Wagnereinmalig No. 1

Ein Entblößen der Vorvergangenheiten
unter der Dichterinnenlupe
nachgebürtiger Wissensstufen
angesichts einer politischen
Steinschlag-Gegenwart, um
doch noch den hundeggerschen
Hoffnungston in eine Herzenszukunft
zu splittern. Dantes
Fegefeuer reloaded. Im Vergänglichen
heutig. Wie der sozialen
Hölle entkommen zwischen
Lampedusa und menschensperrigen
Vertragsgeschicken, die Tod
bedeuten? Zwischen Mann,
Frau, Frau, Frau und Vers?
Eine wundpoetische Absage
an die Lügenhaft der Zeit(en).
Grandios. José F.A. Oliver
Barbara Hundegger:
wie ein mensch der umdreht geht
Dantes Läuterungen reloaded. Gedichte.
Haymon-Verlag. 120 S., € 17,90
Die junge Bäckerin Sage ver -
liert bei einem Autounfall ihre
Mutter. Entstellt durch eine
Narbe lebt sie sehr zurückgezogen,
bis sie in einer Trauerselbsthilfegruppe
den 90-jährigen
Josef kennenlernt, der eine
schwere Last aus der Vergangenheit
mit sich trägt. In diesem
Buch geht es um die Judenverfolgung,
Leben und Überleben,
Schuld und Vergebung, und
wo Sage die Grenzen ziehen
kann. Eine Geschichte voller
Kontraste, die hervorragend
recheriert ist und sehr unter die
Haut geht. Gabi Unterberger
Jodi Picoult:
Bis ans Ende der Geschichte
C. Bertelsmann, 560 S., € 20,60
Der neueste Wortwurf des
Tiroler Autors und PoetrySlam-
Pionier Markus Köhle. 52 Wolpertinger
erörtert er in seiner
unnachahmlichen Art, in der er
den Buchstaben in die Kiemen
schaut und die Doppeldeutigkeit
der Sprache liebevoll entlarvt.
Wir lernen durch den Zusatz oft
nur eines Buchstabens die irrwitzigsten
Tierverschmelzungen
kennen: Wir lernen etwa, dass
das Kiwiesel „einer der flinksten
Rollobstnager überhaupt“ ist …
Mit Zeichnungen von Sabine
Freitag wird das Buch zum
hochvergnüglichen, spielerischen
Gesamtkunstwerk. –
Eine Freude! Robert Renk
Markus Köhle, Sabine Freitag:
Kuhu, Löwels, Mangoldhamster
Sonderzahl-Verlag, 140 S., € 18,00
„Im ersten Stock wurde alemannisch
gesprochen und im zweiten
andalusisch. Wenn sich eine
sternenklare Nacht abzeichnete
und man den Mond am Himmel
sah, hieß er im zweiten Stock
‚la luna‘ und war weiblich.
Betrachtete man ‚la luna‘
vom ersten Stock aus, war sie
plötzlich männlich und hieß ‚der
Mond‘. Ein paar Treppenstufen
genügten und aus der Frau wurde
ein Mann – oder umgekehrt“,
liest man im Eröffnungsessay.
Ein paar Zeilen genügen, um
zu wissen: Hier schreibt einer,
der etwas zu sagen hat und das
grandios tut, mit Zuneigung,
Kritik und Stil! Robert Renk
José Oliver:
Fremdenzimmer, Essays
Verlag Weissbooks, 130 S., € 17,50
Richard David Precht schafft
in der Philosophie, die Theorie
mittels Geschichte ins Jetzt
zu holen und die Aktualität von
bis zu 3000 Jahre alten Gedankengängen
gleichermaßen
tiefgründig wie leicht lesbar zu
vermitteln. Im ersten Teil seiner
dreibändigen Geschichte der
Philosophie beschreibt er die
Entwicklung des abendländischen
Denkens von der Antike
bis zum Mittelalter. Dabei
bettet er die Philosophie in die
politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Fragen der jeweiligen
Zeit ein. – Was bin ich und
wenn doch, was les ich? Auf
jeden Fall: Precht. Robert Renk
Richard David Precht:
Erkenne die Welt – Eine Geschichte
der Philosophie, Band 1
Goldmann Verlag, 576 S., € 23,70
Colum McCann verknüpft
drei reale historische Ereignisse,
mit der fiktiven Geschichte
dreier Generationen und 150
Jahren irisch-amerikanischer
Beziehungen. Die in den Hintergrund
getretene Historie wird
durch im Handlungsmittelpunkt
stehende Frauen zum Leben
erweckt. Der anfangs geradlinig
erzählte Roman bekommt durch
seine Vielschichtigkeit einen
immer höheren Grad an Komplexität.
