeschichte erzählen. (...) Geduld<br />
ist für mich eine Arbeitshaltung, zu der<br />
ich mich diszipliniert nötigen muss. Ich bin<br />
sozusagen professionell geduldig und privat<br />
ein unangenehm ungeduldiger Kerl.<br />
Dann wechseln wir lieber rasch<br />
das Thema. Karl Kraus schätzte<br />
eine Literaturzeitschrift aus Tirol<br />
ganz besonders, nämlich den<br />
„Brenner“. Deren Herausgeber,<br />
Ludwig von Ficker, hatte ein ganz<br />
anderes Konzept als Kraus, er<br />
hat sich selbst ja nicht als Autor<br />
gesehen, sondern als Entdecker<br />
und Förderer.<br />
Als ich vor ein paar Jahren zu der schönen<br />
„Gaußiade“ nach Innsbruck eingeladen<br />
wurde, bin ich natürlich auch nach Mühlau<br />
hinaus gezogen. Der Friedhof ist tatsächlich<br />
sehr stimmungsvoll, aber auch eine Stätte<br />
mit symbolischer Rangordnung. Ganz oben<br />
sind die Gräber von Ficker und Trakl. Die<br />
Frau von Ficker liegt erst drei Reihen weiter<br />
unten. Man könnte meinen, Ludwig von<br />
Ficker wäre nicht mit ihr, sondern mit Trakl<br />
verheiratet gewesen.<br />
In Tirol hatten Sie eine enge<br />
Verbindung zu Paul Flora.<br />
Ja, er war tatsächlich der geborene Erzähler.<br />
Und er ist ja auch als Zeichner eigentlich<br />
ein Erzähler. (...) Er war ein großer Könner,<br />
der im Unterschied zu vielen Könnern<br />
sein eigenes Schaffen mit viel Selbstironie<br />
betrachtet hat. Auf meine Frage, woran<br />
er gerade arbeite, hat er mir einmal mit dem<br />
grandiosen Satz geantwortet: „Derzeit bin<br />
ich nicht in Hochform, da zeichne ich am<br />
Vormittag einen Raben und am Nachmittag<br />
verkauf ich ihn.“ So was kann nur einer sagen,<br />
der Größe hat und sie sich nicht durch<br />
geniale Attitüden beweisen muss.<br />
Können Sie mit dem Begriff<br />
„moralische Instanz“, als die Sie<br />
auch bezeichnet werden, etwas<br />
anfangen?<br />
Sogar in eitlen Momenten nicht allzu viel.<br />
Das Wort hat doch etwas Abtötendes. Ich<br />
bin ein Mensch, keine Instanz. Wenn mich<br />
jemand loben würde, indem er mich als<br />
seine „stilistische Instanz“ bezeichnet, täte<br />
ich mir leichter. Es ist mir nicht angenehm,<br />
wenn mir jemand einen politischen Irrtum<br />
oder einen Fehler in der politischen Argumentation<br />
nachweist; aber wenn er mir eine<br />
schlechte Formulierung oder einen stilistischen<br />
Fehler nachweist, würde mich das<br />
weit mehr beschäftigen.<br />
Soeben erschienen:<br />
Karl-Markus Gauß:<br />
Der Alltag der Welt<br />
Zsolnay Verlag, 336 S., € 23,60<br />
Im Gespräch:<br />
Lesung und Gespräch von<br />
Karl-Markus Gauß mit Quart-<br />
Herausgeber und Franui-Chef<br />
Andreas Schett, das Gespräch<br />
führt Klaus Zeyringer.<br />
Do., 29. 10. 2015, 19:00 Uhr<br />
Stadt bücherei Innsbruck<br />
(Colingasse 5a).<br />
Eine Kooperation mit<br />
der Stadtbücherei Innsbruck<br />
und 8ungKultur.<br />
Eintritt frei
Fiktion oder nicht?<br />
Raoul Schrott und sein neues Buch<br />
„Die Kunst an nichts zu glauben“. Von Joe Rabl.<br />
Zwischen Satire und Front<br />
Die beiden ukrainischen Autoren Andrej Kurkow<br />
und Serhij Zhadan – ein Porträt zweier<br />
Schriftstellergenerationen von Hans Ruprecht.<br />
wer möchte es so genau wissen, statt die<br />
kunstvolle Konstellation zu genießen;<br />
und was würde eine Antwort auf die Frage<br />
grundlegend ändern? –, wesentlich ist<br />
der fruchtbringende Dialog, den Schrott<br />
solcherart in Gang setzt.<br />
Sowohl die Auszüge aus dem „Manuale“<br />
als auch die Gedichte können als Bestandsaufnahme<br />
gelesen werden, als Selbstvergewisserung<br />
ohne Ausflucht in religiöse<br />
Deutungen und Tröstungen („… alles<br />
leid resultiert aus dem glauben / sich<br />
seines unglücks erwehren zu müssen /<br />
statt schönheit im scheitern zu finden …“).<br />
Ein mosaik artiges Panorama des hic et nunc,<br />
verdichtet in poetischen Kurzporträts<br />
„ganz normaler“ Menschen (der Busfahrer,<br />
die Kassiererin …), das dem Prinzip des<br />
Gött lichen eine profane Sicht entgegensetzt.<br />
Zwei Autoren aus der Ukraine, die die<br />
gegenwärtige Situation der ukrainischen<br />
Gesellschaft präsentieren: Andrej Kurkow<br />
(wie auch Jurij Andruchowytsch) vertritt<br />
eine ältere Generation, der die Vergangenheit<br />
mit der sowjetischen Besatzung<br />
sowie die postsowjetische Zeit aufarbeiten:<br />
Er benützt dazu meisterhaft die Form<br />
der Satire. Im Gegensatz dazu schreibt die<br />
jüngere Generation, wie Serhij Zhadan, über<br />
die heutige Zeit. Die Trümmer der Sowjetzeit<br />
stehen und liegen immer noch herum,<br />
werden aber nicht mehr kommentiert. Die<br />
Autoren schreiben aus der Zeit, in der sie<br />
leben mit ihren Sehnsüchten, Träumen und<br />
Hoffnungen.<br />
Redakteur, Gefängniswärter,<br />
Kameramann<br />
typen, die sich treiben lassen, die das Leben<br />
bloß nicht in die eigene Hand nehmen<br />
wollen, Menschen, denen skurrile Dinge<br />
widerfahren und die merkwürdige Sachen<br />
tun, um zu überleben.<br />
Diese postsowjetische Mentalität,<br />
welche in der Ukraine noch weit verbreitet<br />
ist, äußert sich auch in dem, was Kurkow<br />
den „Zookomplex“ nennt: Passiv sein und<br />
auf Nahrung warten. Eine Tendenz, die<br />
in seinen Romanen eine nicht unerhebliche<br />
Rolle spielt. Man sitzt im Käfig und zeigt<br />
keine Initiative. Trotz abstruser, ins Extreme<br />
oder Surreale verfremdeter Situationen<br />
aus dem ukrainischen oder russischen Alltag<br />
verliert Kurkow nie den ernsthaft-liebevollen<br />
Blick auf seine Figuren.<br />
Eine Lenin-Statue absägen<br />
© Fotowerk Aichner<br />
Buchtipp:<br />
Raoul Schrott:<br />
Die Kunst an<br />
nichts zu glauben<br />
Hanser Verlag, 168 Seiten,<br />
€ 18,40<br />
Lesung:<br />
„Von den Rändern der Erde –<br />
von Gilgamesh, finis terrae,<br />
tristan da cunha und der fünften<br />
Welt“ – Ein Abend mit Raoul<br />
Schrott<br />
Do., 5.11.2015, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitäts buchhandlung<br />
Raoul Schrott, Schriftsteller, Übersetzer<br />
und Literaturwissenschaftler, hat seit seinem<br />
Debüt „DADA 21/22“ (1988) die verschiedensten<br />
poetischen Pfade beschritten und<br />
in seinen Romanen, Gedichten, Essays<br />
und den Übertragungen antiker Stoffe stets<br />
die Sachkenntnis des Wissenschaftlers mit<br />
der Inspiration des Dichters zu verbinden<br />
gewusst. Sein jüngstes Buch „Die Kunst an<br />
nichts zu glauben“ steht in der Tradition,<br />
alte Quellen zu befragen – wobei in diesem<br />
Fall durchaus unterstellt werden darf, dass<br />
die Quelle, auf die er sich bezieht, Teil der<br />
Fiktion ist.<br />
Bestandsaufnahme,<br />
Selbstvergewisserung<br />
Wie der Leser den einleitenden Ausführungen<br />
entnimmt, ist Schrott in der Biblioteca<br />
Classense in Ravenna auf ein Manuskript<br />
gestoßen, das „Manuale Dell’ Esistenza<br />
Transitoria (De Arte Nihil Credendi)“, ein<br />
Werk aus der Zeit um 1700, das der Finder/<br />
Autor in einen Kanon atheistischer Literatur<br />
einreiht, um es sodann ins Deutsche<br />
zu übertragen und mit eigenen Gedichten<br />
darauf zu antworten. Fiktion oder nicht –<br />
© Lareina Greussing<br />
Ein atheistisches Manifest<br />
Der Dichter nennt die Dinge beim Namen,<br />
er bringt sie auf den Punkt; die Poesie,<br />
fern jeglichen dogmatischen Impetus,<br />
generiert so eine höchst diesseitige Moral.<br />
Die Sentenzen und Verse beziehen sich –<br />
einmal mehr, einmal weniger vordergründig<br />
– aufeinander, sie kommentieren und<br />
hinterfragen einander, es gibt unterschwellige<br />
Korrespondenzen, auch über viele Seiten<br />
hinweg. Die „historische Beglaubigung“<br />
verleiht den Aussagen quasi zusätzliches<br />
Gewicht. Und so ist das Spiel, das der<br />
poeta doctus Raoul Schrott mit dem Leser<br />
treibt, jenes, sein atheistisches Manifest<br />
(„ … ich dem jede religion fremd der aus<br />
den reihen verstossen und doch heilig ist:<br />
profan …“) mit den Mitteln der Poesie<br />
ins Werk zu setzen, was darauf hinausläuft,<br />
die Poesie selbst als moralische Haltung<br />
zu legitimieren.<br />
24 25<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Andrej Kurkow ist einer der faszinierendsten<br />
russischsprachigen Schriftsteller der<br />
Gegenwart. Er verbrachte seine Kindheit<br />
und Jugend in Kiew und schloss 1983 seine<br />
Ausbildung am staatlichen pädagogischen<br />
Fremdspracheninstitut ab. Er spricht heute<br />
noch sieben Fremdsprachen und arbeitete<br />
in unterschiedlichen Berufen: als Redakteur,<br />
Gefängniswärter und Kameramann.<br />
Seine Romane und Erzählungen wurden<br />
in zahlreiche Sprachen übersetzt. Nach Einschätzung<br />
der französischen Literaturzeitschrift<br />
‚Lire‘ ist er einer der 50 wichtigsten<br />
Schriftsteller der Welt, welche die Literatur<br />
des 21. Jahrhunderts ganz wesentlich mitbestimmen.<br />
Kurkows Romane zeichnen sich durch<br />
einen scharfen, ironischen Blick auf das<br />
Leben in der postsowjetischen Gesellschaft<br />
aus. In diesem heutigen Kiew lässt Kurkow<br />
seine Geschichten spielen mit Figuren, die<br />
nicht unbedingt sympathisch sind: Versager-<br />
Serhij Zhadan wurde in Starobilsk in der<br />
Bergbauregion der Ostukraine geboren<br />
