Grundschule aktuell 104
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Heft Nr. <strong>104</strong> • IV. Quartal • November 2008 • Best. Nr. 6039 • D9607F<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. • Niddastraße 52 • 60329 Frankfurt/Main • Tel. 0 69 / 77 60 06 • www.grundschulverband.de
Die neuen Bücher<br />
125 Beiträge zur Reform der <strong>Grundschule</strong><br />
Herbst 2008<br />
Schule außerhalb der Schule<br />
Lehren und Lernen an außerschulischen Orten<br />
Karlheinz Burk,<br />
Marcus Rauterberg,<br />
Gudrun Schönknecht<br />
(Hrsg.)<br />
Wird ein Ort im schulischen Zusammenhang aufgesucht,<br />
wird er zu einem schulischen Lern- oder<br />
Lehrort, zur »Schule außerhalb der Schule«. Gründe,<br />
solche Orte aufzusuchen, liegen vor allem in den<br />
besonderen Möglichkeiten, die sie bieten.<br />
Ob dabei auch inhaltlich und methodisch offener<br />
und anders gelernt und gearbeitet wird als in der<br />
Schule, ist auch abhängig von der didaktischen<br />
Vorbereitung der Klasse, der Lehrerin oder des<br />
Lehrers sowie von den pädagogisch-didaktischen<br />
Angeboten und Programmen vor Ort.<br />
Von solchen Orten, den Begründungen, solche<br />
Orte aufzusuchen und den Möglichkeiten, dort zu<br />
lehren und zu lernen, ist in diesem Band die Rede.<br />
Es kommen AutorInnen zu Wort, die aus unterschiedlichen<br />
Perspektiven, Erfahrungen und<br />
Überzeugungen schreiben. Diese Vielfalt gibt einen<br />
Eindruck von den mannigfaltigen Möglichkeiten<br />
des Lehrens und Lernens außerhalb der Schule.<br />
Mit CD<br />
Band 125<br />
ISBN 3-930024-97-7<br />
Best.-Nr. 1083<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Dieser Band greift <strong>aktuell</strong>e Forschungs ergebnisse<br />
zum Fremdsprachenunterricht in der <strong>Grundschule</strong><br />
auf. Prinzipien des Lehrens und Lernens von<br />
Fremdsprachen werden beschrieben und durch<br />
Beispiele aus der schulischen Praxis illustriert.<br />
Angesichts der bundesweit mehrheitlich unter richteten<br />
Sprache Englisch beziehen sich viele der Beispiele<br />
auf den Englisch unterricht, aber auch das Konzept<br />
»Lernen in zwei Sprachen« sowie Möglichkeiten<br />
zur Förderung des Sprachbewusstseins durch die<br />
Arbeit mit mehreren Sprachen werden vorgestellt.<br />
Ein besonderer Schwerpunkt dieses Buchs liegt auf<br />
der Ermittlung von Lernständen. Es thematisiert die<br />
Diagnose der mündlichen Fertigkeiten Hören und<br />
Sprechen und regt außerdem dazu an, durch die<br />
Nutzung von Sprachenportfolios die Perspektive der<br />
Kinder einzubeziehen.<br />
Band 126<br />
ISBN 3-930024-98-5<br />
Best.-Nr. 1084<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €
Editorial<br />
»Schweinchenbau«<br />
ist der Spitzname des rosa Gebäudes der Fakultät für Psychologie und<br />
Pädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dort fand an<br />
einem sonnigen Aprilwochenende eine gemeinsame Tagung von Grundschulverband,<br />
Deutscher Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS)<br />
und der Fakultät für Psychologie und Pädagogik der Münchner Universität<br />
statt. Die Vorträge und die Themen der Arbeitsgruppen bilden die Grundlage<br />
für den Themenschwerpunkt dieses Heftes (S. 3 ff.).<br />
»Lernen in Gesprächen und Beziehungen <br />
… aufgrund gemeinsamer Weltbegegnungen und Erfahrungen« sollte das<br />
Zentrum der Tagung sein, so hatte Ute Andresen in der Einladung formuliert.<br />
Und zu Sinn und Zweck hatte sie geschrieben: »Tatkraft und Geduld<br />
der LehrerInnen in der <strong>Grundschule</strong> brauchen immer mal wieder Unterstützung,<br />
Klärung und frische Anregung, damit sie sich ihrer Stärken und schönen<br />
Möglichkeiten neu bewusst werden. Und damit ihnen die tägliche Arbeit mit<br />
den Kindern gelingt und sie befriedigt. Darum diese Tagung.«<br />
Und so war es dann auch: Jeder Vortrag und jede Gruppe hatte eine besondere<br />
Aufgabe. Alles gruppierte sich um eine zentrale Halle, in der man<br />
sich treffen, essen und trinken, plaudern, diskutieren und kennen lernen<br />
konnte.<br />
»Thüringer Bildungsplan«<br />
Den Vortrag von Horst Bartnitzky bei der Auftaktveranstaltung zum<br />
»Thüringer Bildungsplan« dokumentieren wir ab Seite 25. Auch hier geht<br />
es darum, »wie aus Erfahrung Sprache wird«: »Lesen, Schreiben und Rechnen<br />
beginnen bei Kindern weit vor der Einschulung. Umgang mit Schrift ist<br />
nicht für die Schule reserviert, wie das früher gedacht war. Überhaupt nichts<br />
ist für die Schule reserviert, was Kinder schon vor der Schulzeit interessiert und<br />
woran sie arbeiten. Der Bildungsprozess ist nicht in Abteilungen trennbar: hier<br />
Kita, da Schule.« Und: »Schulfähigkeit ist die Kindfähigkeit der Schule.«<br />
»Grundschulgeschichte(n)«<br />
Unsere in Heft 102 begonnene Reihe unter diesem Titel setzen wir mit<br />
einem Text von Hans Brügelmann fort. Diesmal also keine »Grundschulgeschichte«<br />
über jemanden, sondern ein Stück Grundschulgeschichte<br />
von einem nach wie vor Beteiligten, passend zum Schwerpunkt unseres<br />
Heftes: »Mein Weg zum Spracherfahrungsansatz« (S. 23 f).<br />
Ulrich Hecker<br />
Impressum<br />
, die Zeitschrift des Grundschulverbandes erscheint<br />
viertel jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.<br />
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Das einzelne Heft kostet 5 €;<br />
für Mitglieder und bei Sammelbestellungen ab 10 Hefte 3 € (incl. Versand).<br />
Verlag: Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80;<br />
Internet: www.grundschulverband.de, E-Mail: info@grundschulverband.de<br />
Herausgeber: Horst Bartnitzky (für den Vorstand des Grundschulverbandes)<br />
Redaktion: Ulrich Hecker, Hülsdonker Str. 64, 47441 Moers, Tel. 0 28 41 / 2 17 14,<br />
E-Mail: ulrichhecker@aol.com<br />
Fotos: Ulrich Hecker (S. 5 und 7) sowie jeweilige Autor/innen<br />
Titel: Katharina Ritter, designritter GRAFIKDESIGNKOMMUNIKATION, 38550 Isenbüttel,<br />
kontakt@designritter.de<br />
Herstellung: novuprint Agentur für Mediendesign, Werbung, Publikationen GmbH,<br />
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Anzeigenverwaltung: Claudia Klinger, Verlagsgruppe Beltz, Tel. 0 62 01 / 6 00 73 86,<br />
Fax 0 62 01 / 6 00 73 93<br />
Druck: Druck Partner Rübelmann, 69502 Hemsbach<br />
ISSN 1860-8604<br />
Beilagen: »Eine Welt in der Schule« als ständige Beilage sowie eine Beilage des<br />
Oldenbourg Schulbuchverlags<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
1
Tagebuch<br />
Zurückgeblättert und vorausgedacht<br />
Prof. Richard Meier<br />
10 Jahre Volksschullehrer,<br />
35 Jahre Lehrerbildung,<br />
Mitbegründer<br />
des »Arbeitskreises<br />
<strong>Grundschule</strong>«, zentrales<br />
Thema: konstruktive<br />
Antwort auf die Unterschiedlichkeit<br />
der Kinder<br />
Der in zehnjähriger Folge im Jahr 2009 geplante<br />
Bundesgrundschulkongress ist dem Leitthema<br />
gewidmet: »Allen Kindern gerecht werden.«<br />
An dieser umfassenden Zielsetzung orientiert,<br />
scheint es mir sinnvoll, die Entwicklung und<br />
Arbeit des Arbeitskreises <strong>Grundschule</strong> (heute<br />
Grundschulverband) aus seinen Anfängen heraus<br />
zu skizzieren, um von der heutigen Situation der<br />
<strong>Grundschule</strong> ausgehend, die notwendige weitere<br />
Entwicklung zu bedenken.<br />
Zurückgeblättert<br />
1964-67 Die Volksschule wird aufgelöst, eine eigenständige<br />
<strong>Grundschule</strong> (auch Primarstufe genannt) und eine<br />
Hauptschule als eine der drei weiterführenden Schulen<br />
der Sekundarstufe entstehen. Damals besuchten noch<br />
zwischen 65 % und 78 % der Schülerinnen und Schüler<br />
nach der <strong>Grundschule</strong> die Hauptschule.<br />
1966 Erwin Schwartz wird auf die erste Professur für<br />
»Schulpädagogik und Didaktik der Primarstufe« an der<br />
Universität Frankfurt berufen. Mit Kurt Warwel, dem<br />
Lese fachmann zusammen, baut er das Institut auf.<br />
1968 Das Institut wächst personell und sachlich durch die<br />
Zuständigkeit für den Studiengang »Lehramt an <strong>Grundschule</strong>n«.<br />
Im Sommer 1968 gründet Erwin Schwartz mit<br />
uns »Grundschulleuten« den Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>.<br />
Die Zeitschrift »<strong>Grundschule</strong>« erscheint als Beiheft zu<br />
»Westermanns Pädagogische Beiträge«. Wir beginnen mit<br />
den Vorbereitungen für den ersten Grundschulkongress.<br />
Jeden Montag stürmt Erwin Schwartz mit seiner schwarzen<br />
Mappe das Institut und verteilt Aufgaben.<br />
1969 Die Resonanz auf die Ankündigung des Kongresses<br />
ist überwältigend. Wir organisieren zusätzliche Tagungsräume<br />
in der Universität, eine Ausstellung entsteht in der<br />
Mensa, für die Auftakt- und Schlussveranstaltung wird<br />
das größte Gebäude auf dem Messegelände angemietet.<br />
Zahlreiche Arbeitsgruppen tagen, aus der Generation von<br />
Erwin Schwartz gestalten Fachleute wie Ilse Lichtenstein-Rother,<br />
Jakob Muth, Walter Jeziorsky Vorträge<br />
und Seminare, die nächste Generation gewinnt Profil.<br />
1969 erscheinen als Ergebnis dieses ersten, bundesweiten<br />
Kongresses die drei ersten Bände der blau-weißen Reihe.<br />
Ihre drei Titel<br />
n Begabung und Lernen im Kindesalter<br />
n Ausgleichende Erziehung in der <strong>Grundschule</strong><br />
n Inhalte grundlegender Bildung<br />
sind programmatische Säulen, die auch heute ihre Gültigkeit<br />
haben.<br />
Mit Peter Heyer bin ich der Auffassung, dass es sich lohnt<br />
zu untersuchen, welche in den drei Bänden niedergelegten<br />
Forderungen und Ansätze heute noch <strong>aktuell</strong> und<br />
dringend sind. Ich bin mir sicher, viele der damaligen Forderungen<br />
und Ansätze werden auch heute noch Bestand<br />
haben.<br />
Von 1969 bis heute Seit diesen Jahren bis heute wurden<br />
durch Initiative des Grundschulverbandes zahlreiche Landeskongresse,<br />
Fachtagungen, Seminare, Tagungen mit<br />
politischem Hintergrund und zentrale Grundschulkongresse<br />
veranstaltet. Ihr Ertrag steht in den blau-weißen<br />
Bänden und anderen Veröffentlichungen zur Verfügung. In<br />
Verbindung mit dem Grundschulverband wie in anderen<br />
Initiativen machen sich seit diesem Beginn zahlreiche<br />
Fachgruppen, Kollegien, engagierte Frauen und Männer<br />
in allen Ländern der Bundesrepublik auf, die <strong>Grundschule</strong><br />
anders und neu zu gestalten. Selbst »Die Zeit« stellt in<br />
einer ihrer neuesten Ausgaben fest, dass die <strong>Grundschule</strong><br />
die dem Heute mit seinen Notwendigkeiten am weitesten<br />
entsprechende Schule ist.<br />
Vorausgedacht<br />
Die Zielsetzung, die Forderung »Allen Kindern gerecht werden«<br />
greift gesellschaftlich weit, ist sozial gerecht und<br />
stellt an uns in der <strong>Grundschule</strong> hohe Anforderungen.<br />
Ich bin entschieden der Auffassung, dass wir heute in<br />
der Lage sind, diese Weiterentwicklung der <strong>Grundschule</strong><br />
in einem vor allem mental anstrengenden und politisch<br />
schwierigen Schritt zu leisten. Durch den Ertrag der gemeinsamen<br />
Entwicklungsarbeit über nun vierzig Jahre,<br />
vor allem durch die große Zahl der engagierten Menschen,<br />
steht uns ein reicher Bestand an wirksamen Mitteln,<br />
Wegen und Auffassungen zur Verfügung. Dieser Bestand<br />
macht es möglich, mit den Schülerinnen und Schülern<br />
und vor allem durch sie eine integrative Situation zu gestalten,<br />
in der gemeinsames Gestalten und individuelles<br />
Lernen den Kindern die Lernwege bietet, die sie von ihrer<br />
Lebenslage und <strong>aktuell</strong>en Befindlichkeit aus erfolgreich<br />
gehen können.<br />
Richard Meier<br />
2 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Spracherfahrungsansatz – was könnte das sein?<br />
von Ute Andresen und Angelika Speck-Hamdan<br />
Die Tagungen und Jahrbücher der<br />
»Deutschen Gesellschaft für Lesen und<br />
Schreiben (DGLS)« waren maßgeblich<br />
daran beteiligt, dem Schriftspracherwerb<br />
mit Hilfe von Fibel und Lesebuch<br />
andere Möglichkeiten gegenüberzustellen.<br />
Sie wurden im Rahmen »Offenen<br />
Unterrichts« bzw. als »Spracherfahrungsansatz«<br />
in der Praxis der<br />
<strong>Grundschule</strong>n populär. Inzwischen hat<br />
sich die Idee eines Schreib- und Leseunterrichts<br />
anhand der eigenen Texte<br />
der Kinder in vielen Schulen etabliert.<br />
Zieht man eine Bilanz dieser Veränderungen,<br />
zeigen sich neben der ohne<br />
Zweifel erfreulichen Wertschätzung<br />
der Kindertexte und der Förderung<br />
kindlicher Schreibfreude aber auch<br />
zahlreiche offene Probleme:<br />
(I) Es gibt ungeklärte Fragen und verwirrende<br />
Widersprüche und Missverständnisse<br />
in Bezug auf Ziele, Wege<br />
und Mittel des »Spracherfahrungsansatzes«.<br />
(II) Mit der Institutionalisierung des<br />
Konzepts entstand die dringende Notwendigkeit,<br />
die damit verbundenen<br />
Risi ken, Nebenwirkungen, Verarmungen<br />
und Enttäuschungen zu erkennen<br />
und gegen bloße Chancen und Hoffnungen<br />
genauer abzuwägen. Das wurde<br />
bisher versäumt.<br />
(III) Es gibt eine sehr lange Vorgeschichte<br />
und eine facettenreiche Geschichte<br />
des »Spracherfahrungsansatzes«. Sie<br />
reichen weit hinter die Zeit zurück, zu<br />
der sich seine heute vorherrschende,<br />
materialintensive Ausprägung entwickelte,<br />
und war fruchtbar immer dann,<br />
wenn die Lehrenden die jeweils besondere<br />
Lebenssituation und Erlebnisweise<br />
der Lernenden wahrnehmen und<br />
mündlich und schriftlich, im Schreiben<br />
und Lesen didaktisch akzentuieren<br />
konnten.<br />
(IV) Diese ursprünglich dialogische<br />
und diskursive, an die Erfahrungen und<br />
die Sprache der jeweils anwesenden<br />
Kinder anknüpfende Grundlegung des<br />
Schriftspracherwerbs im »Spracherfahrungsansatz«<br />
ohne vorgefertigtes, der<br />
Situation der Kinder fremdes Material<br />
ist in Deutschland weitgehend vergessen<br />
bzw. niemals wirklich gründlich<br />
wahrgenommen und in die allgemeine<br />
Alltagsmethodik der <strong>Grundschule</strong>n integriert<br />
worden.<br />
(V) Da diese zurzeit an den Rand geratenen<br />
organischen Methoden des<br />
Schriftspracherwerbs unmittelbar in<br />
der praktischen Arbeit mit Kindern<br />
entwickelt worden sind, und zwar gerade<br />
auch mit Kindern aus schul- und<br />
schriftfernem Milieu, können wir darin<br />
sehr wahrscheinlich Hilfe für viele der<br />
Kinder finden, die heute unsere Schulen<br />
durchlaufen, ohne wirklich ausreichend<br />
Lesen und Schreiben zu lernen.<br />
All diese Befunde und Überlegungen<br />
mündeten in den Plan, im Rahmen einer<br />
Tagung die Gelegenheiten, bei denen<br />
Kinder hierzulande mit der Schriftsprache<br />
bekannt und vertraut werden,<br />
möglichst genau wahrzunehmen,<br />
dabei den »Spracherfahrungsansatz«<br />
von seinen Wurzeln her neu zu durchdenken<br />
und Schulbeispiele zu zeigen,<br />
in denen sich für jeweils viele Kinder<br />
gemeinsam Welt- und Spracherfahrungen<br />
bewusst entfalten, vertiefen und<br />
verknüpfen lassen.<br />
Um den Zusammenhang konkreter<br />
Welterfahrung mit mündlicher und<br />
Gestern habe ich<br />
mit Gestern meinem habe Papa ich<br />
Schiffe mit meinem gebaut. Papa<br />
Dann Schiffe haben gebaut. wir sie<br />
schwimmen Dann haben lassen. wir sie<br />
Da schwimmen sind allelassen.<br />
untergegangen.<br />
Da sind alle<br />
Thomas untergegangen.<br />
Thomas<br />
schriftlicher Sprache zu begreifen, bedarf<br />
es in der Schule zunächst greifbarer<br />
Situationen, für deren Inszenierung<br />
die Lehrerin verantwortlich ist. Damit<br />
entstehen oft erst Anlässe und Aufgaben,<br />
sich in der Kindergemeinschaft<br />
mündlich zu verständigen, Erkanntes<br />
und Erlebtes selbst in Worte, auch in<br />
Schriftsprache zu fassen oder bereitliegende<br />
Texte mit persönlichem Interesse<br />
zu lesen.<br />
Im einführenden Referat haben wir<br />
die lange Geschichte des »Spracherfahrungsansatzes«<br />
andeutungsweise<br />
nachgezeichnet und seine Neufassung<br />
vorgeschlagen, akzentuiert durch die<br />
Begriffe »sozial« und »balanciert«. Der<br />
erste erinnert daran, dass individuelle<br />
Sprache, auch Schriftsprache, aus den<br />
Erfahrungen und der Kommunikation<br />
der Kindergemeinschaft lebt. Der<br />
zweite erinnert daran, dass die Sprachentwicklung<br />
und die eigenaktiv konstruktiven<br />
Aktivitäten der Kinder auch<br />
auf instruktive Aktivitäten der Lehrperson<br />
angewiesen sind. In weiteren<br />
Vorträgen und in Arbeitsgruppen wurde<br />
das Anliegen konkretisiert, weiter<br />
verfolgt und mit den Problemstellungen<br />
und Kompetenzen verknüpft, die<br />
die Tagungsteilnehmer – überwiegend<br />
Grundschullehrerinnen – in die Gruppen<br />
und ins Plenum mitbrachten.<br />
Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Schriftspracherwerb braucht die Welt, die Schrift, die Anderen und viele Sprachen<br />
Tagung der Deutschen Gesellschaft für Lesen und Schreiben (DGLS),<br />
der Ludwig-Maximilians-Universität und des Grundschulverbandes<br />
am 11. und 12. April 2008 in München<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
3
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Schriftspracherwerb braucht die Welt,<br />
die Schrift und die Anderen<br />
von Angelika<br />
Speck-Hamdan<br />
Rückblick und Bilanz<br />
Ausgehend von kritischen Überlegungen<br />
zum traditionellen Unterricht im<br />
Lesen und Schreiben haben sich im Verlauf<br />
der letzten zwanzig bis fünfundzwanzig<br />
Jahre in deutschen Schulen die<br />
didaktischen Handlungsmöglichkeiten<br />
im Bereich des Schriftspracherwerbs<br />
wesentlich erweitert.<br />
In die Kritik geriet dabei zunächst<br />
einmal die Fibel als erstes Lesebuch.<br />
Sie gebe den »Takt des Unterrichts,<br />
d. h. Tempo, Text, Methode, Abfolge<br />
der Buchstaben und Form der Übungen<br />
etc.« (Bergk, Meiers 1985, S. 7) 1<br />
vor und führe im schlimmsten Fall<br />
zum »Fibeltrott« (a. a. O.). Sie stelle ein<br />
Hindernis für die Berücksichtigung der<br />
individuellen Lernwege der Kinder dar,<br />
wenn im Zentrum des Unterrichts das<br />
Durchnehmen der Fibel und nicht das<br />
Lernen der Kinder stehe. Diese Kritik<br />
bezog sich in erster Linie auf die Rolle<br />
der Fibel als erstes und oft auch einziges<br />
Buch im Anfangsunterricht. Eine<br />
weitere Kritik bezog sich auf die Fibeln<br />
und ihre Gestaltung selbst. Sie verstünden<br />
es nur unzureichend, an die<br />
Lebenswelt aller Kinder anzuknüpfen.<br />
Für ganze Gruppen von Kindern sei es<br />
nicht möglich, sich in der oft sehr heilen<br />
Fibelwelt wiederzufinden. Zudem<br />
entsprächen die sprachlichen Reduktionen<br />
(Fibel-Dadaismus), die zwangsläufig<br />
auftreten, will man die Progression<br />
des Leselernprozesses abbilden,<br />
nicht dem realen Sprachgebrauch von<br />
Schulanfängern. Man halte sie mehr<br />
oder weniger auch für sprachliche Anfänger.<br />
Eine zweite Diskussionslinie zog sich an<br />
der Frage des Verhältnisses von Lehren<br />
und Lernen entlang. Der traditionellen<br />
Form des Lehrgangs wurde eine Orientierung<br />
am Lernweg bzw. an den Lernwegen<br />
der Kinder gegenübergestellt.<br />
Lehrgänge sind nach sachstrukturellen<br />
Gesichtspunkten aufgebaut; eine klare<br />
Vorstellung von der Progression im<br />
Lernprozess ist ihnen immanent. Die<br />
Beobachtung der Vielfalt kindlicher<br />
Lernprozesse aber wirft die Frage nach<br />
der Angemessenheit eines mehr oder<br />
weniger gleichschrittigen Lehrgangs<br />
auf, zumal Kinder in der Schule nicht<br />
auf demselben Niveau ihrer Fähigkeiten<br />
starten. Eine Orientierung an den<br />
Lernwegen der Kinder bedeutet also, an<br />
ihren Erfahrungen und Kompetenzen<br />
anzuknüpfen und ihre Such- und Lernprozesse<br />
in Richtung auf das Ziel des<br />
Lesenkönnens zu unterstützen. Eine<br />
methodische Umsetzung dieser Grundidee<br />
findet sich in solchen Ansätzen,<br />
die als »offener Schriftspracherwerb«<br />
oder als »Spracherfahrungsansatz«<br />
beschrieben werden. 2 Ihnen ist eigen,<br />
nicht von vorgegebenen Fibeltexten,<br />
sondern von den eigenen Texten der<br />
Kinder auszugehen. Dazu gibt es wieder<br />
unterschiedliche Herangehensweisen<br />
wie beispielsweise das Drucken<br />
im Anfangsunterricht nach Freinet,<br />
das eigene Verschriften mithilfe einer<br />
Anlauttabelle oder das Erstellen einer<br />
Eigenfibel nach dem Diktat der Kinder.<br />
Betont wird in erster Linie die aktive<br />
Rolle der Kinder beim Lernen.<br />
Der didaktischen Hinwendung von den<br />
in einer Fibel vorgezeichneten Lehrprozessen<br />
hin zu den Lernprozessen der<br />
Kinder lief eine Entwicklung in der Forschung<br />
parallel, die einen neuen Blick<br />
auf die Lern- und Entwicklungsprozesse<br />
selbst nahe legte. 3 Lesen- und<br />
Schreibenlernen werden als Prozesse<br />
aufgefasst, die von den Kindern als<br />
Lernenden – als aktive Konstrukteure<br />
ihrer Erfahrung – selbst gesteuert werden.<br />
Einen großen Einfluss hatten die<br />
in diesem Zusammenhang entworfenen<br />
Entwicklungsmodelle (von Frith,<br />
K. B. Günther, Spitta und Valtin zum<br />
Beispiel) 4 . Sie beschreiben den Prozess<br />
der Entwicklung zum entfalteten<br />
Lesen und Schreiben als Problemlösen<br />
auf qualitativ fortschreitenden Niveaustufen.<br />
Sie sind nicht als didaktische<br />
Modelle konzipiert worden und haben<br />
dennoch auf die Didaktik einen nicht<br />
zu unterschätzenden Einfluss gehabt.<br />
