Grundschule aktuell 90
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Heft Nr. <strong>90</strong> • II. Quartal • Mai 2005 • Best. Nr. 6025 • D9607F<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis Grund schu le e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frank furt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de<br />
Kinder<br />
vermessen?<br />
Die Diskussion geht weiter.<br />
Beihefter: Postkarten / Lesezeichen »Päd. Leistungskultur«
Editorial<br />
Die Diskussion<br />
geht weiter<br />
Inhalt<br />
In unserem letzten Heft wurden die Aufgaben der »VERgleichsArbeiten« eingehend unter<br />
die Lupe genommen. Die entschiedene Kritik rief den Widerspruch der VERA-Macher<br />
von der Universität Landau hervor. Ihre Stellungnahme ist in diesem Heft ungekürzt<br />
wiedergegeben, ergänzt um Antworten der Kritiker Horst Bartnitzky und Christof<br />
Selter. Keineswegs bestreitet Hans Brügelmann die Rechenschaftspflicht von Schulen<br />
und LehrerInnen über ihre Arbeit, aber: »Die Standards für die Evaluation und deren<br />
Umsetzung sind in dialogischen Formen zu entwickeln bzw. durchzuführen.«<br />
Diskussionsforum<br />
Es ist uns ein besonderes Anliegen, den Stimmen derer Öffentlichkeit und Wirksamkeit<br />
zu geben, die meist gar nicht gefragt werden (und im Fall VERA nicht gefragt worden<br />
sind): den Lehrerinnen und Lehrern selbst. Unser letztes Heft hat Diskussionen in<br />
Gang gesetzt, Wortmeldungen provoziert. In dieser Ausgabe kommen nun Lehrerinnen<br />
und Lehrer zu Wort. Auch Sie können mitdiskutieren: Auf unserer Homepage<br />
www.grundschulverband.de finden Sie gleich auf der Startseite den Link zu unserem<br />
»Diskussionsforum VERgleichsArbeiten«.<br />
Denk-Anstöße<br />
Seine Kritik an der mangelnden Qualität der VERA-Aufgaben bei gleichzeitiger Aufbauschung<br />
der tatsächlichen Ergebnisse durch die Veranstalter begleitet der Grundschulverband<br />
mit einem praxisorientierten Projekt »Pädagogische Leistungskultur«. In der<br />
Heftmitte finden Sie einen Beihefter mit Postkarten und Lesezeichen, die Sie ausschneiden<br />
und verwenden sollten: Für den eigenen Bedarf – und vor allem zum Weitergeben<br />
und Weitersagen, als kleine und wirksame Denk-Anstöße für KollegInnen, FreundInnen,<br />
Eltern …<br />
PISA-Lupe<br />
Mit dem Flyer »Die eigene Schule mit der PISA-Lupe untersuchen«, der diesem Heft<br />
beiliegt, beteiligt sich der Grundschulverband an einer Aktion der »Initiative Länger<br />
gemeinsam lernen«. Diese Initiative wurde 2001 vom Grundschulverband und vom<br />
Gesamtschulverband ins Leben gerufen. Ihr gehören an: GEW, VDS, Aktion Humane<br />
Schule, DGLS, Bundeselternrat, Deutsches Kinderhilfswerk, Landeselternrat der Gesamtschulen<br />
in NW, Landesschülervertretung Berlin. Die Initiative hat eine eigene<br />
Homepage: www.laenger-gemeinsam-lernen.de.<br />
Service<br />
Die Postkarten, Lesezeichen sowie ein Faltblatt zum Projekt »Pädagogische Leistungskultur«,<br />
ebenso der Flyer »PISA-Lupe« können bei der Geschäftsstelle des Grundschulverbands<br />
angefordert werden: Niddastraße 52, 60329 Frankfurt/Main, Tel. 0 69 / 77 60 06,<br />
info@grundschulverband.de<br />
Fortbildungstagung<br />
Materialien zur Pädagogischen Leistungskultur in Klasse 1 und 2 sind derzeit in Arbeit<br />
und werden nach den Sommerferien als Mitgliederband vorliegen (siehe Anzeige dritte<br />
Umschlagseite). Zu diesen Materialien gibt es eine bundesweite Fortbildungstagung,<br />
zu der wir herzlich einladen (siehe Anzeige auf S. 32).<br />
He<br />
Impressum<br />
, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />
viertel jährlich und wird allen Mit glie dern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />
für Mitglieder und bei Sam mel be stel lun gen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52, 60329 Frankfurt/Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />
Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />
E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />
Redaktionelle Mitarbeit: Friederike Heinzel (Forschung);<br />
Edgar Bohn, Sibylle Jaszovics, Beate Schweitzer (aus den Lan des grup pen)<br />
Fotos: Bert Butzke, Mülheim (Ruhr)<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />
Bödekerstr. 73, 30161 Hannover, Tel. 05 11 / 9 61 69 – 11, Fax: 05 11 / 9 61 69 – 99<br />
Anzeigenverwaltung: Sylvia Reinisch, Rolf Kielblock,<br />
Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80, info@grundschulverband.de<br />
Druck: Druckhaus Beltz, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1430-7804<br />
Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage ;<br />
Flyer »Die eigene Schule mit der PISA-Lupe untersuchen«;<br />
Beihefter: Postkarten/Lesezeichen zur »Pädagogischen Leistungskultur«<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
1
Tagebuch<br />
Über Orientierungsarbeiten,<br />
Vergleichsarbeiten und Verwandtes<br />
»Gibt es zurzeit noch eine Grundschullehrerin, die ihr Kind<br />
Vera nennen würde?« (siehe den Brief S. 14 in diesem Heft).<br />
Was bringt das Kollegium einer <strong>Grundschule</strong> dazu, so viel<br />
Zorn mit diesem Namen zu verbinden?<br />
Zeitaufwand versus Ertrag<br />
Der schöne, aus dem Russischen stammende<br />
Vorname steht als Kürzel für Vergleichsarbeiten,<br />
wie sie seit dem vergangenen Jahr in sieben Bundesländern<br />
geschrieben werden – Jahr für Jahr,<br />
mindestens fünf Jahre lang, mit allen Schülern<br />
der 4., demnächst der 3. Klassen, wissenschaftlich<br />
vorbereitet, begleitet und ausgewertet von<br />
der Universität Landau. Ähnliches geschieht in<br />
anderen Bundesländern – zum Beispiel in Bayern<br />
in den Klassen 2 und 3, zudem wird der bayrische<br />
Test auch in mehreren anderen Bundesländern<br />
angewendet.<br />
Erregt der Zeitaufwand für die Lehrkräfte den Zorn? Die<br />
Auswertung für eine Klasse kostet als mittlerer Erfahrungswert<br />
40 Stunden, also eine ganze Arbeitswoche,<br />
gar nicht mitgerechnet die Stunden, die online verbracht<br />
werden mit all den üblichen Frustrationen. Stünde der<br />
Zeitaufwand aber in vernünftiger Relation zum Ertrag,<br />
würden Grundschulleute ihn gern auf sich nehmen. Was<br />
den Zorn hervorruft, ist die mangelnde didaktische Qualität<br />
der Aufgaben bei gleichzeitiger Hochwertung der<br />
Ergebnisse durch Wissenschaft und Politik und es ist die<br />
Ignoranz gegenüber dem pädagogischen Entwicklungsstand<br />
der <strong>Grundschule</strong> und ihrer Didaktiken.<br />
Welche Qualität haben die Tests?<br />
Im letzten Heft dieser Zeitschrift wurden die VERA-Aufgaben<br />
einer eingehenden Kritik unterzogen. Ein Fazit:<br />
»Ungeeignet und bildungsfern«. Der Verriss rief den Widerspruch<br />
der VERA-Macher von der Universität Landau<br />
hervor, ihre Stellungnahme ist in diesem Heft wiedergegeben.<br />
Bemerkenswert sind dabei zwei Attribute, die sie<br />
für die Tests in Anspruch nehmen:<br />
Sie seien »lehrplanvalide«, was heißen soll: Sie seien<br />
gemessen am Lehrplan gültig, erfassten zutreffend repräsentative<br />
Aspekte des Lehrplans. Und sie seien unter<br />
»restriktiven Bedingungen« konzipiert, was heißen soll:<br />
Die Aufgaben seien von dem her bestimmt, was gut<br />
auswertbar ist. Lehrpläne bzw. die KMK-Bildungstandards<br />
spielen aber in einer ganz anderen didaktischen Liga als<br />
die vergleichsweise simplen Aufgabenformate der Tests:<br />
»Rechtschreibstrategien verwenden, über Fehlersensibilität<br />
und Rechtschreibgespür verfügen, Rechtschreibhilfen<br />
verwenden« (Zitate: KMK Bildungsstandards) – solche<br />
wesentlichen Ziele geraten weder durch die Satzdiktate<br />
bei VERA noch durch den vergleichsweise angemesseneren<br />
Test in den bayerischen Orientierungsarbeiten in den<br />
Blick. Grundsätzlicher: Das Lesekompetenz-Modell, das<br />
in allen Tests der Bundesländer kritik- und diskussionslos<br />
aus den internationalen Untersuchungen PISA und<br />
IGLU übernommen wird, blendet wesentliche didaktische<br />
Dimensionen aus (siehe Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
Heft 84).<br />
Wer entscheidet am Ende über den Qualitätsstandard?<br />
Sollen aussagekräftige Tests entwickelt werden, die das<br />
Schulsystem zu steuern helfen und zur Qualitätssicherung<br />
beitragen, dann müssten überfachliche Pädagogik,<br />
Fachdidaktik und Testkonstruktion zusammengebracht<br />
werden. Auswahl und Zuschneidung der Tests müssten<br />
didaktisch begründet sein. Das würde allerdings kosten,<br />
insbesondere auch Zeit. Und die gibt die Politik den<br />
Testmachern offenbar nicht. Und da diese wiederum die<br />
Chance gern ergreifen, von der Politik hoch gewertete Aufträge<br />
zu übernehmen, haben wir das Dilemma.<br />
Nein, der Zorn engagierter Pädagoginnen und Pädagogen<br />
gilt nicht dem Zeitaufwand. Er gilt der Tatsache, dass sie<br />
an Maßnahmen mitwirken müssen, die nicht der Qualität<br />
der Schularbeit dienen, im Gegenteil: die langfristig<br />
die Qualität mindern werden. Denn schon erscheinen<br />
bei den Schulbuchverlagen Trainingsunterlagen für die<br />
Vergleichs- und Orientierungsarbeiten – auf dem »restriktiven«<br />
Niveau der derzeitigen Tests.<br />
Wer entscheidet denn am Ende über den Qualitätsstandard<br />
der Schulen: »restriktiv« geratene Tests oder<br />
Bildungsstandards der KMK? Zwischen beiden liegen<br />
Welten.<br />
Horst Bartnitzky<br />
Vorsitzender des Grundschulverbandes<br />
2 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht Thema: weiter<br />
Stellungnahme zur Kritik an VERA<br />
in »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«, Heft 89<br />
In Heft 89 von »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
wurde VERA in scharfer Form kritisiert<br />
(»ungeeignet«, »bildungsfern«, »zum Teil<br />
skandalöse Aufgaben«, »schulpolitisches<br />
Desaster«, »Bedienung eines zynischen<br />
Menschenbildes« u. a.; ebd., S. 6, S. 10,<br />
S. 16).<br />
Im Folgenden skizzieren wir zunächst<br />
einige der mit VERA verbundenen Ziele<br />
und deuten den Kontext an, in dem dieses<br />
Projekt angesiedelt ist. Anschließend<br />
gehen wir in Ausschnitten auf Bartnitzkys<br />
Kritik ausgewählter Deutschaufgaben<br />
sowie Selters’ Kritik an Mathematikaufgaben<br />
ein. Aus Platzgründen werden<br />
nicht alle kritisierten Punkte an dieser<br />
Stelle behandelt: Eine ausführlichere<br />
Kommentierung zu allen thematisierten<br />
Inhaltsbereichen stellen wir auf der Internetseite<br />
des Projekts zur Verfügung<br />
(www.uni-landau.de/vera).<br />
1 Zu einigen Zielen und<br />
zum Kontext von VERA<br />
Mit VERA werden wichtige Kompetenzen<br />
der Fächer Deutsch und Mathematik<br />
erhoben und zwar auf der Ebene von<br />
Ländern, Schulen und Schulklassen. Auf<br />
mittlere Sicht soll ein Beitrag zur Entwicklung<br />
und empirischen Absicherung von<br />
Kompetenzmodellen geleistet werden.<br />
Erst dann ist ein inhaltlich begründeter<br />
Konsens über Standards möglich, die<br />
über die einzelne Klasse bzw. Schule<br />
hinaus Geltung beanspruchen können.<br />
Bislang hängt – auch in der <strong>Grundschule</strong><br />
– die Bewertung der Schülerleistungen<br />
stark von der Klassenzugehörigkeit ab:<br />
Mit derselben Leistung kann man also<br />
z. B. eine gute Note, aber auch nur ein<br />
»Ausreichend« bekommen. Dass dies unbefriedigend<br />
ist, liegt auf der Hand.<br />
Darüber hinaus ist VERA ein Baustein<br />
zur »Umsetzung«, aber auch Überprüfung<br />
der Lehrpläne und (künftig)<br />
Bildungsstandards für die <strong>Grundschule</strong>.<br />
Für die Lehrkräfte vor Ort soll VERA auch<br />
ein (nicht das) Mittel sein, den Lern- und<br />
Förderbedarf der Kinder, ihre Stärken und<br />
Schwächen zu ermitteln. Dabei kann man<br />
die Ergebnisse der eigenen Klasse mit den<br />
Leistungen von Klassen ähnlicher sozialer<br />
Zusammensetzung vergleichen (»fairer<br />
Vergleich«). Damit bietet VERA zugleich<br />
Ansatzpunkte für die schulinterne Fortbildung<br />
und die Weiterentwicklung der<br />
diagnostischen Kompetenz der Lehrkäfte.<br />
Aus vielen Untersuchungen weiß man,<br />
dass diagnostische Lehrerurteile häufig<br />
ungenau sind, wenn man sie mit den Ergebnissen<br />
von Leistungstests vergleicht.<br />
Dies gilt insbesondere hinsichtlich der<br />
Leistungsfähigkeit der gesamten Klasse,<br />
weniger für die Rangordnung einzelner<br />
Kinder innerhalb der Klasse. Lässt man<br />
sich auf die Testergebnisse ein, fallen<br />
vielleicht bestimmte Fehlerschwerpunkte<br />
auf, auf die man früher nicht geachtet hat<br />
oder man bemerkt z. B., dass die Streuung<br />
der Leistungen größer ist, als man bislang<br />
dachte. Das könnte dazu anregen, für eigene<br />
»blinde Flecken« sensibel zu werden<br />
und den Unterricht ein Stück weit anders<br />
zu gestalten. Genau zu solchen Aspekten<br />
der Unterrichtsentwicklung möchte VERA<br />
Impulse liefern.<br />
VERA ist ein standardisierter Leistungstest<br />
und sollte insofern »lehrplanvalide«<br />
sein, sich also auf Bereiche und<br />
Themen beziehen, die laut Lehrplan<br />
auch vorgesehen sind. Das ist der Fall<br />
(vgl. »Lehrplanbezüge« unter www.unilandau.de/vera/aufgaben.htm).<br />
Inwiefern<br />
VERA aber auch »unterrichtsvalide«<br />
ist, also mit dem zu tun hat, was in<br />
sieben Bundesländern in den ersten<br />
drei Schuljahren tatsächlich unterrichtet<br />
wurde, lässt sich verständlicherweise<br />
nicht sagen. Wäre dieses Kriterium aber<br />
das Entscheidende, so dürfte der Test<br />
angesichts der sehr großen Unterschiede<br />
und der Vielzahl beteiligter Schulen nur<br />
noch Stoff der ersten zwei Jahrgangsstufen<br />
umfassen und somit kaum geeignet<br />
sein, nennenswert zwischen den Schülerinnen<br />
und Schülern einzelner Klassen<br />
zu differenzieren. Ob VERA reliabel (zuverlässig)<br />
ist, hängt sehr stark davon ab,<br />
in welchem Ausmaß die Durchführung<br />
dem Kriterium der Objektivität genügt.<br />
Dabei geht es darum, dass für alle Schülerinnen<br />
und Schüler gleiche Bedingungen<br />
herrschen (ein zentrales Gebot der Fairness).<br />
Dies bezieht sich sowohl auf die<br />
Durchführung des Tests als auch auf die<br />
Auswer-tung. Daher ist es im Rahmen eines<br />
Tests individueller Fähigkeiten unfair,<br />
wenn die Schüler miteinander sprechen<br />
dürfen. Denn die dadurch im Test gezeigte<br />
Leistung ist nicht nur von den Fähigkeiten<br />
des einzelnen Kindes abhängig,<br />
sondern auch von den Fähigkeiten des<br />
Tischnachbarn. Wer also neben dem oder<br />
der Klassenbesten sitzt, wäre gegenüber<br />
anderen Kindern im Vorteil. Allein deshalb<br />
gelten in einem Testverfahren »Klassenarbeits-<br />
oder Klausurbedingungen«.<br />
Gleiches gilt für die Verwendung von<br />
Hilfsmitteln wie z. B. dem Wörterbuch:<br />
Die VERA-Aufgabenentwickler/innen hätten<br />
die Fähigkeiten im Umgang mit dem<br />
Wörterbuch gerne im Rahmen von VERA<br />
erfasst. Aber solange nicht sicher gestellt<br />
ist, dass alle gut 300 000 an VERA beteiligten<br />
Kinder am Testtag tatsächlich ein<br />
Wörterbuch zur Verfügung haben (idealerweise<br />
auch noch alle das gleiche), führen<br />
entsprechende Aufgaben zu unfairen<br />
Resultaten, die insbesondere Schülerinnen<br />
und Schüler aus einkommensschwachen<br />
Familien benachteiligen dürften. Es<br />
ist daher ein Gebot der Fairness, zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt auf vergleichbare<br />
Aufgaben zu verzichten.<br />
Auch für die Auswertung ist zu fordern,<br />
dass sie möglichst objektiv und reliabel<br />
erfolgt. Die Reliabilität gibt Hinweise<br />
auf die Zuverlässigkeit des Tests, also z.B.<br />
in Bezug darauf, ob zwei voneinander<br />
unabhängige Beurteiler/innen bei ausgewählten<br />
Schülerinnen und Schülern<br />
zu identischen Ergebnissen kommen.<br />
Vor aus setzung dafür ist, dass die Korrekturanweisungen<br />
möglichst präzise<br />
sind und wenig Spielraum für subjektive<br />
Interpretationen lassen. Dies gelingt für<br />
Mathematik insgesamt besser als für<br />
Deutsch und ist bei den Schreibaufgaben<br />
am wenigsten gegeben.<br />
In welchem Umfang VERA diese Testgütekriterien<br />
erfüllt, hängt nicht zuletzt<br />
von den durchführenden Lehrkräften<br />
ab. Manche Lehrpersonen werden sich<br />
anders verhalten haben als von den Testautoren<br />
gewünscht, z. B. deshalb, weil<br />
Die Autor/-innen<br />
Albert Bremerich-Vos,<br />
Professor für deutsche<br />
Sprache und Literatur<br />
und ihre Didaktik an der<br />
Universität Hildesheim,<br />
fachdidaktischer Berater<br />
des VERA- Projektes<br />
Jana Groß Ophoff<br />
(Dipl.-Psych.), wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin<br />
an der Universität<br />
Koblenz-Landau,<br />
Campus Landau.<br />
Forschungsschwerpunkte:<br />
Lehr-/ Lernpsychologie,<br />
Empirische Bildungsforschung.<br />
Betreuung des<br />
Inhaltsbereiches Deutsch<br />
im Projekt VERA<br />
Ingmar Hosenfeld,<br />
Junior-Professor an der<br />
Universität Koblenz-<br />
Landau, Campus Landau.<br />
Forschungsschwerpunkte:<br />
Empirische Bildungsforschung,<br />
Unterrichtsforschung.<br />
Leitung des<br />
Projektes VERA<br />
Andreas Helmke,<br />
Professor an der Universität<br />
Koblenz-Landau,<br />
Campus Landau.<br />
Forschungsschwerpunkte:<br />
Unterrichtsforschung,<br />
Empirische Bildungsforschung,<br />
Kulturvergleich.<br />
Leitung des<br />
Projektes VERA<br />
Sonja Wagner<br />
(Dipl.-Psych.), wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin<br />
an der Universität<br />
Koblenz-Landau, Campus<br />
Landau. Forschungsschwerpunkte:<br />
Empirische Bildungsforschung.<br />
Betreuung<br />
des Inhaltsbereiches<br />
Mathematik<br />
im Projekt VERA<br />
http://www.unilandau.de/vera/<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
3
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
sie »ihren« Kindern helfen wollten.<br />
Derlei Maßnahmen gefährden jedoch<br />
die Fairness und den Nutzwert des<br />
Verfahrens.<br />
Bartnitzky betont emphatisch die<br />
diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte.<br />
Nur sie seien in der Lage, die<br />
Leistungen eines Schülers heute mit<br />
seinen früheren Leistungen kompetent<br />
zu vergleichen. Wir bestreiten<br />
das überhaupt nicht. Es ist aber nicht<br />
sinnvoll, diese Orientierung an einer<br />
individuellen Bezugsnorm gegen<br />
eine Orientierung an einer sozialen<br />
Norm und an inhaltlichen Kriterien<br />
auszuspielen.<br />
Ein Teil seiner Argumente betrifft<br />
offensichtlich nicht VERA speziell,<br />
sondern Tests im Allgemeinen. So<br />
räumt er zwar einerseits ein, dass ein<br />
Blick von außen auf die eigene Klasse<br />
oder Schule, den ein landesweiter Test<br />
ermöglicht, im Prinzip sinnvoll sei.<br />
Andererseits heißt es: »Nur führt der<br />
›fremde Blick‹ bei VERA und Vergleichbarem<br />
zugleich zu einem verfremdeten<br />
Unterricht mit fremden Inhalten<br />
und Aufgabenstellungen. Da wird<br />
den Kindern ein Text vorgegeben, den<br />
sie nicht selbst gewählt haben, der<br />
im unterrichtlichen Zusammenhang<br />
keine Rolle spielt.« (Ebd., 4) In der Tat:<br />
So verhält es sich bei jedem professionellen<br />
Test und wer das kritisiert,<br />
wendet sich gegen Tests schlechthin.<br />
Das sollte man dann auch sagen.<br />
Darüber hinaus wird hier unterstellt,<br />
dass sämtliche Testformate<br />
automatisch und offensichtlich von<br />
der Lehrerschaft völlig unreflektiert in<br />
den Unterricht integriert werden. Dabei<br />
dürfte auch den meisten Grundschullehrkräften<br />
bekannt sein, dass<br />
gute Testaufgaben einerseits und<br />
gute Unterrichtsaufgaben andererseits<br />
ganz unterschiedlichen Kriterien<br />
Genüge leisten müssen und sich Aufgaben<br />
deshalb selten für beide Zwecke<br />
gleichermaßen eignen. Ein sehr<br />
zentrales Kriterium für Testaufgaben<br />
ist beispielsweise die Ökonomie,<br />
d. h. wie viel diagnostisch relevante<br />
Informationen pro Zeiteinheit gewonnen<br />
werden können, weshalb in der<br />
Testkonstruktion u. a. darauf geachtet<br />
werden muss, dass die Schülerinnen<br />
und Schüler möglichst wenig selbst<br />
schreiben müssen (stattdessen: Ankreuzen,<br />
Unterstreichen etc.).<br />
2 Zu Bartnitzkys Kritik<br />
der VERA-Aufgaben<br />
im Fach Deutsch<br />
2.1 Eine Wetterkarte als<br />
diskontiniuier licher Text<br />
Alle Schülerinnen und Schüler sollten<br />
Aufgaben zu einer Wetterkarte (diskontinuierlicher<br />
Text) bearbeiten (vgl. ebd.,<br />
S. 10). Ein Teil der Instruktion lautet: »Eine<br />
Wetterkarte findest du täglich in allen<br />
Tageszeitungen.« Bartnitzky schreibt<br />
dazu, dass viele Kinder diese Karten in Tageszeitungen<br />
eben nicht fänden. »Grundschulkinder<br />
sind keine Zeitungsleser<br />
und viele Elternhäuser halten gar keine<br />
Tageszeitung. Schon der Einleitungssatz<br />
zeigt die Kindferne der Ansprache.«<br />
(S. 10f) – Gemeint ist, dass man eine solche<br />
Karte in den Zeitungen finden kann.<br />
Die Instruktion unterstellt keineswegs,<br />
dass die Kinder jeden Tag Zeitung lesen.<br />
Man hätte auch einen Hinweis auf täglich<br />
im Fernsehen gezeigte Wetterkarten<br />
geben können.<br />
Bartnitzky moniert darüber hinaus,<br />
dass diejenigen Kinder schlechte Karten<br />
hätten, in deren Klassen Wetterkarten<br />
bis zum Testbeginn noch nicht behandelt<br />
worden seien. VERA ist aber, wie gesagt,<br />
nicht unterrichtsvalide. Anders als mit<br />
Wer ist hier maßlos?<br />
Zur Stellungnahme der VERA-Macher auf meine Kritik<br />
an den Deutschaufgaben<br />
Die Stellungnahme der VERA-Macher zu<br />
meiner Kritik an den Deutschaufgaben ist<br />
auf den vorigen Seiten zu lesen. Interessierten<br />
empfehle ich, beim Lesen meinen<br />
Text und die dokumentierten Beispiele<br />
aus den Tests dagegen zu halten (GRUND-<br />
SCHULE AKTUELL Heft 89 S. 10 ff.). Ich will<br />
hier nur auf einige Punkte eingehen.<br />
Maßlose Kritik?<br />
Den Text »Christian« hatte ich als Schlag<br />
gegen die Friedenserziehung bewertet.<br />
Da kommt ein Neuer in die Klasse, groß<br />
und stark, der sich gern prügelt. Der<br />
Text: »Reihum probiert er aus, ob er der<br />
Stärkere bleibt.« Also gibt es wohl jede<br />
Menge Prügelszenen. Dann gerät er an<br />
den Helden der Geschichte, an Jakob. Im<br />
ersten Zweikampf unterliegt Jakob durch<br />
einen Zufall. Im zweiten Zweikampf feuern<br />
die Kinder ihn an: »Gib’s ihm, Jakob!<br />
Zahl’s ihm zurück!« Jakob obsiegt. Nach<br />
einer Klassenarbeit wird mit VERA nicht<br />
nur überprüft, was vorher gelehrt wurde<br />
– ebenso wenig wie bei PISA oder IGLU.<br />
Eine Aufgabe: »Du verbringst deine Ferien<br />
in Norddeutschland. Kannst du einen<br />
Grillabend draußen planen? Begründe<br />
deine Entscheidung.« Die Kinder sollen<br />
hier verstreute Informationen aus der Abbildung<br />
und dem Vorhersagetext integrieren.<br />
Während in der Wetterkarte nur für<br />
Bremen Schauer angezeigt werden, gibt<br />
es unter der Überschrift »Reisewetter«<br />
einen verbalen Hinweis, dass es abends in<br />
Norddeutschland kräftige Regenschauer<br />
geben wird. Bartnitzky kritisiert: »Für die<br />
Testkonstrukteure zählt offenbar nur Bremen<br />
zu Norddeutschland. (…) die Leute in<br />
Schleswig-Holstein, (…) werden sich über<br />
solche eigenartige Geographie wundern.«<br />
(S. 11) Diese Kritik ist hinfällig, da hier<br />
entscheidende Textstellen übersehen<br />
wurden.<br />
»Du möchtest den Sonnenaufgang<br />
beobachten. Wann musst du aufstehen?«<br />
Die relevante Information lautet »Sonnenaufgang:<br />
05:34«, als korrekte Lösung<br />
wird verlangt »jeder Zeitpunkt bis einschließlich<br />
5.34 Uhr«, wobei vage Angaben<br />
wie »morgens« als Fehler zählen sollen.<br />
Bartnitzky führt aus, was »das Kind<br />
zu recht (denkt)« (S. 11), z. B. »Wo kann<br />
Meinung der Testkonstrukteure ist dies<br />
ein Text für Gewaltfreiheit. Das verstehe,<br />
wer wolle. Die Textauswahl ist für das in<br />
diesem Test nur mögliche affirmative<br />
Lesen skandalös.<br />
Kritik hinfällig?<br />
Am Beispiel der Wetterkarte hatte ich<br />
moniert, dass richtige Antworten der Kinder<br />
als Fehler gerechnet würden. Es ging<br />
darum, ob es in Norddeutschland regnet.<br />
Im Text rechts steht unter Norddeutschland:<br />
»In den Abendstunden kräftige<br />
Regenschauer.« In der Karte sind Regenschauer<br />
nur bei Bremen markiert, nicht<br />
aber bei Hamburg, Kiel und Rostock, also<br />
im größten Teil Norddeutschlands. Diesen<br />
offensichtlichen Widerspruch können<br />
die Testkonstrukteure nicht beseitigen.<br />
Übersehen habe ich »entscheidende Textstellen«<br />
nicht, sondern ich hab sie miteinander<br />
verglichen. Meine Kritik ist mithin<br />
4 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
man die niedrig stehende Sonne sehen?«<br />
und er weiß: »Wer um 5:34 aufsteht, wird<br />
den Sonnenaufgang schwerlich erleben.«<br />
(Ebd.) Folgt man seiner Logik, liegt ein Widerspruch<br />
auf der Hand: Was ist z. B. mit<br />
dem Kind, das ein Bett direkt am Fenster<br />
nach Osten hat? Wir halten es allerdings<br />
nicht für ratsam, dieser Logik zu folgen.<br />
Wir wissen nicht, was »das« Kind denkt,<br />
sondern haben nur eine Hypothese zu<br />
bieten. Demnach haben Kinder bis zum<br />
Beginn des 4. Schuljahres in der Regel<br />
gelernt, den Gehalt von Aufgaben »dekontextualisiert«<br />
zu erfassen. Wie sie 2<br />
und 2 Eisbällchen zu 4 addieren, ohne<br />
zu fragen, wie lange man sie – vielleicht<br />
noch in der Sonne – in der Hand gehalten<br />
hat, so können sie auch hier von spezifischen<br />
Kontexten absehen, von denen es<br />
im Übrigen unendlich viele gibt.<br />
2.2 Ein kontinuierlicher Text<br />
Für den Kritiker ist die Wahl des Textes<br />
»Christian« (abgedruckt ebd., S. 13) ein<br />
»Skandal«. Die Begründung dieser These<br />
sei etwas ausführlicher zitiert: »Die<br />
Situation des Neuen in der Klasse wird<br />
genutzt, um ihn sogleich als rüpelhaften<br />
Außenseiter zu brandmarken. Genau<br />
so werden Vorurteile gegen Minderheiten<br />