und war an den Protesten auf dem zentralen<br />
Platz der Bürgerrevolution, dem Majdan,<br />
beteiligt. Eines seiner aktuellen Projekte:<br />
Mit ein paar Freunden die Lenin-Statue<br />
in Charkiw absägen. Diese Idee hat in<br />
der russischsprachigen Stadt zu lebhaften<br />
Auseinandersetzungen geführt, die so weit<br />
gingen, dass Serhij Zhadan am 1. März 2014<br />
bei einer Demonstration durch pro-russische<br />
Aktivisten brutal niedergeschlagen und<br />
schwer verletzt wurde.<br />
Serhij Zhadan ist kein Spurenleser. Sein<br />
literarischer Raum ist das Hier und Jetzt,<br />
das pralle Leben. Er erzählt Geschichten<br />
von seiner Generation – urban und ohne<br />
<strong>No</strong>s talgie. Er wird in seiner Heimat als<br />
ukrainischer Rimbaud, als proletarischer<br />
Post-Punk gefeiert. Von der Ungewissheit<br />
und Ver lorenheit in Zeiten des äußeren<br />
und inneren Umbruchs erzählt er in seinen<br />
Lyrikbänden und Prosawerken.<br />
In seinem neuen Roman „Mesopotamien“<br />
porträtiert er ein modernes Babylon, seine<br />
Heimatstadt Charkiw, indem er poetisch<br />
und sprachgewaltig von Menschen erzählt,<br />
die im „Zweistromland“ leben: zwischen<br />
dem ukrainischen Dnjepr im Westen und<br />
dem russischen Don im Osten.<br />
Zhadan ist einer der innovativsten und<br />
beliebtesten Autoren der neuen ukrainischen<br />
Literatur.<br />
© Rafal Komorowski/SuhrkampVerlag<br />
Buchtipps:<br />
Andrej Kurkow: Die Kugel<br />
auf dem Weg zum Helden<br />
Haymon Verlag, 392 S., € 22,90<br />
Serhij Zhadan: Mesopotamien<br />
Suhrkamp, 362 S., € 23,60<br />
Lesung:<br />
Serhij<br />
Zhadan<br />
Suhrkamp<br />
Roman<br />
Lesung der beiden Autoren<br />
im Rahmen des<br />
Ukraine-Schwerpunkts.<br />
Gespräch: Christian Jentsch<br />
Fr., 20. 11. 2015, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung
Showdown und meine Lust<br />
Zu Ilija Trojanows Roman Macht und Widerstand.<br />
Lektüreeindrücke von Lydia Mischkulnig.<br />
© Thomas Dorn / S. Fischer Verlag<br />
Die<br />
Verteidigung<br />
der Moral<br />
ist die Erfüllung<br />
der Moral. *<br />
Ilija Trojanow<br />
26<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Nachdem ich vor Monaten die Fahnen<br />
des Romans „Macht und Widerstand“<br />
durchgelesen hatte, um Ilija Trojanow zum<br />
Gespräch meiner Reihe „Werk-Leben“<br />
ins literarische Quartier der Alten Schmiede<br />
einzuladen, und ich nun nach einer Einschätzung<br />
meiner Leseerfahrung gebeten<br />
worden bin, versuche ich, die Nachhaltigkeit<br />
der Lektüre in folgenden Sätzen darzulegen:<br />
Gegen die sentimentale, selbstmitleidige<br />
Stimme eines Opportunisten erschüttern<br />
die monologisch gehaltenen Repliken<br />
eines Dissidenten, der um die Erinnerung<br />
kämpft. Gerechtigkeit geht übers Grab<br />
hinaus. Die Stimme der Süffisanz sirrt über<br />
den Machtsümpfen des Kommunismus<br />
und Kapitalismus, sie geht ins Ohr, um den<br />
Geist zu entfachen, der sich mit Konstantin,<br />
dem Anarchisten, verbindet und damit den<br />
Helden feststellt, der Widerstand leistet<br />
und eine Sprache hervorbringt, die sich als<br />
Frage nach dem Umgang Bulgariens mit<br />
seiner jüngeren Geschichte entfaltet. Um<br />
die identifikatorische Lese-Haltung geht<br />
es hier nicht, obwohl Konstantin die Figur<br />
ist, die man gern bekleidet hätte in der<br />
Geschichte um Macht und Widerstand.<br />
Vielmehr wird durch Reflexion und philosophische<br />
und politisch-literarische Anspielung<br />
dauernd daran erinnert, dass auch der<br />
bulgarische Mensch, also ich, aus einem<br />
krummen Holz geschnitzt ist. Was bedeutet<br />
also Widerständigkeit? Ab wann wird<br />
der Kampf zwischen Gut und Böse zur<br />
Groteske? Was bedeutet es, sich um einen<br />
aufrechten Gang zu bemühen? Wer beherrscht<br />
die Erinnerung? Und was setzt sie<br />
durch? Ein Buch wie „Macht und Widerstand“?<br />
* Zitiert aus: Ilija Trojanow,<br />
Macht und Widerstand, S. 298<br />
27<br />
Zwischen Gut und Böse<br />
Zum Showdown zwischen Gut und Böse<br />
kommt es nach dem Duell der Erzählebenen<br />
auf dem Friedhof, wo die Handlungsstränge<br />
zusammengeführt werden und sich Rache<br />
einstellt, eine wohltuende Rache, wenn<br />
die Gerechtigkeit mit der Täter-Opfer-<br />
Umkehrung und der Selbstverklärung endlich<br />
Schluss macht, weil das Verschweigen<br />
dann doch gebrochen wird. Die Würde,<br />
die sich gegen die Infamie, gegen die Häme<br />
und gegen die Unterwerfung durch den<br />
dauernden Zynismus der Macht behauptet,<br />
lässt sich in schlagenden Sätzen finden, die<br />
einer unmissverständlichen Haltung entsprechen,<br />
die Trojanow in Schlüssen auf den<br />
letzten Seiten wie Sinnsprüche zum Auswendiglernen<br />
festlegt. Das Gute ist radikal,<br />
und es schlägt Wurzeln im und durch den<br />
Kampf um Selbstbestimmung. Die Widersetzung<br />
wird mit essayistischen Ausflügen<br />
in die Schriften Bakunins, mit Protokollen<br />
der Staatssicherheit und Lebensberichten<br />
aufgeführt und in den Sprachfluss verwoben,<br />
so dass ein Strom psychologisch<br />
einfühlsamer Bewusstmachung beim Leser<br />
entsteht. Korruption und Maßlosigkeit,<br />
Geheimdienst, Kontrolle, Vergewaltigung<br />
und Folter sind die Mechanismen des<br />
bürokratisch verordneten und fleißig ausgeführten<br />
Verbrechens der Denunziation,<br />
das in den verschiedenen Textsorten auf<br />
den Erzählebenen der Kontrahenten zu<br />
einer erweckenden Lektüre organisiert wird.<br />
Erweckend, weil Überwachungsstrukturen<br />
im Zeitalter des Daten-Raffens aufzudecken<br />
sind und ein persistenter Widerstand zu<br />
leisten ist gegen die Kleptokratie und gegen<br />
jeden, auch religiösen, Faschismus, somit<br />
gegen Systeme jeder Verdachtsgesellschaft.<br />
Wie kommen wir zur Freiheit? Durch Erinnerung,<br />
die zum Beispiel durch Schreiben<br />
gemacht, geübt, in Frage gestellt wird.<br />
Die Geschichte von „Macht und Widerstand“<br />
ist zu so lesen.<br />
Kein Rezept,<br />
keine Katharsis<br />
Das semantische Reich der Trojanow’schen<br />
Sprache, die sich einfühlt in das Denken<br />
des Karrierismus und in das Denken der<br />
Haltung eines Geistes gegen die dauernde<br />
Unterwerfung durch Borniertheit, Abwertung<br />
und Spitzelei, legt Überzeugungswege<br />
frei, die die Protagonisten beschreiten und<br />
im besetzten Bulgarien über seine kommunistische<br />
Diktatur bis hin zum EU- und<br />
Natoland ableben. Es gibt kein Rezept für<br />
den Leser und auch keine Katharsis, aber<br />
Sätze, die man zusammenfassen kann,<br />
zum Showdown am Friedhof, wo Gericht<br />
gehalten und die Strafe verkündet wird,<br />
mittels Megaphon, und wo Rachlust,<br />
zumindest meine, gestillt wird – und dieser<br />
Sachverhalt stellt mich in Frage, das ist<br />
die List des Buches. „Und weil du dich der<br />
gerechten Strafe entzogen hast, wirst du zur<br />
schlimmsten aller Höllen verdammt, der<br />
Verachtung der Nachfahren, für alle Zeit.“<br />
Somit ist der Anarchist Konstantin gerächt<br />
und die Erinnerung eines Dissidenten in<br />
Literatur aufgehoben.<br />
Buchtipp:<br />
Ilija Trojanow:<br />
Macht und Widerstand<br />
Fischer Verlag, 480 S., € 25,70<br />
Lesung:<br />
Ilija Trojanow liest aus<br />
seinem neuen Roman<br />
„Macht und Widerstand“.<br />
Einführung und Gespräch:<br />
Klaus Zeyringer.<br />
Freitag, 13. 11. 2015, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung
Wir Wagnerianer.<br />
Obwohl vieles neu ist an der Wagner’schen, eines bleibt gleich:<br />
Alle ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern<br />
sich auch in Zukunft darum, Ihre literarischen Vorlieben<br />
bestens zu bedienen.<br />
Barbara Wittauer<br />
Peter<br />
Walder-Gottsbacher<br />
Astrid Eme<br />
Carmen<br />
Gschwandtner-Lang<br />
Marija Milicevic<br />
Franz Haas<br />
Markus Renk<br />
Robert Renk<br />
Claudia Kamleitner<br />
Carmen<br />
Gschwandtner-Lang<br />
Silvia Spiegl<br />
Ute Faserl<br />
Nina Rettenbacher<br />
Sabine Peer<br />
28<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
29<br />
Andrea Scheiber<br />
Boris Schön<br />
Irmtraut Widder<br />
Mimi Grünberger<br />
Magdalena Naschberger<br />
Marlene Walder<br />
Michaela Weiler<br />
Michaela Aigner<br />
Weitere<br />
Mitarbeiterinnen
Cover<br />
sei<br />
Dank.<br />
Von Vea Kaiser<br />
30<br />
Wagner’sche.<br />
Wenn man in einem abgeschiedenen niederösterreichischen Dorf<br />
aufwächst, wo sich die Mädchen bereits am Montag zu über legen<br />
beginnen, welches im Versandkatalog bestellte Outfit sie zum<br />
Fußballmatch der Burschen am Sonntag anziehen, dann liest man<br />
entweder nur, wenn man muss, oder immer, wenn man kann.<br />
Seit ich lesen konnte, verschlang ich alles, was ich im Jugendzimmer<br />
meines Onkels fand. Karl May, Enid Blyton,<br />
ganz egal was, Hauptsache, es zeigte mir eine Welt, die<br />
nicht von blonden, blauäugigen Sandkastendominas und<br />
der Tennisplatzmafia regiert wurde. Als ich jedoch in die Pubertät<br />
kam, ging mir der Nachschub aus. Das Jugendzimmer meines<br />
Onkels war ausgelesen, die paar interessanten Werke im schmalen<br />
Regal meiner Eltern auch, und die Dorfbücherei, die sonntags im<br />
Anschluss an die Kirchmesse geöffnet hatte, boykottierte ich. Ich<br />