Die Modelle dienen als Folie für diagnostische<br />
Beobachtungen, wie sie in<br />
offenen Formen des Schriftspracherwerbs<br />
als unerlässlich gelten, um geeignete<br />
Anreize zum Weiterlernen zur<br />
Verfügung stellen zu können. Mit ihrer<br />
Hilfe soll individuelle Unterstützung<br />
geplant werden.<br />
Zieht man nun eine Bilanz dieser Veränderungen,<br />
wird man konstatieren<br />
müssen, dass der Blick auf die Lernprozesse<br />
der Kinder ohne Zweifel einen<br />
großen Gewinn darstellt. Man<br />
wird aber ebenso zugestehen müssen,<br />
dass es in Bezug auf das Verständnis<br />
und die Umsetzung des Spracherfahrungsansatzes<br />
auch Probleme gibt.<br />
Das hängt nicht zuletzt damit zusammen,<br />
dass der Begriff des Spracherfahrungsansatzes<br />
als Sammelbegriff<br />
für sehr viele verschiedene Ansätze<br />
gebraucht wird und somit weitgehend<br />
ungeklärt ist. Diese Unklarheit<br />
ist mit dafür verantwortlich, dass die<br />
empirischen Befunde zur Wirksamkeit<br />
eines offenen Schriftsprach erwerbs<br />
nicht eindeutig sind. Ebenso wenig<br />
wie es »den geschlossenen Unterricht«<br />
gibt, gibt es »den geöffneten Unterricht«<br />
oder »den Unterricht nach dem<br />
Spracherfahrungsansatz«. Daher sind<br />
generelle Vergleiche von mehr oder weniger<br />
offenen Verfahren mit mehr oder<br />
weniger geschlossenen Verfahren so<br />
schwierig. Die empirische Befund lage<br />
ist keineswegs zufriedenstellend. 5 Es<br />
gibt aber Hinweise, die nahelegen, sehr<br />
viel genauer hinzusehen und auf die so<br />
genannten Mikroprozesse des Unterrichts<br />
zu achten. Es gibt auch Hinweise<br />
darauf, dass je nach Lernvoraussetzung<br />
eine andere Art des Unterrichts<br />
angemessen ist.<br />
Was ist nun der<br />
Spracherfahrungsansatz?<br />
Der Begriff des Spracherfahrungsansatzes<br />
ist eine Übernahme des englischen<br />
Begriffs »Language Experience<br />
Approach« (LEA), der zurückgeht auf<br />
4 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Lamoreaux und Lee 6 sowie Lee und<br />
Allen 7 , die ihn in den vierziger Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts wohl zum<br />
ersten Mal in dieser Form verwendet<br />
haben (siehe Beitrag Ute Andresen).<br />
Er wird von ihnen in vier markanten<br />
Grundsätzen zusammengefasst:<br />
n What I think about, I can talk<br />
about.<br />
n What I say, I can write (or someone<br />
can write for me).<br />
n What I can write, I can read (and<br />
others can read, too).<br />
n I can read what I have written, and<br />
I can also read what other people<br />
have written for me to read. 8<br />
Hier wird eindeutig auf den Zusammenhang<br />
zwischen Denken, Sprechen,<br />
Lesen und Schreiben verwiesen, also<br />
auf den Zusammenhang zwischen<br />
Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Dieser<br />
Zusammenhang ist in der Sache<br />
nicht so unkompliziert, wie es die<br />
Grundsätze nahelegen; gleichwohl ist<br />
in der beschriebenen Abfolge ein Weg<br />
vorgezeichnet, der didaktisch schlüssig<br />
ist und alle Ansätze eint, die sich<br />
im weitesten Sinn hierzulande auf den<br />
Spracherfahrungsansatz berufen. Er<br />
baut auf dem Grundgedanken einer<br />
funktionalen Verwendung der Sprache<br />
bzw. Schriftsprache auf. Die Schrift<br />
wird als Mittel in Aussicht gestellt,<br />
zum einen Gedachtes und Erfahrenes<br />
zu fixieren und zu »verdauern«<br />
(Ehlich 1994) 9 , damit die Flüchtigkeit<br />
des Sprechens zu überwinden und<br />
der Kommunikation über Raum und<br />
Zeit hinweg zugänglich zu machen,<br />
und zum anderen, an den Gedanken<br />
und Erfahrungen anderer teilzuhaben.<br />
Den Ausgangspunkt bildet das eigene<br />
Denken, die Beschäftigung mit den<br />
Dingen, die subjektiv von Belang sind.<br />
Was beschäftigt mich? Worüber möchte<br />
ich sprechen? Was davon möchte ich<br />
festhalten, zunächst in gesprochenen<br />
Worten, dann auch in Schrift? Die Motivation<br />
der Lernerinnen und Lerner ist<br />
sozusagen der Motor für die notwendigen,<br />
bisweilen mühseligen Lernprozesse.<br />
Folgerichtig beginnt der Lernprozess<br />
beim Schreiben; dafür hat sich der<br />
Begriff »Verschriften« in der Didaktik<br />
eingebürgert. Ein Text wird verfasst,<br />
der die Gedanken des Lernenden festhält.<br />
Die Inhalte sind nicht vorgegeben.<br />
Deshalb gibt es weder eine festgelegte<br />
Reihenfolge der zu erarbeitenden<br />
Buchstaben noch eine Liste festgelegter<br />
Wörter oder Sätze. Der gesamte<br />
Bestand an Schriftzeichen wird zur<br />
Verfügung gestellt; dies geschieht<br />
meist in Form einer Lauttabelle. Jedes<br />
Kind bzw. jede/r Lernende arbeitet an<br />
den Wörtern und Sätzen, die ihm / ihr<br />
bedeutsam sind. Dadurch ist es möglich,<br />
Lernprozesse zu individualisieren.<br />
Ein weiteres Prinzip des Spracherfahrungsansatzes<br />
ist seine Fehlertoleranz.<br />
Damit ist eine Haltung angesprochen,<br />
die die zwangsläufig auftretenden orthografischen<br />
Fehler beim ersten Verschriften<br />
als Schritte in der Annäherung<br />
an die Konvention der Rechtschreibung<br />
zu interpretieren sucht und deshalb<br />
äußerst zurückhaltend korrigiert. Jedes<br />
dieser idealtypischen Elemente des<br />
Spracherfahrungsansatzes ließ sich<br />
kognitionspsychologisch schon vor<br />
23 Jahren begründen 10 und hält auch<br />
der konstruktivistischen Auffassung<br />
vom Lernen stand. Lernende konstruieren<br />
sich die Schrift auf je individuelle<br />
Art und Weise, abhängig vom jeweiligen<br />
Vorwissen und von den Erfahrungsmöglichkeiten<br />
mit der Schrift. 11<br />
Aber jedes dieser Elemente enthält<br />
auch genügend Potenzial für Unsicherheiten,<br />
Missverständnisse und<br />
Vereinseitigungen. Der Grundsatz des<br />
eigenen Textes wirft beispielsweise die<br />
Frage auf, ob wirklich jedes Kind einen<br />
individuellen Text zu Papier bringen<br />
muss, oder ob es sich nicht auch um<br />
einen gemeinsam mit der Lehrperson<br />
formulierten Text handeln kann. Der<br />
Grundsatz der inhaltlichen Freiheit<br />
stößt an ähnliche Grenzen. Ein eigenes<br />
Kapitel sind die verwendeten Laut- oder<br />
Anlauttabellen, die bereits vielfach in<br />
der Fachwelt kritisiert wurden. 12 Abgesehen<br />
von diesen eher sprachwissenschaftlichen<br />
bzw. sprachheilpädagogischen<br />
Bedenken muss auch in Betracht<br />
gezogen werden, dass die Kompetenz,<br />
eine solche Tabelle zu benutzen, an sich<br />
schon hoch komplex ist. Der Schlüssel<br />
für den Schriftspracherwerb – nämlich<br />
die Einsicht in den Zusammenhang<br />
zwischen Lautsprache und Schrift, in<br />
die Entsprechung von Laut und Buchstabe<br />
– wird bereits vorausgesetzt. Um<br />
sie anzubahnen, ist in der Regel auch<br />
Instruktion notwendig, was an und für<br />
sich kein Problem darstellt, aber oft<br />
gar nicht thematisiert oder manchmal<br />
auch schlicht unterlassen wird. Die<br />
größte Verunsicherung aber löst die<br />
Forderung der Fehlertoleranz aus. Darf<br />
nun gar nichts mehr korrigiert werden?<br />
Ab wann darf korrigiert werden? Wenn<br />
Fehler als notwendige Schritte auf dem<br />
Weg zur richtigen Schreibung betrachtet<br />
werden sollen, dann müssen sie<br />
auch thematisiert werden, selbstverständlich<br />
in konstruktiver Weise, so<br />
dass Kinder nicht entmutigt werden<br />
und hilfreiche Unterstützung zum Aufbau<br />
effektiver Rechtschreibstrategien<br />
erhalten. Wird der Grundsatz der Individualisierung<br />
verabsolutiert, besteht<br />
die Gefahr, dass die Kindergruppe bzw.<br />
die Klasse als Anregungs- und Kommunikationsgemeinschaft<br />
übersehen<br />
wird. Um das individuelle Lernen zu<br />
unterstützen und in einer Klasse organisieren<br />
zu können, wird oft auf eine<br />
Fülle von Material zurückgegriffen, das<br />
mittlerweile auch nicht mehr selbst<br />
gefertigt werden muss, sondern in<br />
ansprechender, oft geradezu verführerischer<br />
Qualität von Verlagen zur Verfügung<br />
gestellt wird. Der Terminus des<br />
»materialgeleiteten Lernens«, der sich<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
5
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
in manchen didaktischen Texten findet,<br />
ist verräterisch: Soll das Material<br />
die Leitung der Lernprozesse übernehmen?<br />
Mutet man hier nicht dem Material<br />
etwas viel zu? Kann Material die<br />
wichtige Funktion des Impulsgebens<br />
oder des Aushandelns von Bedeutungen<br />
übernehmen?<br />
Um die Anforderung und Leistung des<br />
Verschriftens angemessen einschätzen<br />
zu können, ist es hilfreich, das<br />
Verhältnis von Sprechen und Schreiben<br />
etwas näher zu beleuchten. Beides<br />
sind Äußerungen, mündlich oder<br />
schriftlich. Beim Sprechen wird Sprache<br />
produziert, beim Schreiben Schrift<br />
bzw. schriftliche Sprache, die sich von<br />
mündlicher Sprache allerdings mehrfach<br />
unterscheidet. »Das schriftliche<br />
ist … keine einfache Übersetzung des<br />
mündlichen Sprechens in Schriftzeichen,<br />
und das Erlernen der Schriftsprache<br />
ist nicht einfach Aneignung<br />
der Schreibtechnik« (Vygotskij 2002,<br />
S. 313) 13 . Mit der höheren Abstraktheit<br />
des »schriftlichen Sprechens« und der<br />
gegenüber dem mündlichen Sprechen<br />
weniger zwingenden Motivation hängt<br />
eine andere, eine »freiere« Beziehung<br />
zur Situation sowie eine andere, eine<br />
stärkere Bewusstheit der Handlung<br />
zusammen, so Vygotskij 14 . Das Erfordernis<br />
einer doppelten Abstraktion<br />
(von der Lautseite des Sprechens und<br />
vom Gesprächspartner) führt zu einer<br />
ungleich schwierigeren Herausforderung,<br />
als sie das mündliche Sprechen<br />
stellt. »Es ist natürlich, dass das<br />
Sprechen ohne reale Laute, das nur<br />
gedacht und vorgestellt wird, und das<br />
eine Symbolisierung der Lautsymbole,<br />
d. h. eine Symbolisierung zweiter Ordnung<br />
erfordert, in dem gleichen Maße<br />
schwerer sein muss als das mündliche<br />
Sprechen, wie Algebra für das Kind<br />
schwerer ist als Arithmetik. Schreiben<br />
ist die Algebra des Sprechens. Und genau<br />
so, wie die Aneignung der Algebra<br />
nicht das Erlernen der Arithmetik wiederholt,<br />
sondern eine neue und höhere<br />
Entwicklungsebene des abstrakten<br />
mathematischen Denkens darstellt,<br />
die das bereits herausgebildete arithmetische<br />
Denken umgestaltet und auf<br />
eine höhere Ebene hebt, so führt die<br />
Algebra des Sprechens, das schriftliche<br />
Sprechen, das Kind in die höhere und<br />
abstrakte Ebene des Sprechens ein,<br />
und gestaltet dadurch auch das bereits<br />
ausgebildete psychische System des<br />
mündlichen Sprechens um« (a. a. O.,<br />
S. 315). Für H. Günther entsteht aus<br />
der Unterschiedlichkeit von Schriftlichkeit<br />
und Mündlichkeit ein »Paradoxon<br />
des Schriftspracherwerbs« 15 . Das<br />
Kind muss sich, um die Schriftsprache<br />
zu erwerben, die Struktur der Sprache<br />
bewusst machen, wofür die Schrift ein<br />
geeignetes Modell darstellt, die ihm<br />
aber zunächst noch nicht zur Verfügung<br />
steht. Durch ständige Übung an<br />
der Schrift erweitert es seine Einsicht<br />
in die Sprache und erwirbt schließlich<br />
mit der Schrift auch einen neuen Einblick<br />
in die Struktur der mündlichen<br />
Sprache. Der vielfältige Gebrauch der<br />
Schrift hilft ihm dabei.<br />
Beim Schriftspacherwerb geschieht<br />
mehr als die Übersetzung von mündlicher<br />
in schriftliche Sprache. Es wird<br />
eine neue Sprache erworben, die sich in<br />
ihrer Struktur von der mündlichen Sprache<br />
unterscheidet. Genau daran wollen<br />
Lee u. a. (siehe Beitrag Ute Andre sen)<br />
beim Verfassen der »coopoerative experience<br />
charts« arbeiten. Durch den<br />
Schriftspracherwerb verändert sich<br />
das Verhältnis zur Sprache; sie wird<br />
bewusst verfügbar. Dieser qualitative<br />
Sprung wird in den Grundsätzen von<br />
Lee und Allen nicht angesprochen,<br />
muss aber mitgedacht werden, wenn<br />
es um die konkrete didaktische Umsetzung<br />
geht. So ist das Aufschreiben<br />
eines gemeinsam formulierten Satzes<br />
oder auch nur eines Wortes bereits als<br />
solche Übung zu verstehen, die Sprache<br />
sichtbar macht. Beim Aufschreiben<br />
aber wird bereits klar, dass es sich um<br />
eine andere Art des Sprechens handelt.<br />
Zur Rolle der Lehrperson und<br />
der Gruppe der Lernenden<br />
Wie die Recherchen zu den Anfängen<br />
des Spracherfahrungsansatzes gezeigt<br />
haben, ist ursprünglich der unterrichtliche<br />
Ausgangspunkt für das Lernen ein<br />
Text, in den die Erfahrungen der Kinder<br />
eingegangen sind, bestehend aus Wörtern,<br />
die von den Kindern gekommen<br />
sind. Er ist das Produkt einer gemeinsamen<br />
Arbeit, angeleitet von der Lehrerin,<br />
die schreibt, was die Kinder ihr<br />
sagen. In der neueren deutschen Adaption<br />
des Ansatzes scheint oft einer individuellen<br />
Arbeit der Vorzug gegeben<br />
zu werden. Jedes Kind verschriftet für<br />
sich. Die Rolle der Lehrperson wird in<br />
der Regel als sehr zurückhaltend beschrieben.<br />
Es wird von Bereitstellung,<br />
Beobachtung, Begleitung und allenfalls<br />
von Unterstützung gesprochen.<br />
Was aber genau kann denn die Rolle<br />
einer Lehrperson sein, die Kinder begleitet<br />
und unterstützt?<br />
Eine maßgebliche Rolle für das Lernen<br />
spielen aber nach sozialkonstruktivistischer<br />
Sicht, die sich im Wesentlichen<br />
auf Vygotskij stützt, der soziale Kontext<br />
und authentische kulturelle Praktiken.<br />
Indem das Kind an diesen Praktiken<br />
teilnimmt und mit kompetenten<br />
Anderen in einen Dialog eintritt, erweitert<br />
es seine eigenen Möglichkeiten. Es<br />
nimmt die Impulse und Stimulationen<br />
auf und verwendet sie im Sinne der<br />
eigenen Entwicklung. Sowohl die Lehrperson<br />
als auch andere Kinder können<br />
diese Rolle als kompetente Andere einnehmen.<br />
Entscheidend ist die Zusammenarbeit,<br />
die gemeinsame und auf<br />
Einigung gerichtete Suche nach Lösungen.<br />
Dies geschieht im Dialog und im<br />
gemeinsamen Handeln.<br />
Geht man davon aus, dass in den Texten<br />
die Erfahrungen der Kinder eingefangen<br />
werden, so muss es die erste Aufgabe<br />
der Lehrperson sein, den Erfahrungen<br />
der Kinder in einem Gespräch<br />
Raum zu geben. In einem mündlichen<br />
Gespräch, in dem Worte für das Erlebte<br />
gefunden und geklärt werden, in dem<br />
das Wichtige unterschieden wird vom<br />
weniger Wichtigen und in dem schließlich<br />
entschieden wird, was sich eignet,<br />
aufgeschrieben zu werden. Dieses Gespräch<br />
kann in der Gruppe, aber auch<br />
im Dialog zwischen Lehrperson und<br />
einem Kind geführt werden. Es unterstützt<br />
die Herauslösung der Erfahrung<br />
aus dem Kontext einerseits und die<br />
Übertragung in ein Symbolsystem,<br />
zunächst erster und dann auch zweiter<br />
Ordnung, wenn eine schriftlich zu<br />
fixierende Formulierung gesucht wird,<br />
andererseits. Die dialogische Struktur<br />
ist der Träger für diese wichtige Etappe.<br />
Die Lehrperson, der die Strukturen<br />
der geschriebenen Sprache bewusst<br />
sind, kann die richtigen Impulse geben,<br />
die richtigen Fragen stellen, um die<br />
eigenaktiven Lernprozesse der Kinder<br />
anzuregen. Sie handelt dabei mit dem<br />
Kind in der »Zone der nächsten Entwicklung«<br />
(Vygotskij 2002, S. 331 f.) 16 .<br />
6 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Didaktisches Handeln soll in diesem<br />
Sinn der Entwicklung stets vorauseilen<br />
und sie nach sich ziehen. Der Lehrperson<br />
kommt also eine nicht zu unterschätzende<br />
Rolle zu: Sie wird zum Dialogpartner<br />
des Kindes und bringt mit<br />
ihm zusammen die Entwicklung voran.<br />
Das gelingt ihr, indem sie das Kind sehr<br />
genau beobachtet und eine klare Vorstellung<br />
davon hat, was der nächste<br />
Schritt in der Entwicklung sein kann.<br />
Dazu können ihr die Entwicklungsmodelle<br />
Anhaltspunkte geben. Sie geben<br />
die Richtung an, in die ein Hinweis,<br />
eine Frage oder eine kleine Hilfestellung<br />
gegeben wird. Der auf Wood 17<br />
zurückgehende Begriff des Scaffolding<br />
beschriebt dies anschaulich: Ein Gerüst<br />
wird errichtet, um es später, wenn der<br />
Bau die angestrebte Form angenommen<br />
hat, wieder abbauen zu können.<br />
Überträgt man diese Metapher auf den<br />
pädagogischen Kontext, bedeutet dies,<br />
dass der Erwachsene sich in der Interaktion<br />
sensibel an die Fähigkeiten des<br />
Kindes anpasst, dann – wo nötig – Unterstützung<br />
und Hilfestellung leistet,<br />
also ein Gerüst baut, um dem Kind die<br />
Lösung von Aufgaben zu ermöglichen,<br />
die etwas über die <strong>aktuell</strong>en Fähigkeiten<br />
hinausreichen. Agiert das Kind<br />
schließlich sicher, kann der Erwachsene<br />
sich mehr und mehr zurücknehmen.<br />
In der Phase des Ausprobierens und<br />
Probehandelns aber ist der Erwachsene<br />
als Dialogpartner in hohem Maß aktiv<br />
und involviert.<br />
Der Dialog kann auch erweitert werden<br />
zum Gruppengespräch. So können<br />
sich die Erfahrungen mehrerer Kinder<br />
verdichten zu einem gemeinsamen<br />
Text, den alle als den ihren empfinden.<br />
Dadurch, dass viele Ideen und viele<br />
Überlegungen in diesen gemeinsamen<br />
Text einfließen, erhalten alle Kinder die<br />
Gelegenheit, an den Gedanken der übrigen<br />
Kinder teilzuhaben. Es entsteht<br />
ein Raum für ko-konstruktive Prozesse,<br />
die dadurch gekennzeichnet sind, dass<br />
sich die Beteiligten ihre Denkmodelle<br />
gegenseitig zur Verfügung stellen, sich<br />
über mögliche Lösungen austauschen<br />
und so voneinander lernen. Kinder lernen<br />
auf diese Weise nicht nur neue Begriffe<br />
und Wörter, sie lernen auch verschiedene<br />
Perspektiven auf ein- und<br />
denselben Gegenstand kennen.<br />
Der Text kann nun vom Kind selbst geschrieben<br />
werden, er kann aber auch<br />
von der Lehrperson vor den Augen<br />
des Kindes / der Kinder aufgeschrieben<br />
werden. Auf diese Weise wandert<br />
das Gesprochene sichtbar in die<br />
Schrift und ermöglicht den Kindern,<br />
den Prozess des Verschriftens erst einmal<br />
mental nachzuvollziehen, um ihn<br />
dann anschließend auch selbsttätig zu<br />
versuchen. Entscheidend für die Idee<br />
eines wieder neu gedachten Spracherfahrungsansatzes<br />
ist die Bindung des<br />
Textes an die Erfahrung der Kinder, die<br />
über den Dialog stattfindet.<br />
Prof. Dr. Angelika Speck-Hamdan,<br />
Professorin für Grundschulpädagogik<br />
und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität,<br />
im Grundschulverband<br />
Referentin für Bildungsgerechtigkeit,<br />
Vorstandsmitglied im<br />
Pestalozzi-Fröbel-Verband, befasst<br />
sich u. a. mit dem Übergang vom<br />
Elementar- in den Primarbereich,<br />
mit dem Schriftspracherwerb von<br />
Kindern und Erwachsenen sowie mit<br />
Fragen der interkulturellen Bildung<br />
Anmerkungen<br />
1 Bergk, M./ Meiers, K. (1985) (Hrsg.): Schulanfang ohne Fibeltrott.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt.<br />
2 Dargestellt in: Brügelmann, H. (1983): Kinder auf dem Weg zur Schrift.<br />
Eine Fibel für Lehrer und Laien. Konstanz: Faude 1983, S. 174 – 182 und<br />
Scheerer-Neumann, G. (1985): Freiheit und Systematik im Spracherfahrungsansatz.<br />
In: Bergk, M. / Meiers, K. (Hrsg.): Schulanfang ohne Fibeltrott.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 179 – 188<br />
3 Zusammenfassend: Schneider, W. / Brügelmann, H. / Kochan, B. (1990):<br />
Lesen- und Schreibenlernen in neuer Sicht: Vier Perspektiven auf den Stand der<br />
Forschung. In: Brügelmann, H. / Balhorn, H. (Hrsg.): Das Gehirn, sein Alfabet<br />
und andere Geschichten. Konstanz: Faude. S. 220 – 234<br />
4 Zusammenfassend und resümierend: Scheerer-Neumann, G. (1998): Stufenmodelle<br />
des Schriftspracherwerbs – Wo stehen wir heute? In: Balhorn, H. /<br />
Bartnitzky, H./ Büchner, I. / Speck-Hamdan, A. (Hrsg.): Schatzkiste Sprache<br />
1. Von den Wegen der Kinder in die Schrift. Frankfurt: Grundschulverband.<br />
S. 54 – 62<br />
5 näher dazu: Schründer-Lenzen, A. (2004): Schriftspracherwerb und Unterricht.<br />
Opladen: Leske + Budrich, S.133 ff<br />
6 Lamoreaux, Lillian A. / Lee, Dorris M.: Learning to Read through Experience.<br />
New York / London 1943<br />
7 Lee, Dorris M. / Allen, R. V.: Learning to Read through Experience. (Second<br />
Edition) New York 1963<br />
8 In der Langfassung wird das Anliegen noch deutlicher:<br />
1. What children think about, they can talk about. Thus, their thoughts<br />
become the basis for developing reading skills.<br />
2. What they can talk about, can be expressed in painting, writing, or in some<br />
other form.<br />
3. Anything they write they can read. Writing is more precise than drawing.<br />
4. They can read what they write and what other people write. The children<br />
experience the thrill of what others have written after experiencing their<br />
own oral language take a form that can be reproduced by the process called<br />
reading. (Lee, Allen 1963, S. 1 – 10)<br />
9 Ehlich, K. (1994): Funktion und Struktur schriftlicher Kommunikation. In:<br />
Günther, Hartmut / Ludwig, Otto (Hrsg.) (1994): Schrift und Schriftlichkeit.<br />
Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, 1. Halbband Berlin/<br />
New York: Walter de Gruyter Verlag, S. 18 – 41<br />
10 Scheerer-Neumann, G. (1985): Freiheit und Systematik im Spracherfahrungsansatz.<br />