gestärkt und die Aggressivität der<br />
Mehrheit begründet: Minderheiten sind<br />
unsympathisch, passen nicht in die<br />
Gruppe, sind aggressiv und so weiter.<br />
Die Rollen sind klar verteilt. […] Am Ende<br />
muss der Besiegte die Gruppengesetze<br />
bedingungslos akzeptieren. Dies ist<br />
eine Konstellation, wie sie aus Kriegs-,<br />
Wild-West- und Blut-und-Boden-Filmen<br />
hinlänglich bekannt ist. In der Geschichte<br />
wird dieser für einen Grundschultext<br />
skandalöse Plot dadurch legitimiert,<br />
dass der Neue, also Christian, eben gerne<br />
›rauft‹. Kein Gedanke aber daran, dass<br />
man mit einem Neuen anders umgehen<br />
kann und muss, um ihn zu integrieren,<br />
anstatt sich gleich mit ihm zu prügeln.<br />
[…] Friedenserziehung sieht wahrlich anders<br />
aus.« (Ebd., S. 13f)<br />
Angesichts dessen, was hier gesagt<br />
wird, fällt es schwer, sachlich zu bleiben.<br />
Denn die Kritik wird maßlos. Was<br />
bringt Bartnitzky dazu, diesen Text auf<br />
Blut-und-Boden-Filme zu beziehen, auf<br />
faschistische Vorbilder also? Christian<br />
wird anfänglich in der Tat als aggressiv<br />
dargestellt. Darf das nicht sein? Muss<br />
etwa gleich eine Erklärung z. B. in Form<br />
der Frustrations-Aggressions-Hypothese<br />
geliefert werden? Doch wohl nicht. Geht<br />
aus dem Text etwa hervor, dass er für<br />
irgendeine Minderheit steht? Nein. Muss<br />
in diesem Text der »Besiegte« am Ende<br />
die Gesetze einer gewalttätigen Gruppe<br />
akzeptieren? Nein, er lernt, dass es hier<br />
offensichtlich gerade auf Gewaltfreiheit<br />
ankommt. Wird gesagt, dass er nicht<br />
integrierbar ist? Nein, denn er wird nicht<br />
als tumber Schläger charakterisiert, sondern<br />
als jemand, der intelligent ist und<br />
am Ende verstanden hat. Dieses Ende ist<br />
offen, aber nur partiell. Der Leser bzw. die<br />
Leserin kann den Schluss ziehen, dass das<br />
»Raufen« keine Rolle mehr spielen wird,<br />
denn es wäre eine »neue Mode«, die man<br />
nicht einführen möchte. Die Kinder in der<br />
Geschichte werden jenseits von Gewaltausübung<br />
einen Weg finden (müssen),<br />
miteinander auszukommen.<br />
Bartnitzky missversteht diesen Text<br />
also auf eine befremdliche Art. Auf die<br />
Kritik an einzelnen Aufgaben dazu kann<br />
hier im Detail nicht eingegangen werden.<br />
2.3 Aufgaben zur<br />
Sprachbetrachtung<br />
Diesmal lautet das Verdikt, die Aufgaben<br />
unter »Sprachbetrachtung« zu fassen,<br />
laufe auf »eine didaktische Hochstapelei«<br />
(S. 11) hinaus. An einer Wortarten-Aufgabe<br />
(»Welches der Wörter ist ein Verb (Tunwort)?<br />
Kreuze an!« Zur Auswahl stehen<br />
»zehn«, »scharf«, »rückwärts«, »ausleinicht<br />
»hinfällig«, wie die VERA-Macher<br />
behaupten. Die Vorlage ist fehlerhaft und<br />
leitet Kinder in die Irre statt zu klären.<br />
Lehrplanvalide,<br />
nicht unterrichtsvalide?<br />
Zur Wetterkarte hatte ich festgestellt,<br />
dass sie zu Beginn der 4. Klasse nicht<br />
in allen Klassen schon Thema war. Das<br />
schaffe ungleiche Voraussetzungen. Die<br />
VERA-Macher halten dagegen: Der Test<br />
solle lehrplanvalide sein, unterrichtsvalide<br />
aber könne er nicht sein. Nun gibt<br />
es aber keine Lehrplanvorgabe, dass Wetterkarten<br />
bis Ende Klasse 3 zu behandeln<br />
seien. Kennen die Kinder solche Karten,<br />
dann wird ihre Anwendungsfähigkeit am<br />
selben Format geprüft. Kennen die Kinder<br />
solche Karten nicht, dann wird ihre Kombinationsgabe<br />
am neuen Format geprüft.<br />
Das sind zwei unterschiedlich zu gewichtende<br />
Leistungen. Es kann also für die<br />
Ergebnisse gar nicht gleichgültig sein, ob<br />
die Kinder Vorwissen haben oder nicht.<br />
Lehrplanvalide können solche Tests übrigens<br />
auch nur sein, wenn sie auf einer<br />
didaktisch begründeten repräsentativen<br />
Auswahl beruhen. Das sind sie nicht. Sie<br />
sind aus rein testpragmatischen Gründen<br />
so entstanden, siehe den nächsten<br />
Punkt.<br />
Restriktive Bedingungen<br />
eines standardisierten Tests?<br />
Kritik an der didaktischen Qualität der<br />
Aufgaben weisen die Testkonstrukteure<br />
zurück mit dem Hinweis der »restriktiven<br />
Bedingungen«. Standardisierte Tests<br />
seien nun einmal »restriktiv«, sprich: Die<br />
Aufgaben müssten so gestellt werden,<br />
dass sie in knapper Zeit lösbar und mit<br />
den testmetrischen Mitteln auch gut<br />
auswertbar seien. Möglichst also keine<br />
freien Antworten, sondern »Ankreuzen,<br />
Unterstreichen etc.«.<br />
Genau dies ist aber auch das Problem.<br />
Der Text Christian ist durchaus didaktisch<br />
tauglich, dann müssten die Verhaltensweisen<br />
aber kritisch hinterfragt werden.<br />
Dies geschieht nicht, weil die Aufgabenkonstruktion<br />
und die Auswertung für die<br />
Testbedingungen nicht zu leisten seien.<br />
Wesentliche Ziele des Rechtschreibunterrichts<br />
werden durch die Satzdiktate des<br />
Tests nicht erfasst, weil die zehn Minuten<br />
Orthografie-Test und die Auswertungstechnik<br />
dies ausschlössen. Statt im Teil<br />
Sprachbetrachtung Kinder über Sprache<br />
reflektieren zu lassen, werden Wortarten<br />
abgefragt, weil »Nachdenken« zu »zeitaufwändig<br />
und eine objektive Auswertung<br />
sehr schwierig« sei. »Lehrplanvalide«<br />
ist etwas anderes.<br />
Natürlich wären Tests zu entwickeln,<br />
die dies alles besser könnten. Sie wären<br />
aber aufwändiger in Testmethodik, Personal<br />
und Zeit. Die Politik drängt und die<br />
Wissenschaft spielt mit.<br />
Die Ergebnisse werden aber von<br />
den VERA-Machern wie von den Auftraggebern<br />
so gehandelt, als seien sie<br />
Generalaussagen über Leistungsprofile<br />
von Klassen und sogar von einzelnen<br />
Schülern. Diese völlige Überschätzung<br />
des Aussagewertes über jedes vertretbare<br />
Maß hinaus ist das Kernübel.<br />
Horst Bartnitzky<br />
Autor zahlreicher Veröffentlichungen<br />
zur Deutschdidaktik<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
5
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
hen« und »neu«.) bemängelt Bartnitzky,<br />
hier werde »nichts von dem (gezeigt), was<br />
für den Lernbereich Sprachbetrachtung<br />
[…] wichtig ist. Dies nämlich sind die<br />
Denkleistungen der Kinder, die hinter den<br />
Entscheidungen für eine Wortart stehen.«<br />
(S. 12) – Zunächst: Nach wie vor ist jedenfalls<br />
auch wichtig, ob die Kinder zu richtigen<br />
oder falschen Ergebnissen kommen.<br />
Darüber hinaus ist gar nicht ausgemacht,<br />
ja eher unwahrscheinlich, dass Kinder im<br />
Rahmen eines Tests ihre Entscheidungen<br />
angemessen verbalisieren können. Sollen<br />
sie etwa einen kleinen Text schreiben?<br />
Das wäre zeitaufwändig und eine objektive<br />
Auswertung sehr schwierig. Wie<br />
seinem Anliegen im Rahmen eines Tests<br />
Rechnung getragen werden könnte, erörtert<br />
Bartnitzky leider mit keinem Wort.<br />
Vielmehr wendet er sich generell gegen<br />
das »rasch Angekreuzte« und »reines Abfragen«<br />
(S. 12), so dass erneut der Eindruck<br />
entsteht, es gehe nicht speziell um VERA,<br />
sondern um die Kritik an standardisierten<br />
Tests überhaupt.<br />
2.4 Aufgaben zur Orthografie<br />
Bartnitzky mutmaßt, die Testkonstrukteure<br />
wären auf Satzdiktate gekommen,<br />
weil sie aus ihrer eigenen Schulzeit<br />
nichts anderes kennen würden. Für die<br />
Orthografie stand nur sehr wenig Zeit zur<br />
Verfügung. Statt irgendeiner Version von<br />
Diktat hätte man z. B. auf orthografische<br />
Aspekte von »freien« Texten setzen können.<br />
Diese Option verbietet sich aber aus<br />
nahe liegenden Gründen. Daraus, dass<br />
jemand einen orthografisch einfachen<br />
Text richtig schreibt, folgt ja nicht, dass er<br />
leistungsfähiger ist als jemand, der einen<br />
orthografisch anspruchsvollen Text mit<br />
vielen Fehlern schreibt. Und: Dass unter<br />
den restriktiven Bedingungen eines standardisierten<br />
Tests auf eine Diktatversion<br />
gesetzt wird, impliziert nicht, dass nun<br />
auch in »normalen« Lernsituationen Diktate<br />
als Königsweg der Überprüfung von<br />
Rechtschreibwissen zu verstehen wären.<br />
»Jeder Satz hat seine Tücken, deshalb<br />
wurde er so konstruiert.« – Was hier,<br />
Bartnitzkys Stil entsprechend, negativ<br />
formuliert ist, lässt sich auch anders fassen.<br />
Es geht darum, Fehlerschwerpunkte<br />
auszumachen, eine qualitative Diagnose<br />
als Voraussetzung für eine gezielte Förderung<br />
zu leisten.<br />
2.5 Ein knappes Fazit<br />
Der außerordentlich scharfe Ton der Kritik<br />
Bartnitzkys an VERA erweist sich als völlig<br />
unangemessen. So blendet er Restriktionen,<br />
die mit einem standardisierten Test<br />
nun mal gegeben sind, systematisch aus<br />
und seine Lesart von Aufgaben sind zum<br />
Teil tendenziös, zum Teil auch (im Fall des<br />
Textes »Christian«) rational nicht mehr<br />
nachvollziehbar. Was Details angeht, so<br />
sind einige seiner Hinweise allerdings<br />
durchaus hilfreich.<br />
Wir finden es sehr bedauerlich, dass<br />
Bartnitzky auf die im Kontext von VERA<br />
formulierten Hypothesen über Fähigkeitsniveaus<br />
in den Kompetenzbereichen<br />
Lesen, Schreiben, Sprachbetrachtung und<br />
Orthografie nicht genauer eingegangen<br />
ist. Darüber hinaus erwähnt er mit keinem<br />
Wort, dass im Rahmen von VERA<br />
versucht wurde, Gesichtspunkten eines<br />
fairen Vergleichs Rechnung zu tragen.<br />
Es ist zu hoffen, dass seine Darstellung<br />
nicht das letzte Wort des Grundschulverbandes<br />
ist.<br />
3 Zu Selters Kritik<br />
der VERA-Aufgaben<br />
im Fach Mathematik<br />
Auch Selter hat in seinem Artikel eine<br />
Reihe von Kritikpunkten genannt, die wir<br />
als konstruktive Hinweise zur Kenntnis<br />
nehmen. Dies heißt jedoch keineswegs,<br />
dass wir mit allen genannten Aspekten<br />
einverstanden sind. Erneut kann aus<br />
Platzgründen nur auf einige wenige<br />
Punkte eingegangen werden.<br />
Selter bemängelt in Bezug auf Aufgabe<br />
2 (Arithmetik), dass »in manchen<br />
Bundesländern […] die Vorrangregel<br />
›Klammer vor Punkt- vor Strichrechnung‹<br />
erst Inhalt des 4. Schuljahres« sei und<br />
weiter, bezogen auf alle Arithmetikaufgaben:<br />
»Die Aufgabenanforderung entstammt<br />
zudem nicht dem Kernbereich<br />
des Arithmetikunterrichts der Klassen 1<br />
bis 4, so wie ihn die einzelnen Lehrpläne<br />
und die bundesweiten Bildungsstandards<br />
vorsehen.«<br />
Dies ist so nicht korrekt: Im Lehrplan<br />
Schleswig-Holsteins ist bereits für Klasse<br />
3 die Behandlung des Stoffes vorgesehen<br />
(S. 84). Für alle übrigen Bundesländer sind<br />
die Inhalte des Mathematik-Unterrichts<br />
der Klassen 3/4 im Lehrplan/Rahmenplan<br />
zusammengefasst, z. B. in der Lehrplanversion<br />
für Brandenburg (S. 36). Selbstverständlich<br />
werden nicht alle Kinder zu<br />
Beginn der vierten Klasse den gesamten<br />
Stoff kennen gelernt haben. Dass daraus<br />
nicht gefolgert werden kann, dass nur<br />
Inhalte der Klassenstufen 1/2 in einem<br />
solchen Test abgefragt werden dürfen,<br />
war oben schon dargelegt worden.<br />
Bezüglich der zentralen Aufgabe 9<br />
(Geometrie) kritisiert Selter: »… dass<br />
vernünftige Leistungen von Kindern<br />
nicht immer angemessen berücksichtigt<br />
werden. Die Figur beispielsweise durch<br />
das Anzeichnen eines zweiten Rechtecks<br />
zu erweitern und eine Symmetrieachse<br />
einzuzeichnen, ist eine produktive Leistung.<br />
[…] Nirgendwo steht aber explizit,<br />
dass man die vorgegebenen Figuren nicht<br />
verändern darf.« Die Aufgabenstellung<br />
ist jedoch eindeutig: Alle Spiegelachsen<br />
sollen (in die abgebildete Figur) eingetragen<br />
werden. Dem Arbeitsauftrag<br />
entsprechend wird es nur als vollständig<br />
richtige Lösung gewertet, wenn alle Spiegelachsen<br />
eingetragen wurden. Anders<br />
ist eine objektive Auswertung nicht zu<br />
realisieren. Wenn man erlaubt, dass die<br />
Figur verändert werden darf: Was ist dann<br />
eine richtige Lösung? Die Einzeichnung<br />
aller (also unendlich vieler) Spiegelachsen<br />
außerhalb der Figur? Der geneigte Leser<br />
ist eingeladen, selbst eine Korrekturanweisung<br />
hierzu zu entwerfen, die alle<br />
möglichen Antworten der Kinder umfasst<br />
und kategorisiert. Selter schreibt zur zentralen<br />
Aufgabe 10 (Sachrechnen/Größen):<br />
»Die Antwort C anzukreuzen, würde der<br />
(häufig in der Schule vermittelten) Alltagserfahrung<br />
entsprechen, dass große<br />
Mengen relativ gesehen günstiger sind.«<br />
Dies ist korrekt. Allerdings soll in der<br />
Schule auch über Alltagserfahrungen<br />
Hinausgehendes erlernt werden, z. B. die<br />
situationsangemessene Überprüfung<br />
solcher Erfahrungen unter Nutzung<br />
mathematischer Hilfsmittel.<br />
Abschließend ist noch anzumerken,<br />
dass die Aufgaben unter Mitarbeit von<br />
Lehrkräften und Fachdidaktikern entwickelt<br />
und auf Konformität mit den Lehrplänen<br />
und Standards überprüft wurden.<br />
Albert Bremerich-Vos, Jana Groß<br />
Ophoff, Andreas Helmke, Ingmar<br />
Hosenfeld, Sonja Wagner<br />
6 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
»SMS-Mathematik«?<br />
Zur Stellungnahme der VERA-Gruppe zur Kritik an VERA<br />
Auf die Replik der VERA-Gruppe möchte<br />
ich mit drei grundsätzlichen Bemerkungen<br />
eingehen, die meine Anmerkungen<br />
zu den VERA-Mathematikaufgaben (H. 89)<br />
in einen größeren Rahmen stellen.<br />
Steigerung der Aufgabenqualität<br />
Mir scheint, dass die Notwendigkeit der<br />
Steigerung der Aufgabenqualität durchaus<br />
gesehen wird. Hierzu nur ein Punkt:<br />
Ich bin mir aber nicht sicher, ob bei VERA<br />
systematisch angelegte Interviewstudien<br />
mit Kindern durchgeführt wurden, denen<br />
man die Aufgaben vorlegte, die man bei<br />
der Bearbeitung der Aufgaben beobachtete<br />
und die man dazu befragte. Aus<br />
solchen Studien kann man häufig mindestens<br />
ebenso viel über Verbesserungsnotwendigkeiten<br />
und -möglichkeiten<br />
lernen als durch Vorab-Einschätzungen<br />
von Lehrerinnen und Fachdidaktikern.<br />
Fachdidaktisch ausgerichtete Testentwicklungsforschung<br />
testet in diesem<br />
Sinn zunächst die Aufgaben mit Hilfe der<br />
Kinder, erst dann die Kinder mit Hilfe der<br />
Aufgaben.<br />
Ich sehe in einem gleichberechtigten<br />
Prozess der Annäherung der Standards<br />
der Testpsychologie einerseits und der<br />
Fachdidaktik andererseits eine schwierige,<br />
aber auch lohnenswerte Aufgabe,<br />
die beispielsweise für ein regelmäßiges<br />
und auch für die Praxis aussagekräftiges,<br />
hilfreiches System-Monitoring absolut<br />
erforderlich ist. Nur: Die Verbesserung<br />
der Aufgabenqualität ist notwendig, aber<br />
m. E. nicht hinreichend.<br />
Erweiterung des Repertoires<br />
Denn es ist offenkundig, dass zentrale<br />
schriftliche Tests in ihrer Aussagekraft<br />
durchaus beschränkt sind (vgl. Brügelmann<br />
in H. 89). Mit einer individuellen<br />
Diagnose der Kompetenzen der einzelnen<br />
Kinder sind sie – zumindest in<br />
der gegenwärtigen Form – überfordert.<br />
Zudem werden durch die knappe für die<br />
Bearbeitung zur Verfügung stehende Zeit<br />
und das Streben nach Vergleichbarkeit<br />
zahlreiche Kompetenzen nicht erhoben,<br />
die für zeitgemäßen Mathematikunterricht<br />
und auch die späteren Erfordernisse<br />
der Arbeitswelt von zentraler Bedeutung<br />
sind. Wittmann spricht hier von »SMS-<br />
Mathematik«.<br />
Um die Aussagekraft und den Nutzen<br />
für die Lehrerin und ihre Schüler zu<br />
erhöhen, wäre es daher wünschenswert<br />
und hilfreich, dass zentrale Lernstandserhebungen<br />
vermehrt auch Elemente enthielten,<br />
die nicht primär auf unmittelbare<br />
Vergleichbarkeit ausgerichtet sind, also<br />
etwa offenere Aufgaben, Aufgaben, die<br />
in Kooperation bearbeitet werden, oder<br />
solche, die die Selbsteinschätzungen<br />
der Schüler anregen (vgl. die zentralen<br />
Abschlussprüfungen in Schweden, www.<br />
grundschulverband.de).<br />
Dazu brauchen wir m. E. auch in<br />
Deutschland eine wissenschaftlich fundierte<br />
Entwicklung und Erforschung von<br />
solchen ›alternativen‹ Formen der fachbezogenen<br />
Leistungsfeststellung und -beurteilung.<br />
Der Grundschulverband leistet<br />
hier mit seinem Projekt »Pädagogische<br />
Leistungskultur« wichtige Beiträge. Auch<br />
in den verschiedenen Fachdidaktiken gibt<br />
es hierzu viel versprechende Ansätze. Das<br />
ist umso wichtiger, als es nach meinem<br />
Dafürhalten eine sehr offene Frage ist,<br />
ob durch die angestrebte Operationalisierung<br />
der Bildungsstandards und<br />
die damit einhergehende Entwicklung<br />
von passgenauen Testaufgaben, wie es<br />
Aufgabe des neu gegründeten Instituts<br />
für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen<br />
ist, nicht auch viele der positiven<br />
Entwicklungen in unseren <strong>Grundschule</strong>n<br />
gefährdet werden.<br />
Stärkung der fachdidaktischen<br />
Entwicklungsforschung<br />
In diesem Zusammenhang ist offenkundig,<br />
dass die u. a. Wagenschein zugeschriebene<br />
Feststellung, man wachse<br />
nicht durch Messen, keineswegs nur auf<br />
Einzelindividuen zutrifft, sondern auch<br />
auf das System Schule. So hilfreich eine<br />
qualitätvolle Outputorientierung sein<br />
mag; bedeutsamer scheinen mir die<br />
von der wissenschaftlichen Fachdidaktik<br />
begleiteten bzw. angeregten Prozesse der<br />
Qualitätsentwicklung vor Ort.<br />
Brauchen wir dafür neben dem Max-<br />
Planck-Institut für Bildungsforschung<br />
nicht auch ein gut ausgestattetes, konstruktiv<br />
ausgerichtetes Max-Planck-Institut<br />
für Fachdidaktik, dessen Forschungsund<br />
Entwicklungstätigkeit die konkrete,<br />
die tägliche Arbeit der Lehrerinnen und<br />
Lehrer unterstützt?<br />
Ein Institut, das nicht nur Unterricht<br />
analysiert und bewertet, sondern adressaten-<br />
und berufsbezogen vorrangig<br />
Unterrichtskonzeptionen und Lernumgebungen<br />
für die Schule, aber auch für<br />
die Lehreraus- und Lehrerweiterbildung<br />
mit den Möglichkeiten der Wissenschaft<br />
entwickelt und erforscht. Und wenn das<br />
zu groß dimensioniert sein sollte: außer<br />
dem IPN in Kiel wenigstens weitere, an<br />
Universitäten angebundene nationale<br />
Expertisezentren für fachdidaktische Unterrichtsentwicklung?<br />
Christoph Selter<br />
Professor für Mathematik<br />
und ihre Didaktik<br />
an der Päd. Hochschule Heidelberg<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
7
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
Thesen zu den Bildungsstandards<br />
Der Grundschulverband sieht in Bildungsstandards<br />
und Kompetenztests eine<br />
Chance, die Arbeit in den <strong>Grundschule</strong>n<br />
stärker auf zentrale Bildungsziele hin zu<br />
orientieren, um so bei zunehmender Eigenständigkeit<br />
der Schule einen gemeinsamen<br />
Rahmen zu sichern, die grundlegenden<br />
Bildungsziele im Blick zu halten<br />
und ihr Erreichen zu überprüfen. Gerade<br />
weil wir diese Ansprüche ernst nehmen,<br />
haben wir einige Probleme mit den von<br />
der KMK und einzelnen Bundesländern<br />
bisher vorgelegten Beispielen:<br />
1.1 Standards wie Tests beschränken sich<br />
auf fachbezogene Leistungen, sie sind<br />
keine Bildungsstandards. Gefordert und<br />
gemessen wird das Messbare. Damit<br />
dominiert zum Beispiel ein Falsch-/ Richtig-Paradigma,<br />
in dem Ambiguität und<br />
Mehrperspektivität, vor allem aber die<br />
individuelle Deutung von Aufgaben verdrängt<br />
werden (müssen). Zudem verlieren<br />
fachübergreifende Kompetenzen und<br />
Haltungen an Bedeutung für den Unterricht,<br />
in dem sie eh durch die Fächergliederung<br />
leicht an den Rand rücken.<br />
1.2 Die Standards sind einseitig produktorientiert<br />
und vernachlässigen die Qualität<br />
der Lernprozesse. Dieselbe Leistung<br />
entspricht nicht derselben Kompetenz,<br />
je nachdem, unter welchen Bedingungen<br />
diese erworben worden ist. Lesenkönnen,<br />
das über einen kleinschrittigen Lehrgang<br />
vermittelt wurde, hat eine andere Qualität<br />
als Lesenkönnen, das sich durch freies<br />
Lesen selbst gewählter Lektüre entwickelt<br />
hat.<br />
1.3 Die Vorgabe von Niveaus zu festen<br />
Zeitpunkten – sei es als Regel- oder<br />
als Mindeststandard – verkennt die<br />
Entwicklungsdifferenz von mehreren<br />
Schuljahren schon am Schulanfang.<br />
Diese lässt sich über die Schulzeit hinweg<br />
nicht ausgleichen, weil fast alle Kinder in<br />
vergleichbarem Maße dazulernen (»Karawaneneffekt«).<br />
Besonderer Schulerfolg<br />
erweist sich in höheren Lernzuwächsen,<br />
nicht im Erreichen gesetzter Vorgaben,<br />
deren Einlösung bei unterschiedlichen<br />
Voraussetzungen und Randbedingungen<br />
nicht fair verglichen werden kann.<br />
1.4 Eine Ausweisung von drei Niveaus,<br />
die zum Teil direkt, zum Teil zumindest<br />
indirekt einen Schulformbezug unterstellen,<br />
stützt überdies Selektionstendenzen<br />
statt den Förderanspruch der Kinder zu<br />
stärken.<br />
1.5 Die Verbindung der Entwicklung von<br />
Standards mit dem Programm zentraler<br />
Kompetenztests suggeriert eine Plan- und<br />
Kontrollierbarkeit von Lernprozessen, die<br />
die technologischen Möglichkeiten von<br />
Pädagogik weit überschätzt.<br />
Der Grundschulverband hat als Alternative<br />
eine Konzeption entwickelt, die<br />
a) Standards bewusst als Bildungsansprüche<br />
der Kinder formuliert, damit ihr<br />
Erreichen nicht als deren Bringschuld<br />
missverstanden wird;<br />
b) die Standards nicht als Niveaus,<br />
sondern als Entwicklungsperspektiven beschreibt,<br />
in denen jedes Kind von seinem<br />
jeweiligen Ausgangspunkt möglichst<br />
weit zu fördern ist und der individuell<br />
erreichte Stand deskriptiv ausgewiesen<br />
werden kann;<br />
c) in den Standards Anforderungen auch<br />
an die Qualität von Lernsituationen und<br />
ihrer Rahmenbedingungen formuliert;<br />
d) zentralen Kompetenztests eine bedeutsame,<br />
aber eindeutig begrenzte<br />
Funktion im Rahmen eines differenzierten<br />
Evaluationssystems zuweist und der<br />
förderorientierten Beobachtung und Beurteilung<br />
der Leistungsentwicklung vor<br />
Ort Vorrang einräumt.<br />
Der Grundschulverband teilt die<br />
Annahme, dass Evaluation als Prinzip<br />
schulischer Arbeit zu stärken ist, fordert<br />
aber, dass dieser Anspruch in Formen<br />
umgesetzt wird, die die Umsetzung pädagogischer<br />
Prinzipien unterstützen, nicht<br />
konterkarieren. Evaluation muss konkrete<br />
Ansatzpunkte für eine Verbesserung des<br />
Unterrichts bieten – auf die jeweilige Entscheidungsebene<br />
bezogen.<br />
Dazu muss das Rechenschaftssystem in<br />
zwei Dimensionen differenziert werden:<br />
1. Trennung von Funktionen wie Kontrolle<br />
und Qualitätsentwicklung. Beide<br />
Funktionen können nicht durch ein- und<br />
dasselbe Instrument (z. B. zentrale Kompetenztests)<br />
erreicht werden.<br />
2. Trennung von Ebenen wie zentralem<br />
System-Monitoring und dezentraler Lernbeobachtung.<br />
Zur Systemevaluation möchte ich nur<br />
stichwortartig unsere Position skizzieren:<br />
■ Reduktion des Turnus auf vier bis sechs<br />
Jahre statt jährlicher Erhebungen.<br />
■ Beschränkung der Erhebungen auf<br />
unaufwändige Stichproben statt kostenund<br />
arbeitsaufwändiger Vollerhebungen<br />
wie bei VERA.<br />
■ Ergänzung der gegenwärtig auf zentrale<br />
Evaluationsformen konzentrierten<br />
Aktivitäten durch eine Stützung der<br />
unterrichtsnahen Evaluationskompetenz<br />
von LehrerInnen über die Entwicklung<br />
alltagstauglicher Instrumente und begleitende<br />
Fortbildungsmaßnahmen.<br />
■ Angebot standardisierter Instrumente<br />
für die Evaluation vor Ort (vgl. LUST) statt<br />
Einbindung in Pflichtprogramme, deren<br />
Autoritätsstatus und inhaltliche Aussagekraft<br />
weit überschätzt wird (vgl. die<br />
zugesprochene Überlegenheit gegenüber<br />
dem Lehrerurteil) und deren Ergebnisse<br />
in der Praxis und erst recht in der Öffentlichkeit<br />
oft falsch interpretiert werden<br />
(vgl. die große Bandbreite innerhalb der<br />
Kompetenzstufen).<br />
Insbesondere hält der Grundschulverband<br />
eine produktive Wirkung von<br />
Standards und Tests nur dort für erwartbar,<br />
wo aus ihren Ergebnissen zwar Folgerungen<br />
eingefordert, aber mit ihnen keine<br />
Sanktionen verknüpft werden (vgl. die<br />
Negativerfahrungen in den angelsächsischen<br />
Ländern).<br />
Unsere Leitidee: Politik, Schulen und<br />
LehrerInnen müssen klarer als bisher Rechenschaft<br />
ablegen über den Einsatz ihrer<br />
Ressourcen, aber die Standards für die<br />
Evaluation und deren Umsetzung sind in<br />
dialogischen Formen zu entwickeln bzw.<br />
durchzuführen:<br />
■ auf der Systemebene zwischen den<br />
verschiedenen bildungspolitischen Kräften<br />
nach durchsichtigen Verfahren (z. B.<br />
nicht implizit durch ExpertInnen) und<br />
unter Beteiligung der Betroffenen (vgl.<br />
NRW-Lehrpläne 1985);<br />
■ auf der Ebene einzelner Schulen zwischen<br />
denen, die diese von innen, und<br />
denen, die sie von außen betrachten;<br />
■ innerhalb einer Klasse zwischen Lehrperson<br />
und SchülerInnen.<br />
Hans Brügelmann<br />
Professor für Erziehungswissenschaft<br />
an der Universität Siegen,<br />
Fachreferent für schulische Qualitätsentwicklung<br />
im Grundschulverband<br />
8 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
Lernstandserhebungen in der <strong>Grundschule</strong><br />
Der Fall VERA – (meta)kritische Anmerkungen<br />
Die Ergebnisse, die Inhalte und Ziele der<br />
in sieben Bundesländern durchgeführten<br />
Vergleichsarbeiten in Deutsch und Mathematik<br />
in 4. Grundschulklassen haben<br />
in dieser Zeitschrift durchaus kritische<br />
Reaktionen ausgelöst. Und die wiederum<br />
kritische Gegenreaktionen – und Reaktionen<br />
darauf. Um was geht es dabei in<br />
der Perspektive eines germanistischen<br />
Sprachwissenschaftlers und Sprachdidaktikers,<br />
dem die Weiterentwicklung der<br />
Lehrerbildung an den Universitäten nicht<br />
eben gleichgültig ist?<br />