hatte panische Angst, würde ich dieselben Bücher lesen wie die<br />
Dorfbewohner, würde ich eines Tages meinen Cousin heiraten, ein<br />
Fertigteilhaus bauen und Tupperwarepartys entgegenfiebern.<br />
Meine Hoffnung war, dass mir im katholischen Privatgymnasium,<br />
auf das ich nach der Volksschule wegen meiner guten <strong>No</strong>ten<br />
wechseln durfte, der Weg in die Welt der Erwachsenenliteratur<br />
geebnet werden würde. Doch meine Klasse wurde von der Unterstufe<br />
bis zur Matura von einem gescheiterten Dichter unterrichtet.<br />
Unser Lehrer war in seiner Studienzeit mit der Wiener Gruppe<br />
im Café Hawelka abgehangen. Hatte mit H. C. Artmann, Friedrich<br />
Achleitner und Co. über die Erneuerung der Literatur philosophiert,<br />
war jedoch nie bei einem Verlag gelandet, sondern an unserer<br />
Schule – und die einzigen Texte, die er uns zu lesen gab, waren<br />
seine eigenen. Und zu besonderen Anlässen die seiner früheren<br />
Freunde. Hausübungen mussten wir keine schreiben, da er ohnehin<br />
jede Aufgabe selbst löste und uns in der folgenden Stunde einen<br />
von ihm verfassten „Musteraufsatz“ austeilte.<br />
Mit dreizehn schließlich entdeckte ich nicht nur, dass ich Brüste<br />
bekam, sondern auch, dass sich ein kleines bisschen Mut darunter<br />
befand, und so schlich ich nach der Schule regelmäßig in die kleine<br />
Buchhandlung in der Fußgängerzone. Meine dortigen Besuche<br />
waren beeinträchtigt vom Zeitdruck, rechtzeitig zum Bahnhof zu<br />
kommen. Ein Zug fuhr zwar stündlich, doch der eine Bus, der vom<br />
Bahnhof an der Westbahnstrecke hinein in die Voralpen zu meinem<br />
kleinen Dorf fuhr, nur vier Mal täglich. Ich hatte große Angst,<br />
die Buchhändler würden mich irgendwann für eine Diebin halten,<br />
wenn ich mich lediglich hektisch umsähe, aber nie etwas kaufte,<br />
und so beschloss ich eines Tages, nicht hinauszugehen, ohne ein<br />
Buch zu erwerben. Auf Samtpfoten wanderte ich um die freistehenden<br />
Tische, betrachtete immer nur die in Plastik eingeschweißten<br />
Exemplare, damit die Buchhändler nicht schimpften, ich würde sie<br />
schmutzig machen, und dann hatte ich plötzlich dieses eine Buch<br />
in der Hand. Auf dem in Blautönen gehaltenen Cover schlug ein<br />
kleines Mädchen oder ein langhaariger Bursche mit einem überdimensionalen<br />
Hammer auf ein am Amboss liegendes Herz ein und<br />
hatte dabei ein diebisches Lächeln im Gesicht. Ich hatte natürlich<br />
keinen Schimmer, dass das eine Darstellung Eros’ war, ich – mitten<br />
in der Pubertät, den Hormonen zum Abschuss ausgeliefert – dachte<br />
nur daran, wie zerbrechlich Herzen sind und wie manche rücksichtslos<br />
mit ihnen spielen, gleich diesem abgebildeten Kind. Wie viel<br />
Weisheit alleine das Cover enthielt! Wer der Autor war, was für ein<br />
Landsmann, das war mir alles egal. Er hieß Jeffrey Eugenides und<br />
gehört hatte ich noch nie von ihm. Den Klappentext ignorierte ich,<br />
was ein Pulitzer-Preis war, wusste ich ohnehin nicht, es klang aber<br />
immerhin nach etwas Wichtigem, und dass der Titel dieses Romans,<br />
nämlich Middlesex, das Wort „Sex“ beinhaltete, machte mich erst<br />
recht neugierig. Also hastete ich zum Tresen, bezahlte unter Zuhilfenahme<br />
aller Cent-Stücke, die sich am Boden meiner Schultasche<br />
fanden, die für mich damals astronomische Summe von 20,45 und<br />
lief aus der Buchhandlung, ehe mich jemand fragte, was ein junges<br />
Mädchen wie ich mit einem Buch für Erwachsene wolle, und ob<br />
mir meine Eltern überhaupt erlaubten, etwas zu kaufen, auf dem<br />
das Wort „Sex“ stand. Im Kopf hatte ich dabei die Stimme meines<br />
Vaters, der mich rügte, warum ich nicht auf die Veröffentlichung<br />
des Taschenbuchs gewartet hätte, wenn es schon nicht in unserer<br />
Dorfbücherei erhältlich sei.<br />
<strong>No</strong>ch im Zug begann ich zu lesen. Selbst im nach<br />
nassem Hund riechenden Bus hörte ich nicht auf, und<br />
drei Tage später war ich nicht nur mit den siebenhundert<br />
Seiten fertig, sondern ein anderer Mensch geworden.<br />
Als ob mich mein erstes Buch für Erwachsene selbst erwachsen<br />
gemacht hätte.<br />
In Middlesex geht es um Cal, der durch den Inzest seiner griechischen<br />
Großeltern als Hermaphrodit geboren und als Mädchen<br />
Calliope erzogen wird, ehe er in seiner Pubertät beschließt, als<br />
Mann leben zu wollen. Ausgehend von dieser Figur wird die Geschichte<br />
der gesamten Familie und all ihrer Mitglieder erzählt.<br />
Beim Lesen erfuhr ich nicht nur von der Vertreibung der Griechen<br />
aus Klein asien, dem Leben in der griechischen Diaspora, dem<br />
American Dream, nein, ich lernte auch, dass man seiner Familie,<br />
egal, ob man ein enges Verhältnis mit ihr pflegt oder vor ihr flüchtet,<br />
nie ent kommen kann. Familie ist immer da, und die Entscheidung<br />
eines Einzelnen beeinflusst schlussendlich alle. Als ich las, wie<br />
Cal seinen Großeltern ihren Inzest vergibt, versöhnte ich mich<br />
mit dem Leben, in das mich meine Familie geboren hatte. Genauso<br />
wie Cals Großeltern nicht ausgesucht hatten, sich ineinander zu<br />
verlieben, hatten meine Großeltern keine andere Wahl gehabt, als<br />
in diesem niederösterreichischen Dorf zu leben, in dem sie geboren<br />
wurden, wie auch meine Eltern, die nunmal einen Baugrund von<br />
meinen Urgroßeltern vermacht bekommen hatten und zum Teufel<br />
gejagt worden wären, wenn sie das Erbe verkauft hätten. Ich weiß,<br />
es ist unfair, die Folgen einer Genmutation mit den Widrigkeiten<br />
des Landlebens in einen Topf zu werfen, aber zu meiner Entschuldigung:<br />
ich war dreizehn. Nicht gerade ein Alter, das sich durch<br />
Weitsicht und emotionale Reife auszeichnet.<br />
Doch am Allerwichtigsten sollte eine ganz bestimmte<br />
Szene für mich werden. Eine Figur namens Milton<br />
kommt während einer Verfolgungsjagd im Auto von der<br />
Straße ab. Zunächst heißt es, dass der Wagen plötzlich<br />
von alleine fährt, gar nicht mehr gelenkt werden muss, Milton zurückführt<br />
an die einzelnen Stationen seines Lebens – und plötzlich<br />
merkt man, dass die Figur gerade gestorben ist. Dieser erzählerische<br />
Kunstgriff beeindruckte mich so massiv, dass ich ihn stehlen<br />
musste. Und so schrieb ich die erste Kurzgeschichte meines Lebens.<br />
Sie handelt von einer jungen Frau, die sich ständig in Schwierigkeiten<br />
bringt, weil sie denkt, dass ihr Vater sie nicht liebt. Und als<br />
ihr der Vater schließlich zu Hilfe eilt, kommt er mit seinem Wagen<br />
vom Weg ab und wundert sich, dass das Auto plötzlich von alleine<br />
fährt. Kurze Zeit später las ich in der Lokalzeitung von einem<br />
Schreibwettbewerb für Vierzehn- bis Vierundzwanzigjährige, sandte<br />
die Geschichte ein und hoffte, niemandem fiele auf, dass ich erst<br />
dreizehn war. Mein Deutschlehrer meinte, die Geschichte sei scheiße,<br />
und empfahl mir, ich solle anrufen und sie zurück ziehen. Zum<br />
Glück traute ich mich nicht. Die Jury nämlich fand die Geschichte<br />
so gut, dass sie mir das Jugendamt vor die Tür schickte. Man<br />
dachte, eine Dreizehnjährige könne sich so etwas nicht ausdenken.<br />
Nachdem das Jugendamt jedoch festgestellt hatte, dass meine Eltern<br />
glücklich verheiratet waren und ich keine Drogen nahm, bekam<br />
ich den ersten Preis: tausend Euro. Panisch beichtete ich daraufhin<br />
der Jury, dass ich die Szene mit dem Tod des Vaters gestohlen hatte.<br />
Die jedoch meinte, diese Szene habe ihr ohnehin am wenigsten<br />
gefallen, sie habe wie ein Fremdkörper gewirkt, und ich hätte den<br />
Preis für die Schilderung der Beziehung zwischen Vater und Tochter<br />
erhalten. Daraufhin investierte ich das Geld in einen Laptop und<br />
begann, aus dieser Kurzgeschichte einen Roman zu machen.<br />
Natürlich scheiterte ich kläglich. Doch ich gab nicht auf, las<br />
zur Ermutigung noch viele Male Middlesex, bis zehn Jahre später<br />
tatsächlich mein erster Roman fertig war und sogar veröffentlicht<br />
wurde.<br />
Je mehr ich nachdenke, desto mehr Episoden fallen mir ein, in<br />
denen Middlesex Einfluss auf mich hatte: als ich beschloss, für ein<br />
halbes Jahr nach Detroit zu gehen, wo das Buch spielt, oder als<br />
ich sechs Stunden lang durch die Buchhandlungen Triests lief, um<br />
meinem Geliebten die italienische Übersetzung zu schenken. Oder<br />
die Nacht, in der besagter Geliebter und ich bis in den Sonnenaufgang<br />
über dieses Buch redeten und ich verstand, was Glück<br />
bedeutet, nämlich in einem Moment an keinem anderen Ort,<br />
mit keinem anderen Menschen, in keiner anderen Situation sein<br />
zu wollen.<br />
Nachdem mein zweiter Roman auch eine griechische Familiengeschichte<br />
erzählt, taufte ich Jeffrey Eugenides zu Ehren eine<br />
meiner Hauptfiguren nach einer seiner Hauptfiguren: Eleftherios,<br />
von allen Lefti gerufen.<br />
Das einzige Problem: Wenn man so sehr an einem Buch<br />
hängt, verleitet es einen zu kruden Handlungen. Letztes<br />
Jahr gab ich mein als Dreizehnjährige erstandenes<br />
Exemplar zum Zeichen meiner Liebe einem Mann, von<br />
dem ich dachte, wir würden den Rest unseres Lebens miteinander<br />
verbringen. Natürlich endete diese Beziehung im Drama, und auch<br />