In dieser technisch
genialen literarischen Konstruktion
kann man viel entdecken.
Boris Schön
Colum McCann:
Transatlantik
Rowohlt TB, 381 S., € 10,30
Ein riesiges Autokino in der
texanischen Einöde wird
während der freitäglichen All-
Night-Horror-Show durch einen
Meteor von der Außenwelt
abgeschnitten. Die anfängliche
Verunsicherung der Kinobesucher
weicht kontinuierlich
Gewaltexzessen und Kannibalismus.
Zwischen (Marlen)
Haushofer’schem Gedankenexperiment
und (Stephen)
King’scher Perfidität entwickelt
Lansdale einen humorigen,
treibenden Roman, der allen
Freunden der Abartigkeit große
Lust bereiten wird. Boris Schön
Joe R. Lansdale:
Drive-In
Heyne Hardcore, 736 S., € 15,50
Im elften Band der Serie um
den Woman’s Murder Club
muss sich Lindsay Boxer gleich
um 2 Fälle kümmern. Zum
einen werden am Anwesen eines
berühmten Schauspielers
2 Totenschädel in einem
Blumenarrangement gefunden.
Gleichzeitig hat es die nun
schwangere Lindsay mit einem
Rächer zu tun, der Drogendealer
hinrichtet. Das pikante daran:
die Tatwaffen stammen aus
der Asservatenkammer ...
Diese Serie ist vielen auch
durch die Verfilmung mit
Angie Harmon bekannt und
ist gewohnt spannender
Thrillergenuß. Robert Renk
James Patterson:
Die 11. Stunde
blanvalet Verlag, 380 S. € 9,30
Auf gleich zwei neue Commissario-Montalbano-Bücher
können sich Camillerileser
freuen. In „Das Lächeln der
Signorina“ treibt Montalbano
einmal nicht die Wut, sondern
die Liebe an. Auch dafür ist er
nicht zu alt. Ganz jung hingegen
lernen wir den Commissario in
„Der ehrliche Dieb“ kennen. In
acht raffinierten Geschichten
begegnen wir Italiens erfolgreichstem
Ermittler und dem
Sizilien der 80er. Da möchte
man gerne anstoßen, mit einem
feinen Whiskey auf der Terasse
in Vigàta. Markus Renk
Andrea Camilleri:
Der ehrliche Dieb
Bastei Lübbe, 319 S., € 18,50
Das Lächeln der Signorina
Bastei Lübbe, 256 S., € 22,70
Zurück an den Herd! Was
unterscheidet uns von allen anderen
Lebewesen? Wir kochen.
Wir wurden, was wir sind,
seit wir nicht mehr den Großteil
der Energie fürs Verdauen von
Rohem brauchten, sondern in
die Gehirn-Entwicklung investieren
konnten. Michael Pollan
ist ein intellektueller Praktiker,
ja, so etwas gibt’s, und genau
so schreibt er: höchst gescheit
und gebildet, zupackend, sinnlich.
Da lodert die Begeisterung
hell wie das Herdfeuer.
„Kochen“ – sehr heisze Empfehlung!