Lernstandserhebungen?<br />
Ja – aber wie denn?<br />
Der Sinn und Zweck von Lernstandserhebungen<br />
steht außer Frage. Vergleichsarbeiten<br />
sind eine Möglichkeit<br />
erkennen zu können, wo zum Beispiel<br />
ein viertes Schuljahr in den unterrichtlichen<br />
Fächern Deutsch und Mathematik<br />
im Vergleich zu anderen <strong>Grundschule</strong>n<br />
der Stadt, der Region, des Bundeslandes,<br />
der Bundesrepublik steht. Oder eher darum<br />
zu erkennen, wo eine Lehrerin oder<br />
ein Lehrer im Unterricht steht, der diese<br />
Jahrgangsklasse in genau diesen Fächern<br />
unterrichtet. Lehrerinnen und Lehrer, so<br />
stellt der bildungswissenschaftliche Experte<br />
fest, erhalten durch Vergleichsarbeiten<br />
Informationen, die ihnen sonst nicht<br />
zugänglich sind und die sie meist auch nur<br />
sehr unzulänglich einschätzen können: Sie<br />
erhalten nämlich Aufschluss über den Leistungsstand<br />
und das Leistungsprofil der eigenen<br />
Klasse im Vergleich zu landesweiten<br />
oder bundesländerübergreifenden Ergebnissen.<br />
Diese Standortbestimmung gibt<br />
nicht nur verlässlichen Aufschluss über die<br />
Stärken und Schwächen der eigenen Schülerinnen<br />
und Schüler, sondern auch über<br />
typische Fehlermuster der eigenen Klasse.<br />
Darüber hinaus erhalten Lehrkräfte bei<br />
Interesse auch eine Rückmeldung über die<br />
Genauigkeit ihrer eigenen Einschätzungen,<br />
also über Aspekte ihrer Diagnosekompetenz.<br />
Neben dem Vergleich der eigenen<br />
Klasse oder Schule mit der Gesamtverteilung<br />
bieten wir auch einen Vergleich mit einer<br />
Gruppe von Klassen an, die der eigenen<br />
hinsichtlich Einzugsgebiet, Klassenzusammensetzung<br />
usw. ähnlich ist. Man spricht<br />
dabei häufig von einem »fairen Vergleich«,<br />
weil so den von der einzelnen Lehrkraft<br />
vorgefundenen und nicht beeinflussbaren<br />
Lernvoraussetzungen Rechnung getragen<br />
wird. Neben diese Verortung durch Vergleiche<br />
mit Anderen tritt bei VERA künftig verstärkt<br />
die Orientierung an den Bildungsstandards.<br />
1 Lernstandsuntersuchungen<br />
wie VERA informieren über unterrichtliche<br />
Lernstände und fördern die diagnostische<br />
Kompetenz des Unterrichtenden.<br />
Dass Letzteres gelegentlich dringend<br />
notwendig ist, wird niemand bestreiten<br />
wollen, der etwa die sprachdiagnostische<br />
Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern<br />
auch der <strong>Grundschule</strong> beobachtet. Wem<br />
in der ersten Phase der Lehrerbildung die<br />
Erfahrung verschlossen bleibt, dass einen<br />
schon die Lektüre und Interpretation von<br />
Texten einer, sagen wir, Zweitklässlerin<br />
vor erhebliche analytische und evaluative<br />
Probleme stellt, denen erst mit einem<br />
differenzierteren methodischen Repertoire<br />
und einem elaborierteren begrifflichen<br />
Vokabular beizukommen ist, dem<br />
werden sich die sprachdiagnostischen<br />
Probleme auch später nicht unbedingt<br />
so erschließen, dass er sie sachgerecht<br />
wahrnehmen, beschreiben und lösen<br />
kann. Aber das ist nur die eine Hälfte der<br />
Geschichte. Denn vom Gegenstand, von<br />
den Zielen und von den Verfahren der<br />
Lernstandsdiagnostik hängt es für den<br />
Unterrichtenden ja ab, ob er richtig liegt,<br />
wenn herauskommt, wo seine Klasse<br />
steht. Was, wird er sich zu Recht fragen,<br />
wird denn nun in diagnostischer Absicht<br />
getestet, wie funktioniert das Testen, und<br />
welchen diagnostischen Wert hat das,<br />
was dabei herauskommt?<br />
Bildung – funktionalisiert?<br />
VERA, betonen die Testkonstrukteure<br />
selbst auch bei ihrer Kritik an den Kritikern,<br />
soll in dem Sinne lehrplanvalide<br />
sein, dass sie sich auf Bereiche und<br />
Themen bezieht, die laut Lehrplan auch<br />
vorgesehen sind. Aber wie nimmt die<br />
Lernstandserhebung auf die klassischen<br />
Aufgabenfelder des Grundschulunterrichts<br />
Bezug? Auf den ersten Blick<br />
beziehen sich die Tests auf die curricularen<br />
Bereiche Lesen, Schreiben, Sprache<br />
untersuchen, Rechtschreiben. Auf den<br />
zweiten Blick zeigt sich allerdings, dass<br />
es dabei um eine recht vorläufige Orientierung<br />
geht. In Ermangelung empirisch<br />
gestützter Bildungsstandards geht man<br />
mit manchen Lehrplänen so um, als ob<br />
sie vorläufig noch wie Bildungsstandards<br />
zu lesen und umzusetzen seien. Dabei<br />
ist die Logik aber alles andere als eine<br />
curriculare; sie ist eine bildungsfunktionale.<br />
2 Es geht um ein funktionalistisches<br />
Bildungskonzept. 3 Schülerinnen und<br />
Schüler sollen eben in der Mitte des vierten<br />
Schuljahres so weit sein, dass sie (1)<br />
verschiedenartigen Texten Informationen<br />
entnehmen können, (2) unvollständige<br />
Texte schriftsprachlich ergänzen können,<br />
(3) elementares wort- und satzgrammatisches<br />
Wissen zeigen können und (4) die<br />
deutsche Rechtschreibung auf dem Niveau<br />
elementarer orthographischer Standards<br />
beherrschen; das mehr oder weniger.<br />
Und wieso und wozu genau das? Nicht<br />
deshalb, weil Lehrpläne das forderten<br />
oder weil Didaktiker das für Bereiche<br />
elementarer sprachlicher Bildung hielten;<br />
sondern deswegen, weil Deutschland<br />
im internationalen Bildungsvergleich die<br />
Beherrschung der Verkehrssprache und<br />
Wort und Schrift – und zwar auf einem<br />
kompetenten Niveau – als notwendige<br />
Voraussetzung gesellschaftlicher Kommunikationsfähigkeit<br />
fordern und fördern<br />
sollte. 4<br />
VERA – Problematische<br />
Voraussetzungen<br />
Stimmt, möchte man feststellen, deshalb<br />
muss fachliche, muss verbale, literale<br />
und literarische (also auch ästhetische?)<br />
Bildung sein. Fragt sich nur, welchen<br />
Begriff man sich von ihr macht, wenn<br />
man sprach-, text-, schrift- und bildkompetenzdiagnostische<br />
Tests wie VERA<br />
entwickelt und anwendet. Wie denn<br />
testet VERA, was man zu testen vorgibt?<br />
Mehrere Probleme sind meines Erachtens<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
9
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
nicht zu übersehen, betrachtet man die<br />
Testaufgaben und Testaufgabenlösungen<br />
genauer:<br />
erstens die durchaus unterschiedliche<br />
fachdidaktische Angemessenheit der<br />
Aufgabenbeschreibungen,<br />
zweitens ihre entwicklungs- und aneignungslogische<br />
Indifferenz,<br />
drittens die unterschiedliche Situiertheit<br />
der Aufgaben selbst;<br />
viertens ihre mangelnde Prozessbezogenheit;<br />
fünftens der inhärente Dekontextualisierungsanspruch<br />
dieser Art von Tests im<br />
ganzen.<br />
Und nicht zuletzt, sechstens, die auffällige<br />
Phantasielosigkeit der Aufgabenentwicklung.<br />
Das sind allerdings, sei betont, keine<br />
Probleme, deren kritische Darstellung<br />
sich dazu eignete, einem diagnostischen<br />
Intuitionismus das Wort zu reden.<br />
Die Leseverständnis-Aufgabe ist, fachdidaktisch<br />
gesehen, erschreckend literalitätsfern<br />
konzipiert worden. Der Text (Der<br />
Neue in der Klasse heißt Christian …) ist<br />
einer jener typischen säuerlich moralistischen<br />
Lesebuchtexte, von denen man bis<br />
VERA wohl irrtümlich dachte, sie hätten<br />
in der heutigen <strong>Grundschule</strong> nichts mehr<br />
verloren. Er ist in seiner, gelinde gesagt,<br />
verstaubten sprachlichen Diktion ein<br />
Musterbeispiel für jene Art von Lehrtexten,<br />
die im Vergleich zu den narrativen<br />
Standards der gegenwärtigen Kinderund<br />
Jugendliteratur einfach nur als geschmacklose<br />
Konfliktbewältigungsprosa<br />
charakterisiert werden können. Und die<br />
Textverstehensaufgaben? Sie stellen auf<br />
unterschiedliche Dimensionen der Lektüre<br />
und Interpretation von Texten ab: auf<br />
die Situation, den Kontext, die Intention,<br />
das literarische und soziale Vorwissen<br />
– und nicht zuletzt auf den kulturellen<br />
Erfahrungshintergrund. 5 Offensichtlich<br />
sollen so Argumentationen über Aspekte<br />
des Textverstehens evoziert werden; in<br />
diesem Fall wertende Stellungnahmen<br />
zu Gehalt, Form, Bedeutung usw. für<br />
den kindlichen Leser selbst: Ich finde<br />
Prof. Dr. Bernd Switalla (em.)<br />
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft<br />
Universität Bielefeld<br />
Emeritierter Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre<br />
Didaktik an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft<br />
der Universität Bielefeld. Zu den Schwerpunkten in Forschung und<br />
Lehre siehe: http://www.uni-bielefeld.de/lili/personen/switalla/<br />
(die Geschichte soundso, weil sie …) Das<br />
mag man als testökonomisch rational ja<br />
noch hinnehmen. Weniger hinnehmbar<br />
ist meines Erachtens, dass das vorhandene<br />
literarische Können und Wissen der<br />
Grundschüler, das bereits angeeignete<br />
ästhetische Vorwissen beim Test keine<br />
Rolle zu spielen scheint. Der Test kommt<br />
vielmehr so daher, als hätten wir es bei<br />
der Interpretationsaufgabe mit dem<br />
erlebnispädagogisch didaktisierten Sonderfall<br />
werkimmanenter Interpretation<br />
zu tun: man lese aus einem Text betroffen<br />
heraus, was man in ihn miterlebend hineinzulesen<br />
vermag. Als sei es mit einem<br />
naiven, alltagstheoretischen deskriptiven<br />
und evaluativen Know How der Ästhetik<br />
des Textes getan und zum Beispiel ein<br />
formaler Textbezug vom Schüler schon<br />
damit hergestellt, wenn er eine das Wie<br />
des Erzählens wertende Stellungnahme<br />
nach dem Muster Ich finde die Geschichte<br />
gut, weil sie … … ausführlich erzählt ist<br />
hinbekommt. Sind aber Urteile dieser Art<br />
genau jene, deren Entwicklung wir beim<br />
Umgang mit (pseudo)literarischen Texten<br />
fördern sollten? Sicher nicht. Aber welche<br />
sind es denn dann? Wie beschreiben,<br />
beurteilen und bewerten Kinder Gehalt,<br />
Form, Bedeutung und Sinn von literarischen<br />
Texten? Welche Schritte und Stufen<br />
der Aneignung ästhetischer Kompetenzen<br />
sind es, die man entwicklungslogisch<br />
voraussetzen muss, wenn man einen<br />
sprachdiagnostischen Test wie diesen<br />
VERA-Test entwirft und durchführt?<br />
Die exemplarisch zur Diskussion<br />
stehenden VERA-Aufgaben sind allesamt<br />
entwicklungs- und aneignungslogisch<br />
gesehen indifferent konzipiert. Und dass<br />
das so ist, hängt ganz zweifellos auch<br />
mit der Empirieferne der fachdidaktischen<br />
Forschung insgesamt zusammen<br />
– und mit der starken Position der IPN-<br />
Forschung im pädagogisch-didaktischen<br />
Feld. 6 Wir wissen, sieht man von Untersuchungen<br />
in elementaren Studien<br />
ab, einfach noch zu wenig darüber, wie<br />
sich Kinder die Sprache, die Schrift, den<br />
Text, das Bild aneignen und was sie so zu<br />
verbal, literal, literarisch und ästhetisch<br />
kompetent handelnden, wahrnehmenden,<br />
denkenden und urteilenden Personen<br />
macht. (Die professionelle diagnostische<br />
Intuition der Unterrichtenden kann<br />
es nicht unbedingt sein.) 7 Genau deshalb<br />
haben normative Setzungen durch Lehrund<br />
Bildungspläne, von Bildungsstandards<br />
und Lernständen zunächst immer<br />
etwas Tentatives; man operiert auf der<br />
Basis eines unterrichtlichen, didaktischen<br />
und theoretischen Erfahrungswissens<br />
hinsichtlich dessen, was vernünftigerweise<br />
zu einem bestimmen Zeitpunkt in<br />
der Schule gelernt, gekonnt und gewusst<br />
sein sollte.<br />
Das ist auch bei VERA durchaus der Fall;<br />
wie die Testaufgabe zur Sprachbetrachtung<br />
zeigt, allerdings unnötig eingeschränkt.<br />
Der VERA-Test reduziert die (Fähigkeit<br />
zur) Sprachbetrachtung sprachdidaktisch<br />
wie entwicklungslogisch gesehen unnötigerweise.<br />
Das kindliche Wissen über die<br />
sprachliche Kommunikation und über die<br />
Sprache, das kindliche Verständnis von<br />
Lauten, Buchstaben, Wörtern, Sätzen und<br />
Texten ist im Grammatiktest ganz und gar<br />
ausgeblendet. Hier geht es ausschließlich<br />
um ein Wissen über (satz)grammatische<br />
Sachverhalte. Und selbst das noch eingeschränkt;<br />
denn es wird auf das implizite<br />
satz- und wortanalytische Wissen abgestellt:<br />
Ich weiß schon, was ich tun muss,<br />
um hier die Wortarten unterscheiden und<br />
die Satzgliedunterscheidungen zuordnen<br />
zu können. Und ich muss dabei zu einem<br />
Ergebnis kommen, aus dem man erschließen<br />
kann, dass ich’s kann. 8 Keine Frage,<br />
auch insoweit sollten Kinder der <strong>Grundschule</strong><br />
mit grammatischen Sachverhalten<br />
vertraut sein. Schon des Rechtschreibunterrichts<br />
wegen sollten sie (sicher früher<br />
als im vierten Schuljahr) Kriterien der<br />
Wortart- und der Satzgliedunterscheidung<br />
beherrschen, die sie befähigen<br />
einen lesbaren Text zu schreiben. Aber<br />
– ist damit erhoben, wie Grundschulkinder<br />
über die Sprache nachdenken, auf<br />
welche Weise und mit welchen Begriffen<br />
sie sprachliche Sachverhalte zu begreifen<br />
und zu beschreiben versuchen? Welche<br />
Theorie der sprachlichen Bedeutung sie in<br />
Anspruch nehmen, wenn sie zum Beispiel<br />
über Eigennamen nachdenken? Wie sie<br />
begründen, wieso sie einen Text gut formuliert<br />
finden?<br />
Die andere Aufgabe zur Sprachbetrachtung,<br />
jene, bei der es um eine Kennzeichnung<br />
des mit Redewendungen Gemeinten<br />
gehen soll, ist exemplarisch für den<br />
Mangel an Situiertheit. Die Aufgaben<br />
haben keinen Bezug zur kulturellen Erfahrungswelt<br />
der Kinder, haben keinen<br />
zum Unterrichts- und Lernalltag der Kinder<br />
– und sind innerhalb des Tests ebenso<br />
wenig kontextualisiert. (Was übrigens<br />
ein Leichtes wäre; die Aufgabenstellung<br />
kann ja durchaus so konzipiert sein,<br />
10 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
dass sie eine Problemsituation fingiert,<br />
mit der zurechtzukommen genau jene<br />
Kompetenzen erfordert, die der Test testen<br />
soll. Dilemma-Geschichten sind, was<br />
das angeht, ein exemplarisches Sujet.) Es<br />
wäre ein Leichtes, VERA-Aufgaben so zu<br />
konzipieren, dass sprachpraktische, das<br />
sprachreflexive und sprachanalytische<br />
Können und Wissen von Grundschulkindern<br />
situierter eruiert und diagnostiziert<br />
würde. Exemplarische Problemsituationen<br />
fänden sich leicht. Darstellungs- und<br />
Sichtweisen ließen sich leicht fingieren.<br />
Argumentationen gut formulieren und<br />
Stellungnahmen zu Argumentationen<br />
ebenso gut evozieren. Allerdings wären<br />
die Testaufgaben dann ausdrücklich das,<br />
was sie ihrer Logik nach schon jetzt sind:<br />
dialogisch strukturierte Darstellungen<br />
von Problemsituationen, die verschiedene<br />
diskursive Problemlösungen evozieren<br />
und insoweit Rückschlüsse auf<br />
kompetenzspezifische Leistungsanforderungen<br />
zulassen.<br />
Allerdings liefe das auf eine sehr viel<br />
mehr prozessorientierte Lernstandserhebung<br />
hinaus. Und das würde auch dem<br />
Orthographietest zugute kommen. Man<br />
würde zum Beispiel beobachten, dokumentieren,<br />
analysieren und interpretieren<br />
müssen, welche kommunikativen und<br />
kognitiven Prozesse sich dann abspielen,<br />
wenn Kinder bei der Lösung der Aufgaben<br />
mit anderen oder mit sich selbst laut<br />
nachdenken, welche Fehlerhypothesen<br />
sie dabei entwickeln, wie sie Lösungsvarianten<br />
miteinander vergleichen, aus<br />
welchen Gründen sie welcher den Vorzug<br />
geben usw., welches Rechtschreibwissen<br />
also welches orthographische Können<br />
stützt. Man würde sich, kurz gesagt,<br />
als Diagnostiker den Umweg ersparen,<br />
aus den Ergebnissen der Testaufgabe<br />
jene Prozesse beim Lösen der Aufgabe<br />
erschließen zu müssen, deren Kenntnis<br />
für eine angemessene Diagnose und Evaluation<br />
vorauszusetzen ist. 9<br />
Grenzen der Tests<br />
Damit würde man allerdings, höre ich<br />
die Konstrukteure von VERA einwenden,<br />
gegen alle testtheoretischen, testpraktischen<br />
und testökonomischen Prinzipien<br />
auch von VERA handeln. Wirklich? Muss<br />
Dekontextualisierung die exemplarische<br />
Situierung tatsächlich weitgehend aus -<br />
schließen? Muss Objektivität die Diskursivität<br />
derart einschränken? Sind<br />
Lernstandserhebungen wie VERA so zu<br />
standardisieren, dass Grenzen der analytischen<br />
und diagnostischen Reichweite<br />
so leicht billigend in Kauf genommen<br />
werden? Da sind, abgesehen von den<br />
fachdidaktischen Schwächen des Instrumentariums<br />
dieser Lernstandserhebung,<br />
durchaus Zweifel angebracht. Andere<br />
kompetenzdiagnostische Methoden und<br />
Konzepte sind ja längst erfolgreich praktiziert<br />
worden. 10 Eine Überlegung wäre es<br />
beispielsweise wert, ob man Lernstandserhebungen<br />
nicht von vornherein als Lernbereitschafts-,<br />
als Lernfähigkeitserhebungen<br />
konzipieren und konzeptualisieren sollte.<br />
VERA würde so gesehen der Test darauf<br />
sein, inwieweit ein Grundschulkind mit<br />
seinen bereits angeeigneten Sprach-,<br />
Text-, Schrift- und Bildkompetenzen in einer<br />
neuen Lernsituation zurecht kommt.<br />
Der Wetterkarten-Leseverständnis-Test<br />
hätte dann eine andere Bedeutung; und<br />
zwar ziemlich genau die, über die sich<br />
Kritiker und Metakritiker durchaus einig<br />
zu sein scheinen: wer die Wetterkarte<br />
noch nicht zu lesen versteht, lernt es<br />
in der Testsituation. Und das würde bedeuten?<br />
Bernd Switalla<br />
Anmerkungen<br />
1 Andreas Helmke, Universität Koblenz-Landau<br />
in einem Interview in: forum schule.<br />
Magazin für Lehrerinnen und Lehrer, 2/2004:<br />
Siehe: www.forum-schule.de<br />
2 Die KMK-Bildungsstandards für die Primarstufe<br />
beispielsweise zeigen das. Was da für das<br />
Schulfach Deutsch für die 4. Jahrgangsklasse zum<br />
Bildungs standard erklärt wird, verdankt sich jenem<br />
normativen Pragmatismus, den ein Kompromiss<br />
bildungspolitischer, bildungswissenschaftlicher und<br />
fachdidaktischer wie -theoretischer Hinsicht eben<br />
mit sich zu bringen scheint. Vergl. Tenorth, H.-E.:<br />
Auch eine Konvention bedarf der Rechtfertigung. In:<br />
Standards. Friedrich Jahresheft XXIII 2005; 30 – 31.<br />
3 Der funktionalistische Pragmatismus des Bildungsbegriffs<br />
von VERA und PISA usw. läuft vielleicht<br />
auf eine bildungs politische Gleichsetzung von<br />
Bildungs- mit Kompetenz- und Qualifikationsstandards<br />
hinaus. Das auf den ersten Blick pragmatisch<br />
Passende, das alltagsweltlich Überlebenstaugliche<br />
könnte es sein, was zählt: es kommt darauf an,<br />
die Wetterkarte lesen, überhaupt informativ lesen zu<br />
können, in Sachen Grammatik über ein operatives<br />
Verfügungswissen, ein Reproduktionswissen zu<br />
verfügen usf. – Da wird teilweise eine Kompetenzrhetorik<br />
in Gang gesetzt, die weder didaktisch noch<br />
theoretisch wirklich überzeugen kann.<br />
4 Baumert, J.: Deutschland im internationalen<br />
Bildungsvergleich. In: Killius, N./Kluge, J./Reisch,<br />
L. (Hg.): Die Zukunft der Bildung. Frankfurt am Main<br />
2002; 100 – 150; Zitat S. 109.<br />
5 Die Story der (literarischen) Textaufgabe ist gelinde<br />
gesagt linkisch erzählt, hat etwas gewollt Kindgemäßes.<br />
Der Plot bedeutet einen narrativ flachen<br />
Gag und ist konfliktlogisch eher daneben. Die Aufgaben<br />
sind eher umständlich formuliert – und treffen<br />
in der Sache kaum den Gegenstand; denn wie<br />
kann, wie soll es bei einer Geschichte in erster Linie<br />
um eine Informationsentnahme gehen? Zudem unterlaufen<br />
den Testautoren bei der Formulierung der<br />
Aufgaben begriffliche Fehler. So wird zum Beispiel<br />
die Erzählerin der Geschichte und deren evaluative<br />
Perspektive mit der Autorin der Erzählung gleichgesetzt.<br />
Ingesamt setzt die Aufgabe teils schon eine<br />
gewisse Vertrautheit mit narrativen Texten dieser<br />
Art, also eine gewisse literarische Verstehensfähigkeit<br />
voraus; setzt aber zugleich darauf, dass es auch<br />
beim Verstehen von Geschichten auf nichts weniger<br />
als auf Informationsentnahme aus Texten ankomme.<br />
6 Kein Zufall, dass der Anteil der Fachdidaktik<br />
Deutsch an der Unterrichtsforschung nach wie vor<br />
bescheiden ausfällt und dass sie in einem <strong>aktuell</strong>en<br />
Standardwerk über Unterrichtsqualität auf knapp<br />
einer Seite beiläufig abgehandelt wird: Helmke, A.:<br />
Unterrichtsqualität – Erfassen Bewerten Verbessern.<br />
Seelze 2003.<br />
7 Im Bereich des Aneignung der Schrift- und der Textkompetenz<br />
ist das schon ein wenig anders. Siehe<br />
Feilke, H./Portmann, P. R. (Hg.): Schreiben im Umbruch.<br />
Schreibforschung und schulisches Schreiben.<br />
Stuttgart/München/Düsseldorf/Leipzig 1996. – Das<br />
gilt auf andere Weise für die nicht fachdidaktisch,<br />
sondern grundlagentheoretisch motivierte kulturalistische<br />
Sprach- und Grammatik erwerbsforschung.<br />
Exemplarisch sind, auch was die experimentellen<br />
Settings angeht, etwa: Tomasello, M.: Die<br />
kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens.<br />
Frankfurt am Main 2002 (Original 1999); Tomasello,<br />
M.: Constructing a Language. A Usage-Based Theory<br />
of Language Acquisition. Cambridge/London 2003.<br />
8 Siehe die Wortartunterscheidungsaufgaben: Wie<br />
kommen die Kinder drauf, wieso x ein Verb sei?<br />
Welche Operationen wenden sie notwendigerweise<br />
an? Was müssen sie über die weiteren Wortarten<br />
wissen, um Verben von ihnen im Rahmen der<br />
Testaufgabe unterscheiden zu können? Welche<br />
Aspekte, welche Dimensionen (auch fachdidaktisch<br />
wichtigen) sprachreflexiven, sprachanalytischen<br />
Könnens und Wissens werden überhaupt – und<br />
zwar auch entwicklungs- und lernlogisch erfasst?<br />
– Siehe die Aufgaben zu den Wortbedeutungen (hier<br />
geht es um Redewendungen): Was genau ist hier<br />
mit der übertragenen Bedeutung gemeint? Welcher<br />
schriftsprachlichen Stil- und Tonlage entsprechen<br />
diese Redewendungen? Wer kann sie kennen, wer<br />
versteht sich auf ihren Gebrauch? Welcher Theorie<br />
der Wiedergabe eines Gemeinten verdanken sich<br />
Aufgabe und Lösungen? Welche Unterscheidung<br />
zwischen wörtlicher Bedeutung vs. übertragener<br />
Bedeutung ist im Spiel? (Die Kinder streiten sich schon<br />
wieder auf dem Schulhof … – Wie heißt es richtig?)<br />
Wieso denn überhaupt dieses Minimalspektrum an<br />
sprachdiagnostischen Testaufgaben; auch vor dem<br />
Hintergrund der KMK-Bildungsstandards für die<br />
Primarstufe?<br />
9 Die Orthographiedidaktik hat in dieser Hinsicht<br />
längst manches zu bieten: Bremerich-Vos, A./<br />
Herné, K.-L./Löffler, C.: (Hg.): Neue Beiträge zur<br />
Rechtschreibtheorie und -didaktik. Fillibach 2004.<br />
10 Erinnert sei hier nur an: Dörner, D./Kreuzig,<br />
H. W./Reither, F.: Lohhausen. Vom Umgang mit<br />
Unbestimmtheit und Komplexität. Bern 1994.<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
11
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
Karikatur: Margret Busse, Grundschullehrerin, Münster<br />
Diskussionsforum zu VERA<br />
Diskutieren Sie mit: www.grundschulverband.de ¬ Diskussionsforum zu VERA<br />
Gesammelte Lehrerfragen zu Vergleichsarbeiten<br />
Wer in den letzten Monaten mit offenen<br />
Ohren durch die Lehrerzimmer ging,<br />
konnte so manche kritische Frage zu den<br />
Vergleichsarbeiten VERA aufschnappen.<br />
Die Fragen kommen auch von denen, die<br />
sich mit den umfangreichen Hinweisen<br />
der Landauer Forscher auseinander gesetzt<br />
haben. Meist hinter vorgehaltener<br />
Hand werden die wichtigsten Bemerkungen<br />
gemacht. Ich habe sie in Pausen und<br />
anderen Gesprächen aufgeschnappt, gesammelt<br />
und an anderer Stelle Antworten<br />
gesucht (vgl. Stähling 2005b):<br />
Ganz herzlichen Dank für Ihren Artikel »VERA Deutsch<br />
2004« in der <strong>aktuell</strong>en Ausgabe von »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«.<br />
Ihre Analyse der Aufgaben trifft genau die Kritikpunkte,<br />
die unsere Lehrerkonferenz diskutiert hat und<br />
die auch von Eltern in der Schulpflegschaft angesprochen<br />
wurden. Auch wir sind der Auffassung, dass Untersuchungen<br />
zur Unterrichtsqualität unabdingbar notwendig sind.<br />
Aber nicht so! Wenn die Testautoren auch nur einen Funken<br />
pädagogischer Verantwortung in sich tragen, gibt es<br />
nur eins: Vor Scham in den Boden versinken und/oder sich<br />
öffentlich entschuldigen.<br />
Alfred Goll<br />
Schulleiter, Soest<br />
1. Wer erfand die Vergleichsarbeiten?<br />
Haben die Forscher einige Lehrer zu Rate<br />
gezogen, als sie VERA gebaren?<br />
Waren auch berufserfahrene »Schulmeister«,<br />
die als Klassenlehrer in der<br />
<strong>Grundschule</strong> Deutsch und Mathematik<br />
unterrichten, Geburtshelfer der VERA?<br />
Falls ja, übernehmen diese Kollegen die<br />
Verantwortung für ihr Tun?<br />
Ist den Forschern die Sicherung durchgeknallt,<br />
als sie die Möglichkeit erhielten,<br />
die Testdaten von Millionen Schülern<br />
eines Jahrgangs erheben zu dürfen?<br />
Von wem kam das Geld für dieses aufwändige<br />
Projekt?<br />
»Wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing …«<br />
Gibt es einen Schulbuchverlag, der mit<br />
den Vergleichsarbeiten kein Geschäft<br />
macht?<br />
Merkwürdig: In einer Zeit, in der Großkonzerne<br />
die Belegschaft reduzieren und<br />
dabei die Gewinne steigern, beginnt<br />
sich die Forschung für den »Output« von<br />
Schule zu interessieren.<br />
2. Der innerschulische Vergleich<br />
ist erwünscht, sagen die Väter der<br />
Vergleichsarbeiten – Wer oder was<br />
wird verglichen?<br />
Lehrerleistungen oder Schülerleistungen?<br />
Die Punktzahlen eines schwachen<br />
Schülers mit den Leistungswerten eines<br />
starken?<br />
Die Arbeitsergebnisse von Kindern, die<br />
zuvor Aufgaben dieses Typs geübt hatten?<br />
Gefälschte Daten eines Schülers mit denen<br />
eines anderen?<br />
Die Anzahl der Kreuze an der richtigen<br />
Stelle, obwohl die Kinder die Aufgaben<br />
noch nie zuvor bearbeitet hatten und<br />