wenn wir nicht mehr miteinander reden, mein Middlesex will ich<br />
wiederhaben. Und wenn das bedeutet, dass ich in seine Wohnung<br />
einbrechen muss. Liebschaften kommen und gehen. Doch dieses<br />
eine Buch, das mein Leben von Grund auf verändert hat, muss auf<br />
ewig an meiner Seite bleiben.<br />
Original-Text erschien<br />
in NEON 10/14<br />
Bücher seit 1639<br />
31
Mit<br />
den<br />
besten<br />
Empfehlungen:<br />
Nach „Stoner“ legt dtv<br />
den nächsten Roman des<br />
US-amerikanischen Autors<br />
John Williams (1922–1994) vor.<br />
Es geht um Will Andrews, der<br />
in den „Wilden Westen“ zieht,<br />
um sich selbst zu finden.<br />
„Butcher’s Crossing“ erzählt<br />
vom Untergang einer Gesellschaft,<br />
die sich selbst die<br />
Lebensgrundlage entzieht, von<br />
einem „Wilden Westen“, dessen<br />
Ende naht. In atmosphärisch<br />
dichten Bildern entwickelt<br />
das Buch einen Sog, dem der<br />
Leser nicht entkommt –<br />
min destens so überwältigend<br />
wie „Stoner“. Und das will<br />
etwas heißen. Susanne Gurschler<br />
John Williams:<br />
Butcher’s Crossing<br />
dtv, 365 S., € 22,60<br />
Reeve ist tot. Seit dem Verlust<br />
ihrer großen Liebe kapselt sich<br />
Jam vom Rest der Welt ab und<br />
nimmt das Leben nur mehr am<br />
Rande wahr. Der Aufenthalt<br />
in einem Internat für „emotional<br />
fragile, hochintelligente Teenager“<br />
soll dem traumatisierten<br />
Mädchen helfen, wieder neuen<br />
Lebensmut zu gewinnen. – Sich<br />
auf die gescheiten Gedankengänge<br />
von Meg Wolitzers junger<br />
Heldin einzulassen, ist wie die<br />
Fahrt auf einer emotionalen<br />
Hochschaubahn. Hubert Flattinger<br />
Meg Wolitzer:<br />
Was uns bleibt ist jetzt<br />
cbj, 384 S., € 18,50<br />
Jack London, das ist Erinnerung<br />
an Jugendlektüre, an Hunde,<br />
Kälte und Gold. In gewohnten<br />
Bahnen glaubt man sich, greift<br />
man zur wundertollen Neuübersetzung<br />
von Lutz-W. Wolff<br />
– und staunt. Über die Aktualität<br />
eines Romans, in dem der<br />
bärenstarke Burning Daylight<br />
das gelbe Metall nutzt, um mit<br />
Grund- und Immobilienspekulation<br />
zu Alaskas reichstem<br />
Mann und dann zum Börsenhai<br />
zu werden, der Kapital und nicht<br />
mehr seine Hände arbeiten lässt.<br />
Der Absturz ist vorprogrammiert,<br />
Erlösung liegt – no na –<br />
in der Liebe und in der Hände<br />
Arbeit. Andreas Hauser<br />
Jack London:<br />
Lockruf des Goldes<br />
dtv, 416 S., € 13,30<br />
Der arbeitslose Webdesigner<br />
Clay Jannon heuert in einer<br />
Buchhandlung an, die sich als<br />
Treffpunkt obskurer Gestalten<br />
entpuppt, die in rätselhaften<br />
Folianten nach dem Schlüssel<br />
zum ewigen Leben suchen. Clay<br />
beschließt, der Geheimgesellschaft<br />
zu helfen, unterstützt von<br />
seiner Freundin Kat und deren<br />
Google-Task-Force – ein lustvolles<br />
Aufeinandertreffen zweier<br />
Welten, das mit einer Liebeserklärung<br />
an Buchhandlungen<br />
endet: „Ein Verkäufer und eine<br />
Leiter und ein warmes, goldenes<br />
Licht, und dann: genau das richtige<br />
Buch … “ Andreas Hauser<br />
Robin Sloan:<br />
Die sonderbare Buchhandlung<br />
des Mr. Penumbra<br />
Heyne, 432 S., € 10,30<br />
Massei-Ermittler Mollel landet<br />
strafversetzt im kenianischen<br />
Niemandsland nahe dem<br />
Nationalpark Hell’s Gate. Für<br />
seine neuen Kollegen ist er ein<br />
Fremdkörper, der die Alltagskorruption<br />
zu stören droht,<br />
ebenso ungelegen kommt eine<br />
ermordete Rosenpflückerin.<br />
Auf sich allein gestellt beginnt<br />
Mollel zu ermitteln – und befindet<br />
sich bald in einer tödlichen<br />
Gemengelage von Landraub,<br />
Ausbeutung, Rassismus, Wilderei<br />
und Umweltsünden. Ein<br />
würdiger Nachfolger für Cromptons<br />
Power-Erstling „Wenn der<br />
Mond stirbt“. Andreas Hauser<br />
Richard Crompton:<br />
Hell’s Gate<br />
dtv premium, 300 S., € 15,40<br />
Da schreibt einer erfolgreiche<br />
Krimis, ist noch dazu Österreicher<br />
– und ist hierzulande fast<br />
unbekannt, den kiminophilen<br />
Rezensenten eingeschlossen.<br />
Vielleicht liegt’s daran, dass<br />
Andreas Gruber seine Bücher<br />
– aktuell „Racheherbst“ – im<br />
Paperback veröffentlicht. Er<br />
hetzt seine Leser und den Leipziger<br />
Kriminaldauerdienstler<br />
Walter Pulaski durch Deutschland,<br />
Prag und Wien, immer<br />
einen Schritt hinter Mikaela,<br />
einer verzweifelten Mutter, der<br />
eine Tochter ermordet, die andere<br />
entführt wurde. Bald wird<br />
klar, der Täter braucht frisches<br />
Blut … Andreas Hauser<br />
Andreas Gruber:<br />
Racheherbst<br />
Goldmann, 506 S., € 10,30<br />
CLEMENS J.<br />
SETZ<br />
Die STUNDE<br />
ZWISCHEN<br />
FRAU und<br />
GITARRE<br />
SUHRKAMP<br />
R O M A N<br />
32<br />
Wagner’sche.<br />
Die Bücher aus der Reihe „Gebrauchsanweisung“<br />
sind keine<br />
Reiseführer, sondern, wenn es<br />
gut läuft, großes Kino! „Neapel“<br />
ist so ein Fall. Maria Morese<br />
beschreibt Antikes Erbe und<br />
Gegenwartskunst, Kultur und<br />
organisiertes Verbrechen. Obwohl<br />
die Autorin die Schattenseiten<br />
der Stadt und der Region<br />
keineswegs ausspart, gelingt es<br />
ihr zu faszinieren. Die schmalen<br />
Gassen, Bars, die wahre Pizza,<br />
Pompeji und das Archäologische<br />
Museum. Apropos großes<br />
Kino: Luchino Visconti lebte<br />
im Sommer auf Ischia, heute ist<br />
in seiner Villa ein Filmmuseum<br />
untergebracht. Franz Haas<br />
Maria Carmen Morese:<br />
Gebrauchsanweisung für Neapel<br />
und die Amalfi-Küste<br />
Piper, 237 S., € 15,50<br />
Monique Schwitter will es<br />
genau wissen: Woher kommt<br />
die Liebe und vor allem, wohin<br />
geht die Liebe, wenn sie geht?<br />
In diesem Sinne schickt<br />
Schwitter ihre Protagonistin<br />
auf eine tour d’amour durch<br />
ihre Liebesvergangenheit.<br />
12 Verflossene gibt es, die<br />
(zufällig?!) die Namen der<br />
12 Apostel tragen. Schwitters<br />
Liebes- und Glaubensrecherche<br />
„Eins im Andern“ ist ein<br />
geistreich erzählter Roman,<br />
der mit Witz und Tiefgang<br />
die (liebenden) Herzen erobert.<br />
Gabriele Wild<br />
Monique Schwitter:<br />
Eins im Andern<br />
Droschl 2015, 232 S., € 19,00<br />
Bernhard Aichner hat es höchstpersönlich<br />
bei seiner Lesung in<br />
Telfs geschafft, mich neugierig<br />
zu machen auf Brünhilde Blum.<br />
Sie ist Bestatterin in Innsbruck,<br />
ebenso Ehefrau, Mutter und<br />
auch Mörderin – aber mögen<br />
muss man sie trotzdem. Von<br />
Anfang an liest sich das Buch<br />
in hohem Tempo, oft fühlt man<br />
sich fast atemlos. Wer oder was<br />
ist eigentlich gut oder böse?<br />
Blums sicheres, schönes Leben<br />
wird ihr von einer Sekunde auf<br />
die andere zerstört. Sie muss<br />
sich doch rächen, als sie die<br />
Wahrheit erkennt? „Totenhaus“<br />
ist unglaublich spannend, mitreißend<br />
und sehr ungewöhnlich.<br />
Nadja Fenneberg<br />
Bernhard Aichner:<br />
Totenhaus<br />
btv, 413 S., € 20,60<br />
Pip Tyler hat keine Ahnung,<br />
wer ihr Vater ist. Über Umwege<br />
gerät sie an einen geheimnisvollen<br />
Whistleblower und erhofft<br />
sich hilfreiche Informationen bei<br />
ihrer Vatersuche. Die Abgründe<br />
moderner Kommunikationstechnologien,<br />
der Kampf der<br />
Geschlechter und das alles umspannende<br />
Thema Schuld durchdringen<br />
diesen monumental<br />
angelegten Roman. Ein geistreiches<br />
neues Lesevergnügen des<br />
amerikanischen Bestsellerautors<br />
Jonathan Franzen. Markus Jäger<br />
Jonathan Franzen:<br />
Unschuld<br />
Rowohlt, 829 S., € 27,80<br />
Dieser Roman, der mit den<br />
Kindheitserinnerungen von<br />
Anton Winter, seinem Aufwachsen<br />
in einer paradiesischen Gartenkolonie<br />
und einer idyllischen<br />
Großfamilie beginnt, dreht sich<br />
schnell ins Gegenteil. Die bevorstehende<br />
Apokalypse bildet<br />
den Hintergrund für eine Liebesgeschichte,<br />
der die Gegenwart<br />
nichts verspricht und für die die<br />
Zukunft womöglich ein Traum<br />
bleiben wird. Auffällig ist die<br />
Sprache von Valerie Fritsch, ihre<br />
beeindruckenden Schilderungen<br />
einer harmonischen Kindheit<br />
ebenso wie die ausufernden<br />
Sequenzen des drohenden<br />
Untergangs. Gabi Unterberger<br />
Valerie Fritsch:<br />
Winters Garten<br />
Suhrkamp, 154 S., € 17,50<br />
Natalie (21, Synästhetin,<br />
DIY-Charakter) arbeitet als<br />
Bezugi in einem Betreuungsheim.<br />
Sie hat ein Faible für<br />
Worte, Geräusche und schwierige<br />
Beziehungen und taucht<br />
ein in die Geschichten ihrer<br />
Klienten. Z. B. Herr Dorm:<br />
Stalker, Schwuler, Rollstuhlfaher<br />
– einst Täter, nun Opfer<br />
von Herrn Hellberg. In über<br />
1000 Seiten breitet Clemens J.<br />
Setz in seinem neuen Roman<br />
Unerhörtes, Paranormales und<br />
ungemein Unterhaltsames auf<br />
seine magische Art aus. Fett!<br />
Markus Köhle<br />
Clemens J. Setz:<br />
Die Stunde zwischen Frau und Gitarre<br />
Suhrkamp, 1.021 S., € 30,80
Ein Entblößen der Vorvergangenheiten<br />
unter der Dichterinnenlupe<br />
nachgebürtiger Wissensstufen<br />
angesichts einer politischen<br />
Steinschlag-Gegenwart, um<br />
doch noch den hundeggerschen<br />
Hoffnungston in eine Herzenszukunft<br />
zu splittern. Dantes<br />
Fegefeuer reloaded. Im Vergänglichen<br />