Irene Heisz
Michael Pollan:
Kochen. Eine Naturgeschichte
der Transformation
Verlag Antje Kunstmann,
524 S., € 30,80
Joe Coughlin, nach außen
ehrbarer Bürger von Tampa,
Florida, nach innen unersetzbarer
Consigliere des organisierten
Verbrechens, fürchtet um sein
Leben – am Aschermittwoch des
Jahres 1943 soll es ein Killer
beenden. Coughlin begibt sich
auf die Suche nach dem potenziellen
Mörder und merkt zu
spät, dass er bloß eine Figur auf
einem Schachbrett der Intrige
ist. Mit „Am Ende einer Welt“
setzt Dennis Lehane seine lose
Coughlin-Reihe fort und
kreiert dabei ein fulminantes
Kaleidoskop mörderischer
Seelen … Andreas Hauser
Dennis Lehane:
Am Ende einer Welt
Diogenes, 394 S., € 24,70
Rachel sieht die Gärten einer
Mittelstandsgesellschaft, sie
kennt die Fassaden und träumt
von der heilen Welt dazwischen,
von der sie einmal Teil war. Jetzt
leben Megan und Anna dort. Die
Autorin Paula Hawkins erzählt
aus der Sicht von drei Frauen
eine Geschichte von Lügen, die
sich hinter menschlichen und
Backsteinfassaden auftun. Klar
und ohne unnötige Umschweife
nimmt sie LeserInnen auf eine
Reise in die Tiefen menschlicher
Psyche und bietet ver- und zerstörende
Einblicke. Ein fesselnder
Psychothriller. David Bullock
Paula Hawkins:
The Girl on the Train
blanvalet, 448 S., € 13,40
Der „Marathonmann der
heimischen Literatur“ (profil)
wird mit einer mehrbändigen
Ausgabe seiner Rezensionen
gewürdigt. Dieses Wahnsinnsprojekt
des kleinen sisyphus-
Verlages gehört mit einer
Rezension gewürdigt. Helmuth
Schönauer, eine Tiroler Instanz
in Sachen Literatur, Bibliothekar
und Schriftsteller rezensiert
schneller als sein Schatten,
und das schon seit 1982. Es
sind so über 4000 Rezensionen
entstanden. Knapp 1000 sind im
ersten Band, verziert mit einem
Vorwort von Franzobel, nun
zu lesen. Robert Renk
Helmuth Schönauer:
Tagebuch eines Bibliothekars.
Band I, 1982–1998
Sisyphus, 870 S., € 49,90
Dass die bekannte Schauspielerin
sich auch in ziemlich
abgefahrene Rollen hineinleben
kann, beweist sie einmal mehr
mit ihrem neuesten Thriller.
Um Beobachten und Beobachtet-Werden
dreht sich der neue
Fall von Kommissarin Melanie
Fallersleben. Eine Immobilienbesitzerin
mit durchtrennter
Kehle, eine gequälte Seele und
verstörende Botschaften für die
Frau Kommissar. Spannend.
Markus Renk
Andrea Sawatzki:
Der Blick fremder Augen
Droemer, 304 S., € 20,60
Zwei neue Kochbücher aus
dem GU Verlag halten,
was ihre Titel versprechen:
„Die am liebsten jeden Tag einfach
lecker Veggie Küche“
von Stevan Paul ist wirklich
unkompliziert und kann herrlich
mit Gegrilltem kombiniert werden
(jeden Tag Veggie muss ja
auch nicht sein). „Reise hunger“
von Nicole Stich wiederum
schickt den ambitionierten Koch
auf eine kulinarische Weltreise.
Sehr fein! Robert Renk
Stevan Paul:
Die am liebsten jeden Tag
einfach lecker Veggie Küche
GU, 192 S., € 20,60
Nicole Stich:
Reisehunger
GU, 240 S., € 25,70
Ein Buch, das mit einem Bob-
Dylan-Zitat beginnt, kann nicht
schlecht sein. Ein Buch allerdings,
das Holland durch eine
Flut fast verschwinden lässt, ist
für einen persönlich an Holland
Gebundenen schwer zu lesen.
Die vertrackte Liebesgeschichte,
gepaart mit dem dystopischen
Szenario, das absolut nachvollziehbar
daherkommt, machen
diesen Roman der Holländerin
Eva Moraal absolut lesenswert
für Menschen ab 15 Jahren.
Robert Renk
Eva Moraal:
Zwischen uns die Flut
Oetinger, 511 S., € 15,50