unvorbereitet nicht lösen konnten?<br />
Haben Sie denn nicht geholfen, wenn ein<br />
Kind gar nicht wusste, worum es ging?<br />
3. Wer vergleicht und was kommt<br />
heraus?<br />
In den Büchern steht, dass die Lehrer es<br />
selbst tun.<br />
Gibt es nicht einige Lehrkräfte, die Angst<br />
bekommen, wenn ihre Schüler wenig<br />
Punkte bekommen?<br />
Üben Eltern sofort nach der Lektüre einiger<br />
Beispielaufgaben, die in der Tageszeitung<br />
zu finden sind, das Notwendige?<br />
Und was üben die Lehrer dann?<br />
An wen werden die Ergebnisse weiter<br />
geleitet?<br />
Erfüllt der Schulaufsichtsbeamte seine<br />
Pflicht, wenn er den Daten der Vergleichsarbeiten<br />
keine Konsequenzen folgen<br />
lässt?<br />
Wohin gehen am Abend, wenn die Ergebnisse<br />
in der Schulkonferenz der Öffentlichkeit<br />
preisgegeben werden, die Eltern?<br />
In den Büchern steht, dass es kein Ranking<br />
von Schulen gibt.<br />
Wer verbietet den Eltern verschiedener<br />
Schulen, sich über den jeweiligen »Output«<br />
auszutauschen?<br />
Wie ruhig ist der Mittagsschlaf des<br />
Lehrers, der als Schlusslicht der Schule<br />
enttarnt wurde?<br />
Sollte dessen Ruhe und Gelassenheit nun<br />
ein Ende haben?<br />
Was geschieht den »schwachen« Schülern,<br />
die dem Lehrer den »Schnitt« kaputt<br />
gemacht haben?<br />
Gehören sie noch in diese Schule oder<br />
müssen sie in die Sonderschule? (vgl.<br />
Stähling 2005a)<br />
12 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
4. Welches Bild vom Grundschullehrer<br />
haben die VERA-Forscher?<br />
Lehrer haben ihre Aufgaben nicht ordentlich<br />
gemacht?<br />
Sie fürchten den Vergleich?<br />
Sie unterrichten ohne Ziel?<br />
Sie prüfen nicht nach?<br />
Sie wissen nichts von der Lernausgangslage<br />
ihrer Schüler?<br />
Sie haben – medizinisch gesprochen – die<br />
Diagnose nicht gestellt und blind eine<br />
Therapie begonnen?<br />
Sie begehen »Kunstfehler«?<br />
Deswegen sind also Mindeststandards<br />
von Staats wegen notwendig?<br />
Vielleicht brauchen Lehrer mehr unbescheidene<br />
Ratschläge von Forschern, die<br />
keine Berufserfahrung mit dem Alltag in<br />
<strong>Grundschule</strong>n haben!?<br />
Wem gelten die Vergleichsarbeiten?<br />
Den faulen Säcken?<br />
5. Wie lernt ein Kind<br />
im 3. oder 4. Schuljahr<br />
aus Sicht der VERA-Experten?<br />
Lernt es besonders gerne, wenn die<br />
Stoppuhr den Taktstock schwingt?<br />
Lernt es, weil es schlechte Zensuren<br />
fürchtet?<br />
Lernt es, wenn die Eltern dahinter sitzen?<br />
Lernt es besonders gut unter Stress?<br />
Oder ist das Gegenteil der Fall?<br />
Was können die Kinder unter Klausurbedingungen<br />
schaffen?<br />
Können sie auch ohne Vorbereitung und<br />
Übung unbekannte Aufgaben ohne Hilfe<br />
und Ermutigung bewältigen?<br />
Sind 100 Jahren Reformpädagogik genug?<br />
– Muss Schluss sein mit der »Idealisierung<br />
und Romantisierung« des Kindes?<br />
Reformpädagogische Praktiken wie »Freie<br />
Arbeit« oder »kindgerechte Umgebung«<br />
lenken viele Kinder vom Lernen ab?<br />
Alle 10 Jahre eine neue pädagogische<br />
Modewelle?<br />
Wer bezahlt die Spesen?<br />
So viele Fragen.<br />
»Immer so durchgemogelt« ist der Titel eines Buches, in dem<br />
Walter Kempowski (1974) Antworten gesammelt hat, die ihm<br />
Erwachsene auf die Frage »Was blieb von der Schulzeit?« gegeben<br />
hatten. Die Befragten erinnerten sich u. a. an mehr oder<br />
weniger erfolgreiche Täuschungsversuche. Das Phänomen des<br />
Täuschens könnte man als Bestandteil von Schule bezeichnen.<br />
Ein anderes Phänomen gehört ebenso zu den Schul-Tabus: die<br />
Täuschung über das, was im Schulalltag wirklich stattfindet und<br />
welchen »Output« die Schule tatsächlich erbringt.<br />
Da inzwischen die Bildungsforschung in aller Munde ist,<br />
könnte der Eindruck entstehen, dass in Zeiten von PISA qualifizierte<br />
Forschung in Schulen zum Alltag gehörte. Es kommen<br />
Zweifel auf (vgl. z.B. die Beiträge in: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong> 1/2005<br />
und <strong>Grundschule</strong> 3/2005).<br />
Wenn sich Forscher bei der Daten erhebung im wettbewerbsorientierten<br />
deutschen Schulsystem bei Lehrern, Eltern und<br />
Schülern auf das Zurückstellen eigener Wünsche und Absichten<br />
verlassen, ignorieren sie in ihren Analysen das Selektionsprinzip<br />
unseres Bildungswesens. Ihre Schlussfolgerungen sind leider<br />
unbrauchbar, weil sie im Elfenbeinturm entwickelt wurden.<br />
Reinhard Stähling<br />
Grundschulleiter, Münster<br />
Literatur<br />
Kempowski, Walter 1974: Immer so durchgemogelt. Erinnerungen an<br />
unsere Schulzeit. Hamburg: Knaus<br />
Stähling, Reinhard 2005a: Der aufhaltbare Abstieg des »schwachen«<br />
Schülers in Deutschland. Bildungsbenachteiligung im Schnittpunkt von<br />
Schule und Jugendhilfe. In: Die Deutsche Schule, 97, 2005, 1, S. 67– 77<br />
Stähling, Reinhard 2005b: Qualitätsentwicklung statt Vergleichsarbeiten.<br />
Zu einem unfruchtbaren Verhältnis von Forschung und Schule.<br />
In: Die Deutsche Schule, 97, 2005, 2 (Mai)<br />
Betroffen: Rückmeldung zu VERA<br />
Frohen Herzens verabschieden wir uns<br />
von VERA 2004. Wir hatten sie nicht eingeladen,<br />
wir brauchten sie nicht, sie hat<br />
uns weder genützt noch neue Erkenntnisse<br />
über unsere Kinder gebracht. Wir<br />
wussten selbst um Stärken und Schwächen<br />
unserer Kinder. Vor allem – wir leben<br />
und arbeiten mit ihnen und sehen und<br />
erleben sie in ihrer Ganzheitlichkeit, ihren<br />
Fähigkeiten in allen Grundschulfächern<br />
und darüber hinaus.<br />
Immer wieder mahnte uns unser<br />
pädagogisches Gewissen, uns VERA zu<br />
verweigern. Einige Beispiele seien hier<br />
genannt.<br />
So mussten die Kinder in Deutsch<br />
und Mathematik Testhefte bearbeiten,<br />
deren Umfang den üblicher Leistungsüberprüfungen<br />
in dieser Jahrgangsstufe<br />
weit überstieg. Daher kam es, dass auch<br />
manche leistungsstarken, aber langsam<br />
arbeitenden Kinder die Hälfte der Aufgaben<br />
nicht lösten, obwohl sie dazu in der<br />
Lage sind.<br />
Im Bereich Mathematik wurden Ausdrücke<br />
(z. B. Produkt) gewählt, die im<br />
Grundschulbereich nicht benutzt werden.<br />
Bewusst wurden Aufgaben gestellt, die zu<br />
diesem Zeitpunkt nicht den Lehrplänen<br />
entsprachen. So wird die Berechnung des<br />
Umfangs erst zu einem späteren Zeitpunkt<br />
im 4. Schuljahr behandelt. Bisher<br />
als Spiegelachsen bezeichnete Symmetrieachsen<br />
wurden bis zum Zeitpunkt des<br />
Tests mit Hilfe eines Spiegels und nicht<br />
abstrakt ermittelt. Im Deutschtest war<br />
der Lesetext umfangreich, wenig motivierend<br />
und z. T. mit Ausdrücken ausgestattet,<br />
die kaum kindgerecht waren und<br />
in unserem hiesigen Sprachgebrauch so<br />
nicht vorkommen wie z. B. »Feig!«. Die<br />
Gewichtung der Aufgaben war stellenweise<br />
nicht zu verstehen. So waren die Arbeit<br />
mit der Wetterkarte und der Bereich<br />
Redewendungen (für ausländische und<br />
weniger sprachbegabte Kinder schwer zu<br />
lösen) unverhältnismäßig umfangreich.<br />
Die Auswertung der Aufsätze ließ wichtige<br />
Aspekte unberücksichtigt, z. B. die<br />
Reihenfolge der vorgegebenen Angaben<br />
bzw. ihr Platz in der Einladung. Hinzu<br />
kommt, dass in der knapp bemessenen<br />
Testzeit kaum an kreative Gestaltungsmomente<br />
wie zusätzliche Programmpunkte<br />
oder ausschmückende Ausdrücke<br />
zu denken war. Zudem pflegen wir Aufsätze<br />
mit Hilfe von Schreibkonferenzen,<br />
Schreibtipps und weiteren Übungen<br />
vorzubereiten.<br />
Die Kinder wurden Stresssituationen<br />
ausgesetzt, die unverantwortlich waren.<br />
Nach ihren Gefühlen im Zusammenhang<br />
mit den Tests gefragt, sprachen<br />
einige von ihnen von »Steinen auf ihren<br />
Herzen«. Noch einmal sei es gesagt: Die<br />
Kinder in ihrer Ganzheitlichkeit blieben<br />
unberücksichtigt. Sie waren nicht wie bei<br />
sonstigen Klassenarbeiten aufgefordert<br />
zu zeigen, ob sie sich den jeweils bearbeiteten<br />
Lernstoff angeeignet hatten, sondern<br />
mussten den Umfang der Tests und<br />
bewusst überzogene Aufgabenstellungen<br />
ertragen. Es sei angemerkt, dass unsere<br />
Kinder zum Zeitpunkt der Tests wenig<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
13
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
Das hat uns gerade noch gefehlt im deutschen Schulsystem!<br />
Ein unwissenschaftlicher Rundumschlag zur <strong>aktuell</strong>en Lernstandshysterie in NRW oder<br />
Der klammheimliche Einzug der Sonderpädagogik in die allgemeine Pädagogik der <strong>Grundschule</strong> – zum Nulltarif!!!<br />
Was kommt dabei heraus?<br />
Nachdem sich die Sonderpädagogik bezüglich<br />
der Entstehung einer sogenannten<br />
Lernbehinderung endlich vom medizinischen<br />
Paradigma als ursächlichem<br />
Hauptkriterium für die Entstehung von<br />
Schulversagen aus guten Gründen befreit<br />
hat, schaut die <strong>Grundschule</strong> bzw. schauen<br />
die Verantwortlichen in der obersten<br />
Schulaufsicht nun mit diagnostischem<br />
Scharf-, Voraus- und leider wenig Weitblick<br />
auf das, was Kinder vor der Schule,<br />
in der Schule und hier vor allem im<br />
4. Schuljahr können sollen. Um angeblich<br />
herauszufinden, was ein Kind wirklich<br />
kann, gibt es mittlerweile eine Vielzahl<br />
von diagnostischem Untersuchungsmaterial.<br />
Dies war übrigens bislang Hoheitsgebiet<br />
der »Sonderpädagogiker« … Pisa<br />
hat ja letztendlich auch gezeigt, dass die<br />
»Allgemeinpädagogiker« nicht diagnostizieren<br />
können … )<br />
Sämtliche Diagnoseinstrumentarien<br />
sind darauf angelegt, Schwächen aufzuspüren<br />
und die Ursache dafür beim<br />
Diagnostizierten, sprich beim Kind, festzumachen<br />
(medizinisches Paradigma).<br />
Dafür gibt es auch schon mal den einen<br />
oder anderen oder auch ganz viele Risikopunkte.<br />
Eltern beruhigt das sehr.<br />
Wer verteilt Risikopunkte bzw. wer diagnostiziert<br />
die für unsere Schulstruktur<br />
Verantwortlichen?<br />
Wer verteilt Risikopunkte dafür, dass<br />
die Schulpolitik immer eine politische<br />
Machtfrage ist?<br />
Wer verteilt Risikopunkte dafür, dass<br />
wir zur Zeit die Konsequenzen einer ca.<br />
dreißigjährigen fehlgelaufenen Ausländerpolitik<br />
spüren? Erst jetzt wird bemerkt,<br />
wie wichtig die Sprache ist??!!!<br />
Wer verteilt Risikopunkte dafür, dass<br />
wir vor lauter Föderalismusdiskussion<br />
aus den Augen verlieren, dass wir in<br />
Deutschland ein gleich gutes Schulsystem<br />
brauchen und zwar in jedem Land<br />
gleich gute Ziele, unabhängig von der<br />
Parteipolitik?<br />
Wer verteilt Risikopunkte dafür, dass<br />
die Zeit des gemeinsamen Lernens zu<br />
kurz ist?<br />
Wer verteilt Risikopunkte dafür, dass<br />
wir bei »Schulversagen« Kinder etikettieren,<br />
selektieren und ihnen den Status<br />
eines Behinderten verpassen? Ich wäre<br />
für eine ehrliche Umbenennung des VOSF<br />
in: Verfahren zur Ordentlichen Sortierung<br />
von Kindern Für die Erreichung von noch<br />
mehr Homogenität. Dann brauchen wir<br />
nur noch zu pasteurisieren …<br />
Richtig schaden tut es unseren Kindern<br />
nicht, wenn sie das können, was in VERA<br />
verlangt wird.<br />
Es fragt sich nur, ob wir folgendes<br />
wollen:<br />
Kinder, die für VERA lernen, Lehrerinnen<br />
und Lehrer, die speziell auf VERA<br />
trimmen (man will ja schließlich gut da<br />
stehen vor den Eltern, den Kolleginnen<br />
und Kollegen, der Schulleitung und so<br />
weiter).<br />
Nachdem der Nürnberger Trichter abgeschafft<br />
ist, heißt es jetzt »Input«, aber<br />
was wirklich zählt, ist der »Output«.<br />
Das hat man sich schließlich von der<br />
mehr als drei Jahre Schulzeit hinter sich<br />
hatten. So wurden sie nicht ermutigt,<br />
sondern beschämt.<br />
Die Eltern der Kinder mussten sich immer<br />
wieder mit unvollständigen Informationen<br />
begnügen. Nur »häppchenweise«<br />
standen uns Lehrerinnen Informationen<br />
zur Verfügung, die wir an sie weitergeben<br />
konnten. Wir sind es nicht gewohnt, in<br />
dieser Weise mit Eltern umzugehen. Auch<br />
sie wurden beschämt.<br />
Wir Lehrerinnen waren gezwungen,<br />
unsere Arbeitskraft in Aufgaben zu investieren,<br />
die nicht dem Wohl unserer Kinder<br />
entsprachen und uns an den Rand unserer<br />
Kraft brachten. Wertvolle Zeit ging<br />
der eigentlichen Arbeit mit den Kindern<br />
verloren. So haben wir drei Klassenlehrerinnen<br />
bis heute jeweils 27 Stunden<br />
vor dem Computer verbracht, um Aufgaben,<br />
Auswertungen, Anweisungen etc.<br />
aus dem Internet herunterzuladen und<br />
Kopien anzufertigen und zu ordnen. Eingerechnet<br />
sind nicht die vielen Stunden,<br />
die wir mit dem Lesen zugesandter Informationen,<br />
der Einarbeitung in die Tests,<br />
vielen Gesprächen und nicht zuletzt mit<br />
der Bewältigung des Drucks, gegen unser<br />
pädagogisches Gewissen handeln zu<br />
müssen, verbrachten. Hinzu kommt das<br />
Nachsehen der Tests. Der Zeitaufwand<br />
betrug pro Test und Klasse ca. 12 Stunden.<br />
Der Aufwand an Kopien für unsere<br />
drei Klassen beläuft sich auf 3000 Blatt.<br />
Wir erfuhren, dass einer benachbarten<br />
Hauptschule (und, wie wir jetzt hörten,<br />
allen Schulen der Sekundarstufe 1) die<br />
kompletten und gebundenen Testhefte<br />
für alle Schüler zugeschickt wurden, während<br />
wir diese selbst anfertigen mussten.<br />
Wir sind empört über die ungleiche<br />
Behandlung von Grundschullehrern und<br />
Lehrern weiterführender Schulen. Dies<br />
und die vorherigen Bemerkungen lassen<br />
uns sagen: Auch Grundschullehrerinnen<br />
und Grundschullehrer dürfen nicht beschämt<br />
werden.<br />
(…)<br />
Wir verabschieden uns von VERA und<br />
sagen weder »Auf Wiedersehen!« noch<br />
»Lebe wohl!«. Sie war für uns von keinerlei<br />
Nutzen. Auch die Auswertungen<br />
bedeuteten keine Hilfe, da sie nichts über<br />
die Tests der einzelnen Kinder aussagten.<br />
Die von uns erwartete Hilfe, eventuell<br />
verdeckte Schwächen einzelner Kinder<br />
in einzelnen Bereichen als Rückmeldung<br />
zu bekommen, haben wir schmerzlich<br />
vermisst.<br />
Gemäß unseres pädagogischen Gewissens,<br />
nach den Richtlinien und unserem<br />
Schulprogramm arbeiten und leben<br />
wir gewissenhaft mit unseren Kindern,<br />
um sie darin zu unterstützen und ihnen<br />
zu helfen Schritte in ein bewusstes und<br />
selbständiges Leben zu gehen. Darauf<br />
zielt unser Lernen und Lehren. Wir sind<br />
froh darüber, uns wieder unserer eigentlichen<br />
Arbeit zuwenden zu können.<br />
(…) Wir hoffen, dass in den nächsten<br />
Jahren unsere Zeit und Kräfte nicht auf<br />
ähnliche Weise sinnlos vergeudet werden<br />
ohne jedweden Nutzen für den Lernerfolg<br />
unserer Kinder.<br />
Kolleginnen der Gemeinschaftsgrund schule<br />
Engelbertstraße, Schwelm<br />
PS.: Gibt es zurzeit noch eine Grundschullehrerin oder einen<br />
Grundschullehrer, der sein Kind »Vera« nennen würde?<br />
Den ungekürzten Text finden Sie im Diskussionsforum<br />
auf www.grundschulverband.de<br />
14 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
Von Kaisers neuen Kleidern<br />
und vom Eigensinn der Pädagogik<br />
Wirtschaft abgeguckt, was zählt ist, was<br />
dabei herauskommt, alles andere rechnet<br />
sich nicht.<br />
Was kommt bei VERA heraus? Zukünftig<br />
mehr für die Wirtschaft verwertbare<br />
Menschen? Das fänden die VERA-Erfinder<br />
wahrscheinlich angemessen.<br />
Vielleicht kommen auch standardisierte<br />
Schüler von der Stange dabei heraus,<br />
die allerdings u. a. in der Lage sind<br />
aus ungefähr 12 Zufallswörtern eine super<br />
Geschichte zu schreiben. Prima, das hat<br />
Qualität.<br />
Wahrscheinlich sollen auch Forscher<br />
dabei herauskommen, denn ab jetzt<br />
müssen alle forschen und dabei ist es<br />
schon mal von Nutzen, wenn man Daten<br />
erheben kann (Wetterkartenaufgabe).<br />
Dabei hat ja niemand etwas dagegen,<br />
dass gewisse Dinge gekonnt werden<br />
müssen und sollen.<br />
Leistungsüberprüfungen sind notwendig<br />
und erwünscht und zwar dort, wo<br />
sie zuerst angebracht wären:<br />
Wie wäre es mit einer vergleichenden<br />
Lernstandserhebung für diejenigen, die<br />
sich VERA ausgedacht haben und auch<br />
für die Profis in Schulen?<br />
Eine Frage könnte lauten: »Welche<br />
Erkenntnisse der neuesten Lernforschung<br />
sind ihnen bekannt?«<br />
Wie wäre es z. B. mit einem VOSF für<br />
Schulen, die nicht reformpädagogisch<br />
arbeiten und einem VOSF für Strukturen,<br />
die dieses verhindern? Könnte es nicht<br />
sein, dass dort dann auch das eine oder<br />
andere Etikett bezüglich eines Förderbedarfs<br />
im Bereich Lernen oder emotionale<br />
und soziale Entwicklung verteilt werden<br />
könnte?<br />
In diesem Fall stände ein Hausbesuch<br />
an! In Düsseldorf bzw. bei Herrn Helmke.<br />
»Hüftschüsse« wie Vera, mit den zu<br />
erwartenden Konsequenzen eines ungesunden<br />
und schiefen Wettbewerbs,<br />
ziehen überflüssig viel Energie, kosten<br />
einen Haufen Geld und führen meiner<br />
Meinung nach nicht zu mehr Qualität,<br />
nicht zu mehr Kreativität, nicht zu mehr<br />
eigenverantwortlichem Lernen, vor allem<br />
nicht zu mehr sozialem Lernen. Sie führen<br />
zu einem Lernen für VERA.<br />
Barbara Wenders<br />
Lehrerin für Grund- u. Hauptschule ,<br />
zusätzlich Studium der Sonderpädagogik<br />
VERA: Flächendeckend finden sich<br />
Viert klässler/innen im Setting des<br />
Zentralabiturs: Klausurbedingungen.<br />
Keine Hilfsmittel. Keine Fragen. Dicke<br />
Aufgabenhefte sind abzuarbeiten. Papierstapel<br />
bleiben übrig. Lehrerinnen<br />
und Lehrer geben Ergebnisse am PC<br />
ein. Reduzieren die konkreten Spuren<br />
der Kindermühen auf Mausklicks am<br />
Bildschirmformular. Eine gewaltsame<br />
Künstlichkeit der Testsituation.<br />
VERA kam daher als eine kalte,<br />
technokratische Maschinerie – und<br />
gerade weil sie »objektiv« sein will,<br />
kann sie sich nicht für die Menschen<br />
– Kinder wie Erwachsene – interessieren,<br />
die ihr zugeordnet sind. Sie<br />
basiert auf Verordnung und Zwang,<br />
nicht auf Angebot, Einsicht und<br />
Dialog.<br />
Mit »viel Freude und Eifer« seien die<br />
Kinder bei der Sache gewesen, lobte<br />
NRW-Schulministerin Ute Schäfer<br />
(SPD). Woher wusste sie das? Freude<br />
und Eifer wurden nicht erhoben.<br />
»Die VERA-Ergebnisse ermöglichen<br />
es damit auch den Lehrerinnen<br />
und Lehrern in NRW, die Leistung<br />
ihrer Schülerinnen und Schüler besser<br />
einzuordnen – und zwar sowohl im<br />
Vergleich zum Durchschnittsergebnis<br />
der Grundschulkinder in NRW als auch<br />
im Verhältnis zu Klassen, die eine<br />
vergleichbare Zusammensetzung der<br />
Schülerschaft aufweisen«, erklärte<br />
Schulministerin Schäfer. »Die Daten<br />
liefern damit eine wichtige Grundlage<br />
für die qualitative Weiterentwicklung<br />
der schulischen Arbeit. Denn nur wer<br />
seine Schwächen genauso kennt wie<br />
seine Stärken, kann gezielt daran arbeiten,<br />
sich zu verbessern.«<br />
Unter dem Strich – was kam heraus?<br />
■ »Dass das durchschnittliche<br />
Grundschulkind in NRW statistisch<br />
gesehen weder dümmer noch gescheiter<br />
ist als Altersgenossen in<br />
Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz,<br />
Schleswig-Holstein, Brandenburg,<br />
Bremen und Berlin« (Neue<br />
Rhein Zeitung, 19. 01. 2005).<br />
■ Da verlautbart das offizielle<br />
»Amtsblatt« des NRW-Schulministeriums:<br />
»Lesekompetenz ist grundlegend<br />
auch für das Lernen in anderen<br />
Leistungsbereichen. Deshalb zeigt<br />
VERA einmal mehr die Notwendigkeit<br />
der intensiven Leseförderung« und<br />
»Vielleicht noch nicht in dem Maße, wie<br />
das bisher deutlich wurde, weisen die<br />
Ergebnisse auf die Notwendigkeit hin,<br />
dass dem Sachrechnen ein noch höherer<br />
Stellenwert im Mathematikunterricht<br />
zukommen sollte« (ABl NRW 3/05, S. 60).<br />
■ Oder: »An Hauptschulen in einem<br />
schwierigen sozialen Umfeld gehört fast<br />
jede/r zweite Jugendliche zur Risikogruppe«,<br />
– an »den Gymnasien in gutbürgerlichen<br />
Vierteln landet mindestens jeder<br />
dritte Schüler in der Spitzengruppe«:<br />
Der Lernerfolg also hängt stark ab vom<br />
Portmonee der Eltern!<br />
Nichts Neues nach PISA und IGLU,<br />
alles wie gehabt: Die folgenlose Wiederholung<br />
der immer gleichen Befunde,<br />
die seit Jahren schon nach eingreifendem<br />
Denken und Handeln schreien. Testgeklapper<br />
wie das begleitende Wortgeklingel<br />
können nicht darüber hinwegtäuschen:<br />
Zeit ist es für eine entschiedene<br />
Schulreform – von der Schulstruktur bis<br />
in die Unterrichtskultur – als praktische<br />
Parteinahme für Kinder und Jugendliche.<br />
Und wir? Fragen wir wieder nach den<br />
großen Zusammenhängen. Geht es um<br />
»Standortpädagogik«, um die Ausbildung<br />
abrufbarer Kompetenzen des »Humankapitals«<br />
– oder nimmt Schule Partei für<br />
Kinder, realisiert sie den Eigensinn der<br />
Pädagogik: »Kleinen Menschen helfen, in<br />
ihrer jeweiligen Welt erwachsen zu werden<br />
und sich dabei zu bewahren (›sie auf die<br />
Welt vorzubereiten, wie sie ist, ohne sie der<br />
Welt zu unterwerfen, wie sie ist‹).« (Hartmut<br />
Von Hentig)<br />
Der Blick von Pädagoginnen und Pädagogen<br />
muss so scharf werden wie der des<br />
Kindes im Märchen, das zwischen den<br />
Beinen der Erwachsenen hindurch frei<br />
und unverstellt auf die Obrigkeit schaut<br />
und feststellt: »Aber er hat ja nichts an!«<br />
Es sprach sich herum, das ganze Volk<br />
sah und rief es. Der Kaiser aber »hielt sich<br />
noch stolzer, und die Kammerherren gingen<br />
und trugen die Schleppe, die gar nicht<br />
da war«. Und wie wäre heute die Einsicht<br />
der Oberen zu befördern, das Notwendige<br />
nun endlich zu beginnen?<br />
Ulrich Hecker,<br />
Grundschulleiter,<br />
Redakteur »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>«<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
15
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Klassenarbeit Thema: Wiese<br />
eine Parallelarbeit in Klasse 3<br />
Mittwochmorgen. Die Kinder der Klasse<br />
3 a denken in einer Abschlussreflexion<br />
über das nach, was sie in der zurückliegenden<br />
Zeit gelernt haben. Ein ungemähtes<br />
Wiesenstück neben ihrer Schule<br />
wurde von ihnen über einen längeren<br />
Zeitraum hin beobachtet. An der aushängenden<br />
Wandzeitung kann der Leser<br />
mehr erfahren über die dort lebenden<br />
Wiesenbewohner. Die Kinder haben<br />
Texte über Ameisen, Bienen, Maulwurf,<br />
Libelle oder Kaninchen gelesen, haben<br />
Stichwörter aufgeschrieben und selbständig<br />
informierende Texte verfasst. Die<br />
Beschäftigung mit Gedichten zum Thema<br />
»Wiese« wurde in ausdrucksstarke Bilder<br />
umgesetzt. In Wiesen-Rondellen konnten<br />
die eigenen Vorstellungen sprachlich gefasst<br />
werden.<br />
Zu Beginn der Stunde haben die<br />
Kinder in kleinen Gruppen geclustert: zu<br />
dem Kernwort »Wiese« haben sie in ihrer<br />
Gruppe das aufgeschrieben, was ihnen<br />
aus dem vergangenen Unterricht, aus<br />
eigenen Erfahrungen, geleitet durch ihre<br />
Interessen und Neigungen, einfiel.<br />
Klassenarbeit: Wiesentext<br />
Nun haben sie die Aufgabe, sich aus den<br />
ausgehängten Clustern die Wörter auszusuchen,<br />
die ihnen helfen können, einen<br />
persönlichen Wiesentext zu schreiben.<br />
Sie wissen, dass sie von ihren eigenen Erlebnissen<br />
auf einer Wiese, wie z. B. einem<br />
Picknick, einer Heuernte, einem Spiel<br />
erzählen können, dass sie fantasievoll in<br />
die Rolle eines Wiesenbewohners schlüpfen<br />
und dessen Erlebnisse aufschreiben,<br />
dass sie informierend vom Leben auf der<br />
Wiese berichten können. Und sie wissen,<br />
dass ihr Text Teil ihres eigenen Wiesenbuches<br />
wird.<br />
Die Aufgabenstellung ist offen und<br />
wird zu unterschiedlichen Inhalten, Textsorten<br />
und Gestaltungsformen führen.<br />
Wie auch immer sich das einzelne Kind<br />
entscheidet, der eigene Text sollte sich<br />
deutlich auf das Thema beziehen und die<br />
eigene Textidee stringent realisieren.<br />
Freitagmorgen. Auf der anderen Seite<br />
des Flures haben die Kinder der 3 b<br />
dieselbe Aufgabe zu lösen. Auch diese<br />
Kinder haben sich über eine längere Zeit<br />
mit dem Wiesenstück neben der Schule<br />
beschäftigt. Auch diese Kinder nutzen<br />
das Cluster als eine Möglichkeit der<br />
Ideenfindung. Die entstehenden Texte<br />
werden – bevor sie ebenfalls in ein Wiesenbuch<br />
aufgenommen werden – auch<br />
von der Klassenlehrerin der 3 a gelesen<br />
– und bewertet.<br />
Kooperation der<br />
beiden Klassenlehrerinnen<br />
Die Kinder der 3 a und der 3 b schreiben<br />
eine Parallelarbeit, so wie sie mit dem<br />
Runderlass vom 1. 12. 1998 für das zweite<br />
Schulhalbjahr der Klasse 3 in Nord rhein-<br />
Westfalen vorgesehen ist. Die beiden<br />
Klassenlehrerinnen haben die Chance<br />
genutzt, die in dieser Anforderung steckt.<br />
Die Aufgabe für ihre Klassen haben sie<br />
selbst entwickelt, unter Verwendung von<br />
Aufgabenbeispielen, die im Rahmen der<br />
Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung<br />
schulischer Arbeit vom Ministerium<br />
herausgegeben wurden.<br />
Gemeinsame Absprachen kennen beide<br />
Lehrerinnen. Arbeitsmaterial wird regelmäßig<br />
ausgetauscht, informelle<br />
Gespräche über einzelne Kinder finden<br />
häufig statt. Für die Zeit der Aufgabenentwicklung<br />
gelang es jedoch erstmalig,<br />
wirklich im Team zu arbeiten, die Arbeit<br />
zielgerichtet und langfristig zu planen<br />
mit klaren zeitliche Vereinbarungen und<br />
verlässlichen Arbeitstreffen.<br />
Dabei lag der Schwerpunkt zunächst<br />
weniger auf der Entwicklung der Parallelarbeit,<br />
sondern auf der Ausarbeitung<br />
einer gemeinsamen Unterrichtsreihe.<br />
Die Sichtung des existierenden Materials,<br />
die Entwicklung eigener Arbeitsaufträge,<br />
die gegenseitige Unterstützung bei der<br />
Erprobung ungewohnter Ansätze führten<br />