heutig. Wie der sozialen<br />
Hölle entkommen zwischen<br />
Lampedusa und menschensperrigen<br />
Vertragsgeschicken, die Tod<br />
bedeuten? Zwischen Mann,<br />
Frau, Frau, Frau und Vers?<br />
Eine wundpoetische Absage<br />
an die Lügenhaft der Zeit(en).<br />
Grandios. José F.A. Oliver<br />
Barbara Hundegger:<br />
wie ein mensch der umdreht geht<br />
Dantes Läuterungen reloaded. Gedichte.<br />
Haymon-Verlag. 120 S., € 17,90<br />
Die junge Bäckerin Sage ver -<br />
liert bei einem Autounfall ihre<br />
Mutter. Entstellt durch eine<br />
Narbe lebt sie sehr zurückgezogen,<br />
bis sie in einer Trauerselbsthilfegruppe<br />
den 90-jährigen<br />
Josef kennenlernt, der eine<br />
schwere Last aus der Vergangenheit<br />
mit sich trägt. In diesem<br />
Buch geht es um die Judenverfolgung,<br />
Leben und Überleben,<br />
Schuld und Vergebung, und<br />
wo Sage die Grenzen ziehen<br />
kann. Eine Geschichte voller<br />
Kontraste, die hervorragend<br />
recheriert ist und sehr unter die<br />
Haut geht. Gabi Unterberger<br />
Jodi Picoult:<br />
Bis ans Ende der Geschichte<br />
C. Bertelsmann, 560 S., € 20,60<br />
Der neueste Wortwurf des<br />
Tiroler Autors und PoetrySlam-<br />
Pionier Markus Köhle. 52 Wolpertinger<br />
erörtert er in seiner<br />
unnachahmlichen Art, in der er<br />
den Buchstaben in die Kiemen<br />
schaut und die Doppeldeutigkeit<br />
der Sprache liebevoll entlarvt.<br />
Wir lernen durch den Zusatz oft<br />
nur eines Buchstabens die irrwitzigsten<br />
Tierverschmelzungen<br />
kennen: Wir lernen etwa, dass<br />
das Kiwiesel „einer der flinksten<br />
Rollobstnager überhaupt“ ist …<br />
Mit Zeichnungen von Sabine<br />
Freitag wird das Buch zum<br />
hochvergnüglichen, spielerischen<br />
Gesamtkunstwerk. –<br />
Eine Freude! Robert Renk<br />
Markus Köhle, Sabine Freitag:<br />
Kuhu, Löwels, Mangoldhamster<br />
Sonderzahl-Verlag, 140 S., € 18,00<br />
„Im ersten Stock wurde alemannisch<br />
gesprochen und im zweiten<br />
andalusisch. Wenn sich eine<br />
sternenklare Nacht abzeichnete<br />
und man den Mond am Himmel<br />
sah, hieß er im zweiten Stock<br />
‚la luna‘ und war weiblich.<br />
Betrachtete man ‚la luna‘<br />
vom ersten Stock aus, war sie<br />
plötzlich männlich und hieß ‚der<br />
Mond‘. Ein paar Treppenstufen<br />
genügten und aus der Frau wurde<br />
ein Mann – oder umgekehrt“,<br />
liest man im Eröffnungsessay.<br />
Ein paar Zeilen genügen, um<br />
zu wissen: Hier schreibt einer,<br />
der etwas zu sagen hat und das<br />
grandios tut, mit Zuneigung,<br />
Kritik und Stil! Robert Renk<br />
José Oliver:<br />
Fremdenzimmer, Essays<br />
Verlag Weissbooks, 130 S., € 17,50<br />
Richard David Precht schafft<br />
in der Philosophie, die Theorie<br />
mittels Geschichte ins Jetzt<br />
zu holen und die Aktualität von<br />
bis zu 3000 Jahre alten Gedankengängen<br />
gleichermaßen<br />
tiefgründig wie leicht lesbar zu<br />
vermitteln. Im ersten Teil seiner<br />
dreibändigen Geschichte der<br />
Philosophie beschreibt er die<br />
Entwicklung des abendländischen<br />
Denkens von der Antike<br />
bis zum Mittelalter. Dabei<br />
bettet er die Philosophie in die<br />
politischen, wirtschaftlichen und<br />
sozialen Fragen der jeweiligen<br />
Zeit ein. – Was bin ich und<br />
wenn doch, was les ich? Auf<br />
jeden Fall: Precht. Robert Renk<br />
Richard David Precht:<br />
Erkenne die Welt – Eine Geschichte<br />
der Philosophie, Band 1<br />
Goldmann Verlag, 576 S., € 23,70<br />
Colum McCann verknüpft<br />
drei reale historische Ereignisse,<br />
mit der fiktiven Geschichte<br />
dreier Generationen und 150<br />
Jahren irisch-amerikanischer<br />
Beziehungen. Die in den Hintergrund<br />
getretene Historie wird<br />
durch im Handlungsmittelpunkt<br />
stehende Frauen zum Leben<br />
erweckt. Der anfangs geradlinig<br />
erzählte Roman bekommt durch<br />
seine Vielschichtigkeit einen<br />
immer höheren Grad an Komplexität.<br />
In dieser technisch<br />
genialen literarischen Konstruktion<br />
kann man viel entdecken.<br />
Boris Schön<br />
Colum McCann:<br />
Transatlantik<br />
Rowohlt TB, 381 S., € 10,30<br />
Ein riesiges Autokino in der<br />
texanischen Einöde wird<br />
während der freitäglichen All-<br />
Night-Horror-Show durch einen<br />
Meteor von der Außenwelt<br />
abgeschnitten. Die anfängliche<br />
Verunsicherung der Kinobesucher<br />
weicht kontinuierlich<br />
Gewaltexzessen und Kannibalismus.<br />
Zwischen (Marlen)<br />
Haushofer’schem Gedankenexperiment<br />
und (Stephen)<br />
King’scher Perfidität entwickelt<br />
Lansdale einen humorigen,<br />
treibenden Roman, der allen<br />
Freunden der Abartigkeit große<br />
Lust bereiten wird. Boris Schön<br />
Joe R. Lansdale:<br />
Drive-In<br />
Heyne Hardcore, 736 S., € 15,50<br />
Im elften Band der Serie um<br />
den Woman’s Murder Club<br />
muss sich Lindsay Boxer gleich<br />
um 2 Fälle kümmern. Zum<br />
einen werden am Anwesen eines<br />
berühmten Schauspielers<br />
2 Totenschädel in einem<br />
Blumenarrangement gefunden.<br />
Gleichzeitig hat es die nun<br />
schwangere Lindsay mit einem<br />
Rächer zu tun, der Drogendealer<br />
hinrichtet. Das pikante daran:<br />
die Tatwaffen stammen aus<br />
der Asservatenkammer ...<br />
Diese Serie ist vielen auch<br />
durch die Verfilmung mit<br />
Angie Harmon bekannt und<br />
ist gewohnt spannender<br />
Thrillergenuß. Robert Renk<br />
James Patterson:<br />
Die 11. Stunde<br />
blanvalet Verlag, 380 S. € 9,30<br />
Auf gleich zwei neue Commissario-Montalbano-Bücher<br />
können sich Camillerileser<br />
freuen. In „Das Lächeln der<br />
Signorina“ treibt Montalbano<br />
einmal nicht die Wut, sondern<br />
die Liebe an. Auch dafür ist er<br />
nicht zu alt. Ganz jung hingegen<br />
lernen wir den Commissario in<br />
„Der ehrliche Dieb“ kennen. In<br />
acht raffinierten Geschichten<br />
begegnen wir Italiens erfolgreichstem<br />
Ermittler und dem<br />
Sizilien der 80er. Da möchte<br />
man gerne anstoßen, mit einem<br />
feinen Whiskey auf der Terasse<br />
in Vigàta. Markus Renk<br />
Andrea Camilleri:<br />
Der ehrliche Dieb<br />
Bastei Lübbe, 319 S., € 18,50<br />
Das Lächeln der Signorina<br />
Bastei Lübbe, 256 S., € 22,70<br />
Zurück an den Herd! Was<br />
unterscheidet uns von allen anderen<br />
Lebewesen? Wir kochen.<br />
Wir wurden, was wir sind,<br />
seit wir nicht mehr den Großteil<br />
der Energie fürs Verdauen von<br />
Rohem brauchten, sondern in<br />
die Gehirn-Entwicklung investieren<br />
konnten. Michael Pollan<br />
ist ein intellektueller Praktiker,<br />
ja, so etwas gibt’s, und genau<br />
so schreibt er: höchst gescheit<br />
und gebildet, zupackend, sinnlich.<br />
Da lodert die Begeisterung<br />
hell wie das Herdfeuer.<br />
„Kochen“ – sehr heisze Empfehlung!<br />
Irene Heisz<br />
Michael Pollan:<br />
Kochen. Eine Naturgeschichte<br />
der Transformation<br />
Verlag Antje Kunstmann,<br />
524 S., € 30,80<br />
Joe Coughlin, nach außen<br />
ehrbarer Bürger von Tampa,<br />
Florida, nach innen unersetzbarer<br />
Consigliere des organisierten<br />
Verbrechens, fürchtet um sein<br />
Leben – am Aschermittwoch des<br />
Jahres 1943 soll es ein Killer<br />
beenden. Coughlin begibt sich<br />
auf die Suche nach dem potenziellen<br />
Mörder und merkt zu<br />
spät, dass er bloß eine Figur auf<br />
einem Schachbrett der Intrige<br />
ist. Mit „Am Ende einer Welt“<br />
setzt Dennis Lehane seine lose<br />
Coughlin-Reihe fort und<br />
kreiert dabei ein fulminantes<br />
Kaleidoskop mörderischer<br />
Seelen … Andreas Hauser<br />
Dennis Lehane:<br />
Am Ende einer Welt<br />
Diogenes, 394 S., € 24,70<br />
Rachel sieht die Gärten einer<br />
Mittelstandsgesellschaft, sie<br />
kennt die Fassaden und träumt<br />
von der heilen Welt dazwischen,<br />
von der sie einmal Teil war. Jetzt<br />
leben Megan und Anna dort. Die<br />
Autorin Paula Hawkins erzählt<br />
aus der Sicht von drei Frauen<br />
eine Geschichte von Lügen, die<br />
sich hinter menschlichen und<br />
Backsteinfassaden auftun. Klar<br />
und ohne unnötige Umschweife<br />
nimmt sie LeserInnen auf eine<br />
Reise in die Tiefen menschlicher<br />
Psyche und bietet ver- und zerstörende<br />
Einblicke. Ein fesselnder<br />
Psychothriller. David Bullock<br />
Paula Hawkins:<br />
The Girl on the Train<br />
blanvalet, 448 S., € 13,40<br />
Der „Marathonmann der<br />
heimischen Literatur“ (profil)<br />
wird mit einer mehrbändigen<br />
Ausgabe seiner Rezensionen<br />
gewürdigt. Dieses Wahnsinnsprojekt<br />
des kleinen sisyphus-<br />
Verlages gehört mit einer<br />
Rezension gewürdigt. Helmuth<br />
Schönauer, eine Tiroler Instanz<br />
in Sachen Literatur, Bibliothekar<br />
und Schriftsteller rezensiert<br />
schneller als sein Schatten,<br />
und das schon seit 1982. Es<br />
sind so über 4000 Rezensionen<br />
entstanden. Knapp 1000 sind im<br />
ersten Band, verziert mit einem<br />
Vorwort von Franzobel, nun<br />
zu lesen. Robert Renk<br />
Helmuth Schönauer:<br />
Tagebuch eines Bibliothekars.<br />
Band I, 1982–1998<br />
Sisyphus, 870 S., € 49,90<br />
Dass die bekannte Schauspielerin<br />
sich auch in ziemlich<br />
abgefahrene Rollen hineinleben<br />
kann, beweist sie einmal mehr<br />
mit ihrem neuesten Thriller.<br />
Um Beobachten und Beobachtet-Werden<br />