In: Bergk, M. / Meiers, K. (Hrsg.): Schulanfang ohne Fibeltrott.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 179 – 188<br />
11 siehe dazu Speck-Hamdan, A. (1998): Individuelle Zugänge zur Schrift. Schriftspracherwerb<br />
aus konstruktivistischer Sicht. In: Huber, L. / Kegel, G. / Speck-<br />
Hamdan, A. (Hrsg.): Einblicke in den Schriftsprach erwerb. Braunschweig:<br />
Westermann Schulbuchverlag, S. 101 – 109<br />
12 Siehe: Thomé, G. (2000): Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit mit Anlauttabellen:<br />
Zur sprachdidaktischen Qualität von Unterrichtsmaterialien am<br />
Beispiel der Einheiten des Geschriebenen. In: Valtin, R. (Hrsg.): Rechtschreiben<br />
lernen in den Klassen 1 – 6. Grundlagen und didaktische Hilfen. Frankfurt a. M.:<br />
Grundschulverband – Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong>, S. 116 – 118 und<br />
Crämer, Claudia / Füssenich, Iris / Schumann, Gabriele (1996): Lese- und<br />
Schreibschwierigkeiten im Zusammenhang mit Problemen der gesprochenen<br />
Sprache. In: Die Sprachheilarbeit, Heft 1, S. 5 – 22<br />
13 Vygotskij, L. (2002): Denken und Sprechen. Weinheim: Beltz, S. 313 ff.<br />
(Original erschienen 1934)<br />
14 Siehe Vygotskij, L. (2002): Denken und Sprechen. Weinheim: Beltz, S. 313 ff.<br />
(Original erschienen 1934)<br />
15 Günther, H. (1998): Die Sprache des Kindes und die Schrift der Erwachsenen.<br />
In: Huber, L. / Kegel, G. / Speck-Hamdan, A. (Hrsg.): Einblicke in den Schriftspracherwerb.<br />
Braunschweig: Westermann Schulbuchverlag, S.21 – 30<br />
16 Vygotskij, L. (2002): Denken und Sprechen. Weinheim: Beltz, S. 313 ff.<br />
(Original erschienen 1934)<br />
17 Wood, D.J. / Middleton, D. (1975): A study of assisted problem solving.<br />
British Journal of Psychology, 66, S. 181 – 191<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
7
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Auf der Suche nach den Ursprüngen<br />
des Spracherfahrungsansatzes<br />
von Ute<br />
Andresen<br />
Ich bin mit dem Traktor<br />
im Acker stecken geblieben.<br />
Mit dem Unimog hab ich<br />
den Traktor rausgezogen.<br />
Thomas<br />
Diese Geschichte wurde nicht aufgeschrieben.<br />
Ich habe ein weißes Blatt<br />
vor Augen und einen hageren Jungen,<br />
größer und älter als die andern Kinder<br />
in der Dorfschulklasse, in der fast<br />
fünfzig Erst- und Zweitklässler in festgeschraubten<br />
Bänken sitzen und sich<br />
von mir, der Anfängerin, unterrichten<br />
lassen. Thomas wurde verspätet eingeschult,<br />
auf Wunsch der Eltern. Ein<br />
graues Kind mit großen Augen sitzt er<br />
in seiner Bank, bleibt stumm und wagt<br />
nicht, seinen Stift auf ein leeres Blatt zu<br />
setzen. Ich muss ihm den ersten Strich<br />
machen, seit Wochen. – Es regnet seit<br />
Tagen, alles ist nass und schwer. Darüber<br />
haben wir gesprochen, Thomas hat<br />
sich nicht daran beteiligt. Als wir Pause<br />
machen und die andern Kinder fröhlich<br />
herumtoben, steht er an meinem Tisch<br />
und stößt hervor, was er zu sagen hat:<br />
»Ich bin mit dem Traktor im Acker stecken<br />
geblieben. Mit dem Unimog hab<br />
ich den Traktor rausgezogen.« Ich kann<br />
es nicht fassen. Und ich schreibe es<br />
nicht auf. Nehme kein weißes Blatt<br />
und schreibe mit großen Buchstaben<br />
darauf, was Thomas zu erzählen hat,<br />
für ihn selbst und damit alle es lesen<br />
können. Nur zugehört habe ich ihm.<br />
Und ihn nie vergessen. Aber das weiß<br />
er nicht.<br />
Es sind wohl solche Versäumnisse, die<br />
mich immer wieder anstacheln, zu<br />
fragen: Was leistet eine Methode, ein<br />
Konzept, eine Schulsituation für die<br />
Kinder, die nicht so mittun, sich zeigen<br />
und sich äußern, nach allem greifen<br />
und für sich selbst sorgen können wie<br />
die Fixen und Fitten, die überall gleich<br />
daheim sind? Was bedeutet diese oder<br />
jene Methode für die langsamen, zaghaften,<br />
stillen, unbeholfenen und<br />
wortkargen Kinder? Erleben sie, dass<br />
ihnen auch gut tut, was die Schule allen<br />
Kindern zumutet? Werden sie zu<br />
sich selbst ermutigt? Werden sie erkannt?<br />
Bleiben sie am Rand?<br />
Generative Wörter<br />
Ich fand die ganzheitliche HOPSI-Fibel<br />
vor, als ich 1967 Lesen und Schreiben<br />
zu unterrichten begann. Das Lehrerhandbuch<br />
wurde mein methodischer<br />
Ratgeber. Meine Schulkinder folgten<br />
brav, lernten aber oft anders, als mein<br />
Ratgeber es behauptete. Ich habe nach<br />
ihren guten Gründen dafür gesucht<br />
und meinen Unterricht entsprechend<br />
verändert, habe schließlich die Fibel<br />
beiseitegelegt und die Kinder mit<br />
Wort- und Buchstabenkarten ausgerüstet,<br />
hab geschnippelt, geklebt, beschrieben,<br />
hab Arbeitsblätter entwickelt<br />
und vervielfältigt und Texte aus<br />
unseren gemeinsamen Erfahrungen.<br />
So bald wie möglich haben die Kinder<br />
eigene Geschichten geschrieben oder<br />
mir diktiert und dazu gezeichnet. Aus<br />
meiner Begeisterung für diese offene<br />
Arbeit mit den Kindern entstand mein<br />
erstes Buch 1 .<br />
Ein Text von uns<br />
für uns (1979)<br />
Paolo Freires Methode der Alphabetisierung<br />
begegnete mir um 1973 in der<br />
dreiteiligen TV-Dokumentation ›Das<br />
Alphabet ist subversiv‹ und in seinem<br />
einflussreichen Buch 2 . Ich begriff: Die<br />
rechtlosen Landarbeiter in Südamerika<br />
brauchen für ihren Lese-Anfang bedeutsame<br />
Wörter aus ihrem eigenen<br />
Leben, aber auch die Kinder hier bei<br />
uns, besonders aber diejenigen, die<br />
man damals spracharm nannte. Freire<br />
spricht von ›generativen Wörtern‹. Für<br />
Thomas allein hätten das wohl Traktor<br />
und Unimog sein können, aber woher<br />
hätte ich das wissen sollen, so lange er<br />
stumm blieb? Und waren Traktor und<br />
Unimog für alle Kinder in der Klasse so<br />
lebenswichtig wie für ihn?<br />
Ich suchte Wörter, die am Schulanfang<br />
für alle Kinder einer Klasse gleichermaßen<br />
bedeutsam sind oder doch<br />
rasch werden können. Ich fand: ›Wort,<br />
Welt, wir‹ (siehe: www.atelier-fuer-<br />
8 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
unterricht.de) und ließ mir von jedem<br />
Kind ein Wort an die große Tafel diktieren<br />
an seinem ersten Schultag. Darauf<br />
baute ich ein kinderlogisches Konzept<br />
für das Lesenlernen in einer Klasse auf.<br />
Es sieht Grundlegendes für alle gemeinsam<br />
vor und differenziert in dem,<br />
was darüber hinaus einzelnen Kindern<br />
möglich oder notwendig ist. Alles und<br />
alle sollen aufgehoben sein in einem lebendigen<br />
Miteinander, in dem Freude,<br />
Sorgen, Interessen und Wissen geteilt<br />
werden. In dem Gespräche, locker oder<br />
diszipliniert, jeden einbinden und jeder<br />
Achtung, Wohlwollen und Interesse<br />
erfährt. So etwas ist nicht einfach da,<br />
man muss es miteinander erarbeiten,<br />
und das geht nicht unabhängig oder<br />
gar gegen die Ordnung des Lernens.<br />
Sprache, Erfahrung, Freiheit<br />
Als mir später dann der Begriff<br />
›Spracherfahrungsansatz‹ (SEA) begegnete,<br />
habe ich ihn auch für mein eigenes<br />
Vorgehen passend gefunden: Ich<br />
wollte ja die Sprache und Erfahrungen<br />
der Kinder aufeinander beziehen, die<br />
Kinder aber auch Erfahrungen mit der<br />
Sprache unbekannter AutorInnen machen<br />
lassen in Geschichten, Gedichten,<br />
Büchern. Und mit der Sprache selbst<br />
etwa in Übungen, die den Regeln der<br />
Sprache gelten. All das, was sie mit Bezug<br />
auf die Sprache zu lernen hatten,<br />
sollte in eigener Erfahrung wurzeln,<br />
nicht aber leeres Können sein.<br />
Am unmittelbarsten schien mir das<br />
im »Freien Schreiben« wirklich zu werden,<br />
das ich als das Verfassen eines<br />
selbst gewollten, authentischen Textes<br />
verstand, wie es seit mindestens hundert<br />
Jahren dem gegängelten Textsortenverfassen<br />
im Aufsatzunterricht als<br />
die bessere Alternative entgegengehalten<br />
wird. 3<br />
Nun machte die Debatte um das »Freie<br />
Schreiben«, die vor zwei Jahren auch im<br />
Grundschulverband (GS <strong>aktuell</strong> Heft<br />
96 / 2006) ausgetragen wurde, unabweisbar,<br />
dass dieser Begriff nicht mehr<br />
so zu benutzen ist, wie ich es eben<br />
getan habe, ohne Gefahr, missverstanden<br />
zu werden. Er wurde verbraucht<br />
als strahlende Bezeichnung für das<br />
selbstständige Verschriften mit Hilfe<br />
einer Anlauttabelle im Gegensatz zum<br />
lehrgangsgemäßen Lernen im Fibelund<br />
Frontalunterricht, die als weniger<br />
lerngünstig und überholt in dunklem<br />
Kontrast dazu gezeigt werden.<br />
Lange konnte ich nicht begreifen, dass<br />
man im Unterricht – oder der begleiteten<br />
Lernzeit – nach dem SEA jemanden<br />
wie Thomas mit Blatt, Stift und einer<br />
Anlauttabelle alleinlassen darf, damit<br />
er sich autodidaktisch selbst alphabetisiere,<br />
und das dann »Freies Schreiben«<br />
nennt. Ich wollte nicht glauben,<br />
dass das Versagen, das Thomas dabei<br />
erlebt, hingenommen wird im Glauben,<br />
seinen Schriftspracherwerb könnte<br />
man einfach abwarten, der folge auf<br />
jeden Fall demselben Entwicklungsmodell<br />
wie der der Fitten und Fixen, nur<br />
eben mit Verzögerung. – Ist es Ausfluss<br />
eines Missverständnisses, wenn so<br />
etwas geschieht? Es geschieht zweifellos,<br />
und die Verantwortlichen verteidigen<br />
es als fortschrittlich.<br />
Suche nach den Ursprüngen<br />
des Spracherfahrungsansatzes<br />
Nur ganz allmählich wurde mir klar,<br />
dass mein Verständnis von offener<br />
Arbeit mit Grundschulkindern, in dem<br />
sich meine in langjähriger Praxis geklärten<br />
Hoffnungen und bewährten<br />
Prinzipien niedergeschlagen haben,<br />
mit vielem nicht vereinbaren lassen,<br />
was führende VertreterInnen eigenaktiven<br />
Lernens verkünden und unter<br />
dem Label ›Spracherfahrungsansatz‹<br />
als richtungsweisende Konzepte lehren<br />
und durchsetzen wollen.<br />
Unabhängig davon regte Inge Büchner<br />
an, für 2008 eine DGLS-Tagung zu planen<br />
zum 25-jährigen Jubiläum des SEA,<br />
dessen Ursprung sie im Erscheinen von<br />
Brügelmanns ›Kinder auf dem Wege<br />
zur Schrift‹ (1983) sah. Wir wollten eine<br />
kritische Bilanz ziehen, die Gewinne<br />
sichten, aber auch endlich einmal die<br />
Verluste, Risiken, Versäumnisse, Missverständnisse<br />
usw., die sich über die<br />
Jahre ergeben haben, ernstnehmen.<br />
Angelika Speck-Hamdan war bereit,<br />
mit uns zusammen die Tagung in der<br />
LMU auszurichten. Wir in München haben<br />
dann monatelang diskutiert, von<br />
unterschiedlichen Perspektiven ausgehend<br />
und immer in tiefer Übereinstimmung,<br />
auch wenn wir an der Oberfläche<br />
ganz verschiedener Meinung<br />
waren. Dabei wurde klar, dass der mir<br />
so schwierig gewordene deutsche Begriff<br />
eine Übertragung des englischen<br />
»Language Experience Approach« sein<br />
soll, übernommen von Lee und Allen.<br />
Gemeinsam erarbeitet:<br />
›cooperative experience charts‹ (1943)<br />
Ute Andresen,<br />
als altgediente Grundschullehrerin,<br />
Autorin, Hochschullehrerin<br />
und Referentin in der<br />
Fort bildung immer noch im<br />
Dienst für Klarheit, Vernunft und<br />
Liebe im Umgang mit Kindern.<br />
Näheres unter<br />
www.ute-andresen.de<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
9
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
LEARNING TO READ<br />
THROUGH EXPERIENCE<br />
Schließlich reizte es mich, dieses Buch<br />
von Lee und Allen, erschienen 1963 4 ,<br />
auf das immer wieder wie auf eine<br />
Urschrift des SEA hingedeutet wird,<br />
selbst in der Hand zu halten. Ich bekam<br />
es über die Fernleihe und stutzte: Das<br />
Vorwort begann: »Twenty years ago<br />
the first edition of Learning to Read<br />
through Experience was published.«<br />
Dass die Urschrift von 1963 schon 1943<br />
einen Vorläufer hatte, war mir neu.<br />
Auch diese erste Ausgabe 5 war zu beschaffen,<br />
sie hatte denselben Titel,<br />
aber als erste Autorin firmiert Lamoreaux,<br />
Lee wird als zweite Autorin genannt.<br />
Merkwürdigerweise wird diese<br />
Differenz in der Autorschaft im Vorwort<br />
von 1963 nicht aufgeklärt.<br />
Beide Ausgaben habe ich nicht durchgearbeitet,<br />
nur darin gestöbert, aber<br />
das war schon aufschlussreich. In der<br />
Ausgabe von 1963 heißt es auf der ersten<br />
Seite (ich übersetze ziemlich frei):<br />
»Bedeutung und Verstehen müssen in<br />
der Erfahrung des Einzelnen eine Basis<br />
haben. Wenn wir empfehlen, jedem<br />
Kind Gelegenheit zu geben, sein eigenes<br />
Lernmaterial zu schaffen, bis es<br />
die Fähigkeit und das Vertrauen entwickelt,<br />
mit anderen Lernmaterialien<br />
umzugehen, wird ein entsprechender<br />
Hintergrund an Erfahrung vorausgesetzt.«<br />
Das verstehe ich so, dass darauf<br />
geachtet werden soll, dass erfahrungssatte,<br />
nicht nur leere Worte und Texte<br />
aufgeschrieben werden, weil eine ganz<br />
frische, bedeutsame Erfahrung dem<br />
Kind – oder den Kindern – gegenwärtig<br />
ist.<br />
Betrachtet man die drei hier zitierten<br />
Abbildungen von 1963 – das Mädchen<br />
an der Tafel, die Runde mit dem gemeinsam<br />
eigenen Buch, die beiden<br />
diktierten Texte – dann fällt auf, wie<br />
gesittet alles anmutet. Da wird der<br />
kultivierende Einfluss der Lehrerin<br />
sichtbar. Auf S. 78f heißt es denn auch:<br />
»The quality and characteristics of the<br />
teacher-pupil interaction is without<br />
doubt the most important single factor<br />
in the child’s learning.« Die Lehrerin<br />
soll als Freund angesehen werden, sie<br />
steht auf der Seite der Kinder, sie können<br />
ihr vertrauen und sich darauf verlassen,<br />
dass sie jedes Kind respektiert<br />
›Sharing Experiences‹: erzählend,<br />
zeichnend, schreibend Erfahrungen<br />
miteinander teilen (1963)<br />
Von mr diktiert,<br />
für mich geschrieben (1963)<br />
Ein Buch, von uns<br />
erarbeitet (1963)<br />
10 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Thema: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
als Person. Ihre Beziehung zu den Kindern<br />
ist davon geprägt, dass sie fähig<br />
ist, sie zu leiten und zu kontrollieren<br />
und gleichzeitig ihre Fähigkeit zu entwickeln,<br />
sich selbst zu leiten und zu<br />
kontrollieren. Eine richtige Lehrerin soll<br />
sie also sein, keine nur unterstützende<br />
Begleiterin!<br />
Das Vorwort der Ausgabe von 1943<br />
betont, dass das, was im Buch vorgeschlagen<br />
wird, aus der praktischen<br />
Erfahrung im Klassenraum stammt.<br />
Dann heißt es: »It develops the theory<br />
and technique of the cooperative<br />
experience chart and shows, how it<br />
can be used effectively to introduce<br />
reading from books.« Zwei solcher »cooperative<br />
charts from first hand experience«<br />
sind hier abgebildet. Sie sind<br />
von einer Gruppe mit ihrer Lehrerin<br />
gemeinsam erarbeitet worden in Vorfreude<br />
auf einen Lernausflug, der nach<br />
gemeinsamem Plan durchgeführt und<br />
in weiteren ›cooperative charts‹ seinen<br />
kultivierten Niederschlag finden wird.<br />
In ihnen werden die Kinder, die beim<br />
Ausflug dabei waren, für immer ihre<br />
»first hand experiences« aufgehoben<br />
wissen. Diese charts sind offenbar verwandt<br />
mit unseren Eigenfibeln. Auch<br />
da werden Texte gemeinsam erarbeitet<br />
und soll aus der Arbeit des sorgsamen<br />
Verwandelns von Erfahrung in Schriftsprache<br />
eine Brücke ins Lesen schon<br />
fertiger Texte und Bücher entstehen.<br />
DIALOGISCHES ERSTLESEN<br />
Unter diesem Titel erschien 1979 ein<br />
schmales Büchlein, das die von Ulrika<br />
Leimar in Schweden entwickelte Methode:<br />
›Lesenlernen auf der Grundlage<br />
der Sprache der Kinder (LGSK)‹ deutschen<br />
Verhältnissen anpasst. 6 In der<br />
Einleitung vergleicht der Herausgeber<br />
das LGSK mit anderen Methoden, entwickelt<br />
die Verwandtschaft von Leimars<br />
Konzept mit dem Paolo Freires<br />
und konstatiert dann: »Die Dialogpädagogik<br />
geht davon aus, dass Pädagoge<br />
und Schüler … gleichen Wert haben.<br />
Beide sind Subjekt, und die Sache oder<br />
der Unterrichtsgegenstand sind das<br />
Objekt der gemeinsamen Bemühungen.<br />
Beide haben ihre eigenen, speziellen<br />
Kenntnisse und Erfahrungen. Durch<br />
den Dialog, wechselseitig geführt, gewinnen<br />
beide Seiten neue Erkenntnisse<br />
und Erfahrungen. …« (S. 16)<br />
Leimar war mit LGKS wohl in Schwedens<br />
Schulen sehr einflussreich. Wenn<br />
ich sie lese, beeinflusst sie mich, alles,<br />
was ich im Zusammenhang des<br />
Lesenlernens schon gedacht, gesagt,<br />
geschrieben, getan habe, in neuem<br />
Licht noch einmal anzuschaun. Das ist<br />
sehr spannend und sehr belernend! Ich<br />
kann Leimar hier nicht zitieren, aber<br />
ich biete allen, die sich das Büchlein<br />
nicht selbst besorgen können, an, ihnen<br />
auszuhelfen, wenn sie sich bei mir<br />
melden.<br />
Sy lv i a As h t o n-Wa r n e r<br />
(1908 – 1984)<br />
Sie war eine europäisch geprägte<br />
Künstlerin in Neuseeland, wollte<br />
Schriftstellerin oder Pianistin werden,<br />
musste dann aber als Lehrerin Geld<br />
verdienen und entwickelte für die<br />
Maori-Kinder, die mit ihren Eltern als<br />
entrechtete Ureinwohner am Rande<br />
der kolonialen Welt Neuseelands lebten,<br />
einen Anfangsunterricht, der ihre<br />
Wurzeln in der Maori-Kultur stärkte<br />
und ihnen eine Brücke baute in die<br />
fremde Kultur der Weißen. Auch in ihrer<br />
Methode spielen Schlüsselwörter<br />
eine zentrale Rolle, radikaler noch als<br />
die generativen Wörter Freires. Ihre<br />
Bücher über ihre Arbeit wurden Welterfolge,<br />
aber nicht für uns hier übersetzt.<br />
Nur ›Spinster‹, ihr Roman einer Lehrerin,<br />
die ihr gleicht, wurde ins Deutsche<br />
übersetzt und erschien mit dem<br />
Titel ›Quelle meiner Einsamkeit‹ 7 . Man<br />
kann ihn in Bibliotheken finden, auch<br />
ihr Fachbuch ›Teacher‹ (1943) und ihre<br />
Biographie (Englisch). Und im Internet<br />
wird man ausgiebig fündig, wenn man<br />
ihren Namen eingibt. Diese Frau kann<br />
uns demütig machen gegenüber unserer<br />
Aufgabe, auch Kinder wie Thomas<br />
in der Schule und in der Schriftkultur<br />
gleichberechtigt ankommen zu lassen,<br />
und zeigt uns, wie wir ihr gerecht werden<br />
können.<br />
Wir haben erst angefangen, herauszufinden,<br />
was ein Spracherfahrungsansatz<br />
sein könnte.<br />
Sylvia Ashton-<br />
Warner (1963)<br />
Anmerkungen<br />
1 Ute Moeller-Andresen: Das erste Schuljahr – Unterrichtsmodelle.<br />
Stuttgart 1973<br />
2 Paolo Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Stuttgart 1971<br />
3 Michael Ritter gibt uns einen klaren und lesbaren analytischen<br />
Rückblick auf diese Zeit und zeigt, welche schönen Möglichkeiten<br />
wir noch zu entdecken haben, wenn wir Kinder ihre eigenen<br />
Texte schreiben lassen. M. R.: Wege ins Schreiben. Eine Studie zur<br />
Schreibdidaktik in der <strong>Grundschule</strong>. Baltmansweiler 2008<br />
4 Lee, Dorris M. / Allen, R. V.: Learnin to Read through Experience.<br />
(Second Edition) New York 1963<br />
5 Lamoreaux, Lillian A. / Lee, Dorris M.: Learning to Read through<br />
Experience. New York/London 1943<br />
6 Möckelmann, Jochen: Dialogisches Erstlesen. Frankfurt a.M.<br />
1979 (Deutsche Adaption von: Ulrika Leimar: Lesen lernen auf der<br />
Grundlage der Sprache der Kinder. Lund 1974)<br />
7 Sylvia Ashton-Warner: Quelle meiner Einsamkeit. Hamburg 1963<br />
(Orig.: Spinster. New York 1959)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
11
Thema: Praxis: Spracherfahrung<br />
Wie VERA aus 2008 Erfahrung Sprache wird<br />
Dazu will ich etwas schreiben!<br />
Didaktische Überlegungen zu freien und kreativen Schreibprozessen<br />
von Michael<br />
Ritter<br />
Der Begriff »Freies Schreiben« ist in den letzten Jahren<br />
eher im Kontext offener Schriftspracherwerbskonzepte<br />
diskutiert worden (vgl. GS <strong>aktuell</strong> Heft 96 aus 2006).<br />
Eigentlich geht er aber auf den durch die Aufsatzreformer<br />
am Anfang des 20. Jahrhunderts etablierten »Freien<br />
Aufsatz« zurück, der nach dem »Erstschreiben« auf<br />
die Entwicklung einer natürlichen und authentischen<br />
schriftlichen Ausdrucksfähigkeit abzielte. Es waren also<br />
Schreibprozesse gemeint, bei denen die Kinder jenseits<br />
der ersten selbstständigen Schreibversuche auf gewisse<br />
Fähigkeiten beim Schreiben zurückgreifen konnten. Der<br />
folgende Beitrag stellt Überlegungen und Anlässe zum<br />
freien und kreativen Schreiben vor, die in dieser Tradition<br />
stehen.<br />
Entdeckungen auf der Wiese<br />
Wir – das waren die 20 Kinder und die<br />
LeiterInnen der Halleschen Kreisarbeitsgemeinschaft<br />
»Schreibspielwiese«<br />
– saßen gemeinsam auf einer Wiese.<br />
Das Frühjahr hatte gerade seinen<br />
Höhepunkt erreicht, die Sonne schien,<br />
es ging uns gut. Gemeinsam wollten<br />
wir nun das Leben an diesem eher untypischen<br />
Schreibort erkunden. Mit<br />
Augen, Ohren, Nase und Händen gingen<br />
die Kinder auf die Suche nach den<br />
Worten, die sie hier entdecken konnten.<br />
Das Wechselspiel von ›wahrnehmen<br />
und benennen‹ stand am Anfang<br />
unserer Begegnung mit der Wiese,<br />
dieses »Grundprinzip der dichterischen<br />
Mechanik«, wie es der französische<br />
Dichter und Poetiker Paul Valery bezeichnet<br />
hat. 1 Nachdem die Kinder<br />
›Wiesenwörter‹ gesammelt und aufgeschrieben<br />
hatten, legten wir uns ins<br />
Gras und stellten uns vor, wie es wäre,<br />
ganz klein zu sein. Das Gras würde zum<br />
undurchdringlichen Urwald, die Ameise<br />