dazu, dass die beiden Lehrerinnen sich<br />
mit der – zunächst verordneten und als<br />
zusätzliche Belastung empfundenen<br />
– Arbeit identifizierten, dass sie die Entlastung<br />
durch ihre Teamarbeit positiv<br />
spürten.<br />
Dabei gaben die bereitgestellten Aufgabenbeispiele<br />
eine gute Orientierung.<br />
Sie konkretisierten die Anforderungen,<br />
aber auch die fachlichen Ziele und Inhalte<br />
des Lehrplans, der bis dahin häufig für<br />
die Praxis nicht greifbar genug erschien.<br />
Die Verantwortung für die Arbeit blieb in<br />
den Händen der Lehrerinnen, die alle Entscheidungen<br />
auf ihren eigenen Unterricht<br />
und auf ihren Schulstandort beziehen<br />
konnten und sich nicht an eine Norm an-<br />
16 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Was wird morgen schon wieder anders sein als heute?<br />
Ein Lehrstück zur schulpolitischen Kurzatmigkeit<br />
Dieser Erfahrungsbericht über »Parallelarbeiten«<br />
ist auch ein Lehrstück für<br />
den gegenwärtigen Aktionismus in der<br />
Schulpolitik, hier am Beispiel Nordrhein-<br />
Westfalen:<br />
■ 1998 wurden die Schulen durch das<br />
Ministerium angewiesen, jedes Jahr eine<br />
Klassenarbeit als Parallelarbeit zu schreiben:<br />
Die Lehrkräfte in Parallelklassen bestimmter<br />
Klassenstufen sollten sich über<br />
ihren Unterricht und eine Klassenarbeit<br />
abstimmen, sie dann auch gemeinsam<br />
auswerten. In der <strong>Grundschule</strong> in Klasse 3<br />
für Deutsch und Mathematik. Dies sollte<br />
die Teamarbeit an den Schulen stärken,<br />
die schulinterne Evaluation zum Thema<br />
machen und insgesamt die Qualitätsentwicklung<br />
an den Schulen weiterbringen.<br />
Zur Orientierung sollten Aufgabenbeispiele<br />
dienen. Die Aufregung der<br />
Schulen über diese neue Aufgabe wurde<br />
insbesondere dadurch gestärkt, dass die<br />
Aufgabenbeispiele für die <strong>Grundschule</strong><br />
zunächst ausblieben.<br />
■ Im Folgenden wurde erst einmal eine<br />
Arbeitsgruppe eingesetzt, die solche<br />
Aufgabenbeispiele entwickeln sollte. Die<br />
Ergebnisse kamen fotokopiert schnell in<br />
Umlauf, bevor eine Druckfassung vorlag,<br />
und sie wurden von vielen Schulen sofort<br />
genutzt.<br />
■ 2002 erschienen schließlich zum Ende<br />
des Schuljahres (die Parallelarbeiten waren<br />
längst geschrieben) die ministeriell<br />
autorisierten gedruckten Aufgabenbeispiele.<br />
Dazu eine Reihe von Hinweisen,<br />
wie diese Aufgabenbeispiele die didaktische<br />
Entwicklung an der Schule anstoßen<br />
und helfen, die Unterrichtsqualität zu<br />
sichern. Dabei wurde noch einmal festgelegt,<br />
dass hierüber auch die Gremien<br />
der Schule zu informieren seien. In gemeinsamen<br />
Beratungen solle damit die<br />
Qualitätsentwicklung zum Gegenstand<br />
werden.<br />
In Fortbildungsveranstaltungen und<br />
in Schulamtsbesprechungen sollten zudem<br />
die Parallelarbeiten und ihre Auswertung<br />
ein wichtiges Thema sein.<br />
■ 2004 war dies alles wieder Makulatur.<br />
Sieben Bundesländer, darunter<br />
Nordrhein-Westfalen, hatten sich auf<br />
landesweite Vergleichsarbeiten in Klasse<br />
4 verständigt – auf verbindliche Tests in<br />
den Fächern Deutsch und Mathematik,<br />
die dann im September in allen 4. Klassen<br />
dieser Länder, also mit weit über 300 000<br />
Schülerinnen und Schülern durchgeführt<br />
Zunächst waren die beiden Lehrkräfte<br />
davon ausgegangen, die Kinder einen<br />
zusammenfassenden, informierenden<br />
Text schreiben zu lassen oder einen<br />
fremden Text für das eigene Wiesenbuch<br />
abschreiben und korrigieren zu lassen.<br />
Beide Möglichkeiten wurden durch die<br />
Aufgabenbeispiele vorgegeben und wären<br />
sinnvoll in die geplante Unterrichtseinheit<br />
einzugliedern gewesen. Eine so<br />
offene Schreibaufgabe, wie die oben dargestellte,<br />
schien den beiden Lehrerinnen<br />
zunächst wenig geeignet, um Absprachen<br />
über Leistungsanforderungen und<br />
Beurteilungsmaßstäbe zu tragen.<br />
Im Laufe der Unterrichtseinheit entstand<br />
eine Vielzahl sehr unterschiedlicher<br />
Texte, über die die Lehrerinnen jeweils intensiv<br />
ins Gespräch kamen. Dabei mussten<br />
nicht nur die eigenen Beurteilungswurden.<br />
Zu deren didaktischer Qualität<br />
siehe GRUNDSCHULE AKTUELL Heft 89<br />
und das vorliegende Heft.<br />
Zugleich wurde den <strong>Grundschule</strong>n<br />
mitgeteilt, dass Parallelarbeiten zwar<br />
weiter geschrieben werden können, aber<br />
nun nicht mehr verbindlich seien. Da die<br />
<strong>Grundschule</strong>n ohnehin mit verordneten<br />
Maßnahmen reichlich zu tun haben (Englisch<br />
als neues Fach, offener Ganztag,<br />
jahrgangsübergreifender Schulanfang,<br />
Förderpläne …), war dies das Ende der<br />
Parallelarbeiten.<br />
Bleiben Fragen wie:<br />
Wozu die Aufregung, die Vielzahl<br />
der Konferenzen zum Thema, das Engagement<br />
von Lehrkräften, die sich für<br />
das Konzept der Parallelarbeiten stark<br />
machten, auch gegen Widerstände an der<br />
eigenen Schule?<br />
Wie ernst waren eigentlich die ministeriellen<br />
Beteuerungen, wie wichtig die<br />
Parallelarbeiten doch für die schulinterne<br />
Entwicklung seien?<br />
Und was wird morgen schon wieder<br />
anders sein als heute?<br />
Horst Bartnitzky<br />
passen mussten, die von zentraler Stelle<br />
vorgegebenen wurde.<br />
Gestützt wurde die fachliche Auseinandersetzung<br />
der beiden Lehrerinnen<br />
auch durch die Vernetzung der Schulen.<br />
In regionalen Arbeitsgruppen fand regelmäßig<br />
ein Austausch über die <strong>aktuell</strong>e<br />
fachdidaktische Diskussion statt, die eigenen<br />
Überlegungen zur Gestaltung der<br />
Parallelarbeiten wurden vorgestellt, Arbeitsergebnisse<br />
veröffentlicht. So gelang<br />
es, an eine bewährte, erfolgreiche Praxis<br />
in den zurückliegenden Jahren anzuknüpfen<br />
und neue Akzente zu setzen.<br />
Während der Entwicklung der Unterrichtseinheit<br />
und vor allem während der<br />
Begleitung des Unterrichtsprozesses kam<br />
es zu einem intensiven Austausch über<br />
für die Parallelarbeit mögliche Aufgabenstellungen<br />
und damit verbunden über<br />
Bewertungskriterien.<br />
Welche Art von Klassenarbeit<br />
ist sinnvoll?<br />
kriterien veröffentlicht und teilweise<br />
kritisch hinterfragt werden, auch die<br />
intensive Auseinandersetzung mit den<br />
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen<br />
rückte immer mehr in den Mittelpunkt.<br />
In dieser Zusammenarbeit wuchsen das<br />
Zutrauen und die Bereitschaft, auch<br />
anspruchsvollere Aufgabenstellungen<br />
einzubeziehen. Dies hatte zur Folge, dass<br />
bereits in der Unterrichtseinheit verstärkt<br />
offene Schreibangebote eingebracht<br />
wurden und die beiden Lehrerinnen<br />
gemeinsam erste Schritte zum kreativen<br />
Schreiben planten. Die Auseinandersetzung<br />
mit den Aufgabenbeispielen<br />
trug also dazu bei, über<br />
die eigene didaktisch-methodische<br />
Angelika Gadow<br />
Grund- und Hauptschullehrerin,<br />
Fachleiterin für Deutsch<br />
am Studienseminar Kleve<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
17
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Praxis nachzudenken und neue Entscheidungen<br />
zu treffen, die weiterentwickelt<br />
und beobachtet werden müssen.<br />
Individuelle Texte<br />
und gemeinsame Kriterien<br />
Die Entscheidung für die gewählte<br />
Aufgabe fiel, weil zunehmend während<br />
der Unterrichtseinheit das eigene Wiesenbuch<br />
für die Kinder an Bedeutung<br />
gewann. Die Freude am Schreiben und die<br />
Verwendung in sinnvollen Zusammenhängen<br />
sollten durch die Wahl eines persönlichen<br />
Zugangs unterstützt werden.<br />
Auch wenn im Rahmen der Parallelarbeit<br />
sehr unterschiedliche Texte entstanden,<br />
so konnte allen allgemeine Kriterien zur<br />
Sprache, zum Inhalt und zum Aufbau des<br />
Textes zu Grunde gelegt werden, wie sie<br />
auch in den Aufgabenbeispielen aufgeführt<br />
sind:<br />
■ Das Kind entwickelt selbstständig<br />
seine Textidee.<br />
■ Die Textidee bezieht sich deutlich auf<br />
den thematischen Rahmen.<br />
■ Der Text setzt in diesem Rahmen die<br />
eigene Idee stringent um.<br />
Außerdem:<br />
■ Nutzt das Kind die Anregungen des<br />
Clusters zur Ideenfindung?<br />
■ Greift es auf Angebote aus dem Unterricht<br />
zurück?<br />
■ Welche sprachlichen Mittel (Wortschatz,<br />
Satzstrukturen, Textaufbau<br />
und -gliederung) stehen dem Kind zur<br />
Verfügung?<br />
■ Setzt es bereits weiterführende Techniken<br />
ein wie die Änderung der Perspektive,<br />
die bewusste Ausnutzung der<br />
Erzählzeit, Elemente der Verzögerung<br />
u. Ä.?<br />
Außerdem wussten alle Kinder, dass ihre<br />
Texte sich deutlich auf den vorgegebenen<br />
thematischen Rahmen beziehen mussten<br />
und deutlich werden musste, wie sie persönlich<br />
die Wiese erleben.<br />
Darüber hinaus bot die Schreibaufgabe,<br />
die zwar in einem abgesprochenen<br />
zeitlichen Fenster erledigt werden<br />
musste, jedoch nicht unter Zeitdruck,<br />
den Lehrerinnen die Möglichkeit, vielfältige<br />
Beobachtungen zu machen:<br />
■ Wie selbständig gingen die Kinder mit<br />
der Aufgabe um?<br />
■ Wer konnte das vorangegangene<br />
unterrichtliche Angebot nutzen und<br />
integrieren?<br />
■ Wie nutzten die Kinder die Anregungen<br />
des Clusters?<br />
■ Welche bekannten Textmuster waren<br />
bei den Texten zu erkennen?<br />
■ Welche sprachlichen Mittel (Wortschatz,<br />
Satzstrukturen, Textgliederung)<br />
standen den einzelnen Kindern<br />
zur Verfügung?<br />
■ Gab es bereits Kinder, die weiter führende<br />
Techniken einsetzten, z. B. die<br />
Änderung der Perspektive, Elemente<br />
der Verzögerung u. Ä.<br />
Auch schreibschwächere Kinder<br />
kamen bei dieser Aufgabenstellung zu<br />
befriedigenden Ergebnissen, weil die<br />
Aufgaben sowohl vom Thema als auch<br />
vom Umfang her sehr unterschiedlich<br />
gelöst werden konnten. Gerade diese<br />
Unterschiedlichkeiten aber gaben Anlass<br />
zu intensiven und sehr konstruktiven<br />
Gesprächen.<br />
Der Löwenzahn<br />
Es war einmal eine Blume. Sie heißt Löwenzahn.<br />
Auf der Wiese laufen viele Kinder und<br />
ein Kind lag auf der Wiese. Er konnte nicht<br />
aufstehen. Er rollte durch die Wiese und<br />
überrollte alle Löwenzähne. Ich blieb der<br />
einzige Löwenzahn, den es auf der Wiese<br />
gab.<br />
Ein deutsch-russisches Kind, in dessen<br />
Familie kein Deutsch gesprochen wird,<br />
schreibt selbstständig diesen Text, der<br />
lediglich rechtschriftlich korrigiert wurde.<br />
Wie wird er bewertet? Die Diskussion, die<br />
sich zwischen den an der Parallelarbeit<br />
beteiligten Lehrerinnen ergibt, machte<br />
deutlich, dass nicht nur das Produkt,<br />
sondern auch die Lernvoraussetzungen<br />
und die Lernentwicklung Berücksichtigung<br />
finden müssen. Sicher fehlt hier die<br />
so häufig eingeforderte »Objektivität«,<br />
doch geben nicht auch die Autoren der<br />
Vergleichsarbeiten zu bedenken, dass<br />
man bei der Bewertung von sprachlichen<br />
Leistungen Abstriche bei der Objektivität<br />
machen muss? 1<br />
»Parallelarbeiten machen<br />
ernst mit der Selbstevaluation<br />
von Unterricht«<br />
Die Zusammenarbeit zweier und mehr<br />
Lehrerinnen und Lehrer hat an vielen Stellen<br />
in Nordrhein-Westfalen so wie oben<br />
geschildert während der Arbeit an den<br />
Parallelarbeiten stattgefunden. Sie hat an<br />
vielen Stellen jedoch auch nicht stattgefunden,<br />
weil die Frage nach den Ursachen<br />
für die Unterschiede in Lerngruppen oft<br />
nicht an fachlichen Zielen orientiert beantwortet<br />
wird. Lehrer und Lehrerinnen<br />
haben sich geweigert, Gewohntes aufzugeben<br />
und mit anderen Lehrkräften zu<br />
kooperieren.<br />
Eine Studie über die Gelingensbedingungen<br />
und die Wirkungen von<br />
Parallelarbeiten auf die Entwicklung des<br />
Unterrichts liegt inzwischen vor. 2 Dort<br />
wird resümiert: »Parallelarbeiten machen<br />
ernst mit der immer wieder geforderten<br />
Selbstevaluation von Unterricht. Lehrkräfte<br />
können in sehr authentischer<br />
Weise Erfahrungen damit machen, wie<br />
die eigene Unterrichtsarbeit wirkungsvoll<br />
untersucht werden kann. Der Vorteil<br />
besteht darin, dass diese Form von Evaluation<br />
nicht aufgesetzt empfunden wird,<br />
sondern – da sie aus dem Kontext des eigenen<br />
Unterrichts entsteht – als integrativ<br />
und dienlich erfahren wird.« Deutlich<br />
wird darauf hingewiesen, dass ein solcher<br />
Prozess Unterstützung erfahren muss.<br />
Und: Er braucht auch einen langen Atem,<br />
denn erst nach einem Anlaufprozesses,<br />
der sich über mehrere Jahre hinziehen<br />
kann, kann ein Verfahren wie die Parallelarbeiten<br />
sich etablieren und zum ständigen<br />
Arbeitsfeld von Schulen werden.<br />
Dennoch: Mit der Einführung der<br />
Lernstandserhebungen (Vergleichsarbeiten<br />
VERA) in der Jahrgangstufe 4 sind die<br />
verbindlichen Parallelarbeiten in Klasse 3<br />
entfallen. Wer folgt da noch der Empfehlung,<br />
die Parallelarbeiten auch weiterhin<br />
als Instrument zur Unterrichtsentwicklung<br />
und schulinternen Evaluation zu<br />
nutzen?<br />
Angelika Gadow<br />
Grund- und Hauptschulllehrerin,<br />
Fachleiterin für Deutsch<br />
am Studienseminar Kleve<br />
Anmerkungen<br />
1 Helmke, Hosenfeld: Vergleichsarbeiten<br />
(VERA) eine Standortbestimmung zur<br />
Sicherung schulischer Kompetenzen.<br />
In: SchulVerwaltung Hessen, Rheinland-<br />
Pfalz, Saarland 1/2003<br />
2 Haenisch/Müller: Gemeinsam Unterricht<br />
auswerten. Soest 2004<br />
18 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Praxis: Pädagogische Leistungskultur / Kopiervorlage Deutsch<br />
Schreibaufgabe: Wörterdiktat<br />
Schreibmotive<br />
Beim Schreiben eines Textes kostet die Rechtschreibung<br />
viel Aufmerksamkeit und Zeit. Der sichere Zugriff auf ein<br />
möglichst großes Wörterrepertoire bildet eine wichtige<br />
Grundlage für ein befriedigendes und effektives Verfassen<br />
von Texten. Die Grundwortschatzwörter (Klassenwörter<br />
und eigene Wörter) sind dazu die Basis. Sie zu üben und<br />
dabei auch individuell erkennbare Fortschritte zu machen,<br />
ist für die Kinder das Übungsmotiv. Insbesondere rechtschreibschwächere<br />
Kinder sind für eine positive Einstellung<br />
zum Rechtschreiblernen auf diese Bestärkung ihrer<br />
Anstrengungen angewiesen.<br />
Aufgabenstellung für die Parallelarbeit<br />
Da den Kindern die Arbeitsschritte (aus dem Unterricht,<br />
Red.) bekannt sind, werden sie zu Beginn der Parallelarbeit<br />
lediglich mündlich erinnert.<br />
Arbeitsschritte<br />
1. Ich diktiere dir Wörter.<br />
Schreibe sie untereinander auf.<br />
2. Lies die Wörter durch.<br />
Du kannst sie auch leise<br />
mitflüstern, z. B. um die<br />
Reihenfolge der Buchstaben<br />
zu überprüfen.<br />
3. Unterstreiche mit Bleistift die<br />
Stellen, bei denen du unsicher bist.<br />
4. Prüfe bei diesen Wörtern,<br />
wie du dir weiterhelfen kannst,<br />
z.B. verlängern, ableiten,<br />
verwandte Wörter suchen,<br />
im Wörterbuch nachschlagen.<br />
5. Schreibe bei Fehlerwörtern die<br />
richtige Schreibweise daneben.<br />
Erwartungshorizont<br />
Die Kinder haben beim Diktat alle Wörter aufgeschrieben.<br />
Der Anteil der auf Anhieb richtig geschriebenen Wörter<br />
macht mehr als die Hälfte aus. Die meisten Falschschreibungen<br />
sind treffend markiert und korrigiert.<br />
Beurteilungskriterien im Einzelnen<br />
Die Bewertung berücksichtigt folgende Aspekte:<br />
■ Der größte Teil der Wörter ist auf Anhieb richtig geschrieben.<br />
■ Falschschreibungen sind zum größeren Teil markiert.<br />
■ Am Ende sind die Wörter im großen Ganzen normgerecht<br />
geschrieben.<br />
Der Text erfüllt die grundlegenden Anforderungen, wenn<br />
unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades eine<br />
dementsprechende Anzahl von Wörtern richtig geschrieben<br />
ist.<br />
Beobachtungen zur Lernentwicklung<br />
Bezogen auf den Lern- und Arbeitsprozess sind folgende<br />
Aspekte bedeutsam:<br />
■ Inwieweit hat das Kind ein Rechtschreibgespür für richtige<br />
und falsche Schreibungen entwickelt?<br />
■ Welche Strategien nutzt das Kind, um richtige Schreibweisen<br />
zu ermitteln?<br />
Alternative Beispiele<br />
■ Grundwortschatzwörter aus den ersten Schuljahren<br />
■ Zu den Grundwortschatzwörtern verwandte Wörter<br />
■ Wörter aus dem <strong>aktuell</strong>en Unterrichtsthema, die aber<br />
nicht zu den Grundwortschatzwörtern gehören<br />
■ »Harte Brocken der Woche« (Wörter, die von den Kindern<br />
als besonders schwierig empfunden werden)<br />
■ Aufschlussreich für Kinder und Lehrkraft ist die folgende<br />
Alternative: In größeren Zeitabständen werden dieselben<br />
Wörter diktiert. Die Kinder können hierbei ihren Lernfortschritt<br />
erkennen und quantifi zieren.<br />
Der Text dieser Seite entstammt den »Aufgabenbeispielen Deutsch« (s. u.),<br />
S. 89 f. Darin finden sich eine Fülle produktiver Aufgabenstellungen für alle<br />
Bereiche des Deutschunterrichts.<br />
Die Aufgabenbeispiele beschreiben Anforderungen für Parallelarbeiten und<br />
Lernstandserhebungen in den Klassen 3 der <strong>Grundschule</strong>n. Sie bieten erprobte<br />
Modelle für die Entwicklung von Parallelarbeiten und fördern eine abgestimmte<br />
Praxis der Leistungsbewertung. Die Aufgabenbeispiele können dabei<br />
helfen, Unterrichtsqualität zu sichern und weiterzuentwickeln.<br />
Die AUFGABENBEISPIELE DEUTSCH (105 S.) und die AUFGABENBEISPIELE<br />
MATHEMATIK (124 S.) sind 2002 erschienen und zum Preis von je 7 € über<br />
den Verlag zu bestellen:<br />
Ritterbach Verlag, Tel. (0 22 34) 18 66/-48/-94,<br />
E-Mail: service@ritterbach.de, Homepage: www.schul-welt.de<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
19
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Lernen und Leisten im Sachunterricht –<br />
Leistungen wahrnehmen, anerkennen und fördern<br />
Gabriele Klenk,<br />
Konrektorin an der<br />
<strong>Grundschule</strong> Roßtal<br />
(Landkreis Fürth).<br />
Als Mitglied der<br />
Landesgruppe Bayern<br />
Initiatorin einer<br />
Arbeitsgruppe, die<br />
sich mit konkreter<br />
Umsetzung innovativer<br />
Unterrichtsformen<br />
befasst.<br />
Als Klassenlehrerin<br />
einer jahrgangsgemischten<br />
Eingangsstufe<br />
gründete sie<br />
ein Netzwerk zu einer<br />
veränderten Schuleingangsphase<br />
in Bayern.<br />
Gudrun Schönknecht,<br />
Professorin für Grundschulpädagogik<br />
an<br />
der Päd. Hochschule<br />
Freiburg, Fachreferentin<br />
für Lehrer/innen-<br />
Bildung beim Grundschulverband.<br />
Der Sachunterricht scheint in der Diskussion<br />
um Leistungserhebungen durch Vergleichsarbeiten<br />
nicht zu existieren oder<br />
zu einem Nebenfach zu werden, denn in<br />
keinem Bundesland wird dieser Bereich<br />
in die Standarddiskussion mit einbezogen.<br />
Zudem scheinen in der Praxis noch<br />
häufig traditionelle Leistungserhebungen<br />
(»Proben«, in denen vor allem Inhalte abgefragt<br />
werden) zu dominieren. Differenziertere<br />
und praxisbezogene Hinweise zur<br />
komplexen Aufgabe der Leistungsförderung<br />
und -bewertung im Sachunterricht<br />
sind eher selten. 1<br />
Der Sachunterricht darf in der Diskussion<br />
um eine pädagogische Leistungskultur<br />
aber nicht vergessen werden: Er<br />
stellt hohe Ansprüche an Kinder in Bezug<br />
auf vielfältige Kenntnisse, fachliche und<br />
überfachliche Methodenkompetenzen<br />
und an LehrerInnen in Bezug auf die<br />
Planung von Lern- und Leistungssituationen.<br />
Die Bedeutung dieses zentralen<br />
Lernbereichs der <strong>Grundschule</strong> für Grundlegende<br />
Bildung, also Sach-, Selbst- und<br />
Sozialkompetenz ist unbestritten. 2<br />
Welche Anforderungen sind an die<br />
Entwicklung einer pädagogischen Leistungskultur<br />
im Sachunterricht zu stellen?<br />
Kinder lernen jeden Tag, erbringen in der<br />
Schule ständig verschiedenste Leistungen.<br />
Deshalb darf sich Leistungserhebung<br />
nicht nur auf punktuelle Situationen<br />
beziehen, sondern muss sich in der<br />
alltäglichen Unterrichtsarbeit realisieren.<br />
An Methoden der Leistungserhebung sind<br />
folgende Forderungen zu stellen: 3<br />
■ sie müssen alltagstauglich sein: aussagekräftig<br />
und in den Unterrichtsalltag<br />
integrierbar, leicht auswertbar<br />
und mit den Kindern thematisierbar,<br />
■ sie dürfen den Unterricht nicht dominieren<br />
– Leistungsfeststellung und<br />
-förderung soll eine Unterstützung<br />
für Lehrer- und Schülerhandeln sein,<br />
keine Belastung ,<br />
■ sie müssen Kinder als Lerner dialogisch<br />
mit einbeziehen, um Lernen und<br />
Leisten, Methodenkompetenz und<br />
Selbstreflexion sowie eine realistische<br />
Einschätzung der eigenen Stärken und<br />
Schwächen zu fördern,<br />
■ sie müssen alle Lernbereiche sowie<br />
überfachliche Ziele beinhalten – gerade<br />
im Sachunterricht ist dies eine<br />
Vielzahl von Handlungs- und Methodenkompetenzen.<br />
Diese komplexen<br />
Zielsetzungen können ausschließlich<br />
schriftliche Leistungsüberprüfungen,<br />
in denen vor allem Kenntnisse abgefragt<br />
werden, nicht erfüllen.<br />
Nicht nur Inhalte und Kenntnisse,<br />
sondern auch und vor allem die vielfältigen<br />
Handlungs- und Methodenkompetenzen<br />
sind Ziel Grundlegender Bildung<br />
im Sachunterricht. Deshalb erscheint es<br />
uns sinnvoll, Leistungen von den Methoden<br />
und den Zielsetzungen des Sachunterrichts<br />
her zu denken: 4 Kinder sollen<br />
Gelegenheit erhalten, Selbst-, Sach- und<br />
Sozialkompetenz sowie Methodenkompetenz<br />
im Sachunterricht aufzubauen.<br />
Wie kann dies im Unterrichtsalltag durch<br />
eine pädagogische Leistungskultur unterstützt<br />
werden?<br />
Im Projekt »Pädagogische Leistungskultur«<br />
des Grundschulverbandes realisiert<br />
sich diese in vier zentralen Aspekten:<br />
Es geht zunächst darum, die vielfältigen<br />
Leistungen der Kinder wahrzunehmen,<br />
diese auch zu würdigen, Kinder individuell<br />
zu fördern und vielfältig Lernwege zu<br />
öffnen (vgl. Anmerk. 6).<br />
Diese Forderungen werden für den<br />
Unterricht konkretisiert: die große Bandbreite<br />
an verschiedenen Lernständen<br />
von Kindern müssen festgestellt werden<br />
(Lernstände feststellen). Lernentwicklungen<br />
der Kinder müssen mit geeigneten<br />
Verfahren dokumentiert und bestätigt<br />
werden, Hinweise für die weitere Förderung<br />
gegeben werden (Lernentwicklungen<br />
bestätigen). Über Lernerfolge,<br />
Arbeitstechniken, Lernstrategien, Lern -<br />
schwierigkeiten müssen mit den Kindern<br />
Gespräche geführt werden, um ihre Lernund<br />
Anstrengungsbereitschaft sowie<br />
die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung<br />
zu fördern (Lerngespräche mit anderen<br />
führen). Schließlich sollte jedes Kind<br />
angeregt werden, über die eigenen Lernwege<br />
nachzudenken und die eigenen<br />
Lernwege zu beschreiben, z. B. in einem<br />
Lerntagebuch, um sie festzuhalten, sie<br />
nachvollziehbar und zum Gegenstand<br />
von Lerngesprächen machen zu können<br />
(eigene Lernwege beschreiben).<br />
Pädagogische Leistungskultur<br />
im Unterricht<br />
An einem typischen Sachunterrichtsthema,<br />
dem Thema »Haustiere«, möchten<br />
wir in diesem Beitrag aufzeigen, wie<br />
pädagogische Leistungskultur im alltäglichen<br />
Unterricht in den eben genannten<br />
Aspekten realisiert werden kann.<br />
Planung des Unterrichts<br />
mit den Kindern<br />
Im SU wird gefordert, die Interessen,<br />
Vorkenntnisse und Fragen der Kinder<br />
zu berücksichtigen. Deshalb kann Unterricht<br />
nicht geplant werden, ohne die<br />
Kinder mit einzubeziehen. Schon vor der<br />
Unterrichtssequenz – im günstigsten Fall<br />
zu Schuljahresbeginn in einer gemeinsamen<br />
Jahresplanung – sollte den Kindern<br />
das Thema bekannt gegeben werden,<br />
die Lehrerin und auch die Kinder können<br />
Bücher und Materialien mitbringen, die<br />
auf einem Ausstellungstisch mit der<br />
ersten noch vorläufigen Themenformulierung<br />
»Haustiere« präsentiert werden<br />
und die Kinder auffordern, sich damit zu<br />
beschäftigen. Auf Kärtchen – oder einer<br />
Pinnwand, geordnet nach Überschriften<br />
– können Fragen, Impulse, Interessen notiert<br />
werden. Nach dieser »Anwärm-« oder<br />
»Schnupper-«phase wird systematischer<br />
gearbeitet: Mit den Kindern gemeinsam<br />
wird eine Mind Map zum Thema Haustiere<br />
gestaltet: Was wissen wir schon<br />
über Haustiere, welche Fragen haben wir<br />
(Abb. 1 und 2)?<br />
So ergibt sich, dass die Interessen der<br />
Kinder zu Haustieren vielfältig sind, sie<br />
konzentrieren sich nicht auf ein oder zwei<br />
Haustiere. In Sachunterrichtslehrwerken<br />
wird meist nur ein Haustier stellvertretend<br />
(»exemplarisch«) vorgeschlagen.<br />
Die Kinder wollen aber über verschiedene<br />
Haustiere etwas wissen und sie sollen<br />
auch Gelegenheit erhalten, sich dieses<br />
Wissen zu erarbeiten. Die Lehrerin bezieht<br />
in die gemeinsame Unterrichtspla-<br />
20 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Abb. 1 und 2<br />
Über diese Tiere möchten wir etwas lernen:<br />
Tier<br />
Hase<br />
3 Kinder<br />
Ratte<br />
2 Kinder<br />
Fisch<br />
3 Kinder<br />
Hamster / Meerschweinchen 2 Kinder<br />
Hund<br />
3 Kinder<br />
Katze<br />
3 Kinder<br />
Schildkröte<br />
7 Kinder<br />
Diese Fragen haben die Kinder aufgeschrieben:<br />
1. Welche Katzenarten gibt es?<br />
2. Wie reagiert die Katze?<br />
3. Wie viele Hundearten gibt es?<br />
4. Woher kommt mein Hund?<br />
5. Womit will der Hund spielen?<br />
6. Wie spielt man mit dem Hamster?<br />
7. Womit kann das Meerschweinchen turnen?<br />
8. Woher bekomme ich einen Fisch?<br />
9. Wie kann der Fisch im Wasser Luft holen?<br />
Kannst du schon eine Frage beantworten?<br />
Schreibe die Nummer und die Antwort auf einen Streifen Papier.<br />
nung mit den Kindern neben den inhaltlichen<br />
Schwerpunkten (Bedürfnisse eines<br />
Haustieres, Pflege, Futter, Lebensraum …)<br />