dreht sich der neue<br />
Fall von Kommissarin Melanie<br />
Fallersleben. Eine Immobilienbesitzerin<br />
mit durchtrennter<br />
Kehle, eine gequälte Seele und<br />
verstörende Botschaften für die<br />
Frau Kommissar. Spannend.<br />
Markus Renk<br />
Andrea Sawatzki:<br />
Der Blick fremder Augen<br />
Droemer, 304 S., € 20,60<br />
Zwei neue Kochbücher aus<br />
dem GU Verlag halten,<br />
was ihre Titel versprechen:<br />
„Die am liebsten jeden Tag einfach<br />
lecker Veggie Küche“<br />
von Stevan Paul ist wirklich<br />
unkompliziert und kann herrlich<br />
mit Gegrilltem kombiniert werden<br />
(jeden Tag Veggie muss ja<br />
auch nicht sein). „Reise hunger“<br />
von Nicole Stich wiederum<br />
schickt den ambitionierten Koch<br />
auf eine kulinarische Weltreise.<br />
Sehr fein! Robert Renk<br />
Stevan Paul:<br />
Die am liebsten jeden Tag<br />
einfach lecker Veggie Küche<br />
GU, 192 S., € 20,60<br />
Nicole Stich:<br />
Reisehunger<br />
GU, 240 S., € 25,70<br />
Ein Buch, das mit einem Bob-<br />
Dylan-Zitat beginnt, kann nicht<br />
schlecht sein. Ein Buch allerdings,<br />
das Holland durch eine<br />
Flut fast verschwinden lässt, ist<br />
für einen persönlich an Holland<br />
Gebundenen schwer zu lesen.<br />
Die vertrackte Liebesgeschichte,<br />
gepaart mit dem dystopischen<br />
Szenario, das absolut nachvollziehbar<br />
daherkommt, machen<br />
diesen Roman der Holländerin<br />
Eva Moraal absolut lesenswert<br />
für Menschen ab 15 Jahren.<br />
Robert Renk<br />
Eva Moraal:<br />
Zwischen uns die Flut<br />
Oetinger, 511 S., € 15,50
Faul,<br />
fauler,<br />
am faulsten.<br />
7 Anleitungen<br />
zum Nichtstun:<br />
Hohl,<br />
höher,<br />
Alkohol.<br />
7 Shots zum<br />
Treibstoff Alkohol:<br />
Welt,<br />
Europa,<br />
Österreich.<br />
7 Tipps aus der<br />
Ö1-Bestenliste:<br />
3×7<br />
Best<br />
aber<br />
Seller:<br />
36<br />
Wagner’sche.<br />
1<br />
2<br />
Oblomow<br />
3<br />
Robert<br />
4<br />
Anleitung<br />
5<br />
Einfach<br />
6<br />
Buntspecht<br />
7<br />
Die<br />
Plädoyer des Müßiggangs<br />
Miguel de Unamuno<br />
Droschl € 11,90<br />
Iwan Gontscharow<br />
dtv € 15,40<br />
Walser für Müßiggänger<br />
Susanne Schaber (Hrsg.)<br />
Insel € 6,20<br />
zum Müßiggang<br />
Tom Hodgkinson<br />
Insel € 9,30<br />
liegen lassen<br />
John Perry<br />
Goldmann € 8,30<br />
Tom Robbins<br />
Rowohlt € 9,30<br />
schlafenden Schönen<br />
Yasunari Kawabata<br />
Suhrkamp € 7,20<br />
1<br />
2<br />
Das<br />
3<br />
Giraffen<br />
4<br />
Die<br />
5<br />
Schluckspecht<br />
6<br />
Panzerschokolade<br />
7<br />
Träumen<br />
Die Reise nach Petuschki<br />
Wenedikt Jerofejew<br />
Piper € 10,30<br />
verlorene Wochenende<br />
Charles Jackson<br />
Dörlemann € 25,60<br />
Anne Philippi<br />
Rogner & Bernhard € 19,95<br />
Legende vom heiligen Trinker<br />
Joseph Roth<br />
Diogenes € 6,10<br />
Peter Wawerzinek<br />
btb € 11,30<br />
Rachel Rep<br />
Milena € 18,90<br />
Karl Ove Knausgard<br />
Luchterhand € 25,70<br />
1<br />
2<br />
Der<br />
3<br />
Die<br />
4<br />
Postskriptum<br />
5<br />
Die<br />
6<br />
Gehen,<br />
7<br />
So<br />
CLEMENS J.<br />
SETZ<br />
Die STUNDE<br />
ZWISCHEN<br />
FRAU und<br />
GITARRE<br />
SUHRKAMP<br />
R O M A N<br />
Die Stunde zwischen<br />
Frau und Gitarre<br />
Clemens J. Setz<br />
(38 Punkte) Suhrkamp € 30,80<br />
Alltag der Welt<br />
Karl-Markus Gauß<br />
(25 Punkte) Zsolnay € 23,60<br />
Farbe des Granatapfels<br />
Anna Baar<br />
(19 Punkte) Wallstein € 20,50<br />
Alain Claude Sulzer<br />
(17 Punkte) Galiani € 20,60<br />
Nacht, als ich sie sah<br />
Drago Jančar<br />
(15 Punkte) Folio € 19,90<br />
ging, gegangen<br />
Jenny Erpenbeck<br />
(11 Punkte) Knaus € 20,60<br />
fängt das Schlimme an<br />
Javier Marías<br />
(8 Punkte) Fischer € 25,70
MINDFUCK.Job<br />
Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe<br />
Petra Bock gehört zu den bekanntesten Coaches<br />
in Deutschland. Auch mit ihrem jüngsten Buch gelang ihr<br />
ein internationalen Bestseller.<br />
Ein Gespräch mit Christine Edenstrasser.<br />
Buchtipp:<br />
Petra Bock:<br />
MINDFUCK.Job<br />
Knaur HC, 256 S., € 15,50<br />
Buchpräsentation:<br />
„MINDFUCK.Job“, Petra Bock<br />
Di., 24.11.2015, 19:30 Uhr<br />
Wagner’sche<br />
Universitätsbuchhandlung<br />
Ihre Bücher zu MINDFUCK<br />
sind Bestseller und wurden<br />
bereits in zahlreiche Sprachen der<br />
Welt übersetzt. Ihr neues Buch<br />
MINDFUCK.Job wurde nun schon<br />
vor dem Erscheinungstermin<br />
von managementbuch.de als<br />
„Trainerbuch des Jahres“<br />
ausgezeichnet. Wie erklären Sie<br />
sich diesen Erfolg?<br />
Ich denke, dass so gut wie jeder Mensch<br />
Gedanken kennt, mit denen wir uns selbst<br />
blockieren. Auch wenn wir es vielleicht<br />
nicht gerne zugeben, kennen wir alle diese<br />
innere Stimme, mit der wir uns kleiner<br />
halten als wir sind und die uns immer<br />
wieder davon abhält, das zu verwirklichen,<br />
was wir wirklich wollen und unsere ganzen<br />
PS auf die Straße zu bringen. „Das schaffst<br />
du doch eh nicht“ , „mehr ist einfach nicht<br />
drin“, „wer hat schon auf dich gewartet ...“.<br />
Es ist wie eine angezogene innere Handbremse.<br />
© Constanze Wild<br />
Was bringt es uns, wenn<br />
wir Selbstblockaden beenden?<br />
Es bringt eine vollkommen neue Dimension<br />
von Wirksamkeit und Lebensqualität<br />
in allen Lebensbereichen. Es ist das Lösen<br />
der inneren Handbremse. Wir werden –<br />
buchstäblich – erwachsen und sehen, was<br />
wirklich möglich ist. In jedem von uns<br />
steckt so viel mehr als wir glauben, solange<br />
wir noch mit MINDFUCK beschäftigt sind.<br />
In dieser Hinsicht liegen auch in Unternehmen,<br />
Wirtschaft und Gesellschaft noch<br />
viele Potenziale brach. Es ist nach immensem<br />
technischen Fortschritt höchste Zeit<br />
für einen echten menschlichen Fortschritt.<br />
Und der liegt genau da.<br />
Sie wurden bereits nach<br />
dem Erscheinen des ersten<br />
MINDFUCK-Bandes 2012 mit<br />
dem Coaching Award in der<br />
höchsten Kategorie ausgezeichnet.<br />
Was ist das Besondere an Ihrem<br />
Ansatz?<br />
Hinter dem provokanten Wort verbirgt<br />
sich eine neue, wissenschaftlich fundierte<br />
Theorie, ein neues Menschenbild und eine<br />
hochfunktionale Methode menschlicher<br />
Veränderung auf einer sehr tiefen Ebene. Sie<br />
erklärt zum ersten Mal, wie wir uns selbst<br />
stören und wie wir diese Störungen beenden<br />
und unser hinter den Blockaden liegendes<br />
tatsächliches Potenzial an Lebensqualität,<br />
Lern- und Wachstumsmöglichkeiten freilegen<br />
können. Die Ergebnisse sind bahnbrechend<br />
und revolutionieren das Coaching<br />
von einzelnen, Gruppen und Teams. Ich<br />
freue mich sehr über die Anerkennung, die<br />
der Ansatz international erfährt.<br />
38 39<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Dave Bullock, Gunners-Fan, ehem.<br />
Journalist (u.a. Echo), mittlerweile tätig<br />
im PR- und Kommunikationsbereich,<br />
lebt in Innbruck.<br />
Christine Edenstrasser, ist erfolgreiche<br />
Geschäftsfrau und Markenexpertin. Sie<br />
coacht und berät Privatklienten/innen &<br />
Unternehmer/innen in Wien, München und<br />
ihrem Anwesen nahe Wörgl in Tirol, die ihr<br />
volles berufliches und persönliches Potential<br />
entfalten wollen. Für mehr Informationen:<br />
www.autonomietraining.at<br />
Nadja Fenneberg, Bibliotheksleiterin in der<br />
Öffentl. Bücherei & Spielothek Telfs und<br />
(von der Familie geprüfte) Vorleserin aus<br />
und mit Leidenschaft; liest alles – zumindest<br />
einmal; immer auf der Suche nach dem<br />
Buch, das man nicht mehr weglegen kann;<br />
gehört zu den glücklichen Menschen, deren<br />
größtes Hobby gleichzeitig auch Beruf ist.<br />
Hubert Flattinger, Journalist, Zeichner<br />
und Autor mehrerer Bücher, darunter<br />
Kinder- und Jugendromane. Langjähriger<br />
Gestalter der Kinderseite („TeTe“) der<br />
Tiroler Tageszeitung. Zuletzt erschien<br />
beim Limbus Verlag „Der größte Fisch<br />
entwischt – Redaktionsgeschichten“. Brandneu:<br />
„Baboon“ bei Werner Eglis neu gegründetem<br />
Jugendbuchverlag ARAVAIPA.<br />
Gabriele Grießenböck ist Pressefoto grafin,<br />
freie Journalistin und gerade im Bereich<br />
der Kulturvermittlung seit Jahren<br />
in der PR- und Öffentlichkeitsarbeit tätig.<br />
Susanne Gurschler, freie Journalistin<br />
und Autorin, lebt in Innsbruck.<br />
2016 erscheint im Kölner Emons Verlag<br />
ihr Buch „111 Orte in <strong>No</strong>rdtirol, die man<br />
gesehen haben muss“. Weitere Infos unter:<br />
www.susannegurschler.at<br />
Franz Haas mag Schifahren, Bergwandern,<br />
Inseln der Ägäis & die Gitarrensolos von<br />
David Gilmour. Einer seiner Lieblingsschriftsteller:<br />
Patrick Leigh Fermor.<br />
Er ist der Sport- und Reiseexperte der<br />
Wagner’schen.<br />
Andreas Hauser, Innsbrucker des Jahrgangs<br />
1969, erbte die Liebe zur Kriminalliteratur<br />
von seinem Vater, schrieb 15 Jahre<br />
lang im Tiroler Magazin ECHO – neben<br />
Beiträgen zur Wissenschaft und Zeitgeschichte<br />
– Empfehlungen von Krimis,<br />
Thrillern und guter Literatur. Seit 2015<br />
Mitarbeiter und CP-Redakteur der KULTIG<br />
Werbeagentur in Innsbruck.<br />
Irene Heisz, Journalistin, Moderatorin<br />