zum Pferd. Oder vielleicht sogar zum<br />
Freund? Die Menschen, die sich auf der<br />
Wiese niederließen, würden sicherlich<br />
eher zur Gefahr. Auch Regentropfen<br />
könnten uns in Bedrängnis bringen. So<br />
fantasierten wir uns in eine Welt, die<br />
mithilfe der Frage »Was-wäre-wenn«<br />
ihre Gestalt in der Fantasie der Kinder<br />
entwickelte.<br />
Nun suchten sich die Kinder einen<br />
›Bewohner‹ der Wiese aus. Das konnten<br />
Tiere, Pflanzen oder Gegenstände wie<br />
Steine oder Erdklumpen sein. Gemeinsam<br />
überlegten wir: Was hätten sie<br />
zu berichten, könnten sie für einen<br />
Moment sprechen? Wie würden sie ihr<br />
Leben beschreiben? Was stünde im<br />
Mittelpunkt? Was wäre ihnen wichtig?<br />
Hier begannen die Kinder nun zu<br />
schreiben. Die intensive sinnliche Begegnung<br />
mit der Wiese, die Versprachlichung<br />
der Erfahrung durch das Aufschreiben<br />
der Wiesenwörter und die<br />
Fantasiereise, die für die Kinder einen<br />
Perspektivwechsel und die Verfremdung<br />
der eigenen Erfahrungen mit<br />
sich brachte, boten viel Stoff, der nun<br />
in den Berichten der unterschiedlichen<br />
Wiesenbewohner artikuliert werden<br />
konnte. Gemeinsam hatten sie Erfahrungen<br />
gesammelt, sich darüber ausgetauscht<br />
und sie so bereits in Sprache<br />
gekleidet. Nun gingen sie ihre eigenen<br />
Wege, indem sie sich in die ausgesuchten<br />
Wiesendinge hineindachten und<br />
einfühlten und sie im eigenen Schreiben<br />
noch einmal ganz neu entdeckten.<br />
12 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Praxis: Wie aus Praxis: Erfahrung Thema: Spracherfahrung<br />
VERA 2008 wird<br />
Dabei entstand zum Beispiel Sophias<br />
Text vom Grashalm.<br />
Mein Tag<br />
Ich bin ein kleiner Grashalm auf<br />
einer großen Wiese. Jeden Tag strahlt<br />
die Sonne über mir und mein Tag<br />
beginnt. Es summen Bienen um mich<br />
rum, es laufen Ameisen hin und her.<br />
Käfer knabbern an mir herum.<br />
Bricht mich jemand ab, bin ich<br />
kein kleiner Grashalm mehr<br />
auf einer großen Wiese.<br />
Sophia, 9 Jahre<br />
Ein besonderer Text<br />
Sophia beschreibt in ihrem Text die<br />
Welt aus der Sicht eines Grashalms.<br />
Für den Moment des Schreibens hat<br />
sie sich in dieses kleine Geschöpf hineingedacht.<br />
Sie versucht, ihr Umfeld<br />
durch seine Augen zu sehen und zu<br />
beschreiben. Dem Alltag, der wenig<br />
überraschend daherkommt, stellt sie<br />
eine Gefahr gegenüber, der er hilflos<br />
ausgeliefert ist. Das scheint banal,<br />
aber das Bild lässt einige persönliche<br />
Bedeutung vermuten. Ich ahne, dass<br />
Sophia hier viel mehr anspricht. Der<br />
Grashalm in seiner Schwäche wird zum<br />
Symbol für ihre eigene Verletzlichkeit.<br />
Sophia hat das Schreiben genutzt, über<br />
sich selbst und ihre Lebenssituation<br />
nachzudenken. Der Text wird zum Ausdruck<br />
persönlicher Empfindungen und<br />
Befürchtungen.<br />
In der dichten und pointierten Beschreibung<br />
wird die Angst für mich als<br />
Leser fast körperlich spürbar. Diesen<br />
Effekt erzielt Sophia, indem sie sich<br />
die Kraft der Sprache zunutze macht.<br />
Das ereignislose, fast eintönige Stimmungsbild<br />
kontrastiert der letzte Satz<br />
als krasser Gegenpol. Formal ist er<br />
eine variierte Wiederholung des ersten<br />
Satzes. Er deckt sich in weiten Teilen<br />
wörtlich und seiner Satzstruktur nach<br />
mit ihm. Diese Parallelität schafft Vertrautheit,<br />
die dem Gegensatz der Verneinung<br />
umso pointierter zur Wirkung<br />
verhilft. Den inhaltlichen Polen von<br />
Vorstellung und Vernichtung stehen<br />
auf sprachlicher Ebene die beiden gegensätzlichen<br />
und doch so ähnlichen<br />
Aussagen gegenüber. Sie schaffen einen<br />
Rahmen des Textes, eine Form,<br />
die ihm in ihrer prägnanten Kürze eine<br />
besondere Wirkung ermöglicht. Dabei<br />
verzichtet Sophia auf wuchtige Darstellungen<br />
oder übertriebene Dramatik.<br />
Sensibel inszeniert sie den Grashalm<br />
– nüchtern, fast schlicht. Dass sie<br />
dies alles wahrscheinlich unbewusst<br />
tut, weniger aus dem Wissen um gelungene<br />
Textkomposition heraus denn<br />
als Folge eines intuitiven Umgangs mit<br />
der Sprache, erscheint mir an dieser<br />
Stelle zweitrangig; denn diese Erkenntnis<br />
ändert nichts an dem Text und seiner<br />
Wirkung.<br />
Texte brauchen Kontexte<br />
Das Beispiel zeigt, dass offene, aber anregungsreiche<br />
und ästhetisch intensive<br />
Schreibszenarien Kindern geeignete<br />
Rahmenbedingungen für erstaunliche<br />
sprachliche Leistungen bieten können.<br />
Der Text ist ein außergewöhnliches<br />
Produkt eines Kindes, das mir sonst<br />
nicht durch so prägnante sprachliche<br />
Leistungen auffiel. Auf der Wiese hatte<br />
Sophia aber einen Zugang zum Schreiben<br />
gefunden, der dieses Ergebnis<br />
möglich machte.<br />
Nicht jeder Text, der an diesem<br />
Nachmittag entstand, ist so gelungen<br />
wie der von Sophia. Aber alle Texte<br />
sprechen mit einer Lebendigkeit, die<br />
besonders aus der Unmittelbarkeit des<br />
Schreibprozesses und seiner Einbettung<br />
in konkrete Erfahrungssituationen<br />
resultierte.<br />
Der Grasfrosch<br />
Auch als Bewohner der Wiese hab ich<br />
manchmal Schwierigkeiten. Ich, ja<br />
ich bin ein kleiner grüner Grasfrosch<br />
und erzähle euch heute mein aufregendstes<br />
Erlebnis mit dem großen<br />
grünen Schwimmbecken.<br />
Eines Tages hüpfte ich froh und munter<br />
übers weiche Gras, als plötzlich der<br />
Boden verschwand und ich in die Tiefe<br />
stürzte. Ich schrie vor Angst und weil<br />
ich spürte, dass ich unterging. Doch<br />
plötzlich zog sich ein Netz um mich<br />
und ich war nach kurzem wieder auf<br />
festem Boden. Es waren die Nachbarskinder,<br />
die mich retteten. Sie ließen<br />
mich frei und ich hüpfte davon.<br />
Julian, 11 Jahre<br />
Was sagt ein Stein?<br />
Ich liege auf der Wiese. Tag für Tag,<br />
Nacht für Nacht. Mir ist oft langweilig.<br />
Manchmal laufen Menschen über<br />
mich und das tut weh. Wenn ich Kinder<br />
lachen höre, werde ich glücklich.<br />
Martha, 9 Jahre<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
13
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Texte aus der Arbeit der Schreibspielwiese<br />
Ich bin, wie ich bin<br />
Ich bin der Wind, der die Zweige bewegt.<br />
Ich bin der Titel eines Buches.<br />
Ich bin der Regen, der die Pflanzen sprießen lässt.<br />
Ich bin ein Pferd, das läuft ohne nachzudenken.<br />
Ich bin die Sonne, die zuerst den Tag ankündigt.<br />
Ich bin der Mond, der abends am Himmel steht.<br />
Ich bin ein Jungtier, das verletzlich ist.<br />
Ich bin ein Fuchs, der nachdenkt bevor er geht.<br />
Ich bin ein Bücherwurm, der die Bücher durchkreuzt.<br />
Ich bin der Morgentau, der auf der Wiese liegt.<br />
Ich bin das Wasser, das getrunken wird.<br />
Ich bin dein Freund, wenn du mich gut behandelst.<br />
Ich bin ich, und nur ich ändre was daran.<br />
Alexandra, 10 Jahre<br />
Das Gedicht von 2 Farben<br />
Es waren einmal 2 Farben,<br />
Das waren Rot und Gelb.<br />
Rot und Gelb sind Freunde,<br />
zusammen ist es Orange.<br />
Rot heißt Nina<br />
und Gelb heißt Nini.<br />
Morgen ist bei<br />
Rot und Gelb<br />
wieder Schule.<br />
Rot und Gelb hassen<br />
die Schule aber.<br />
Geschichten<br />
schreiben sie aber gern.<br />
Sophie, 7 Jahre<br />
Der Schulengel heißt Naninana. Naninana hilft,<br />
wenn man Hilfe braucht in Mathe, Deutsch und<br />
anderen Dingen. Der hilft auch, wenn man ihn ruft!<br />
Vielleicht hilft er auch wenn dir jemand weh tut.<br />
Aber wenn du ihn nicht rufst, dann wird es nichts.<br />
Sophie, 7 Jahre<br />
Es war einmal ein kleiner Knopf. Der war ganz allein und<br />
hatte keine Freundin und keinen Freund. Der Knopf ging<br />
zum Bahnhof und da hat er etwas gegessen und getrunken.<br />
Da traf er einen zweiten Knopf. Einen rosa Knopf.<br />
Sophie, 7 Jahre<br />
L – Liebe<br />
A – anfreunden<br />
U – unaufmerksam<br />
R – rollen<br />
A – Andreas<br />
E – Ehrgeiz<br />
L – lahm<br />
T – traurig<br />
E – Ehe<br />
R – rund<br />
N – nein<br />
Vögel fliegen ohne Ventil,<br />
aber kommen doch ans Ziel.<br />
Emily, 8 Jahre<br />
Liebe ist komisch, sage ich.<br />
Oder anfreunden mit ihm.<br />
Ihn zu lieben wäre auch toll.<br />
In der Schule war ich unaufmerksam<br />
und seine Bilder rollten mir im Kopf herum.<br />
»Der Andreas ist ehrgeizig!«<br />
»Er ist lahm!«<br />
»Er würde Laura traurig machen!«<br />
»Er wird unsre Ehe zerstören!«<br />
»Er ist so dick und rund!«<br />
»Nein!«<br />
Alexandra, 10 Jahre<br />
14 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Konsequenzen<br />
für die Schreibdidaktik<br />
Die vorangegangenen Beobachtungen<br />
werfen nun die Frage auf, ob sich hinter<br />
diesem Beispiel ein didaktisches<br />
Prinzip freien und kreativen Schreibens<br />
verbergen kann. Mehrere Schwerpunkte<br />
erscheinen hier wichtig:<br />
1. Am Anfang des Schreibens<br />
steht die Begegnung mit der Welt<br />
In freien Texten, seien es Erlebnisse,<br />
Stimmungsbilder, Gedichte oder Fantasiegeschichten,<br />
setzen sich Kinder<br />
schreibend mit der Welt auseinander,<br />
wie sie sie selbst erlebt haben. Die<br />
Wörter sind Ausdruck von persönlichen<br />
Erfahrungen, bzw. die Erfahrungen<br />
sind die Voraussetzung für sprachlichen<br />
Ausdruck. Daher sollte am Beginn<br />
des Schreibens die konkrete Erfahrung,<br />
das Erlebnis stehen.<br />
2. Gute Schreibimpulse<br />
werfen echte Fragen auf<br />
Manchmal ergibt sich aus der Erfahrung<br />
ein Ausdruckswunsch, der unmittelbar<br />
ins eigene Schreiben führen<br />
kann. In diesem Fall ist kein weiterer<br />
Impuls nötig. Häufig ist aber eine Brücke<br />
vonnöten, die den oft diffusen Erfahrungen<br />
der Kinder eine Möglichkeit<br />
der Veräußerlichung bietet. Sozusagen<br />
eine Form, in welche die Erfahrungen<br />
sich artikulieren können. Schreibimpulse,<br />
z. B. Sprachspiele, Erzählbilder,<br />
Fantasiereisen, Gedichte, Bilderbücher,<br />
etc. können solche Brücken sein. Wichtig<br />
ist, dass sie nicht eine mögliche<br />
Geschichte vorwegnehmen, sondern<br />
Fragen aufwerfen, die die Kinder herausfordern<br />
und die sie beantworten<br />
möchten. Und dass sie durch die Anregung<br />
der Fantasie ein Spiel mit der<br />
Sprache und ihren Bedeutungen inszenieren.<br />
3. Freie Kindertexte sind Stimmen<br />
der Kinder und verlangen<br />
Anerkennung<br />
In den Textwelten der entstehenden<br />
freien Kindertexte kommen die Kinder<br />
zur Sprache. Fantasien und Erfahrungen<br />
verbinden sich mit literarischen<br />
Bildern und Mustern. Ihre Bedeutung<br />
können wir letztendlich nur erahnen.<br />
Dennoch müssen wir uns im Bewusstsein<br />
behalten, dass diese Texte extrem<br />
wichtig für die schreibenden Kinder<br />
sein können. Sie zu Stilübungen zu<br />
degradieren oder aufgrund von Zeitmangel<br />
dem Kind die Chance zur öffentlichen<br />
Präsentation im Erzählkreis<br />
und zum Feedback zu verwehren, kann<br />
die wertvollen Erfahrungen, die auch<br />
für die Haltung des Kindes zur Schriftsprache<br />
und seinen Bildungserfolg von<br />
enormer Bedeutung sind, zunichte<br />
machen. Freie Kindertexte brauchen<br />
darum auch eine interessierte Leserschaft.<br />
Um sie aber der Öffentlichkeit<br />
präsentieren zu können, müssen sie<br />
von der Entwurfsfassung in eine Form<br />
gebracht worden sein, die ihrer Bedeutung<br />
angemessen ist. Sie müssen den<br />
Normen der Schriftsprache genügen<br />
und auch optisch ansprechend gestaltet<br />
werden. Interessante Buchformen<br />
und Präsentationsmöglichkeiten können<br />
zu diesen weiterführenden Arbeitsschritten<br />
Motivation stiften und<br />
die Vielfalt der Schriftlichkeit auch äußerlich<br />
berücksichtigen helfen. 2<br />
Resümee<br />
Ganzheitlich-spielerische Zugänge<br />
zum Schreiben können Kindern helfen,<br />
gangbare und herausfordernde Wege<br />
ins eigene Schreiben zu finden. Die<br />
Kinder treffen hier auf Anregungen, die<br />
ihre Kreativität nicht einengen, sondern<br />
entfalten helfen. Wichtig ist, dass<br />
die Kinder erfahren, dass das Schreiben<br />
eine Möglichkeit ist, persönlichen<br />
Ideen, Erfahrungen, Vorstellungen und<br />
anderen gedanklichen Inhalten eine<br />
konkrete und beständige Form zu geben.<br />
Und dass sie erkennen, dass ein<br />
gelungener Text nur dann seine Wirkung<br />
ganz entfalten kann, wenn er<br />
auch in eine Form gebracht wurde, die<br />
seine Schönheit anderen zugänglich<br />
macht.<br />
In diesem Zusammenhang bleibt<br />
das Schreiben nicht einfach nur eine<br />
Kulturtechnik, in welche die Schule<br />
mittels eines Lehrgangs einzuführen<br />
hat. Das Schreiben wird für die Kinder<br />
selbst ein Teil einer elementaren Kultur<br />
der Schriftlichkeit, die es für sich zu erobern<br />
gilt.<br />
Hinweis<br />
Weitere Anregungen und dokumentierte<br />
Schreibwerkstätten finden sich auch<br />
im Internet unter www.schreibritter.de.<br />
Eine Studie zu Entwicklungsprozessen<br />
der Schreibdidaktik der <strong>Grundschule</strong><br />
und einer möglichen konzeptionellen<br />
Neupositionierung dieses Bereichs im<br />
Rahmen ästhetischer Bildungsvorstellungen<br />
ist kürzlich im Schneider-Verlag<br />
Hohengehren unter dem Titel »Wege<br />
ins Schreiben. Eine Studie zur Schreibdidaktik<br />
in der <strong>Grundschule</strong>« erschienen.<br />
Dr. phil. Michael Ritter ist<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
an der Martin-Luther-Universität<br />
Halle/Wittenberg.<br />
Informa tionen unter:<br />
www.schreibritter.de<br />
Anmerkungen<br />
1 Paul Valery: Theorie der Dichtkunst. Frankfurt/Main: 1987, S. 26;<br />
zur Bedeutung der Sinne für das Schreiben vgl. auch Eva Maria<br />
Kohl: Schreibspielräume. Seelze-Velber: 2005<br />
2 Vorschläge für interessante Buchformen: Eva Maria Kohl:<br />
Kleine Bücher selbst gemacht. In: Grundschulunterricht 9/1997,<br />
Sonderheft S. 18 – 23<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
15
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Und das finden wir auch noch raus!<br />
Wie Weltwissen und Schriftsprache sich in kleinen Projekten<br />
zusammen entwickeln<br />
Wir sind zu Jacquelines Opa gegangen.<br />
Sie hatte ein Huhn im Hasenstall, das<br />
wurde immer von den anderen geärgert.<br />
Da haben sie es in den Hasenstall getan.<br />
Ihr Opa hat es sogar herausgeholt.<br />
Alle haben es gestreichelt.<br />
Josefine, 8 Jahre<br />
Wie lebt eine Henne?<br />
In der Zeit vor Ostern ist es fast schon<br />
Tradition geworden, im dritten Schuljahr<br />
das Ei und die Henne in den Mittelpunkt<br />
des Heimat- und Sachkundeunterrichts<br />
zu stellen. Diesmal kam<br />
noch ein Aufruf zum Wettbewerb »Wie<br />
lebt eine Henne?« dazu. Meine Schulkinder<br />
waren begeistert, leben sie doch<br />
auf dem Dorf und haben vielfältige<br />
Berührungspunkte mit Haustieren.<br />
Doch nicht alle wussten, wie Hühner<br />
heute gehalten werden und welche Bedingungen<br />
sie eigentlich brauchen, um<br />
artgemäß zu leben. Wir machten uns<br />
also auf den Weg, das herauszufinden.<br />
Dabei stand für mich die Projektidee,<br />
die Verknüpfung der einzelnen<br />
Fächer in einem übergreifenden Thema,<br />
im Vordergrund. Und ich war gespannt,<br />
welche Vorschläge und Ideen<br />
meine Kinder mit einbringen würden.<br />
In der genau geplanten, aber zugleich<br />
offenen Struktur solcher Projekte entstehen<br />
viele Möglichkeiten, Schriftsprache<br />
zu gebrauchen, zu lesen oder<br />
selbst zu schreiben. Ich habe immer<br />
wieder erlebt, wie motiviert Kinder an<br />
das Entwickeln von Texten herangingen,<br />
die in ihrer eigenen, konkreten<br />
Erfahrung wurzeln konnten. Besonders<br />
auffallend auch Kinder, die sonst<br />
nur ungern schreiben und / oder große<br />
Mühe damit haben.<br />
Der erste Auftrag war nun: »Schreibt<br />
doch mal auf, was ihr schon über Hühner<br />
wisst!«<br />
Was Hühner essen<br />
Hühner essen Würmer, Körner und<br />
Entenfutter. Mein Opa und ich gehen<br />
jedes Wochenende und in der Woche zu<br />
den Hühnern und Enten und auch zu<br />
den Hasen. Wir füttern sie. Unser Hahn<br />
heißt Peter. Unsere Hühner haben einen<br />
großen Freiraum. Sie vertragen sich sehr<br />
gut mit den Enten. Am besten vertragen<br />
sich unsere Hühner mit unserem Erpel.<br />
Max, 9 Jahre<br />
Es entstanden die vielfältigsten Texte,<br />
die von den Kindern im Kreis vorgelesen<br />
und später von mir mit dem Computer<br />
abgeschrieben wurden. Max erzählte<br />
von seinem Opa und der besonderen<br />
Freundschaft zwischen Hühnern und<br />
Enten. Leon schilderte den Tagesablauf<br />
einer Henne. Lea wusste, dass es auch<br />
Hühner in Käfigen gibt.<br />
Der Gedanke, dass Hühner in engen<br />
Käfigen ein freudloses Dasein fristen,<br />
bewegte alle Kinder außerordentlich.<br />
Darüber wollten sie unbedingt mehr<br />
Wie lebt eine Henne? Beobachtungen vor Ort und Sammlung der Kenntnisse an einer Wandzeitung<br />
16 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
wissen. Und unser Projekt sollte den<br />
Titel »Glückliche Hennen – Traurige<br />
Hennen« bekommen.<br />
Am nächsten Morgen brachten die ersten<br />
Kinder kleine Zettel mit Vorschlägen<br />
an unserer Pinnwand an. Einige<br />
Bastelanleitungen für Hühner waren<br />
dabei und immer wieder hieß es: Wir<br />
wollen einen Hühnerhof besuchen, den<br />
Hühnerhalter befragen, fotografieren,<br />
zeichnen und ein Ei-Buch selbst herstellen.<br />
Sophia brachte das Buch von Felix<br />
Mitterer »Superhenne Hanna« aus der<br />
Bibliothek mit. In den nächsten Tagen<br />
kamen noch einige Sachbücher und<br />
weitere Ideen hinzu:<br />
Wir könnten in die Kinderakademie<br />
nach Fulda zur Ausstellung »Vom Ei zum<br />
Huhn« fahren!<br />
Mein Papa schweißt uns einen Käfig<br />
aus Metall, der ist so groß wie ein echter.<br />
Da können wir richtig sehen, wie eng es<br />
für die Hennen ist.<br />
In unserem Brutkasten werden bald<br />
die ersten Küken schlüpfen. Wir dürfen<br />
alle kommen und sie sehen! …<br />
Schreibanlässe gab es nun viele und<br />
sie kamen alle von den Kindern selbst.<br />
Kein Kind musste ermutigt oder zum<br />
Schreiben aufgefordert werden. Alle<br />
waren mit Freude dabei. Sie schrieben<br />
Fragen für ein Interview mit dem<br />
Hühnerhalter auf (später dann auch die<br />
Antworten) und Jacqueline bekam den<br />
Auftrag, ihren Opa zu fragen, ob die<br />
ganze Klasse kommen dürfe, um seine<br />
Hühner zu sehen. Natürlich durften<br />
wir.<br />
Jaquelines Opa freute sich, als wir zwei<br />
Tage später wie richtige Reporter mit<br />
unseren Fragen vor ihm standen. Er<br />
beantwortete sie gerne und beschrieb<br />
ausführlich seine Arbeit mit den Hühnern.<br />
Am meisten beeindruckte die<br />
Kinder eine Zwerghenne, die von den<br />
anderen Hühnern gehackt wurde und<br />
deshalb vorübergehend im Hasenstall<br />
untergebracht war. In den Texten der<br />
Kinder wurde oft von dieser Zwerghenne<br />
berichtet, später tauchte sie sogar<br />
in kleinen Geschichten auf.<br />
Die Interviews wurden in der Schule<br />
(nachdem ich die Rechtschreibung<br />
korrigiert hatte), noch einmal auf ein<br />
schönes Blatt geschrieben.<br />
Nach einem weiteren Ausflug, diesmal<br />
zu Christians Küken, verfasste jedes<br />
Kind einen kleinen Bericht. Ich war<br />
erstaunt, wie detailgetreu alle wiedergaben,<br />
was sie beobachtet und gehört<br />
hatten.<br />
Wir sind zu Christians Küken gelaufen<br />
und haben die Brutmaschine angesehen.<br />
Frau Niebel hat uns gesagt, dass die<br />
Brutmaschine 36°C haben muss.<br />
Die Eier liegen 21 Tage darin. Man muss<br />
sie zweimal am Tag 10 Minuten lüften.<br />
Die Eier müssen auch gedreht werden,<br />
weil das die Glucke mit ihren Beinen<br />
auch macht. Vor dem Schlüpfen<br />
muss man Wasser hinein tun, damit die<br />
Schale weicher wird. Die Küken brauchen<br />
2 Stunden fürs Schlüpfen, hat Christian<br />
erzählt. … Drei Küken waren schon<br />
in einer großen Kiste und darüber hing<br />
eine rote Lampe und wärmte die Küken.<br />
Christian hat sie auch hoch genommen<br />
und wir durften sie streicheln. Die waren<br />
süß und weich! Das hat mir gefallen.<br />
Sophia, 8 Jahre (gekürzt)<br />
Aus dem Buch »Superhenne Hanna«las<br />
ich nun jeden Tag vor. Wir erfuhren viel<br />
über die Käfighühner, die hier allerdings<br />
gerettet wurden und ein glückliches<br />
Leben auf dem Lande beginnen<br />
durften. Die Begegnung mit Literatur<br />
weckte bei meinen Kindern das Bedürfnis,<br />
eigene Geschichten zu schreiben.<br />
Es entstanden Fantasietexte, in denen<br />
sich das bisher Erlebte wiederfand.<br />
Die Abenteuer des kleinen Küken<br />
Es war einmal eine Henne. Sie hatte<br />
gerade ein Ei gelegt. Bald darauf<br />
schlüpfte das Küken. Es konnte nach<br />
wenigen Stunden schon laufen. Die Mutter<br />
zeigte ihrem Küken den Bauernhof.<br />
Projekt<br />
»Glückliche Hennen –<br />
traurige Hennen«<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
17
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Am nächsten Morgen wachte die<br />
Henne auf und rief erschrocken:<br />
»Wo ist denn mein Küken?«.<br />
Sie suchte überall.<br />
Sie fand es aber nicht, denn das<br />
Küken war in den Wald gelaufen.<br />
Dort traf das Küken den gefährlichen<br />
Habicht. »Hallo du kleines Küken«,<br />
sagte er und dachte dabei: »Du wärst<br />
das richtige Mittagessen für mich.«<br />
Der Habicht flog auf das Küken<br />