gezielt auch die Überlegungen ein, welche<br />
fachspezifischen Methoden die Kinder<br />
bei diesem Thema erwerben können<br />
sowie geeignete Formen der Dokumentation<br />
und Bewertung von Leistungen.<br />
Bereits zu diesem Zeitpunkt sollten die<br />
fachlichen und überfachlichen Methodenkompetenzen,<br />
die bei diesem Thema<br />
im Mittelpunkt stehen und deshalb auch<br />
Grundlage für die Leistungsbewertung<br />
sind, den Kindern vorgestellt bzw. mit<br />
ihnen erarbeitet werden: Das Sammeln,<br />
Ordnen und Auswerten von Texten und<br />
Bildern, das Erstellen von Sachzeichnungen,<br />
die Zusammenarbeit mit einem<br />
oder mehreren Partnern, das Planen der<br />
Arbeitsschritte und die Zeiteinteilung.<br />
Damit wird Transparenz über die Ziele geschaffen<br />
und Anstrengungsbereitschaft<br />
angeregt und gefördert.<br />
Lernziele formulieren – Gruppen<br />
finden – Experten auswählen<br />
Anhand der Mindmap (als Plakat) können<br />
sich die Kinder (mit Namenskärtchen,<br />
Klammern, Klebepunkten o. Ä.) für das<br />
Tier ihrer Wahl entscheiden. Für die<br />
Zusammensetzung der Arbeitsgruppen<br />
ist so nicht der Wunsch nach bestimmten<br />
Arbeitspartnern ausschlaggebend,<br />
sondern vor allem das Lerninteresse der<br />
Kinder (Abb. 3).<br />
10. Wie piepst die Ratte, wenn sie Schmerzen hat?<br />
11. Woher bekomme ich einen Hasen?<br />
12. Welche Gefahren gibt es mit einem Hasen?<br />
13. Was mache ich mit der Schildkröte,<br />
wenn ich in den Urlaub fahre?<br />
14. Darf die Schildkröte ins Haus hinein?<br />
15. Wie soll ich die Schildkröte behandeln?<br />
16. Braucht die Schildkröte ein Spielzeug?<br />
Die Fragen der Kinder wurden beim Erstellen<br />
der Mindmap gesammelt, hierbei<br />
wurden auch die Fragen, die schon in der<br />
ersten Phase formuliert wurden, mit einbezogen.<br />
In einer Übersicht (vgl. Abb. 4)<br />
sind diese Fragen festgehalten, in den<br />
freien Feldern ergänzen die Kinder ihre<br />
eigenen Fragen. Gleichzeitig werden mit<br />
dieser Matrix auch die Arbeitsprozesse<br />
für die Kinder strukturiert und sie erhalten<br />
eine Planungshilfe: Sie entscheiden,<br />
welche Gebiete sie lernen möchten, zu<br />
welchen Gebieten sie sich als »Experten«<br />
für ein Referat vorbereiten möchten,<br />
und auch das, was sie schon wissen und<br />
mitbringen, wird hervorgehoben. Dieses<br />
Vorgehen gibt den Kindern eine Übersicht<br />
über die gesamte Thematik und ermöglicht<br />
ihnen durch eigene Eintragungen<br />
die Reflexion ihres vorhandenen Wissens<br />
sowie ihrer Lernaufgaben. »Ich weiß<br />
schon viel – das kann ich weitergeben«<br />
– aber auch: »Obwohl ich schon viel weiß,<br />
Der Hund<br />
Welche Hunderassen gibt es?<br />
Welche Dinge braucht ein Hund?<br />
Was frisst und trinkt er?<br />
Welche Pfl ichten habe ich mit ihm?<br />
Wie kann ich mit ihm den Tag verbringen?<br />
Wie kann ich ihn erziehen?<br />
…<br />
möchte ich zu diesem Punkt noch mehr<br />
erfahren, ich könnte mich damit genauer<br />
beschäftigen.« Dieses Blatt kann immer<br />
wieder hervorgeholt werden, um sich<br />
seiner Aufgaben und Ziele zu vergewissern.<br />
Am Ende der Unterrichtssequenz<br />
dient es den SchülerInnen zur Kontrolle,<br />
ob sie ihre Lernvorhaben verwirklichen<br />
konnten. Falls dies weniger gelang, muss<br />
sich die Frage anschließen, woran das lag<br />
– Anlässe für Lerngespräche.<br />
Für die Lehrerin bietet diese Übersicht<br />
einen Überblick über das vorhandene<br />
Wissen der SchülerInnen und damit für<br />
die Lernbedürfnisse der Klasse, sie wählt<br />
entsprechend Lernmaterialien für Einzelund<br />
Gruppeninteressen aus und bereitet<br />
ggf. gemeinsame Unterrichtsphasen für<br />
Bereiche, die alle Kinder betreffen, vor.<br />
Auf jeden Fall sollte die Übersicht mit der<br />
Klasse ausgewertet werden.<br />
Expertenbefragung<br />
Das Thema Haustiere wird nicht nur in<br />
Gruppen bearbeitet, sondern auch im<br />
gemeinsamen Unterricht, ein Beispiel<br />
hierfür ist der Unterrichtsgang zu einer<br />
Hundezüchterin am Ort: Ein Anlass, die<br />
sachunterrichtsspezifische Methode der<br />
Expertenbefragung zu erlernen. Die Kinder<br />
bereiten den Besuch vor, indem sie<br />
Fragen sammeln und diese strukturieren<br />
und sich Protokollierungsmöglichkeiten<br />
überlegen (Notizen machen, Kassettenrecorder,<br />
Digitalkamera). Der Besuch<br />
wird anschließend gemeinsam ausgewertet,<br />
das Ergebnis als Plakat gestaltet<br />
Wir lernen Haustiere kennen<br />
Das möchte ich<br />
lernen<br />
Dazu möchte ich mich<br />
vorbereiten<br />
Dazu kann ich schon etwas<br />
sagen<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
Abb. 3<br />
Abb. 4<br />
21
Praxis: Pädagogische Leistungskultur / Kopiervorlagen Sachunterricht<br />
<br />
So bereitest du ein Referat gut vor:<br />
Suche dir Partner.<br />
Welches Thema hat dein<br />
Referat?<br />
Sammelt Bilder, Texte,<br />
Materialien......<br />
Der Hund<br />
Wie heißt eure Überschrift?<br />
Rassen? Ernährung? Pflege?<br />
Spiel? Gefahren?<br />
Ordnet die Sachen/Bilder nach<br />
Gruppen.<br />
Sucht für jede Gruppe eine neue<br />
Überschrift:<br />
<br />
Schreibt zu jeder Überschrift<br />
einen Text.<br />
Gestaltet mit den Texten und<br />
Bildern ein Plakat<br />
oder überlegt die Anordnung an<br />
der Tafel.<br />
<br />
So tragt ihr ein Referat gut vor:<br />
Richtet eure Materialien her.<br />
Richtet die Tafel oder den<br />
Tageslichtprojektor her.<br />
Wer spricht wann? was?<br />
Lest euch den Text zu Hause<br />
durch!<br />
Sprecht laut und deutlich!<br />
Schaut zur Klasse!<br />
Lasst Fragen stellen!<br />
Bedankt euch bei den Zuhörern!<br />
22 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Praxis: Pädagogische Leistungskultur / Kopiervorlagen Sachunterricht<br />
Ein Referat bewerten:<br />
Name des/der Referenten:_____________________________<br />
Thema des Referats:<br />
________________________________________<br />
Referatvorbereitung:<br />
☺<br />
sehr gut<br />
gelungen<br />
<br />
geht so<br />
Überschrift für das Referat<br />
Die Inhalte nach Gruppen geordnet<br />
Für jede Gruppe eine eigene Überschrift<br />
Zu jeder Überschrift einen Text<br />
Zu jeder Gruppe Bilder/ Fotos/ Sonstiges<br />
Plakat gestaltet<br />
Referatdurchführung<br />
☺<br />
sehr gut<br />
gelungen<br />
<br />
geht so<br />
Materialien hergerichtet<br />
Tafel/ Tageslichtprojektor vorbereitet<br />
Sprecherrollen verteilt<br />
Texte zu Hause geübt<br />
Laut und deutlich gesprochen<br />
Zur Klasse geschaut<br />
Auf Fragen eingegangen<br />
Sich bei Zuhörern bedankt<br />
Mit der Beurteilung des Referats beauftragt wurden:<br />
__________________________________________________<br />
☹<br />
muss<br />
besser<br />
werden<br />
☹<br />
muss<br />
besser<br />
werden<br />
So habe ich mich auf das Referat vorbereitet:<br />
1. Mein Thema war:_________________________________________________________<br />
2. Mein(e) Partner war(en):___________________________________________________<br />
... mit meinem Partner das<br />
Referat geplant<br />
....Bilder gesucht<br />
....etwas zum Thema gelesen<br />
....jemanden etwas gefragt<br />
....im Internet nachgesehen<br />
....eine Überschrift gefunden<br />
....die Sachen nach Gruppen<br />
geordnet<br />
....für jede Gruppe eine<br />
Überschrift gefunden<br />
....das Plakat vorbereitet<br />
....mit dem Partner die Rollen<br />
verteilt<br />
....mich auf meinen Vortrag<br />
vorbereitet<br />
....eine Hausaufgabe für die<br />
Kinder überlegt<br />
So habe ich das gemacht So war es für mich<br />
Das habe ich noch gemacht:_____________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________<br />
So war es für mich:_____________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________<br />
Wie habe ich mich angestrengt?__________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________<br />
Habe ich geschafft, was ich wollte?________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________<br />
Warum? Weil....._______________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________<br />
Wie fühle ich mich jetzt?_________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________<br />
Name:____________________ Datum:___________<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
23
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
und / oder allen Kindern als Kopie zum<br />
Einheften in ihr Haustierbuch (s. u.) zur<br />
Verfügung gestellt (vgl. Abb. 5).<br />
Lerngespräche führen<br />
– Lernentwicklungen bestätigen<br />
– eigene Lernwege beschreiben am<br />
Beispiel Referate<br />
Bereits jetzt wurden vielfältige Lerngespräche<br />
geführt, die das Vorwissen der<br />
Kinder, ihre Interessen und die Planung<br />
des Lernens betrafen. Auf die Referate, die<br />
neue Arbeitsform, die bei diesem Thema<br />
eingeführt wird, müssen die Kinder vorbereitet<br />
werden. In einem Lerngespräch wird<br />
erarbeitet, worauf es ankommt, wenn ein<br />
Referat vorbereitet und gehalten werden<br />
soll: Die Ergebnisse dieses Lerngesprächs<br />
werden von der Lehrerin festgehalten und<br />
den Kindern als Anleitung mitgegeben<br />
(Kopiervorlage 1 und 2). Dass diese Vorgaben<br />
und Besprechungen Kindern helfen<br />
können, ihre Arbeit zu strukturieren, und<br />
welche Leistungen so möglich sind, zeigt<br />
sich am Referatstext von Lars und Michi<br />
(Abb. 6) und der Hausaufgabe, die sie für<br />
die Kinder ihrer Klasse zu ihrem Referat<br />
entwickelt haben (Abb. 7).<br />
Die vereinbarten Kriterien leiten die<br />
Kinder bei der Erarbeitung ihrer Themen<br />
und geben Klarheit über die Lernaufgaben<br />
und Lernziele. Der Lehrerin ermöglichen<br />
sie, bei der Beratung immer wieder<br />
auf sie zu verweisen. Die Bewertung der<br />
Referate wird dann nach diesen Kriterien<br />
vorgenommen. Die Bewertung ist eine<br />
dialogische: Anhand der Kriterien hatten<br />
die Kinder klare Vorgaben, auf welche<br />
Bereiche sie achten sollten, und nur diese<br />
werden schriftlich und im Gespräch eingeschätzt.<br />
Alle Kinder und die Lehrerin<br />
würdigen die Leistungen: Positives wird<br />
hervorgehoben, Verbesserungswürdiges<br />
wird mit konkreten Hinweisen angesprochen.<br />
Die Kinder reflektieren ihre Lernwege,<br />
Schwierigkeiten und wie es ihnen<br />
gelang sie zu überwinden 5 (Vorlagen zur<br />
Bewertung s. Kopiervorlage 3 und 4).<br />
Lernstände sichern: ein Haustierheft<br />
Um für alle Kinder zum Thema einen<br />
Grundbestand an Kenntnissen zum<br />
Thema Haustiere zu sichern, erarbeitet<br />
jedes Kind ein Heft zu einem selbst gewählten<br />
Haustier. Das Heft ist vorstrukturiert<br />
von der Lehrerin, hier finden sich<br />
als Überschriften bzw. Fragen die Inhalte<br />
wieder, die für alle verbindlich sind:<br />
■ Das weiß ich über das Haustier<br />
■ So sieht das Haustier aus (Zeichnung,<br />
Bild) ■ Mit meinem Haustier habe ich<br />
Pflichten: ■ Für mein Haustier gibt es<br />
Gefahren: ■ Von dem Haustier gibt es<br />
verschiedene Arten: ■ Das kostet mein<br />
Haustier, wenn ich es kaufe: ■ Das muss<br />
ich jeden Tag für mein Haustier ausgeben:<br />
■ Diese Dinge muss ich für mein Haustier<br />
kaufen: ■ Mein Haustier kann Junge<br />
bekommen – wie viele sind es pro Jahr?<br />
■ So sind die Jungen am Anfang: ■ So ernähren<br />
sich die Jungen: ■ So ernährt sich<br />
mein Haustier, wenn es erwachsen ist: ■<br />
Kann ich mein Haustier erziehen? ■ Was<br />
ich noch weiß:<br />
Das Heft ist zur Sicherung des Basiswissens<br />
für alle konzipiert, ist jedoch<br />
Abb. 6<br />
Das haben wir bei der Hundezüchterin erfahren:<br />
Es waren 5 Hundemädchen und 2 Hundejungen bei der Geburt.<br />
Ein Hundebaby war 15 cm lang und 300 g schwer, als es geboren wurde.<br />
Jetzt ist das Hundebaby 30 cm lang und 2000 g schwer.<br />
In 12 Monaten ist es erwachsen.<br />
Der erwachsene Hund kann 15 kg schwer werden. (1 kg = 1000 g)<br />
Die Hundebabies sind am 27. Oktober geboren.<br />
Sie können 15 Jahre alt werden.<br />
Das Hundebaby trinkt Milch und frisst Welpenfutter.<br />
Den Hundejungen kann man am Penis erkennen. Das Hundemädchen hat eine Scheide.<br />
Das Hundebaby reagiert schnell: Es springt, bellt und wedelt mit dem Schwanz.<br />
Dahin werden die Hundebabies kommen:<br />
Kiki Roßtal Schwänzchen Zirndorf<br />
Keks Buttendorf Flecki Sugenheim<br />
Lara Feucht Mädchen Nürnberg<br />
Brummer Weinzierlein Junge Nürnberg<br />
Abb. 5<br />
offen für eigene Ergänzungen, die mit aufgenommen werden<br />
sollen.<br />
Ein Heft zu gestalten, ist den Kindern seit der ersten Klasse<br />
bekannt, hier wird also keine neue Methode eingeführt. Die<br />
Hefte bieten aber – wie auch die bereits beschriebenen Situationen<br />
im Unterricht – einen Anlass zur Reflexion der eigenen Arbeit,<br />
zur Leistung der Kinder. Sie können von den Kindern selbst,<br />
von anderen Kindern und von der Lehrerin bewertet werden – in<br />
Lerngesprächen und / oder in schriftlicher Form (Abb. 8).<br />
So lässt sich nur an einem Thema eine Fülle von Hinweisen<br />
für eine Leistungskultur aufzeigen, die Leistung fordert, aber<br />
auch fördert. Die Lehrerin geht von den Interessen und Lernbedürfnissen<br />
der Kinder aus, plant den Unterricht gemeinsam mit<br />
den Kindern nach deren Lernbedürfnissen, steht in allen Phasen<br />
beratend zur Seite und bewertet und reflektiert die Leistungen<br />
gemeinsam mit den Kindern. 6<br />
Strukturierte Bewertungsvorlage für Kinder<br />
So hast du in deinem Haustierbuch gearbeitet:<br />
So hast du dein Haustier gezeichnet:<br />
sehr genau mit allen<br />
Einzelheiten<br />
man kann es erkennen<br />
wichtige Körperteile<br />
fehlen<br />
es ist kaum zu<br />
erkennen<br />
So hast du die Fragen beantwortet:<br />
Mit meinem Haustier habe ich Pflichten ☺ ☹<br />
Für mein Haustier gibt es Gefahren ☺ ☹<br />
… ☺ ☹<br />
Bewertet von:____________________________________________________<br />
Abb. 8<br />
Abb. 7<br />
Anmerkungen<br />
1 Vgl. Winter, Felix: Leistungsbewertung im Sachunterricht. In:<br />
Kaiser, Astrid; Pech, Detlef (Hg.): Unterrichtsplanung und Methoden.<br />
Basiswissen Sach unterricht Band 5. Hohengehren 2004,<br />
S. 220 – 227<br />
2 vgl. die »Standards zeitgemäßer Grundschularbeit« für den Sachunterricht,<br />
GSV<strong>aktuell</strong>, H. 80/2003, S. 17 – 21<br />
3 Bartnitzky, Horst: Leistungen fest stellen – Fremdkörper oder<br />
Teil der pädagogischen Leistungskultur? In: <strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />
H. 89/2005, S. 4f<br />
4 von Reeken, Dietmar (Hg.): Handbuch Methoden im Sachunterricht.<br />
Hohen gehren 2003<br />
5 Bartnitzky, Jens: Wie Kinder lernen können, ihre Anstrengungen<br />
und Erfolge zu würdigen – ein Lerntagebuch. In: Bartnitzky,<br />
Horst; Speck-Hamdan, Angelika (Hg.): Leistungen der Kinder<br />
wahrnehmen – würdigen – fördern. Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Band 188, Frankfurt a.M. 2004, S. 100 – 109<br />
6 Praxismaterialien dazu erscheinen demnächst: Bartnitzky,<br />
Horst; Brügelmann, Hans; Hecker, Ulrich; Schönknecht,<br />
Gudrun (Hg.): Pädagogische Leistungskultur Materialien für<br />
Klasse 1 und 2. In Vorb.<br />
24 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
Eigenproduktionen und Überforderungstests<br />
in Mathematik<br />
Nicht nur im Deutschunterricht, sondern<br />
auch in der Mathematik gibt es eine<br />
Wende hin zu Formen selbstregulierten,<br />
natürlichen Lernens. Ich habe gerade die<br />
Mathematik als einen Selbstläufer erlebt,<br />
denn fast noch eher als im Sprachunterricht<br />
erlaubt der »eingebaute« Lehrgang<br />
hier die Loslösung von einem gleichschrittigen<br />
Vorgehen. Die Mathematik ist<br />
von sich aus so strukturorientiert, dass<br />
die Richtung immer klar ist: Ich rechne<br />
mit immer größeren Zahlen, immer komplexeren<br />
Operationen. Die Vorkenntnisse<br />
der Schüler sind hoch, allerdings auch<br />
sehr breit gestreut: Während B. schon<br />
gemischte Millionenzahlen im Kopf addieren<br />
und subtrahieren kann (er möchte<br />
schon jetzt über Lichtgeschwindigkeit<br />
forschen), versteht S. überhaupt noch<br />
nicht, was das mit den Zahlen soll (sie<br />
will später Prinzessin werden).<br />
Öffnung des<br />
Mathematik unterrichts<br />
Dabei fällt nicht nur LehrerInnen eine<br />
wirkliche Öffnung des Mathematikunterrichts<br />
nicht gerade leicht, sondern auch<br />
die Fachdidaktiker lösen sich – trotz toller<br />
Ansätze und Grundideen – immer noch<br />
nicht gerne von Lehrgängen und Aufgabenvorgaben.<br />
Auch in den heterogensten<br />
Klassen sind immer noch gemeinsame<br />
Phasen der Einführung und des Übens<br />
eines bestimmen Themas an der Tagesordnung<br />
– wie auch sonst sollen sich die<br />
Kinder die Sachen aneignen?<br />
Die Antwort ist einfach: genau so<br />
wie die Kinder durch das freie Schreiben<br />
von Anfang an nicht nur das Schreiben,<br />
sondern auch das gut und richtig<br />
Schreiben lernen, genau so können sie<br />
auch die Mathematik »nachentdecken«<br />
bzw. »nacherfinden«. Noch schwerer als<br />
beim lautgetreuen Schreiben ist dabei<br />
für den Lehrenden, Irr- und Umwege des<br />
Kindes zuzulassen und das richtige Maß<br />
an Fehlertoleranz bzw. Fehlerbewusstsein<br />
an den Tag zu legen. Während man beim<br />
Verschriften zwar generell Lauttreue<br />
einfordern sollte, aber auch nicht lautgetreue<br />
Schreibweisen bei den Kindern,<br />
für die diese eine entsprechend große<br />
Leistung darstellt, akzeptiert, fällt die Akzeptanz<br />
nicht ganz richtiger Rechnungen<br />
schwerer. Dennoch kann das Zulassen<br />
eines »kombinationsgetreuen Rechnens«<br />
oft geniale Denkakte enthüllen, die nur<br />
durch andere mathematische Strukturvorstellungen<br />
des Kindes nicht direkt<br />
als solche zu erkennen sind. Sie geben<br />
einen tollen Einblick in das Denken des<br />
Einzelnen.<br />
Eigenproduktionen der Kinder<br />
Die Eigenproduktionen der Kinder, die<br />
in der Form selbst ausgedachter Kniffelaufgaben,<br />
Aufgabensammlungen,<br />
Rechengeschichten, Projekte usw. erstellt<br />
werden, führen dabei auch zu einem<br />
Umdenken in Bezug auf die Wertigkeit<br />
der Rechenverfahren. Das individuelle<br />
(halbschriftliche) Rechnen auf eigenen<br />
Wegen wird zentraler Ausgangspunkt<br />
der Arithmetik und Grundlage sowohl<br />
für das Automatisieren von Aufgaben<br />
als auch für die schriftlichen Rechenverfahren.<br />
Diese lassen sich m. E. leicht<br />
aus den halbschriftlichen Strategien der<br />
Kinder entwickeln – und zwar möglichst<br />
spät z. B. durch eine Gegenüberstellung<br />
verschiedener Vorgehensweisen eines<br />
oder mehrerer Kinder, aus denen dann<br />
(beispielsweise aus Gründen der Effektivität)<br />
eine Vereinbarung gewonnen wird.<br />
Da eine Reihe empirischer Erhebungen<br />
belegt, dass außerhalb der Schule eben<br />
nicht die in der Schule gelernten Standardverfahren<br />
angewendet werden,<br />
sondern situationsabhängige spezifische<br />
Methoden des Kopfrechnens und des<br />
halbschriftlichen Rechnens benutzt werden,<br />
erscheint gerade dieses Anknüpfen<br />
an die individuellen mathematischen<br />
Strategien des Kindes unabdingbar.<br />
Das Verfassen von eigenen Aufgaben<br />
und Aufgabenreihen durch die Kinder<br />
– und der Austausch darüber – wird zum<br />
zentralen Bereich des Unterrichts. Ergänzend<br />
ergeben sich immer wieder Aktionen<br />
und Projekte, die den Bereich der Arithmetik<br />
mit den Bereichen Geometrie und<br />
Größen verbinden, seien es die Erstellung<br />
von Eintrittskarten für Vorstellungen, das<br />
Wiegen bei Backaktionen, das Vermessen<br />
und Umrechnen bei Modellbauprojekten,<br />
der Gebrauch geometrischer Formen und<br />
Körper beim Basteln von Verpackungen<br />
und Laternen etc. Aus den Themenprojekten<br />
und Vortragsvorhaben im Sachunterricht<br />
resultieren weiterhin der Umgang<br />
mit Statistiken und Tabellen, der Aufbau<br />
von Größenvorstellungen, das Abschätzen<br />
und Runden von Mengen usw.<br />
»Freies Mathematik-Treiben«<br />
Die Ausgangsbasis für die Öffnung<br />
des Mathematikunterrichts bzw. den<br />
Unterricht ohne gleichschrittigen Lehrgang<br />
stellen wie in allen Fächern die<br />
Vorkenntnisse der Kinder dar. Die Eigenproduktionen<br />
der Kinder werden zu ihrem<br />
individuellen Lehrgang, der sie vor einem<br />
reinen Auswendiglernen vorgegebener<br />
Techniken und Verfahren schützt. Das<br />
»Freie Rechnen« bzw. das »Freie Mathematik-Treiben«<br />
ermöglicht dabei genauso<br />
wie auch das Freie Schreiben einen unverfälschten<br />
Blick auf das Können des<br />
Kindes, denn auf Grund des fehlenden<br />
Lehrganges kann niemand mehr etwas<br />
auswendig lernen. Man sieht an jeder<br />
Produktion direkt, in welchem<br />
Zahlraum sich der Schüler sicher<br />
bewegt, welche Operationen er<br />
schon beherrscht, welche Analogien<br />
er bildet, welche mathematischen<br />
Strukturen er ausgebildet hat. Genauso<br />
wie man in der Rechtschreibentwicklung<br />
bestimmte Stadien<br />
der Entwicklung unterscheiden<br />
kann, genauso lassen<br />
die Eigenproduktionen<br />
(und die eventuellen<br />
Fehler darin) relativ genaue<br />
Rückschlüsse auf<br />
den mathematischen<br />
Leistungs- und Entwicklungsstand<br />
des Schülers<br />
und seine Strukturbildung<br />
zu.<br />
Besonders interessant<br />
sind in diesem<br />
Zusammenhang die<br />
Lernwege der Kinder, die<br />
sich stark von den aus<br />
dem Lehrgangsunter-<br />
Dr. Falko Peschel<br />
ist Grundschul lehrer und<br />
Konrektor im Rhein-Sieg-Kreis<br />
sowie Lehr beauftragter an den<br />
Universitäten Köln und Siegen.<br />
Seine Suche nach der »verlorenen<br />
Offenheit« hat ihn seit dem<br />
Studium an viele Alternativund<br />
Regelschulen im Inland<br />
und Ausland geführt.<br />
Diese Erfahrungen und die<br />
Erprobung eines herausfordernden<br />
Konzeptes Offenen Unterrichts<br />
prägen seine zahlreichen<br />
Veröffentlichungen.<br />
Falko.Peschel@Uni-Koeln.de<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
25
Praxis: Pädagogische Leistungskultur<br />
richt gewohnten unterscheiden. Im hier<br />
abgebildeten Beispiel hat N. in den ersten<br />
Schulwochen die Aufgabenreihe 1 + 1 =<br />
2, 2 + 2 = 4 usw. für sich entdeckt. Dabei<br />
kommt sie bis zur 16, deren Verdoppelung<br />
ihr wahrscheinlich noch zu schwer<br />
ist, sodass sie auf bekannte analoge Aufgaben<br />
ausweicht. Hier gerät sie aber beim<br />
einfachen Fortsetzen der Reihe 100 + 100<br />
= 200, 200 + 200 = 300 schnell mit ihrem<br />
schon vorhandenen Wissen in Kollision,<br />
denn 500 + 500 können nicht gleichzeitig<br />
1000 und 600 ergeben. N. hat jetzt einen<br />
kognitiven Konflikt – und wenn sie den<br />
gelöst hat, hat sie wahrscheinlich für sich<br />
mehr an Mathematik verstanden, als ein<br />
Schulbuchlehrgang leisten könnte.<br />
Interessant ist, dass die üblichen Rechenfehler,<br />
die den Kindern unterlaufen,<br />
die an Stelle des Rechnens nur das »Ausrechnen«,<br />
das Anwenden von Techniken<br />
gelernt haben, beim Freien Rechnen nicht<br />
oder nur selten vorkommen, da die Kinder<br />
durch die Eigenproduktionen nichts<br />
haben einfach auswendig lernen können.<br />
Trotz der Überflüssigkeit einer expliziten<br />
Leistungsmessung in einem solchen<br />
Unterricht können entsprechende Rituale<br />
und Institutionen dann gewinnbringend<br />
sein, wenn sie nicht Mittel der Kontrolle<br />
sind, sondern zum einen zur Würdigung<br />
der Leistungen der Kinder dienen und<br />
zum anderen den Beteiligten (Kindern,<br />
Lehrern, Eltern) helfen, die erbrachten<br />
Leistungen richtig einzuordnen. Dabei<br />
ist klar, dass die üblichen Überprüfungsverfahren<br />
in einem solchen Unterricht<br />
noch weniger greifen als sie es im Lehrgangsunterricht<br />
so schon tun. Da die<br />
in den Schulbüchern vorzufindenden<br />
Lernzielkontrollen sich meist nur auf die<br />
Reproduktion des Lehrgangsstoffes der<br />
letzten Wochen beschränken, sollte man<br />
lieber ein eigenes Überprüfungsverfahren<br />
einsetzen. Dieses darf aber nicht nur<br />
einen kleinen Ausschnitt der mathematischen<br />
Kompetenz eines Kindes erfassen,<br />
sondern muss weit über den eigentlich<br />
vorgesehenen Unterrichtsstoff hinausgehen.<br />
»Überforderungstests«<br />
Ein entsprechender Test lässt sich mit<br />
dem Gedanken an die Kernideen der<br />
Arithmetik bzw. Mathematik leicht selbst<br />
anfertigen – man kann beispielsweise<br />
den Kindern vom ersten Schuljahr an<br />
einen Test mit Aufgaben aus der ersten,<br />
zweiten, dritten und vierten Klasse stellen<br />
und sie ohne Zeitbegrenzung so weit<br />
an den Aufgaben arbeiten lassen, wie sie<br />
wollen.<br />
Wie aus der Abbildung ersichtlich,<br />
wurde bei den von mir gewählten Aufgaben<br />
zur Repräsentation der Schuljahre der<br />
Zahlraum immer größer bzw. es kamen<br />
andere Operationen hinzu. Das abgebildete<br />
Beispiel aus dem ersten Schuljahr<br />
zeigt, dass schon dort Kinder problemlos<br />
Aufgaben aus allen Klassenstufen lösen<br />
konnten. Aber es gab natürlich auch<br />
einzelne Kinder, die sich noch mit dem<br />
Stoff des ersten Schuljahrs schwer taten.<br />
Im Test wurde diese ganze Bandbreite der<br />
Leistungen auf einfache Art und doch<br />
ziemlich repräsentativ offensichtlich<br />
– offensichtlicher zumindest, als es ein<br />
auf das momentane Klassenziel bezogener<br />
Leistungstest hätte zeigen können,<br />
denn vorher geübte Aufgaben (Plus- und<br />
Minusrechnen im Zehner- bzw. Zwanzigerraum)<br />
hätten die meisten Kinder problemlos<br />
beherrscht. Man hätte lediglich<br />
durch eine Zeitbegrenzung eine erzwungene<br />
Rangfolge in die Arbeitsergebnisse<br />
hineinbringen können. Aber gerade bei<br />
den Kindern, die in einem solchen Test in<br />
Zeitnot geraten wären, ist es wichtig zu<br />
wissen, ob sie die Aufgaben aus Zeitgründen<br />
(Prüfungsangst) oder Unverständnis<br />
nicht haben lösen können.<br />
Im Laufe ihrer Grundschulzeit drangen<br />
alle Kinder unserer Klasse im Test immer<br />