und eine chronisch neugierige Leserin und<br />
Köchin. Am liebsten kocht sie zusammen<br />
mit ihrem 14-jährigen Sohn.<br />
Markus Jäger ist Autor, Kabarettist<br />
und arbeitet als Bibliothekar in der Stadtbücherei<br />
Innsbruck.<br />
Vea Kaiser, geb. 1988 in Österreich,<br />
wurde 2012 mit ihren Debütroman Blasmusikpop<br />
oder Wie die Wissenschaft<br />
in die Berge kam, zum sympathischsten<br />
Shootingstar der Saison. Ihr zweiter Roman<br />
Makarionissi oder Die Insel der Seligen<br />
ist im Mai 2015 erschienen. Nach einer ausgedehnten<br />
Lesereise in über 100 Städte<br />
und 10 Länder wird sie nun einmal ihr Altgriechischstudium<br />
beenden.<br />
Gracia Kasenbacher-Harar, Choreografin<br />
und Tanzpädagogin, geboren in Utrecht,<br />
wohnt in Innsbruck und betreut seit neuestem<br />
die Schaufenster in der Wagner’schen.<br />
Markus Köhle ist Sprachinstallateur,<br />
Poetry Slammer und Literaturzeitschriftenaktivist.<br />
Im 20er schreibt er die „Briefe aus<br />
Wien“. In Summe schreibt er, um gehört<br />
zu werden. www.autohr.at<br />
Lydia Mischkulnig, geboren 1963<br />
in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien.<br />
Mehrfach ausgezeichnet. Bei Haymon<br />
erschienen: „Hollywood im Winter“. Roman<br />
(1996), „Macht euch keine Sorgen“. Neun<br />
Heimsuchungen (2009), „Schwestern der<br />
Angst“. Roman (2010) und zuletzt „Vom<br />
Gebrauch der Wünsche“. Roman (2014).<br />
www.lydiamischkulnig.net<br />
José F.A. Oliver, Dichter, Übersetzer und<br />
Kurator des Hausacher LeseLenz. Hielt in<br />
der Wagner’schen dieser Tage einen Workshop<br />
für Jugendliche zum Lyrischen Schreiben<br />
ab, was er nicht zum ersten Mal tat!<br />
Joe Rabl, geboren in Kufstein; Studium<br />
der Komparatistik und Germanistik in Innsbruck;<br />
war in diversen Verlagen beschäftigt;<br />
arbeitet als freier Lektor; veranstaltet zusammen<br />
mit Birgit Holzner die Innsbrucker<br />
Wochenendgespräche.<br />
Markus Renk, seit 30 Jahren in der Buchbranche,<br />
begann 1985 als Buchhändlerlehrling<br />
und war annähernd 10 Jahre in der<br />
Geschäftsführung der Verlagsanstalt Tyrolia.<br />
Außerdem ist er Fachgruppen-Obmann der<br />
Buch- und Medienwirtschaft Tirol und seit<br />
Oktober 2015 neuer Chef der Wagner’schen.<br />
Robert Renk, Buchhändler und Kulturveranstalter.<br />
Seit 1. Oktober Sortimentsleiter<br />
in der Wagner’schen. Zuletzt erschien<br />
„Stilistische Instanzen. Zu Karl-Markus<br />
Gauß und Alois Hotschnig“ in Text + Kritik<br />
Sonderband Österreich IX/15.<br />
Anna Rottensteiner, 1962 in Bozen geboren.<br />
Nach dem Studium der Germanistik<br />
und Slawistik Tätigkeit als Buchhändlerin<br />
und Lektorin, seit 2003 Leiterin des Literaturhauses<br />
am Inn. Schriftstellerische Tätigkeit<br />
seit 2009. Publikationen: Lithops. Lebende<br />
Steine. Roman (edtion laurin 2013).<br />
Im Frühjahr erscheint der neue Roman „Nur<br />
ein Wimpernschlag“ (edition laurin).<br />
Hans Ruprecht leitet seit 2005 das<br />
Internationale Literaturfestival Leukerbad,<br />
seit 2006 das Berner Literaturfestival.<br />
2011 begann er mit dem Projekt<br />
„Absolut Zentral“ und vor ein paar Tagen<br />
(29.9. – 5.10.2015) hat er (gem. mit Ulrich<br />
Schreiber) äußerst erfolgreich das 1. Internationale<br />
Literaturfestival ODESSA<br />
beendet. www.sprachform.ch<br />
Boris Schön, geboren 1983, Germanist<br />
und Buchhändler. Geht zu Fuß in die<br />
Wagner’sche ohne i und arbeitet dort seit<br />
2013.<br />
Gerlinde Tamerl ist Pressesprecherin<br />
des Haymon Verlages.<br />
Gabi Unterberger, teilzeitbeschäftigte<br />
Reisebüroangestellte und ehrenamtliche<br />
Bibliothekarin vom Lande mit umfassendem<br />
Hausbestand und Hausverstand.<br />
Gabriele Wild, geboren 1982, Studium<br />
der Germanistik und Slawistik, Literaturvermittlerin<br />
und -veranstalterin, verschiedene<br />
Arbeiten zur Gegenwartsliteratur,<br />
seit 2009 im Literaturhaus am Inn für<br />
Programm-Gestaltung zuständig.<br />
Dorothea Zanon, geboren 1980, Studium<br />
der Literaturwissenschaft in Innsbruck und<br />
Wien. War beim ORF, im Literaturarchiv<br />
der Österreichischen Nationalbibliothek<br />
und im Innsbrucker Brenner-Archiv tätig.<br />
Seit 2008 Lektorin im Haymon Verlag.
Buchkultur ist zeitlos<br />
Der Grafikdesigner Kurt Höretzeder hat das<br />
Erscheinungsbild der neuen alten Wagner’schen gestaltet.<br />
Ein Herzensprojekt, bei dem die Typografie die Hauptrolle<br />
spielt. Ein Gespräch mit Susanne Gurschler.<br />
© Thomas Schrott<br />
Typografie ist<br />
das zentrale Element<br />
in der visuellen<br />
Kommunikation<br />
der Wagner’schen.<br />
Wir vertrauen ganz<br />
auf die Wirkung<br />
gestalteter Schrift.<br />
Kurt Höretzeder<br />
40<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Du hast hat das Corporate<br />
Design für die Wagner’sche<br />
gestaltet. Wie hat sich die Idee<br />
entwickelt?<br />
Zunächst ging es darum, eine visuelle<br />
Codierung für die Buchhandlung zu finden.<br />
Die anderen Buchhandlungen der Innenstadt<br />
sind rot, schwarz oder ockergelb. Es war<br />
also naheliegend, das bekannte Wagner’sche<br />
Blau als Grundfarbe zu behalten. Die nächste<br />
Frage war: Welche anderen Elemente aus<br />
dem bisherigen Erscheinungsbild können<br />
beibehalten werden, welche nicht? Die<br />
Wagner’sche ist die älteste Buchhandlung<br />
Innsbrucks. Indem man bestimmte Elemente<br />
aus der Zeit vor dem Thalia-Intermezzo<br />
wiederverwendet, knüpft man an diese<br />
Geschichte an. Es gab einige ältere modernistische<br />
Schriftzüge, die heute nicht<br />
mehr adäquat wären. Also haben wir sie<br />
nicht weiter verfolgt. Allerdings kam in den<br />
1990er-Jahren eine Eule dazu. Ein schönes<br />
Zeichen für Bücher. Diese Eule war grafisch<br />
wunderbar umgesetzt, wir haben sie ohne<br />
Änderung beibehalten – als „sekundäres“<br />
visuelles Element.<br />
41<br />
Besonderes Augenmerk liegt<br />
auf der Typografie. Warum?<br />
Buchkultur ist untrennbar mit Schrift<br />
verbunden. Die Typografie ist also zentrales<br />
Element in der visuellen Kommunikation<br />
der Wagner’schen. Wir vertrauen auf die<br />
Wirkung der Schrift – auch im Magazin. Bei<br />
den Headlines haben wir uns für eine ganz<br />
und gar klassische Schrift entschieden, die<br />
Superior – auch wenn diese Schrift eigentlich<br />
ganz neu auf dem Markt ist, eine Arbeit<br />
des aus den USA stammenden Typedesigners<br />
Jeremy Mickel. Die Superior ist eine<br />
typische Barockantiqua, auf uns wirkt sie<br />
heute zeitlos und elegant. Sie ist eine selbstbewusste<br />
und trotzdem sympathisch „kleinlaute“<br />
Manifestation der Schriftkultur, und<br />
genau das wollten wir. So sind der Schriftzug<br />
Wagner’sche mit dem Auslassungszeichen<br />
für das „i“ und der Zusatz „Bücher seit<br />
1639“ sowie die visuell prägende Headlinetypografie<br />
entstanden.<br />
Neben dem bekannten<br />
Wagner’schen Blau spielt Weiß<br />
eine zentrale Rolle im neuen<br />
Erscheinungsbild.<br />
Weiß steht gleichbedeutend neben Blau.<br />
Ich bin hier vom Buchentwurf ausgegangen.<br />
Da dreht sich alles um Typografie und<br />
um weiße, also unbedruckte Flächen – mit<br />
einem Fachbegriff nennt man diese „Weißraum“.<br />
Bei einem Buch wäre der Umschlag<br />
– abstrakt gedacht – das Blau, das Innere<br />
weiß mit den typografischen Elementen.<br />
Um den Aspekt des Neuen zu verdeutlichen,<br />
sind dem Weiß und dem Blau kräftige,<br />
frische Farben zur Seite gestellt. Die stehen<br />
unschwer erkennbar für das Neue an der<br />
Wagner’schen. Der Claim für die Neueröffnung<br />
der Wagner’schen lautet „Alt aber<br />
neu“. Das Schöne an der Sprache ist ja, dass<br />
man Widersprüche formulieren kann und<br />
dabei trotzdem ein sinnvoller Satz entsteht.<br />
Du entwirfst seit vielen Jahren<br />
Bücher, bist Buchliebhaber.<br />
Was verbindet dich mit der<br />
Wagner’schen?<br />
Die Wagner’sche war lange „meine“ Buchhandlung,<br />
während des Studiums und auch<br />
danach. Kein Stadtspaziergang, an dem ich<br />
nicht hineingegangen bin. In den letzten<br />
Jahren waren meine Besuche seltener,<br />
wobei mir die Abteilung für Grafikdesign<br />
– die immer gut bestückt war – trotzdem oft<br />
einen Besuch Wert war. Nun wird sie wieder<br />
die Buchhandlung, die ich und viele andere<br />
gekannt haben, mit einem guten Sortiment,<br />
wo Menschen genussvoll stöbern und<br />
Bücher entdecken können. Überleben tut<br />
heute eben nicht Billigware, sondern die<br />
hochwertige Buchhandlung, die Bücher<br />
in Szene setzt. Und natürlich freue ich mich<br />
auch auf Ninas Meierei.<br />
Das klingt nach einem<br />
Herzensprojekt.<br />
Ja, das ist es. Seit Jahren setze ich mich als<br />
Grafiker und im Rahmen des Designforums<br />
„WEI SRAUM“ dafür ein, das Thema<br />
Typografie und Buchgestaltung in die<br />
Öffentlichkeit zu bringen. Deshalb war klar,<br />
dass ich die Wagner’sche bei diesem Projekt<br />
unterstützen würde. Wenn eine Buchhandlung<br />
so lange besteht wie die Wagner’sche,<br />
dann ist das ein kulturelles Kapital und ein<br />
Zeichen: Buchkultur ist zeitlos. Da engagiert<br />
man sich gerne.<br />
Wie würdest du generell<br />
deinen Zugang zur grafischen<br />