zu und wollte es packen. In letzter<br />
Sekunde konnte es sich unter<br />
einem Busch verstecken.<br />
»Das war knapp«, dachte es sich. Das<br />
Küken lief weiter. Es war völlig erschöpft.<br />
Plötzlich sah es einen Haufen<br />
voller Hühner. Es waren Rebhühner,<br />
die im Wald lebten.<br />
Dort blieb es ein paar Tage,<br />
dann lief es weiter.<br />
Nun traf es wieder einen<br />
Habicht. Und auch er wollte<br />
sich auf das Küken stürzen.<br />
»Halt!«, rief das Küken, »ich finde<br />
meine Mutter nicht mehr!«<br />
Das tat dem Habicht wirklich leid<br />
und er ließ das Küken gehen.<br />
Nach einiger Zeit sah das Küken<br />
ein Haus und dachte sich:<br />
»Vielleicht ist das ja mein Bauernhof.«<br />
Und es hatte recht.<br />
Es war der Bauernhof.<br />
Die Henne fragte das Küken: »Wo warst<br />
du denn?« und das Küken sagte:<br />
»Das erzähle ich dir später.«<br />
Und sie lebten glücklich bis<br />
an ihr Lebensende.<br />
Laura, 9 Jahre<br />
Heike Dreßler leitet als Lehrerin eine<br />
einzügige <strong>Grundschule</strong> in Thüringen,<br />
erreichbar über E-Mail:<br />
gs-dorndorf@t-online.de<br />
Inzwischen waren auch zwei Metallkäfige<br />
fertig und wir setzten Hühner, die<br />
wir aus Pappmache geformt hatten, hinein.<br />
Hühner mit einem ganz besonderen<br />
Federkleid. Jedes Kind hatte einen<br />
traurigen Käfig-Satz auf eine Papierfeder<br />
geschrieben und die dem Huhn angeklebt.<br />
Da konnte man nun lesen: Ich<br />
träume von einer Wiese. – Wo kommen<br />
meine Eier hin? – Ich will auch mal Küken<br />
ausbrüten! – Hier ist es eng! – Ich möchte<br />
einmal die Sonne sehen. – Das Futter<br />
schmeckt eklig. Was tut ihr da rein? …<br />
Und weil traurige Hühner auch traurige<br />
Eier legen, schnitten wir passende<br />
Wörter aus Zeitungen aus und klebten<br />
sie mit Binder auf ausgeblasene Eier.<br />
Pechvogel, Not, blutig, Stress, Verbrechen<br />
… stand nun darauf. Merkwürdig<br />
war, dass sich in den Zeitungen eher<br />
Wörter für unsere traurigen Eier fanden<br />
als für die glücklichen.<br />
Längst hatten wir uns in Gruppen<br />
eingeteilt, um die großen Ei-Bücher mit<br />
»Traurige Eier« von »traurigen Hühnern« – und Stolz auf das selbst erstellte »Ei-Buch«<br />
18 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Texten zu füllen. Einige Kinder beschäftigten<br />
sich mit allem, was ein Huhn<br />
braucht, schrieben Informationen aus<br />
Sachbüchern ab und klebten die Interviews<br />
und Fotos auf. Andere erforschten,<br />
wie sich die Entwicklung vom Ei<br />
zum Küken vollzieht. Norman kam mit<br />
einem Bündel Holz in die Schule, aus<br />
dem er einen Hühnerstall mit Legenestern<br />
baute. Im Kunstunterricht formten<br />
wir Tonhennen mit Küken, die dann<br />
in Normans Hühnerstall wohnen durften.<br />
Außerdem fertigte jedes Kind ein<br />
eigenes kleines Ei-Buch, um seiner Fantasiegeschichte<br />
eine schöne Rahmung<br />
zu geben. Verziert wurde das Deckblatt<br />
mit einer Henne aus Metallprägefolie.<br />
Das Einritzen von Formen und Mustern<br />
machte allen sichtlich Freude.<br />
Längst war der Zeitrahmen, den ich zu<br />
Beginn bestimmt hatte, nicht mehr<br />
einzuhalten. Die Begeisterung meiner<br />
Kinder für ihr Projekt war so groß,<br />
dass sie bereit waren, sich auch nachmittags<br />
zu treffen, um manch angefangene<br />
Arbeit noch fertig zu stellen.<br />
Es wurde gesägt, gemalt, getanzt,<br />
gestaltet, geschrieben und gerechnet.<br />
Und wir fuhren gemeinsam zur Küken-<br />
Ausstellung in die Kinderakademie<br />
nach Fulda.<br />
Bevor unser Projekt nun auf Wettbewerbs-<br />
Reise ging, stellten wir für die<br />
Familien der Kinder eine kleine Ausstellung<br />
zusammen. Sie gab einen Einblick<br />
in das kreative Schaffen der Kinder und<br />
zeigte, wie sich lebendige Erfahrung<br />
mit Sprache und künstlerischem Tätigsein<br />
verknüpfen lässt. Auch Jacquelines<br />
Opa sah sich unsere Ausstellung an.<br />
Stolz führten die Kinder ihn herum und<br />
lasen ihm auch einige Interviews aus<br />
dem Ei-Buch vor. Als er die Käfighühner<br />
mit den traurigen Federn und den<br />
traurigen Eiern sah, meinte er: »Das<br />
ist eine furchtbare Sache!« Zum Glück<br />
können seine Hennen »auf einer Wiese<br />
träumen«.<br />
Projektbeschreibung »Wie lebt eine Henne«<br />
Ideenfindung<br />
Zusammengetragen wurden u. a.: Bastelanleitungen<br />
für Hennen; Besuche bei Opas,<br />
die Hühner halten mit Fotodokumentation;<br />
Besuch der Kinderakademie Fulda; Kinderbuch<br />
»Superhenne Hanna« und andere Bücher über<br />
Hühner … An einer Pinnwand wurden alle Ideen<br />
gesammelt. Immer wieder kamen noch welche<br />
dazu. Manche wurden verworfen.<br />
Erstes Schreiben: »Was ich schon über Hühner<br />
weiß!«<br />
Vom Ei zum Küken<br />
Christian berichtete: Bei uns werden im Brutkasten<br />
morgen die ersten Küken schlüpfen!<br />
n Unterrichtsgang: Beobachtung der geschlüpften<br />
Küken, Betrachten des Brutkastens<br />
und der Eier, Fragen stellen, einen Erlebnisbericht<br />
schrei ben über den Unterrichtsgang<br />
mit persönlichen Gedanken (jedes Kind)<br />
n Zusammenstellen von Bildern aus Zeitschriften<br />
(z. B. »Tu was«) über die Entwicklung<br />
des Kükens und Herstellen des Ei-Buches<br />
(Gruppenarbeit)<br />
n Besuch der Küken bei Christian nach<br />
14 Tagen: Wie haben sich die Küken entwickelt?<br />
Besuch der Kinderakademie Fulda – Sonderausstellung<br />
»Vom Ei zum Küken«<br />
Unsere glücklichen Hühner – oder:<br />
Wie lebt eine Henne?<br />
n Unterrichtsgang zu 2 Hühnerhaltern im Ort:<br />
Fragen über Hühner stellen und Antworten<br />
mitschreiben, Interessantes über Lebensweise<br />
der Hühner erfahren, Anlage betrachten<br />
(Hühnerställe, Auslauf …), Verhaltensweisen<br />
von Hühnern beobachten und fotografieren<br />
n Herstellen des Ei-Buches »Wie lebt eine<br />
Henne?« (Gruppenarbeit)<br />
Freies Schreiben<br />
Jedes Kind schreibt eine Fantasie-Geschichte,<br />
in der es um Hühner oder Küken geht.<br />
Deckblatt: Kunstvoll verzierte Henne aus<br />
Metallprägefolie (Kunstunterricht)<br />
Kinderbuch »Superhenne Hanna« von<br />
Felix Mitterer<br />
Im Morgenkreis lasen wir dieses Buch gemeinsam.<br />
(Ei-Buch mit Meinungen als Gruppenarbeit)<br />
Umfrage und Statistik<br />
Wir überlegten uns Fragen über Verbraucherverhalten<br />
rund ums Ei und stellten sie den Leuten<br />
vor der Kaufhalle und im Ort (statistische<br />
Auswertung dazu im Mathematikunterricht)<br />
Wissen Sie, was die Zahlen auf den Eiern bedeuten?<br />
Aus welcher »Haltung« kaufen Sie Ihre Eier<br />
meistens?<br />
Wissen Sie, welche Bedingungen Hennen in<br />
Legebatterien haben?<br />
Sind Sie dafür, dass die Käfighaltung abgeschafft<br />
wird? (gesetzlich verboten wird)<br />
Traurige Hühner in Käfighaltung<br />
Nachdem so viel Wissen auch über die Käfighaltung<br />
zusammengetragen wurde, entstand<br />
die Idee, Pappmaschee-Hühner mit traurigen<br />
Federn in Käfige zu setzen. In Zeitungen suchten<br />
wir traurige Wörter, um sie auf die Käfig-<br />
Eier zu kleben. (Metallkäfige haben 2 Väter<br />
gebaut.)<br />
n Plakat über Käfighaltung<br />
n Kopiervorlage: Was könnte ein Käfighuhn<br />
sagen? Aus diesen Sätzen entwickelten wir die<br />
»traurigen Federn«<br />
n Ausgeblasene Eier werden mit passenden<br />
Wörtern aus der Zeitung beklebt (Binder-Dispersionsbindemittel)<br />
Glückliche Hühner<br />
n Bau eines Holzhühnerstalls mit Legenestern<br />
(Idee und selbstständige Umsetzung: Schüler<br />
Norman A. mit Partnern)<br />
n Formen von Hennen aus Ton, Eier mit glücklichen<br />
Wörtern (Gruppenarbeit)<br />
n Musikhören und Tanzen: Mussorgski: »Ballett<br />
der Küchlein in ihren Eierschalen« aus »Bilder<br />
einer Ausstellung«<br />
Holzhühner<br />
n erste Laubsägearbeit »Henne« aus Sperrholz<br />
und Draht im Werkunterricht (jedes Kind)<br />
Sprachbetrachten<br />
n Wörter mit Dehnungs-h wie in Huhn, Hahn<br />
n Wörter mit doppeltem Mitlaut wie in Henne,<br />
dazu Rs-Training: kurzer und langer Vokal im<br />
Sprachforscherbuch<br />
Ausstellung<br />
Am letzten Schultag vor den Osterferien luden<br />
wir alle Klassen unserer <strong>Grundschule</strong>, am<br />
Nachmittag auch Eltern, Großeltern sowie die<br />
2 Hühnerhalter, die wir während der Projektarbeit<br />
besuchten, in die Schule ein, um ihnen<br />
die Ergebnisse unserer zweiwöchigen Arbeit zu<br />
präsentieren.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
19
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Tafel, Kreide und eine Geschichte<br />
Sprachförderung mit einfachsten Mitteln<br />
von Thea<br />
Schmidbauer<br />
Die Tür stand offen, zwei Leute sahen<br />
mir freundlich entgegen, schon war ich<br />
drinnen in ihrem Workshop. Erst später<br />
hörte ich Bekannte freudestrahlend<br />
schwärmen vom Auftritt von Hedwig<br />
Rost und Jörg Baesecke am Abend<br />
vorher. Den hatte ich leider nicht erlebt.<br />
Mich lockte ihre Ankündigung:<br />
›Geschichten mit einfachen Mitteln so<br />
animieren, dass sie das Herz bewegen<br />
und die Zunge lösen‹. Die einfachen<br />
Mittel sind das, was man im Unterricht<br />
braucht, die ganz einfachen Mittel!<br />
Schon am Montag habe ich eine der Erzählzeichnungen,<br />
die ich am Samstag<br />
gelernt hatte, für meine Kinder aufgeführt.<br />
Alle zehn Kinder saßen dicht um die<br />
große Tafel. An die hab ich stehend<br />
mit weißer Kreide gezeichnet und dazu<br />
erzählt: Da ist Tom, und da ist Susi. Die<br />
beiden müssen in den Keller gehen und<br />
Sahne holen für die Mama. Tom und Susi<br />
haben jeder ein eigenes Zimmer. Tom<br />
lebt hier, und Susi lebt da. Das ist die<br />
Tür von Tom, und das die Tür von Susi.<br />
Da ist das Fenster von Tom, und da das<br />
Fenster von Susi. Und jedes Zimmer hat<br />
einen Kamin. Und wenn sie die Türen zuschlagen,<br />
macht es immer PUFF! PUFF!<br />
PUFF! PUFF! Tom sagt: Susi, wir müssen<br />
in den Keller gehen und schauen, wo die<br />
Sahne ist. Na gut! Sie gehen die Treppe<br />
RUNTER in den Keller. Aber da ist keine<br />
Sahne. Also gehen sie wieder RAUF. Und<br />
dann die andere Treppe RUNTER. Aber da<br />
ist auch keine Sahne, und so steigen sie<br />
wieder RAUF. Sie laufen einen laaangen<br />
Gang entlang und wieder eine Treppe<br />
RUNTER. Und finden nichts und gehen<br />
wieder RAUF und zur nächsten Treppe,<br />
da wieder RUNTER, und schauen<br />
nach der Sahne, aber da ist auch<br />
keine. Sie gehen die letzte Treppe<br />
wieder HOCH, ganz HOCH. Und da<br />
sehen sie, wer die Sahne aufgeschleckt<br />
hat. Ja, wer war denn das?<br />
wieder: Noch einmal! Ganz interessiert<br />
und aufmerksam waren sie alle mit mir<br />
bei der Sache, weil mein Erzählzeichnen<br />
ihre Emotionen geweckt hatte.<br />
Auch bei der Geschichte vom Einkaufen<br />
war das so. Und auch da haben sie<br />
erst zuletzt erkannt, was meine Kreide<br />
beim Erzählen unter der Hand hatte<br />
entstehen lassen. Ich habe erzählt:<br />
Ich kaufe zwei Semmeln, ein Stück Torte,<br />
eine Banane. Das wird eingepackt und<br />
oben wird eine Schleife gemacht. Dann<br />
kaufe ich noch zwei Hörnchen und einen<br />
Laib Brot. In dem Brot sind Nüsse. Dann<br />
brauche ich noch zwei Gabeln, jede mit<br />
fünf Zinken. Und das Ganze kostet 66<br />
Cent. Wer kommt zu mir zum Essen?<br />
Ein Mann! Plötzlich waren die Semmeln<br />
zu Augen, das Tortenstück zur Nase,<br />
die Banane zum Mund verwandelt. Im<br />
Spiel mit Kreide und Sprache. Wichtig<br />
ist, dass es wiederholt wird, bis die Kinder<br />
es selber erzählen können. Oder zunächst:<br />
bis sie es selber können wollen.<br />
Viele Kinder fordern die Wiederholung,<br />
weil sie stark sind und sich zutrauen,<br />
es irgendwann selber zu können.<br />
Aber manche mosern auch: Nee! Nicht<br />
schon wieder. Ist doch langweilig! Solche<br />
Unterschiede sind für mich interessant.<br />
Die Unlustigen denken vielleicht:<br />
Das schaff ich sowieso nicht! Oder ihre<br />
Gedanken sind von anderen Dingen<br />
besetzt.<br />
Oder sie<br />
konsumieren<br />
meine<br />
kleine Darbietung nur passiv wie eine<br />
Show.<br />
Macht sich darin, dass manche Kinder<br />
mein Kunststückchen hinnehmen als<br />
reine Unterhaltung, während andere<br />
es lernen wollen, um auch damit auftreten<br />
zu können, ein Entwicklungsoder<br />
ein Bildungsrückstand bemerkbar?<br />
Oder zeigt sich da nur, ob sie sich<br />
emotional auf so ein Spiel einlassen<br />
können? Ich weiß, dass bei manchen<br />
meiner Kinder die Fähigkeit dazu erst<br />
geweckt werden muss, zum Beispiel<br />
durch solches Erzählzeichnen. Es wird<br />
ja etwas Emotionales angesprochen<br />
damit, auch bei mir selbst. Dieses Sprechen<br />
und gleichzeitige Tun empfinde<br />
ich als merkwürdig spannend. Und ich<br />
meine, alle andern im Kurs hat es auch<br />
gepackt. Es sind so kleine Geschichten,<br />
aber sie rühren uns an! Und die Kinder<br />
dann auch.<br />
Ist es die besondere Verbindung zwischen<br />
Sprechen und bildlicher Darstellung,<br />
die fasziniert? Die einzelnen<br />
Elemente der Zeichnungen sind einfachste<br />
Symbole für das, wovon die<br />
Rede ist. Und am Schluss ist etwas ganz<br />
anderes entstanden. Das Ganze ist ein<br />
sprachintensives Kunststückchen, mit<br />
dem ich meine Schulkinder fessele, bei<br />
dem sie mir gerne zuhören und zusehen,<br />
das aber so durchschaubar wirkt,<br />
dass der Wunsch, es mir nachzutun,<br />
nahe liegt.<br />
Jede dieser Erzählzeichnungen<br />
bietet eine klar<br />
strukturierte mündliche<br />
Erzählung und einfachste<br />
Eine Katze! Aus T + S + Tür + Tür + Fenster<br />
+ Fenster usw. … war das Bild einer<br />
Katze entstanden. Noch einmal! Und<br />
20 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Linien. Niemand wird ausgeschlossen,<br />
auch nicht die Kinder, die ungeschickt<br />
mit dem Stift umgehen oder nicht so<br />
gut Deutsch sprechen. Ich habe ja Kinder<br />
in meiner Klasse, die bei der ersten<br />
Aufführung vielleicht nur einen Teil<br />
verstehen, aber zum Schluss doch erkennen:<br />
Eine Katze! Ein Mann! Am Ende<br />
ist jedes Kind ganz dabei und freut sich<br />
mit den andern am eben entstandenen<br />
Bild dieser merkwürdigen Katze. Ein<br />
zugleich persönliches und gemeinsames<br />
Erlebnis.<br />
Jede Aufführung ist für mich aber auch<br />
ein diagnostisches Instrument, weil<br />
ich die unterschiedlichen Reaktionen<br />
der Kinder auf mein Erzählen und<br />
Zeichnen beobachten, durchdenken,<br />
deuten und einordnen kann.<br />
Sehr viele Kinder in meiner Klasse<br />
wachsen zweisprachig auf. Es sind<br />
Kinder mit Verständnisschwierigkeiten,<br />
die Aufgaben kaum umsetzen können.<br />
Manche Kinder haben Wahrnehmungsprobleme<br />
– auditiv, visuell,<br />
taktil. Es sind Kinder, die<br />
im<br />
Einschulungsverfahren<br />
zurückgestellt wurden, weil<br />
sie, obwohl schon sechs<br />
Jahre alt, dem Schulbeginn<br />
in einer schulklasse noch<br />
Grundwären.<br />
Meine Aufgabe<br />
ist es, die<br />
Kinder in ihrer Entwicklung so weit zu<br />
fördern, dass sie nach einem Jahr<br />
stabil und selbstsicher genug vom<br />
regulären Anfangsunterricht in der<br />
<strong>Grundschule</strong> profitieren können. Lust<br />
auf Spielen und Lernen, Selbstständigkeit<br />
und Vertrauen in die eigenen<br />
nicht gewachsen<br />
Fähigkeiten sind zu wecken, dazu die<br />
Neugier auf Sprache, gesprochene wie<br />
geschriebene. Ziel ist es, dass sie wagen,<br />
sich auszudrücken, dass sie sich<br />
verständlich machen und anderen zuhören<br />
können.<br />
Diese Kinder brauchen Bilder, damit<br />
sie sich etwas vorstellen können. Sie<br />
hatten wenig mit Bilderbüchern zu<br />
tun und haben bisher kaum Geschichten<br />
vorgelesen bekommen. Sie fragen<br />
immer: Wo ist das Bild? Ich will was<br />
sehen, damit ich mir das vorstellen<br />
kann! Das erlebe ich jedes Jahr wieder<br />
aufs Neue: Wenn sie keine Bilder sehen<br />
zu einer erzählten Geschichte, dann ist<br />
die Aufmerksamkeit weg! Das RUNTER<br />
und RAUF meiner Kreide, wenn ich von<br />
den Kellertreppen erzähle (und die Beine<br />
der späteren Katze zeichne), erzeugt<br />
Anschaulichkeit.<br />
Mir selbst tut es gut, dass ich erlebe:<br />
Sie sind bei mir! Sie sind da! Ich erreiche<br />
sie! Mit diesen schlichten Erzählzeichnungen<br />
habe ich als Heilpädagogin einen<br />
faszinierenden Auftritt, denn alles<br />
kommt von mir, aus meinem Mund,<br />
aus meiner Hand. Nicht irgendwer hat<br />
etwas produziert,<br />
was<br />
nun hergezeigt<br />
wird,<br />
sondern<br />
eine<br />
greifbare<br />
Person<br />
lässt etwas<br />
entstehen!<br />
Und das<br />
kann man<br />
sogar<br />
nachahmen!<br />
Der Mann hier<br />
entsteht aus<br />
lauter Elementen,<br />
die Dinge repräsentieren,<br />
die man<br />
kennt. Sie<br />
bedeuten<br />
dann aber im Zusammenhang<br />
der Zeichnung etwas ganz anderes. Es<br />
ist wie ein Geheimnis im Alltäglichsten,<br />
das sich auf einen Schlag entpuppt.<br />
Das mag es sein, was so emotionalisierend<br />
wirkt! Dieses Geheimnis, das<br />
in der Erzählzeichnung steckt. Das ist<br />
keine platte Förderaufgabe, bei der die<br />
zu erreichende Leistung direkt angezielt<br />
wird.<br />
Heute dominiert eine Sichtweise auf<br />
Kinder mit Schwierigkeiten, die will,<br />
dass die Kinder aufgrund je individueller<br />
Diagnostik und gemäß einem individuellen<br />
Förderplan mit individuell<br />
angepasstem Übungsmaterial eher<br />
passiv gefördert werden. Hier werden<br />
sie einbezogen in das Erleben eines<br />
komplexen, in seiner Logik erkennbaren,<br />
koordinierten Könnens, das fesselt<br />
und verblüfft, aber so klar strukturiert<br />
ist, dass die Kinder nicht ahnen, wie<br />
anspruchsvoll die Leistung ist, wenn<br />
sie sie sich selbst zutrauen. Da liegen<br />
keine offenbaren oder diffusen<br />
Schwierigkeiten auf dem Weg zum<br />
Gelingen. Sie sprechen, sie spielen, sie<br />
zeichnen, sie spüren und kommen voran.<br />
Sie sind mit meinem Erzählzeich-<br />
nen ganzheitlich angesprochen und<br />
das Können, das sie sich erarbeiten<br />
möchten, fordert sie wiederum ganzheitlich.<br />
Aber Erzählen und Zeichnung<br />
stützen sich auch gegenseitig. Da ist<br />
eine Struktur in der Zeichnung, die<br />
sich aus der Erzähllogik ergibt. Und ein<br />
Ablauf in der Erzählung, der sich von<br />
der Zeichnung leiten lässt.<br />
Für solche Kunststückchen ist Konzentration<br />
nötig, kann sich darin aber<br />
auch allmählich entwickeln. Dazu das,<br />
was wir Raum-Lage- und Figur-Grund-<br />
Wahrnehmung nennen. Lauter Voraussetzungen<br />
für den Schriftspracherwerb,<br />
die hier aber nicht isoliert und<br />
gezielt gefördert werden, sondern<br />
in einem komplexen, animierenden<br />
Zusammenhang, weil sie da<br />
im doppelten Sinne gebraucht werden.<br />
Man bemüht sich um sie, weil man<br />
ihrer bedarf, und übt sie, indem man<br />
sie benützt. Das sollte im sonderpädagogischen<br />
Förderbereich eigentlich<br />
immer so sein! Meine Kinder haben<br />
sonderpädagogischen<br />
Förderbedarf.<br />
Sie brauchen eine andere Art Aufgaben<br />
als Kinder, die es leichter haben, weil<br />
sie daheim oder im Kindergarten schon<br />
viel Anregung und Klärung von Sprache<br />
bekommen haben.<br />
Was die Kinder hier zu lernen bekommen,<br />
ist eingebunden in gemeinsames<br />
Erleben und in Gespräche nebenbei, in<br />
Gefühlsaustausch und natürliches Fragen<br />
und Antworten. Die Rückstände in<br />
der Sprachentwicklung meiner Kinder<br />
hängen oft damit zusammen, dass<br />
sie genau dies zu Hause nicht erlebt<br />
haben: das unbefangene, ausgiebige<br />
Plaudern über etwas, womit man gemeinsam<br />
beschäftigt ist und wo jeder<br />
sich auf seine Weise beteiligen kann,<br />
eingebunden mit seiner Sprache in ein<br />
vertrautes Miteinander.<br />
Thea Schmidbauer<br />
ist Heilpädagogin<br />
am Sonderpädagogischen<br />
Förderzentrum<br />
Dachau,<br />
Außenstelle<br />
Karlsfeld<br />
t.schmidbauer@<br />
gmx.de<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
21
Praxis: Wie aus Erfahrung Sprache wird<br />
Die Taschentuch-Maus<br />
Ein Stofftaschentuch wird in der Diagonale<br />
gefaltet.<br />
Die beiden langen Spitzen des Dreiecks werden<br />
nach innen eingeschlagen.<br />
Die nun entstandene Form wird zur Spitze hin<br />
aufgerollt.<br />
Die Rolle wird gebogen, so dass die Enden<br />
zusammenstoßen, und auf diese Weise zu einem<br />
Ring geformt.<br />
Der Zipfel wird über die Stelle gelegt, wo die<br />
Enden der Rolle zusammenliegen; dann führt<br />
man ihn weiter um diese Stelle herum und<br />
rollt dabei die zuvor entstandene Rolle ab und<br />
um den Ringschluss herum neu auf. Am Ende<br />
kommen die beiden anfangs eingeschlagenen<br />
Spitzen wieder zum Vorschein.<br />
Nun sieht die Form wie ein großes Bonbon<br />
aus.<br />
Eine der beiden Spitzen zieht man nun in die<br />
Breite und verknotet die aufgezogenen Seiten.<br />
Dabei entsteht ein Kopf mit Ohren. Hier<br />
braucht man Geduld und manchmal eine Pinzette.<br />
Fertig ist die Maus!<br />
Die Taschentuch-Maus wird erst in<br />
meiner neuen Klasse ausführlicher<br />
auftreten. Ich weiß schon: Es gibt eine<br />
starke emotionale Reaktion bei den<br />
Kindern auf diese Maus, wenn sie sich<br />
wie lebendig bewegt. Die einen: Das ist<br />
ja gar keine richtige Maus! Die andern<br />
wollen sie anfassen und streicheln und<br />
mitspielen. Ich weiß auch: Als Heilpädagogin<br />
muss ich meinen eigenen<br />
Spieltrieb ermuntern, um vor den Kindern<br />