mehr zum Stoff der höheren Schuljahre<br />
vor, wobei teilweise erhebliche Lernsprünge,<br />
stellenweise aber auch Rückschritte<br />
vorzufinden waren. Immer war<br />
abzulesen, wo die Kinder sich im Hinblick<br />
auf den beherrschten Zahlraum und die<br />
ausführbaren Operationen befanden –<br />
eine Information, die dann in Relation zu<br />
den Lehrplanvorgaben bzw. dem, was die<br />
Kinder (nur) hätten können müssen, zu<br />
setzen war (ein ausführlicher Vorschlag<br />
für eine Normierung bzw. Skalierung ist<br />
zu finden in Peschel 2003, 637ff.).<br />
Beruhigend war, dass die Testergebnisse<br />
des selbst entwickelten Überforderungstests<br />
stark mit den auf die jeweilige<br />
Klassenstufe bezogenen standardisierten<br />
Tests korrelierten, wobei die Überforderungstests<br />
letztendlich doch differenzierter<br />
erschienen. Verbessert werden<br />
müssten sie nur noch (wie allerdings alle<br />
mir bekannten Tests zur Mathematik) im<br />
Hinblick auf das Erfassen von Kompetenzen<br />
wie Mathematisieren, Entdecken,<br />
Darstellen, Argumentieren usw. – Fähigkeiten,<br />
die sich eben nicht so einfach<br />
durch vorgegebene Aufgaben abtesten<br />
lassen.<br />
Falko Peschel<br />
Anmerkungen<br />
Das vorgestellte Unterrichtskonzept wird ausführlich beschrieben in:<br />
Peschel, Falko: Offener Unterricht – Idee, Realität, Perspektive<br />
und ein praxiserprobtes Konzept zur Diskussion.<br />
Teil I: Allgemeindidaktische Überlegungen.<br />
Teil II: Fach didaktische Überlegungen.<br />
Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren) 2002<br />
Zur empirischen Untersuchung siehe:<br />
Peschel, Falko: Offener Unterricht – Idee, Realität, Perspektive<br />
und ein praxiserprobtes Konzept in der Evaluation.<br />
Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren) 2003<br />
26 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Baden-Württemberg<br />
Anschrift: Dipl.-Päd. Adolf Messer, Stockacker 15, 79252 Stegen;<br />
www.gsv-bw.de<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ing rid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin;<br />
ikornmesser@yahoo.de<br />
Lehrerbildung<br />
Das Kultusministerium hat (zunächst<br />
probeweise für die Dauer von 3 Jahren)<br />
eine neue Verwaltungsvorschrift »Arbeitszeit<br />
für das Leitungs- und Lehrpersonal<br />
an den Staatlichen Seminaren<br />
für Didaktik und Lehrerbildung« in<br />
Kraft gesetzt. Dabei wird die Möglichkeit<br />
erheblich eingeschränkt, Inhalte<br />
des Anfangsunterrichts zu vermitteln.<br />
Nachdem im Zuge der Studienreform<br />
1998/2000 der Anfangsunterricht als<br />
eigenes Studienfach an den Pädagogischen<br />
Hochschulen abgeschafft<br />
wurde, konnte er bislang immerhin<br />
im Umfang einer halben Fachdidaktik<br />
an den Seminaren für die schulpraktische<br />
Ausbildung von GrundschullehrerInnen<br />
angeboten werden. Künftig<br />
kommt der Anfangsunterricht und<br />
mit ihm ein bewährtes Studienfeld,<br />
das zentrale stufendidaktische und<br />
grundschulpädagogische Fragen betrifft,<br />
faktisch in der Ausbildung von<br />
ReferendarInnen nicht mehr vor. Unverkennbar<br />
steht dahinter der Wille,<br />
die Bedeutung der wissenschaftlichen<br />
Fachausbildung zu Lasten einer allgemeinen<br />
grundschulpädagogischen<br />
und stufendidaktischen Orientierung<br />
zu stärken. Im Rahmen eines ausführlichen<br />
Gesprächs mit hochrangigen Vertretern<br />
des Kultusministeriums hat die<br />
Landesgruppe Ihre Kritik an der Verwaltungsvorschrift<br />
artikuliert.<br />
Bildungsmesse in Stuttgart<br />
In der Woche vom 28. 2. bis 4. 3. 2004<br />
fand in Stuttgart die diesjährige Bildungsmesse<br />
statt, auf der auch der<br />
Grundschulverband durch einen Stand<br />
vertreten war. Gemeinsam mit Silvia<br />
Reinisch und Rolf Kielblock führten<br />
die Mitglieder der Landesgruppe<br />
Gespräche mit den Besuchern zu den<br />
Themen »Fächerverbund Mensch, Natur<br />
und Kultur«, Diagnosearbeiten,<br />
neurologische Befunde und ihre Bedeutung<br />
für die Didaktik der <strong>Grundschule</strong>,<br />
LehrerInnenbildung im Schuleingangsbereich,<br />
Vorschulerziehung<br />
und frühe Bildung, Schulanfang auf<br />
neuen Wegen – flexible Einschulung,<br />
PISA, IGLU und die Folgen, offene Unterrichtsformen,<br />
Übergang Kindergarten<br />
– <strong>Grundschule</strong> und <strong>aktuell</strong>e Fragen<br />
aus dem Schulalltag.<br />
»Schulstruktur – sind traditionelle<br />
Schularten überholt?«<br />
Anlässlich des Elterntages der Landtagsfraktion<br />
der SPD am 9. April 2005<br />
wird eine Podiumsdiskussion zum Thema<br />
durchgeführt, an der auch die Landesgruppe<br />
des Grundschulverbands<br />
beteiligt ist.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Hans-Joachim Fischer)<br />
»Offene Ganztagsgrundschulen«<br />
sind keine Ganztagsschulen<br />
Ca. 10 % der Berliner <strong>Grundschule</strong>n<br />
werden künftig kostenfreie (bis auf das<br />
Mittagessen) »gebundene Ganztagsgrundschulen«<br />
sein; die übrigen <strong>90</strong> %<br />
sogenannte »offene Ganztagsgrundschulen«,<br />
d. h. Halbtagsschulen mit<br />
kostenpflichtigen außerunterrichtlichen<br />
Nachmittagsangeboten nur für<br />
die Kinder, denen das jeweilige Bezirksamt<br />
einen entsprechenden »Betreuungsbedarf«<br />
bescheinigt. Die Berliner<br />
Landesgruppe des Grundschulverbandes<br />
kritisiert diese Entwicklung:<br />
■ Der Begriff »Offene Ganztagsgrundschule«<br />
ist irreführend. Schulen,<br />
deren außerunterrichtliche Angebote<br />
nur von einem Teil der Kinder wahrgenommen<br />
werden dürfen, sollten<br />
nicht als Ganztagsschulen bezeichnet<br />
werden. Wie kann in diesen Schulen<br />
der geforderte konzeptionelle Zusammenhang<br />
zwischen Unterricht und<br />
außerunterrichtlichen Angeboten hergestellt<br />
und die gewollte Rhythmisierung<br />
von Unterricht und Schulleben<br />
verwirklicht werden? Diese Schulen<br />
sollten auch weiterhin schlicht als das<br />
bezeichnet werden, was sie sind: Halb-<br />
tagsgrundschulen mit ergänzenden<br />
Angeboten für Kinder, die einen vom<br />
Bezirksamt attestierten Betreuungsbedarf<br />
haben.<br />
■ Das Nebeneinander von einigen<br />
wenigen kostenfreien Ganztagsgrundschulen<br />
und vielen Halbtagsgrundschulen<br />
mit kostenpflichtigen außerunterrichtlichen<br />
Angeboten ist für die<br />
Berliner Schulentwicklung bildungspolitisch<br />
hoch problematisch. Es bedeutet<br />
praktisch die »gegliederte <strong>Grundschule</strong>«<br />
von Anfang an.<br />
■ Darüber hinaus kritisiert die Berliner<br />
Landesgruppe, dass in neueren<br />
Verlautbarungen der Senatsbildungsverwaltung,<br />
z. B. in einem Referentenentwurf<br />
zur Veränderung des neuen<br />
Berliner Schulgesetzes, von den außerunterrichtlichen<br />
Angeboten einer<br />
Schule nur noch als von »ergänzenden<br />
Betreuungsangeboten« gesprochen<br />
wird. Damit wird die pädagogische<br />
Funktion der Ganztagsgrundschule,<br />
die doch der Bildungsförderung von<br />
Kindern dienen soll, der Unterstützung<br />
ihrer Gesamtentwicklung, auf die Betreuungsfunktion<br />
reduziert.<br />
(für die Landesgruppe: Peter Heyer)<br />
Bayern<br />
Vorsitzende: Dr. Gudrun Schönknecht, Berliner Allee 22d, 86153 Augsburg<br />
Gemeinsames Lernen<br />
altersheterogener Gruppen und<br />
die Bewertung von Leistung<br />
Heterogene Lerngruppen stellen an die<br />
Praxis des Unterrichtens und Bewertens<br />
besondere Herausforderungen.<br />
Gerade angesichts der Neuregelung<br />
der Leistungsbeurteilung in Bayern<br />
lohnt es sich, den Zusammenhang<br />
zwischen Beobachten, Bewerten und<br />
Beurteilen noch einmal gründlich in<br />
den Blick zu nehmen.<br />
Heterogenität und Leistungsfeststellung<br />
hat sich daher die Landesgruppe<br />
Bayern zum Jahresthema gewählt. Die<br />
öffentliche Landesgruppensitzung am<br />
1. Juli, zu der alle Interessierten herzlich<br />
eingeladen sind, soll dieser Frage<br />
gewidmet sein. Unter dem Thema<br />
»Der Heterogenität in der Eingangsstufe<br />
durch die jahrgangsgemischte Eingangsklasse<br />
begegnen – Berichte aus<br />
Forschung und Praxis« werden Erfahrungen<br />
aus dem Raum Augsburg und<br />
aus dem Raum Nürnberg während der<br />
letzten Jahre diskutiert.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Christina Mahrhofer)<br />
Öffentliche Landesgruppensitzung<br />
zum Thema »Heterogenität<br />
und Leistungsfeststellung«<br />
1. Juli 2005, 15 – 17 Uhr,<br />
Lernwerkstatt des Lehrstuhls für<br />
Grundschulpädagogik und -didaktik<br />
(Friedrich Alexander Universität<br />
Erlangen-Nürnberg,<br />
Erziehungswissenschaftliche Fakultät,<br />
Regensburger Str. 160,<br />
<strong>90</strong>478 Nürnberg)<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
27
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Brandenburg<br />
Vorsitzende: DR. Barbara Wegner, Institut für Grundschulpädagogik,<br />
Universität Potsdam, Postfach 60 15 53, 14415 Potsdam<br />
Schulentwicklung durch<br />
neue Rahmenlehrpläne<br />
Die neuen Rahmenlehrpläne können<br />
zum Motor der Schulentwicklung werden,<br />
wenn es gelingt, in den Schulen<br />
einen tiefgründigen Diskurs zu ihrer<br />
Umsetzung zu führen. Dieser mündet<br />
einerseits in die Erstellung, Erprobung<br />
und Evaluation von schulinternen<br />
Curricula, erfordert andererseits aber<br />
auch die kontinuierliche Überprüfung<br />
und Bereitschaft zur Veränderung der<br />
Qualität von Unterricht. Dies ist eine<br />
Langzeitaufgabe, die gerade erst begonnen<br />
hat. Das spiegelte sich auch<br />
auf der gemeinsamen Grundschulfachtagung<br />
des Grundschulverbandes<br />
/ LG Brandenburg, der GEW Brandenburg<br />
und der Universität Potsdam<br />
wider. Rainer Domisch vom Zentralamt<br />
für Unterrichtswesen in Helsinki<br />
zeigte in seinem Beitrag die Chancen<br />
und Probleme bei der Einführung neuer<br />
Rahmenlehrpläne am Beispiel Finnlands<br />
auf. In fünf Workshops hatten<br />
die Lehrerinnen/Lehrer Gelegenheit,<br />
sich fachlich zu Fragen und Problemen<br />
aus dem Grundschulbereich auszutauschen.<br />
Dabei ging es unter anderem<br />
um eine neue Lehr- und Lernkultur, um<br />
Bildungsstandards, Kompetenzansatz<br />
und Leistungseinschätzung. »Bildung<br />
ist immer ein Prozess«, sagte Rainer<br />
Domisch. »Sie darf sich nicht in erster<br />
Bremen<br />
Vorsitzende: Karin Sanders, Langenstr. 11, 28816 Stuhr<br />
Linie als System verstehen, dem sich<br />
Schüler anzupassen haben, sondern<br />
sie muss ernsthaft und ständig versuchen,<br />
sich den Bedürfnissen der Schüler,<br />
der heranwachsenden Generation<br />
entsprechend zu entwickeln.« Ob dies<br />
mit den vom Ministerium für Bildung,<br />
Jugend und Sport geplanten Maßnahmen,<br />
vorgetragen durch den Bildungsstaatssekretär<br />
Martin Gorholt, erreicht<br />
werden kann, wurde von den anwesenden<br />
Lehrkräften in der Diskussion<br />
kritisch reflektiert. Maßnahmen wie<br />
die Verbesserung der Kommunikation<br />
zwischen Landesinstituten und Bildungsverwaltungen,<br />
die Teilnahme<br />
und Auswertung von zentralen Tests,<br />
der Aufbau eines Visitationssystems<br />
und die Überprüfungen der Leistungsfähigkeit<br />
der einzelnen Schulen ließen<br />
Wünsche nach mehr Geld, mehr Kontinuität<br />
sowie einer besseren Unterstützung<br />
der pädagogischen Arbeit laut<br />
werden. Kritik auf der ganzen Linie,<br />
aber auch die Einsicht, dass man selbst<br />
viel tun kann, in vielerlei Hinsicht gelassener<br />
reagieren sollte.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Dr. Barbara Wegner)<br />
Mitgliederversammlung/<br />
Fachtagung<br />
Thema: Arbeits- und Sozialverhalten<br />
21. Mai 2005, GS Eichwalde<br />
Hamburg<br />
Vorsitzender: Dirk Erdmann, Klotzenmoor 38 d , 22453 Hamburg<br />
Neuer Landesgruppenvorstand<br />
gewählt<br />
Auf unserer Mitgliederversammlung<br />
am 28. 9. 2004 wurden in den Landesgruppenvorstand<br />
gewählt: Dirk Erdmann<br />
(Vors.), Regina Scherler (Stellv.<br />
Vors.), Susanne Peters (Del.), Prof. Hubert<br />
Wudke (Schatzm.), Angelika Fiedler,<br />
Regina Kühn-Ziegler, Heidrun<br />
Münzig, Karin Momsen.<br />
In dem Zusammenhang entschuldigen<br />
wir uns vor allem bei allen Hamburger<br />
Mitgliedern für die fehlende Präsenz<br />
von Hamburg in den letzten beiden<br />
Ausgaben von GS <strong>aktuell</strong>. Gründe dafür<br />
waren Kommunikationsprobleme<br />
bei der Übergabe der Vorstandsaufgaben.<br />
Ausführliche Informationen<br />
über unsere Arbeit erhalten Sie auf<br />
unserer Homepage, die wir im Sommer<br />
2004 eingerichtet haben unter:<br />
www.gsvhh.de.<br />
Bildungspolitische Entwicklung<br />
in Hamburg<br />
Eine Reihe von Sparmaßnahmen betreffen<br />
ab 1. 8. 2005 die <strong>Grundschule</strong>n<br />
in besonderer Weise und bestimmen<br />
auch unsere Aktivitäten in der Landesgruppe:<br />
Mit der Standortplanung für die kommenden<br />
Jahre und der geplanten<br />
Schließung einzügiger <strong>Grundschule</strong>n<br />
bzw. der Angliederung von kleinen<br />
<strong>Grundschule</strong>n an größere Systeme wird<br />
vom Grundsatz »Kurze Beine – kurze<br />
Wege« abgewichen. Der Vorstand hat<br />
sich hierzu kritisch in Stellungnahmen<br />
und Presseerklärungen geäußert. Der<br />
Besuch der Vorschulklassen wird in Zukunft<br />
gebührenpflichtig. Die Betreuung<br />
von 22 Kindern wird in Zukunft<br />
fünf Stunden täglich verlässlich von einer<br />
Sozialpädagogin allein gewährleistet.<br />
Bislang existierende Doppelbesetzungen<br />
fallen weg.<br />
Hinzu kommen die Aufhebung der<br />
Lernmittelfreiheit, Gebühren für den<br />
Schwimmunterricht und die Erwägung,<br />
weitere schulische Angebote für<br />
Eltern gebührenpflichtig zu machen.<br />
Vehement mischen wir uns in die Diskussion<br />
um die geplanten Diagnose-<br />
und Förderzentren ein. Sie sollen in<br />
Zukunft die 36 Modellschulen mit integrativen<br />
Regelklassen ersetzen, an denen<br />
Kinder mit Förderbedarf in der für<br />
sie zuständigen <strong>Grundschule</strong> zurzeit<br />
unterrichtet werden – eine Abkehr von<br />
der Idee des integrativen Gedankens.<br />
Infodienst der<br />
Hamburger Landesgruppe<br />
Der Vorstand der Hamburger Landesgruppe<br />
verschickt an seine Mitglieder<br />
in unregelmäßigen Abständen Informationen<br />
per E-Mail. Melden Sie sich<br />
unter susanne.peters@gsvhh.de,<br />
wenn Sie in den Verteiler aufgenommen<br />
werden möchten.<br />
(für die Landesgruppe: Susanne Peters)<br />
Notenfreie <strong>Grundschule</strong><br />
Nach 15 Jahren notenfreier <strong>Grundschule</strong><br />
müssen die Leistungen der Drittund<br />
Viertklässler ab diesem Schuljahr<br />
erstmalig wieder zensiert werden.<br />
In einer sehr knapp bemessenen Frist<br />
konnten <strong>Grundschule</strong>n auf der Basis<br />
des neuen Schulgesetzes einen Antrag<br />
auf Befreiung von der Benotungspflicht<br />
stellen. Die Antragshürde war<br />
hoch gelegt, so dass nur 19 Bremer und<br />
5 Bremerhavener Schulen sie im Zeitlimit<br />
schafften. Leider wurde nur sechs<br />
Bremer und drei Bremerhavener Schulen<br />
der Antrag letztendlich genehmigt.<br />
In einem gemeinsamen Schreiben forderten<br />
daher Anfang Februar 49 der<br />
74 Bremer <strong>Grundschule</strong>n die Rücknahme<br />
der Einführung der Zensuren zum<br />
Sommer 2005.<br />
Einzelne Eltern sind inzwischen bereit,<br />
den Klageweg zu beschreiten. Die Landesgruppe<br />
unterstützt die Initiative<br />
des Zentralelternbeirates für eine notenfreie<br />
<strong>Grundschule</strong>.<br />
1-Euro-Jobs<br />
Bildungssenator Lemke erklärte in der<br />
Bremer Presse sein Interesse, in den<br />
Schulen zunehmend Personen mit 1-<br />
Euro-Jobs einzusetzen. Es steht zu befürchten,<br />
dass sie in Notfällen Klassenlehrer oder<br />
-lehrerinnen ersetzen müssen.<br />
Vereinheitlichung der Schreibschrift/<br />
Lautgebärden<br />
Nach einer diesbezüglichen Anfrage<br />
des Grundschulverbandes im Mai<br />
2004 an die Bildungsbehörde erfolgte<br />
eine Umfrage bei den Bremer und<br />
Bremerhavener <strong>Grundschule</strong>n. Es<br />
zeigte sich, dass nicht nur die Schulen<br />
unterschiedliche Schriften benutzen,<br />
sondern selbst innerhalb einzelner<br />
Schulen keine Einigkeit besteht.<br />
Da zwischenzeitlich auch offizielle Anfragen<br />
der Parteien (SPD, CDU, Bündnis<br />
<strong>90</strong>/Die Grünen) vorliegen, wird sicher<br />
bald eine Entscheidung für eine einheitliche<br />
Schrift getroffen werden.<br />
Gespräch mit der Bildungsdeputierten<br />
Anja Stahmann<br />
(Bündnis <strong>90</strong>/Die Grünen)<br />
Am 17. Januar 2005 hatte die Landesgruppe<br />
Gelegenheit, mit Frau Stahmann<br />
bildungspolitische Fragen zu<br />
besprechen. Dabei wurden die Themen:<br />
»Zeugnisordnung, VERA, Rahmenlehrpläne,<br />
Fachkompetenz in<br />
Bildungsentscheidungen und Veränderung<br />
der Grundschullehrerinnenausbildung«<br />
erörtert.<br />
(für die Landesgruppe: Roswitha Kremin)<br />
28 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Hes sen<br />
Anschrift: Ilse Marie Krauth, Steigerwaldweg 3, 63456 Hanau<br />
thoden stetig überprüft werden kann<br />
(Qualitätssicherung).<br />
Die Fortbildung wird sich vornehmlich<br />
mit dem Rechtschreiblernprozess,<br />
dem Rechtschreibunterricht und den<br />
Lernmethoden beschäftigen:<br />
Wie lernen Kinder Rechtschreiben?<br />
1. Der Aufbau der Rechtschreibung<br />
und des Rechtschreiblernprozesses.<br />
2. Grundlegende Rechtschreiblernmethoden<br />
und Rechtschreibunterricht.<br />
3. Qualitative Analyse der Rechtschreibleistung.<br />
Während früher Rechtschreibübungen<br />
im Grundwortschatz und Diktatübungen<br />
im Mittelpunkt des Rechtschreibunterrichtes<br />
standen, wird heute<br />
die Vermittlung von Lernmethoden,<br />
Schreib- und Korrekturtechniken als<br />
zentrale Aufgabe angesehen. Eine Veränderung<br />
des Rechtschreibunterrichtes<br />
als integraler Bestandteil des Fa-<br />
Wie lernen die Kinder<br />
Rechtschreiben?<br />
Ein roter Faden zieht sich durch Hessen.<br />
Die Landesgruppe Hessen setzt<br />
die erfolgreiche Vortragsreihe ›Diagnostik<br />
– Erkennen und Fördern‹ auch<br />
in diesem Jahr fort. Die nächste<br />
Veranstaltung findet am<br />
12. Mai 2005 in der Fridtjof-<br />
Nansen-Schule in Kassel,<br />
Schwarzwaldweg 1, von 10:30 Uhr bis<br />
17:00 Uhr statt.<br />
Norbert Sommer-Stumpenhorst,<br />
Diplom-Psychologe und Leiter der Regionalen<br />
Schulberatungsstelle des<br />
Kreises Warendorf, stellt in dieser Tagung<br />
die »Rechtschreibwerkstatt« vor,<br />
ein theoretisch fundiertes Konzept<br />
zum Lese- und Schreiblernprozess, in<br />
dem der Unterricht auf die Ordnung<br />
der Rechtschreibung bezogen ist und<br />
die Effizienz der eingesetzten Meches<br />
Sprache wird nur möglich sein,<br />
wenn Methoden eingesetzt werden,<br />
die den Kindern ein selbständiges, ihrem<br />
Lerntempo entsprechendes differenziertes<br />
Lernen ermöglichen und<br />
zugleich auch uns Lehrerinnen und<br />
Lehrern die Arbeit erleichtert. Methoden<br />
der inneren Differenzierung müssen<br />
dazu führen, dass die Kinder eine<br />
Methoden- und Lernkompetenz entwickeln.<br />
Welche Kompetenzen braucht ein<br />
Kind, um richtig schreiben zu lernen,<br />
und mit welchen Methoden können<br />
diese in der <strong>Grundschule</strong> vermittelt<br />
werden? Wie können wir in der <strong>Grundschule</strong><br />
den Rechtschreibunterricht vereinfachen<br />
und effektiver gestalten?<br />
Wie können wir alle Kinder zu einer<br />
hohen Rechtschreibkompetenz führen<br />
und ein Scheitern in diesem Bereich<br />
verhindern?<br />
Im Mittelpunkt steht die Vermittlung<br />
erprobter Methoden für einen differenzierten<br />
Rechtschreibunterricht. Ergänzt<br />
werden die methodischen Beispiele<br />
dort, wo es unumgänglich ist,<br />
durch eine theoretische Fundierung.<br />
Eine weitere Tagung mit Norbert Sommer-Stumpenhorst<br />
wird voraussichtlich<br />
im Herbst 2005 im Main-Kinzig-<br />
Kreis stattfinden.<br />
Veränderung im Vorstand<br />
der Landesgruppe<br />
Der Vorstand der Landesgruppe besteht<br />
seit dem 11. 02. 05 nur noch aus<br />
vier Mitgliedern. Christine Madelung<br />
hat aus persönlichen und beruflichen<br />
Gründen ihr Amt offiziell niedergelegt.<br />
Die bisherige Aufgabenverteilung<br />
bleibt unverändert.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Ilse Marie Krauth)<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk<br />
Niedersachsen<br />
Vorsitzende: Dr. Eva Gläser, Fasanenstr. 1, 38 102 Braunschweig<br />
<strong>Grundschule</strong> 2005 –<br />
Zeit für neue Konzepte<br />
Am 26. 2. 2005 fand die erste Landeskonferenz<br />
<strong>Grundschule</strong> des Duden<br />
Paetec Schulbuchverlages in Neubrandenburg<br />
statt. Unter dem Motto<br />
»<strong>Grundschule</strong> 2005 – Zeit für neue<br />
Konzepte« trafen sich über 100 Schulleiterinnen<br />
und Schulleiter, Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter aus dem Landesinstitut<br />
für Schule und Ausbildung<br />
sowie Lehrerinnen und Lehrer aus ganz<br />
Mecklenburg-Vorpommern, um über<br />
die notwendigen Veränderungen des<br />
Grundschulunterrichts und neue konzeptionelle<br />
Ansprüche von Lehrwerken<br />
zu diskutieren.<br />
In seinem Eröffnungsreferat zum Thema<br />
»Übergänge gestalten – Die <strong>Grundschule</strong><br />
in MV zwischen Vorschule und<br />
Sekundarstufe« fasste Prof. Dr. Franz<br />
Prüß, Professor für Erziehungswissenschaft<br />
an der Universität Greifswald,<br />
die Problemlage an den <strong>Grundschule</strong>n<br />
zusammen und zeigte Lösungswege<br />
für die Entwicklung einer neuen Lernkultur<br />
auf. Prüß bemängelte, dass die<br />
Gymnasien im Land bevorzugt würden.<br />
Dies sei ein Fehler, weil die ersten<br />
vier Schuljahre besonders günstig für<br />
die Ausprägung von Lernhaltungen der<br />
Schüler seien.<br />
Notwendig sei die Verbesserung der<br />
Ausstattung der <strong>Grundschule</strong>n. Notfalls<br />
müsste der Bildungshaushalt des<br />
Landes dafür auch zu Lasten der Gymnasien<br />
umgeschichtet werden. Gleichzeitig<br />
setzte sich Prüß für neue Unterrichtskonzepte<br />
in der <strong>Grundschule</strong> ein.<br />
Vor allem bei Schülern mit Lernproblemen<br />
sei zu beobachten, dass Lehrer<br />
und Eltern oft zu spät auf Defizite im<br />
Sozial- und Lernverhalten reagierten.<br />
Anschließend diskutierten die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer in den<br />
Workshops Deutsch Anfangsunterricht,<br />
Deutsch Klasse 2, Mathematik<br />
und Sachunterricht sowie LRS / Dyskalkulie<br />
des Duden Paetec Instituts für<br />
Lerntherapie fachspezifische Themen.<br />
Die Landesgruppe im Netz<br />
Ab sofort ist die Landesgruppe auch<br />
im Internet unter der Adresse http://<br />
www.gsv-mv.de präsent.<br />
(für die Landesgruppe: Ralph Grothe)<br />
Entwicklung von Kerncurricula<br />
In Niedersachsen werden zurzeit Kerncurricula<br />
für alle Schulstufen, so auch<br />
für alle Fächer der <strong>Grundschule</strong>, entwickelt.<br />
Die Rahmenrichtlinien haben<br />
damit bald ausgedient, denn die Kerncurricula<br />
sollen bereits zum Schuljahr<br />
2005/2006 in die Schulen kommen.<br />
Welche Veränderungen damit einhergehen,<br />
kann man bereits jetzt nachlesen:<br />
Erste Zwischenschritte der Erarbeitung<br />
sind im Internet veröffentlicht.<br />
Ein Diskussionsforum ermöglicht es<br />
allen Interessierten, die Entwürfe zukommentieren.<br />
http://nline.nibis.de/<br />
cuvo/menue/nibis.phtml?menid=3<br />
(cuvo ist die Abkürzung für curriculare<br />
Vorgaben).<br />
Juni 2005: Vergleichsarbeit<br />
im Fach Deutsch<br />
Am 2. Juni 2005 wird in allen 3. Klassen<br />
der <strong>Grundschule</strong>n und Förderschulen<br />
(ausgenommen Förderschulen<br />
Schwerpunkte Lernen und geistige<br />
Entwicklung) die zentrale Deutscharbeit<br />
geschrieben. Alle diesbezüglichen<br />
Anschreiben des Ministeriums an<br />
die <strong>Grundschule</strong>n und einige Musteraufgaben<br />
dieser Vergleichsarbeit sind<br />
als PDF-Dateien im Internet zu finden:<br />
http://www.mk.niedersachsen.de/<br />
master/C5061438_N5056266_L20_<br />
D0_I579<br />
Neu: Homepage der<br />
Landesgruppe Niedersachsen<br />
Seit einigen Wochen ist es soweit:<br />
Die niedersächsische Landesgruppe<br />
des Grundschulverbandes hat nun<br />
auch eine eigene Homepage. Unter<br />
www.grundschulverband-nieder<br />
sachsen.de finden Sie uns. Stellungnahmen,<br />
Terminhinweise und vieles<br />
mehr finden Sie dort. Sollten Sie Anregungen<br />
bzw. Hinweise haben, die Sie<br />
uns mitteilen wollen, Sie erreichen uns<br />
jederzeit per E-Mail. Über Ihren Besuch<br />
auf unserer Homepage würden wir uns<br />
freuen.<br />
(für die Landesgruppe: Dr. Eva Gläser)<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
29
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1 d, 58285 Gevelsberg<br />
Saarland<br />
Anschrift: Lilo Groll, Holbeinstr. 11, 66128 Saarbrücken<br />
Mitgliederversammlung<br />
am 12.März in Dortmund<br />
Am 12. März fand in Dortmund die<br />
jährliche Mitgliederversammlung des<br />
Landesverbandes NRW statt. In seinem<br />
Rechenschaftsbericht gab der<br />
Vorstand zunächst einen Überblick<br />
über die Tätigkeiten der Landesgruppe.<br />
Neben der jährlichen Fachtagung<br />
für Schulleitungen, der Organisation<br />
und Mitwirkung beim gemeinsamen<br />
Grundschultag von GEW und GSV, den<br />
Vernetzungen mit anderen Verbänden<br />
und Organisationen in einem Bündnis<br />
waren die Aktivitäten hauptsächlich<br />
bestimmt durch die auch bundesweit<br />
<strong>aktuell</strong> diskutierten bildungspolitischen<br />
Themen wie die Gestaltung der<br />
offenen Ganztagsschule, der flexiblen<br />
Schuleingangsphase und den Vergleichsarbeiten<br />
in Klasse 4. Noch relativ<br />
»frisch« waren insbesondere zu den<br />
letzten beiden Punkten die Rückmeldungen<br />
aus einem Gespräch des Vorstands<br />