Gestaltung beschreiben?<br />
Grafikdesign ist etwas Eigenständiges,<br />
es kann Kunst sein, muss aber nicht. Eine<br />
klare, schlichte Formensprache, die mit<br />
den Mitteln des Grafischen und ohne viel<br />
Tamtam das Wesentliche trifft, das finde ich<br />
schön. Und natürlich auch das Spiel mit der<br />
Sprache. Bilder interessieren mich dagegen<br />
eher weniger, sie machen mich müde. Wir<br />
haben übrigens noch einige schöne Ideen für<br />
die Wagner’sche für die kommende Zeit …<br />
es bleibt spannend.<br />
Kurt Höretzeder, Grafiker, Typograf, Gestalter.<br />
Studium der Philosophie, Politik und Geschichte an der<br />
Universität Innsbruck; Mitinitiator mehrerer Kulturprojekte<br />
(u. a. Kulturzeitschriften „Trümmer“ und<br />
„Feldforschung Tirol“, Theater Pandora); 1996 Mitbegründer<br />
von „Circus. Büro für Kommunikation und<br />
Gestaltung“, Artdirection und Leitung Grafik; 2002<br />
Gründung des eigenen Büros „höretzeder grafische<br />
gestaltung“ in Scheffau; verschiedene Lehraufträge<br />
und Lehrtätigkeiten; Initiator und Vorsitzender von<br />
„WEI SRAUM. Forum für visuelle Gestaltung<br />
Innsbruck“.<br />
Buchtipp:<br />
Anita Kern,<br />
Kurt Höretzeder (Hrsg.):<br />
Ikonen und Eintagsfliegen<br />
Arthur Zelger und das<br />
Grafik-Design in Tirol<br />
Haymon Verlag, 464 S., € 39,90
„Mit der Neuübernahme<br />
der Innsbrucker Traditionsbuchhandlung<br />
Wagner’sche<br />
durch Markus Renk und<br />
Markus Hatzer wird die<br />
Vielfalt der Buchhandlungen<br />
vor Ort massiv gestärkt<br />
und dadurch eine Monopolisierung<br />
verhindert.<br />
Heimische Buchhändlerinnen<br />
und Buchhändler gilt es<br />
verstärkt zu unterstützen und<br />
auch zu fördern.“<br />
Alberta Krabacher-<br />
Kuprian<br />
Leiterin der AK Bibliothek<br />
„Die jahrhundertelange<br />
Tradition der Wagner’schen<br />
Buchhandlung spiegelt die<br />
Geschichte des Buchdrucks<br />
und des Buchhandels auf<br />
einzigartige Weise, und sie ist<br />
Ausdruck dafür, dass das<br />
gedruckte Buch alle erdenklichen<br />
Krisen überdauert hat<br />
und auch in Zukunft überdauern<br />
wird. Das ist nicht<br />
zuletzt den inhabergeführten<br />
Buchhandlungen zu verdanken,<br />
die mit kompetenter<br />
Beratung ebenso wie mit<br />
inspirierenden Veranstaltungen<br />
Leserinnen und Leser für<br />
unsere Bücher finden. Wir<br />
gratulieren der Wagner’schen<br />
Buchhandlung zur Wiederund<br />
Neueröffnung!“<br />
Jonathan Landgrebe<br />
Verlagsleitung Suhrkamp / Insel<br />
„Markus Renk und die<br />
Wagner’sche. Eine spannende<br />
Mischung aus Innovation<br />
und Tradition.“<br />
Hannes Steiner<br />
Ecowin Verlag<br />
„Bücher verknüpfen das<br />
eigene Leben mit anderen<br />
Lebensfäden und -welten; sie<br />
geben einem die Zeit, die sie<br />
einem während des Lesens<br />
gestohlen haben, vervielfacht<br />
zurück. Bücher sind ein großes<br />
Glück, Buchhandlungen<br />
willkommene Glücksmultiplikatoren!<br />
– Alles Gute für<br />
Euren Neustart!“<br />
Sabine Gruber<br />
Schriftstellerin, Wien<br />
„Ein großes großes Dankeschön<br />
für die Lebenserhaltung<br />
der Wagner’schen, somit<br />
des stationären Buchhandels<br />
und der greifbaren, riechbaren,<br />
fühlbaren Liebe zum<br />
Buch. Wir könnten alle<br />
einpacken, wenn es Euren<br />
Mut und Willen nicht gäbe.<br />
Von Herzen alles Gute und<br />
einen fulminanten Neustart!“<br />
Thomas Raab<br />
Schriftsteller, Wien<br />
„Buchhandlungen sind<br />
Tauchstationen, Verschwindenszitatellen<br />
vor den Kruditäten<br />
der Banalität, sie sind<br />
Verschwörungsnester, in<br />
welchen der Aufstand gegen<br />
Unwissen heit und Barbarei<br />
seinen Anfang nehmen kann.<br />
Sie können einen beträchtlichen<br />
Unterhaltungswert<br />
entwickeln, wenn zwei Brüder<br />
in ihnen drinnenstehen.<br />
Salve der Wagner’ schen<br />
Universirenkbuchhandlung,<br />
die ab dem farbenfrohen<br />
Oktober von Viva trufen<br />
einbegleitet werden wird.“<br />
Robert Schindel<br />
Schriftsteller, Wien<br />
„Die Wagner’sche<br />
war mir schon als<br />
Kind ein Begriff,<br />
einerseits wegen des<br />
auffälligen Namens<br />
mit dem Apostroph<br />
(sic!), andrerseits weil<br />
unsre Familie ganz<br />
in der Nähe ein Geschäft<br />
hatte und mit<br />
Eckhart Hittmayr,<br />
einem der damaligen<br />
Miteigentümer, eng<br />
befreundet war. Als<br />
ich kritisch zu lesen<br />
begann, Anfang der<br />
1970er Jahre, war die<br />
Wagner’sche ein Hort<br />
der Liberalität und<br />
Moderne im damals<br />
noch konservativen<br />
Innsbruck und Treffpunkt<br />
der Intellektuellen<br />
und Künstler.<br />
Als die Eingliederung<br />
in einen Konzern und<br />
die damit verbundene<br />
Verflachung des<br />
Angebots erfolgte,<br />
war es, wie wenn ein<br />
Stück Innsbruck verloren<br />
gegangen wäre.<br />
Umso mehr freut es<br />
mich, dass sich mit<br />
Markus Hatzer<br />
und Markus Renk<br />
zwei Innsbrucker<br />
Unternehmer und<br />
Fachleute den Mut<br />
gefasst haben, diese<br />
Institution neu zu<br />
beleben und damit<br />
zur Entwicklung der<br />
urbanen Qualität<br />
unserer Stadt<br />
beitragen.“<br />
Karl Gostner<br />
Obmann Innsbruck Tourismus<br />
42 43<br />
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
„Vor genau zwanzig Jahren,<br />
am 25. September 1995,<br />
kam ich nach Innsbruck,<br />
um hier Germanistik und<br />
Geschichte zu studieren.<br />
Mein Vater ließ mich vor dem<br />
Studentenheim in Kranebitten<br />
aussteigen, er selbst<br />
musste gleich geschäftlich<br />
weiter nach München. Da<br />
war ich nun in der Stadt der<br />
Berge, eine Woche zu früh,<br />
die Vorlesungen sollten erst<br />
am 2. Oktober beginnen.<br />
Ich kannte niemanden und<br />
musste mir schnell eingestehen,<br />
dass ich mich einsam<br />
fühlte. Beim Bummeln durch<br />
die Altstadt entdeckte ich<br />
die Wagner’sche und betrat<br />
sie, ich stöberte mehr als<br />
eine Stunde lang herum und<br />
fühlte mich in dieser großen<br />
Altbaubuchhandlung, inmitten<br />
der Bücher, sehr wohl.<br />
Das Gefühl der Einsamkeit<br />
war verschwunden und mit<br />
Nabokovs Lolita und Boyles<br />
Willkommen in Wellville,<br />
beide zählen heute immer<br />
noch zu meinen Lieblingsbüchern,<br />
verließ ich die<br />
Buchhandlung. Es war<br />
sehr warm und sonnig, ich<br />
setzte mich an den Inn und<br />
begann zu lesen. Mit der<br />
Wagner’schen verbinde<br />
ich meine Anfangszeit als<br />
Studentin in meiner<br />
neuen Heimat.“<br />
Judith Taschler<br />
Schriftstellerin, Innsbruck<br />
„Jeder Mensch ist ein<br />
Buch, das ge lesen sein<br />
will. Wir lesen und<br />
erkennen uns in den<br />
Geschichten der anderen,<br />
die wir sind, die wir<br />
auch sind. Jedes Buch ist<br />
ein Ort, ist ein Weg zu<br />
den anderen und zu uns<br />
selbst. Der Ort, an dem<br />
wir lesen, sind die anderen.<br />
Der Ort, an dem wir<br />
lesen, sind wir selbst. Und<br />
die Wagner’sche ist so ein<br />
Ort, so ein Lese-Ort, an<br />
dem die Bücher einander<br />
als die Menschen begegnen,<br />
aus denen sie kamen,<br />
leibhaftig, und lesen und<br />
hören und sehen und<br />
ineinander aufgehen in<br />
allen Sprachen und damit<br />
in der Sprache, die jeder<br />
versteht.<br />
Und sollte – aus den<br />
entferntesten intergalaktischen<br />
Tiefen heraus<br />
– nach literarischen<br />
Lebensformen Ausschau<br />
gehalten werden, es<br />
könnte ja sein, so möge<br />
die Wagner’sche als<br />
literarisches Quellgebiet<br />
ersten Ranges ausgemacht<br />
werden können.<br />
Das wünsche ich Euch<br />
und uns allen – und<br />
den vielleicht noch zu<br />
entdeckenden Freunden<br />
dort draußen in den<br />
literaturfernen Weiten.“<br />
Alois Hotschnig<br />
Schriftsteller, Innsbruck<br />
„Reisefertig! Alles an Bord:<br />
Urteilskraft, Standfestigkeit,<br />
Mut und Zuversicht.<br />
Dann kann’s ja losgehen, Ihr<br />
Wagner’schen. Was Ihr jetzt<br />
noch braucht, wünsche ich<br />
Euch im Überfluss: Glück,<br />
Glück, Glück und günstige<br />
Winde fur die große Fahrt!“<br />
Monique Schwitter<br />
Schriftstellerin und Schauspielerin, Hamburg<br />
„ ,Natürlich kann das Papierbuch<br />
verdrängt werden, wenn<br />
die Dummheit überhandnimmt.‘<br />
(Friedrich Forssman)<br />
– Nach einem längeren<br />
Ausflug in den Handel mit<br />
Plüschbären, Gartenzubehör<br />
und Nippes aller Art ist<br />
unsere alt-ehrwürdige<br />
Wagnerische unter neuer<br />
Führung zu ihrer Kernkompetenz,<br />
dem Handel mit<br />
Büchern, zurück gekehrt. Bei<br />
diesem wünschen wir ihr und<br />
uns viel Glück und Erfolg!“<br />
Stefanie Holzer<br />
& Walter Klier<br />
Schriftstellerin & Schriftsteller, Innsbruck<br />
„ ,Und vielleicht gehört es<br />
überhaupt zum Genuß des<br />
Lesens , daß der Leser vor<br />
allem den Reichtum seiner<br />
eignen Gedanken entdeckt.‘<br />
(Max Frisch) – Das Brenner-<br />
Archiv wünscht in diesem<br />
Sinne viele glück liche,<br />
reich beschenkte Leserinnen<br />
und Leser!“<br />
Ulrike Tanzer<br />
Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Innsbruck
Wagner’sche.<br />
Bücher seit 1639<br />
Museumstraße 4<br />
6020 Innsbruck<br />
T. +43 512 59505 0<br />
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