unbefangen mit der Maus spielen<br />
und dabei eine Geschichte erzählen zu<br />
können. Das Erzählzeichnen fiel mir<br />
leichter.<br />
Vielleicht übe ich mit der Maus nicht<br />
allein daheim, sondern mit den Kindern<br />
zusammen in der Schule. Es gibt Dinge,<br />
die muss man einfach üben, auch noch<br />
als Lehrerin. Ich zeige den Kindern die<br />
Maus, wie sie im Buch (1) gezeichnet<br />
ist und wie man sie falten kann nach<br />
der Anleitung in Zeichnung und Text.<br />
Kinder, die das auch lernen wollen, bekommen<br />
ein Taschentuch von mir. Wer<br />
eine Maus geschaffen hat, bekommt<br />
sie geschenkt. Und dann können wir<br />
um die Wette üben, sie herumhuschen<br />
zu lassen, wie es im Buche steht:<br />
»Man setzt sie auf die Innenseite<br />
der Hand, mit dem Kopf zum Ellbogen.<br />
Dann tut man so, als würde man sie<br />
mit der anderen Hand streicheln wollen.<br />
Dabei gibt man ihr mit den (nun<br />
verdeckten) Fingerspitzen der unteren<br />
Hand einen kräftigen Schubs – und<br />
die scheue Maus scheint den Unterarm<br />
hochzuspringen. Die obere Hand<br />
versucht sie zu fangen – dabei führt<br />
sie aber die Maus hoch hinauf bis zur<br />
Schulter.«<br />
Anmerkungen<br />
Rost, Hedwig / Baesecke, Jörg: Höher als der<br />
Himmel, tiefer als das Meer. Ein Erzähl- und<br />
Theater-Werkbuch. Frankfurt a.M. 2007 –<br />
siehe: www.kleinstebuehne.de<br />
Dank an Ute Andresen, die meine Erfahrungen<br />
mit mir durchdacht und formuliert hat.<br />
(Ein kräftiger Zug an Kopf und Schwanz –<br />
und man hat wieder ein Taschentuch.) Quelle: Rost / Baesecke 2007<br />
22 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Grundschulgeschichte(n)<br />
Mein Weg zum<br />
Spracherfahrungsansatz<br />
von Hans Brügelmann<br />
Als ich 1980 von der Universität Bremen auf<br />
eine Professur für Anfangsunterricht berufen<br />
wurde, hatte ich von Lese- und Schreibdidaktik<br />
kaum Ahnung. Um mich vor den Studierenden<br />
nicht zu blamieren, las ich alles, was<br />
ich in die Hände bekam – und war irritiert:<br />
Überall konnte ich lesen, wie man Lesen und<br />
Schreiben lehrt, aber ich fand kaum empirische<br />
Befunde bzw. Erklärungsansätze dazu,<br />
wie Kinder lesen und schreiben lernen.<br />
Dies war und ist aus meiner Sicht die primäre<br />
Frage, hatte ich doch bei Piaget gelernt,<br />
dass Menschen sich die Welt aktiv aneignen.<br />
In den Anfängen des Schreibens, als gerade<br />
ernannter Professor 1980 (H. Brügelmann)<br />
Auf der Grundlage ihrer bisherigen Erfahrungen<br />
entwickeln sie eigene Vorstellungen, die<br />
sie handelnd auf ihre Tragfähigkeit erproben.<br />
Aber selbst im Ausland gab es nur wenige ForscherInnen,<br />
die den Schriftspracherwerb aus<br />
der Sicht der Kinder untersuchten. Selbst bis<br />
heute sind die eindrucksvollen Studien von<br />
Emilia Ferreiro und Ana Teberosky (1979 / 82)<br />
weithin unbekannt.<br />
Deutsche Vorläufer<br />
Einige wenige Anregungen und Ermutigungen fand ich um 1980 auch in der<br />
deutschsprachigen Fachliteratur: der durch Fotos aus dem Unterrichtsalltag<br />
anschaulich und glaubwürdig belegte Praxisbericht »Das erste Schuljahr« von<br />
Ute Andresen (1973 bei Klett erschienen) und aus demselben Jahr Gudrun<br />
Spittas Ideensammlung für ein stärker selbstständiges »Lesenlernen«<br />
(Pädagogisches Zentrum Berlin). Wichtig war mir auch Jürgen Reichens<br />
»Lesen durch Schreiben« (1982 von Sabe in der Schweiz veröffentlicht), das eine<br />
kluge Idee von Maria Montessori zum Zentrum des Anfangsunterrichts im<br />
Lesen und Schreiben machte – und vor allem Gerhard Sennlaubs »Spaß beim<br />
Schreiben oder Aufsatzerziehung?«. Dieses seit 1980 von Kohlhammer immer<br />
wieder neu aufgelegte Praxisbuch hat mich damals nicht nur durch seinen<br />
Erfahrungsreichtum und seine klare Sprache beeindruckt, sondern vor allem<br />
durch seine Verweise auf vergessene Traditionen angeregt. Denn zentrale Ideen<br />
und Begründungen des Spracherfahrungsansatzes finden sich bereits bei ReformpädagogInnen<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts.<br />
Titel der 3., »verbesserten und vor<br />
allem vergrößerten Auflage 1989«,<br />
Faude Verlag, Lengwil (CH)<br />
Mir haben in meiner Bremer Anfangszeit<br />
Berichte über zwei Ansätze geholfen, die<br />
( Zufall?) in der Arbeit mit besonderen Gruppen<br />
erprobt worden waren: Sylvia Ashton-<br />
Warner (1963) hatte benachteiligte Maori-<br />
Kinder in Neuseeland in die Welten der Schrift<br />
eingeführt und Paulo Freire (1981) Alphabetisierungskampagnen<br />
für Erwachsene in Brasilien<br />
organisiert.<br />
Ashton-Warners Leitidee (vgl. Ramseger<br />
1975): Für jeden Menschen lassen sich Schlüsselwörter<br />
finden, die für besondere emotionale<br />
Erfahrungen in seinem Leben stehen.<br />
An diesem individuellen »Grundwortschatz«<br />
können dann auch Einsichten in den technischen<br />
Aufbau der Schrift gewonnen werde.<br />
Freire (1981) ging ebenfalls von den Erfahrungen<br />
der Betroffenen aus, aber er setzte mit<br />
Gesprächen über ihre gemeinsamen Lebensbedingungen<br />
an (Doll 2008). Den Ertrag<br />
dieser politisch verstandenen Aufklärung<br />
(»conscientização«) fasste er in Schlüsselwörtern<br />
zusammen (aus denen danach durch<br />
Zerlegung und Zusammensetzung neue<br />
Wörter gebildet wurden). Meine dritte Quelle<br />
waren Célestin Freinets Erfahrungen mit<br />
der Handdruckerei als Instrument des freien<br />
Ausdrucks: Kinder schreiben über das, was<br />
ihnen persönlich besonders wichtig ist, aber<br />
mit dem Ziel, sich anderen mitzuteilen, z. B.<br />
im Rahmen einer Klassenkorrespondenz. Der<br />
Spracherfahrungsansatz, also die Einsicht,<br />
dass Menschen Schriftsprache durch aktive<br />
Auseinandersetzung mit dem Gegenstand<br />
erfahren und durchdringen müssen, ist also<br />
nicht nur eine neue Methode (s. u.), er verlangt<br />
zudem eine besondere pädagogische Haltung,<br />
nämlich ein Interesse an den individuellen Erfahrungen<br />
und Vorstellungen der Kinder und<br />
Respekt für ihre persönlichen Interessen und<br />
Ziele.<br />
Übersetzt auf den Anfangsunterricht in deutschen<br />
Schulen bedeutet »Spracherfahrungsansatz«<br />
für mich Dreierlei:<br />
n an den individuellen Erfahrungen der Kinder<br />
mit (Schrift-)Sprache anknüpfen,<br />
n damit sie neue Erfahrungen mit Funktion<br />
und Struktur der Schriftsprache sammeln<br />
und alte ausbauen können,<br />
n indem sie schreibend Erfahrungen aus ihrer<br />
eigenen Lebenswelt mit Schrift festhalten<br />
und mitteilen sowie sich lesend bisher<br />
fremde Erfahrungswelten über Schriftsprache<br />
neu erschließen können.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
23
Grundschulgeschichte(n)<br />
Die Umsetzung<br />
dieser Leitideen<br />
ist in<br />
verschiedenen<br />
Formen<br />
denkbar (vgl.<br />
etwa die<br />
Beiträge zu<br />
Spitta 1998).<br />
Zusammen mit<br />
Erika Brinkmann habe<br />
ich unsere Vorstellung in einem »4 Säulen-<br />
Modell« für den Anfangsunterricht konkretisiert,<br />
das folgende Schwerpunkte umfasst:<br />
(I) freies Schreiben von Texten zu persönlich<br />
wichtigen Themen in der eigenen Sprache und<br />
ihre Veröffentlichung in Klassenbüchern, auf<br />
Plakaten, durch Vortragen in der Gruppe;<br />
(II) Vorlesen anspruchsvoller Geschichten in<br />
der Gruppe und individuelles Lesen / Betrachten<br />
von selbst gewählten Büchern;<br />
(III) Erklären und Modellieren grundlegender<br />
Umgangsweisen mit Schrift, um ihren technischen<br />
Aufbau verständlich zu machen und die<br />
individuell verfügbaren Strategien des Lesens<br />
und Schreibens weiter zu entwickeln;<br />
(IV) Übungen mit einem begrenzten Wortschatz<br />
an besonders häufigen und an persönlich<br />
wichtigen Wörtern, um grundlegende<br />
Lese- und Rechtschreibmuster zu automatisieren.<br />
Dabei erweist sich das Wechselspiel von<br />
individuellen und gemeinsamen Aktivitäten<br />
als besonders produktiv, wie die Bespiele zu<br />
den vier Säulen iim Kasten zeigen.<br />
Solche Aktivitäten haben wir in der »Ideenkiste<br />
Schriftsprache« gesammelt und im Rahmen<br />
einer »didaktischen Landkarte« geordnet<br />
(Brinkmann / Brügelmann 1993/2006). Wie<br />
die Beispiele zeigen, ist es aber schwierig, sie<br />
in Form von gemeinsamen Materialien für die<br />
aus: »Kinder auf dem Weg zur Schrift«, S. 176<br />
SchülerInnen zu fassen. Einen Versuch in dieser<br />
Richtung stellt die »ABC-Lernlandschaft«<br />
dar (Brinkmann u. a. 2008). Sie konzentriert<br />
die Aufgaben auf wenige Kernbereiche, um<br />
Raum für situationsbezogene Aktivitäten vor<br />
allem in den Bereichen I und II zu gewinnen.<br />
Zum anderen sind die Materialien inhaltlich<br />
und methodisch so offen konzipiert, dass sie<br />
Kindern eigene Wege auch in den Bereichen III<br />
und IV eröffnen.<br />
Literatur<br />
Ashton-Warner, S. (1963): Teacher. Simon and Schuster:<br />
New York/ Secker & Warburg: London.<br />
Backhaus, A. u. a. (Hrsg.) (2008): Demokratische<br />
<strong>Grundschule</strong> – Mitbestimmung von Kindern über ihr<br />
Leben und Lernen. Arbeitsgruppe Primarstufe/ FB2.<br />
Universität: Siegen.<br />
Brinkmann, E. u. a. (2008): ABC-Lernlandschaft.<br />
Lernbuch-Verlag Friedrich: Seelze.<br />
Brinkmann, E. / Brügelmann, H. (1993): Ideen-<br />
Kiste Schriftsprache 1 (mit didaktischer Einführung<br />
»Offenheit mit Sicherheit«). Verlag für pädagogische<br />
Medien: Hamburg (5. Aufl. 2006).<br />
Doll, J. (2008): Alphabetisierung als politische Bildung.<br />
Erinnerung an den brasilianischen Pädagogen<br />
Paulo Freire. In: Backhaus u. a. (2008, 134 _ 142).<br />
Ferreiro, E. / Teberosky, A. (1982): Literacy before<br />
schooling. Heinemann: Portsmouth/ London (span.<br />
1979).<br />
Freinet, C. (1980): Pädagogische Texte. Mit Beispielen<br />
aus der praktischen Arbeit nach Freinet. Rororo 7367:<br />
Reinbek.<br />
Freire, P. (1971): Pädagogik der Unterdrückten. Kreuz<br />
Verlag: Stuttgart (Rowohlt 1973; engl. 1972).<br />
Ramseger, J. (1975): Gegenschulen. Radikale Reformschulen<br />
in der Praxis. Julius Klinkhard: Bad Heilbrunn.<br />
Spitta, G. (Hrsg.) (1998): Freies Schreiben – eigene<br />
Wege gehen. Libelle: CH-Lengwil.<br />
Hans Brügelmann,<br />
Professor für Grundschulpädagogik und didaktik<br />
an der Universität Siegen (seit 1993).<br />
Von 1980 – 1993 Professor für Anfangsunterricht<br />
(Lese/ Schreibdidaktik) an der Universität Bremen.<br />
Im Grundschulverband Fachreferent für Qualitätsentwicklung.<br />
4-Säulen-Modell<br />
Freies Lesen [Säule I]<br />
n Jedes Kind wählt ein Buch, das es lesen<br />
(oder vorgelesen bekommen) möchte;<br />
n es stellt dieses Buch, z. B. mit vorgelesenen<br />
Ausschnitten, in der Gruppe vor,<br />
die Rückfragen stellen kann;<br />
n andere Kinder nehmen Buchempfehlungen<br />
auf und lesen Bücher, die sie persönlich<br />
interessieren, selbst.<br />
Tagebuch schreiben [Säule II]<br />
n Im Morgenkreis erzählen die Kinder<br />
von ihren Erlebnissen, eines davon wird<br />
gemeinsam an der Tafel verschriftet und<br />
von der Lehrerin ins »Klassenbuch« übertragen;<br />
n jedes Kind schreibt seine eigene Version<br />
des Ereignisses auf, ggf. im Rückgriff<br />
auf Elemente von der Tafel;<br />
n die Texte werden (durch die Lehrperson<br />
oder HelferInnen wie ältere SchülerInnen)<br />
»in Buchschrift übersetzt« und unter oder<br />
neben das Original geklebt, so dass diese<br />
wieder in der Gruppe (vor)gelesen werden<br />
können.<br />
Wörter jagen zu Hause<br />
oder auf der Straße [Säule III]<br />
n Jedes Kind wählt und schneidet bedeutsame<br />
Wörter oder Logos aus Zeitschriften<br />
usw. aus (oder schreibt sie ab)<br />
und bringt sie in die Schule mit;<br />
n die Funde werden im Kreis besprochen<br />
im Blick auf Bedeutung, Funktion und<br />
Schriftform (z. B. »Welche Buchstaben<br />
kennt ihr schon?«);<br />
n die Kinder wählen persönlich interessante<br />
Wörter aus, »tauschen« Wortkarten<br />
und schrei ben ihre Funde nach dem Anfangsbuchstaben<br />
geordnet in ein alphabetisches<br />
Wörterheft.<br />
Rechtschreibbingo mit<br />
geübten Wörtern [Säule IV]<br />
n Zum <strong>aktuell</strong>en Sachunterrichtsthema<br />
wählen die Kinder gemeinsam 10 bis 15<br />
»wichtige« Wörter aus, die auf einem Plakat<br />
gesammelt werden;<br />
n die Kinder übertragen die ihnen wichtigen<br />
Wörter in ihre Wörterkartei (oder ihr<br />
Wörterheft) und üben sie individuell (z. B.<br />
im Wende- oder Schleichdiktat);<br />
n die Lehrerin bietet das Plakat zur Auswahl<br />
und zum Abschreiben von Wörtern<br />
in einen Bingoplan (anfangs 2 × 2, dann<br />
3 × 3 Felder) an (später: Schreiben nach<br />
Diktat statt vom Plakat).<br />
24 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Dokumentation<br />
Bildung von Anfang an und an allen Bildungsorten<br />
von Horst Bartnitzky, Vorsitzender des Grundschulverbandes<br />
Kinder entwickeln sich<br />
unterschiedlich<br />
Das Schuljahr hatte im September angefangen.<br />
Mit den Erstklässlern ging<br />
die Lehrerin auf den Schulhof, um<br />
Blätter zu sammeln, die schon von<br />
den Bäumen fielen. Auch Eicheln wurden<br />
gefunden. Von ihrem Schulweg<br />
brachten die Kinder weitere Blätter<br />
mit. Sie wurden sortiert – nach Farbe<br />
und Form, Blättermännchen wurden<br />
zusammengelegt und –geklebt. Dann,<br />
Ende September, sollten die Kinder ein<br />
Herbstbild malen und, wenn sie wollten,<br />
Herbstwörter dazuschreiben.<br />
Dies sind zwei der Bilder (siehe die<br />
beiden Zeichnungen rechts). Beide<br />
liebevoll und detailreich gezeichnet.<br />
Annett zeichnet und malt; Milena<br />
schreibt schon Wörter dazu. Wer beide<br />
Kinder kennt, weiß mehr: Annett kann<br />
ihren Namen in großen Buchstaben<br />
schon malen, aber weiß noch keine<br />
anderen Buchstaben und schon gar<br />
nicht weiß sie um das Geheimnis von<br />
Schrift, nämlich dass man das gesprochene<br />
Wort in einzelne Laute zerlegen,<br />
dass man dann jedem Laut einen<br />
Buchstaben zuordnen muss. Anders<br />
Milena. Sie hatte schon vor der Schule<br />
angefangen, Wörter zu schreiben, und<br />
wie unschwer an dem Bild zu erkennen<br />
ist, hat sie das Geheimnis der Schrift<br />
für sich bereits gelüftet: BAOM. HMeL.<br />
Sicher, da fehlen Buchstaben und die<br />
korrekte Rechtschreibung ist es auch<br />
nicht, aber der so wichtige erste Schritt<br />
ist getan: die Entdeckung, wie Schrift<br />
funktioniert.<br />
Nun könnte man annehmen, dass die<br />
Kinder durch den Erstlese- und Schreibunterricht<br />
rasch auf einen gleichen<br />
Stand kommen. Die Kinder, die in ihrer<br />
Entwicklung noch nicht so weit sind,<br />
werden eben, wie man gerne sagt,<br />
gezielt gefördert und ziehen dann mit<br />
den anderen gleich.<br />
»Thüringer Bildungsplan« – Auftaktveranstaltung in Erfurt mit Horst Bartnitzky<br />
Am 29. September 2008 fand die Auftaktveranstaltung<br />
zur Einführung des »Thüringer<br />
Bildungsplans für Kinder bis 10 Jahre« in der<br />
Erfurter Messe statt. Mehr als 2 000 Pädagogen<br />
aus Kindergärten, <strong>Grundschule</strong>n und<br />
Einrichtungen, die Kinder bis zehn Jahre betreuen<br />
und so für die frühkindliche Bildung<br />
und Erziehung Verantwortung tragen, aber<br />
auch Eltern, Praxispartner und Vertreter von<br />
Verbänden waren gekommen.<br />
Der »Thüringer Bildungsplan für Kinder<br />
bis 10 Jahre« ist als Orientierungsrahmen für<br />
die pädagogische Arbeit und die Bildungsqualität<br />
konzipiert. Ein Schwerpunkt liegt<br />
auf den <strong>Grundschule</strong>n und Kindertageseinrichtungen.<br />
Aus der Sicht der <strong>Grundschule</strong> referierte<br />
Dr. Horst Bartnitzky (Vorsitzender des<br />
Grundschullehrerverbandes) zum Anliegen<br />
des Bildungsplans: »Bildung von Anfang an<br />
und an allen Bildungsorten«.<br />
Seinen Vortrag dokumentieren wir an dieser<br />
Stelle - gekürzt um die Passagen, die sich mit<br />
»Schulreife und -fähigkeit« beschäftigen. In<br />
vollem Umfang findet sich der Vortrag auf<br />
der Homepage des Grundschulverbandes:<br />
www.grundschulverband.de<br />
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung erläuterten<br />
Referenten wie Prof. Dr. Ada Sasse<br />
(Humboldt-Universität Berlin, Vorsitzende<br />
des Bildungsplan-Konsortiums), und Prof.<br />
Dr. Wassilios E. Fthenakis (Freie Universität<br />
Bozen) Entstehungsprozess, Inhalt und Ziele<br />
des Bildungsplanes.<br />
Der Plan umfasst die gesamte kindliche<br />
Entwicklung zwischen erstem und zehntem<br />
Lebensjahr. Damit legt Thüringen ein durchgängiges,<br />
forderndes, förderndes sowie<br />
kindgerechtes Bildungskonzept vor.<br />
»Die Umsetzung des Bildungsplanes ist ein<br />
über die Grenzen des Freistaates beachtetes,<br />
ambitioniertes Vorhaben, das eine Herausforderung<br />
für alle Beteiligten ist«, so Kultusminister<br />
Bernward Müller (CDU) in seiner<br />
Eröffnungsrede.<br />
Ziel der Implementierung des Bildungsplans<br />
ist es, dass alle an Bildungsprozessen für<br />
Kinder bis 10 Jahre Beteiligten bis Ende 2010<br />
den Bildungsplan kennen lernen, sich aktiv<br />
damit auseinandersetzen und ihre pädagogische<br />
Konzeption fortschreiben.<br />
Zusätzlich sollen Informationsveranstaltungen<br />
und Veröffentlichungen die Praxis<br />
aller, die Verantwortung für Bildung von Kindern<br />
bis 10 Jahre übernehmen, unterstützen.<br />
Weitere Informationen sind im Internet<br />
unter www.thueringer-bildungsplan.de und<br />
www.thueringen.de/... zu finden.<br />
He.<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
25
Dokumentation<br />
Wieder ein Beispiel aus den Anfangswochen<br />
der 1. Klasse. Die Lehrerin hat<br />
das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten<br />
erzählt, die Kinder haben<br />
Szenen dazu gemalt, mit den Bildern<br />
das ganze Märchen nacherzählt, die<br />
Tierlaute gesprochen und geschrieben,<br />
die Tiernamen gesprochen, Laute wiedererkannt,<br />
den Orginal-Märchentext<br />
als Kopie betrachtet, Tiernamen darin<br />
entdeckt und farbig markiert – für jedes<br />
Tier eine andere Farbe. Schließlich<br />
erhielten die Kinder ein Faltbüchlein<br />
mit 16 Seiten, auf jeder linken Seite<br />
eine Strichzeichnung von einer Szene<br />
aus dem Märchen, auf jeder rechten<br />
Seite Platz für einen eigenen Text. Hier<br />
das Beispiel einer Szene: Der Esel verlässt<br />
die Mühle, dazu die Texte von drei<br />
Kindern:<br />
Was an dem Beispiel zu ersehen ist:<br />
Während ein Kind lediglich das im Unterricht<br />
erworbene Lautwort IA sinnvoll<br />
einsetzt, erschreibt ein anderes Kind<br />
schon lautentsprechend den Tiernamen;<br />
das dritte Kind erschreibt bereits<br />
einen Satz, dabei sind die Wortgrenzen<br />
und der Satzschluss beachtet, der Tiername<br />
ist korrekt geschrieben. Dieses<br />
Kind hat also bereits vom gedruckten<br />
Text profitiert. Alle drei Texte erzählen<br />
inhaltlich das Gleiche, aber mit den<br />
Möglichkeiten, die dem einzelnen Kind<br />
individuell zur Verfügung stehen.<br />
Bleibt zu fragen, sind die Lernstände<br />
durch weiteren Unterricht nicht anzugleichen,<br />
zu homogenisieren?<br />
Den Kindern von Grundschulklassen<br />
wurden über die Grundschuljahre<br />
hinweg achtmal dieselben Wörter<br />
diktiert, darunter das Wort »Blätter«.<br />
Sehen wir uns an, wie bei zwei der Kinder<br />
der Lernverlauf war: bei Finn und<br />
bei Nele. Finn gehört zu den 25 % besten<br />
Rechtschreibern seines Jahrgangs,<br />
Nele dagegen zu den 5 % schwächsten<br />
Rechtschreibern des Jahrgangs.<br />
Das Wort »Blätter« enthält Rechtschreibphänome,<br />
die traditionell in<br />
Klasse 2 bearbeitet werden: Blätter<br />
mit ä, weil es von Blatt kommt, der<br />
Schlusslaut wird mit dem Rechtschreibmuster<br />
-er geschrieben, wie bei<br />
Vater, Leiter, Wetter, besser …<br />
Finn kennt Mitte Klasse 1 das Geheimnis<br />
der Schrift und bildet die<br />
hörbaren Laute mit Buchstaben ab;<br />
die rechtschriftlichen Besonderheiten<br />
erwirbt er im Laufe des nächsten Jahres<br />
und wendet sie beim Schreiben des<br />
Wortes an. Von Ende der Klasse 2 an ist<br />
das normgerechte Schreiben des Wortes<br />
bei Finn stabil.<br />
Anders bei Nele. Mitte der Klasse 1<br />
hat sie den wichtigen Schritt getan:<br />
nämlich die Erkenntnis gewonnen,<br />
dass für die Laute des Wortes Buchstabenzeichen<br />
aufgeschrieben werden, sie<br />
schreibt T, also den Buchstaben für den<br />
Laut, der im Wort Blätter beim Abhören<br />
im Mund und im Ohr am auffälligsten<br />
ist, den Explosivlaut /t/. Ende von<br />
Klasse 1 kann sie schon detaillierter das<br />
Wort abhören, sie nimmt besonders<br />
alle Laute wahr, die im Mund aufregend<br />
gebildet werden, Laute, die Lippen und<br />
Zunge intensiv arbeiten lassen: Blätter<br />
– PLT. Beim sorgfältigen Sprechen<br />
überpointiert sie den Anfangslaut<br />
zum kräftigeren P. Im Weiteren zeigt<br />
sich von Halbjahr zu Halbjahr, wie Nele<br />
weitere Strategien zur Verschriftung<br />
des Wortes und dann auch zur orthografischen<br />
Korrektheit erworben hat<br />
und anwendet. Ihre Annäherung an das<br />
normgerechte Schreiben des Wortes<br />
dauert vier Schuljahre, wofür Finn nur<br />
zwei Jahre brauchte. Finn brachte aber<br />
auch schon Können mit, dass sich Nele<br />
erst erarbeiten musste.<br />
Traditionell würde Nele bis<br />
zur Mitte von Klasse 4 beim<br />
Wort Blätter nur Fehler angekreidet<br />
bekommen. Aber<br />
würde das der Leistung von<br />