mit Vertretern des Ministerium<br />
für Schule, Jugend und Kinder im Januar.<br />
Die von Seiten des Vorstands vorgebrachte<br />
Kritik an der derzeitigen Form<br />
der Vergleichsarbeiten wurde zwar aufmerksam<br />
angehört, gleichwohl bleibt<br />
offen, ob bei einer erneuten Durchführung<br />
im kommenden Schuljahr die aus<br />
Sicht des GSV fragwürdigen Bereiche<br />
auch verändert werden.<br />
Der zweite Teil der Mitgliederversammlung<br />
knüpfte inhaltlich an den<br />
Themenbereich ›Leistungen von Kindern‹<br />
an. Mit Ulrich Hecker und<br />
Henny Küppers als Referenten wurden<br />
die vielfältigen Aspekte einer ›Pädagogischen<br />
Leistungskultur‹ vorgestellt<br />
und mit konkreten Praxisberichten und<br />
-materialien sehr anschaulich erläutert.<br />
Diese im Bundesvorstand initiierte<br />
Arbeit stieß bei den Mitgliedern auf<br />
viel positive Resonanz, wurde als sowohl<br />
innovativ wie auch alltagstauglich<br />
bewertet und als wichtiger<br />
Gegenpol zu einem vornehmlich outputorientierten<br />
Leistungsbegriff gesehen.<br />
Der GSV steht damit weiterhin<br />
in der Tradition der Orientierung an einem<br />
pädagogischen Leistungsbegriff,<br />
der <strong>aktuell</strong>e Weiterentwicklungen kritisch<br />
prüft und in ein pädagogischen<br />
Grundsätzen erfolgreicher Grundschularbeit<br />
entsprechendes Konzept<br />
sinnvoll integriert!<br />
(für die Landesgruppe: Beate Schweitzer)<br />
7. landesweiter Grundschultag<br />
Zwei große Themen beherrschen zurzeit<br />
die Arbeit in der <strong>Grundschule</strong> im<br />
Saarland. Zum einen steht die Schließung<br />
oder Zusammenlegung von fast<br />
der Hälfte aller <strong>Grundschule</strong>n bevor<br />
und zum anderen verunsichern die unterschiedlichsten<br />
Formen landesweiter<br />
Leistungsmessungen die Lehrerinnen<br />
und Lehrer.<br />
Evaluation ist notwendig. Aber die einseitige<br />
kognitive Ausrichtung vernachlässigt<br />
nach Meinung der Landesgruppe<br />
sowohl die umfassende Bildung der<br />
Gesamtpersönlichkeit des einzelnen<br />
Kindes – und hier insbesondere die<br />
musisch-ästhetische Förderung – als<br />
auch die Weiterentwicklung der Schule<br />
zu einem Lern- und Erfahrungsort mit<br />
einem vielfältigen Schulleben.<br />
Der 7. landesweite Grundschultag am<br />
24. Februar in Merzig, veranstaltet in<br />
Zusammenarbeit mit dem Saarländischen<br />
Lehrerinnen- und Lehrerverband<br />
(SLLV) und dem Institut für Lehrerfort-<br />
und -weiterbildung (ILF), griff<br />
diese Aspekte auf und wollte vor allem<br />
das Lernen mit allen Sinnen stärken,<br />
Innovationen aufzeigen und Orientierungshilfen<br />
für die Praxis geben. In<br />
Vorträgen, Arbeitskreisen und im Rahmenprogramm<br />
sollte sich das Bild einer<br />
innovativen Schule widerspiegeln,<br />
der internationale Vergleichsstudien<br />
bescheinigen, dass sie sich auf dem<br />
richtigen Weg befindet.<br />
Fast 300 Teilnehmer verfolgten, wie<br />
der saarländische Bildungsminister<br />
Jürgen Schreier in seinem Grußwort<br />
die Grundschulschließungen verteidigte<br />
(siehe unten). Das Grundsatzreferat<br />
»Das ›Getöse‹ um PISA, IGLU<br />
u. a. m. und die Orientierung an einer<br />
verantwortbaren und ganzheitlichen<br />
Pädagogik« hielt Prof. Dr. Manfred<br />
Bönsch und ergänzte seinen Vortrag<br />
um das Thema »An die Kinder denken<br />
– den Lehrerinnen und Lehrern helfen<br />
– die Schule am Wohnort der Kinder<br />
stärken«.<br />
Die 14 workshops von »Stomp« über<br />
»Kunst im öffentlichen Raum« zu<br />
Bildungsstandards in Deutsch und<br />
Mathematik, Experimentieren im<br />
Sachunterricht oder Hilfen für sprachentwicklungsbeeinträchtigte<br />
Kinder<br />
bis hin zu »Perspektiven für eine gute<br />
<strong>Grundschule</strong>« wurden sehr gut angenommen.<br />
Ein herzliches Dankeschön<br />
gilt auch von dieser Stelle dem Kollegium<br />
der Kreuzbergschule und ihrer<br />
Schulleiterin Frau Marga Feldenz für<br />
den unermüdlichen Einsatz.<br />
Grundschulschließungen<br />
im Saarland<br />
Aufgrund der demographischen Entwicklung<br />
war abzusehen, dass auf<br />
lange Sicht einige Schulen geschlossen<br />
werden müssen, die dem geordneten<br />
Schulbetrieb nicht mehr entsprechen.<br />
Was sich allerdings jetzt im<br />
Saarland anbahnt, kann man nur mit<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Wintersberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
rung, die Ergebnisse, den Nutzen und<br />
die Konsequenzen der Vergleichsarbeiten<br />
in Deutsch und Mathematik<br />
ein. Einig waren sich die Diskutanten<br />
Prof. Dr. Brügelmann (GSV) und Prof.<br />
Dr. Bremerich-Vos (VERA-Team) darin,<br />
dass mit VERA viele fruchtbare Diskussionen<br />
in den Kollegien angestoßen<br />
wurden, ein von außen in die <strong>Grundschule</strong><br />
gebrachter Standard durchaus<br />
Sinn macht und das eigentliche Ziel,<br />
nämlich die Unterrichtsentwicklung,<br />
mit VERA erst beginnt bzw. beginnen<br />
muss. Keine Annäherung gab es u. a. in<br />
den Punkten Durchführung, Umfang,<br />
Auswertung, Umgang mit den Ergebnissen.<br />
Die Einschätzung, dass VERA<br />
in der Kombination mit dem Qualitätsprogramm<br />
eine sinnvolle Maßnahme<br />
zur Verbesserung der Unterrichtsqualität<br />
ist, teilt auch die Landesgruppe. Sie<br />
sieht aber bei der praktischen Umsetzung<br />
noch Verbesserungsbedarf.<br />
Am Nachmittag holten sich die Teilnehmer<br />
in 26 Workshops viele praktische<br />
Tipps und Anregungen für ihren<br />
Unterricht.<br />
Fortbildungsreihe<br />
mit Dr. Jürgen Reichen<br />
Die von der Landesgruppe organisierten<br />
ganztägigen Fortbildungsveran-<br />
Grundschultag 2005 ein voller Erfolg<br />
Der diesjährige Grundschultag der<br />
Landesgruppe an der Universität in<br />
Koblenz fand unter dem Motto statt<br />
»<strong>Grundschule</strong> auf dem Weg zur neuen<br />
Lernkultur – Schwerpunkt: Deutsch«.<br />
Er verzeichnete mehr als 600 Teilnehmer<br />
bei ebenso vielen Absagen. Am<br />
Vormittag diskutierten Frau Ministerin<br />
Doris Ahnen, Prof. Dr. Hans Brügelmann<br />
und Prof. Dr. Albert Bremerich-Vos<br />
moderiert von Dr. Birgit<br />
Pikowsky den Umgang mit Bildungsstandards<br />
und Kompetenzen. Breiten<br />
Raum nahm dabei die kontrovers geführte<br />
Diskussion über die Durchfühstaltungen<br />
»Lesen durch Schreiben«<br />
mit Dr. Jürgen Reichen, die in Koblenz,<br />
Konz, Zweibrücken und Gau-Odernheim<br />
stattfanden, zählten insgesamt<br />
mehr als 300 Teilnehmer. Gemeinsam<br />
mit dem Pädagogischen Zentrum Bad<br />
Kreuznach war es der Landesgruppe<br />
gelungen, den Pensionär Dr. Jürgen<br />
Reichen noch einmal zu verpflichten.<br />
In gewohnt souveräner, humorvoller<br />
und überzeugender Art und Weise begeisterte<br />
er dabei seine Zuhörer bei<br />
der Vorstellung seines überarbeiteten<br />
Konzeptes.<br />
(für die Landegruppe: Werner Lang)<br />
30 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005
<strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
einer »Kahlschlagpolitik« kennzeichnen.<br />
Grundlage des geordneten Schulbetriebes<br />
wird nicht mehr wie bisher<br />
die im Schulordnungsgesetz festgeschriebene<br />
einzügige <strong>Grundschule</strong> als<br />
Mindestgröße sein, sondern die zweizügige.<br />
Dies bedeutet, dass fast die<br />
Hälfte der <strong>Grundschule</strong>n zur Disposition<br />
steht. Zum kommenden Schuljahr<br />
werden nach einem Plan des Bildungsministeriums<br />
bereits 91 Schulen<br />
geschlossen, andere werden zu Dependancen<br />
degradiert. Hierzu zählen<br />
auch Schulen mit bis zu 7 Klassen.<br />
Sachsen<br />
Vorsitzende: Sibylle Jaszovics, Südwestring 11, 04668 Klinga<br />
Elternwille wird gestärkt<br />
Wenige Tage vor der Ausgabe der<br />
Halbjahresinformationen erreichte<br />
die Schulen Sachsens die Mitteilung<br />
des Ministeriums, dass ab sofort für<br />
den Übertritt ans Gymnasium ein Notendurchschnitt<br />
von 2,5 (Deutsch/<br />
Mathematik) genügt. Bisher war ein<br />
Durchschnitt von 2,3 notwendig. Kultusminister<br />
Steffen Flath machte<br />
deutlich, dass sich die Koalitionspartner<br />
nicht abschließend auf die Regeln<br />
der Bildungsempfehlung verständigen<br />
konnten und dass dies ein erster<br />
Schritt sei. Er appellierte an Eltern und<br />
Lehrer, die neuen Regelungen bewusst<br />
und sorgfältig zu nutzen, warnte aber<br />
gleichzeitig vor einem Anwachsen der<br />
Rückkehrer in die Mittelschulen, weil<br />
sie den Anforderungen des Gymnasiums<br />
nicht gerecht werden können.<br />
Grundsätzlich befürwortet der Landesgruppenvorstand<br />
die Stärkung des<br />
Elternwillens bei der Wahl der weiterführenden<br />
Schule. Für wichtiger halten<br />
wir ein Nachdenken seitens der Regierung<br />
über eine längere gemeinsame<br />
Schulzeit. Das käme dem Elternwillen<br />
Umfragen entsprechend noch mehr<br />
entgegen.<br />
Wir kritisieren auch den unpassend<br />
gewählten Zeitpunkt mit Überraschungseffekt.<br />
Die Beratungsgespräche mit den Eltern<br />
der Viertklässler hatten bereits stattgefunden<br />
und mussten nun teilweise<br />
wiederholt werden.<br />
Es bleibt außerdem zu vermuten, dass<br />
die Folgen der Änderung offenbar<br />
kaum ins Gewicht fielen. Viele weiterführende<br />
Schulen sind von Schließung<br />
bedroht. Der Geburtenrückgang,<br />
mit dem die <strong>Grundschule</strong>n schon seit<br />
Jahren kämpfen, wirkt sich jetzt immer<br />
massiver auf Mittelschulen und<br />
Gymnasien aus. Manche Schule hängt<br />
Jahr für Jahr am seidenen Faden. Sind<br />
doch für die Einrichtung einer 5. Klasse<br />
40 Schüler bzw. Zweizügigkeit an Mittelschulen<br />
und 60 Schüler bzw. Dreizügigkeit<br />
an Gymnasien Voraussetzung.<br />
Nun melden manche <strong>Grundschule</strong>n<br />
nach den gelockerten Übergangsbestimmungen<br />
bis zu 70 % Anwärter für<br />
das Gymnasium. Sachsenweit wird ein<br />
Anstieg von 8 % angenommen.<br />
Abbau von Lehrerstellen<br />
Insgesamt 7500 Lehrerstellen sollen<br />
bis 2009 abgebaut werden. Nun geht<br />
es auch für 4700 Lehrkräfte an Mittelschulen<br />
und Gymnasien um Teilzeitlösungen.<br />
Noch spricht man hinter<br />
vorgehaltener Hand darüber, dass Mittelschullehrer<br />
inzwischen »fehlende«<br />
Grundschullehrer ersetzen sollen. Laut<br />
Koalitionsvertrag soll die personelle<br />
Ausstattung an <strong>Grundschule</strong>n angehoben<br />
werden. Wir Grundschullehrer<br />
hofften auf Anhebung unser Teilzeitverträge<br />
– endlich mehr als 57 % vertraglich<br />
gesicherte Arbeitszeit, endlich<br />
wieder mehr Kontinuität in den ersten<br />
Jahren der Schulzeit. Sollten wir wieder<br />
enttäuscht werden?<br />
(für die Landesgruppe: Margot Zimmer)<br />
Thüringen<br />
Vositzende: Steffi Jünemann, Hauptstr. 7, 99734 Nordhausen<br />
Kindertagesstätten und<br />
<strong>Grundschule</strong>n stärken<br />
Mit der Zuordnung der Kindertagesstätten<br />
zum Thüringer Kultusministerium<br />
ist die Basis für eine noch<br />
engere Zusammenarbeit zwischen<br />
<strong>Grundschule</strong> und Kindertagesstätte<br />
gelegt. Dabei geht es nicht nur um<br />
gemeinsame Aktivitäten, die dem Kennenlernen<br />
vor Schuleintritt dienen, wie<br />
Schnuppertage, Vorschulnachmittage<br />
und gegenseitige Hospitationen. Es<br />
gilt künftig auch gemeinsam konzeptionell<br />
vorzugehen, Schwerpunkte abzustimmen<br />
und an gemeinsamen Zielen<br />
zu arbeiten. Die »Leitlinien frühkindlicher<br />
Bildung», die im Januar 2005 allen<br />
Kindertagesstätten und <strong>Grundschule</strong>n<br />
übergeben wurden, sind eine wesentliche<br />
Grundlage für diese gemeinsame<br />
Arbeit. Derzeitig arbeitet das Kultusministerium<br />
gemeinsam mit Vertretern<br />
von Universität und Fachhochschulen<br />
an der Fortschreibung der Leitlinien zu<br />
einem Bildungsrahmenplan.<br />
Besonderes Augenmerk gilt dabei den<br />
Bereichen<br />
■ Sprache und Kommunikation<br />
■ Soziale und emotionale Entwicklung<br />
■ Bewegung<br />
■ Spielen, Gestalten, Experimentieren<br />
Die Landesregierung begründet diese<br />
Maßnahmen mit einer Qualitätsverbesserung,<br />
in Wirklichkeit geht es<br />
um eine nie da gewesene Sparaktion,<br />
im Laufe derer 300 Lehrerstellen<br />
wegfallen sollen. Der Protest gegen<br />
diese Schulschließungen regt sich<br />
auf breiter Front. Unter Führung der<br />
»Landesinitiative Rettet die <strong>Grundschule</strong>n«<br />
und der »Landeselternvertretung<br />
<strong>Grundschule</strong>n« fand bereits eine<br />
Großdemonstration statt, eine zweite<br />
wird folgen. Eingeladen wurde zudem<br />
an zwei Sonntagen zu einem Kinobesuch<br />
»Treibhäuser der Zukunft – Wie<br />
in Deutschland Schulen gelingen«<br />
mit anschließender Podiumsdiskussion.<br />
Unzählige Protestveranstaltungen<br />
und Podiumsdiskussionen vor Ort<br />
sollen die Landesregierung von ihrem<br />
Vorhaben abbringen. Ein Volksbegehren<br />
wird immer wahrscheinlicher, die<br />
juristischen Hürden sind allerdings<br />
sehr hoch.<br />
Die Landesgruppe hat sich eindeutig<br />
gegen die Zweizügigkeit als Mindestgröße<br />
ausgesprochen und fordert zudem<br />
die Einrichtung von Kombinationsklassen,<br />
sofern die Schulkonferenz<br />
dies wünscht.<br />
Schulzusammenlegungen führen in<br />
der Regel zu größeren Klassen und weiteren<br />
Schulwegen. Die Schule als Nachbarschaftsschule<br />
und kultureller Mittelpunkt<br />
einer Gemeinde oder eines<br />
Stadtteils geht verloren, ebenso der<br />
vielfach bestehende Verbund Schule,<br />
Kindergarten, Vereine. Außerdem verschlechtern<br />
sich die Einstellungschancen<br />
der jungen Lehrerinnen und Lehrer.<br />
Dies führte bereits zu Abwanderungen<br />
in andere Bundesländer.<br />
Die Schullandschaft im Saarland wird<br />
sich sehr verändern, zumal ein Ende<br />
noch nicht abzusehen ist. Selbst die<br />
Schließung von Schulen anderer Schulformen<br />
wird als Option in das neue<br />
Schulordnungsgesetz aufgenommen.<br />
(für die Landegruppe: Lilo Groll)<br />
Die Schuleingangsphase kann nur gelingen,<br />
wenn sie sich am Kind orientiert<br />
und an dessen vorschulische Erfahrungen<br />
anknüpft .<br />
Je gründlicher wir in unsere Bildungsaufträge<br />
eindringen, desto besser erkennen<br />
wir die vielen Gemeinsamkeiten<br />
im pädagogischen Vorgehen<br />
von Kindergarten und <strong>Grundschule</strong>.<br />
Gemeinsame Projekte wie »Hören,<br />
lauschen, lernen«, Wahrnehmungsschulung<br />
oder »Soziales Lernen« sind<br />
genauso bedeutungsvoll wie gemeinsame<br />
Fortbildungen. Dazu<br />
findet am 16. April 2005 an<br />
der Universität in Erfurt ein<br />
Symposium »Lernen im Miteinander<br />
von Kindergarten und <strong>Grundschule</strong>«<br />
statt. Dazu sind alle interessierten<br />
Pädagogen der Grund- und<br />
Förderschulen sowie Mitarbeiter von<br />
Kindertagesstätten herzlich eingeladen.<br />
Themen wie Gemeinsames Lernen<br />
in der Jahrgangsmischung, Selbstbildungsprozesse<br />
der Kinder unterstützen,<br />
Differenzierung in Verbindung mit<br />
Rhythmisierung, Kinder beobachten<br />
und ihre Entwicklung dokumentieren<br />
werden den Erfahrungsaustausch zwischen<br />
Kindergarten und <strong>Grundschule</strong><br />
befördern.<br />
(für die Landesgruppe: Kathrin Heckert)<br />
GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
31
Bundesweite Fortbildung des Grundschulverbandes 17./18.11.2005<br />
Pädagogische Leistungskultur: Klassen 1 und 2<br />
Einladung<br />
Eines der <strong>aktuell</strong>en Projekte des Grundschulverbandes gilt der<br />
Pädagogischen Leistungskultur. Wir wollen damit ein deutliches<br />
Zeichen für eine ermutigende Leistungsförderung aller Kinder<br />
setzen, die individuelle Lernentwicklungen im Blick behält und die<br />
Kinder dialogisch einbezieht (siehe Mitgliederband 118: Leistungen<br />
der Kinder wahrnehmen – würdigen – fördern. Grundschulverband<br />
Frankfurt/Main 2004).<br />
Zurzeit erarbeiten wir Materialien, die helfen, Lernstände festzustellen,<br />
Lernentwicklungen zu bestätigen, Lerngespräche miteinander<br />
zu führen, und die alle Kinder darin unterstützen, eigene Lernwege<br />
zu beschreiben. Sie sind Gegenstand der Fortbildungstagung.<br />
Thematik der Tagung Eine Arbeitsgruppe des Grundschulverbandes<br />
hat Beispiele für die Klassen 1<br />
und 2 und zwar für die Fächer Deutsch,<br />
Mathe matik und Sachunterricht erarbeitet<br />
– für die Unterrichtspraxis und für die<br />
Moderation in Kollegien und Arbeitsgruppen.<br />
In der Tagung werden diese<br />
Materialien für Praxis und Moderation<br />
vorgestellt und diskutiert.<br />
Tagungsverlauf<br />
Referentinnen<br />
und Referenten<br />
32 GSV <strong>aktuell</strong> <strong>90</strong> • Mai 2005<br />
Donnerstag, 17. November 2005, ab 15 Uhr:<br />
Pädagogische Leistungskultur<br />
Beispiele Deutsch, Mathematik, Sachunterricht<br />
abends: Gesprächsrunde zu Bildungsstandards<br />
und Leistungstests<br />
Freitag, 18. November 2005, bis 16 Uhr:<br />
Vormittags: Weiterarbeit in Arbeitsgruppen<br />
zu Deutsch, Mathematik, Sachunterricht<br />
Nachmittags: Berichte aus den Arbeitsgruppen,<br />
zur Weiterarbeit<br />
Deutsch: Prof. Dr. Erika Brinkmann,<br />
Prof. Dr. Hans Brügelmann<br />
Mathematik: Henny Küppers (Lehrerin),<br />
Prof. Dr. Christoph Selter<br />
Sachunterricht: Gabriele Klenk (Konrektorin),<br />
Prof. Dr. Gudrun Schönknecht<br />
Außerdem: Horst Bartnitzky<br />
(Vorsitzender des Grundschulverbandes),<br />
und Ulrich Hecker (Schulleiter)<br />
Ort<br />
Zielgruppe<br />
Tagungsbeitrag<br />
Schmitten (in der Nähe von Frankfurt/Main)<br />
Für Bahnreisende wird ein Shuttle-Bus<br />
zur Tagungsstätte organisiert.<br />
Die Tagung richtet sich vor allem<br />
an Multiplikatoren zur Thematik<br />
(z.B. Moderatorinnen/Moderatoren,<br />
Fachkonferenzleiter/innen, Schulleiter/<br />
innen).<br />
Die Teilnehmerzahl ist begrenzt auf 45.<br />
Sollten sich mehr als 45 Personen anmelden,<br />
werden Mitglieder des Grundschulverbandes<br />
vorrangig berücksichtigt.<br />
Für Mitglieder des Grundschulverbandes<br />
140 €,<br />
für Nicht-Mitglieder 180 €.<br />
Fahrtkosten werden nicht erstattet.<br />
Die Fahrt im Shuttle-Bus von Frankfurt/<br />
Main zur Tagungsstätte ist im Tagungsbeitrag<br />
inbegriffen.<br />
Anmeldung Anmeldeschluss: 15. Juni 2005<br />
Anmeldung<br />
per Post: Grundschulverband,<br />
Niddastr. 52, 60329 Frankfurt<br />
per Mail: info@grundschulverband.de<br />
oder über die Homepage:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Bitte bei der Anmeldung angeben:<br />
Mitglied ja – nein<br />
Anreise mit Auto oder Zug<br />
Derzeitige Funktion im Schulbereich
Aktuelles<br />
aus<br />
der Arbe<br />
beit des<br />
Grun<br />
undsch<br />
chul<br />
ulverbandes<br />
es<br />
Die pädagogisch<br />
che<br />
Leistun<br />
stungskultu<br />
ultur<br />
ist zurzeit ein zentrales Thema für die Arbeit des<br />
Grundschulverbandes:<br />
Soeben erschienen ist der Band 118 der Reihe<br />
»Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong>« mit dem<br />
Titel Leistungen der Kinder wahrnehmen –<br />
würdigen – fördern. Auf der Grundlage dieses<br />
Bandes, der auch reichhaltig Praxisbeispiele und<br />
vielfältige Anregungen zu neuen Formen des<br />
Umgangs mit Leistungen bietet, werden nun<br />
Module für die tägliche Praxis von Schulen und<br />
Lehrerfortbildung erarbeitet.<br />
Der Band 119 unserer Mitgliederreihe Pädagogische<br />
Leistungskultur – Materialien für Klasse 1 und 2<br />
wird im Sommer 2005 erscheinen und aus fünf<br />
Broschüren und einer CD mit kopierfähigen Vorlagen<br />
bestehen, die zusammen in einem Schuber<br />
verschickt werden. Hier werden Sie Materialien<br />
für Klasse 1 und 2 finden. Im Jahr 2006 folgen dann<br />
Diskut<br />
utieren<br />
en Sie mit !<br />
Auf der neu gestalteten Homepage haben wir neben<br />
weiteren neuen Themenschwerpunkten ein Diskussionsforum<br />
eingerichtet.<br />
In diesem Forum stellen wir regelmäßig ein <strong>aktuell</strong>es<br />
Thema zur Debatte, in das ein Sach beitrag einführt.<br />
Das erste Forum befasst sich mit dem Thema Vergleichsarbeiten<br />
(VERA), dem auch ein großer Raum in unserer<br />
Zeitschrift »<strong>Grundschule</strong> <strong>aktuell</strong>« gewidmet ist.<br />
Schreiben Sie uns –<br />
Ihre Erfahrungen sind uns wichtig!<br />
www.grundschulverband.de<br />
Band 118 ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr.: 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Erscheinungsdatum Dez. 2004<br />
die Materialien für Klasse 3 und 4. Band 119 ISBN 930024-88-8<br />
Best.-Nr.: 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Erscheint im Sommer 2005<br />
etter + newsletter + newsletter + newsletter + newsletter + newsletter<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
der Grundschulverband gibt einen Newsletter heraus, um seine Mitglieder <strong>aktuell</strong> über Neues aus Verband und<br />
Bildungspolitik zu informieren.<br />
Zum Bezug des Newsletters haben wir zwei Anmeldemöglichkeiten bereit gestellt:<br />
das Internet unter www.grundschulverband.de/newsletter (hier liegt ein vorbereitetes Formular für Sie bereit)<br />
oder<br />
per E-Mail an newsletter@grundschulverband.de. Falls Sie diesen Weg wählen, teilen Sie uns möglichst auch<br />
Ihre Mitgliedsnummer mit und geben Ihre vollständige Anschrift an.<br />
neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + neu + bestellen + ne
Praxispreis des Grundschulverbandes<br />
Ausschreibung<br />
Mehr Bildungszeit für Kinder:<br />
Schritte auf dem Weg zur Ganztagsgrundschule<br />
Warum ein Praxispreis?<br />
Seit seiner Gründung setzt sich der Grundschulverband für<br />
mehr Zeit am Schultag für alle Kinder ein, um die pädagogischen<br />
Handlungsmöglichkeiten an der <strong>Grundschule</strong> zu<br />
erweitern.<br />
Die Bundesländer versuchen derzeit, dem gesellschaftlichen<br />
Wunsch nach Ganztagsschulen entgegenzukommen und<br />
entwickeln sehr unterschiedliche Modelle von Ganztagsschulen.<br />
Dabei wird die Ganztagsschul-Idee aus rein familienpolitischen<br />
Gründen oft verkürzt zu Unterricht »wie gehabt«<br />
plus zusätzlicher Betreuung. Der Grundschulverband fordert<br />
demgegenüber, neben den familienpolitischen auch bildungspolitische<br />
Gründe wirksam werden zu lassen: Ganztagsschule<br />
als Schule mit mehr Bildungszeit für Kinder. Im Standpunkt<br />
»Mehr Zeit für Kinder: Von der Stundenschule zur Ganztagsgrundschule«<br />
heißt es:<br />
»Ganztagsschulen dürfen daher nicht als Schulen missverstanden<br />
werden, die den Unterricht in der bisherigen Form<br />
beibehalten und nur durch Betreuungsangebote ergänzen.<br />
Kinder und Jugendliche brauchen heute Schulen, die ihnen<br />
genügend Zeit und Handlungsspielraum für ihre Entwicklung<br />
geben … Zusätzliche schulische Bildungszeit erleichtert<br />
soziale Erfahrungen und interaktives Lernen der Kinder,<br />
fördert Selbstständigkeit und Selbstverantwortung und regt<br />
Kooperation zwischen Lehrern, Kindern und Eltern an.«<br />
Viele <strong>Grundschule</strong>n haben sich bereits auf den Weg gemacht<br />
– sie entwickeln unter den örtlichen Bedingungen mit ihren<br />
Möglichkeiten ihre <strong>Grundschule</strong> in Richtung auf die Zieldimensionen,<br />
wie sie im Standpunkt formuliert sind.<br />
Der Praxispreis soll dazu beitragen, diese Ansätze anzuerkennen,<br />
sie in das öffentliche Bewusstsein zu rücken und die Position<br />
des Grundschulverbandes zu verbreiten.<br />
Wer kann teilnehmen?<br />
Die Ausschreibung richtet sich an alle <strong>Grundschule</strong>n, die sich<br />
auf den Weg gemacht haben, ihre Schule in Richtung Ganztagsschule<br />
mit mehr Bildungszeit für Kinder zu verändern.<br />
Angesichts der unterschiedlichen Rahmenvorgaben der Länder<br />
und der Schulträger sind die Möglichkeiten der Schulen mehr<br />
oder weniger begrenzt. Dennoch bestehen Spielräume, die<br />
zugunsten von mehr Bildungszeit für Kinder genutzt werden<br />
können. Die teilnehmenden Schulen sollten mit Konzepten<br />
und Erfahrungen zeigen, welche Schritte ihre Schule auf dem<br />
Weg zur Ganztagsschule geht und welchen pädagogischen<br />
Wert die Schule in diesen Entwicklungsschritten für die Kinder<br />
sieht.<br />
Zur Vergabe des Praxispreises<br />
Der Praxispreis des Grundschulverbandes wird an fünf <strong>Grundschule</strong>n<br />
verliehen. Jede Preisträger-Schule erhält 2.000 € und<br />
stellt ihr Konzept und ihre Erfahrungen bei einem Grundschulforum<br />
in Frankfurt/Main im März 2006 vor. Diese Beiträge der<br />
Praxispreisschulen sollen auch einfließen in einen Mitgliederband<br />
des Grundschulverbandes zum Thema Ganztag, der Ende<br />
2006 erscheinen wird.<br />
Im Zusammenhang mit dem Praxispreis vergibt der Grundschulverband<br />
zwei weitere Preise:<br />
■ den Forschungsförderpreis für praxisfördernde Forschung<br />
zum Thema<br />
■ den Politikpreis für politische Initiativen, die <strong>Grundschule</strong>n<br />
bei ihrer Entwicklung zum Ganztag in besonderer Weise unterstützen.<br />
Wie kann sich eine Schule beteiligen?<br />
1. Die Schule fordert die Bewerbungsmaterialien in der<br />
Geschäftsstelle des Grundschulverbandes an:<br />
mit gelber Post …<br />
Grundschulverband<br />
Stichwort: Ganztag<br />
Niddastr. 52<br />
60329 Frankfurt<br />
oder … mit digitaler Post:<br />
info@grundschulverband.de<br />
oder über die Hompage:<br />
grundschulverband.de<br />
2. Die Schule stellt ihre schulischen Entwicklungsschwerpunkte<br />
zum Ganztag unter drei Teilaspekten dar:<br />
■ Unsere Ausgangslage<br />
■ Unsere bisherige Entwicklung<br />
(Schritte, welche die Schule unternommen hat,<br />
Stolpersteine, Lösungen, Veränderungen für die Kinder)<br />
■ Unsere Perspektiven für die weitere Entwicklung.<br />
3. Die Schule stellt der ausführlichen Darstellung der drei Teile<br />
eine Kurzfassung voran.<br />
Näheres befindet sich in den Bewerbungsmaterialien, die von<br />
der Geschäftsstelle auf Anfrage zugesandt werden.<br />
Einsendeschluss für den Bewerbungsbericht ist der<br />
31. Oktober 2005.