Nele gerecht? Nein, jede<br />
Schreibweise ist doch erkennbar<br />
ein produktiver Zwischenschritt<br />
auf dem Weg<br />
zur normgerechten Schreibung.<br />
Er zeigt, was sich Nele<br />
angeeignet hat, welche Fortschritte<br />
sie im letzten halben<br />
Jahr gemacht hat. Würden<br />
wir am Ende von Klasse<br />
2 Finn als Maßstab nehmen,<br />
dann könnten wir Neles Fortschritte<br />
nicht mehr positiv wahrnehmen und<br />
sie in ihrem Lernen weder würdigen<br />
noch angemessen unterstützen.<br />
Es ist wie beim Laufenlernen der<br />
kleinen Kinder. Als Baby erobern sie zunehmend<br />
komplexere Strategien, sich<br />
fortzubewegen: sie drehen sich, sie<br />
rutschen, sie robben, sie kriechen, gehen<br />
im Vierfüßergang, manche Kinder<br />
bewegen sich durch schlängelnde Bewegungen.<br />
Irgendwann richten sie sich<br />
am Tischbein oder an einer anderen<br />
Stütze auf, sie gehen zwei Schritte und<br />
setzen sich wieder. Am Ende laufen sie<br />
freihändig. Eltern und Verwandte freuen<br />
sich über jede dieser Bewegungen<br />
und sind stolz auf das Kind, wenn es<br />
sich auf neue Art fortbewegt. Die Erwachsenen<br />
messen das Kind nicht am<br />
fernen Ziel, dem freien Laufen, und<br />
all die Zwischenstufen werden nicht<br />
als Fehler angekreidet. Nein, es sind<br />
doch wichtige Fortschritte. Und das<br />
signalisieren sie durch sichtbare Freude,<br />
und hörbaren Zuspruch auch dem<br />
Kind. Das, verbunden mit der eigenen<br />
Funktionslust, stärkt und beflügelt das<br />
26 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Dokumentation<br />
Kind, die Anstrengungen weiterer Fortbewegungen<br />
auf sich zu nehmen.<br />
Und noch etwas: Die kleinen Kinder<br />
machen nicht alle zum selben Zeitpunkt<br />
ihre ersten Schritte (vgl. Abb.<br />
rechts oben).<br />
Keine Mutter, kein Vater käme wohl auf<br />
den Gedanken, alle Kinder im Alter von<br />
13 Monaten an einer Startlinie zu versammeln<br />
und um die Wette laufen zu<br />
lassen. Im Gegenteil: Beim Laufspiel<br />
»Wer kommt in meine Arme« stellt<br />
sich jede und jeder so weit entfernt<br />
von dem Kind auf, dass es mit Anstrengung<br />
und Lust gerade bis in die ausgebreiteten<br />
Arme schafft. Sollte es einen<br />
überehrgeizigen Vater geben, der sich<br />
so hinstellt, dass das Kind drei Meter<br />
vorher schon entkräftet hinfällt und<br />
sich auch noch wiederholt, würde die<br />
Umwelt dies als idiotisch und herzlos<br />
geißeln.<br />
Was für die kleinen Kinder beim Laufenlernen<br />
gilt, trifft ebenso auf schulische<br />
Leistungen zu, wie mit dem Blätterbeispiel<br />
an der unterschiedlichen Entwicklung<br />
von Finn und Nele deutlich<br />
wurde: Kinder eines Altersjahrgangs<br />
sind nicht homogen. Kinder gleichen<br />
Lebensalters unterscheiden sich im<br />
Entwicklungsalter um bis zu drei Jahren<br />
(s. Abb. rechts in der Mitte, Largo,<br />
S. 32).<br />
Das Schaubild zeigt am Beispiel von 20<br />
Kindern, alle 7 Jahre alt, wie sie in ihrem<br />
Entwicklungsalter differieren. Nur<br />
bei 6 Kindern von 20 sind Lebensalter<br />
und Entwicklungsalter identisch.<br />
Ein Kind ist auch nicht in allen Dimensionen<br />
gleich entwickelt: Es<br />
kann klein, aber dennoch weit fortgeschritten<br />
im Lesen sein; es kann<br />
schon bei Schuleintritt mit Zahlen<br />
jonglieren, aber emotional sehr unstabil<br />
sein. Jede Erzieherin und jede<br />
Lehrerin kennt das aus täglicher Anschauung.<br />
Alle aufmerksamen Eltern<br />
ebenso (s. Abb. rechts unten, Largo,<br />
S. 37).<br />
Eva z. B. ist in Lesen Spitze, im Rechnen<br />
schwach, im Turnen mittelprächtig. Es<br />
gelten also nicht nur Unterschiede zwischen<br />
den Kindern, sondern auch Unterschiede<br />
in den einzelnen Leistungsdimensionen<br />
innerhalb des Kindes.<br />
Geh-Alter. Die Säulen geben den prozentualen Anteil der Kinder an,<br />
die in einem bestimmten Alter die ersten Schritte machen (Largo 1985)<br />
Variabilität des Entwicklungsstandes in einer Gruppe von<br />
20 siebenjährigen Kindern (Largo 1985)<br />
Intraindividuelle Variabilität der Schulleistungen<br />
bei drei achtjährigen Kindern (Largo 1985)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
27
Dokumentation<br />
Diese unterschiedlichen Entwicklungsstände<br />
der Kinder lassen sich<br />
nicht angleichen. Jedes Kind hat seine<br />
eigene Lerngeschichte, ist geprägt von<br />
seinen angeborenen Gaben und von<br />
seiner sozialen Lebenswelt, von Vorbildern<br />
und Situationen, in denen es Erfolg<br />
und in denen es Misserfolg hatte.<br />
Jedes Kind hat seine eigene Konstellation<br />
aus Erfahrungen, aus Strategien,<br />
in der Welt zurechtzukommen, aus Zuversicht<br />
oder auch Ängstlichkeit, aus<br />
dem Wissen, selbst etwas bewirken<br />
zu können, also Könnenserfahrungen,<br />
oder aus der gegenteiligen Einschätzung,<br />
wenig zu können und sich wenig<br />
zuzutrauen. Und jedes Kind hat seine<br />
speziellen Interessen und Vorlieben. All<br />
dies wirkt auf die Entwicklung des Kindes<br />
insgesamt und auf seine Entwicklung<br />
in Bezug auf einzelne Bereiche.<br />
Nicht die Schule, sondern<br />
das Kind ist das Maß<br />
Die Geschichte der Schule ist bis heute<br />
geprägt von dem Irrtum, die Kinder<br />
könne man durch gezielte Maßnahmen,<br />
durch gleichen Unterricht für<br />
alle, durch ergänzende<br />
Förderung gleich machen<br />
und damit in der Klasse<br />
ein einheitliches Niveau<br />
erreichen. Unterstützt<br />
wird dieser Irrtum durch<br />
auslesende Maßnahmen:<br />
durch Sitzenbleiben oder<br />
Überweisungen an Sonder-<br />
oder Förderschulen.<br />
Die Homo genität der<br />
Jahrgangsklasse ist die<br />
illusorische Leitvorstellung.<br />
Warum dies eine<br />
Illusion ist, ist schon<br />
mit den bisherigen Ausführungen<br />
belegt. Ich will aber noch<br />
einige Erfahrungen anschließen, die<br />
sich um die Frage drehen: Was müssen<br />
Kinder können, wenn sie in die Schule<br />
kommen?<br />
Lernen beginnt nicht erst am Schultor.<br />
Jörg Ramseger berichtet aus einer Kindertagesstätte.<br />
Klara malt ein großes T auf ein Zeichenblatt<br />
und sagt TANA dazu. An der<br />
Wandtafel malt sie mit Kreise deutlich<br />
lesbar LINA. Mit selbstklebenden<br />
Schaumstoffbuchstaben bildet sie<br />
diverse Wörter. Sie greift wieder zur<br />
Kreide und schreibt OMA, zuerst ein O,<br />
dann ein M und dann A, alle drei Buchstaben<br />
übereinander. Wer den Entstehungsprozess<br />
beobachtet, kann das<br />
Wort OMA entziffern.<br />
Jason kommt dazu. Er greift sich die<br />
Schaumstoffbuchstaben und legt sie<br />
ebenfalls an die Magnettafel. Die Buchstabenfolgen<br />
ergeben aus Sicht der<br />
Erwachsenen keinen Sinn. Jason sagt<br />
auch nichts dazu. Vielleicht imitiert er<br />
Klara nur, die gezielt Worte schreibt,<br />
ohne dass er selbst schon irgendeine<br />
Vorstellung von Schrift hat.<br />
Lea liegt am Fußboden und malt<br />
Kritzelbilder. Das ist ihr Beginn des<br />
Schreibenlernens, eine sichtbare Spur<br />
auf eine Unterlage machen (Ramseger<br />
2008).<br />
An diesem Beispiel zeigt sich, dass das<br />
Interesse von Kindern an Schrift lange<br />
vor der Schule häufig groß ist – besonders<br />
ausgeprägt bei Kindern aus leseund<br />
schreibgewohnten Elternhäusern<br />
wie Klara oder bei Kindern mit älteren<br />
Geschwistern, die schon in die Schule<br />
gehen und die sie beim Hausaufgabenmachen<br />
beobachten. Das Beispiel zeigt<br />
auch, dass Kinder auf andere Kinder<br />
anregend wirken. Lesen, Schreiben und<br />
Rechnen beginnen bei Kindern weit vor<br />
der Einschulung. Dieses Interesse und<br />
die damit verbundenen Handlungen<br />
und Einsichten muss die Kita nicht nur<br />
zulassen, sondern sie ermutigend begleiten.<br />
Dies hat eine gänzlich andere Qualität<br />
als das Durcharbeiten einer Trainingsmappe.<br />
Hier setzen sich Kinder<br />
mit den Eindrücken aus ihrer Lebenswelt<br />
aktiv auseinander, entwickeln eigene<br />
Handlungsweisen und Strategien<br />
– individuell und im Miteinander- und<br />
Voneinanderlernen. Sie lassen sich von<br />
ihrem Interesse, ihrer Neugier, ihrem<br />
Handlungswollen, ihrem Lernenwollen<br />
leiten und die Lernumgebung gibt<br />
ihnen dazu Anregungen und wo nötig<br />
auch Unterstützungen. Hier sind es<br />
die Möglichkeiten mit Schaumstoffbuchstaben,<br />
mit Tafel, mit Kreide, mit<br />
Stiften zu experimentieren, anderen<br />
Kindern zuzusehen und sicher vieles<br />
anderes mehr.<br />
Umgang mit Schrift ist nicht für die<br />
Schule reserviert, wie das früher gedacht<br />
war. Überhaupt nichts ist für die<br />
Schule reserviert, was Kinder schon<br />
vor der Schulzeit interessiert und woran<br />
sie arbeiten. Der Bildungsprozess<br />
ist nicht in Abteilungen trennbar: hier<br />
Kita, da Schule. Er ist bei jedem Kind<br />
ein kontinuierlicher Prozess, der alles<br />
einbezieht, was das Kind aufnimmt<br />
und aktiv verarbeitet – in der Familie,<br />
mit anderen Kindern und in den institutionellen<br />
Bildungsstätten. Kinder<br />
lernen immer.<br />
Die Schule hat sich auf die Kinder<br />
einzustellen. Denn Schulfähigkeit, so<br />
unsere Definition, ist<br />
die Fähigkeit der Schule,<br />
den Kindern in ihrer individuellen<br />
Entwicklung<br />
gerecht zu werden, oder<br />
anders ausgedrückt:<br />
Schulfähigkeit ist die<br />
Kindfähigkeit der Schule.<br />
Wir denken heute über<br />
einen Bildungsbegriff<br />
nach, der alle Bildungsinstitutionen<br />
in einen Zusammenhang<br />
bringt, wir<br />
geben den traditionellen<br />
Begriff der Schulreife oder Schulfähigkeit<br />
auf zugunsten individueller dynamischer<br />
Bildungsprozesse, wir stärken<br />
bei den Kindern deren eigenaktive tätige<br />
Auseinandersetzung mit der Welt,<br />
wir orientieren uns statt an Lernzielen<br />
an Kompetenzen. Dies alles zusammen<br />
ist ein in sich stimmiges Konzept.<br />
Dann aber müssen wir auch über die<br />
heikle Frage des Leistungskonzepts<br />
nachdenken, und das Konzept gleicher<br />
Anforderungen an alle muss aufgegeben<br />
werden.<br />
Die kindgerechte <strong>Grundschule</strong><br />
braucht deshalb ein anderes Leistungs-<br />
28 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
Dokumentation<br />
konzept, als es das traditionelle Zensurenwesen<br />
hergibt.<br />
Der Grundschulverband hat hierzu<br />
über mehrere Jahre ein Projekt entwickelt,<br />
das sich bezeichenderweise<br />
nennt: Pädagogische Leistungskultur<br />
(siehe dazu Rückseite dieses Heftes).<br />
Koordinierung der Bildungsarbeit<br />
in Kita und <strong>Grundschule</strong><br />
Traditionell ist die Arbeit zwischen<br />
Kindertagesstätten und <strong>Grundschule</strong>n<br />
nicht oder nur wenig koordiniert. In<br />
den letzten Jahren wuchs in Politik und<br />
Öffentlichkeit das Bewusstsein, dass<br />
der Elementarbereich nicht bloß Kinder<br />
freundlich verwahrt und beschäftigt,<br />
sondern dass er die erste öffentliche<br />
Bildungseinrichtung ist und dass zwischen<br />
den beiden ersten Bildungsinstitutionen,<br />
der Kita und der <strong>Grundschule</strong>,<br />
die Bildungsarbeit aufeinander<br />
abzustimmen sei. Der Grundschulverband<br />
fordert hierzu:<br />
»Nicht erst in der Schule werden soziale<br />
und emotionale Kompetenzen<br />
entwickelt, Sach- und Umweltwissen<br />
erworben, beginnen Mathematiklernen<br />
und Schriftspracherwerb.<br />
Kindertagesstätte und <strong>Grundschule</strong><br />
verbindet der Auftrag, tragfähige Bildungsgrundlagen<br />
zu schaffen, dabei<br />
die Unterschiedlichkeit der Kinder<br />
als Normalität wahrzunehmen und<br />
individuelle Lernwege zu unterstützen.<br />
Immer muss an Lernprozesse<br />
angeknüpft und Begonnenes weiter<br />
geführt werden.<br />
Um in diesem Sinne miteinander zu<br />
arbeiten, müssen sich beide Einrichtungen<br />
in ihrem Bildungsverständnis<br />
einander annähern, über Lerninhalte,<br />
Methoden und angestrebte Kompetenzen<br />
miteinander abstimmen.«<br />
(Grundschulverband 2007).<br />
Um solche Abstimmung in den Bildungszielen<br />
und -prozessen zu fördern,<br />
werden in den Bundesländern für beide<br />
Einrichtungen verbindliche Bildungsvorgaben<br />
herausgegeben. Dabei zeigen<br />
sich bemerkenswerte Unterschiede:<br />
In Nordrhein-Westfalen wurden zwei<br />
verschiedene Vorgaben erarbeitet,<br />
die »Bildungsvereinbarung« und das<br />
»Schulfähigkeitsprofil«:<br />
n Die »Bildungsvereinbarung NRW«<br />
gilt für die Kindertagesstätten. Sie<br />
wurde erarbeitet vom zuständigen<br />
Ministerium sowie den Spitzenverbänden<br />
der freien und öffentlichen<br />
Wohlfahrtspflege und den Kirchen als<br />
Trägerverbände. Sie enthält Rahmeninhalte<br />
»zur Stärkung des Bildungsauftrags<br />
im Elementarbereich, zur<br />
Förderung des kontinuierlichen Bildungsprozesses<br />
der Kinder und für den<br />
gelingenden Übergang vom Kindergarten<br />
in die <strong>Grundschule</strong>« (Ministerium<br />
für Schule, Jugend und Kinder des<br />
Landes NRW 2003).<br />
n Das »Schulfähigkeitsprofil« gilt<br />
»als Brücke zwischen Kindergarten<br />
und <strong>Grundschule</strong>«. Der Einführungserlass<br />
beginnt mit dem Satz: »Eltern<br />
und Kindergärten brauchen eine klare<br />
Orientierung, worauf die Arbeit in der<br />
<strong>Grundschule</strong> aufbaut« (Ministerium<br />
für Schule, Jugend und Kinder des<br />
Landes NRW o. J.).<br />
Damit wird deutlich, dass ein Kerngedanke<br />
bei den Vorgaben der Übergang<br />
in die <strong>Grundschule</strong> ist. Zwar ist<br />
das Schulfähigkeitsprofil nicht Hürde,<br />
zur Auslese und Zurückstellung bestimmt,<br />
aber es setzt denn doch eine<br />
deutliche Zäsur, auf die hin die Arbeit<br />
in der Kindertagesstätte auszurichten<br />
ist, und die eine Norm, wenn auch eine<br />
weiche, für den Schuleintritt stellt. »Es<br />
kann den pädagogischen Fachkräften<br />
in den Kindergärten und den Lehrkräften<br />
der <strong>Grundschule</strong>n Anregungen und<br />
Hinweise für das Erstellen von Förderplänen<br />
vor allem für jene Kinder geben,<br />
deren Schulfähigkeit noch nicht ausreichend<br />
entwickelt ist« (ebenda, 7).<br />
In Thüringen wurde der Entwicklungsund<br />
Bildungsprozess der Kinder im ersten<br />
Lebensjahrzehnt insgesamt in den<br />
Blick genommen. Im »Thüringer Bildungsplan<br />
für Kinder bis 10 Jahre« wird<br />
ausgeführt, was in den verschiedenen<br />
Bildungsbereichen die grundlegende<br />
Bildung ausmacht, auf welche Angebote<br />
das Kind ein Bildungsrecht hat, in<br />
welchen pädagogischen Settings diese<br />
Angebote stehen und welche konkreten<br />
Angebote dem Kind gemacht werden<br />
sollen.<br />
Bildungsprozesse werden hier also<br />
ohne institutionelle Begrenzungen als<br />
kontinuierliche Bildungsprozesse verstanden,<br />
individuelle Entwicklungen<br />
setzen sich über die Bildungsabschnitte<br />
fort. Der Begriff Schulfähigkeit findet<br />
sich in diesem Bildungsplan nicht,<br />
wohl aber Anregungen zur Verständigung<br />
unter dem Leitgedanken wie:<br />
»Eltern, Kindergärtnerin und Lehrerin<br />
verständigen sich in der Übergangssituation<br />
über die Bildungsbedürfnisse<br />
des Kindes sowie darüber, wie diesen<br />
Bedürfnissen in der Schule, in außerschulischen<br />
Kontexten und zu Hause<br />
am besten entsprochen werden kann.<br />
Diese ökologische Kind-Umfeld-Analyse<br />
hat für Kinder mit besonderen Bildungsbedürfnissen<br />
(Kinder mit Behinderungen<br />
/ Kinder mit Hochbegabung)<br />
eine zentrale Bedeutung« (ebenda, 34).<br />
Es geht im Thüringer Bildungsplan<br />
mithin um Kindfähigkeit von Familie,<br />
Kindertagesstätte und <strong>Grundschule</strong><br />
und um eine unbeschädigte, kontinuierliche<br />
individuelle Bildungsentwicklung.<br />
Allerdings: Bildungsprozesse enden<br />
nicht mit dem 10. Lebensjahr. Für die<br />
weitere Entwicklung ist zu wünschen,<br />
dass der Bildungsplan in die Sekundarstufe<br />
hinein fortgesetzt wird. Das<br />
neue pädagogische Denken, das hier<br />
schon Grundlage ist, wäre auch für<br />
die Entwicklung der nachfolgenden<br />
Schulen und für die Bildungsprozesse<br />
ihrer Kinder und Jugendlichen hilfreich<br />
und würde den Bildungsprozessen der<br />
Kinder und Jugendlichen gerecht. Wie<br />
Kindfähigkeit als pädagogischer Anspruch<br />
für Kita und <strong>Grundschule</strong> gilt,<br />
so muss Jugendfähjigkeit als Anspruch<br />
für die Sekundarschulen gelten.<br />
Literatur<br />
Gabriele Faust-Siehl / Angelika Speck-Hamdan (Hrsg.):<br />
Schulanfang ohne Umwege. Frankfurt a. M.: Grundschulverband 2001<br />
Remo H. Largo: Kinderjahre. München Zürich: Piper 2008 (15. Aufl.)<br />
Jörg Ramseger: Richtig lesen lernen erst in der <strong>Grundschule</strong>?<br />
Wie moderne Kindergärten grundschulpädagogische Gewissheiten in<br />
Frage stellen. In: Die Grundschulzeitschrift 2008, H. 211, S. 15 – 18<br />
Jörg Ramseger / Jens Hoffsommer (Hrsg.): ponte. Kindergärten und<br />
<strong>Grundschule</strong>n auf neuen Wegen. Weimar, Berlin: verlag das Netz 2008<br />
Horst Bartnitzky u. a. (Hrsg.): Pädagogische Leistungskultur.<br />
Materialien Klasse 1 und 2. 2005 / Materialien Klasse 3 und 4. 2006 /<br />
Ästhetik, Sport, Englisch, Arbeits- und Sozialverhalten. 2007.<br />
Alle: Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
Horst Bartnitzky: Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider<br />
Hohengehren 2008<br />
Hans Brügelmann u. a.: Sind Noten nützlich und nötig?<br />
Ziffern zensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich.<br />
Eine wissenschaftliche Expertise des Grundschulverbandes.<br />
Frankfurt a. M.: Grundschulverband<br />
Hans Brügelmann: Schule verstehen und gestalten. Konstanz:<br />
Libelle 2003<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
29
Grundschulverband <strong>aktuell</strong> … aus den Landesgruppen<br />
Berlin<br />
Kontakt: Ingrid Kornmesser, Kohlfurter Str. 4, 10999 Berlin; www.gsv-berlin.de<br />
Jetzt geht’s los!<br />
Mit dem neuen Schuljahr<br />
beginnen 11 Berliner Schulen<br />
und Schulverbünde im Rahmen<br />
der in der rot-roten Koalitionsvereinbarung<br />
festgelegten<br />
»Pilotphase« mit ihren 1.<br />
und 7. Klassen mit ihrer Arbeit<br />
als Gemeinschaftsschule. Die<br />
Gemeinschaftsschule respektiert<br />
alle Kinder und Jugendlichen<br />
in ihrer Verschiedenheit,<br />
fördert sie in ihrer Gesamtentwicklung,<br />
fordert sie zu guten<br />
Leistungen heraus und schiebt<br />
niemand aufs Abstellgleis, weil<br />
sie oder er noch zu wenig kann.<br />
Die Berliner Landesgruppe des<br />
Grundschulverbandes arbeitet<br />
aktiv mit im verbandsübergreifenden<br />
»Runden Tisch Gemeinschaftsschule<br />
Berlin« (www.rtgemeinschaftsschule-berlin.de),<br />
der die Entwicklung in Richtung<br />
auf ein integratives /inklusives<br />
Schulsystem kritisch-konstruktiv<br />
begleitet und unterstützt.<br />
So nicht, Herr Senator!<br />
Das Berliner Palament hat den<br />
Bildungssenator beauftragt, bis<br />
Ende 2008 einen Vorschlag zur<br />
qualitativen Weiterentwicklung<br />
Brandenburg<br />
30 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
der Schulstruktur vorzulegen.<br />
Senator Zöllner (SPD) ist jetzt<br />
mit seinen »Eckpunkten für die<br />
Erarbeitung eines Vorschlages«<br />
medienwirksam an die Öffentlichkeit<br />
getreten. Seine »Eckpunkte«<br />
orientieren sich weitgehend<br />
am »Hamburger Modell«<br />
eines angeblich zweigliedrigen,<br />
in Wirklichkeit zumindest dreigliedrigen<br />
Schulsystems (Gymnasium,<br />
Regionalschule, Sonderschulen).<br />
Die kritischen<br />
Einwände von Linkspartei (www.<br />
gemeinschaftsschule-berlin.<br />
de) und Teilen der SPD (www.<br />
SPD-Linke.de) lassen erkennen,<br />
dass Zöllners Vorstellungen<br />
innerhalb der Koalitionsregierung<br />
nicht abgestimmt sind.<br />
Der Grundschulverband kritisiert<br />
insbesondere (www.gsv-berlin.<br />
de), dass der Senator festhält an<br />
einem gegliederten Schulsystem<br />
mit »höheren« und »niederen«<br />
Bildungseinrichtungen. Das ist<br />
alter Wein in neuen Schläuchen.<br />
Und wenn er die Qualität des<br />
Unterrichts in den 5. und<br />
6. Klassen der sechsjährigen<br />
<strong>Grundschule</strong> durch Lehrer(innen)<br />
aus dem Sekundarbereich verbessern<br />
will, macht er den Bock zum<br />
Vorsitzende: Denise Sommer, Weinbergstraße 21, 15834 Rangsdorf<br />
Individuelles Lernen fördern –<br />
individuelles Fördern lernen<br />
»Individuelles Lernen fördern<br />
– individuelles Fördern lernen«<br />
– unter diesem Motto fand der<br />
diesjährige gemeinsame Grundschultag<br />
des LISUM Berlin-Brandenburg<br />
und der Landesgruppe<br />
Brandenburg statt. Verbunden<br />
mit einem breit gefächerten pädagogischen<br />
Diskussionsangebot<br />
durch Vortrag und Arbeit in den<br />
Arbeitsgruppen, in denen Individualisierungsansätze<br />
aus der<br />
Sicht unterschiedlicher Fächer,<br />
Altersstufen und Organisationsstrukturen<br />
vorgestellt und diskutiert<br />
werden konnten, traf<br />
dieses Thema auf ein hohes Interesse<br />
der Brandenburger und<br />
Berliner Lehrkräfte und fand<br />
eine äußerst positive Resonanz.<br />
Was Paula als Nächstes lernen<br />
kann, wie man im Leseunterricht<br />
individualisieren und dabei<br />
Leseprozesse von der Drehbücherei<br />
bis hin zum Guckkasten<br />
begleiten kann, wie mathematische<br />
Problemlösestrategien<br />
individuell entwickelt werden<br />
können, wie förderdiagnostische<br />
Instrumente beim Schriftspracherwerb,<br />
individuelle Förderpläne<br />
in Klasse 1 oder selbstgesteuertes<br />
Lernen durch die Arbeit mit<br />
Lernplänen in den Jahrgangsstufen<br />
5 und 6 praktiziert werden<br />
können, all dies bot ausreichend<br />
Gelegenheit, an praxisnahen<br />
und praktikablen Beispielen aus<br />
dem Schulalltag Berliner und<br />
Brandenburger Lehrkräfte neue<br />
Lernwege des individuellen Förderns<br />
im Tagungsgepäck wieder<br />
mit nach Hause zu nehmen.<br />
In thematischer Fortsetzung<br />
des Grundschultages veranstaltet<br />
die Landesgruppe ihre diesjährige<br />
Herbst-Fachtagung am<br />
16. 10. 2008 in der <strong>Grundschule</strong><br />
Gärtner! Wer hat denn die negativen<br />
PISA-Ergebnisse bei den<br />
15-Jährigen produziert? Außerdem:<br />
Zöllners Strukturmodell<br />
sieht ab 2014 weder Gesamtnoch<br />
Gemeinschaftsschulen vor.<br />
Damit wird das »Modell Gemeinschaftsschule«<br />
quasi schon<br />
heute als gescheitert angesehen<br />
und die zu recht aufwändige Wissenschaftliche<br />
Begleitung der<br />
Pilotphase für überflüssig erklärt.<br />
(für die Landesgruppe: Peter Heyer;<br />
peterheyer@snafu.de)<br />
Donnerstag,<br />
26. Februar 2009<br />
17 – 20 Uhr<br />
3. Forum <strong>Grundschule</strong><br />
Thema: Neue Schulanfangsphase.<br />
Versuch einer Standortbestimmung.<br />
Diskussion <strong>aktuell</strong>er<br />
Probleme und Lösungswege.<br />
Ort: Galilei-<strong>Grundschule</strong><br />
(Kreuzberg), Friedrichstr. 13<br />
(U-Bahnhof Hallesches Tor)<br />
Weitere Informationen auf unserer<br />
website (www.gsv-berlin.de).<br />
(Die Veranstaltung musste vom<br />
Oktober 2008 auf diesen neuen<br />
Termin verschoben werden.)<br />
Mittenwalde. Auch hier steht das<br />
individuelle Lernen und Arbeiten<br />
der Kinder mit konkreten Anregungen<br />
für die Umgestaltung<br />
des Unterrichts im Mittelpunkt.<br />
Seitens des Ministeriums wird<br />
künftig individuelle Förderung<br />
als Schwerpunktaufgabe in der<br />
Zusammenarbeit aller Grundund<br />
Förderschulen in den<br />
43 regionalen Netzwerken<br />
fokussiert. Mit der verbindlichen<br />
Einführung des Portfolios in<br />
diesem Schuljahr, beginnend mit<br />
der Jahrgangsstufe 1, wird der<br />
Blick verstärkt auf die qualitative<br />
Weiterentwicklung von Lehrund<br />
Lernprozessen insbesondere<br />
im Hinblick auf die Individualisierung<br />
des Lernens gerichtet.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Marion Gutzmann)<br />
Hamburg<br />
Vorsitzende: Susanne Peters, Günther-<br />
»Hamburger Schuloffensive«,<br />
unter diese Überschrift stellt die<br />
neue Senatorin Frau Goetsch<br />
den breit angelegten Reformprozess<br />
des Hamburger Schulwesens.<br />
Eine Verbesserung des<br />
Unterrichts in Verbindung mit<br />
längerem gemeinsamem Lernen<br />
soll die Schüler besser fördern<br />
und fordern und die Schulen auf<br />
europäischen Standart bringen.<br />
Wichtige Elemente sind:<br />
n Neue Schulstrukturen<br />
Ab 2010 sollen in Hamburg sechsjährige<br />
Primarschulen, Stadtteilschulen<br />
sowie sechsjährige<br />
Gymnasien starten. Von September<br />
2008 bis Mai 2009 finden<br />
in 22 Regionen Schulentwicklungskonferenzen<br />
statt, in denen<br />
Schulleitungen, Vertreter der<br />
Eltern und der Lehrerinnen und<br />
Lehrer sowie bei weiterführenden<br />
Schulen der Schülerinnen<br />
und Schüler der einzelnen Schulen<br />
Empfehlungen erarbeiten für<br />
geeignete Standorte und ein vielfältiges,<br />
nachfrageorientiertes<br />
Bildungsangebot in ihrer Region.<br />
Direkte Beteiligung der Betroffenen<br />
vor Ort zur Vorbereitung der<br />
Behördenentscheidung ist ein<br />
Novum im Hamburger Schulentwicklungsprozess.<br />
Der Einsatz<br />
externer Moderatoren soll helfen,<br />
trotz Konkurrenz einzelner<br />
Standorte zu einvernehmlichen<br />
Vorschlägen zu gelangen. Leider<br />
gibt es für die Vertreter der<br />
Schulen, die an diesem wichtigen<br />
und zeitaufwendigen Planungs-<br />
Bremen<br />
Gemeinsamer Vorsitz: Nina Bodewww.grundschulverband-bremen.de<br />
Fortbildungsreihe<br />
Die Landesgruppe Bremen plant<br />
zurzeit eine Fortbildungsreihe<br />
zum Thema »Pädagogische Leistungskultur«.<br />
An vier verschiedenen<br />
Nachmittagen bieten wir<br />
Ihnen jeweils zwischen 15 und<br />
18 Uhr einen kurzen Einführungsvortrag<br />
zum Thema sowie einen<br />
anschließenden Workshop an,<br />
in dem möglichst viele praktische<br />
Elemente für die Unterrichtsgestaltung<br />
und die Leistungsdokumentation<br />
vorgestellt<br />
und erprobt werden sollen.<br />
Für den Start der Fortbildungsreihe<br />
zum Bereich Deutsch konnten<br />
für den 22. Februar 2009
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
straße 10, 22087 Hamburg; susanne.peters@gsvhh.de, www.gsvhh.de<br />
prozess beteiligt sind, keine<br />
zusätzlichen Ressourcen.<br />
n Lehrerfortbildung<br />
Um die Schulen und die Lehrkräfte<br />
auf die Umsetzung der<br />
Schulreform vorzubereiten,<br />
beginnt bereits in diesem Schuljahr<br />
die »Fortbildungsoffensive<br />
2008 – 2012«. Individualisiertes,<br />
selbstständiges Lernen, Kompetenzorientierung<br />
und Teamentwicklung<br />
sollen dabei im Vordergrund<br />
stehen. Es ist zu begrüßen,<br />
dass die vom Grundschulverband<br />
schon lange unterstützte Weiterentwicklung<br />
des Unterrichts<br />
hin zu einer pädagogischen<br />
Leistungskultur intensiv unterstützt<br />
wird. Hoffentlich werden<br />
genügend qualifizierte Fortbildner<br />
zur Verfügung stehen.<br />
n Lehrerausbildung<br />
Die geplante Ausweitung des<br />
Lehramtstudiums für den<br />
Grund-, Haupt- und Realschulbereich<br />
auf 10 Semester sorgt<br />
für eine Gleichwertigkeit der<br />
Ausbildung. Außerdem ist eine<br />
stärkere Verzahnung der Referendarausbildung<br />
der einzelnen<br />
Bereiche einschließlich des<br />
Gymnasialbereichs vorgesehen.<br />
Diese Verzahnung ist unabdingbar,<br />
da an den Primarschulen<br />
in den Klassen 4 bis 6 Grundschul-<br />
und Sekundarstufenlehrkräfte<br />
aller Schulformen gemeinsam<br />
unterrichten werden.<br />
Die Landesgruppe fordert eine<br />
Angleichung der Stundenverpflichtung<br />
und der Bezahlung<br />
Kirchhoff, Inga Weiland;<br />
bereits Erika Brinkmann und<br />
Hans Brügelmann als Referentin<br />
und Referent geworben werden.<br />
Als Expertin für den Bereich<br />
Mathematik wird voraussichtlich<br />
am 15. Mai 2009<br />
ein Fortbildungsblock von<br />
Henny Küppers geleitet.<br />
In weiterer Planung sind<br />
die Bereiche Sachunterricht<br />
(November 2009) und Ästhetik<br />
(Februar 2010). Die Fortbildungen<br />
sollen jeweils an<br />
einem Freitag stattfinden.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Nina Bode-Kirchhoff)<br />
aller an einer Schulform tätigen<br />
Lehrer. Alle Primarschullehrer<br />
in Hamburg sollten wieder eine<br />
Vergütung nach A 13 erhalten.<br />
n Kostenfreies Vorschuljahr.<br />
Die Landesgruppe begrüßt, dass<br />
bereits ab August 2009 ein kostenloses<br />
Vorschuljahr angeboten<br />
wird, ermöglicht es doch allen<br />
Familien eine frühe Förderung<br />
ihrer Kinder zumindest im Jahr<br />
vor der Einschulung. Der angestrebte<br />
erhöhte Anteil von qualifizierten<br />
Pädagoginnen und Pädagogen<br />
mit Bachelor-Abschluss<br />
in den Kindertageseinrichtungen<br />
wird die Qualität der vorschulischen<br />
Bildung weiter erhöhen.<br />
(für die Landesgruppe Hamburg<br />
Marion Lindner)<br />
Lesung von Frau<br />
Dr. Mechthild Dehn am<br />
26. November 2008<br />
um 19 Uhr im Café<br />
nur für Gäste, Fachbereich<br />
Erziehungswissenschaften<br />
der Universität Hamburg<br />
»Die Netzflickerinnen<br />
und viele Brüder«<br />
Niedersachsen<br />
Senkung des Einschulungsalters<br />
in drei Schritten<br />
In Niedersachsen ist der Trend<br />
beim Einschulungsalter vergleichbar<br />
mit anderen Bundesländern:<br />
Es werden immer weniger<br />
Kinder vom Schulbesuch<br />
zurückgestellt und zudem mehr<br />
Kann-Kinder eingeschult. Dieser<br />
Entwicklung entsprechen auch<br />
die Änderungen der Schulpflichtbestimmungen.<br />
In Niedersachsen<br />
wird damit eine Senkung des<br />
durchschnittlichen Einschulungsalters<br />
weiter begünstigt. Der<br />
Stichtag für die Schulpflicht wird<br />
in drei Schritten vom 30. Juni<br />
eines Jahres auf den 30. September<br />
verlegt. Das Ministerium<br />
möchte, »um den Schulträgern<br />
und Eltern genügend Zeit zu<br />
lassen, sich auf die Veränderung<br />
einzustellen«, die Veränderungen<br />
schrittweise umsetzen. Erstmalig<br />
sollen 2010 Kinder schulpflichtig<br />
sein, die in diesem Jahr<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Vorsitzender: Ralph Grothe, Hasengang 3, 17309 Pasewalk;<br />
ralphgrothe@aol.com<br />
Treffen mit dem<br />
Grundschulreferenten<br />
Am 26. August traf sich in der<br />
<strong>Grundschule</strong> »Karsten Sarnow«<br />
in Stralsund der Vorstand der<br />
Landesgruppe mit dem Leiter<br />
des Referats <strong>Grundschule</strong>n<br />
des Bildungsministeriums,<br />
Herrn Nickel.<br />
Im Mittelpunkt des dreistündigen<br />
Gesprächs stand die Novellierung<br />
des Schulgesetzes<br />
zum kommenden Schuljahr.<br />
Die Änderungen im Sinne der<br />
pädagogischen Zielsetzung<br />
umfassen die Stärkung des Erziehungsauftrages<br />
der Schule und<br />
einen besseren Schutz der Kinder.<br />
Individuelle Förderpläne, die<br />
aufeinander aufbauen und eine<br />
bessere Förderung der Kinder<br />
ermöglichen sollen, sind ebenfalls<br />
Bestandteil der Novellierung.<br />
Das Schulgesetz schafft die Voraussetzungen<br />
für die Umsetzung<br />
der schülerbezogenen Lehrer-<br />
Kontakt: Dr. Eva Gläser, Fasanenstr. 1, 38102 Braunschweig; www.gsv-nds.de<br />
am 31. Juli das sechste Lebensjahr<br />
vollendet haben, 2011 wird<br />
dann der Stichtag der 31. August<br />
sein und 2012 der 30. September.<br />
stundenzuweisung ab dem<br />
kommenden Schuljahr.<br />
Die freie Schulwahl wird für die<br />
Kinder nach der <strong>Grundschule</strong><br />
möglich. So bleibt eine wohnortnahe<br />
Beschulung der Kinder in<br />
ihrer Grundschulzeit gesichert.<br />
Weitere Gesprächsthemen<br />
waren die Weiterführung des<br />
Lehrerpersonalkonzeptes<br />
und die damit verbundenen<br />
Proble me in der Einstellung<br />
junger Lehrerinnen und Lehrer.<br />
Anhörung zum kostenfreien<br />
Mittagessen an <strong>Grundschule</strong>n<br />
Der Landtag des Landes Mecklenburg-Vorpommern<br />
führte<br />
eine Anhörung zum kostenfreien<br />
Mittagessen an den <strong>Grundschule</strong>n<br />
des Landes durch, an<br />
der sich die Landesgruppe in<br />
schriftlicher Form beteiligte.<br />
Der Text der Stellungnahme der<br />
Landesgruppe ist unter www.<br />
gsv-mv.de nachzulesen.<br />
(für die Landesgruppe: Ralph Grothe)<br />
Veränderte Ausbildung –<br />
eigenes Realschullehramt<br />
Niedersachsen hat ein eigenständiges<br />
Lehramt für Realschulen<br />
eingeführt und die bisherige<br />
kombinierte Ausbildung für<br />
Grund-, Haupt- und Realschulen<br />
mit entsprechender Schwerpunktsetzung<br />
beendet. Dies<br />
verwundert, da diese Neuregelung<br />
eine breite Kritik hervor rief:<br />
Kritisch äußerten sich sowohl<br />
der VBE als auch die GEW, die<br />
Oppositionsfraktionen der SPD<br />
und der GRÜNEN sowie kommunale<br />
Spitzenverbände, der Landeselternrat<br />
und auch Hochschulen.<br />
Unklar bleibt, warum<br />
unterschiedliche Lehrämter für<br />
die Sekundarstufe bei der geringen<br />
Trennschärfe zwischen Realschul-<br />
und Hauptschullehramt<br />
notwendig sind. Vor allem da<br />
dies auch den Entwicklungen im<br />
Schulwesen entgegen steht!<br />
Weitere Vergleichsarbeiten<br />
in Deutsch und Mathematik<br />
Mai 2009<br />
Auch im Schuljahr 2008/2009<br />
werden niedersächsische Schülerinnen<br />
und Schüler weitere<br />
Vergleichsarbeiten schreiben<br />
müssen. Für die Vergleichsarbeiten<br />
im dritten Schuljahrgang<br />
sind folgende Termine<br />
geplant: Vergleichsarbeit für<br />
das Fach Deutsch am 12. 5. 2009<br />
und eine Vergleichsarbeit im<br />
Fach Mathematik am 14. 5. 2009.<br />
Nähere Hinweise zu den Inhalten<br />
bzw. zur Durchführung<br />
dieser zentralen Vergleichsarbeiten<br />
erhalten die Schulen<br />
im Laufe des Schuljahres.<br />
(für die Landesgruppe: Dr. Eva Gläser)<br />
GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008<br />
31
Grundschulverband <strong>aktuell</strong><br />
… aus den Landesgruppen<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Vorsitzende: Gisela Cappel, Habichtstr. 1d, 58285 Gevelsberg<br />
VERA und kein Ende –<br />
Vergleichsarbeiten in Klasse 3<br />
Neben der bekannten und an<br />
verschiedenen Stellen mehrfach<br />
geäußerten Kritik an den vielfachen<br />
Ungereimtheiten der Vergleichsarbeiten<br />
wird die Durchführung<br />
in NRW dieses Jahr noch<br />
durch eine weitere Absurdität<br />
ergänzt: So erhielten die Schulen<br />
kurz nach Bekanntgabe der<br />
landes- und vergleichsgruppenbezogenen<br />
Auswertung eine<br />
Nachricht vom Schulministerium,<br />
in der darauf hingewiesen<br />
wurde, dass im Fach Mathematik<br />
die Aufgabenformate im<br />
Bereich ›Zahlen und Operationen‹<br />
in vielen Schulen noch nicht<br />
im Unterricht behandelt worden<br />
seien und daher ein Vergleich<br />
unzulässig sei. Demzufolge sollten<br />
Lehrerinnen und Lehrer auch<br />
auf eine Rückmeldung der individuellen<br />
Ergebnisse der Schülerinnen<br />
und Schüler an die Eltern<br />
verzichten. Einmal mehr stellt<br />
sich da doch die Frage nach einer<br />
dringend notwendigen Korrektur<br />
(oder Abschaffung) dieses<br />
insgesamt höchst fehlerbehafteten<br />
Instrumentariums.<br />
Rheinland-Pfalz<br />
Neuorganisation der Lehrerausbildung<br />
– Qualitätsgewinn<br />
für <strong>Grundschule</strong>n?<br />
Das geplante neue Lehrerausbildungsgesetz<br />
wirft für die <strong>Grundschule</strong>n<br />
Fragen hinsichtlich einer<br />
qualifizierten Begleitung der<br />
Studierenden in den neuen und<br />
in den Details noch ungeklärten<br />
Praktika auf. Auch wenn der<br />
Grundschulverband grundsätzlich<br />
die Neuordnung begrüßt,<br />
darf diese nicht zu einer zusätzlichen<br />
Belastung der Schulen führen,<br />
und die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen<br />
für die<br />
zukünftigem Lehrerinnen und<br />
Lehrer müssen durch die Bereitstellung<br />
entsprechender Ressourcen<br />
gewährleistet sein.<br />
Anschrift: Werner Lang, Am Win gertsberg 8, 67756 Hinzweiler<br />
Fortbildungen<br />
Pädagogische Leistungskultur und<br />
die neue Grundschulordnung – so<br />
lautet das Thema der derzeitigen<br />
Fortbildungsreihe der Landesgruppe<br />
RLP. Angesichts der katastrophalen<br />
Informationspolitik<br />
des Ministeriums spricht die<br />
Landesgruppe aus Sicht des<br />
Verbandes die Aspekte einer<br />
pädagogischen Leistungskultur<br />
an, stellt mögliche praxisbezogene<br />
Antworten vor und zeigt<br />
auf, welche Chancen und Verpflichtungen<br />
die neue Grundschulordnung<br />
in dieser Hinsicht<br />
enthält. Das große Interesse an<br />
der Thematik belegen die etwa<br />
20 offenen und schulinternen<br />
Fortbildungen mit insgesamt<br />
weit mehr als 600 TeilnehmerInnen,<br />
die bereits stattgefunden<br />
haben. Diese Veranstaltungsreihe<br />
soll 2009 fortgesetzt werden.<br />
Infos: www.wl-lang.de (Grundschulverband<br />
/ Fortbildungen).<br />
Grundschultag 2009<br />
Basierend auf dem Leitprinzip<br />
<strong>Grundschule</strong> auf dem Weg zur<br />
neuen Lernkultur wird<br />
am Dienstag, den<br />
3. März 2009 an der<br />
Universität Koblenz-<br />
Landau, Campus Landau,<br />
der nächste Grundschultag<br />
mit dem Schwerpunkt Kunst<br />
– Musik – Bewegung stattfinden.<br />
Ab Dezember werden<br />
auf der Homepage der Landesgruppe<br />
(s. o.) weitere Informationen<br />
zu finden sein.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Konstanze Rosinus)<br />
Fachtagung Übergang Kindergarten<br />
– <strong>Grundschule</strong><br />
Konkrete Verabredungen zur<br />
Kooperation zwischen Kindergärten<br />
und <strong>Grundschule</strong>n waren<br />
ein Ziel der Veranstaltung, die<br />
der Arbeitskreis KiGaGs der<br />
Stadt Dinslaken in Kooperation<br />
mit dem Grundschulverband-<br />
NRW durchgeführt hat. Die<br />
stellvertretende Bundesvorsitzende,<br />
Maresi Lassek, hat in<br />
ihrem Referat für die Vertreter<br />
der Dinslakener Tageseinrichtungen<br />
und <strong>Grundschule</strong>n den<br />
<strong>aktuell</strong>en Stand der fachlichen<br />
und bildungspolitischen Diskussion<br />
verständlich, klar und<br />
anregend zusammengefasst.<br />
Unter den mehr als 80 TeilnehmerInnen<br />
waren auch interessierte<br />
KollegInnen aus der Nachbarstadt<br />
Duisburg. So konnten<br />
am Ende nicht nur die Verabredungen<br />
zwischen den Einrichtungen<br />
innerhalb der Stadt<br />
Dinslaken dargestellt werden<br />
– auch zwischen den Arbeitskreisen<br />
der beiden Städte bahnt<br />
sich eine Kooperation an.<br />
Mehr Informationen zu <strong>aktuell</strong>en<br />
Themen auf unserer Homepage<br />
www.grundschulverband-nrw.de<br />
(für die Landesgruppe: Beate Schweitzer)<br />
Schleswig-Holstein<br />
Vorsitzende: Beate Blaseio, Am Binnenhafen 52, 25813 Husum;<br />
www. grundschulverband-sh.de<br />
Schulanfangstagung in der<br />
Universität Flensburg<br />
In der letzten Sommerferienwoche<br />
nahmen Hunderte von<br />
Lehrkräften das Angebot einer<br />
Fortbildungsveranstaltung wahr,<br />
die hochwertige Vorträge und<br />
Workshops zum Anfangsunterricht<br />
in der <strong>Grundschule</strong> bot. Die<br />
Landesgruppe war eingeladen,<br />
sich als Kooperationspartner der<br />
Universität Flensburg sowie der<br />
so genannten EULE zu präsentieren.<br />
Im Eingangsvortrag machte<br />
Frau Prof. Dr. Ursula Carle von<br />
der Universität Bremen anhand<br />
der Ergebnisse von Studien über<br />
Modellversuche jahrgangsübergreifenden<br />
Unterrichts deutlich,<br />
dass die untersuchten Klassen<br />
in Bezug auf die Leistung<br />
im Schnitt mit anderen gleichlagen,<br />
jedoch im Sozialverhalten<br />
und ihrer Lernmotivation besser<br />
abschnitten. Die Besucher und<br />
Besucherinnen der anschließenden<br />
Workshops waren dankbar<br />
über methodische und ganz<br />
praktische Tipps für die Umsetzung<br />
des jahrgangsübergreifenden<br />
Unterrichts, der in diesem<br />
Schuljahr an weiteren Schulen<br />
des Landes Einzug gehalten hat.<br />
(für die Landesgruppe:<br />
Sabine Jesumann, Andrea Klimmek)<br />
32 GS <strong>aktuell</strong> <strong>104</strong> • November 2008
An den<br />
Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Niddastraße 52 · 60329 Frankfurt / Main · Fax 0 69 / 7 07 47 80<br />
oder per Internet: www.grundschulverband.de<br />
Beitrittserklärung<br />
Für Ihren Beitritt zum Grundschulverband ·<br />
Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. halten wir<br />
folgendes Werbeangebot für Sie bereit:<br />
(Bitte nur eine der beiden Möglichkeiten ankreuzen!)<br />
Name<br />
Als neues Mitglied im Grundschulverband ·<br />
Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V. wünsche ich mir<br />
den Band<br />
als Aufnahmegeschenk.<br />
Nebenstehend genanntes Mitglied habe<br />
ich für den Grundschulverband · Arbeitskreis<br />
<strong>Grundschule</strong> e. V. geworben. Als Werbe prämie<br />
senden Sie mir bitte den Band<br />
an folgende Anschrift:<br />
Ich beantrage die Mitgliedschaft im Grundschulverband · Arbeitskreis <strong>Grundschule</strong> e. V.<br />
Als Mitglied erhalte ich jährlich zwei neue Mitgliedsbände aus der Reihe »Beiträge zur Reform der<br />
<strong>Grundschule</strong>« sowie die 32-seitige Vierteljahreszeitschrift »Grundschulverband <strong>aktuell</strong>« jeweils<br />
nach Fertigstellung kostenfrei zugesandt.<br />
Den angekreuzten Betrag<br />
Mitgliedsbeitrag 55,– €<br />
Ermäßigter Beitrag (bitte belegen!) 33,– €<br />
(für Studierende, Arbeitslose, Lehramts anwärter/innen<br />
sowie für Teilzeitbeschäftigte in den neuen Ländern)<br />
Förderbeitrag, mindestens 33,– €<br />
(keine Mitgliedsbände, nur Zeitschrift – für Pensionäre, die weiterhin <strong>aktuell</strong> informiert werden<br />
wollen und andere Förderer, die die Arbeit des Grundschulverbandes unterstützen möchten)<br />
zahle ich nach Erhalt der Jahresrechnung zahle ich per Bankeinzug vom<br />
Konto Nr.<br />
Bankleitzahl<br />
Name<br />
Straße und Hausnummer<br />
bei<br />
Straße und Hausnummer<br />
PLZ und Ort<br />
PLZ und Ort<br />
E-Mail<br />
Datum und Unterschrift<br />
Tel.
Pädagogische Leistungskultur<br />
Die Bücher zum Projekt des Grundschulverbandes<br />
(zum Teil mit Arbeitshilfen auf CD)<br />
Mit dem Projekt Pädagogische<br />
Leistungskultur wollen wir jenseits<br />
von VERA ein deutliches Zeichen für<br />
eine ermutigende Leistungsförderung<br />
aller Kinder setzen, die individuelle<br />
Lernentwicklungen im Blick behält und<br />
die Kinder dialogisch einbezieht.<br />
Band 118<br />
ISBN 3-930024-87-X<br />
Best.-Nr. 1076<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 119 (5 Hefte im Schuber / mit CD)<br />
ISBN 3-930024-88-8<br />
Best.-Nr. 1077<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 124 (5 Hefte im Schuber / mit CD)<br />
ISBN 3-930024-96-9<br />
Best.-Nr. 1082<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €<br />
Band 121 (5 Hefte im Schuber / mit CD)<br />
ISBN 3-930024-94-2<br />
Best.-Nr. 1079<br />
17,– € / f. Mitgl. 13,– €